Die Voraussetzungen für eine Haftung wegen unterlassener Veröffentlichung von Insiderinformationen nach § 97 WpHG


Seminararbeit, 2020

27 Seiten, Note: 12


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Versicherung

I. Einleitung

II. Auslegung von § 97 WpHG
1. Auslegung nach dem Wortlaut
a) Begriff der Insiderinformation
b) Unterlassen der unverzüglichen Veröffentlichung
c) „Unverzüglich“ im Europäischen Kontext
d) Umsetzung anderer Mitgliedsstaaten
e) Rückschluss auf § 97 WpHG
f) Auslegung nach deutschem Rechtsverständnis
g) „Unverzüglich“ als Indiz für Wissensorganisationspflicht
2. Auslegung nach Telos und Systematik
a) Vergleich von §§ 97 II und 98 II WpHG
b) Kenntnis im Rahmen von § 97 III WpHG i.S.v. Mitkenntnis
c) Privilegierung von Unterlassen gegenüber aktivem Tun
d) Wirtschaftlichkeitsziel und effet utile
3. Historische Auslegung
a) Intention des Gesetzgebers
b) Gesetzlich gewollte Beweislastverteilung zugunsten des Anlegers § 97 II WpHG
c) Historische Orientierung an ausländischen Kapitalmarktrechten

III. Fazit

Literaturverzeichnis

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Thomale, Chris, Zum subjektiven Tatbestand der Unterlassungshaftung nach § 97 WpHG, AG, 2019, 189-196.

Eidesstattliche Versicherung

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Seminararbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegeben Hilfsmittel benutzt habe.

Doron Bender

Augsburg, den 6.12.2019

I. Einleitung

Insiderinformationen sind gemäß Art. 17 I Unterabs. 1 MMVO1 „unverzüglich“ bekannt zu geben. Gemäß § 97 I WpHG2 ist der Emittent, der diese Pflicht zur Ad-hoc-Mitteilung verletzt, indem er es unterlässt die Insiderinformation unverzüglich zu veröffentlichen, dem Betroffenen zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, welche Anforderungen an die zivilrechtliche Haftung nach § 97 WpHG zu stellen sind. Diese Frage ist keineswegs rein theoretischer Natur. Relevant ist die Problematik insbesondere in Bezug auf den Dieselskandal rund um VW. Wesentliche Frage in den Prozessen3 auf Haftung von VW nach § 97 WpHG ist dabei, ob und wann VW Kenntnis von dem mitteilungspflichtigen Sachverhalt hatte und grundlegender, ob die Kenntnis der Insiderinformation überhaupt notwendige Voraussetzung zur Haftung ist. Vorliegend wird zunächst die Frage behandelt, im Lichte welchen Rechts der § 97 WpHG zu interpretieren ist, um anschließend einen deutschen Maßstab zur Auslegung der Norm zugrunde zu legen. Es sei darauf hingewiesen, dass in diesem Beitrag lediglich die Voraussetzungen der zivilrechtlichen Haftung nach § 97 WpHG behandelt werden. Inwieweit Art. 17 MMVO den Emittenten etwaige Pflichten auferlegt oder welche Voraussetzungen die Marktmissbrauchsverordnung bei der straf- und verwaltungsrechtlichen Durchsetzung dieser Pflichten zugrunde legt, bleibt unbehandelt. Zentrale Frage dieser Arbeit ist, ob der Emittent positive Kenntnis über die veröffentlichungspflichtige Insiderinformation haben muss oder nicht. Eng mit dieser Frage verbunden ist, ob § 97 WpHG den Emittenten etwaige Informationsbeschaffungs- und Kommunikationspflichten auferlegt. Im ersten Teil der Arbeit erfolgt die Auslegung der Norm anhand der vier Auslegungsmethoden von Savigny.4 Dabei wird auf die in der Literatur teilweise vertretenen Argumente für das Erfordernis einer positiven Kenntnis ausführlich eingegangen. Im Anschluss daran werden die gewonnen Erkenntnisse aus dieser Auslegung in einem Fazit zusammengefasst.

