Todesbilder im "Tatort". Die Darstellung des Todes und die Inszenierung von Leichen im "Tatort"


Seminararbeit, 2018

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Allgegenwart des Todes im Fernsehen

2. Der reale Tod im Kontext der Lebenswelt

3. Der mediale Tod im Kontext der Lebenswelt

4. Die Entwicklung der audiovisuellen Darstellungsformen des Todes im Tatort
4.1 Anzahl der Sequenzen
4.2 Abfilmungsarten
4.3 Einstellungsgrößen
4.4 Leichenrequisiten
4.5 Lichtgestaltung
4.6 Musik
4.7 Orte der Leichendarstellung
4.7.1 Der Friedhof
4.7.2 Rechtsmedizin und Pathologie

5. Der Zusammenhang von medialem Totenboom und struktureller Verdrängung des Todes

6. Analyse der Leichendarstellung in Tatorten der fünften Dekade (2011-2020) an zwei Bei spielen
6.1 Tatort „Mitgehangen“ – 18.03.18
6.1.1 Abfilmungsarten und Anzahl der Sequenzen
6.1.2 Lichtgestaltung und Requisiten
6.2 Tatort „Meta“ – 18.02.2018

7. „Lammerts Leichen“

1. Allgegenwart des Todes im Fernsehen

„Death sells“1 - Der Tod ist in der heutigen Zeit eines der präsentesten Themen in den Massenmedien. Berichterstattungen über das Ableben prominenter Persönlich-keiten, Fotos aus Krisen- und Katastrophengebieten oder Mordberichte sind alltäg-lich in den Nachrichten. Auch in fiktionalen Medienbeiträgen, im Fernsehen oder Kino, egal ob in Spielfilmen, TV-Serien oder auch Dokumentationen, kommt fast keine Erzählung mehr ohne den Tod aus, er ist allgegenwärtig. Besonders zu Beginn eines Filmes oder einer Folge einer Serie wird der Tod von Regisseuren und Dreh-buchautoren sehr gerne als dramatischer Einstieg verwendet, ein Mittel um Zu-schauer anzuziehen, ihr Interesse zu wecken und sie zu binden. Warum das auch bestens funktioniert, wird in einem späteren Teil dieser Arbeit noch erklärt Eine deutsche Fernsehkrimireihe des ARD, in der der Tod – wenn auch meist der gewaltsam herbeigeführte - das zentrale Thema fast jeder Folge ist, ist der Tatort. 1970 erstmals gesendet ist der Tatort die am längsten laufende Kriminalreihe in Deutsch-land – und auch eine der populärsten und beliebtesten. Durch verschiedene Drehorte und wechselnde Ermittlerteams findet fast jeder Zuschauer einen Tatort, der ihm zu-sagt. Die einzelnen Folgen dieser Reihe drehen sich darum, einen oder auch mehrere Morde aufzuklären. In den 35 neuen Erstausstrahlungen der Krimireihe im Jahr 2017 wurden insgesamt 85 Leichen präsentiert. Den bisherigen Rekord für die meisten Leichen hält mit 162 Opfern das Tatort -Jahr 2016.2 In der folgenden Arbeit wird die Darstellung des Todes und insbesondere der Leichen sowie der Wandel dieser Insze-nierung im Tatort genauer erläutert und analysiert.

2. Der reale Tod im Kontext der Lebenswelt

Als Lebenswelt wird das Wissen von der Welt bezeichnet. Der Umgang mit Sterben und Tod in der Gesellschaft und das Todesbewusstsein der Menschen verändert sich stets. Umstände, die auf diese Veränderung direkte Auswirkung haben, sind „Pro-zesse der Privatisierung, Institutionalisierung, Technologisierung, Hospitalisierung und Individualisierung der Todeserfahrung“3.

Stephan Völlmicke vertritt die Meinung, Technologisierung und die naturwissen-schaftlichen und medizinischen Fortschritte beeinflussen das Todesverständnis der heutigen Gesellschaft nachhaltig und würden eine extreme Versachlichung des Todes und des Lebens in Gang setzen. Über die letzten Jahre habe sich eine „wissenschaftlich technische Rationalität“4 im Umgang mit diesen Themen entwi-ckelt, wodurch laut dem Autor eine „Reduzierung des sterbenden Menschen auf seine physische Disposition generiert“5 - der Tod sei für viele nur noch das biologische Ende.6

Darüber hinaus sagt er, der Tod werde heutzutage immer öfter aus der Öffentlichkeit gedrängt, der Prozess des Sterbens werde häufig verlagert in Krankenhäuser und Pfle-geeinrichtungen, die oft mit der Bürokratisierung und Institutionalisierung des Todes verbunden werden. Diese Institutionen werden dadurch gezwungenermaßen zum Ort des Sterbens, etwa 80% der Menschen sterben in solchen oder ähnlichen Ein-richtungen. Diese Entwicklung hat Völlmicke nach außerdem zur Folge, dass viele Hinterbliebene das Sterben nicht selbst miterleben, da selbst nach dem Tod die Lei-che von professionell Ausgebildeten für die Beerdigung oder Trauerfeier vorbereitet wird.7 Auch wenn der persönliche Kontakt zu den Toten oft nicht gewünscht wird, wird Völlmicke zufolge den Angehörigen und Freunden damit häufig „die konkrete Wirklichkeit des Todes und des toten Körpers […] entzogen“8.

