Das Verhältnis von Sprache und Macht

Etablierung, Legitimation, Stabilisation und Infragestellung von Machtstrukturen durch Sprache


Essay, 2019

12 Seiten


Leseprobe


„ Language is never innocent. “ (Roland Barthes)

Den uns umgebenden Worten liegt eine Kraft aber auch eine gewisse Macht inne, welche erst dann sichtbar wird, wenn sie etwas auslösen. Sie besitzen die Stärke oftmals völlig ungeahnte Auswirkungen auf das Leben der Menschen und auf den Menschen selbst vorzunehmen. 1 Die Thematisierung der Zusammengehörigkeit von „Sprache und Macht“ ist in der germanistischen Linguistik hinsichtlich mehrerer Perspektiven zugänglich. Sei es die Diskursanalyse, framesemantische Auslegungen oder die Politolinguistik - alle Perspektiven inkludieren ein gemeinsames Interesse: Wie wird Sprache als Machtinstrument eingesetzt? Wie gestaltet sich die Etablierung, Legitimation, Stabilisation und letztlich auch Infragestellung von Machtstrukturen durch Sprache? Wie stellen sich solche Machtstrukturen im Sprachgebrauch dar? Welche gesellschaftlich bedeutsamen Angelegenheiten werden unter dem Zusammenhang von „Sprache und Macht“ diskutiert? Sprache ist demnach viel mehr als ein bloßes Mittel der Kommunikation, sondern ebenso ein facettenreiches Instrument sozialen Handelns und der Ausübung von Gewalt. Die folgende Ausarbeitung soll sich anhand dreier Perspektiven dem Verhältnis von Sprache und Macht widmen.

Paul Mecheril und Thomas Quehl schließen das Verhältnis von Sprache und Macht im Begriff der Mehrsprachigkeit, also in einem migrations- pädagogischen Zusammenhang, ein. Dahingehend beschreiben sie eine grundsätzlich subjektivierende Wirkung von Sprache und Spracherwerb.

Wer eine Sprache spricht, verfügt über bedeutsame Mittel, auf soziale, technisch- praktische oder abstrakte Gegenstände bezogene Lernprozesse individuell und kommunikativ zu gestalten und zu reorganisieren.2

Mecheril und Quehl thematisieren also gewisse Mittel des Kommunizierens und des Lernens, welche hinsichtlich des Verhältnisses von Sprache und Macht aus differierenden Perspektiven erläutert und diskutiert werden können. Hierbei werden nicht nur die Sprache und die damit einhergehende Handlungsfähigkeit, sondern auch ermächtigende und einschränkende Praxen der Kommunikation, sowie das Verhältnis von dominanten und nachrangigen Sprachen berücksichtigt. Wie bereits erwähnt bildet eine grundsätzlich subjektivierende Wirkung von Sprache den Ausgangspunkt der Auslegungen Mecherils und Quehls. Sprache ist demnach bedeutungstragend „für den in sozialen Anerkennungsverhältnissen gründenden Subjektstatus derer, die der Sprache mächtig sind, und derer, denen Sprachvermögen zugestanden wird.“3 Die somit zugrundeliegende facettenreiche und subjektive Sprachwirklichkeit unterliegt einer grundlegenden sprachlichen Lebensform der Einzelnen. Diese als differenziert, individuell und fragmentiert anzusehenden Sprachstile werden „im Prozess sprachlicher Bemächtigung durch das Individuum (re-)produziert“4, also angeeignet, ausgelegt, umgestaltet, spezifiziert und somit dynamisiert. Diese heterogenen sprachlichen Lebensformen sollen letztlich den Einzelnen befähigen sozial- sprachlich bzw. sprachlich- kulturell und somit identitätsstiftend zu Handeln, um die „eigene Sprache zu finden, die sie für die anderen und für sich selbst identifizierbar macht.“5 Im Sinne dessen ist Sprache die Bedingung von sozialer Teilhabe indem sie Gemeinschaft stiftet. Andererseits muss dabei auch erwähnt werden, dass der Prozess der Subjektivierung sowohl als „Ermächtigung durch Unterwerfung sowie als Unterwerfung durch Ermächtigung verstanden werden“6 kann. Dies gründet sich darin, dass der/ die Einzelne sich eine subjektive sprachliche Lebensform aneignet und dieser schlussendlich unterworfen ist, da die Sprache und das Sprechen an sich eine Vielzahl an Handlungsvermögen, sowie auf Sprach- und Sprechkompetenz bezogene Selbst- und Weltverständnisse immer weiter einschränken.7 Doch für Mecheril und Quehl steht weniger die Unterwerfung durch Sprache, sondern die Handlungsmacht dieser im Vordergrund.

