Verfolgte Kinder in Ilse Aichingers `Die größere Hoffnung` und Erich Hackls `Abschied von Sidonie`


Seminar Paper, 2001

22 Pages, Grade: gut (2)


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Die Autoren
1.1 Erich Hackl
1.2 Ilse Aichinger

2. Zum Inhalt der beiden Werke
2.1 Die größere Hoffnung
2.2 Abschied von Sidonie

3. Der historische Gegenstand und seine Umsetzung
3.1 Verfolgung unter dem NS-Regime
3.1.1 Juden
3.1.2 Sinti und Roma
3.2 Historischer Hintergrund zu „Abschied von Sidonie“
3.3 Die literarische Umsetzung der politischen und sozialen Situation in „Die größere Hoffnung“

4. Die Figuren
4.1 Die größere Hoffnung
4.1.1 Ellen
4.1.2 Die jüdischen Kinder und andere Personen
4.2 Abschied von Sidonie
4.2.1 Sidonie
4.2.2 Hans und Josefa Breirather

5. Die erzählerische Inszenierung
5.1 Die größere Hoffnung
5.2.1 Erzählverhalten
5.2.2 Sprache
5.2 Abschied von Sidonie
5.2.1 Erzählverhalten
5.2.2 Erzähltechnik

Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Aus dem WWW

Vorwort

Sowohl Ilse Aichingers Roman „Die größere Hoffnung“ als auch Erich Hackls Erzählung „Abschied von Sidonie“ befasst sich mit Kinderschicksalen in der NS-Zeit. Aichinger erzählt von den Erlebnissen des halbjüdischen Mädchens Ellen und ihrer jüdischen Freunde unter dem Naziregime. Hackl schildert das authentische Schicksal des ‘Zigeunermädchens‘* Sidonie Adlersburg, das im KZ Auschwitz-Birkenau tragisch endet.

Wir finden hier zwar eine ähnliche Thematik vor, sie wird jedoch von den beiden Autoren in unterschiedlicher Weise bearbeitet. In der vorliegenden Arbeit möchte ich darstellen, warum die beiden Werke verschieden gestaltet sind und in welcher Weise sie sich voneinander unterscheiden.

1. Die Autoren .

Bereits die unterschiedlichen Biographien der Autoren bewirken eine Verschiedenartigkeit der literarischen Bearbeitung der Thematik „Verfolgung zu Zeiten des Naziregimes“. Die unterschiedlichen Entstehungsbedingungen bilden einen weiteren Faktor dafür.

Ilse Aichinger schrieb ihren Roman unmittelbar nach Kriegsende und thematisiert ein Schicksal, das sie als Halbjüdin zum Teil selbst erlebt hat. Folgendes Zitat illustriert Aichingers ‘Befangenheit‘ und erklärt vielleicht, warum sie ihren Roman „Die größere Hoffnung“ unbedingt schreiben musste.

So können alle, die in irgendeiner Form die Erfahrung des Todes gemacht haben, diese Erfahrung nicht wegdenken, sie können, wenn sie ehrlich sein wollen, sich und die anderen nicht freundlich darüber hinwegtrösten. Aber sie können ihre Erfahrung zum Ausgangspunkt nehmen, um das Leben für sich und andere neu zu entdecken .[1]

In ihrem literarischen Debütwerk hat Ilse Aichinger nicht zuletzt ihre eigene bewegte Kindheit aufgearbeitet und subjektive wie kollektive literarische Trauerarbeit geleistet.

Die Erzählung „Abschied von Sidonie“ erschien 1989, rund fünfzig Jahre nach den Ereignissen, die sie beschreibt. Der Autor Erich Hackl, ein sogenanntes ‘Nachkriegskind‘, hat weder den Krieg miterlebt, noch zählt er zu einer Minderheit, die verfolgt wird oder wurde. Gerade aus diesem Grund kann er sich der Thematik distanziert als Chronist, wie er sich selbst bezeichnet, nähern. Er hat seine Erzählung mit Fakten und Quellen untermauert, da er keine eigene Erfahrung einfließen lassen kann.