II. Auslegung von § 97 WpHG

1. Auslegung nach dem Wortlaut

a) Begriff der Insiderinformation

§ 97 WpHG verweist auf die Pflicht zur unverzüglichen Ad-hoc-Mitteilung von Insiderinformationen nach Art. 17 MMVO. Es wird also der Begriff und die Definition der Insiderinformation aus der MMVO zugrunde gelegt. In Bezug auf Finanzinstrumente wie Aktien lautet diese Definition gemäß Art. 7 I lit. a) MMVO wie folgt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung umfasst der Begriff „Insiderinformationen“ folgende Arten von Informationen: nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen“. Es lassen sich also vier wesentliche Komponenten einer Insiderinformation aus der Norm herauslesen: Es bedarf einer präzisen Information. Diese darf nicht öffentlich bekannt sein. Sie muss einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen. Darüber hinaus muss die Information geeignet sein, bei Veröffentlichung den Kurs dieser Finanzinstrumente oder damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.5

b) Unterlassen der unverzüglichen Veröffentlichung

§ 97 WpHG statuiert eine Haftung für Fälle, in denen der Emittent es unterlässt, der Pflicht aus Art. 17 MMVO durch Veröffentlichen einer Ad-hoc-Mitteilung „unverzüglich“ nachzukommen. Auch Art. 17 I Unterabsatz 1 MMVO verlangt die unverzügliche Offenlegung von Insiderinformationen, die den Emittenten unmittelbar betreffen. Der Auslegung des Wortes „unverzüglich“ kommt also erhebliche Bedeutung bei der Frage zu, wann ein Unterlassen vorliegt. Schließlich kann erst dann eine Pflichtverletzung festgestellt werden, wenn klar ist, wann die Pflicht zur Veröffentlichung überhaupt einsetzt. Eng damit verbunden ist die Frage, ob die Pflicht zur Veröffentlichung erst bei Kenntnis des veröffentlichungspflichtigen Sachverhalts einsetzt oder bereits bei Kennenmüssen aufgrund etwaiger Informationsbeschaffungsobliegenheiten, die § 97 WpHG dem Emittenten gegebenenfalls auferlegt. Dies gilt es in dieser Arbeit zu untersuchen.

c) „Unverzüglich“ im Europäischen Kontext

Das Merkmal „unverzüglich“ ist im deutschen Recht in § 121 I Satz 1 BGB6 legaldefiniert. Demnach bedeutet unverzüglich „ohne schuldhaftes Zögern“. In diesem Sinne wurde „unverzüglich“ teilweise ausgelegt als noch die Vorgängernorm § 37b I WpHG a.F. in Kraft war.7 Auch seit Einführung von § 97 WpHG möchten manche die deutsche Legaldefinition noch gelten lassen.8 Im Rahmen des Art. 17 MMVO ist grundsätzlich zu beachten, dass dies eine unionsrechtliche Regelung ist. Europäische Regelungen müssen unionsrechtskonform und unabhängig von nationalen rechtlichen Eigenheiten ausgelegt werden. Oftmals wird deshalb vertreten, dass die nationale Definition von „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 97 WpHG nicht mehr unmittelbar angewendet werden kann.9 Der Begriff „unverzüglich“ müsse vielmehr autonom-europarechtlich ausgelegt werden. Dabei ist die Auslegung anhand des Wortlauts eine zuverlässige Methode, um eine möglichst einheitliche Anwendung des europarechtlichen Begriffs zu gewährleisten, da der Wortlaut regelmäßig der gemeinsame Ausgangspunkt der Auslegung aller Mitgliedsstaaten ist.10

