Die Grenzen des Vertrauens in John Lockes "Zweiter Abhandlung über die Regierung"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Vertrauen im Naturzustand
2.1. Naturzustand und natürliches Recht
2.2. Vertrauenswürdigkeit des Menschen

3. Der Staat und seine Grenzen
3.1. Vertrag, Zustimmung und Vertrauen
3.3. Vertrauensbruch und Widerstandsrecht

4. Fazit

5. Literatur

1. Einleitung

John Lockes Two Treatises of Government (1689) bilden die Grundlage für Lockes einflussreiche Staatstheorie. Vor allem die Zweite Abhandlung über die Regierung entwickelte sich zur gültigen Begründung der Prinzipien liberalen Denkens (vgl. Euchner 1996, S. 71).

Locke leitet die politische Gewalt aus dem Konzept des herrschaftslosen Naturzustandes ab. Im Gegensatz zum Naturzustand bei Hobbes geht Locke von einem grundlegenden Vertrauen in die Menschen aus. Der Naturzustand kann nicht mit dem Kriegszustand gleichgesetzt werden. Wenn es keine schlechten Menschen gäbe, wäre der Naturzustand „ein Zustand des Friedens, des Wohlwollens, der gegenseitigen Hilfe und Erhaltung“ (§ 19, S. 211)[1]. Dieses grundlegende Vertrauen reicht aber nicht sehr weit, schließlich geht Locke davon aus, dass der Mensch grundsätzlich parteiisch für die eigene Sache sei und der Naturzustand unweigerlich in einen permanenten Kriegszustand übergehen würde.

Auch im Rahmen der politischen Gesellschaft bleibt das Vertrauen mit Gefahren behaftet.

So ist Vertrauen der zentrale Aspekt der Regierungsbildung, gleichzeitig gelten Vertrauensmissbräuche als Prüfstein für die Grenzen und Legitimation der Regierungsmacht. Aufgrund der mit Vertrauen verbundenen Gefahren läuft Lockes Zweite Abhandlung über die Regierung auf das Widerstandsrecht hinaus.

In dieser Arbeit werde ich untersuchen, welche Rolle Vertrauen in Lockes Zweiter Abhandlung über die Regierung spielt, wie es selbst begrenzt ist und welche Grenzen es bildet.

Das Verhältnis zwischen Menschen und Gott ist ein Vertrauensverhältnis, in dem den Menschen das natürliche Recht verliehen wird. Auch das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Regierung ist solch ein Vertrauensverhältnis, in dem der Regierung von der Gesellschaft die Regierungsmacht übertragen wird. Ich werde zeigen, inwiefern Lockes Konzept des Vertrauens begrenzt ist und dass es nur Sinn macht, wenn es zusammen mit dem Widerstandsrecht betrachtet wird.

Dafür werde ich zunächst das Menschenbild untersuchen, welches Locke in der Beschreibung des Naturzustandes ausdrückt. Inwieweit kann man den Menschen vertrauen? Warum verlassen die Menschen den Naturzustand und treten in eine Gemeinschaft ein?

Bei der Gründung einer Gesellschaft und der Regierungsbildung spielen die Verfahren der Zustimmung, des Vertrages und des Vertrauens die zentrale Rolle. Ich werde argumentieren, dass durch Zustimmung und Vertrag zwar die Gesellschaft gegründet wird, das Verhältnis aber von Regierung und Regierten durch Vertrauen bestimmt ist. Was unterscheidet dieses Vertrauensverhältnis vom Vertragsverhältnis?

Im dritten Teil der Arbeit wird schließlich gezeigt, inwiefern durch das Vertrauensverhältnis die Grenzen der Regierung entstehen und damit einhergehend das Widerstandsrecht.

