Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung: Warum körperliche Aktivität gesund ist und sich Menschen dennoch zu wenig bewegen
2. Verhaltensökonomische Ansätze
2.1 Wie entstehen Entscheidungen?
2.2 Wie können Entscheidungen beeinflusst werden?
2.3. Verhaltensökonomische Ansätze
2.3.1 Framing
2.3.2. Anchor points
2.3.3 Habit formation
3. Bewegungsförderung in der Praxis: Welche Ansätze gibt es – welche verhaltensökonomischen Instrumente nutzen sie?
4. Fazit: Wie kann erfolgreiche Bewegungsförderung auf Basis verhaltensökonomischer Ansätze aussehen?
Literaturverzeichnis
Seminararbeit
„Verhaltensökonomische Ansätze in der Bewegungsförderung – Wie bringt man Menschen mit Framing, Habit formation und Anchor points zu mehr Bewegung?“
1. Einleitung: Warum körperliche Aktivität gesund ist und sich Menschen dennoch zu wenig bewegen
Dass ausreichend körperliche Ertüchtigung nicht nur für das persönliche Wohlbefinden bedeutend, sondern auch ein wesentlicher Faktor für das gesundheitliche Wohlergehen ist, ist weitgehend unbestritten: Wie später noch detaillierter ausgeführt wird, bewegen sich Millionen Menschen trotzdem nicht genug – und leiden nicht selten unter daraus resultierenden Krankheiten wie Übergewicht oder Krebs. Diese Arbeit versucht, die Ursachen des weltweiten Bewegungsmangels darzustellen, die verhaltensökonomischen Ansätze von Framing, Habit formation und Anchor points zu skizzieren und anhand konkreter Beispiele aus der Praxis darzulegen, wie diese Ansätze in Policies zur Bewegungsförderung Anwendung finden.
Glaubt man der Weltgesundheitsorganisation (WHO), so ist mangelnde Bewegung die vierthäufigste Todesursache und damit ein vermeidbares Risiko für Millionen Menschen, früher zu sterben. Körperlich aktive Menschen haben ein um bis zu 50% geringeres Risiko, an Herzkreislaufleiden zu erkranken, bei Diabetes (Typ 2) und Brust- und Dickdarmkrebs kann regelmäßige Bewegung das Erkrankungsrisiko um 30% bzw. 40% senken, sowie den Bewegungsapparat in Stand halten und soziale Interaktion fördern.1 Guidelines wie die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Global Recommendations on Physical Acitivity on Health2 zu entnehmen sind, sind jedoch auf nationaler Ebene eher die Ausnahme, vor allem in weniger entwickelten Staaten wird häufig auf die Richtlinien der WHO zurückgegriffen. Die Empfehlungen sind für verschiedene Altersgruppen aufgestellt und beziehen sich auf unterschiedliche Arten der Bewegung: So wird etwa für die Altersgruppe der 5- bis 17-Jährigen Bewegung in Form von Spielen, Sport, Fortbewegung (Fahrrad, Tretroller, etc) oder sonstiger Freizeitgestaltung, sowie regelmäßige mäßig anstrengende Bewegung empfohlen. Dass weder in den USA, noch in europäischen Staaten wie Österreich eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung solchen Empfehlungen folgt, zeigen diverse Statistiken: Für 2014 zeigt etwa die Österreichischen Gesundheitsbefragung3 der Statistik Austria, dass nur 52% der volljährigen Männer (18 bis 64 Jahre) und 49% der Frauen den WHO-Empfehlungen (mind. 150 Minuten sportliche Aktivität in der Freizeit und zweimaliges wöchentliches Training zum Muskelaufbau) gerecht werden.
