Welche Auswirkungen hat Ressourcenreichtum auf regionaler Ebene? Empfehlungen zur Eindämmung der Holländischen Krankheit


Livre Spécialisé, 2021

77 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Symbolverzeichnis

1 Einleitung

2 Wissenschaftlicher Hintergrund
2.1 Die verschiedenen Kanäle des Ressourcenfluchs
2.2 Ursprung und Bedeutung der Holländischen Krankheit
2.3 Die Verwendung von Ressourceneinnahmen
2.4 Aktueller Stand der Forschung
2.5 Methodischer Ansatz

3 Theoretischer Rahmen
3.1 Die Holländische Krankheit auf Länderebene
3.2 Die Holländische Krankheit auf regionaler Ebene
3.3 Ein Modell zur regionalen Holländischen Krankheit

4 Empirische Betrachtung
4.1 Empirische Vorgehensweise
4.2 Ausgaben- und Ressourcenbewegungseffekt
4.3 Bevölkerung und Löhne
4.4 Die Beschäftigung im handeltreibenden Sektor
4.5 Die Produktivität des handeltreibenden Sektors
4.6 Langfristige Auswirkungen und Wirtschaftswachstum
4.7 Regionale Übertragungskanäle
4.8 Abmilderungseffekte

5 Diskussion
5.1 Schlussfolgerungen und weiterführende Überlegungen
5.2 Einordnung und Ausblick
5.3 Politische Handlungsempfehlungen

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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Impressum:

Copyright © EconoBooks 2021

Ein Imprint der GRIN Publishing GmbH, München

Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany

Covergestaltung: GRIN Publishing GmbH

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Auswirkungen eines Rohstoffbooms auf regionaler Ebene

Tabelle 2: Langzeiteffekte des Ressourcenbooms zwischen 1970 und 1980

Tabelle 3: Die Holländische Krankheit innerhalb von Kanada

Tabelle 4: Die verschiedenen Teilsektoren des verarbeitenden Gewerbes

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Der optimale Verbrauch von Ressourceneinnahmen

Abbildung 2: Der Ressourcenbewegungseffekt

Abbildung 3: Der Ausgabeneffekt

Abbildung 4: Auswirkungen des Booms auf den Arbeitsmarkt

Abbildung 5: Auswirkungen des Booms auf den Rohstoffmarkt

Abbildung 6: Eine Arbeitskraft importierende Volkswirtschaft

Abbildung 7: Regionale Entwicklung ökonomischer Variablen

Abbildung 8: Entwicklung der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe

Abbildung 9: Beschäftigung und Produktivität im handeltreibenden Sektor

Abbildung 10: Wachstum und Ressourcenabhängigkeit 1970-1989

Abkürzungsverzeichnis

Abb. Abbildung

CO2 Kohlenstoffdioxid

LBD Learning by Doing

PIH Permanente Einkommenshypothese

REIS Regionales Wirtschaftsinformationssystem

Realer Wechselkurs

RME Ressourcenbewegungseffekt

s. siehe

SE Ausgabeneffekt

SWF Staatsfonds

Tab. Tabelle

Symbolverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Schon 1576 bemerkte der französische Staatstheoretiker Jean Bodin, dass Menschen mit fettem und fruchtbarem Boden in der Regel verweichlicht und feige seien, während ein karges Land die Menschen in eine gemäßigte Notlage brächte und sie damit zu vorsichtigen, wachsamen und fleißigen Menschen mache (vgl. Bodin 1606 1576, S. 565)1. Das Paradox des Überflusses, auch „Ressourcenfluch“ genannt, ist seit langem ein beliebtes und kontrovers diskutiertes Thema weit über die Grenzen der Ökonomie hinaus. Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts überwog die Überzeugung von Ökonomen, wie Adam Smith und David Ricardo, dass Länder, die mit natürlichen Ressourcen gesegnet seien, schnell wachsen und einen hohen Wohlstand erreichen würden. Erst durch eine verbesserte Möglichkeit der Datenerhebung und Methodik beobachteten Wirtschaftswissenschaftler in den letzten Jahrzehnten, dass ressourcenreiche Länder tendenziell langsamer wachsen als Länder mit weniger natürlichen Ressourcen. Belegt sind solche Daten unter anderem für Japan, Südkorea und die Schweiz, die trotz eines Mangels an natürlichen Ressourcen relativ hohe Wachstumsraten aufweisen und zu den wohlhabendsten Ländern zählen. Im Gegensatz dazu sind Länder wie Mexiko, Nigeria, Venezuela oder teilweise auch die Golfstaaten trotz ihres Ressourcenreichtums ökonomisch abgehängt (vgl. Papyrakis und Gerlagh 2007, S. 1012).

Negative Folgen des Ressourcenfluchs in diesen Regionen sind unter anderem übermäßige Verschuldung, Diktatur und Korruption, politische Instabilität, Vernachlässigung von Bildung, Umweltzerstörung und die Holländische Krankheit (vgl. Bardt 2005, S. 33). Wenn es nach einem Ressourcenboom zu einer Deindustrialisierung kommt, wird dieses wirtschaftliche Phänomen, in Anlehnung an die strukturellen Veränderungen der niederländischen Wirtschaft nach Erschließung großer Erdgasvorkommen in den 1970er Jahren, als Holländische Krankheit bezeichnet (vgl. The Economist 1977, S. 82–83). Allgemein erhöht der Zufluss an Devisenerlösen, basierend auf den Rohstoffexporten, den realen Wechselkurs, wodurch das verarbeitende Gewerbe seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland verliert (vgl. Bardt 2005, S. 38).

