Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung – Somnambulismus bei Kleist
2. Hauptteil
2.1 Mesmers „Thierischer Magnetismus“
2.1.1 Biographie Mesmers
2.1.2 Der Fall Paradis
2.2 Der Begriff des ‚animalischen Magnetismus‘
2.3 Der animalische Magnetismus im 1800
2.4 Berührungspunkte des „animalischen Magnetismus“ mit Somnambulismus und Traum
2.5 Das K ä thchen von Heilbronn – Somnambulismus als Schlüssel zum Unbewussten
2.6 Prinz von Homburg – Manipulation eines Somnambulen
3. Schluss – Zwischen Transzendenz und dem „inneren Sinn“
4. Literaturverzeichnis
5. Siglenverzeichnis
1. Einleitung – Somnambulismus bei Kleist
„Ist es ein Traum?“1 Auf diese Frage des Prinzen von Homburg am Ende von Kleists gleichnamigem Drama weiß der Oberist Kottwitz mit fingierter Selbstverständlichkeit und fast schon schelmisch anmutend „Ein Traum, was sonst!“ (P 1856) zu erwidern. Dass die Antwort in Wirklichkeit alles andere als einfach ist, lässt schon die Tatsache vermuten, dass sich der Prinz hier nicht mit der Erfüllung seiner Träume, sondern unbewusster Wünsche konfrontiert sieht. Doch wie kommt es, dass Homburg sich jener bewusst ist und glaubt, sie im Traum erlebt zu haben? Und entstammen sie überhaupt alle seiner eigenen Motivation oder sind sie durch Manipulation evoziert worden? Den Schlüssel zur Antwort liefert der durch Franz Anton Mesmer populär gewordene Begriff des „thierischen Magnetismus“. Hinter dem, was bei erstem Betrachten von Mesmers allgemeiner Definition, „Dieser gegenseitige Einfluß und diese Beziehungen aller mit einander existirenden Körper“2, simpel erscheint, verbirgt sich ein komplexes Konzept, welches nicht nur von zahlreichen Medizinern aufgegriffen und modifiziert wurde, sondern auch von Literaten wie Kleist. Bei der Rezeption durch letzteren spielt insbesondere der durch Mesmers Schüler Marquis de Puységur propagierte „Somnambulismus“ eine wichtige Rolle. Zumal die Somnambulismus-Motivik in mehreren Werken Kleists zu finden ist, stellt sich die Frage, ob die Verwendung somnambuler Szenen bei Kleist eine bestimmte Programmatik impliziert und wie er diese ausgestaltet. Jene Fragestellung soll im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden.
Hierfür werde ich in dieser Arbeit zunächst die allgemeine Rolle und das medizinische Verständnis des Somnambulismus im 18. Jahrhundert herausarbeiten unter Berücksichtigung der Schulen Mesmers und Puységurs, sowie der Traumforschung Gotthilf Heinrich von Schuberts. Für diese Untersuchungen soll nach kurzer Darlegung der Biographie Mesmers der allgemeine Forschungsstand zum Thema Somnambulismus und der in der Zeit Kleists umrissen werden. Dem folgt eine Diskussion über die Zusammenhänge, sowie Differenzierungspunkte zwischen Traum, thierischem Magnetismus und Somnambulismus. Die Seminararbeit soll abgerundet werden mit einer vergleichenden Darstellung zweier Werke Kleists, nämlich „Das Käthchen von Heilbronn“ und „Der Prinz von Homburg“. Den Schluss bildet die Synthese der aufgezeigten und untersuchten Ansätze und Theorien.
2. Hauptteil
2.1 Mesmers „Thierischer Magnetismus“
2.1.1 Biographie Mesmers
Franz Anton Mesmer,3 der als drittes von insgesamt neun Kindern am 23. Mai 1734 als Sohn des bischöflichen Försters Anton Mesmer geboren wurde, wuchs in Iznang am Bodensee auf.