1.1 Erich Hackl

Erich Hackl wurde 1954 im oberösterreichischen Steyr geboren. Er absolvierte sein Studium der Hispanistik und Germanistik in Salzburg und Malaga und ist heute als Erzähler, Drehbuchautor und Übersetzer tätig.

Hackl erscheint das erste Mal in der literarischen Öffentlichkeit im Jahr 1987 mit seiner Erzählung „Auroras Anlaß“. Zwei Jahre später erscheint Hackls „Abschied von Sidonie“.[2] Doch mit der Geschichte um Sidonie Adlersburg beschäftigte sich der Schriftsteller und Journalist schon über einen längeren Zeitraum. Im Zuge von Recherchen lernte er durch Zufall Manfred Breirather, den „Bruder“ von Sidonie, kennen. Dieser bemühte sich vergebens um die Errichtung einer Gedenktafel. Hackl erinnert sich: „Ich dachte nicht daran, ein Buch zu schreiben, […], statt dessen verfaßte ich zwei kurze Texte in der Hoffnung, sie würden bewirken, was wir ersehnten [= Gedenktafel].[3] Den ersten Aufsatz bot er dem Nachrichtenmagazin Profil an, das ihn aber ablehnte, da erst kürzlich ein Artikel über Zigeuner darin abgedruckt worden war. Hackl veröffentlichte die Texte in anderen, weniger bekannten und mit geringerer Auflage gesegneten Zeitschriften.[4] Weiters verfasste Hackl auch das Drehbuch zu einem Film über Sidonie, der von Karin Brandauer verfilmt wurde.

Hackls besonderes Interesse an Sidonies Schicksal liegt vermutlich auch an der Tatsache, dass er in Steyr geboren wurde. „Ich bin in Steyr aufgewachsen, am westlichen Stadtrand, kaum sieben Kilometer von Breirathers Wohnhaus entfernt, als ich geboren wurde, war Sidonie seit zwölf Jahren tot.“[5]

1.2 Ilse Aichinger

Ilse Aichinger wurde 1921 mit ihrer Zwillingsschwester Helga als Tochter eines Lehrers und einer jüdischen Ärztin in Wien geboren. Einen Teil ihrer Kindheit verbrachte sie nach der frühen Scheidung ihrer Eltern mit Schwester und Mutter bei der Großmutter und in Klosterschulen.[6]

1938, nach dem Anschluss Österreichs, verlor Aichingers Mutter Praxis und Wohnung. Ihre Schwester Helga konnte 1939 noch fliehen, doch trotz der Chance wie ihre Schwester nach England zu emigrieren, blieb Aichinger bei ihrer Mutter, um diese als Mutter einer noch unmündigen "Halbarierin" vor der Deportation zu bewahren.[7] Die Großmutter und die Geschwister der Mutter wurden 1942 von der Gestapo nach Minsk deportiert und im KZ umgebracht. Nach Abschluss des Gymnasiums bekommt Aichinger als Halbjüdin keinen Studienplatz.

Nach Erreichen der Volljährigkeit hielt Ilse Aichinger ihre Mutter versteckt und riskierte selbst deportiert und ermordet zu werden. Nach Kriegsende begann sie das Medizinstudium, das sie nach fünf Semestern abbricht, um an ihrem Roman-Debüt „Die größere Hoffnung“ zu arbeiten. Im Jahr 1948 erschien der mit autobiographischen Zügen versehene Roman, der ihr einziger bleiben sollte.

2. Zum Inhalt der beiden Werke .

Wie bereits oben erwähnt ist die Thematik von Aichingers „Die größere Hoffnung“ und Hackls „Abschied von Sidonie“ eine ähnliche, trotzdem möchte ich ganz kurz auf den Inhalt der beiden Werke eingehen.

2.1 Die größere Hoffnung

Erzählt wird das Schicksal des Mädchens Ellen, dessen Vater arischer und dessen Mutter jüdischer Abstammung ist. Der Vater wendet sich von der Familie ab, die Mutter emigriert. Das Mädchen wird bei ihrer jüdischen Großmutter zurückgelassen, da sich niemand findet, der für sie bürgt, damit sie mit ihrer Mutter nach Amerika auswandern kann.