Trotz der eindeutigen Evidenz, die die Vorteile regelmäßiger Bewegung belegt, bewegt sich also ein Großteil der Menschen nicht genug. Im Folgenden wird ein Erklärungsansatz nach Mayerhofer skizziert, der aus den drei Faktoren4 des Makro- und Mikroumfelds, sowie einer individuellen Ebene besteht: Im Makroumfeld, der am schwersten zu beeinflussenden Ebene, finden sich Aspekte, die sich auf die mittelbare Umwelt von Menschen beziehen, wie Einflüsse aus der „Natur“ des (geographischen) Umfelds, sowie kulturelle Einflüsse: Wer in strukturschwachen Gegenden lebt, hat weniger Unterstützung, sich mehr zu bewegen, auch bewegungsfördernde Freizeitanlagen sind für finanziell schwache Personen schwerer erreichbar als für höhere sozioökonomische Schichten.5 Auch das Mikroumfeld besteht aus der Umwelteinflüssen, die Menschen in ihrem täglichen Leben betreffen: So ist auch der Wohnort von Menschen ein Faktor, der das Ausmaß körperlicher Aktivität beeinflussen kann, auch hinsichtlich der Tatsache, dass ein Großteil der Menschheit in „verbauten“ Städten wohnt, in denen Mobilität meist motorisiert stattfindet und manuelle Tätigkeiten (z.B. Treppensteigen) durch technische Hilfsmittel (Aufzüge) verdrängt werden. Neben dem Umfeld, dass zudem in eine künstliche (Vegetation) und eine erbaute (Parks, Gebäude, Infrastruktur, etc.), sowie eine soziale Umwelt (Einfluss des Verhaltens Anderer) differenziert wird, wird auch auf interpersonelle Beziehungen eingegangen, die zwischenmenschlichen Beziehungen, die sich auf das individuelle Bewegungsverhalten auswirken. Auch auf die Einflüsse auf einer Individuellen Ebene muss eingegangen werden: Solche individuellen Faktoren sind vielfältig und können sowohl als Barriere als auch als Motivator wirken - Wer sich etwa nach einem langen Arbeitstag sehr müde fühlt, wird keinen Sport mehr betreiben, unabhängig vom kulturellen Hintergrund (Makroebene) oder der Erreichbarkeit von Freizeitanlagen (Mikroebene).
2. Verhaltensökonomische Ansätze
2.1 Wie entstehen Entscheidungen?
Dass Menschen sich in vielen Situation für ungesundes und schädliches Verhalten entscheiden, liegt daran, dass sie oft irrationale Entscheidungen treffen - vollkommen rationale Entscheidungen können nur getroffen werden, wenn alle dafür notwendigen Informationen vorliegen und diese ohne eine Überbewertung persönlicher Gefühle und Einstellungen verarbeitet werden.6 Um diese Prozesse zu erklären, kann das Prinzip der Zwei Systeme7 nach Kahnemann herangezogen werden: Dieser Ansatz geht davon aus, dass Denkprozesse grundsätzlich in zwei „Systemen“ stattfinden: System 1 arbeitet weitgehend mühelos und automatisch: Es ist der bewussten Kontrolle nicht zugänglich und funktioniert assoziativ. System 2 ist im Gegensatz zu seinem Gegenstück nicht jederzeit „aktiv“, sondern führt bewusst gesteuerte und logische Denkschritte aus, rationaler und anstrengender als die Arbeit von System 1. Beide Systeme, das emotional-intuitive und das reflektierende, sind aufeinander angewiesen und wirken zusammen bei jeder Entscheidungsfindung mit – lässt sich das nicht bewusst steuerbare System 1 aufgrund seiner intuitiven Funktionsweise jedoch täuschen, kommt es zu einer „Verzerrung“ – und damit nicht selten zu Fehlentscheidungen.8
2.2 Wie können Entscheidungen beeinflusst werden?
Verzerrungen und Heuristiken, also unbewusste Regelwerke, nach denen Entscheidungen mit beschränkten Informationen innerhalb kürzester Zeit getroffen werden, machen menschliche Entscheidungen also nicht nur fehlerhaft, sondern auch bewusst beeinflussbar. Ein verhaltensökonomischer Ansatz9, der sich auf das „sanfte“ Beeinflussen von Entscheidungsfindungen – persönliche Fehlentscheidungen können auch Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft haben - stützt, ist das Nudgings (von engl. „to nudge“ = „anstupsen“ oder „anstoßen“). Nudging kommt ohne formal-juristische Instrumente wie Gesetze oder (weniger formalen) Informations-Kampagnen aus und zielt stattdessen auf die psychologische Beschaffenheit des Menschen ab, um Verhaltensänderungen zu erzielen: Dort wo irrationale Entscheidungen getroffen werden, kann der „Anstupser“, i.d.R. der Staat, eingreifen und auf eine „sanfte“ Weise eine Verhaltensänderung bewirken. Die Wahl- und Entscheidungsfreiheit bleibt dabei grundsätzlich bestehen – auch wenn hinterfragt werden kann, ob dem wirklich so ist, und ob der „Anstupser“, der Anwender des Nudges wirklich weiß, was „das Beste“ für die Personen ist, bei denen der „Nudge“ angewendet wird. Die großen Vorteile des Nudgings: Es ist meist effektiver und kostengünstiger10 anzuwenden als andere Konzepte und kommt ohne große Bürokratie und Zwangsmaßnahmen11 aus.