1746 erhielt er vom Bischof Franz von Rodt ein Stipendium, sodass er bis 1750 das Jesuitenkolleg in Konstanz besuchen konnte. Im selben Jahre wechselte er auf die Jesuitenuniversität in Dillingen, um dort Logik, Metaphysik und Theologie zu studieren. Das Studium der Theologie setzte er ab 1753 an der Universität Ingolstadt fort. Darüber hinaus studierte er dort die Fächer Mathematik, Philosophie, Physik, alte Sprachen und Französisch und kam erstmal mit für seinen Werdegang prägende Naturphilosophie,- und Wissenschaft in Berührung.
Es folgte ein wichtiger Einschnitt in Mesmers Leben, als er 1759 nach Wien zog, wo er nach kurzer Immatrikulation an der Juristischen Fakultät ein Studium der Medizin begann, welches er 1766 mit der Erlangung des Doktorgrades erfolgreich abschloss. Es ist davon auszugehen, dass er für die Erkenntnis seiner Dissertation nicht nur von Newtons Gravitationslehre beeinflusst wurde, sondern auch von den Theorien seines Zeitgenossen, des katholischen Priesters Johann Joseph Gaßner. In dieser Dissertation „De planetarum influxu in corpus humanum“ (Der Einfluss der Planeten auf den menschlichen Körper) entwirft er seine Idee von einem allumfassenden physischen Fluidum, welches er sowohl im Kontext der Anziehungskräfte der Planeten heranzieht, als auch um Elektrizität, Wärme und den zwischenmenschlichen Rapport zu erklären.
Im Januar 1768 heiratete er die verwitwete Maria Anna von Posch. Sie zogen in Wien in die Landstraße, wo Mesmer sich ein Laboratorium einrichtete und den weitläufigen Garten für seine Kollektivbehandlungen nutzte.
Circa ab 1774 unternahm Mesmer nach dem Vorbild des Jesuitenpaters und Astronomen Maximilian Hell Experimente mit Magneten und setzte diese in Form von Magnetkuren als Behandlung Kranker ein. Schnell kam er zu der Erkenntnis, dass zur Herstellung eines Rapports zwischen Arzt und Patienten keine Magneten von Nöten waren, sondern dass körperliche Berührungen genügten. Im Unterschied zu den meisten Medizinern seiner Zeit sah Mesmer keine Kraft gegeben, die von den Magneten selbst ausging, sondern ein alle Körper umgebendes Fluidum, das mit Hilfe der Magneten in die richtigen Bahnen gelenkt werden sollte. Eine genauere Ausführung zu diesem „Fluidum“ folgt in Kapitel 2.2.
2.1.2 Der Fall Paradis
Der wohl einschneidendste und aufsehenerregendste Fall Mesmers sollte die Behandlung der seit Kleinkindalter blinden Maria Theresia Paradis (1759–1824) sein. Trotz ihrer Blindheit war sie in Wien eine berühmte Pianistin und Komponistin, die sogar am Hofe der Kaiserin Maria Theresia angestellt war. Als sie sich 1777 bei Mesmer in Behandlung begab, zog sie zu diesem Zwecke sogar für fünf Monate in seinen Palais auf der Wiener Landstraße ein.
Die magnetische Kur schlug bei der jungen Maria Theresia nach Angaben Mesmers schnell an. Mit der Verkündung seiner Patientin, sie habe ihr Augenlicht zurückerlangt, befand sich Mesmer auf dem Höhepunkt seiner medizinischen Karriere. Die Behandlung fand jedoch schnell ihr jähes Ende im Zwist Mesmers mit dem Vater der Pianistin, welcher jenem - angetrieben von Ratschlägen der Präsidenten der medizinischen Fakultät Wiens Barth und Ingenhousz, sowie Gerüchten in der Bevölkerung - nicht nur Scharlatanerie vorwarf, sondern auch, ein sexuelles Verhältnis zu seiner Tochter zu haben.4
Mesmer selbst schildert die Vorfälle folgendermaßen:
Die Eltern der Junger Paradis, waren Zeugen ihrer Genesung, des immer zunehmenden Gebrauchs ihrer Augen, und bemüheten sich diesen Vorgang und ihre Freude überall zu verbreiten. Alles überlief mich, sich davon zu überzeugen, jedermann setzte die Kranke auf eine Art von Probe, und gieng voll Verwunderun, mit den verbindlichsten Ausdrücken gegen mich, aus meinem Hause.
