Grundlagen des Bindungsverhaltens im Kleinkindalter und ihre Auswirkungen auf die weitere Entwicklung


Dossier / Travail, 2008

14 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Bindungstheoretische Grundüberlegungen
2.1. Die Bindungstheorie
2.2. Bindungstypen
2.2.1. Unsicher-vermeidend gebunden (A)
2.2.2. Sicher gebunden (B)
2.2.3. Unsicher-ambivalent gebunden (C)
2.2.4. Unsicher-desorganisiert/desorientiert gebunden (D)
2.3. Entwicklung der Bindung im ersten Lebensjahr
2.4. Besonderheiten der Mutter-Kind-Bindung
2.4.1. Feinfühligkeit

3. Auswirkungen der Bindungserfahrung
3.1. Auswirkung auf das Gehirn
3.2. Auswirkung auf die weitere Entwicklung

4. Berücksichtung der Bindungsforschung in der Fremdbetreuung
4.1. Besonderheiten bei der Erzieherin-Kind-Bindung
4.2. Rahmenbedingungen

5. Abschluss

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Jeder Mensch hat ein Grundbedürfnis nach menschlicher Nähe und Zuwendung, also nach Bindung. Dieses Bedürfnis ist von Geburt an vorhanden.

Lange Zeit wurde der Bindung als grundlegende Basis der zwischenmenschlichen und psychischen Befindlichkeit eines Menschen kaum Beachtung geschenkt.

Erst mit Einführung der Bindungstheorie in die wissenschaftliche Psychologie durch John Bowlby und Mary Ainsworth fand eine Veränderung statt.

So ist es heute unvorstellbar, Kleinstkindern im Krankenhaus den Kontakt mit ihren Eltern zu verwehren, wie es früher aus Angst vor Infektionen und der folgenden schwierigen Trennungssituation üblich war.

Brazelton und Greenspan formulierten 7 Grundbedürfnisse von Kindern. Diese lauten:[1]

1. Bedürfnis nach Liebe, Geborgenheit, Zuwendung, Unterstützung und beständiger Erziehung
2. Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit und Sicherheit
3. Bedürfnis nach neuen und entwicklungsgerechten Erfahrungen
4. Bedürfnis nach Lob und (adäquater) Anerkennung
5. Bedürfnis nach Verantwortung und Selbständigkeit
6. Bedürfnis nach Übersicht und Zusammenhang, nach stabilen und unterstützenden Gemeinschaften sowie nach einer sicheren Zukunft
7. Bedürfnis nach Orientierung, Strukturen, Regeln und Grenzen

Diese 7 Grundbedürfnisse scheinen den Grundstein für eine positive Entwicklung zu legen. Alle diese Punkte lassen sich in die Bindungstheorie einordnen bzw. werden von ihr berücksichtigt.

Im ersten Teil meiner Arbeit werde ich spezifisch auf die bindungstheoretischen Grundlagen eingehen und diese erläutern, um dann im zweiten Teil auf die Auswirkungen des Bindungsverhaltens in der weiteren psychischen Entwicklung einzugehen.

Kenntnisse der Bindungsforschung sollten nicht nur auf das erste Lebensjahr bezogen sein, sondern ihre weit reichenden erwiesenen Folgen in die politische Diskussion um Kindererziehung und Fremdbetreuung berücksichtigt werden.

2. Bindungstheoretische Grundüberlegungen

Jeder Mensch hat also ein Grundbedürfnis nach tiefen emotionalen Beziehungen.

Das Baby, das von der Oma betreut wird, spielt vielleicht friedlich mit ihr, ohne die Mutter[2] sonderlich zu vermissen, bis es ins Bett muss. Dann fängt es an zu weinen und nach der Mutter zu rufen, bis es von der Oma beruhigt einschlafen kann.

Aber auch die Mutter, die ihr Kind zum ersten Mal alleine bei einer anderen Betreuungsperson lässt, um sich einen Film im Kino anzusehen, wird ständig daran denken, wie es ihrem Kind wohl gehen mag und kann sich kaum auf den Film konzentrieren.