Ellen verliert nicht nur ihre jüdischen Freunde, sondern auch ihre Großmutter, als diese die Angst vor einer Deportation nicht mehr erträgt und vor Ellens Augen Selbstmord begeht. Ellen lernt den Tod nicht mehr zu fürchten, wünscht sich ihn sogar herbei, um wieder bei ihren Freunden und ihrer Großmutter sein zu können. Letzten Endes wird sie von einer Granate getötet.

2.2 Abschied von Sidonie

Erzählt wird die wahre Geschichte der Sidonie Adlersburg, das im Jahre 1933 vor dem Krankenhaus in Steyr/Oberösterreich gefunden wird und nach Recherchen des Steyrer Jugendamtes von einer Zigeunerin stammt. Das Arbeiterehepaar Hans und Josefa Breirather aus Letten an der Steyr nimmt das kleine Mädchen liebevoll auf und zieht es groß. Nachbarn stoßen sich zusehends an der dunklen Hautfarbe des Mädchens. Übereifrige Amtspersonen bewirken aus vorauseilendem Gehorsam, dass Sidonie aus Letten, wo die Breirathers wohnen, verschwindet. Unter dem Vorwand, das Kind der leiblichen Mutter zurückzugeben, wird es den Pflegeeltern nach einigen Jahren wieder entrissen und wie Tausende Angehörige der Sinti und Roma von den Nationalsozialisten in den Tod geschickt. Sidonie stirbt 1943 in Auschwitz.

Ihre Pflegefamilie sieht sich vor einer Mauer des Schweigens. Erst die Recherchen Hackls lüften das Geheimnis um Sidonies Tod. Die Erzählung endet mit einer Geschichte, die der von Sidonie sehr ähnelt, nur mit dem einen Unterschied, dass in dieser Geschichte das Zigeunermädchen (namens Margit) überlebt, da sich niemand berufen gefühlt hat, das dunkelhäutige Mädchen aus dem Ortsbild zu entfernen (das hat sich in der Steiermark zugetragen).

[...]


* Durch die Apostrophierung möchte ich mich von diesem abwertendem Begriff distanzieren. In der Folge werde ich aber auf diese Kennzeichnung verzichten.

[1] Ilse Aichinger: Vorrede. In: Rede unter dem Galgen. Hrsg. v. Hans Weigel. Jungbrunnen: Wien 1951, S. 7.

[2] Vgl. Gerald Rainer, Norbert Kern, Eva Rainer: Stichwort Literatur. Geschichte der deutschsprachigen Literatur. Linz: Veritas 1993, S. 467f.

[3] Erich Hackl: Sehend gemacht. Eine Bilanz. In: E. H.: Abschied von Sidonie von Erich Hackl. Materialien zu einem Buch und seiner Geschichte. Hrsg. von Ursula Baumhauer. Zürich: Diogenes 2000, S. 9.

[4] Vgl. ebda, S. 10.

[5] Ebda, S. 7.

[6] Vgl. Ilse Aichinger: Die größere Hoffnung. 7. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2000. (= Ilse Aichinger. Werke. 1.) S. 3. In der Folge zitiert als: DgH

[7] Vgl. Renate Mayr: Kinderschicksale im Dritten Reich. Über Ilse Aichinger, „Die größere Hoffnung“, Erika Mitterer, „Alle unsere Spiele“ und Erich Hackl, „Abschied von Sidonie“. Innsbruck. Phil. Dipl. 1992. [Masch.] S. 15.

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Details

Title
Verfolgte Kinder in Ilse Aichingers `Die größere Hoffnung` und Erich Hackls `Abschied von Sidonie`
College
University of Graz  (Institut für Germanistik)
Grade
gut (2)
Author
Year
2001
Pages
22
Catalog Number
V894
ISBN (eBook)
9783638105712
File size
437 KB
Language
German
Notes
Genaue Erzählanalyse der beiden Werke.
Keywords
Verfolgte, Kinder, Ilse, Aichingers, Hoffnung`, Erich, Hackls, Sidonie`
Quote paper
Andrea Rieger (Author), 2001, Verfolgte Kinder in Ilse Aichingers `Die größere Hoffnung` und Erich Hackls `Abschied von Sidonie`, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/894

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