Auf wiederholtes Bitten des Herrn Paradis, kamen beyde Präsidenten der medicinischen Facultät, an der Spitze einiger von derselben Abgeordneten, zu mir, untersuchten die Kranke und vereinigten ihren lauten Beifall mit der Stimme des Publicums. Herr von Störk, einer von diesen Herren, der diese Jungfer persönlich kannte, weil er sie zehn Jahre ohne einigen Erfolg, in der Cur gehabt hatte, bezeugte mir sein Vergnügen über eine so wichtige Heilung, und bedauerte, daß er so lange gezögert hätte, durch seinen Beyfall diese wichtige Erfindung zu begünstigen.5
Unter den Aerzten, welche ihre Neugierde zu befriedigen, mich besucht hatten, befand sich Herr Barth, Professor der Anatomie, der sich vorzüglich mit Augenkrankheiten und dem Staarstechen beschäfftigte. Er selbst hatte zweymal die Jungfer Paradis für sehend erklärt. Aber aus Neid erkühnte Er sich im Publicum auszustreuen: Sie sey noch blind, er habe sich selbst davon überzeugt, und unterstützte diß Vorgeben dadurch: Weil sie die Namen der ihr vorgelegten Dinge oft nicht wußte, oft verwechselte. Jedermann antwortete ihm: Er vergässe hier den nothwendigen Unterschied, den man zwischen Blindgebohrnen, oder die wenigstens in ihrer zarten Kindheit blind geworden wären, und zwischen Blinden, die erst nach mehrern Iahren vom Staar befallen, nachher aber durch die Kunst ihr Gesicht wieder erlangt hätten, machen müßte. Jene könnten unmöglich die Kenntnisse wie diese haben.
Wie ists möglich, sagte man, daß ein Mann von Ihrem Handwerk so einen groben Irrthum begehen kann? Aber seine Unverschämtheit behauptete von allem gerade das Gegentheil. Das ganze Publicum mochte ihm noch so oft tausend Zeugen ihrer völligen Genesung anführen, er allein leugnete alles weg, und schlug sich also zu dem schon oben angeführten Herrn Ingenhaus. Diese beyde Männer, welche anfänglich, von rechtschaffenen, vernünftigen Personen für seltsame Köpfe gehalten wurden, brachtens endlich doch so weit, daß sie, durch die Bemühungen des Partheygeistes, die Iungfer Paradis meiner Cur entrissen, ehe sie ihre Augen vollkommen brauchen gelernt hatte, verhinderten, daß sie Ihrer Kayserlichen Majestät nicht, wie ich vorhatte, vorgestellt wurde, und so wurde nun, dem verbreiteten Gerücht, daß alles Betrügerey gewesen, völlig Glauben beygemessen.6 Ernst Florey, Ars magnetica: Franz Anton Mesmer 1734-1815, Magier vom Bodensee, UVK-Geschichte (Konstanz: Univ.-Verl. Konstanz, 1995), S. 108f. Nicht zuletzt dieser Fall trug maßgeblich dazu bei, dass Mesmers Praktiken eine latent erotische Konnotation erhielten. Auch Barkhoff führt aus: so erklärt sich der erfolgreiche ‚magnetische Rapport‘ zwischen Therapeut und Patientin als Übertragungsliebe, die die Heilung zunächst fördert, ja überhaupt möglich macht, dann aber als inbegriffene für beide Seiten zu bedrohlich wird […] Damit hatte das Abhängigkeitsverhältnis des magnetischen Rapports, das in der zeitgenössischen Mesmerismuskritik zum Topos der erotischen Gefährdung der ‚Opfer‘ führte, vielfache Warnungen vor Manipulationsgefahren und Machtmißbrauch provozieren sollte, […] in diesem prominenten frühen Fall mit der ganzen Wucht unerkannter affektiver Besetzungen sein erstes Opfer gefordert: auf der ‚Täterseite‘, in dem Mann, der zwar mit seinen magnetischen Suggestionen den Zugang zu den unterbewußten Schichten der Persönlichkeit gefunden hatte, aber um die Notwendigkeit des kontrollierten Umgangs mit dem so hochgespülten Affekten nicht wissen konnte.
