Zu Fontanes "Schach von Wuthenow"

Deutung einer "Schach-Figur"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

28 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Voraussetzungen
2.1 Der bürgerliche Realismus
2.1.1 Umsetzung des realistischen Prinzips im Schach von Wuthenow
2.2 Das Gesellschaftsbild Fontanes
2.3 Der historische Hintergrund
2.4 Die Vorlage der Novelle

3 Die ‚Schach- Figur’

4 Schlussbemerkung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Im Sommer 1882 erschien Theodor Fontanes Novelle Schach von Wuthenow als Vorabdruck in der Vossischen Zeitung (1883 dann als deutscher Erstdruck), in der

„Das Problem Individuum und Gesellschaft […] einen ungewöhnlichen

Spannungsbereich mit dramatischem Ausgang [findet]. Er [der

Roman] schildert [in seiner Titelfigur] »den schönsten Offizier der

damaligen Berliner Garnison, der, in einem Anfalle von Übermut und

Laune, die liebenswürdigste, aber hässlichste junge Dame der

damaligen Hofgesellschaft becourt. So, daß der Skandal offenbar

wird.«“[1]

Nach der Bekanntwerdung des eben erwähnten Skandals zwingt die willensstarke Mutter von Victoire von Carayon Schach, ihre Tochter zu heiraten. Da dieser die Spötteleien seiner Kameraden nicht ertragen kann erschießt er sich nach dem gemeinsamen Hochzeitsmahl.

»Eitlen, auf die Ehre dieser Welt gestellten Naturen ist der Spott und

das Lachen der Gesellschaft derart unerträglich, daß sie lieber den

Tod wählen, als eine Pflicht erfüllen, die sie selber gut und klug

genug sind, als Pflicht zu erkennen, aber auch schwach genug sind,

aus Furcht vor Verspottung nicht erfüllen zu wollen.« So

charakterisiert Fontane seinen Roman, […], mit dem »Helden«

gleichen Namens.“[2]

Schach von Wuthenow ist die Psychografie eines „unerhört kränkbaren, stolzen und irgendwie feingearteten“ Charakters, der versucht aus dem kleinen Kreis, den seine Natur ihm gesteckt hat, auszubrechen, daran aber scheitert und durch seinen Tod in eben diesen Kreis zurück tritt.[3]

Fontane zeigt mit seinem Werk, dass keiner aus dem Kreis, in den er hinein geboren worden ist, austreten kann, so wie er es auch in anderen Erzählungen, wie z.B. Effi Briest, eindrucksvoll vorgeführt hat.

Das bearbeitete Werk soll jedoch für sich stehen und innerhalb dieser Arbeit nicht in Bezug zu weiteren Werken gesetzt werden. Dies böte sich sicherlich in mannigfaltiger Hinsicht an, soll hier aber nur der Vollständigkeit halber erwähnt und nicht weiter ausgeführt werden.

Die vorliegende Arbeit wird sich mit der Titelfigur des Schach und seiner Einbettung in den Gesamttext beschäftigen und dabei auch auf die in der Literatur thematisierte Ambivalenz dieses Charakters eingehen. Fontane schafft diese Ambivalenz oder Vieldeutigkeit durch die personale Erzählweise und die häufigen Perspektivenwechsel, wodurch der Leser einerseits mit der Selbsteinschätzung Schachs und andererseits mit den vielen Fremdeinschätzungen durch andere Figuren konfrontiert wird. Es erfolgt selbst innerhalb des Werks keine abschließende Beurteilung der Figur des Schach zur einen oder anderen Seite, wodurch auch dem Leser ein abschließendes Urteil erschwert wird. Dem Leser werden eine Vielzahl von Deutungen und Urteilen präsentiert, wodurch die Figur insgesamt immer diffuser und komplexer erscheint und sich einer klaren Einordnung entzieht. Dies geschieht auch durch die vielen einzelnen Urteile und Einschätzungen durch andere Figuren, die dem Leser jedoch nur ihre subjektive Einschätzung offenbaren. Es muss die Leistung des Rezipienten sein, sich dies immer wieder bewusst zu machen. In den folgenden Abschnitten soll versucht werden, die angesprochenen Selbst- und Fremdreferenzen aufzuarbeiten, damit diese zur Konturierung der Figur des Schach von Wuthenow beitragen können. Der Arbeit vorangestellt sind einige kurz gehaltene Ausführungen zur Theorie des Bürgerlichen Realismus, eine kurze historische Einordnung und ein paar Worte zur Vorlage des Stoffs.

2 Voraussetzungen

2.1 Der bürgerliche Realismus

Da Theodor Fontane wohl einer der bemerkenswertesten Vertreter der literarischen Epoche des Realismus ist, macht es sicherlich Sinn, den Realismus in den folgenden Zeilen kurz zu definieren, um dadurch auch die Struktur des Werks deutlich zu machen.