Denn gesprochene, dann auch geschriebene Sprache muss in einem bildungstheoretischen Sinne als bedeutender Weg der Erschließung von Welt und immer neuer Welten verstanden werden, in denen die Einzelne sich immer wieder neu erfährt und erschließt.8

Hinsichtlich der Handlungsfähigkeit durch Sprache wächst und nuanciert sich die individuelle Sprachpraxis und befähigt den Einzelnen/ die Einzelne zum Kommunikationsvermögen und zur Identitätsdarstellung, um sich sozial und gesellschaftlich abzubilden. Weiterführend muss aber angemerkt werden, dass oft verkannt wird, inwieweit unterschiedlichen Sprachvarianten andersartige Werte der Anerkennung zugeordnet werden. Wer dies nämlich nicht erkennt, „verkennt das sozialpraktische und hegemoniale Wesen der Sprache und bestätigt es dadurch.“9 Hierdurch wird erst die zweite bedeutsame Facette der Auslegungen von Mecheril und Quehl deutlich: „Sprache stellt einen Raum und ein Medium sozialer Distinktion dar. Mit Sprache werden soziale Unterschiede ausgedrückt und produziert (...).“10 Indem anhand sprachlicher Lebensformen also differierende Anerkennung durch gesellschaftliche Abstufungen zum Ausdruck kommt, muss festgehalten werden, dass laut Mecheril und Quehl nicht nur die traditionelle Ausbildung von Sprachkompetenzen, sondern ebenso die daran anknüpfende Legitimität deren Gebrauchs im Vordergrund stehen muss. Das Aneignen einer individualisierten sprachlichen Wirklichkeit ist demnach an „gesellschaftliche Voraussetzungen, Möglichkeiten und Restriktionen konkreter sprachlicher Produktionssituationen“ 11 gebunden. Indem das Sprechen demzufolge an die eigentliche Befugnis, soziale Position und Gebrauchsweise der Einzelnen geknüpft ist, wirkt die Macht der Sprache hierbei in der Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Sprachpraxen. 12 Um die angesprochene subjektivierende Wirkung durch Sprache weiterführend zu vertiefen, muss angeführt werden, dass es sich dabei stets um eine zum Ausdruck kommende gesellschaftliche Positionierung handelt, welche ein gewisses Maß an Anerkennung und Prestige mit sich zieht. Besonders im Kontext Schule wird sich auf ein legitim geltendes Sprachvermögen fokussiert, welches aber wohl kaum der alltagsweltlichen Sprachwirklichkeit der Schüler*innen entspricht. Mit dieser legitimen Sprache werden „differenzielle Ansprachen verknüpft, die bestehende Unterschiede zwischen den Sprechweisen der Schüler bestätigen, bekräftigen und in soziale Ungleichheiten verwandeln bzw. bestehende soziale Ungleichheiten ratifizieren.“ 13 Doch für Schüler*innen, beispielhaft für Kinder mit Migrationshintergrund, stellt es sich häufig als benachteiligend und demoralisierend dar, wenn sie nicht über gewisse erwartete Ressourcen verfügen. Genau dann werden gesellschaftliche Ungleichheiten, beispielsweise aufgrund von sprachlichen Differenzen, reproduziert und verfestigt.

Die Schule hat es also erstens mit einer Vielfalt gesellschaftliche Positionen repräsentierender Sprachweisen zu tun und sie ist zweitens ein zentrales Moment des Systems, das den verschiedenen Sprach- und Sprechweisen unterschiedliche Werte der Anerkennung zuordnet.14

Jedoch führt diese Differenzierung zwischen legitimen und illegitimen Sprachpraxen im Kontext Schule die Schüler*innen in bedeutungstragende, gesellschaftlich wirksam werdende und strukturierende Unterscheidungen ein. Anhand dieser Hervorbringung lässt sich erkennen: „Das legitime Sprechen hat eine Farbe, einen Körper und eine kulturelle Physiognomie.“15 Die körperhafte Zuschreibung legitimen Sprechens bildet den „Träger inkorporierter Sprachgeschichten“ 16 und Zusammenhängen, welche sich aufgrund von Erfahrung herausbilden. Letztlich besteht das Machtphänomen der Sprache darin, „dass Sprache und Sprechen die Einzelnen dem Regime illegitimen/ legitimen Sprechens unterwerfen und sie im Rahmen dieses Regimes ermächtigen.“ 17 Aus diesem zweiten Gesichtspunkt der Untersuchung des Verhältnisses von Sprache und Macht lässt sich demnach die Macht verständlich darstellen, indem in und mit Sprache eine Differenzierung hinsichtlich der Legitimität der Gebrauchsweisen geschaffen wird, welche sprachliche Varietäten und Register kennt, die systematisch mit Ansehen und Prestige versehen werden.