Die Leiter der Medizinischen Fakultät Wiens nutzten diesen Vorfall, um Mesmers Behandlungsmethode 1777 bei der Einberufung einer Expertenkommission durch die Kaiserin als Schwindel zu deklarieren. Aufgrund der Anfeindungen, die er in Wien seit seiner gescheiterten Behandlung des Fräuleins Paradis erfuhr, zog er Anfang 1778 nach Paris. Auch dort richtete er sich eine Praxis ein und erlangte in der Stadt schnell große Bekanntheit. Im Jahr 1779 erschien Mesmers „Abhandlung über die Entdeckung des thierischen Magnetismus“, über die er daraufhin an der medizinischen Fakultät einen Vortrag hielt.
Doch auch in Paris stand die medizinische Fakultät den Methoden Mesmers äußerst kritisch gegenüber. Auch hier wurde durch die Universität eine Kommission zur Untersuchung dieser einberufen und auch hier kam man zu einem ähnlich negativen Ergebnis wie in Wien.
Von seinem daraus resultierenden Vorhaben, Paris zu verlassen, konnten ihn 1781 auch Ludwig XVI. und Marie Antoinette, die ihm teils aus eigenem Interesse an seinen Methoden, teils um die Pariser Bevölkerung, welche Mesmer größtenteils unterstützte und gegen seine Abreise protestierte, zu besänftigen, hohe Summen boten, nicht abhalten.
Nachdem er übergangsweise nach Spa bei Lüttich, wo er sein Vorhaben, eine neue Praxis zu eröffnen nicht in die Tat umgesetzt hatte, gezogen war, kehrte er noch im selben Jahr nach Paris zurück.
Mit der Unterstützung des Advokaten Nicolas Bergasse und dem Bankier Wilhelm Kornmann eröffnete er eine Ausbildungsgesellschaft für Magnetismus, die sogenannte „Société de l´Harmonie“, durch die er seine Praktiken von durch ihn eingesetzten Lehrer in ganz Frankreich ausüben ließ.
Nach zehnjährigem Bestehen der Gesellschaft wurde, vermutlich auf Drängen Charles d´Eslons, des Leibarztes des königlichen Bruders, mit dem Mesmer zuvor aufgrund von Usurpationsvorwürfen eine Auseinandersetzung hatte, 1784 schließlich auf Befehl König Ludwig XVI. eine wissenschaftliche, sowie eine ärztliche Kommission zur Untersuchung des animalischen Magnetismus einberufen, zu deren Mitglieder hochrangige Vertreter aus Medizin und Wissenschaft, wie beispielsweise Jean Sylvain Bailly, Joseph-Ignace Guillotin, Benjamin Franklin und Antoine Laurent de Lavoisier zählten.
Die Ergebnisse, zu denen die Kommissionen kamen, waren für Mesmer sehr ungünstig, denn es konnte keine Kausalität zwischen seinen Behandlungsmethoden und physischen Genesungen der Patienten gefunden werden.
Nicht nur aufgrund dieses niederschmetternden Ergebnisses, sondern auch wegen der aufkeimenden französischen Revolution, verließ er 1784 Frankreich.
Auch Mesmers weiteres Leben war geprägt von regelmäßigen Rückschlägen und häufigen Ortswechseln. Nach Aufenthalten in der Schweiz, Paris, Versailles, Thurgau und Konstanz ließ er sich schließlich in Meersburg nieder, wo er am 5. März 1815 an einem Schlaganfall starb.
Vor dem Hintergrund dieses bewegten Lebens soll im Folgenden Mesmers Konzept des „thierischen Magnetismus“ in seiner Entstehungsgeschichte aufgezeigt werden.