2.3. Verhaltensökonomische Ansätze
2.3.1 Framing
Das Framing ist unter den hier behandelten verhaltensökonomischen Ansätzen derjenige, zu dem bereits am meisten Forschung betrieben wurde. Obwohl zum Framing kein kohärentes Theoriegebäude existiert, kann man zusammenfassend sagen, dass es beim Framing (zu Deutsch „Einrahmen“) um das selektive Hervorheben von Informationen geht.12 Nach Entmann13 besteht ein Frame aus vier Komponenten: Der Problemdefinition (Welche Akteure sind relevant und welche Informationen sollen vermittelt werden?), der Ursachenzuschreibung (Wer ist für den Zustand verantwortlich?), einem Lösungsvorschlag, verbunden mit einer Handlungsaufforderung (Wer soll auf welche Weise handeln?) und einer expliziten Bewertung des Phänomens (Wie schlecht ist das Problem?). Frames werden grundsätzlich in Äquivalenz- (Gewinn- und Verlustframes) und Betonungsframes (emphasis frames)14 differenziert: Bei Ersterem geht es um die Einrahmung einer Botschaft mit einer Gewinn- oder Verlustmöglichkeit: So kann man einen Joghurt mit „10 Prozent Fett“ bewerben (Verlustframe), aber auch mit „90 Prozent Fettfrei“ (Gewinnframe) – obwohl inhaltlich identisch, wird das mit dem Gewinnframe beworbene Produkt mit der positiv formulierten Aussage von den Kunden bevorzugt. Beim Betonungsframe werden bestimmte Aspekte besonders hervorgehoben, während andere kaum bis nicht betont werden – diese Framing-Form ist vor allem als „journalistisches Framing“ bekannt. In der Gesundheitskommunikation, zu der auch das Framing im Bereich der Bewegungsförderung gehört, wird bevorzugt von Gewinn- und Verlustframes Gebrauch gemacht. Ob Botschaften erfolgreicher sind, wenn sie als Verlust- oder Gewinnbotschaft konstruiert werden, ist trotz diverser Forschungsergebnisse umstritten. Tversky und Kahnemann15 unterscheiden zwischen einem risikoreichen feststellendem (z.B. Vorsorgeuntersuchungen) und einem eher risikoarmen präventivem (Sport, gesunde Ernährung, etc.) Verhalten. Trotz unübersichtlicher Studienlage scheint sich der Gewinnframe gegenüber dem Verlustframe in der Gesundheitskommunikation durchzusetzen, vor allem um präventives Verhalten vonseiten der Rezipienten zu erreichen.
2.3.2. Anchor points
Verzerrungen ereignen sich auch, wenn Menschen einen bestimmten Inhalt für ein Ereignis oder eine Einschätzung erwogen haben, bevor sie geschätzt haben: Anchor points (Ankerpunkte) sind im Vorhinein „angebotene“ Inhalte, an denen sich Menschen orientieren – Auf die Frage „War Mahatma Ghandi älter oder jünger als 144 Jahre als er starb?“, werden sich zwar die wenigsten Menschen für erstere Option entscheiden (älter als 144), bei der anschließenden Frage „Wie alt war Mahatma Ghandi, als er starb?“, werden sich die Befragten jedoch unbewusst am „Anker“, der angebotenen Zahl von 144 Jahren, orientieren und Ghandis Alter bei seinem Tod deutlich überschätzen.16 Die (unbewusste) Suggestion der Anchor points kann als Priming-Effekt verstanden werden: Es werden automatisch Informationen abgerufen, die zu den angebotenen Informationen passen: Daniel Kahnemann spricht hier von einer „Assoziationsmaschine“17, die einen selektiv passenden Eindruck erzeugt – Im Beispiel der Ghandi-Frage wird durch den Ankerpunkt der „144 Jahre“ die Vorstellung von einem sehr alten Mann hervorgerufen. Im anderen Fall stößt der Ankerpunkt einen bewussten Denkprozess, der ein logisch begründbares Ergebnis anstrebt, an (Anpassungsheuristik). Das Prinzip der Ankerpunkte ist effektiv: Willkürlich gesetzte Anker haben laut Kahnemann nicht weniger Einfluss als „echte Informationen“.