Im Sinne der Präferenzordnungen2 ist zunächst intuitiv davon auszugehen, dass Regionen, die mehr Ressourcen haben, wohlhabender sind als Regionen, die keine natürlichen Ressourcen abbauen können. Wenn Rohstoffreichtum durch strukturelle Anpassungen allerdings auf nationaler Ebene ein Problem darstellt, ist davon auszugehen, dass dies auch für die regionale Ebene gilt. Gerade im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen, die zunehmende Umweltverschmutzung, den Klimawandel oder die Globalisierung stellt sich daher die Frage, ob Regionen einen Ressourcenboom fördern oder eindämmen bzw. in andere umweltfreundlichere Bereiche investieren sollten. Dazu ist es wichtig, die ökonomischen Vor- und Nachteile des Abbaus quantifizieren zu können. Auf der einen Seite argumentiert ein Teil der politischen Entscheidungsträger mit einem Trade-off zwischen Wirtschafts- und Umweltinteressen (vgl. Mildenberger und Leiserowitz 2017, S. 801–802). In der Argumentation tragen natürliche Ressourcen wie Öl, Gas oder Kohle maßgeblich zum wirtschaftlichen Wohlstand bei, während ein gewisser Grad an Umweltverschmutzung in Kauf genommen wird. Auf der anderen Seite wurde bereits in einigen Regionen, unter anderem in Deutschland, Frankreich, Kanada, Südafrika oder den USA, hydraulisches Fracking aus Umweltschutzgründen verboten (Rosenbaum 2016) und somit auch auf vermeintlich ökonomische Vorteile des Ressourcenabbaus verzichtet.

Diese Masterarbeit untersucht die Frage, welche lokalen Auswirkungen Ressourcenreichtum auf Regionen innerhalb von Ländern hat. Profitiert eine Region von einem Ressourcenboom oder gibt es einen „Ressourcenfluch“, der durch die Mechanismen der Holländischen Krankheit lokal zu einer Deindustrialisierung führt? Aus dieser Frage ergibt sich die Leitfrage der Masterarbeit: Sollen ressourcenreiche Regionen und ihre Entscheidungsträger am Rohstoffsektor festhalten? In der Arbeit werden lokale Kennzahlen wie Beschäftigung, Löhne und Exporte zur Beantwortung der Leitfrage, sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Sicht, untersucht.

Der Forschungsbereich zu den regionalen Auswirkungen der Holländischen Krankheit hat sich in den letzten Jahren mit dem wachsenden politischen Interesse an der Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Volkswirtschaften gegenüber Wirtschafts- und Finanzkrisen deutlich erweitert (vgl. Boschma, 2015 S. 734). Die regionale Betrachtung der Holländischen Krankheit hat aus wissenschaftlicher Sicht den Vorteil, dass die Regionen innerhalb eines Landes nur geringe Unterschiede bezüglich Sprache, Qualität der Institutionen, kultureller Merkmale und der Geld- oder Fiskalpolitik aufweisen. Damit sind allgemeinere Rückschlüsse möglich und die Forschungsergebnisse nicht nur spezifisch für das Land, in dem eine Fallstudie durchgeführt wird. Die Betrachtung der Holländischen Krankheit auf regionaler Ebene unterscheidet sich dabei von der nationalen Perspektive. Lokale strukturelle Anpassungen erfolgen normalerweise über eine Preisinflation bzw. das Lohnniveau, während Wechselkursmechanismen in diesem Kontext eine untergeordnete Rolle spielen, da Regionen eines Landes die gleiche Währung haben.

Die vorliegende Arbeit verknüpft einen traditionellen Ansatz zur Untersuchung der Holländischen Krankheit mit der regionalen Betrachtung des Phänomens durch die Verwendung eines modernen Ansatzes und stellt damit eine Verbindung zwischen zwei verwandten Forschungsgebieten her. Um die aufgeworfene Leitfrage bewerten zu können, ist die Masterarbeit wie folgt gegliedert: Im zweiten Kapitel werden die Hintergründe der Holländischen Krankheit sowie der aktuelle Forschungsstand vorgestellt und eingeordnet. Im dritten Kapitel wird der theoretische Rahmen dieser Arbeit von zwei Modellen gebildet, die die Aspekte des Strukturwandels nach einem Ressourcenboom analysieren. Neben dem Ressourcenbewegungseffekt und dem Ausgabeneffekt werden so auch Learning by Doing- und Agglomerationseffekte theoretisch hergeleitet. Im vierten Kapitel werden die aus der Theorie abgeleiteten Vorhersagen empirisch untersucht und mit weiteren Studien verglichen. Im fünften Kapitel wird die These bewertet. Mithilfe der Erkenntnisse aus der Beschäftigung mit der Holländischen Krankheit innerhalb von Ländern kann die Leitfrage als Grundlage für politische Handlungsempfehlungen beantwortet werden. Das abschließende Fazit beinhaltet auch eine Motivation zur weitergehenden Beschäftigung mit dem Thema.

2 Wissenschaftlicher Hintergrund

Die Holländische Krankheit ist ein vielfältiges Forschungsgebiet mit interdisziplinären Ansätzen. Zunächst werden die verschiedenen Perspektiven der Literatur zum Ressourcenfluch eingeordnet und die namensgebende Holländische Krankheit anhand der ökonomischen Krise in den Niederlanden in den 50er und 60er Jahren vorgestellt. Daraus wird deutlich, dass das Management der Ressourceneinahmen von entscheidender Bedeutung für die Ausprägung der Krankheitssymptome ist. Im Anschluss wird neben dem aktuellen Forschungsstand auch die methodische Vorgehensweise zur Beantwortung der Leitfrage hergeleitet.

2.1 Die verschiedenen Kanäle des Ressourcenfluchs

Der Begriff „Ressourcenfluch“ wurde erstmals von Richard Auty (1993) in seiner Arbeit zur nachhaltigen Entwicklung der Mineralökonomie erwähnt. Die Ursachen und Folgen des Ressourcenfluchs können in ihrem vollen Umfang nur interdisziplinär erfasst werden. Verschiedene Fachbereiche haben sich bereits mit dem Ressourcenfluch auseinandergesetzt. Interdisziplinäre Ansätze gibt es bisher allerdings nur in geringer Anzahl, was auf die unterschiedlichen Fragestellungen, die die Forscher aus den verschiedenen Disziplinen antreiben, zurückzuführen ist. Während ein Ökonom grundsätzlich eine Frage identifiziert und zu beantworten versucht, geht im Gegensatz dazu ein Anthropologe in der Regel den Fragen nach, um einen Sinn dahinter zu finden, statt konkrete Antworten zu geben (vgl. Gilberthorpe und Papyrakis 2015, S. 3).

