Luhmannsche Systemtheorie exemplifiziert am Casino Hohensyburg


Seminararbeit, 2008

25 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Grundlegendes: System, Umwelt, Beobachter und Kommunikation
II.1 Zentrales: Autopoiesis, Selbstreferenzialität und operative Geschlossenheit
II.2 Konkretes: Struktur, Programm, Kopplungen und die Organisation

III. Theoretisierung der praktischen Tätigkeit am Casino Hohensyburg
III.1 Die spezifische Funktion des Subsystems "Rezeption
III.2 Der manifeste strukturelle Koppler Infostand

IV. Fazit und Schluss

V. Literaturverzeichnis
Werke
Herausgeberwerke
Beiträge in Herausgeberwerken
Internetquellen, -ressourcen und -publikationen

VI. Abkürzungsverzeichnis

I. Einleitung

"Theorie der Gesellschaft, Laufzeit: 30 Jahre, Kosten: keine", so benannte Niklas[1]

Luhmann (1927 - 1998) 1969 den Gegenstand seiner Forschung und so resümierte er 1997 in seinem letzten zu Lebzeiten erschienenen Werk[2]. Seit Antritt 1968 an der Universität Bielefeld als ordentlicher Professor der Soziologie arbeitete er im Sinne zitierten Resümees an einem zeitgemäßen Konzept einer umfassenden Gesellschaftstheorie[3]. Dabei griff er aus soziologischer Perspektive auf die allgemeine Systemtheorie zurück. Diese ist dabei als Metatheorie zu verstehen, die sich aus diversen Theorien unterschiedlichster Disziplinen entwickelt hat[4]. Es handelt sich um "einen Denkansatz, in dem es um Ganzheiten geht. Systemisches Denken ist somit eine Betrachtungsweise, die der Gefahr entgegenwirkt, sich in Einzelheiten zu verlieren."[5] Dies macht den Vorzug dieser Theorie aus, der zu ihrer Anwendung in diesem Praxisbericht geführt hat.

Luhmann entwickelte die allgemeine Theorie weiter und formte sie so aus (u.a. durch neu zu verstehende Begrifflichkeiten), dass sie nicht mehr nur auf biologische Prozesse, rein technisch-kybernetische Fragestellungen angewendet werden konnte, sondern auch auf soziologisch-gesellschaftliche Themen und Probleme.

Der zentralen Frage, wie die Beschreibung der modernen Gesellschaft möglich sei, ging er insbesondere seit 1984 und der Veröffentlichung des Werkes "Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie" nach. Diesem einleitenden Werk folgten bis zu seinem Tod fünf, posthum ergänzt um drei weitere[6], die werkweise, in Luhmanns Begriffen, Funktionalsystem für -system der Gesellschaft auf ihre Funktion hin analysieren.

In Abgrenzung zu traditionellen Denkweisen der Philosophie und Soziologie, denen es primär um das "ontologische Warum der Begründung" und um die Legitimation bestehender Ordnung geht, setzt Luhmann beim funktionalen Wie und somit bei der Deskription sozialer Prozesse an[7]. Um einen wider traditionellen Weg einschlagen zu können, der zum Verstehen "der modernen Gesellschaft in ihrem strukturierenden Funktionieren"[8] führen soll, bedarf es laut Luhmann einer "Theorie als Verfremdung des Üblichen"[9]. Eine solche müsse konsequenterweise von den üblichen Begriffen absehen und einen eigenen Terminusfundus erarbeiten, in den hineinzudenken die Voraussetzung schlechthin ist, um nachvollziehen zu können[10], was sich 'die Black Box Luhmann bewusst ausgedacht' hat.

Dabei ist seine eigentliche Leistung bei der Ausformung der Theorie, dass er sich in Anlehnung an die Biologen Maturana und Varela des Autopoiesis-Konzeptes bedient und es auf soziale Systeme anwendet in seinem Ansatz selbstreferenzieller Systeme[11].

Die spezifischen Begrifflichkeiten der Luhmannschen Theorie sozialer Systeme sollen - in für diese Arbeit gebotener, aber bei allein 15000 Seiten von Luhmann zum Thema in stark komplexitätsreduzierter Länge - in Kapitel II erläutert werden.

Der Autor dieses Berichtes wendet die Theorie sozialer Systeme auf seine Tätigkeit im als Organisation verstandenen Casino Hohensyburg[12] an (s. Kap. III) und möchte damit zweierlei, wenn auch nur skizzenhaft bleiben könnend, versuchen:

Zum einen die 'Theoretisierung der Praxis', indem der praktischen Tätigkeit die Begriffe der Theorie zugeordnet werden, um die Praxis dann systemtheoretisch zu 'durchleuchten'. Zirkulär folgt daraus die 'Praktizierung der Theorie', indem die Theorie am Casino Hohensyburg praktisch exemplifiziert wird. Beides bedingt sich reziprok und führt zu einem neuen Verständnis der Organisation Casino und der systeminternen Abläufe.