Des Weiteren spricht der Autor von einem Wandel bei der Gestaltung von Trauer-feiern und -ritualen, der eine „Privatisierung der Trauer und des Todes“9 markiere und vorantreibe. Früher wurde in größeren Gemeinschaften getrauert, in einer Ge-meinde gab es geregelte Traditionen und Bräuche für die Trauerfeier. Für enge Ver-wandte gab es spezielle Kleidervorschriften und Verhaltensweisen, an die sich in der Zeit nach dem Verlust gehalten wurde. Inzwischen werde der Umgang mit dem Tod eines Menschen sowie die Trauer aus der Öffentlichkeit weitestgehend herausgehal-ten und auf das private Umfeld, oft auf den engsten Familienkreis beschränkt.10 „Ge-storben wird nicht mehr in der Öffentlichkeit […] man sieht das Sterben nicht“11. Durch die Exklusion des Todes aus dem öffentlichen Raum werde der Tod zu einer Privatsache gemacht und es sei nicht mehr erwünscht, dass er für alle sichtbar ist. Zusammengefasst bezeichnet Stephan Völlmicke all diese Veränderungen als die „strukturelle Verdrängung des Todes“12 in der modernen Gesellschaft.

3. Der mediale Tod im Kontext der Lebenswelt

Das Fernsehen und die Medien gehören in der heutigen Zeit zu den essentiellen Ele-menten der Lebenswelt, dadurch werden auch die Kenntnis und das Wissen von me-dialem Tod durchgehend darin integriert. „[I]ndividuelle und soziale Konstruktionen von Wirklichkeit […] werden im Rahmen von mediengestützter Kommunikation ge-bildet“13.

Die Wirklichkeitsmodelle, die das Fernsehen heutzutage liefert, sind inzwischen zum Teil sogar so realistisch, dass sie die Glaubwürdigkeit der Realität übertreffen können, insbesondere wenn der Rezipient noch keine eigenen Primärerfahrungen mit der dar-gestellten Wirklichkeit gemacht hat. Dies ist beispielsweise häufig in der Pathologie der Fall – oder eben, wie im Tatort, bei Mord.14 Das zeigt auch das immer größere Aufkommen von Rechtsmedizinern und infolgedessen Toten im Fernsehen und auch im Tatort, die Dinge zeigen, die der Zuschauer zuvor nie gesehen hat. Diese Entwick-lung wird allerdings später noch genauer erläutert.

Der Tod ist ein Phänomen mit einem hohen Unterhaltungswert und „Nachrichten-wert und ist […] [dadurch] das Höchste der medialen Darstellung“15. Er spielt früher oder später im Leben jedes Menschen eine wichtige Rolle und zieht die Menschen schon immer in seinen Bann, der Tod fasziniert und die Ungewissheit, was danach kommt, macht gleichzeitig den meisten auch Angst. Die Medien wissen diesen Reiz für ihre Zwecke zu nutzen. Ähnlich wie sogenannte Tabuthemen oder Gewaltdar-stellungen eignet sich der Tod sehr gut zur Befriedigung der Sensationsgier und Schaulust der menschlichen Psyche und lockt damit die Zuschauer.16 Die logische Konsequenz daraus ist, dass das Fernsehen solche Themen immer häufiger in Filmen und Serien behandelt, um möglichst viele Zuschauer anzuziehen und hohe Einschalt-quoten zu erreichen.

Im Vergleich zum realen Tod in der heutigen Gesellschaft hat sich der mediale Tod im Fernsehen also komplett gegensätzlich entwickelt, im Fernsehen wird er immer sichtbarer und auch immer häufiger, Stephan Völlmicke spricht von einer „Ge-schwätzigkeit des Todes“17.

4. Die Entwicklung der audiovisuellen Darstellungsformen des Todes im

4.1 Anzahl der Sequenzen

Anzahl der Subsequenzen Anzahl der Einstellungen

Abb. 1: Durchschnittliche Häufigkeiten der Leichendarstellung im Tatort (WDR+NDR) über vier Dekaden (Völlmicke, 2011, S. 197)

In seiner Analyse wertete Stephan Völlmicke 81 Tatort -Folgen, in denen insgesamt 273 Sequenzen mit Leichen vorkommen, aus. Die oben abgebildete Grafik macht deutlich, wie stark die Anzahl der Subsequenzen und insbesondere der Einstellungen im Laufe der vier Tatort -Dekaden gestiegen ist. In den neueren Tatort -Folgen wird der Darstellung von Leichen also deutlich mehr Sendezeit eingeräumt und sie werden zeitlich sehr viel länger gezeigt, als in älteren. Während von 1970 bis 1980 pro Tatort im Durchschnitt 1,55 Subsequenzen mit einer Leiche gefilmt werden, sind es im vier-ten Intervall schon 4,3. Darüber hinaus hat sich auch die Mordanzahl erhöht. Statt mit nur einem Opfer haben es die Ermittler seit den 90er Jahren immer häufiger mit zwei oder mehreren Leichen zu tun.18