Ökonomen und Sozialwissenschaftler wie Politikwissenschaftler, Institutionssoziologen oder Geographen haben sich überwiegend mit den Auswirkungen von Rohstoffreichtum auf der Makroebene beschäftigt. Die Holländische Krankheit ist diesem Zweig zuzuordnen. Die dort entwickelten Theorien liefern einen differenzierteren Rahmen, um die makroökonomischen Auswirkungen des Rohstoffreichtums auf Handelsmuster und Wirtschaftswachstum zu untersuchen (vgl. Gilberthorpe und Papyrakis 2015, S. 6). Ein großer Bereich der Literatur zum Ressourcenfluch beschäftigt sich mit der institutionellen Analyse der politischen Ökonomie auf Makroebene. Vor allem die Sozialwissenschaften befassen sich in diesem Kontext mit der Beziehung zwischen Rohstoffreichtum und nichtwirtschaftlichen Variablen. Anhand dieses Ansatzes wird untersucht, wie Rohstoffe die institutionellen Dimensionen wie Rechtstaatlichkeit oder Korruption die Demokratie und Konflikte beeinflussen oder mit diesen interagieren (vgl. Gilberthorpe und Papyrakis 2015, S. 8). Ein weiterer bedeutender Zweig innerhalb der Literatur befasst sich mit dem Ressourcenfluch auf Mikroebene. Dabei untersuchen vor allem Nichtökonomen die Auswirkungen der Rohstoffindustrie auf die Beziehungen zwischen einzelnen Behörden und Gemeinschaften sowie die kulturellen Merkmale, die das Handeln und die daraus folgenden Ergebnisse bestimmen. Diese Studien untersuchen, wie und warum Prozesse der Ressourcengewinnung bestimmte Arten von Reaktionen hervorrufen (vgl. Gilberthorpe und Papyrakis 2015, S. 14).

Abhängig vom fachlichen Hintergrund der Forscher werden unterschiedliche Forschungsmethoden verwendet, um den Ressourcenfluch zu untersuchen. Ökonomen wenden vermehrt eine länderübergreifende Regressionsanalyse an, um den Zusammenhang zwischen Rohstoffreichtum und einigen Entwicklungsvariablen wie Wirtschaftswachstum, Investitionen, institutioneller Qualität, Konflikte usw. zu untersuchen. Dieser Ansatz unterscheidet sich stark von den durch die Sozialwissenschaftler gewählten Methoden. Die Wahl der Methode beeinflusst maßgeblich auch die Ergebnisse und Erkenntnisse, die aus entsprechenden Studien gewonnen werden können (vgl. Gilberthorpe und Papyrakis 2015, S. 17). Diese Arbeit untersucht die Holländische Krankheit als eine negative Folge des Ressourcenfluchs, wobei im Folgenden vor allem ökonomische Ansätze und Methoden verfolgt werden.

2.2 Ursprung und Bedeutung der Holländischen Krankheit

Entstehung und Verlauf der Holländischen Krankheit lassen sich exemplarisch am namensgebenden Beispiel aus den Niederlanden in den 50er und 60er Jahren darstellen. 1977 wurde erstmals in einem Artikel der britischen Wochenzeitung „The Economist“ die schlechte gesamtwirtschaftliche Situation der Niederlande als „Holländische Krankheit“ (engl. Dutch disease) bezeichnet (vgl. The Economist 1977, S. 82–83). Der Grund für die Tatsache, dass die Niederlande in den späten 50er und frühen 60er Jahren mehr ökonomische Probleme hatten als andere europäische Länder, hängt paradoxerweise auch mit den 1959 entdeckten Gasreserven zusammen. Nach der Entdeckung von Erdgas, einer wertvollen Ressource für den Energiesektor, wertete der niederländische Gulden stark auf. Dies führte zu einer Inflation, die wiederum Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität des Dienstleistungssektors und des verarbeitenden Gewerbes verminderte (vgl. Gylfason 2001, S. 1–2). Der Artikel aus dem Economist (1977) argumentiert, dass die Ursache der Holländischen Krankheit aufgrund von drei Faktoren entstand:

- Die Währung war zu stark. Als das Gas entdeckt wurde, entschied sich die niederländische Regierung für eine schnelle Ausbeutung dieser Ressource. Das führte sowohl zu niedrigen Preisen in der Energieversorgung im Inland als auch bei langfristigen Exportverträgen. Auf diese Weise verbesserte sich die Leistungsbilanz deutlich auf einen durchschnittlichen Überschuss von 2 Mrd. US-Dollar zwischen 1972 und 1976. In diesem Zeitraum wurde die sich verbessernde Kapitalbilanz teilweise durch Kapitalabflüsse ausgeglichen. So waren die Niederlande in den Jahren 1967–1971 noch Empfänger ausländischer Investitionen, während das Land in den Jahren 1972–1976 zum Nettoinvestor im Ausland wurde. Durch diese Kapitalabflüsse konnte verhindert werden, dass die niederländische Industrie ihre Attraktivität für ausländische Importeure verlor. Die verhältnismäßig geringen Abflüsse konnten eine dauerhafte Wertsteigerung des Guldens allerdings nur aufschieben und nicht verhindern. Folglich ging der heimischen industriellen Exportwirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit verloren (vgl. The Economist 1977, S. 82).
- Die Industriekosten stiegen aus den folgenden Gründen erheblich an. Die Wirtschaft kam durch ein neues Mindestlohngesetz, das zu deutlichen Lohnsteigerungen führte, unter Druck. Zusätzlich stiegen die Sozialversicherungsbeiträge deutlich an, während die Vorschriften für Umwelt- und Beschäftigungsstandards verschärft wurden (vgl. The Economist 1977, S. 83).
- Die niederländische Regierung entschied sich dafür, die zusätzlichen Ressourceneinnahmen für Staatsausgaben zu verwenden, die aus ökonomischer Perspektive nicht wachstumsfördernd erschienen. So wurde ein Großteil dieser Ausgaben in Form von Transferzahlungen wie Rente und Arbeitslosengeld getätigt und nicht für Investitionen, wie beispielsweise die Verbesserung des Humankapitals, verwendet (vgl. The Economist 1977, S. 83).