Diese so genannte Bindung ist ein Teil des komplexen Systems der Beziehung.[3] Doch wie entstehen solche Bindungen überhaupt, und wie genau sind sie gekennzeichnet?

2.1. Die Bindungstheorie

Bindung ist die Bezeichnung für eine enge emotionale Beziehung zwischen Menschen.

Der britische Psychoanalytiker John Bowlby (1907-1990) gilt als Begründer der Bindungsforschung. Bowlby vermutete eine angeborene Fähigkeit von Neugeborenen, Bindungen herzustellen. Er kam zu der Annahme, ein Kleinkind verfüge über ein motivationales System, was es dazu befähigt, Zuwendung, Schutz oder Beruhigung bei seinen Bezugspersonen einzufordern um sein Überleben zu sichern[4], ihm andererseits aber auch die nötige Auseinandersetzung mit der Umwelt ermöglicht (Exploration).

Demnach betrachtet Bowlby Mutter und Kind als „Teilnehmer in einem sich wechselseitig bedingenden und selbst regulierenden System“.[5]

Seine Theorie gründete Bowlby zum Teil auf die Erkenntnisse der Ethologie in den 1960er Jahren.

So erwies sich aus dem Naturverhalten von Tieren, dass Bindung von der Fütterung losgelöst ist. Diese These gründet sich auf 2 Beobachtungen in der Natur: Zum Einen beschrieb Lorenz[6] das Verhalten von kleinen Gänschen, die offensichtlich eine starke Bindung zu ihrer Mutter haben, obwohl sie von ihr nicht direkt mit Nahrung versorgt werden. Der umgekehrte Fall zeigte sich in einem Versuch von Harlow[7] mit Rhesusaffen, die nach der Geburt von ihrer Mutter getrennt wurden. Diese kleinen Äffchen hatten die Wahl zwischen einer „Drahtmutter“, von der sie Nahrung bekamen, und einer mit Frottee bezogenen „Mutter“, die aber keine Nahrung abgab. Nach dieser Studie zeigten die Äffchen eine klare Präferenz für die „kuschelige“ Variante. Dies bewies Bowlby, dass Bindung von der Fütterung unabhängig ist und unterstrich somit seine Kritik an der Psychoanalyse. Bowlby wehrte sich gegen die Vorstellung Freuds, dass Bindung rein aus triebtheoretischen Ansätzen zu interpretieren sei.

Zusammengefasst lässt sich die Bindungstheorie so erklären: Normalerweise fördert die bloße Anwesenheit der Bezugsperson eines Kindes die Exploration, es spielt und erkundet seine Umwelt. Sobald es jedoch Gefahr spürt, sucht es die Nähe dieser Person, um dort Schutz zu finden und wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Dies wurde von Mahler[8] auch als „emotionales Auftanken des Säuglings“ bezeichnet.

Das zugehörige Bindungsverhalten zeigt sich durch beobachtbare Verhaltensweisen wie Blickkontakt, Lächeln, Weinen, Klammern, usw.

2.2. Bindungstypen

Bindung wird hauptsächlich dann ersichtlich, wenn sich ein Kind bedroht fühlt. Dies ist zum Beispiel in Trennungssituationen der Fall. Mary Ainsworth[9] hat diese Situation für ihre Idee einer standardisierten Beobachtungssituation genutzt.

Dies ist der so genannte „Fremde Situation-Test“, in dem Kinder im Alter von 12-20 Monaten zwei Mal kurz von ihrer Mutter getrennt werden. Der Test untergliedert sich in folgende Schritte:

Zuerst betreten Mutter und Kind ein ihnen unbekanntes Spielzimmer. Sie können sich nun an den Raum gewöhnen, das Kind kann die Umgebung mit den bereitgestellten Spielsachen erkunden, das Verhalten der Mutter ist frei gestellt. Nun kommt eine fremde Person ins Zimmer, nimmt jedoch erst nach 2 Minuten Kontakt mit der Mutter auf. Während des kurzen entstehenden Dialogs reagieren die meisten Kinder mit Neugier oder etwas Angst und verringern den Abstand zur Mutter. Danach versucht die Person, Kontakt mit dem Kind aufzunehmen, indem sie an sein Spiel anknüpft. Auf ein Kopfzeichen hin verabschiedet sich die Mutter mit wenigen Worten von ihrem Kind und verlässt den Raum. Nun aktiviert sich das Bindungssystem des Kindes; es reagiert auf die Trennung, indem es der Mutter nach schaut oder schon anfängt zu weinen. Die fremde Person versucht, das Kind zu trösten oder mit einem Spiel abzulenken. Nach circa drei Minuten kehrt die Mutter zurück und nimmt es auf den Arm, bis es sich wieder sicher beruhigt hat. Aus diesem Wiedervereinigungsverhalten können wesentliche Rückschlüsse über den Bindungstyp getroffen werden.

Während die Mutter ihr Kind tröstet, verlässt die fremde Person den Raum. Sobald das Kind sich wieder sicher genug fühlt, um losgelöst von der Mutter zu spielen, also zu explorieren, verlässt die Mutter auch wieder den Raum, so dass das Kind ganz alleine ist. In der Regel zeigt das Kind nun eine stärkere Trennungsreaktion mit deutlichem Bindungsverhalten; es weint und versucht der Mutter zu folgen.

Nun betritt die fremde Person den Raum und versucht erneut, das Kind zu trösten oder abzulenken. Dies ist eine weitere wichtige diagnostische Phase.

Zum Schluss findet nochmals die Wiedervereinigung von Mutter und Kind statt, in der die fremde Person den Raum verlässt.[10]

Aufgrund der Beobachtungen mehrerer hundert Kinder in diesem standardisierten Verfahren konnte Mary Ainsworth 3 verschiedene Bindungstypen definieren: die unsicher-vermeidend gebundenen Kinder, die sicher gebundenen und die unsicher-ambivalent gebundenen Kinder. Später wurde noch eine vierte Klassifikation eingeführt: die Kinder mit desorganisiertem Verhaltensmuster. Mary Main[11], die auch Erwachsene mit dem AAI (Adult Attachement Interview) untersuchte, führte diese Klassifikation ein. Es gab immer auch Kinder, deren Verhalten sich nicht eindeutig in eine der drei Hauptreaktionsschemata einordnen ließen.

Im folgenden möchte ich die verschiedenen Bindungstypen erläutern:[12]

[...]


[1] Brazelton & Greenspan auf: http://userpage.fu-berlin.de/~balloff/altesemester/alt/Folien_Grundbeduerfnisse.htm

[2] Unter Berücksichtigung von Gender-Aspekten möchte ich darauf hinweisen, dass ich im Folgenden der Einfachheit halber den Terminus „Mutter“ verwende. Selbstverständlich könnte an dieser Stelle auch „Vater“ oder eine sonstige Bezugsperson stehen.

[3] Brisch, S.35

[4] Ettrich, S.3

[5] Brisch, S.35

[6] Lorenz, 1952 in: Holmes, S.84

[7] Harlow, 1958 in: Holmes, S.84

[8] Mahler et. al., 1978 in: Brisch, S.38

[9] Ainsworth et.al., 1978; Ainsworth, 1985 in: Brisch: S.46

[10] Ettrich, S.8; Brisch, S.45f.

[11] Main&Solomon, 1986 in: Brisch, S.47

[12] Ettrich, S.5 ; Brisch, S.46f.

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Grundlagen des Bindungsverhaltens im Kleinkindalter und ihre Auswirkungen auf die weitere Entwicklung
Université
Mannheim University of Applied Sciences
Note
1,0
Auteur
Année
2008
Pages
14
N° de catalogue
V90140
ISBN (ebook)
9783638042413
ISBN (Livre)
9783640319855
Taille d'un fichier
397 KB
Langue
allemand
Mots clés
Grundlagen, Bindungsverhaltens, Kleinkindalter, Auswirkungen, Entwicklung, Bindungstheorie
Citation du texte
Eva Nitschke (Auteur), 2008, Grundlagen des Bindungsverhaltens im Kleinkindalter und ihre Auswirkungen auf die weitere Entwicklung , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90140

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