2.2 Der Begriff des ‚animalischen Magnetismus‘
Erstmals tauchte der Begriff 1766 in seiner bereits erwähnten Dissertation De planetarum influxu auf. Aufbauend auf die zu seiner Zeit gängige medizinische Behandlung mit Magneten, sowie Isaac Newtons Gravitationsmodell berücksichtigend, entwarf Mesmer die Theorie vom „Strömen eines äußern die Welt umfließenden Fluidums“7. Mit Hilfe dieses Fluids glaubte er, sämtliche Phänomene erklären zu können, die die Gravitation betreffen. Darunter beispielsweise das Kreisen der Planeten, Ebbe und Flut sowie der Organismus des menschlichen Körpers. Auf Basis der zwei Begriffe „Materie“ und „Bewegung“ erklärt er:
Die Materie ist ein physisch existierendes Dingchen, das keine Eigenschaften hat, sein Wesen besteht in der Undurchdringlichkeit (impenetrabilitè). Die Bewegung ist die bewegte Materie, sie wird durch den Stoß (impulsion) mitgetheilt. Die Materie, wenn ihre Theile untereinander in Bewegung sind, ist flüssig, und im Gegensatze ist sie fest (solide), wenn dieselben aneinander in Ruhe sind. (S. 25)
Den optimalen, harmonischen Zustand zwischen Bewegung und Ruhe nennt Mesmer „Natur“ (S. 26). Ob ein Körper in Einklang mit der Natur ist, ob er also gesund oder krank ist, bestimmt die Beschaffenheit seines Fluids: Die Verhältnisse zwischen dem festen und flüssigen Zustande der Materie machen in der Natur die Verkettung der Ursachen und Wirkungen aus; es wird also begreiflich, wie alle Eigenschaften das vereinigte Resultat ihrer Organisationen und des Fluidums sind, in welchem sie sich befinden. (S. 31) Das Fluidum wird über die „Nervenfäden“ in das „Triebwerk der Muskelfieber“ (S. 32) verteilt, welche durch ihre Wechselwirkung von Kontraktion und Relaxation die Zirkulation aufrechterhält. Den Ursprung aller Krankheiten sieht Mesmer folglich in einer Stockung dieser „Zirkulation“ (S. 33), welcher nur der Magnetismus entgegenwirken kann und zwar durch die Erzeugung von Krisen. Dabei definiert er die Krise folgendermaßen:
Es ist ein allgemeines Gesetz, daß die Ursache der Bewegung immer gegen den Widerstand wirke, und daß sie, um ihn zu besiegen, ihn überwiegen müsse; diese Gegenwirkung der Ursache der Bewegung gegen den Widerstand heißt Krise […] Die Krisis ist das allgemeine Verfahren, und das Wirken der Natur zur Wiederherstellung der gestörten Harmonie zwischen den flüssigen und festen Theilen. (S. 35f.)
Bevor der Magnetiseur eine solche Krise hervorrufen konnte, musste er zuerst den Ort der „Verstopfung“ (S. 34) ausfindig machen, was er bei rhythmischen Streichungen über den Körper des Patienten als Wärmeimpuls im Handinneren empfindet. Ist der Quell der Krankheit gefunden, muss der Magnetiseur durch Berührung die symptomatischen Schmerzen [so lange steigern], bis man sie in kritische verwandelt. Hierdurch unterstützt man die Anstrengung der Natur gegen die Ursache der Krankheit, und führt sie zu einer heilsamen Krise, das einzige Mittel, von Grund aus zu heilen.8
Der Magnetismus soll die natürliche Zirkulation des menschlichen Organismus wieder anregen, seine Aufgabe besteht darin, die Thätigkeit der Muskelfiber durch eine vermehrte, tonische, und dem organischen Theile, zu dem sie gehört, analoge Bewegung zu vermehren und zu verstärken, indem die Nervenbewegung, das Leben selbst mehr belebt wird.9 Zu Beginn seiner Forschung war für Mesmer bei seinen Behandlungen die Verwendung von Magneten obligatorisch, doch glaubte er schnell festzustellen, dass es für eine erfolgreiche Therapie genüge, wenn er das physikalische Fluidum in sich selbst bündele und durch Berührung, sowie streichende Bewegungen auf seine Patienten übertrug.
2.3 Der animalische Magnetismus im 1800
In der sogenannten Sattelzeit fand ein Umbruch der Anthropologie und Medizin und somit der Vorstellung vom Innenleben des Menschen statt. Hatten Philosophie und Medizin lange Zeit als eine in sich geschlossene Wissenschaft gegolten, wurde erst im Laufe des 1900 Jahrhunderts die Medizin als eigenständiger Fachbereich anerkannt.