Der Ressourcenboom von 1959 wurde für die Niederlande mit der einsetzenden Deindustrialisierung, also dem Schrumpfen des produzierenden Gewerbes, zum Ressourcenfluch. Es gibt verschiedene weitere Beispiele, an denen man ebenfalls Symptome und Ursachen der Holländischen Krankheit festmachen kann. Sie tritt dabei nicht nur bei Rohstoffreichtum auf. Transferzahlungen, Entwicklungshilfe (Rajan und Subramanian 2005) oder gut gemeinte Solidaritätszahlungen wie die Gelder für den „Aufbau Ost“ können durch die gleichen fundamentalen Mechanismen ebenfalls zu negativen Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Entwicklungen von Regionen oder Ländern führen (Sinn 2001). Das Verständnis über die Mechanismen der Holländischen Krankheit hat auch außerhalb der Wissenschaft für Politik und Gesellschaft eine relevante Bedeutung. Eine intelligente Wirtschaftspolitik stärkt mit gezielten Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit, erhöht die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen und schafft ein hohes Innovations- und Investitionsklima.

2.3 Die Verwendung von Ressourceneinnahmen

Den Gesetzten der Transitivität entsprechend, erscheinen mehr Einnahmen aus natürlichen Ressourcen grundsätzlich besser als weniger Einnahmen. Das Beispiel aus den Niederlanden zeigt jedoch, dass die Verwendung der Ressourceneinnahmen zur Entstehung der Holländischen Krankheit beiträgt. Es stellt sich daher für politische Entscheidungsträger die Frage, wie mit dem Einkommen infolge eines Ressourcenbooms umgegangen werden soll. Die Hartwick-Regel zur Nutzung von Ressourceneinnahmen besagt, dass Erträge aus nicht erneuerbaren Rohstoffen vollständig in Humankapital fließen sollen und nur das verbleibende Nettosozialprodukt für den Konsum freistehen soll (vgl. Hartwick 1977, 972). Darauf aufbauend empfiehlt Joseph Stiglitz (2006, S. 148–149) zur Vermeidung der Holländischen Krankheit auf Länderebene, dass Devisen in Höhe des Leistungsbilanzüberschusses nicht umgetauscht, sondern im Ausland investiert werden sollten.

Die langfristige Betrachtung der optimalen Verwendung von Ressourceneinnahmen auf nationaler Ebene bezieht sich auf deren Auswirkungen auf den realen Wechselkurs sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den nicht ressourcenabhängigen, handeltreibenden Sektor. Die Platzierung von Ressourceneinnahmen in einem Staatsfonds mildert auf der einen Seite die Wechselkurssteigerung und hält damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit vom exportorientierten verarbeitenden Gewerbe hoch. Auf der anderen Seite müssen bei den Entscheidungen über die Verwendung von Ressourceneinnahmen auch politische Probleme gelöst werden. Die Regierungen rohstoffreicher Regionen stehen oft unter Ausgabendruck und tätigen kurzfristige Ausgaben zur Finanzierung von Wahlgeschenken. Dabei sparen sie zumeist keinen ausreichenden Anteil an den zusätzlichen Ressourceneinnahmen. Das Wachstum des nicht handeltreibenden Sektors, die reale Aufwertung des Preisniveaus und der damit verbundene Rückgang des handeltreibenden Sektors können nur dann vermieden werden, wenn ein Staatsfonds keine zusätzlichen Ausgaben für nicht handelbare Waren tätigt (vgl. Van der Ploeg und Venables 2011, S. 27–28).

In der aktuellen Forschung gibt es verschiedene theoretische Konzepte zur optimalen Verwendung von Ressourceneinnahmen, um mögliche negative Folgen wie die Holländische Krankheit zu vermeiden und langfristig zu einem höheren Wachstumspfad zu gelangen. Zu den bekanntesten Theorien gehört die permanente Einkommenshypothese (PIH), die „Bird-in-Hand“-Strategie, die Theorie der optimalen Nutzung der Leistungsbilanz (Sachs 1981) sowie die Entwicklungs-Hypothese (Van der Ploeg und Venables 2011). Um die Ressourceneinnahmen optimal einsetzen zu können, muss festgestellt werden, welche Beträge über welchen Zeitraum zur Verfügung stehen. Anschließend wählen die regionalen Entscheidungsträger die Verwendung der Ressourceneinnahmen. Hier gibt es die Möglichkeit, zum einen in die eigene Binnenwirtschaft zu investieren. Die konkrete Ausgestaltung dieser Aspekte ist stark abhängig von den Strukturen der einzelnen Länder und Regionen, wobei ein gesundes Gleichgewicht zwischen privaten und öffentlichen Inlandsinvestitionen sichergestellt sein sollte. Zum anderen kann das zusätzliche Kapital auch im Ausland durch Erhöhung der Devisenreserven oder über ein Staatsfonds für die zukünftigen Generationen konserviert und vermehrt werden. Es ist zu beachten, dass einkommensstarke Regionen andere Präferenzen haben als Regionen mit einem niedrigen Einkommen (vgl. Van der Ploeg und Venables 2011, S.1–2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Der optimale Verbrauch von Ressourceneinnahmen

Anmerkungen: N= Einkommensstrom

∆C = Anstieg des Konsums

T = Zeit

Quelle: Van der Ploeg und Venables 2011, S. 3.

