Schamanismus - Zum Begriff Schamane und seiner Gültigkeit für mesoamerikanische religiöse Phänomene


Term Paper (Advanced seminar), 2001

23 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1.) Zum Begriff Schamanismus

2.) Schamanismus im heutigen Mesoamerika
2.1.) Weltanschauung
2.2) Schamanen und religiöse Spezialisten

Literaturverzeichnis

Mit den Begriffen „Schamanismus“ und „Schamane“ werden in der ethnologischen Fachliteratur religiöse Phänomene gegenwärtiger indigener Gesellschaften Mesoamerikas bezeichnet, obwohl die diesen Konzepten zugrunde liegenden ethnographischen Daten aus der Beobachtung religiöser Spezialisten und der Glaubensvorstellungen nord- und zentralasiatischer Gruppierungen gewonnen wurden. Im folgenden sollen zuerst Ursprung, Begriffsgeschichte und gegenwärtige Verwendungen der Konzepte „Schamanismus“ und „Schamane“ untersucht werden, um daraufhin anhand Weltanschauung und religiöser Spezialisten zweier gegenwärtiger mesoamerikanischer Gruppierungen den Sinn dieser Begriffsverwendung in ethnologischer Arbeit über Mesoamerika zu reflektieren.

1.) Zum Begriff Schamanismus

Untersucht man in synchroner Perspektive die Verwendung beider Begriffe in der neueren Fachliteratur, so wird schnell deutlich, das „Schamanismus “ und „Schamane“ einerseits sehr häufig zur Charakterisierung bestimmter Rollen und weltanschaulicher Elemente ethnographisch untersuchter Gesellschaften verwendet, andererseits aber durchaus unterschiedlich verstanden werden. Auch werden die beiden Konzepte nicht immer deckungsgleich verwendet; wie allgemein die Wortendung -ismus in der deutschen Sprache sowohl ideologische Systemen mit deduktiv erarbeiteten Grundprämissen („Leninismus“, „Katholizismus“) wie auch musterhaft auftretende empirische Phänomene („Albinismus“, „Alkoholismus“) kennzeichnet, steht „Schamanismus“ (bzw. „ shamanism “) in der ethnologischen und archäologischen Literatur einerseits für die Anwesenheit spezifischer religiöser Spezialisten in der beschriebenen Gesellschaft (Furst 1968, Peters 1981, Dow 1986) und andererseits auch für die Ideologie oder Religion von Gesellschaften, in denen Schamanen existieren (Basilov 1984, Schele et al. 1993).

In letzterer Art der Begriffsverwendung wird Schamanismus als weltweit verbreitete Ideologie von Ranggesellschaften und egalitären Gesellschaften betrachtet, in deren geteilter religiöser Vorstellungswelt verschiedene typische Punkte wie

* eine Einteilung des Kosmos in mehrere verbundene Welten (meist in eine Ober- ,
Unter – und Mittelwelt)
* zwei- oder mehrstufige Seelenvorstellungen (etwa aus Körperseele und Traumseele)
* die Existenz eines vielfältigen Pantheons von Geistern oder Göttern, die häufig als
Personifikationen von Bestandteilen der Umwelt oder Naturphänomene betrachtet
werden
sowie manchmal zusätzlich auch
* den Glauben an eine elementare, spirituelle Lebenskraft sowie
* Konzepte mythischer Verwandschaft mit Tieren oder Pflanzen

beinhalten.

Schamanismus als Weltanschaung überschneidet sich in solchen Definitionen also z.T. mit anderen religionsethnologischen Konzepten wie Animatismus, Animismus, Pantheismus, Polytheismus und Totemismus; als typische Besonderheit der schamanistischen Weltanschaung wird meist das in mehrere Welten gegliederte kosmologische Modell und vor allen Dingen die Anwesenheit von Schamanen genannt.

Diese werden in solchen Auffassungen als zentrale religiöse Funktionäre dieser Gesellschaften gesehen und über wenige Merkmale wie beispielsweise über in willentlich beabsichtigter Ekstase erfolgende Reisen in diese andere Welten (Schele et al. 1993) oder Kommunikation mit Geistern (Basilov 1984) definiert, ohne das andere Konzepte von Weltanschauung und religiösen Spezialistentum wie Priester diskutiert werden; wegen des häufig eher marginalen Status von solchen Schamanen in vielen Gesellschaften wird dieses Konzept von Schamanismus von manchen Autoren kritisiert (Voigt 1984, Vitebsky 2001).

