Mit dem Beitritt von acht mittel- und osteuropäischen Staaten zur Europäischen Union (EU) am 1. Mai 2004 ist gleichzeitig eine große Anzahl an ethnischen Minderheiten zu Einwohnern der EU geworden. Mit ihnen rückte ein neues Politikfeld auf die Agenda der EU: der Minderheitenschutz. Zu seiner Gewährleistung in den neuen Mitgliedstaaten stellte die EU 1993 mit den Kopenhagener Kriterien Bedingungen auf, die ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines umfassenden Minderheitenschutzes in den Beitrittskandidaten verwiesen. Im Blickfeld der EU standen dabei besonders der Schutz der Rechte der Sinti und Roma in Mittel- und Osteuropa sowie der russischsprachigen Minderheit im Baltikum.
Gegenstand dieser Arbeit ist die russischsprachige Minderheit in der Republik Estland (im Folgenden: „Estland“), die knapp ein Drittel der Bevölkerung des nördlichsten Staates des Baltikums ausmacht. Die Krawalle in Tallinn im April 2007, ausgelöst durch den Abbau eines sowjetischen Kriegerdenkmals, zeigen deutlich, dass das Spannungsverhältnis zwischen der Titularnation und der russischsprachigen Minderheit noch immer ein großes Gewaltpotenzial birgt.
Den Beginn dieses Spannungsverhältnisses markieren der Zusammenbruch der Sowjetunion (UdSSR) sowie die Wiedererlangung der Unabhängigkeit Estlands 1991. Die Neuorganisation des estnischen Staates erfolgte anhand ethnischer Linien; alle anderen ethnischen Gruppen wurden von der politischen und wirtschaftlichen Umgestaltung ausgeschlossen und hatten so kein politisches Forum, ihre eigenen Rechte einzufordern. Erst nach heftiger Kritik internationaler Akteure und später auch estnischer Akademiker konnten sich in Estland erste Maßnahmen zum Minderheitenschutz im Zuge einer beginnenden Integrationspolitik entwickeln, die in der Literatur auch als „Ethno-Nationalismus“ (Lauristin/ Heidmets 2002: 47) bezeichnet wird.
Um in Estland einen mit europäischen und völkerrechtlichen Normen konsistenten Minderheitenschutz zu gewährleisten, wandte die EU demokratische Konditionalität in Form von Beitrittskriterien an. Ziel dieser Arbeit ist, den Wirksamkeitsgrad dieses Instruments zu bestimmen
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Problemstellung
- Begriffsbestimmungen
- Forschungsstand
- Methodik und Quellen
- Aufbau
- Theoretischer Rahmen
- Policy-Transfer
- Konditionalität
- Finanzielle und politische Konditionalität
- Vor- und Nachteile von Konditionalität
- Die Mitgliedschaftskonditionalität der EU: Instrumente, Dimensionen und Probleme
- Minderheitenschutz in der EU
- Ansatz der EU: Individuelle Rechte versus Gruppenrechte und doppelter Standard
- Rechtliche Bestimmungen
- Minderheitenschutz in der Außendimension
- Minderheiten in Estland
- Historischer Hintergrund der Minderheitenproblematik in Estland
- Konträre Definitionen des Minderheitenbegriffs
- Analyse
- Kriterien: „Wirksamkeit“
- Unterzeichnung völkerrechtlicher Verträge unter dem Druck der EU
- Gesetzgebung und politische Praxis
- Die Staatsangehörigkeitsgesetzgebung
- Politische Partizipation
- Antidiskriminierung
- Die sprachliche Dimension
- Bildung
- Maßnahmen zur Integration
- Staatsangehörigkeit
- Politische und gesellschaftliche Partizipation
- Antidiskriminierung
- Die sprachliche Dimension
- Bildung und Kultur
- Zwischenfazit: Ist der Minderheitenschutz in Estland gewährleistet?
- Schlussbetrachtung
- Fazit
- Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Bachelorarbeit analysiert die Wirksamkeit der EU-Konditionalität im Bereich des Minderheitenschutzes in Estland. Sie untersucht, inwieweit die EU mit ihren Instrumenten den Policy-Transfer im Bereich des Minderheitenschutzes bewirken konnte.
- Die Anwendung des Konditionalitätsprinzips im Bereich des Minderheitenschutzes
- Die Bedeutung von völkerrechtlichen Verträgen und deren Einhaltung in Estland
- Die Analyse der estnischen Gesetzgebung und politischen Praxis im Hinblick auf den Minderheitenschutz
- Die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Integration von Minderheiten in Estland
- Die Rolle der EU als Akteur im Bereich des Minderheitenschutzes
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel der Arbeit beleuchtet die Problemstellung, definiert wichtige Begriffe, stellt den Forschungsstand dar und erläutert die Methodik und Quellen sowie den Aufbau der Arbeit. Kapitel 2 befasst sich mit dem theoretischen Rahmen der Untersuchung, insbesondere mit dem Konzept des Policy-Transfers und der Rolle der Konditionalität in diesem Zusammenhang.
Kapitel 3 widmet sich dem Minderheitenschutz in der EU. Es wird der Ansatz der EU, die rechtlichen Bestimmungen und der Minderheitenschutz in der Außendimension der EU behandelt. In Kapitel 4 wird der Fokus auf die Minderheiten in Estland gerichtet. Es werden der historische Hintergrund der Minderheitenproblematik und die unterschiedlichen Definitionen des Minderheitenbegriffs beleuchtet.
Kapitel 5 analysiert die Wirksamkeit der EU-Konditionalität im Bereich des Minderheitenschutzes in Estland. Es werden die Unterzeichnung völkerrechtlicher Verträge, die Gesetzgebung und die politische Praxis in Estland im Hinblick auf den Minderheitenschutz untersucht. Außerdem werden die Maßnahmen zur Integration von Minderheiten beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die Arbeit widmet sich den zentralen Themen des Minderheitenschutzes, der Konditionalität, dem Policy-Transfer und der Integration von Minderheiten in Estland. Sie beleuchtet die Rolle der Europäischen Union als Akteur im Bereich des Minderheitenschutzes und analysiert die Wirksamkeit der EU-Instrumente.
- Quote paper
- Bachelor of Arts Wiebke Jürgens (Author), 2007, Die Europäische Union und der Minderheitenschutz in der Republik Estland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89383