In Abb. 1 sind die Empfehlungen für die Verwendung von Ressourceneinnahmen der einzelnen Theorien dargestellt. N (rot) veranschaulicht den Einkommensstrom, der zum Zeitpunkt neue Einnahmen aus den natürlichen Ressourcen generiert, die bis konstant fließen und danach abbrechen. Die gestrichelten Linien markieren jeweils den empfohlenen Anstieg des Konsums abgeleitet von den einzelnen Theorien zur optimalen Verwendung von Ressourceneinnahmen. Die horizontale Linie bildet die PIH nach, was einem konstanten und permanenten Anstieg entspricht. Dazu gehört das Sparen bei laufenden Einnahmen und der Aufbau eines Staatsfonds, der groß genug ist, um die Zinsen des Fonds zu decken und den Anstieg des Verbrauchs auf Dauer aufrechtzuerhalten. Die Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds zur Einrichtung und Verwaltung eines Staatsfond (SWF)3 basieren zum Großteil auf der PIH. Ein konservativer Ansatz ist die sogenannte „Bird-in-Hand“-Strategie (vgl. Bjerkholt 2002, S. 9–13), nach der alle Einnahmen in den SWF fließen und der zusätzliche Konsum auf die erzielten Zinsen des Fonds beschränkt ist. Sowohl die PIH- als auch die Bird-in-Hand-Strategie übertragen den größten Teil des möglichen Konsums auf zukünftige Generationen. Dies scheint für Regionen mit hohem Einkommen angemessen zu sein (vgl. Van der Ploeg und Venables 2011, S. 3–4). Für Regionen, in denen Kapital knapp ist, besteht zumeist ein erhöhtes Wachstumspotenzial, was durch PIH und Bird-in-Hand nicht optimal ausgeschöpft werden kann. Ein weiterer, als „Entwicklungsstrategie“ bezeichneter Ansatz greift dieses Problem auf (vgl. Van der Ploeg und Venables 2011, S. 26). Die „Developing“-Kurve gibt die zeitlich optimale Nutzung der Ressourceneinnahmen für eine kapitalarme Wirtschaft an. Befindet sich diese Wirtschaft auf einem steigenden Konsumpfad, können die Ressourceneinnahmen zunächst vermehrt konsumiert werden.

Um die Holländische Krankheit für alle Regionen gleichermaßen einzudämmen, besagen die weiteren Erkenntnisse ergänzend zur Investitionen in das Humankapital fordernden Hartwick-Regel, dass Ressourceneinnahmen grundsätzlich dazu genutzt werden sollen, das Wachstum der ressourcenunabhängigen Sektoren zu befördern.

Investitionen, die in Form einer Kombination aus Investitionen in die Binnenwirtschaft und dem Abbau der Auslandsverschuldung bzw. dem Aufbau von Auslandsvermögen erfolgen, senken zusätzlich den Zinssatz für die heimische Wirtschaft. Dadurch steigt wiederum die Wettbewerbsfähigkeit.

2.4 Aktueller Stand der Forschung

Im Hinblick auf die langfristigen Auswirkungen eines Ressourcenbooms ist die Entwicklung des Wirtschaftswachstums entscheidend für die Existenz der Holländischen Krankheit. Die Fachliteratur zum Wirtschaftswachstum untersucht ausführlich die Veränderung des Produktivitätsniveaus aus verschiedenen Blickwinkeln über verschiedene Sektoren hinweg. So wurde die Veränderung der Produktivität aus zeitlicher Sicht (Baily, et al. 2001), aus der Perspektive der regionalen Wirtschaft (Andersson und Lööf 2011) und mit Blick auf Agglomerationsprozesse (Combes, et al. 2012) gründlich durchleuchtet. Die zeitliche Perspektive bezieht sich hierbei in erster Linie auf die Untersuchung von Konvergenzen und Divergenzen zwischen den Sektoren. Ausgehend von Schumpeters Theorie (1934) zur wirtschaftlichen Entwicklung, beschäftigen sich zahlreiche Studien mit sektorübergreifenden Produktionsunterschieden. Dabei wird die reale Welt durch vereinfachte Modelle des Wirtschaftswachstums mit Konjunkturzyklen und technologischen Veränderungen dargestellt (Fagerberg 2000). In den letzten zwei Jahrzehnten wurden vermehrt Zeitreihenanalyseverfahren zur Bestimmung des Zeitpunkts sektorübergreifender Verzögerungseffekte angewendet. Die Mechanismen und Intensitäten von Agglomerationsprozessen sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Je näher Regionen geographisch zueinander liegen, umso größer sind auch die wirtschaftlichen Abhängigkeiten und Übertragungseffekte (vgl. Funke und Niebuhr 2005, S. 151).

Während sich der überwiegende Teil der bisherigen Forschungsarbeiten mit der Holländischen Krankheit auf Länderebene beschäftigt, gibt es vergleichsweise wenige Untersuchungen, die das Phänomen in einem regionalen Kontext betrachten. Gerade dieser Forschungsbereich weckte zuletzt vermehrt das politische Interesse. Durch neue Erkenntnisse könnte nämlich auch die Widerstandsfähigkeit regionaler Volkswirtschaften erweitert werden. Spezialisierte Regionen gelten als anfälliger gegenüber Krisen im Vergleich zu homogeneren Regionen (vgl. Boschma 2015, S. 737).

Auf Länderebene wird Ressourcenreichtum zu einem „Fluch“, wenn dadurch eine effiziente Allokation der Ressourcen über die verschiedenen Sektoren hinweg verzerrt wird und die Effizienz der Institutionen darunter leidet. Dies wird oft in Entwicklungsländern beobachtet (vgl. Dubé und Polèse 2015, S. 39). In Ländern wie Angola, Russland und Venezuela haben die Jahrzehnte der Ressourcenabhängigkeit dafür gesorgt, dass Produktivität und Einkommen zurückgehen (Mehlum et al. 2006; Oomes und Kalcheva 2007). Sachs und Warner (2001, S. 837) zeigen für den Zeitraum von 1970 bis 1989, dass die Exporte von natürlichen Ressourcen negativ mit dem BIP-Wachstum korrelieren (s. Anhang, Abb. 10). Hoch entwickelte Länder sind ebenfalls von den Symptomen der Holländischen Krankheit betroffen. In Australien führten zwischen 1990 und 2013 höhere Rohstoffpreise sowohl zur Aufwertung des realen Wechselkurses als auch zum relativen Rückgang des verarbeitenden Gewerbes. Diese Form der Deindustrialisierung entspricht den klassischen Symptomen der Holländischen Krankheit. Bei einem Anstieg der realen Rohstoffpreise um 1 % sanken die Sektoren des verarbeitenden Gewerbes im Verhältnis zu den Dienstleistungen in Australien um 0,02 % bis 0,12 % (vgl. Shafiullah et al, 2018, S. 16). Für Kanada kann gezeigt werden, dass mindestens 33 % der Arbeitsplatzverluste innerhalb des verarbeitenden Gewerbes zwischen 2002 und 2007 auf den durch hohe Rohstoffpreise beflügelten kanadischen Dollar zurückführen sind (vgl. Beine et al. 2012, S. 487). Neben Kanada kann auch für Australien ein Verdrängungseffekt sowie ein Rückgang des verarbeitenden Gewerbes nach einem Ressourcenboom beobachtet werden (vgl. Bjørnland und Thorsrud 2016, S. 2251). Für Norwegen gibt es ambivalente Forschungsergebnisse. Brunstad und Dyrstad (1997, S. 89) dokumentieren, dass der norwegische Erdölsektor insgesamt eine schwache Produktionsleistung der gesamten Volkswirtschaft verursacht. Ihre empirischen Ergebnisse zeigen jedoch auch erhebliche Nachfrageeffekte für viele erdölabhängige Berufe. Gylfason (2001, S. 18) entdeckt für Norwegen schwache Anzeichen der Holländischen Krankheit seit Ende der 1990er Jahre. Die wichtigsten Symptome seien stagnierende Exporte, geringe ausländische Direktinvestitionen und das Fehlen von hoch technologisierten Unternehmen in der Fertigungsindustrie. Zehn Jahre später greift Gylfason (2011, S. 10) seine Ideen wieder auf und macht Norwegens Ölexporte für die Verdrängung von rohstoffunabhängigen Exporten im Verhältnis zum BIP verantwortlich. Demgegenüber stehen die Erkenntnisse von Bjørnland und Thorsrud (2016, S. 2251), die belegen, dass der boomende Rohstoffsektor positive Auswirkungen auf die ressourcenunabhängigen Sektoren hat. So könnte die Ausbeutung natürlicher Ressourcen erhebliche Produktivitätsgewinne auch für andere Sektoren nach sich ziehen. Die Erschließung und Entwicklung der Offshore-Ölförderung benötigt häufig komplizierte technische Lösungen. Dies kann unmittelbar als technischer Fortschritt interpretiert werden, was positive externe Effekte für weitere Sektoren erzeugen kann. Als Voraussetzung müssen die Rohstoffsektoren allerdings mit anderen Wirtschaftszweigen in Verbindung stehen, sodass die gesamte Wirtschaft von Learning by Doing-Effekten profitieren kann (vgl. Bjørnland und Thorsrud 2014, S. 4).