Der Autor tritt dabei im noch zu erläuternden, aber besten Luhmannschen Sinne als Beobachter erster wie auch zweiter Ordnung in Erscheinung. Das wird hier vor allem zur Konsequenz haben, dass nur die Organisation Casino Hohensyburg samt Subsystemen fokussiert, die Umwelt dieses Systems hingegen außen vor gelassen wird. Allein wegen dieser Begrenzung des Beobachterblicks auf eine selektive Anzahl von Aspekten muss von einer - hier auch platzbedingt - radikalen Reduktion von Komplexität gesprochen werden, die erst - scheinbar paradoxerweise - zur komplexen Behandlung des 'In-den-Blick-Genommenen' führt.

Kern der Beobachtung soll dabei sein, wie unter dem 'Dach des Casinos' die verschiedenen Subsysteme miteinander interagieren und kommunizieren, obgleich sie es (üblicherweise) nicht tun müssten. Die Frage ist also, wie im Casino-Alltag das kommunikative Miteinander funktioniert und gelingt, was dazu beiträgt. Der Autor misst dabei vor allem dem Infostand, an dem er u.a. auch tätig war, eine besondere Bedeutung bei, die organisationsinternen Prozesse möglichst reibungslos ablaufen zu lassen.

II. Grundlegendes: System, Umwelt, Beobachter und Kommunikation

Am Anfang steht eine Unterscheidung (Differenz) zwischen System und Umwelt[13]. Ein System ist Teil der aus zahlreichen Systemen bestehenden Umwelt. Die Benennung eines bestimmten Systems kann nur über die besagte Unterscheidung erfolgen und bedarf eines 'Unterscheiders'. Einen solchen nennt man in der Systemtheorie einen Beobachter[14]. Ein Beobachter unterscheidet und teilt damit die Welt auf in zwei Seiten. Die eine wird fokussiert und bezeichnet ("marked state"[15], das System [als Teil der Umwelt]), die andere Seite wird in dem Moment beiseite gelassen und bleibt - zumindest vorerst - unbenannt ("unmarked state"[16], Umwelt [des Systems]).

Gemäß der Systemtheorie unterscheidet man drei Systemtypen, die in korrelativer, aber nicht hierarchischer Abhängigkeit zueinander stehen: Zum einen die lebenden Systeme (Lebewesen); sodann die psychischen oder, synonym gebraucht, Bewusstseinssysteme (Menschen); zuletzt die sozialen Systeme (allen voran die Gesellschaft), die erst den neuen, entscheidenden Systemtyp im Luhmannschen Verständnis ausmachen.

"Systeme kann man […] als einen Zusammenhang von Elementen beschreiben, deren Beziehungen untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Elementen. […] Ihr internes Zusammenwirken bildet die Charakteristik des Systems."[17] So sind lebende Systeme zwar der Umwelt ausgesetzt und werden durch diese beeinflusst, aber die intensivsten und produktivsten Beziehungen führen die Zellen (Elemente) des Körpers (Systems) untereinander. Der Mensch als psychisches System zählt zwar aufgrund seines zellularen Körpers zu den lebenden Systemen, sein Bewusstsein wird von diesem beeinflusst, auch er ist der Umwelt ausgesetzt, aber das System 'Bewusstsein' setzt sich aus den Elementen 'Gedanken' zusammen. Das soziale System - und hier wird auf dem von Luhmann "antihumanistisch"[18] verstehbaren, zu den üblichen Sichtweisen konträren Ansatz der Kommunikation vorgegriffen - ist ebenso wenig von seiner Umwelt abgekapselt, aber systemintern sind die Kommunikationen die entscheidenden Elemente. Es zeigt sich also, dass unter 'Elemente' keine materiellen Gegenstände zu verstehen sind, sondern vielmehr Handlungen oder Ereignisse[19], sprich Luhmann-terminologisch: Operationen.

Während es noch nachvollziehbar ist, dass lebende Systeme bei Luhmann keine Rolle spielen, so verwundert zunächst, dass dies auch, größtenteils[20], für psychische Systeme gilt und dies sogar ganz grundlegend für die Theorie ist[21]. Dies wird noch deutlicher.