d) Umsetzung anderer Mitgliedsstaaten

Um zu bestimmen, wann im Unionsrecht eine Insiderinformation veröffentlicht werden muss, lohnt sich ein Blick in die Gesetzesfassungen von Art. 17 MMVO der anderen Mitgliedsstaaten. In der Fassung des Art. 17 MMVO heißt es im Englischen „as soon as possible“ und im Französischen „dès que possible“, was beides mit „so bald wie möglich“ zu übersetzen ist. Die deutsche Ursprungsfassung spricht selbst davon, dass der Emittent die Insiderinformation „so bald wie möglich“ offenzulegen hat.11 Erst mit einem Corrigendum12 wurde „so bald wie möglich“ in „unverzüglich“ geändert. Eine inhaltliche Änderung wurde damit aber nicht beabsichtigt.13 Damit einhergehend heißt es in den anderen Sprachfassungen noch immer „as soon as possible“ und „dès que possible“. Schließlich ist - um einer einheitlichen Anwendung des Europarechts willen - eine EU-Norm unabhängig von dessen Sprachfassung europaweit gleich auszulegen. Es kommt im Rahmen des Art. 17 I MMVO also auf die objektive Möglichkeit einer Veröffentlichung an.14 Daraus resultiert, dass keine positive Kenntnis des veröffentlichungspflichtigen Sachverhalts zwingend nötig ist, da eine Veröffentlichung bei Implementierung einer internen Wissensorganisation bereits vor Kenntnis durch den Vorstand oder das zuständige Wissensorgan objektiv möglich sein kann.

e) Rückschluss auf § 97 WpHG

Wie gezeigt, besteht die Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformation nach Art. 17 I MMVO ab der objektiven Möglichkeit zur Veröffentlichung und das kenntnisunabhängig. Fraglich ist, ab welchem Zeitpunkt die zivilrechtliche Haftung nach § 97 WpHG einsetzt. Manche Stimmen in der Literatur sehen einen zivilrechtlichen Haftungstatbestand im Lichte einer Vollharmonisierung als vom Unionsgesetzgeber zwingend vorgegeben an.15 Demgegenüber möchten andere Stimmen in der Literatur die Voraussetzungen der Pflicht zur Veröffentlichung nach Art. 17 I MMVO und die Voraussetzungen der Haftung wegen der Verletzung dieser Pflicht aus § 97 I WpHG unterschiedlich verstanden wissen. Eine Norm, die die zivilrechtliche Haftung des Emittenten regelt, sei nicht unionsrechtlich vorgegeben, sondern unterliege viel mehr der Gestaltungsfreiheit der nationalen Gesetzgeber, da die Umsetzung zivilrechtlicher Durchsetzungsmöglichkeiten bewusst offengelassen würde.16 Die Intention des deutschen Gesetzgebers, eine eigene – von Art. 17 MMVO losgelöste – Haftungsnorm zu statuieren, verdeutliche auch § 26 III Satz 1 WpHG, der eine Schadensersatzpflicht „nur unter den Voraussetzungen der §§ 97 und 98 WpHG vorsieht.17 Hätte der Gesetzgeber eine uneingeschränkte Deliktsbewährung gewollt, so hätte er an Art. 17 MMVO anknüpfend nicht zwei unterschiedliche Haftungsnormen in §§ 97 und 98 WpHG formulieren müssen.18 Auch dass der Gesetzgeber in § 97 I WpHG erneut verlangt, dass die Veröffentlichung „unverzüglich“ zu erfolgen hat, spricht für dessen Intention eine zivilrechtliche Haftung zu statuieren, die nicht vollends mit der Verletzung der Pflicht zur Veröffentlichung aus Art. 17 MMVO gleichläuft. Wäre § 97 WpHG lediglich als eine Art Annex zu Art. 17 MMVO gedacht, so wäre das „unverzüglich“ innerhalb des § 97 I WpHG obsolet. Dass der deutsche Gesetzgeber eine solche Redundanz unabsichtlich unterlaufen ist, ist nicht zu unterstellen. Vorliegend soll davon ausgegangen werden, dass der deutsche Gesetzgeber in seiner Ausgestaltung des § 97 WpHG frei war. Die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber überhaupt die Kompetenz dazu hat, weitere Verschuldenserfordernisse aufzustellen, beziehungsweise ob diese Anforderungen unionsgerichtlicher Überprüfung standhalten würden, soll in diesem Beitrag ausgeklammert werden. Vielmehr geht es ausschließlich um die Auslegung der zivilrechtlichen Haftungsnorm des § 97 WpHG im deutschen Rechtskontext.