Neben der Anwendung von komplexeren Methoden wird die Forschung auf regionaler Ebene vor allem durch die Qualität der erhobenen Datensätze in verschiedenen Regionen erschwert. Die Auswirkungen des Abbaus natürlicher Ressourcen werden zumeist mittels Fallstudien analysiert (vgl. Papyrakis und Raveh 2014, S. 2). Dadurch ist die Vergleichbarkeit von Ergebnissen über Landesgrenzen hinaus reduziert. Obwohl die Fallstudien eine reiche Quelle für deskriptive Statistiken und qualitative Evidenz darstellen, sind sie für kausale Schlussfolgerungen und externe Validität ungeeignet. Ökonometrische Techniken, die räumliche oder zeitliche Variationen innerhalb von Ländern ausnutzen, werden vermehrt genutzt, um kausale Zusammenhänge und Übertragungskanäle der Holländischen Krankheit zu identifizieren. Zur Identifizierung eines Ressourcenbooms benutzen viele Studien Weltpreisschocks, exogene Änderungen in der Politik oder Änderungen in der Produktion bzw. den Ressourceneinnahmen in einem Paneldatensatz. Dabei verwendet eine große Anzahl von Studien Daten, die für höhere Aggregationsebenen auf Kreis-, Bezirks- oder Gemeindeebene erhoben werden (vgl. Cust und Poelhekke 2015, S. 253–254). Weitere Studien verwenden einen Paneldatensatz mit Daten von Staats- oder Provinzebene (vgl. Papyrakis und Raveh, 2014, S. 4). Damit können Variationen der regionalen Variablen sowie deren externe Einflüsse untersucht und verglichen werden.

Die methodischen Ansätze aktueller Studien deuten darauf hin, dass die bisher gängigen Zwei-Sektor-Modelle (Corden und Neary 1982) immer häufger durch allgemeine Gleichgewichtsmodelle (Alcott und Keniston 2017) ersetzt werden. Die aktuelle Forschung zur Holländischen Krankheit stützt sich auf ein Modell des Wirtschaftswachstums der zwei Geschwindigkeiten. Auf der einen Seite befindet sich der schnell wachsende Sektor nicht handelbarer Güter, während der langsam wachsende Sektor die handelbaren Güter umfasst (vgl. Bjørnland und Thorsrud 2016, S. 2223–2224). Die Autoren wenden beispielsweise ein dynamisch bayesianisches Faktoren Modell (BDFM) an, um die Ausstrahlungseffekte des boomenden Energiesektors auf den Nichtölsektor in Norwegen und Australien zu untersuchen und somit die Symptome der Holländischen Krankheit nachzuweisen. Dieser Ansatz hat sich sowohl bei der Untersuchung von indirekten Übertragungseffekten als auch bei der Berücksichtigung von Bewegungen exogener Ressourcen bewährt (vgl. Bjørnland und Thorsrud 2016, S. 2249–2250).

Für die inhaltlichen Überlegungen sind einige Zusammenhänge aus der Forschung über die Mechanismen der Holländischen Krankheit von Bedeutung. In einem der ersten und meistzitierten Modelle zerlegen Corden und Neary (1982) den Mechanismus der Holländischen Krankheit in einen Ressourcenbewegungs- und einen Ausgabeneffekt (siehe Kapitel 3). Hinter beiden Effekten steht die Idee, dass ein Ressourcenboom direkt und indirekt auf den handeltreibenden Sektor wirkt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflusst. Ein Großteil dieses Literaturzweigs basiert auf der Verdrängung des verarbeitenden Gewerbes, unter Berücksichtigung von Externalitäten des Rohstoffsektors durch Learning by Doing (Krugman 1987). Je nachdem in welchem Sektor ein Rohstoffboom stattfindet und in Abhängigkeit vom regionalen Kontext verändern sich auch die Auswirkungen auf den restlichen Teil einer Volkswirtschaft. Von besonderem Interesse bei der Untersuchung der Holländischen Krankheit sind die direkten Kanäle, über die der Abbau von natürlichen Ressourcen die Wirtschaft als Ganzes beeinflussen kann. Der Betrieb von Bergwerken oder Öl- und Gasfeldern kann erhebliche Schocks für eine regionale Wirtschaft darstellen, Arbeitsplätze schaffen und Kapital aus anderen Regionen und Ländern anziehen. Dadurch werden lokale Ausgabeneffekte erzeugt (vgl. Cust und Poelhekke 2015, S. 255–256).