4.2 Abfilmungsarten

Bei der Art und Weise der Leichenabfilmung wird unterschieden, mit welcher der fünf verschiedenen Ausprägungen die Leiche präsentiert wird. Die Ausprägung „Lei-che im Hintergrund“ ist im Gegensatz zu den anderen vier selbsterklärend. „Leiche nicht zu erkennen“ bedeutet, dass das Gesicht des Toten für den Zuschauer nicht sichtbar ist. Bei der Ausprägung „Leiche nicht eindeutig zu erkennen“, ist das Gesicht nur zum Teil zu sehen. Eine Leiche, die von einer „aufwändige[n] Maske“19 geprägt ist, also wenn Blut, Anzeichen von Verwesung oder Totenstarre, Hämatome oder Gewalteinwirkungen erkennbar sind, wird als „Leiche Spezialeffekt“ bezeichnet. Die fünfte Ausprägung „Leiche“ deutet daraufhin, dass das Gesicht der toten Person für den Tatort -Zuschauer klar zu erkennen ist. Anhand der zweiten Abbildung ist zu sehen, dass in der letzten Tatort -Dekade, von 2001 bis 2010, 88% aller Leichen mit den Ausprägungen „Leiche“ oder „Leiche Spezialeffekt“ gezeigt wurden. Andere Ab-filmungsarten, in denen die Leiche nur im Hintergrund oder aus größerer Entfernung zu sehen ist, werden zunehmend weniger. Im Vergleich dazu war von 1970 bis 1980 das Verhältnis von „Leiche“ und „Leiche Spezialeffekt“ zu anderen Präsentations-weisen fast genau umgekehrt.20

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Anteil der Arten der Leichenabfilmung (Leiche/Leiche Spezialeffekt versus andere) im Tatort (WDR+NDR) über vier Dekaden (Völlmicke, 2011, S. 203)

4.3 Einstellungsgr ößen

Unterstützt wird diese signifikante Verringerung der filmischen Distanz zu den Lei-chen durch die Nutzung größerer Einstellungsgrößen. Diese Art der Kameraarbeit dient dazu, den Zuschauer zu beeinflussen und das Verhältnis der Betrachter zu dem Geschehen zu kontrollieren. Während speziell in dem ersten Tatort -Jahrzehnt haut-sächlich die Größen „Weit“ bis „Halbnah“ verwendet wurden, werden die Leichen heute durch die Einstellungsgrößen „Nah“, „Groß“ und „Detail“ von der Kamera in den Fokus gerückt. Diese Art der Kameraarbeit gewährt einen nicht gewohnten und sehr detaillierten Blick auf die Leichen. Dadurch wird es den Zuschauern ermöglicht, die Leiche aus viel geringerem Abstand zu betrachten, als es ihnen unter natürlichen Umständen in der Realität erlaubt wäre. Daneben weist der Verlust der Distanz zu den Toten auf „eine „sensationellere“ Darstellung“21 der Leichen hin.22

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Anteil der Einstellungsgrößen (Weite bis Halbnah versus Nah bis Detail) bei der Leichenabfilmung im Tatort (WDR+NDR) über vier Dekaden (Völlmicke, 2011, S. 215)

[...]


1 Missomelius (2008, S.5).

2 Werner (o.D.).

3 Völlmicke (2014, S. 117).

4 Völlmicke (2011, S. 56).

5 Völlmicke (2014, S. 118).

6 Vgl. Völlmicke (2014, S. 117f).

7 Vgl. Völlmicke (2011, S. 57).

8 Völlmicke (2014, S. 118).

9 Völlmicke (2011, S.95).

10 Vgl. Völlmicke (2011, S. 95ff).

11 Missomelius (2008, S. 4).

12 Völlmicke (2014, S. 119).

13 Völlmicke (2011, S. 101).

14 Vgl. Völlmicke (2014, S. 120).

15 Völlmicke (2011, S. 109).

16 Vgl. Völlmicke (2011, S. 112ff).

17 Völlmicke (2014, S. 121).

18 Vgl. Völlmicke (2011, S. 195).

19 Völlmicke (2014, S. 111).

20 Vgl. Völlmicke (2011, S. 198ff).

21 Völlmicke (2014, S. 114).

22 Vgl. Völlmicke (2011, S.208ff).

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Todesbilder im "Tatort". Die Darstellung des Todes und die Inszenierung von Leichen im "Tatort"
Hochschule
Universität Regensburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
15
Katalognummer
V906945
ISBN (eBook)
9783346215918
ISBN (Buch)
9783346215925
Sprache
Deutsch
Schlagworte
darstellung, inszenierung, leichen, tatort, todes, todesbilder
Arbeit zitieren
Anna Gangkofner (Autor:in), 2018, Todesbilder im "Tatort". Die Darstellung des Todes und die Inszenierung von Leichen im "Tatort", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/906945

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