2.3.3 Habit formation
Auch für das Prinzip der Habit formation (übersetzt etwa „Gewohnheitsbildung“) kann kein einheitliches und komplettes theoretisches Konzept dargelegt werden, es handelt sich um ein Konstrukt aus komplexen (neuropsychologischen) Prozessen, dass vor allem Forschungsgegenstand der Psychologie ist. Trotz der sich unterscheidenden Definitionen findet sich bei den Näherungsversuchen stets eine Gemeinsamkeit: Im Fokus stehen die Vorgänge rund um das Lernen und die Bestätigung des erlernten Verhaltens – Verhaltensweisen werden vor allem in der Kindheit erlernt, können aber auch im Erwachsenenalter angeeignet werden und durch Bestätigung des Verhaltens bzw. Sanktionierung von abweichendem Verhalten gefestigt werden. Auch die eigene Vergangenheit, in der Verhaltensweisen gebildet wurden, kann als Anchor point fungieren.18 Ein häufig genanntes Beispiel zu einer solchen Habit formation ist das von Kindern erwartete Verhalten in der Schule: Sind Vierjährige noch recht bewegungsfreudig, müssen sie bereits nach der Einschulung lernen, stundenlang stillzusitzen – tun sie dies nicht, haben sie Sanktionen zu erwarten, während das Stillsitzen und die mangelnde Bewegung durch fehlende Sanktionen bzw. Belobigungen bestärkt wird.
[...]
1 Vgl. Mayerhofer, Manuel (2016): Nudging Physical Acitivity: Ein Stups zu mehr Bewegung? Wien, Masterarbeit WU Wien, S. 3
2 Vgl. World Health Organization (2010): Global Recommendations on Physical Acitvity on Health, Genf, online unter: https://bit.ly/2EFvtlZ, aufgerufen am 21.12.2019
3 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit; Statistik Austria: Österreichische Gesundheitsbefragung 2014. Hauptergebnisse des Austrian Health Interview Survey (ATHIS) und methodische Dokumentation, S. 37, online unter: https://bit.ly/2ShRn6A, aufgerufen am 21.12.2019
4 Vgl. Mayerhofer, Manuel (2016): Nudging Physical Activity: Ein Stups zu mehr Bewegung? Wien, Masterarbeit WU Wien, S. 5-7
5 Vgl. Douglas, Margaret J.; Watkins, Stephen J., et al. (2011): Are Cars the New Tobacco?, in: Journal Public Health Vol. 33(2), S. 160-169, online unter: https://doi.org/10.1093/pubmed/fdr032, aufgerufen am 22.12.2019
6 Vgl. Thaler, Richard H.; Sunstein, Cass R. (2011): Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt, Berlin, Ullstein Buchverlage
7 Vgl. Kahnemann, Daniel (2012, 2. Aufl.): Schnelles Denken, langsames Denken, München, Siedler Verlag, S. 33
8 Vgl. Kahnemann, Daniel (2012, 2. Aufl.): Schnelles Denken, langsames Denken, München, Siedler Verlag, S. 42
9 Vgl. Mayerhofer, Manuel (2016): Nudging Physical Activity: Ein Stups zu mehr Bewegung? Wien, Masterarbeit WU Wien, S. 16-19
10 Vgl. Marteu, Theresa M.; Ogilvie, David, et al. (2011): Judging Nudging. Can Nudging Improve Poupulation Health?, in: BMJ (clinical research ed., Vol. 342(d228)
11 Vgl. Vgl. Thaler, Richard H.; Sunstein, Cass R. (2011): Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt, Berlin, Ullstein Buchverlage, S. 26-27
12 Vgl. Matthes, Jörg (2014): Framing, in: Rössler, Patrick; Brosius, Hans-Bernd: Konzepte. Ansätze der Medien- und Kommunikationswissenschaft, Baden-Baden, Nomos, S.9
13 Vgl. Entmann, Robert (1993): Framing: toward clarification of a fractured paradigm, in: Journal of Communication, Vol. 47(4), S. 51-58
14 Vgl. Matthes, Jörg; von Sikorski, Christian: Framing-Effekte im Gesundheitsbereich, in: Rossmann, Costanze; Hastall, Matthias R. (2019): Handbuch der Gesundheitskommunikation, Wiesbaden, Springer VS, S.2-3
15 Vgl. Tversky, Amos; Kahneman, Daniel (1981). The framing of decisions and the psychology of choice. in: Science, Vol. 211(4481), S. 453–458.
16 Vgl. Kahnemann, Daniel (2012, 2. Aufl.): Schnelles Denken, langsames Denken, München, Siedler Verlag, S. 155
17 Vgl. S.o., S. 156
18 Vgl. Zimmermann, Frederik (2009): Using behavioral economics to promote physical activity, in: Prev Med., Vol. 49 (4), Los Angeles, Department of Health Services, UCLA School of Public Health