2. Vertrauen im Naturzustand

2.1. Naturzustand und natürliches Recht

Der Naturzustand bei Locke ist ein herrschaftsfreier Zustand, den Locke als Ausgangspunkt für seine Entwicklung einer Staatstheorie nimmt. Im Naturzustand genießen die Menschen eine vollkommene Freiheit. Diese Freiheit besteht für Locke darin, keinem fremden Willen zu unterstehen. Die Freiheit besteht aber nur innerhalb der „Grenzen des Gesetzes der Natur“ (§4, 201). Dieses grundlegende Gesetzt besteht in der Verpflichtung zur Selbsterhaltung, womit nicht nur die Selbsterhaltung des einzelnen Individuums gemeint ist, sondern vielmehr die Erhaltung der gesamten Menschheit. Alle Restriktionen, die aus dem natürlichen Gesetz entstehen, gehen auf dieses grundlegende Prinzip zurück. Unsere erste Pflicht ist es somit, kein Leben zu zerstören und nichts zu tun, was dies gefährden könnte. Und unser Recht, nicht in unserer Freiheit behindert zu werden, geht soweit, wie wir das grundlegende Prinzip beachten (Vgl. Simmons 1993, S. 115). Euchner kritisiert an dieser Stelle, dass Locke die Regelungen des Gesetzes der Natur als ohne weiteres einsichtig unterstellt, obwohl dies durchaus zweifelhaft sei (Euchner 1996, S. 81f.).

In diesem Rahmen haben die Menschen im Naturzustand das Recht, ihr Eigentum zu verteidigen und Menschen, die dem allgemeinen Gesetz zuwiderhandeln, zu bestrafen und Schadensersatz zu fordern (§ 11, 18f.). Jeder darf Verbrechen bestrafen. Diese Bestrafung soll der Wiedergutmachung und der Abschreckung dienen (§8, 204). Auf Mord und Diebstahl steht die Todesstrafe (§11). Diese harte Bestrafung von Eigentumsdelikten erklärt sich daraus, dass Locke im Privateigentum die Voraussetzung für Selbsterhaltung und Freiheit sieht (§25) (vgl. Euchner 1996, S. 83).

Insofern können Menschen Gewalt über andere Menschen erlangen. Niemals jedoch könne es eine Rechtsgrundlage für absolute oder willkürliche Gewalt geben. Dies zu begründen, ist eins der Hauptmotive der Zwei Abhandlungen über die Regierung und richtet sich damit gegen Sir Robert Filmer, der politische Gewalt als absolute Gewalt definierte (§1).

Der Prozess der Machtübertragung unterliegt Locke zufolge einem einfachen Prinzip: Niemand kann mehr Macht übertragen, als er selbst besitzt. Da die Menschen nicht Eigentümer ihres eigenen Lebens seien, könnten sie auch niemandem über sich absolute Herrschaft übertragen.

Simmons weist darauf hin, dass Lockes Konzeption unseres Rechts über unser Leben eine Art Vertrauen Gottes beinhaltet und in dieser Struktur dem Verhältnis gleicht, welches zwischen Regierung und Regierten in der politischen Gesellschaft besteht (Simmons 1993, S. 116). Gott gibt uns unser Leben, um es in einer bestimmten Weise zu benutzen, behält aber in anderen Bereichen seine Besitzansprüche an uns. So hat er uns zum Beispiel kein Recht dazu anvertraut, unser Leben zu zerstören oder zu gefährden.[2]

„Within the terms of this trust, we may use our own discretion and are free to pursue our own private life plans. But God remains the final judge of when we have exceeded the terms of this trust and retains alsways the sole right to destroy life“ (Simmons 1993, S. 116).

Solange das Gesetzt der Natur von allen respektiert wird, so ist der Naturzustand positiv und erhaltenswert (§19, S. 211). Locke widmet seine Beschreibung des Naturzustandes aber vor allem den Gesetzesbrechern, die es selbstverständlich gibt und die den Naturzustand unerträglich werden lassen (§13, S. 208).

Eigenschaften des Menschen wie Eigenliebe, Bosheit, Leidenschaft und Rache (§13, 207) würden sich im Naturzustand durchsetzen, da es kein unabhängiges, allgemeingültiges Gerichtswesen gibt, sondern die Menschen parteiische Richter in ihrer eigenen Sache sind.