Die Programmatik des Realismus besagt, dass die thematische und stoffliche Darstellung in die historische Realität des 19. Jahrhunderts eingearbeitet werden soll. Oft sogar spezifisch in die bürgerliche Welt. Dies bedeutet, dass sich der Autor an die empirischen Grenzen der realen Welt halten und auf die Darstellung eines imaginierten Weltentwurfs verzichten soll, ebenso auf eine metaphysische Erhöhung der dargestellten Welt. Die Aussage des Autors soll nachvollziehbar und plausibel sein. Dies bedeutet auch, dass der Stoff der realistischen Literatur meist dem Alltagsgeschehen entnommen wird, ganz anders als es z. B. in der Romantik der Fall war. Die empirisch erfahr- und lebbare Realität soll der bestimmende Bezugspunkt der Werke sein. Ebenso sind die Protagonisten meist dem Alltäglichen entsprungen. Sie entstammen häufig dem Bürgertum, sind keine überhöhten Heldenfiguren oder Heroen, eben keine Ausnahmegestalten. In den Werken des Realismus ist „das dargestellte Geschehen stets örtlich und zeitlich fixier- und

benennbar, die Handlung unterliegt einer strengen kausalen und

chronologischen Abfolge. Das Ungefähre, nicht Erklärte und

Herleitbare, Überraschende und Zufällige bleiben ausgeschlossen;

die ästhetische Grundlage des Erzählens im Bürgerlichen

Realismus ist das Plausibilitätsprinzip […].“[4]

Das soll natürlich nicht bedeuten, dass nur wahre Geschichten erzählt werden – nein, es werden mögliche Geschichten erzählt, die aber im einen oder anderen Fall auf einem wahren Grundgerüst basieren, so wie es auch bei Schach von Wuthenow der Fall ist.

Der realistische Autor verzichtet auf große literarische Finessen, wie z.B. dem Verflechten unzähliger Einzelhandlungen, extremen Schachtelungen von Rahmenhandlungen, wiederholten Zeitsprüngen und anderen ‚Tricks’, die dem Leser einiges an Arbeit abfordern, um die Struktur der Geschichte aufarbeiten zu können. Auch starke Wertungen oder Einseitigkeiten durch den Erzähler sollen vermieden werden: „Gefordert wird stattdessen ein „rein objektiver Dichter“.[5] Insgesamt gesehen, soll der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Dichtung beachtet werden, denn es geht nicht nur um eine objektive Darstellung der Wirklichkeit, sondern auch um eine subjektive Deutung derselben.

Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf den Sprach- und Erzählstil, der meist auf der mittleren Sprachebene angesiedelt ist und von einer einfachen alltagsnahen Sprache dominiert wird, welches besonders künstlerische Stilmittel ausschließt. Gerade Fontane war der Meinung, dass ein Werk umso stilvoller sei, je objektiver es sei. Das eigentlich nur der Gegenstand an sich sprechen und frei sein sollte von Eigenheiten und Angewöhnungen des Künstlers, da diese sogar der darzustellenden Idee widersprechen könnten.[6] „Insbesondere Theodor Fontane perfektionierte einen solchen, jegliche Rhetorik vermeidenden ‚Tatsachenstil’“.[7]

2.1.1 Umsetzung des realistischen Prinzips im Schach von Wuthenow

Hier soll das Werk nur ansatzweise in die oben angesprochenen Prinzipien eingeordnet werden, um dem Leser als kurze Orientierung zu dienen.

Die Einordnung in die historische Realität des 19. Jahrhunderts erfolgt auch in der behandelten Novelle, denn mit dem Jahre 1806 befinden man sich in diesem, und die historischen Gegebenheiten werden durch die Figuren wiederholt angesprochen, welches eine deutliche zeitliche Fixierung bewirkt. So spricht z. B. Bülow auf S.4, Z.13 über die „Haugwitzsche Mission“ und auf derselben Seite in Z. 32 wird von „der neuen Provinz“ Hannover gesprochen.

Wie schon in Abschnitt 2.2 Der historische Hintergrund erläutert. Ebenso findet sich eine klare örtliche Einordnung bereits auf der ersten Seite. Der Salon der Frau von Carayon befindet sich in der Behrenstrasse, die in der damaligen Zeit zu den schönsten Straßen Berlins gehört und bevorzugte Wohngegend der höheren Stände ist.[8] Man befindet sich hiermit nahe der Straße Unter den Linden, die als Mittelpunkt der eleganten Welt der Stadt galt.[9] Des Weiteren behandelt die dargestellte Geschichte (Vgl. hierzu Abschnitt 2.3 Die historische Vorlage der Novelle) eine wahre Begebenheit und ist dem Alltagsgeschehen entnommen, wobei auch eine Fontane auszeichnende Handlungsarmut als Kennzeichen des Gesellschaftsromans zum Ausdruck kommt.