2.5 Methodischer Ansatz

Sollen ressourcenreiche Regionen und ihre Entscheidungsträger am Rohstoffsektor festhalten? Die vorliegende Masterarbeit untersucht diese Leitfrage und analysiert die lokalen Auswirkungen von Ressourcenreichtum bzw. einem Ressourcenboom auf Regionen innerhalb von Ländern. Aus der Leitfrage ergeben sich verschiedene Fragestellungen, die im weiteren Verlauf aus ökonomischer Perspektive erörtert werden. Zunächst stellt sich die Frage, ob eine Region von einem Ressourcenboom profitiert oder ob es auch einen regionalen „Ressourcenfluch“ gibt, der durch die Mechanismen der Holländischen Krankheit lokal zu einer Deindustrialisierung führt. Dazu werden in dieser Arbeit ökonomische Kennzahlen wie Beschäftigung, Löhne, und Exporte auf regionaler Ebene zur Beantwortung der Leitfrage sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Sicht betrachtet. Die vorliegende Arbeit untersucht die Leitfrage mit dem Ziel, aus den Erkenntnissen in einem nächsten Schritt konkrete Handlungsempfehlungen für politische Entscheidungs­träger ableiten zu können. Würde man signifikante empirische Belege dafür finden, dass ressourcenreiche Regionen infolge eines Ressourcenbooms langfristig ein niedrigeres Wirtschaftswachstum aufweisen, wäre die Existenz der Holländischen Krankheit auf regionaler Ebene nachgewiesen und Ressourcenbooms müssten durch die Entscheidungsträger konsequent eingedämmt werden. Aus den vorigen Kapiteln erschließt sich bereits, warum die Holländische Krankheit als ein eigenständiges Phänomen innerhalb der Volkswirtschaftslehre betrachtet wird und die Leitfrage mit Blick auf den aktuellen Stand der Forschung nicht offensichtlich zu beantworten ist, da sich einige Studien teilweise widersprechen. Der Überblick über die Literatur zu den lokalen und regionalen Auswirkungen eines Ressourcenbooms zeigt auch, wie breit dieser Forschungsbereich ist angelegt. Dazu gehören die direkten und indirekten Auswirkungen eines Booms auf die lokalen Arbeitsmärkte, die Wohlfahrt, die Verwendung von zusätzlichen Ressourceneinnahmen sowie regionale Übertragungseffekte und Faktoren, die negative Auswirkungen verhindern. Der Frage, wie und warum ein Ressourcenboom überhaupt zu einer Deindustrialisierung führen kann, wird zunächst aus theoretischer Perspektive nachgegangen. Da sich eine Wirtschaft generell mit der effizienten Nutzung von knappen Ressourcen beschäftigt, sollte man gemäß der mikroökonomisch fundierten Präferenzordnung intuitiv davon ausgehen, dass es immer besser ist, mehr von einer Ressource zu besitzen als weniger. Umso interessanter wird es, wenn dieses Gesetz durch die Mechanismen der Holländischen Krankheit auf den Kopf gestellt wird. Aus dem theoretischen Modellrahmen entstehen verschiedene Vorhersagen zum Ablauf und einzelnen Ereignissen der Holländischen Krankheit innerhalb von Ländern. Im empirischen Teil dieser Arbeit wird versucht, die Theorie mit der Realität abzugleichen und die Vorhersagen mithilfe verschiedener Studien zu quantifizieren. Die empirische Betrachtung der Holländischen Krankheit innerhalb von Ländern geht somit der Frage nach, welche Belege es für die Holländische Krankheit auf regionaler Ebene gibt. Abschließend werden die Erkenntnisse aus Theorie und Empirie zur Bewertung der Leitfrage eingeordnet. Daraus lassen sich verschiedene Instrumente ableiten, die die Symptome der Holländischen Krankheit möglicherweise verhindern oder abmildern können. Der interdisziplinäre Ansatz dieser Arbeit sowie das Zusammenführen verschiedener theoretischer und empirischer Betrachtungen rund um die Holländische Krankheit auf regionaler Ebene ist die besondere Leistung dieser Masterarbeit und kann Ausgangspunkt für eine tiefergehende Analyse des Themas sein.

3 Theoretischer Rahmen

In diesem Kapitel wird ein theoretischer Rahmen entwickelt, der dabei helfen soll, die infolge eines Ressourcenbooms auftretenden ökonomischen Mechanismen des Strukturwandels einer offenen Wirtschaft systematisch zu analysieren. Angelehnt an das Standardmodell von Corden und Neary (1982) mit dem Ressourcenbewegungseffekt und dem Ausgabeneffekt werden die zwei wichtigsten Auswirkungen eines Ressourcenbooms formalisiert. Darauf aufbauend werden verschiedene Ansätze vorgestellt, die auch regionale Übertragungsmechanismen wie Learning by Doing-Effekte und Agglomerationseffekte abbilden. Um den theoretischen Rahmen der Holländischen Krankheit zu erweitern, werden die Effekte gemäß Allcott und Keniston (2017) in einem Modell abgebildet. Die aus den Modellen abgeleiteten Vorhersagen sind die Basis für die empirische Betrachtung der Holländischen Krankheit.

3.1 Die Holländische Krankheit auf Länderebene

Corden und Neary (1982) liefern mit ihrem Ansatz einen übersichtlichen und verständlichen Rahmen zur Analyse der Holländischen Krankheit, der durch einen erweiterten Blick auf die Arbeitsmigration ergänzt wird.