Andererseits schreibt Locke, dass „Wahrheit und Vertrauen“ den Menschen als Menschen gebührt „und nicht als Glied der Gesellschaft“ (§14, 208). Menschen haben also an sich die Fähigkeit, sich vertrauenswürdig zu verhalten. Erst als Mitglieder der Gesellschaft verlieren sie diese Vertrauenswürdigkeit, ihnen gebührt Misstrauen. An anderer Stelle schreibt Locke dies noch deutlicher: Locke begründet, warum in früheren Gesellschaften die Herrschaft in die Hände eines einzigen Mannes gelegt werden konnte. In ärmlicher Lebensweise beschränkten sich die Wünsche „auf die engen Grenzen des kleinen Besitztums eines jeden und ließ nur wenig Streitigkeiten aufkommen“ (§107). Es hätte nur wenige Verbrecher gegeben, das Wichtigste sei der Schutz vor äußeren Feinden gewesen.

„Da man voraussetzen muß, daß diejenigen, die sich gegenseitig mochten, um sich in einer Gesellschaft zu vereinigen, ziemlich bekannt und befreundet miteinander waren und sich auch gegenseitig vertrauten, so mußten sie von Fremden mehr befürchten als voneinander“ (§107, S. 267f.).

Unter Freunden ist Vertrauen also angebracht, sobald die Anzahl der Menschen in einer Gemeinschaft die familiäre Ebene überschreitet und materielle Interessen ins Spiel kommen, komme es notwendigerweise zu Streitigkeiten und Übergriffen, vor denen man geschützt werden müsse.

Diese Gefahr, welche Locke ausdrückt, dass die Menschen zwar die Fähigkeit zur Vernunft haben, diese aber, wenn es um ihre persönlichen Belange und Vorteile geht, nicht unbedingt verwenden, wird bereits in der Beschreibung des Naturzustandes auf die politische Gesellschaft übertragen. Die „bürgerliche Regierung“ wird als „Heilmittel gegen die Nachteile [Parteilichkeit und Gewalttätigkeit der Menschen] des Naturzustandes“ eingeführt, allerdings seien auch Monarchen nur Menschen (§13, 207) und somit anfällig für ihre Parteilichkeit. Die Monarchen einer Regierung müssten also kontrolliert und zur Rechenschaft gezogen werden, damit die Übel des Naturzustandes auch wirklich behoben werden.

Hiermit legt Locke sein Programm für die Zweite Abhandlung der Regierung vor. Er möchte eine Regierungsform begründen, welche die Nachteile des Naturzustandes behebt und die Bürger vor der Parteilichkeit und Gewalttätigkeit (§13, 207) der Mitmenschen schützt. Es ist von Anfang an klar, dass die Macht, die in die Hände der Regierung fällt, eingeschränkt werden muss, da jede Regierung aus Menschen besteht, denen misstraut werden muss. Das zentrale Moment von Lockes Staatsbegründung wird somit der Schutz vor der Staatsmacht sein.

2.2. Vertrauenswürdigkeit des Menschen

John Dunn untersucht in seinem Essay „Trust in the politics of John Locke“ (1984)[3] die Bedeutung von Vertrauen in Lockes politischer Philosophie.

Dunn zufolge liegen Lockes politischer Philosophie hinsichtlich des Vertrauens drei Annahmen zugrunde: Erstens hänge jede menschliche Gesellschaft davon ab, dass moralische Pflichten anerkannt werden. Diese Pflichten, so Dunn, könnten aber nicht einfach aus dem Vorteil einzelner hergeleitet werden. Zweitens sei es die wichtigste moralische Pflicht, sich so anderen gegenüber zu verhalten, dass diese einem vertrauen können. Drittens weist Dunn als wichtigste theoretische Frage aus, welcher erkenntnistheoretische Status den Pflichten zukommt, ob deren Inhalt von den Menschen erkannt werden kann, oder ob wir letztlich doch auf unseren Glauben (faith) bauen müssen (Dunn 1985, S. 42).