Untersucht man die Verwendung des für das Konzept Schamanismus zentralen Begriffes „Schamane“ in der Fachliteratur in diachroner Perspektive, so lässt sich das Wort erstmals in Berichten aus dem 18. Jahrhundert über einen bestimmten Typus von religiösen Spezialisten in tungusische Sprachen wie Ewenkisch sprechenden Gruppen Nordasiens vorfinden; vor allen Dingen von russischen Ethnographen wurden dann im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine Vielzahl von Forschungen über solche religiösen Funktionäre bei sibirischen und zentralasiatischen Gruppen wie den Tungusen, Korjaken und Jakuten durchgeführt. Bei diesen Gruppierungen handelt es sich vorwiegend um Ranggesellschaften, deren Subsistenz auf aneignender und/oder nutzender Wirtschaft basiert und in deren religiösem Weltbild animistischer Glaube an eine Beseeltheit der Natur, die Notwendigkeit eines reziproken Verhältnisses zu der genutzten Natur – etwa in Form rituell formalisierter Behandlung getöteten Wildes – und eine verschiedene Welten umfassende Kosmosauffassung eine gewichtige Rolle spielen. Das System religiöser Funktionäre in diesen Gruppen ist häufig komplex und umfasst verschiedene Spezialisierungen für Einzelaspekte des religiösen Weltbildes wie den Geistern opfernde Priester, Ritualspezialisten für die Jagd und mit den Geistern kommunizierende Heiler (Viterbsky 2001: 36-37). Wohl wegen der Auffälligkeit ihrer religiösen Paraphernalien und ihres Verhaltens in Ekstase lag der Schwerpunkt der russischen ethnographischen Untersuchungen meist auf Analyse von Tracht, Ritual und Fragen der mentalen Stabilität von den mit Geistern kommunizierenden Heilern. Diese wurden in Übernahme eines Ausdruckes der Ewenken als „Schamanen“ klassifiziert; die Begriffsverwendung der russischen Ethnographie entsprach also etwa der der heutigen Fachliteratur. Schon im 19. Jahrhundert wurde diskutiert, ob das dem Begriff Schamane zugrundeliegende ewenkische Wort sáman möglicherweise ein Lehnwort aus nordindischen Sprachen wie Pali oder Tocharisch darstellt; das tocharische Wort samâne etwa bezeichnete buddhistische Mönche. Angesichts des zeitweise weiten Vordringens von Richtungen des Mahayana-Buddhismus nach Zentralasien erscheint es durchaus möglich, daß das Wort im Rahmen synkretistischer Prozesse zur Bezeichnung indigener religiöser Spezialisten übernommen wurde; in einem der wichtigsten Werke über die Religion der Tungusen (Shirokogoroff 1935) merkte der Autor an, das einerseits das Wort samán untypisch für die tungusischen Sprachen sei und andererseits einige als typisch schamanistisch erachtete Elemente von Mythologie und Paraphernalien des tungusischen Schamanismus - wie Geisternamen oder die zur Erreichung des ekstatischen Zustandes benutze Trommel - direkte Parallelen zu Mythologie und Ritualparaphernalien des tibetischen Buddhismus (Lamaismus) aufweisen. Aufgrund dieser Beobachtungen betrachtete er den tungusischen Schamanismus als relativ junges, wohl im 11-15. Jahrhundert entstandenes Phänomen, das auf dem Substrat vorhandener animistischer Weltanschauung durch Berührung mit dem Buddhismus entstand; spätere Forschungen bei anderen zentralasiatischen Gruppierungen bestätigten diese These des „vom Buddhismus angereizten“ (Shirokogoroff 1935: 282) Schamanismus. Shirokogoroff untersuchte die Verwendung des Wortes „sáman“ bei den Tungusen detailliert und fand, das das Wort sowohl für opfernde Priester wie auch Personen, die Geister durch Invokation in ihren Körper kontrollieren, verwendet wird; typische Kennzeichen letzterer sind eine durch Trommeln, Singen und Drogen wie Tabak und Wodka erreichte quasi-hysterische Trance, in der sie laut den Tungusen zur Heilung von durch Geister geschädigten Individuen in die Unterwelt reisen, sowie divinatorische Tätigkeiten.