Berücksichtigt man diese Tatsache, erscheint es nicht verwunderlich, dass die Entdeckung und die ersten Beschäftigungen mit dem Diskurs des „Unbewußten“ philosophischer Natur sind. Wenn auch nicht unter Verwendung des konkreten Begriffes, findet sich bereits im 17. Jahrhundert bei Christian Wolff und Gottfried Wilhelm Leibniz die Konzeption eines ‚Bewußtseins‘ im Sinne eines „vernünftige[n], aufmerksame[n] und deutliche[n] Vorstellen[s]“ beziehungsweise bei Letzterem in Form von ‚insensibles perceptions‘ […], die für sich allein zu schwach und undeutlich sind, um bewußt zu werden.“10
Wolff schreibt führt in Zusammenhang mit dem ‚Bewußtsein‘ unter anderem aus:
Das erste, so wir von unserer Seele wahrnehmen, wenn wir auf sie achthaben, ist, daß wir uns vieler Dinge als außer uns bewußt sind; indem dieses geschieht, sagen wir, daß wir gedenken und nennen demnach die Gedanken Veränderungen der Seele, deren sie sich bewußt ist, hingegen, wenn wir uns nichts bewußt sein, als z. B. im Schlaf oder auch wohl zuweilen im Wachen es davorhalten, pflegen wir zu sagen, daß wir nicht gedenken. Solchergestalt setzen wir das Bewußtsein als Merkmal, daraus wir erkennen, daß wir gedenken und also bringt es die Gewohnheit zu reden mit sich, daß von einem Gedanken das Bewußtsein nicht abgesondert werden kann.11
Es ist klar, daß zu dem Bewußtsein das Überdenken erfordert wird; dieses Überdenken aber fordert, daß man nicht allein behalten könne, was man denkt, sondern auch wisse, daß man den Gedanken schon vorher gehabt und demnach mit einem Gedächtnis begabt sei: solchergestalt wird also zum Bewußtsein auch ein Gedächtnis erfordert.12
Nun begreifen wir, wie es eigentlich zugeht, daß wir uns bewußt sind, das heißt, daß wir wissen, was wir gedenken oder warum unsere Gedanken ein Bewußtsein mit sich bringen. Und also bringet das Gedächtnis und Überdenken das Bewußtsein hervor.13
Derowegen die Seele, da die Dunkelheit der Empfindungen das Bewußtsein aufhebt, im Schlaf sich nichts bewußt sein kann und daher denkt sie, eigentlich zu reden, nicht, ob sie gleich empfindet.14
Ich weiß wohl, daß einige sagen, die Seele denke auch im Schlaf, allein sie verstehen alsdann durch den Gedanken nur eine bloße Empfindung ohne Bewußtsein, und also sind sie von uns nur in Worten unterschieden. Weil wir aber insgemein alle zu den Gedanken das Bewußtsein erfordern, so bin ich auch lieber, um Irrtum zu vermeiden, bei der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes geblieben.15
Aus Wolffs Ausführungen lassen sich bereits zwei Punkte extrahieren, die für das spätere Verständnis des Begriffs des Unbewussten zentral sind: Erstens die reziproke Verknüpfung des Bewusstseins mit dem Gedächtnis. Nur reflektierbare Gedanken, um deren Existenz der Mensch weiß, deren er sich also bewusst ist, können Bewusstsein hervorbringen und umgekehrt ist er nur zu denken fähig, wenn er bei Bewusstsein ist. Zweitens die Existenz einer Ebene zwischen dem Bewusstsein und dem Nicht-Bewusstsein, die sich später im Begriff des Unbewussten manifestieren wird. Im Schlaf und in der „Dunkelheit der Empfindungen“ wird des Bewusstsein nach Wolffs Vorstellungen aufgehoben, da in diesen Extremen kein Denken, sondern nur „bloße[…] Empfind[en]“ möglich ist.