Aufgrund dieser erkenntnistheoretischen Unsicherheit unserer eigenen moralischen Urteile sei Vertrauenswürdigkeit bei Locke die wichtigste individuelle Pflicht. Ohne dessen Entfaltung könne keine menschliche Gesellschaft existieren (Dunn 1985, S. 43).

Wie weit könne man aber in Lockes Sicht Menschen vertrauen?

Auf die Frage hat Locke, so Dunn, eine einfache und allgemeine Antwort: Man müsse viele unterschiedliche Dinge bedenken. Die Vertrauenswürdigkeit hänge von den Möglichkeiten und individuellen Dispositionen ab, von der vorherrschenden Kultur der jeweiligen Gemeinschaft und von den praktischen Strukturen der materiellen Interessen, die zur Debatte stehen. Insofern sei Vertrauenswürdigkeit eine „weakly structured probability“ (Dunn 1985, S. 46), die in der Praxis fehlerhaft sei.

Dunn rekonstruiert bei Locke eine Theorie über die Bedingungen von Vertrauenswürdigkeit.

Es gibt vier positive Komponenten:

1. Das logische Verständnis von Gottes Anforderungen (requirements) an seine Schöpfung, die durch drohende Sanktionen im nächsten Leben abgesichert wird. Daraus folgt das heilige Gesetz der Natur und somit die Pflicht zur Selbsterhaltung.
2. Die emotionale Auswirkung von moralischer Sozialisation durch die Familie und Gemeinschaft, die durch das menschliche Begehren nach Anerkennung und den Widerwillen vor Ablehnung forciert wird.
3. Das öffentliche Recht von politischen Gesellschaften, abgesichert durch die drohenden Sanktionen der Herrschenden.
4. Der vierte Aspekt betrifft die menschliche Motivation und ist kein äußerer Druck: Das Motiv für Menschen, überhaupt in einer Gemeinschaft zusammen zu leben (Dunn 1985, S. 46f.).

Locke geht von einer „natural sociality“ aus:

„Gott hat den Menschen so geschaffen, daß es nach seinem eigenen Urteil nicht gut für ihn war, allein zu sein. Er stellt ihn unter den starken Zwang von Bedürfnissen, Zweckmäßigkeit und Neigung, um ihn in die Gesellschaft zu lenken, und stattet ihn zugleich mit Verstand und Sprache aus, um in ihr zu verbleiben und sie zu genießen“ (§77, 248).

[...]


[1] Ich zitiere in dieser Arbeit aus Locke, John: Zwei Abhandlungen über die Regierung, übersetzt von H. J. Hoffmann, hersgg. u. eingel. von Walter Euchner, Frankfurt a.M. 1977. Die Paragraphen beziehen sich ausschließlich auf die Zweite Abhandlung.

[2] Dies gilt für das willkürliche Gefährden unseres Lebens, wir dürfen natürlich für einen bestimmten Zweck auch unser Leben aufs Spiel setzen (§6).

[3] Der Aufsatz wurde erstmals 1984 in: Rorty, Richard / Schneewind, Jerry / Skinner, Quentin (Hrsg.): Philosphy in History, Cambridge, veröffentlicht.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Grenzen des Vertrauens in John Lockes "Zweiter Abhandlung über die Regierung"
Hochschule
Universität Hamburg
Veranstaltung
Hauptseminar: John Locke - Two treatises of Government
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
19
Katalognummer
V89811
ISBN (eBook)
9783638035453
Dateigröße
387 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grenzen, Vertrauens, John, Lockes, Zweiter, Abhandlung, Regierung, Hauptseminar, John, Locke, Government
Arbeit zitieren
Janna Schumacher (Autor:in), 2007, Die Grenzen des Vertrauens in John Lockes "Zweiter Abhandlung über die Regierung", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89811

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