Basierend auf den Ergebnissen weltweiter ethnographischer und historischer Forschung, veröffentlichte dann der Religionswissenschaftler Mircea Eliade 1951 (Eliade 1975) einen breit angelegten Überblick über das Thema, in dem er eine spezifische und einflußreiche Auffassung von Schamanentum entwarf. Er untersuchte Einzelaspekte von Initiation, Ritual und Paraphernalien von gegenwärtigen und historisch zugänglichen Spezialisten weltweit und machte ihre typischen Ähnlichkeiten aus; beispielsweise untersuchte er die Initiationsbedingungen bei verschiedenen Gruppierungen und fand als allgemeine Muster familiär vererbte Ämter und spontane Berufungen mit übernatürlicher Ursache. Er verglich die Initiationsriten von sibirischen, australischen und amerikanischen Schamanen und verwies auf Gemeinsamkeiten wie die Berufung ankündigende Krankheiten oder Wiedergeburtsvisionen mit zuvor erfolgter Zerstückelung des Körpers durch Geister oder andere Schamanen. Er beschrieb rituelle Gewandung und Paraphernalien dieser religiösen Funktionäre detailliert und zeigte zumindest bei sibirischen und zentralasiatischen Schamanen eine Einheitlichkeit in Details wie der Tier-und Skelettsymbolik der Ritualkleidung und Vorstellungen von z.T. in solchen Gegenständen inkarnierten Hilfsgeistern.

Auch beschrieb er den Ablauf schamanischer Heilsitzungen bei verschiedenen Gruppen; obwohl die als Haupursachen von Krankheiten aufgefassten Übel, der Ablauf der Heilung wie die spezifischen Geisteszustände laut seinen Berichten in diesen Gruppierungen durchaus schwanken, sah er die typischen Krankheitsursachen im Raub der Seelen oder Besessenheit von bösen Geistern und die typische Heilung in Rückholung der Seele in ekstatischer Trance durch die Schamanen.

Als zentrales Element schamanistischen Glaubens schließlich sah er die Dreiteilung des Kosmos in eine Unter-, Mittel-, und Oberwelt, die als durch Säulen oder Bäume verbunden vorgestellt werden; die „schamanistische Technik par Excellence“ (Eliade 1975: 249) besteht seines Erachtens in der Reise des Schamanen auf dieser Achse in andere Welten (Eliade 1975: 258).

Über die Auflistung einzelner Punkte hinaus gibt Eliade allerdings nie eine endgültige Definition seines Verständnisses von Schamane; als wesentliche Punkte nennt er neben der imaginierten Reise an einer Weltenachse wiederholt die Technik der Ekstase. In Diskussion der von Shirokogoroff aufgeworfenen Fragen um die Etymologie des Wortes Schamane und das Alter dieser Vorstellungen verwarf er - ohne tiefere Untersuchung älterere Quellen - das namensgebende tungusische Schamanentum mit seinem Drogengebrauch und seiner Betonung der Inkarnation von Geistern als durch den Lamaimus und vielleicht auch ältere Einflüsse bastardisierte Variante eines urtümlichen nordasiatischen Schamanismus; die weltweiten Ähnlichkeiten in Ritual und Vorstellungen zu einer solchen „archaischen“ nordasiatischen schamanischen Urideologie erlauben es seines Erachtens, den Begriff Schamane auch auf andere religiöse Spezialisten weltweit anzuwenden. Eliades Verständnis des Begriffes ist somit von seiner eher hermeneutischen religionsphänomenologischen Methodik geprägt, die den Anspruch erhebt, in der Vielfalt historischer Vorkommnisse eines religiösen Phänomens einen „übergeschichtlichen“ (Eliade 1975: 5) Kern durch „einfühlendes Verstehen“ zu isolieren und faktisch ein in gegenwärtigen Gesellschaften schwer auszumachendes normatives Ideal eines Schamanen konstruiert. Sein Verständnis des Begriffes blieb daher nicht ohne Kritik (etwa Viterbksy 2001); insgesamt war aber sein Werk – auch gerade als Impulsgeber für archäologische Interpretationen - äußerst einflussreich.

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Details

Title
Schamanismus - Zum Begriff Schamane und seiner Gültigkeit für mesoamerikanische religiöse Phänomene
College
Free University of Berlin  (Ethnologisches Institut)
Course
Religionsethnologie: ausgewählte Probleme
Grade
1,0
Author
Year
2001
Pages
23
Catalog Number
V89784
ISBN (eBook)
9783638041928
ISBN (Book)
9783640858309
File size
447 KB
Language
German
Notes
Die Arbeit war später auch Grundlage einer ebenfalls sehr gut bewerteten Prüfung und umfasst viel allgemeingültiges über den Schamanismusbegriff, u.a. eine gründliche etymologische Betrachtung des Wortes Schamane und eine kritische Auseinadersetzung mit Eliade und anderen Schamanismus"experten" wie Harner oder Castaneda.
Keywords
Schamanismus, Religionsethnologie, Probleme
Quote paper
M.A. Christopher Knapp (Author), 2001, Schamanismus - Zum Begriff Schamane und seiner Gültigkeit für mesoamerikanische religiöse Phänomene, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89784

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