Die Macht von Sprache verweist weiterhin darauf, dass die Verteilung von Prestige, Ansehen und Privilegien unter Bedingungen von Mehrsprachigkeit das differenzielle Ausmaß an Wertschätzung betrifft, das den unterschiedlichen Sprachen der Migrationsgesellschaft zuteil wird.18

Diese dritte Facette der Auslegungen Mecherils und Quehls gestaltet sich in Bezugnahme auf das eigentliche Sprachvermögen der Einzelnen, also auf das Vermögen die durch gesellschaftliche Kontexte etablierte legitime Sprache sprechen zu können. Von Schüler*innen mit Migrationshintergrund fordert dies demnach das Beherrschen der offiziell anerkannten legitimen Sprache und Sprechweise um eine gewisse gesellschaftliche Teilhabe im Zielsprachenland erreichen zu können. Bildung soll dabei eine allgemeingültig umfassende Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe an Strukturen und Prozessen herbeiführen, die zur Handlungsfähigkeit des Einzelnen beiträgt.19 Doch trotz dieses universalisierenden Anspruchs des demokratischen Bildungssystems werden „unter der Maxime der Gleichberechtigung und Chancengleichheit zwar gleiche Ausgangsbedingungen im Bildungssystem zur Verfügung gestellt (...)“20, welche aber gerade zur Reproduktion von Diversitäten beitragen, indem Schüler*innen mit Migrationshintergrund eine „Schlechter-Stellung“ durch die Lehrkraft erfahren. Es sollte jedoch die Aufgabe des Bildungssystems sein die Zuweisung zu schlechteren Positionen aufzubrechen und Schüler*innen mit Migrationshintergrund, anhand der Wahrnehmung und Anerkennung deren Verfassung, eine Teilhabe und Partizipation an gesellschaftlicher Wirklichkeit zu ermöglichen.

Hinsichtlich eines andersartigen Begreifens des Verhältnisses zwischen Sprache und Macht widmen sich Hannes Kuch und Steffen Kitty Herrmann dem symbolischen Gehalt und der damit einhergehenden Verletzbarkeit und Gewalt von Sprache. Dabei wird nicht die bloße Verletzung des Körpers, sondern die des sozialen Seins thematisiert, welche mit Verachtung, Geringschätzung bzw. Herabsetzung der Betroffenen einhergeht. „Unsere These lautet, dass das Verletzende dieser Gewalt in der Verletzung der sozialen Existenz von Menschen besteht.“21 Diese Verletzungsoffenheit gegenüber sprachlicher Gewalt postuliert sich dadurch, dass Menschen sprachliche Wesen sind, welche in und durch Sprache existieren, sodass „ihre Existenz aus Sprache gestrickt ist.“22 Dabei nehmen Adressierung und Ansprache, Aspekte der Anerkennung, der symbolische Charakter des Gesagten, sowie das bloße Faktum des Kommunizierens Einfluss darauf wie wir durch Sprache zu einzigartig, individuellen und sozialen Wesen werden. Die Verletzbarkeit durch Sprache geht mit abwertenden Äußerungen einher, welche alles andere als „bloße Worte“ sind und vielmehr eine soziale „Herabsetzung, Erniedrigung oder Abwertung“23 zum Ausdruck bringen. Die Macht der Sprache drückt demnach laut Kuch und Hermann eine „Logik sozialer Ortsverschiebungen“ 24 aus, indem sich der soziale Status einer Person einem Wandel unterzieht. Das Prekäre dieser Verletzung durch Sprache wird zunehmend deutlich, indem dies soweit führen kann, „das[s] wir ganz aus dem Spiel von Ansprache und Antwort ausgeschlossen, nicht mehr

[...]


1 vgl. Eicher, Hans: Die verblüffende Macht der Sprache. Was sie mit Worten auslösen oder verhindern und was ihr Sprachverhalten verrät. Wiesbaden: Springer 2018, S. 3.

2 Mecheril, Paul, Thomas Quehl: Sprache und Macht. Theoretische Facetten eines (migrations-)pädagogischen Zusammenhangs. In: Mecheril, Paul, Thomas Quehl (Hrsg.): Die Macht der Sprachen. Englische Perspektiven auf die mehrsprachige Schule. Münster: Waxmann 2006, S. 355- 381, hier: S. 356.

3 Ebd.

4 Ebd., S. 357.

5 Ebd., S. 358.

6 Ebd.

7 vgl. Ebd.

8 Ebd., S. 359.

9 Ebd., S. 360. Ebd.

10 Ebd., S. 361. vgl.

11 Ebd.

12 Ebd., S. 363.

13 Ebd., S. 364.

14 Ebd., S. 365.

15 Ebd.

16 Ebd.

17 Ebd.

18 Ebd.

19 Ebd., S. 366.

20 vgl. Ebd., S. 367.

21 Kuch, Hannes, Steffen Kitty Hermann: Symbolische Verletzbarkeit und sprachliche Gewalt. In: Hermann, Steffen Kitty (Hrsg.), Sybille Krämer, Hannes Kuch: Verletzende Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung. Bielefeld: transcript Verlag 2007, S. 179-210, hier: S. 181.

22 Ebd.

23 Ebd., S. 192.

24 Ebd., S. 192.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Das Verhältnis von Sprache und Macht
Untertitel
Etablierung, Legitimation, Stabilisation und Infragestellung von Machtstrukturen durch Sprache
Autor
Jahr
2019
Seiten
12
Katalognummer
V904776
ISBN (eBook)
9783346198853
ISBN (Buch)
9783346198860
Sprache
Deutsch
Schlagworte
macht, sprache
Arbeit zitieren
Helene Fraas (Autor:in), 2019, Das Verhältnis von Sprache und Macht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/904776

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