Bei Leibnitz findet sich diese Beschränkung nicht, er glaubt, dass es eine Vielzahl kleiner, im Einzelnen unmerklicher unbewusster Empfindungen „in jedem Augenblick“ gibt und diese in ihrer Fülle Einfluss auf den Menschen nehmen:
Übrigens gibt es gar viele Anzeichen aus denen wir schließen müssen daß es in jedem Augenblick in uns eine unendliche Menge von Perzeptionen ohne bewußte Wahrnehmung und Reflexion gibt d.h. Veränderungen in der Seele selbst deren wir uns nicht bewußt werden weil diese Eindrücke entweder zu gering und zu zahlreich oder zu gleichförmig sind so daß sie im einzelnen keine hinreichende Unterscheidungsmerkmale aufweisen.
Nichtsdestoweniger können sie zusammen mit anderen ihre Wirkung tun und sich insgesamt wenigstens in verworrener Weise zur Wahrnehmung bringen. So führt die Gewohnheit dazu auf die Bewegung einer Mühle oder eines Wasserfalls nicht mehr zu achten wenn wir eine Zeitlang ganz nahe dabei gewohnt haben16
Zu den Ausführungen Leibnitz‘ meinte Ludger Lütkehaus:
Dieser von Leibnitz kognitiv akzentuierte, zugleich pragmatisch erweiterte und metaphysisch funktionalisierte Begriff unbewußter Vorstellungen bestimmt die deutschsprachige philosophische Debatte des 18. Jahrhunderts über weite Strecken.17 […] Die Lehren Wolffs und Leibnitz‘ sind leitgebend für Platners und Fichtes Beschäftigung mit den „Unbewußtseyn“. (vgl. S. 20f). Auch Kant orientiert sich in seiner „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ an der Theorie Leibniz' und modifiziert diese insofern, als bei ihm „zwar wieder die kognitiven Aspekte des Unbewußten im Vordergrund stehen, zugleich aber emotionale und auch sexualpsychologische Aspekte mit einfließen – und damit bereits das, was dann die zweite Hauptlinie der Entdeckungsgeschichte des Unbewußten bestimmt: die des irrationalen, des vitalen, des volitiven Unbewußten.18
Diese unkontrollierbare, den Willen betreffende Dimension des Unbewussten findet in Johann Georg Sulzers Abhandlung von 1759 mit dem Titel „Erklärung eines psychologischen paradoxen Satzes“ ihre Weiterentwicklung. Bezeichnend für Sulzers psychologisch angehauchte Theorie ist der Satz: „Daß der Mensch zuweilen nicht nur ohne Antrieb und ohne sichtbare Gründe, sondern selbst gegen dringende Antriebe und überzeugende Gründe handelt und urtheilet.“19
Dieser scheinbar paradoxe Satz überwirft die Wolffianische Psychologie mit ihrer Harmonie von Bewusstsein und Seele und entzieht sowohl der frühaufklärerischen Utopie von einem obligatorischen kausalen Zusammenhang zwischen richtiger Einsicht und richtigem Handeln als auch dem Ideal vom Menschen als einem durch ‚ratio‘ geleitetem Wesen generell den Nährboden. Erklärbar kann dieses Statut mit dem Vorhandensein dunkler Vorstellungen gemacht werden. Diese wird Platner etwas später „bewußtlose Vorstellungen“ und „unbewußte, dunkle Ideen“ nennen.
Die von Sulzer entwickelte Idee dieser dunklen Vorstellungen findet in etwas abgewandelter Weise auch in der Aufklärung ihren Anklang. „[G]erade das Interesse des Aufklärers an dem Ausgang aus dunkel begründeter Unmündigkeit führt ihn in Richtung einer Theorie, die die irrationalen Momente des Unbewußten betont, dynamisch-konfliktpsychologisch zugespitzt wird und sich im Dienste der inneren Emanzipation versteht.“ 20
Auch Mesmers Theorie wurde zuweilen als an diese Sichtweise anknüpfend verstanden und von Verfechtern wie dem Arzt Eberhard Gmelin adaptiert. Dieser überformt in seiner Theorie Mesmers Fluidtheorie mit anthropologischen, aus Vitalismus und Nervenphysiologie entwickelten Mittlerstoffmodellen. In Anknüpfung an Mesmers Theorie von der Allflut erweitert er dabei allerdings die Reichweite des anthropologischen Konzeptes des Lebens- oder Nervengeistes. Er ist ihm auch Element der sympathetischen Vernetzung mit der Umwelt und anderen Nervengeistern, mithin interpersonales Mittlermedium (B 88f.) In Gmelins Vorstellung wird das animalische Allfluidum zum Kopplungsmedium, das sowohl die Grenzen zwischen den Menschen als auch die zwischen Mensch und Natur überbrückt. (vgl. B 89) Eben diese Modularisierung des tierischen Magnetismus stellt den Bezugspunkt für romantische Naturphilosophen dar.