Es wird in 21 Kapiteln nicht mehr geschildert, als eine einzige sexuelle Begegnung, die eine Schwangerschaft zur Folge hat, woraufhin sich der Bräutigam nach der erzwungenen Eheschließung das Leben nimmt. Dies erfolgt in einer klaren kausalen und chronologischen Abfolge und ist weder verschachtelt, noch sonstigen literarischen Finessen unterworfen. Geschrieben ist die Novelle in einem mittleren Sprachstil und es findet sich, fast der programmatischen Vorlage entsprechend, nur eine einzige deutliche Wertung durch den Erzähler. „Armer Schach! Es war anders in den Sternen geschrieben.“, so steht es in Kapitel XIII, S.98 in Z. 2f. In der Literatur ist teilweise von einem Hervortreten Fontanes in dieser Äußerung die Rede.[10]

Wie es scheint, ist dies eine Stelle im Werk, an der ein kurzer Wechsel vom sonst vorherrschenden personalen zum auktorialen Erzähler stattfindet.

Der auktoriale Erzähler ist in der realistischen Literatur so gut wie nicht vorhanden. Aber wohl gemerkt ist es hier der Erzähler, der sich hier zu Wort meldet, welches nicht gleichzusetzen ist mit dem Autor.

Die kritische Kommentierung und subjektive Dimensionierung des Gesagten erfolgt generell durch personales Erzählen und durch die im Werk sehr häufigen Perspektivenwechsel. Es geben die Personen im Werk jeweils ihre eigenen Einschätzungen zum Charakter Schachs ab und malen so ein Gesamtbild der Figur und konturieren dessen Persönlichkeit. Dies z.B. anhand der folgenden Sätze, die Alvensleben zu Nostitz spricht:

„Schach ist eine sehr eigenartige Natur, die, was man auch an ihr aussetzen mag, wenigstens manche psychologische Probleme stellt. Ich habe beispielsweise keinen Menschen kennengelernt, bei dem alles so ganz und gar auf das Ästhetische zurückzuführen wäre, womit es vielleicht in einem gewissen Zusammenhang steht, daß er überspannte Vorstellungen von Intaktheit und Ehe hat. Wenigstens von einer Ehe wie er sie zu schließen wünscht.“[11]

So wird der keineswegs heldenhafte Charakter der Hauptfigur während des gesamten Stückes immer wieder von den andern Figuren subjektiv beurteilt und eingeschätzt, wobei sowohl positive als auch negative Pole ihn Quasi ‚umkreisen’. Diesem Bereich wird jedoch erst später in Abschnitt 4.1 besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Es ist bewiesen, dass Fontanes Novelle durchaus ein ‚Kind ihrer Zeit’ ist und dass sich Fontane den programmatischen Vorgaben des Realismus verpflichtet fühlte.

2.2 Das Gesellschaftsbild Fontanes

Das Bild, das Fontane von der Gesellschaft hatte, ist für diesen Roman nicht bloßes Beiwerk, sondern bildet eine wichtige Vorraussetzung zum Verständnis der Tragödie des Schach.

Fontane befürchtet den Niedergang Preußens, da er die Gesellschaft als dekadent und von moralischem und politischem Verfall geprägt erlebt. Fontane selbst hat ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu Preußen.

[...]


[1] Verchau, Ekkhard: Theodor Fontane. Individuum und Gesellschaft. Frankfurt/M; Berlin; Wien [: Ullstein] 1983: 150.

[2] Ebd.: 150.

[3] Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Erzählung aus der Zeit des Regiments Gensdarmes. Ditzingen 2001: 156.

[4] Becker, Sabina: Bürgerlicher Realismus. Literatur und Kultur im bürgerlichen

Zeitalter 1848-1900. Tübingen, Basel 2003: 125.

[5] Becker, Sabina: Bürgerlicher Realismus. Literatur und Kultur im bürgerlichen

Zeitalter 1848-1900. Tübingen, Basel 2003: 130.

[6] Ebd.: 127

[7] Ebd.: 129

[8] Wagner, Walter: Erläuterungen und Dokumente. Theodor Fontane. Schach von Wuthenow. [2. überarbeitete und aktualisierte Auflage.] Ditzingen [:Reclam] 2004: 5.

[9] Ebd.: 16.

[10] Guenther, Walter P.: Preußischer Gehorsam. Theodor Fontanes Novelle »Schach von Wuthenow«. Text und Deutung. München 1981: 207.

[11] Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Erzählung aus der Zeit des Regiments Gensdarmes. Ditzingen 2001: 7.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Zu Fontanes "Schach von Wuthenow"
Untertitel
Deutung einer "Schach-Figur"
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
2,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
28
Katalognummer
V89417
ISBN (eBook)
9783638028905
ISBN (Buch)
9783638926942
Dateigröße
482 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fontanes, Schach, Wuthenow
Arbeit zitieren
Janina Kieckbusch (Autor:in), 2006, Zu Fontanes "Schach von Wuthenow", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89417

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