f) Auslegung nach deutschem Rechtsverständnis

Sieht man § 97 WpHG als selbstständige, autonom national auszulegende Norm, so ist für das Merkmal „unverzüglich“ die Legaldefinition aus § 121 I Satz 1 BGB zugrunde zu legen.19 Demnach wird eine Insiderinformation dann rechtzeitig veröffentlicht, wenn dies ohne schuldhaftes Zögern geschieht. Das Kriterium „ohne schuldhaftes Zögern“ ist kein rein objektives, sondern beinhaltet eine subjektive Komponente. Denn wann ein Zögern schuldhaft ist hängt auch vom guten Glauben oder eben der Böswilligkeit des Emittenten ab. „Ohne schuldhaftes Zögern“ räumt dem Emittenten – anders als eine Pflicht zur sofortigen Veröffentlichung – einen Beurteilungs- und Prüfungsspielraum ein. Er hat die Möglichkeit, selbst abzuwägen, wann die Veröffentlichung erforderlich ist.20

[...]


1 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, Abl. Nr. L173 v. 12.6.2014, S. 1.

2 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG).

3 Siehe hierzu etwa LG Braunschweig Urteil v. 5.8.2016, 5 OH 62/16, WM 2016, 2019 – Musterverfahren Abgasskandal; LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17 Kap, WM 2017, 1451 – Musterverfahren Abgasskandal.

4 Siehe zur Auslegung allgemein Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, § 4 Rn. 1 ff.

5 Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, §§ 97, 98 WpHG Rn. 84.

6 Bürgerliches Gesetzbuch.

7 So etwa BaFin Emittentenleitfaden 2013, S. 70, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Leitfaden/WA/dl_emittentenleitfaden_2013.html (Abruf v. 25.11.2019); Fuchs, in: Fuchs, WpHG, November 2008, §§ 37b, 37c Rn. 13; a.A. Bruchwitz, in: Just/Voß/Ritz/Becker, 2015, §§ 37b, 37c Rn. 33 f.; Möllers/Leisch, in: KölnKomm-WpHG, 2. Aufl. Okt. 2013, §§ 37b, c Rn. 114 f.

8 So Thomale, Kapitalmarktinformationshaftung ohne Vorstandswissen, NZG 2018, 1007, 1009.

9 So Möllers/Leisch, in: KölnKomm-WpHG, 2. Aufl. Okt. 2013, §§ 37b, c Rn. 114 f.; Bruchwitz, in: Just/Voß/Ritz/Becker, 2015, §§ 37b, 37c Rn. 33 f. So im Ergebnis auch Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, §§ 97, 98 WpHG Rn. 87. So auch Thomale, Kapitalmarktinformationshaftung ohne Vorstandswissen, NZG 2018, 1007, 1009.