3.1.1 Der Aufbau

Die Analyse der Holländischen Krankheit von Corden und Neary (1982) geht zunächst von einer kleinen, offenen Volkswirtschaft aus, in welcher verschiedene Sektoren jeweils ein Gut herstellen. Neben dem Rohstoffsektor werden innerhalb des Modells der Sektor des verarbeitenden Gewerbes sowie der Dienstleistungssektor betrachtet. Die Erzeugnisse des Rohstoffsektors ( ) und die Produkte des verarbeitenden Sektors sind zu exogen gegebenen Weltmarktpreisen handelbar, während die Preise der nicht handelbaren Dienstleistungen ( ) durch Angebot und Nachfrage im Inland determiniert werden. Es werden zwei wichtige Annahmen getroffen:

- Die erste Annahme besagt, dass monetäre Überlegungen keine Rolle spielen, womit sich die Betrachtung ausschließlich auf die realen Auswirkungen eines Rohstoffbooms bezieht. Folglich ist die Handelsbilanz immer ausgeglichen, während die nationale Produktion immer den Ausgaben entspricht.
- Die zweite Annahme besagt, dass die Märkte für die Produktionsfaktoren, in diesem Fall Arbeit und Kapital, perfekt sind. Daraus folgt, dass die Reallöhne vollkommen flexibel sind, während zu jedem Zeitpunkt die Vollbeschäftigung herrscht.
- Als weitere wichtige Vorbemerkung gilt es festzuhalten, dass der reale Wechselkurs bei Corden und Neary (1982, S. 826) als der relative Preis von nicht handelbaren zu handelbaren Gütern definiert ist.

Die verschiedenen Variationen vom Standardmodell unterscheiden sich vor allem durch Annahmen hinsichtlich der Mobilität der einzelnen Produktionsfaktoren zwischen den drei Sektoren. Die Auswirkungen eines Booms können wie nachfolgend analysiert werden, indem sowohl der Ressourcenbewegungseffekt als auch der Ausgabeneffekt voneinander getrennt betrachtet werden. Weitere erwähnenswerte Faktoren, welche die Auswirkungen des Booms innerhalb dieses Modells beeinflussen, sind die relativen Intensitäten der jeweiligen Produktionsfaktoren.

3.1.2 Der Ressourcenbewegungseffekt

In ressourcenreichen Volkswirtschaften wird ein Ressourcenbewegungseffekt (RME) erwartet, der dafür sorgt, dass der boomende Rohstoffsektor Produktionsfaktoren aus dem verarbeitenden Gewerbe und dem Dienstleistungssektor abzieht. Dieser Effekt führt zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der Exportsektoren. Ob der verarbeitende Sektor überproportional negativ betroffen sein wird, hängt weitgehend von der relativen Exportorientierung des Sektors ab. Die Verschiebung der Produktionsfaktoren erfolgt aufgrund der höheren Grenzproduktivität von Kapital und Arbeit im boomenden Rohstoffsektor im Vergleich zu den anderen Sektoren. Die Verlagerung der Arbeitskräfte von und nach (s. Abb. 2) wird auch „direkte Deindustrialisierung“ genannt. Über den realen Wechselkurs kommt es nun zu mehreren Anpassungen innerhalb einer Volkswirtschaft. Der reale Wechselkurs wird definiert als:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

gibt das Preisniveau nicht handelbarer Güter an, während das Preisniveau von handelbaren Gütern darstellt. Im nicht handeltreibenden Dienstleistungssektor werden die Preise ( ) durch die inländische Nachfrage und das Angebot festgelegt. Die Preise im handeltreibenden Sektor ( ) werden durch das globale Angebot und die Nachfrage bestimmt. Abhängig von der inländischen Nachfrage und dem entsprechenden Angebot importiert oder exportiert ein Land ein bestimmtes Gut. Der Abzug der Produktionsfaktoren von und nach führt zu einer geringeren Produktion sowohl im verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor, was einem Rückgang des inländischen Angebots dieser Güter entspricht. Folglich führt die unveränderte Nachfrage in beiden Sektoren zu einem Nachfrageüberhang, welcher nur durch Importe befriedigt werden kann. Damit der nicht handeltreibende Sektor geräumt wird, muss im Folgenden steigen, was letztendlich zu einer realen Aufwertung des Wechselkurses führt (vgl. Corden und Neary 1982, S. 826).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Der Ressourcenbewegungseffekt

Quelle: Eigene Darstellung nach Mevius 2008, S. 104.

3.1.3 Der Ausgabeneffekt

Ressourcenreiche Volkswirtschaften erfahren nach der Theorie ebenfalls einen Ausgabeneffekt (SE). Der Mitnahmeeffekt von Ressourcen erzeugt einen Einkommensschock, der in der Folge die Preise nicht handelbarer Güter erhöht, da deren Preise im Inland und nicht auf den internationalen Märkten bestimmt werden (vgl. Papyrakis und Raveh 2014, S. 5).

[...]


1 Der französische Originaltext von Jean Bodins Werk „Six livres de la République“ aus dem Jahr 1576 wurde 1606 von Richard Knolles erstmals ins Englische übersetzt und von Gary Bishop in London veröffentlicht. Das angegebene Zitat befindet sich in Buch 5, Kapitel 1 auf Seite 565. Bodin greift dort die Gedanken vom römischen Gelehrten Titus Livius (59 v. Chr.- 19 n. Chr.) auf.

2 Die aus der Mikroökonomie stammenden Präferenzordnungen, geben eine Möglichkeit zur Bewertung von Güterbündeln nach Reflexivität, Transitivität und Vollständigkeit an. Sofern es sich um ein normales Gut handelt, was bei der Ressourcenausstattung angenommen werden kann, implizieren die Axiome, dass eine größere Ausstattung immer mehr Nutzen hat als eine geringere Ausstattung von der gleichen Ressource.

3 Staatsfonds = Sovereign wealth fund (SWF).

Fin de l'extrait de 77 pages

Résumé des informations

Titre
Welche Auswirkungen hat Ressourcenreichtum auf regionaler Ebene? Empfehlungen zur Eindämmung der Holländischen Krankheit
Auteur
Année
2021
Pages
77
N° de catalogue
V902884
ISBN (ebook)
9783963561535
ISBN (Livre)
9783963561542
Langue
allemand
Mots clés
Holländische Krankheit, Dutch Disease, Ressourcenfluch, Ressourcenmanagement, Deindustrialisierung, Ressourcenboom, Ressourcenreichtum, Ressourcenbewegungseffekt, Ausgabeneffekt, WIrtschaftswachstum
Citation du texte
Christian Dobler-Eggers (Auteur), 2021, Welche Auswirkungen hat Ressourcenreichtum auf regionaler Ebene? Empfehlungen zur Eindämmung der Holländischen Krankheit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/902884

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