Gmelins Werke, die zwischen 1787 und 1793 erschienen und eine umfangreiche Sammlung aller beobachteten Phänomene des animalischen Magnetismus enthalten, werden vor allem von Gotthilf Heinrich Schubert (1780-1860) und von Carl Alexander Ferdinand Kluge (1782-1844) als Quellen für ihre eigenen Theoriekonzepte herangezogen. (vgl. B 87)
[...]
1 Heinrich v. Kleist, Prinz Friedrich von Homburg: Ein Schauspiel, Studienausgabe, hrsg. von Alexander Košenina, Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18860 (Stuttgart: Reclam, 2011), S. 97, V. 1856. Bei Zitaten aus diesem Text wird im Folgenden die Versangabe nach dem Zitat mit dem Sigel ‚P‘ in Klammern angeführt.
2 Franz Anton Mesmer und Louis Caullet de Veaumorel, Lehrs äzze des Herrn: Mesmer'sso wie er sie in den geheimen Versammlungen der Harmonia mitgetheilt hat, und worinnen man seine Grundsäzze, seine Theorie, und die Mittel findet selbst zu magnetisiren; in 344 Paragraphen abgetheilt, zum leichtern Gerbauch der Kommentare über den thierischen Magnetismus. (Straßburg: Akademische Buchhandlung, 1785), S. 18 §80.
3 Siehe dazu folgende Quellen: Ernst Florey, Ars magnetica: Franz Anton Mesmer 1734-1815, Magier
4 Jürgen Barkhoff, Magnetische Fiktionen: Literarisierung des Mesmerismus in der Romantik (Stuttgart: Metzler, 1995), Zugl.: Hamburg, Univ., FB Sprachwiss., Diss., 1994, S. 1ff.
5 Franz Anton Mesmer, Abhandlung über die Entdeckung des thierischen Magnetismus (Carlsruhe, 1781), 34f.
6 Ebd., 35ff.
7 Franz Anton Mesmer, Allgemeine Erl äuterungen über den Magnetismus und den Somnambulismus: Als vorläufige Einleitung in das Natursystem (Halle und Berlin: Hallisches Waisenhaus, 1812), aus dem Askläpeion abgedruckt, S. 18f. Die folgenden Zitate aus diesem Text.
8 Friedrich Anton Mesmer und Karl Christian (Hg.) Wolfart, Mesmerismus: Oder System der Wechselwirkungen, Theorie und Anwendung des thierischen Magnetismus als die allgemeine Heilkunde zur Erhaltung des Menschen (Berlin: Nikolai, 1814), S. 180.
9 Mesmer, Allgemeine Erl äuterungen über den Magnetismus und den Somnambulismus, S. 43.
10 Günter Gödde, Traditionslinien des "Unbewu ßten": Schopenhauer - Nietzsche - Freud, Überarb. Neuaufl. der Ausg. von 1999 (Ed. diskord), Bibliothek der Psychoanalyse (Gießen: Psychosozial-Verl., 2009), S. 25f.
11 Christian von Wolff, Vern ünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt : den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet (Halle: Renger, 1720), I, c. 3, § 194.
12 Ebd., I, c. 5, § 733f.
13 Ebd., I, c. 5, § 735.
14 Ebd., I, c. 5, § 796.
15 Ebd., I, c. 5, § 797.
16 Gottfried Wilhelm Leibniz und Carl Schaarschmidt, Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (Berlin: Heimann, 1873), S. 10.
17 Ludger Lütkehaus, Hrsg., Tiefenphilosophie: Texte zur Entdeckung des Unbewu ßten vor Freud, Neuausg, eva-Taschenbuch 231 (Hamburg: Europ. Verl.-Anst, 1995), S. 20.
18 Ebd., S. 21.
19 Zitiert nach ebd., S. 22.
20 Ebd., S. 23.