10 Schön, Die Analogie im Europäischen (Privat-)Recht, in: FS Canaris zum 80. Geburtstag, 2017, S. 147, 151.

11 Siehe Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, Abl. Nr. L173 v. 12.6.2014, S. 34.

12 Siehe Berichtigung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. Nr. L 348 v. 21.12.2016, S. 85.

13 So Thomale, Kapitalmarktinformationshaftung ohne Vorstandswissen, NZG 2018, 1007, 1009.

14 Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, §§ 97, 98 WpHG Rn. 87; Thomale, Kapitalmarktinformationshaftung ohne Vorstandswissen, NZG 2018, 1007, 1009; Bartmann, Ad-hoc-Publizität im Konzern, 2017, S. 305 zitiert nach Thomale, Kapitalmarktinformationshaftung ohne Vorstandswissen, NZG 2018, 1007, 1009. So auch zu § 37b WpHG a.F. Möllers/Leisch, in: KölnKomm-WpHG, 2. Aufl. Okt. 2013, §§ 37b, c Rn. 114 f.; Bruchwitz, in: Just/Voß/Ritz/Becker, 2015, §§ 37b, 37c Rn. 33 f.

15 So Hellgardt, Europarechtliche Vorgaben für die Kapitalmarktinformationshaftung, AG 2012, 154, 156; Seibt, Europäische Finanzmarktregulierung zu Insiderrecht und Ad-hoc-Publizität, ZHR 177 (2013), 388, 424 f.; Im Ergebnis auch Hellgardt in: Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, §§ 97, 98 Rn. 16 ff.

16 So etwa Thomale, Kapitalmarktinformationshaftung ohne Vorstandswissen, NZG 2018, 1007, 1009; Cless, Unionsrechtliche Vorgaben für eine zivilrechtliche Haftung bei Marktmissbrauch, 2018, S. 28 ff.; Markworth, Marktmissbrauchsverordnung und effet utile- Europarechtlich determinierte Zeitenwende im Kapitalmarktsdeliktsrecht? - , ZHR 183 (2019), 46-72 zitiert nach Thomale, Zum subjektiven Tatbestand der Unterlassungshaftung nach § 97 WpHG, AG, 2019, 189, 190; Schmolke, Private Enforcement und institutionelle Balance, NZG 2016, 721, 723; Buck-Heeb, Neuere Rechtsprechung zur Haftung wegen fehlerhafter oder fehlender Kapitalmarktinformation, NZG 2016, 1125, 1132; In Bezug auf Marktmanipulation nach Art. 15 MMVO i.E. auch Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz, 2013, S. 229, 246 ff.; Allgemein Maier-Reimer/Paschos, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 29 Rn. 2 f.; In Bezug auf die Richtline 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), Abl. Nr. L 96 v. 12.4.2003, S. 16-25 Brellochs, Publizität und Haftung von Aktiengesellschaften im System des Europäischen Kapitalmarktrechts, 2005, S. 92 ff.

17 Thomale, Zum subjektiven Tatbestand der Unterlassungshaftung nach § 97 WpHG, AG 2019, 189, 191.

18 So Thomale, Zum subjektiven Tatbestand der Unterlassungshaftung nach § 97 WpHG, AG, 2019, 189, 191.

19 Thomale, Zum subjektiven Tatbestand der Unterlassungshaftung nach § 97 WpHG, AG, 2019, 189, 191.

20 BGH, Beschl. v. 15.3.2005, VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869, 1870 – Ablehnung Sachverständiger; Palandt/ Ellenberger, BGB, 87. Aufl. 2019, § 121 Rn. 3; Allgemein Armbrüster in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2018, § 121 Rn. 7 ff.

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Details

Titel
Die Voraussetzungen für eine Haftung wegen unterlassener Veröffentlichung von Insiderinformationen nach § 97 WpHG
Hochschule
Universität Augsburg
Note
12
Autor
Jahr
2020
Seiten
27
Katalognummer
V900527
ISBN (eBook)
9783346221025
ISBN (Buch)
9783346221032
Sprache
Deutsch
Schlagworte
haftung, insiderinformationen, veröffentlichung, voraussetzungen, wphg
Arbeit zitieren
Doron Bender (Autor:in), 2020, Die Voraussetzungen für eine Haftung wegen unterlassener Veröffentlichung von Insiderinformationen nach § 97 WpHG, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/900527

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