Systeme sind in Größe und Ausmaß allerdings nicht ein für alle Mal (von außen/der Umwelt) determiniert, sondern die Systemgrenzen werden vom System selber bestimmt durch die Festlegung auf zugehörige Elemente[22]. Diese 'Grenzziehung' lässt sich beobachten[23] - und zwar vom 'grenzziehenden' System selber (Selbstbeobachtung), aber auch von einem Beobachter aus der Umwelt des Systems. Wie schon gesagt, besteht die Umwelt wiederum nur aus Systemen[24], somit ist klar, dass der Beobachter in jedem Falle ein System sein muss. Als System gehört er wiederum zur Gesellschaft, die als soziales 'Dachsystem' alle übrigen (Sub-)Systeme miteinschließt. Es gibt folglich kein Beobachten von außerhalb der Gesellschaft! Erst einmal offen ist jedoch, ob der Beobachter ein psychisches oder soziales System ist. Beide Systemtypen können beobachten, sprich bestimmte Unterscheidungen operieren und entscheiden. Der Beobachter zeichnet sich demnach dadurch aus, dass er beobachtet, also unterscheidet und sich für eine Seite (und eben nicht die andere) entscheidet. Das macht ihn aus, lässt das Beobachten jedoch 'subjektiv' und kontingent[25] werden. Erst durch die Beobachtung der Beobachtung, sprich durch das Feststellen, wonach der Beobachter erster Ordnung unterschieden hat, kann der Beobachter zweiter Ordnung nachvollziehen, wie und was beobachtet wurde. Der Beobachter (erster Ordnung) ergibt sich ergo erst durch den Prozess des Beobachtens und kann durch die Beobachtung dieses Prozesses (durch den Beobachter zweiter Ordnung) erschlossen werden. Dieses Erschließen ist relevant, da erst so die getroffene Entscheidung deutlich wird und nicht kontingent bleibt.[26]

Natürlich bezieht sich Beobachten nicht nur auf diese grundlegende System-Umwelt-Differenz, sondern kann überall angewandt werden, wo Wahrnehmen möglich ist[27].

[...]


[1] "…" markieren Zitate, '…' sollen hervorheben und/oder relativieren. Wird in einem Satz zitiert und aus gleicher Quelle inhaltlich wiedergegeben, erfolgt die Fußnote am Satzende.

[2] Zitiert nach und vgl.: Lindner 2002, S. 1. Und: Nehrkorn 2001, erster Abschnitt.

[3] Mit dem Anspruch (fach)universell zu sein und somit auf universelle Anwendbarkeit. Vgl.: Gerth 2005, "Systemtheorie". Und: Wenzel o.A., B, Einleitung.

[4] So u.a. Kybernetik, Psychologie, Biologie, Mathematik u.m.; vgl. dazu: Wenzel o.A., A, Einleitung.

[5] Zitiert nach ebd.

[6] 1984: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie; 1988: Die Wirtschaft der Gesellschaft; 1990: Die Wissenschaft der Gesellschaft; 1993: Das Recht der Gesellschaft; 1995: Die Kunst der Gesellschaft; 1997: Die Gesellschaft der Gesellschaft; posthum: 2000: Die Politik der Gesellschaft; 2000: Die Religion der Gesellschaft; 2002: Das Erziehungssystem der Gesellschaft; Vgl. hierzu: Horster 2005, S. 179FF. Bzw.: Horster 2007, Kap. 1 "Das Konzept einer umfassenden Gesellschaftstheorie".

[7] Zitiert nach und mit besonderem Bezug auf Jürgen Habermas und dessen Gelehrtenstreit mit Luhmann inhaltlich wiedergegeben nach: Nehrkorn 2001, Kap. "Gelehrtenstreit".

[8] Zitiert nach: ebd., erster Abschnitt.

[9] Zitiert nach: ebd.

[10] Vgl. dazu: Gerth 2006, Kap. 1 "Allgemeine Systemtheorie".

[11] Vgl.: Willke 1991, S. 3FF zitiert nach: ebd.

[12] Siehe dafür ganz allgemein: WestSpiel (A) 2007, "Herzlich willkommen".

[13] Vgl.: Baecker 2006 bzw. Luhmann 2003, Vorlesung4.

[14] "Everything said is said by an observer". Zitat Maturanas zitiert nach: Bode 2006, S. 161. Vgl. allgemein zum Beobachter auch: Baecker 2006 bzw. Luhmann 2003, Vorlesung7.

[15] Terminologie Spencer-Browns. Vgl.: Baecker 2006 bzw. Luhmann 2003, Vorlesung7.

[16] Siehe: Ebd.

[17] Zitiert nach: Nehrkorn 2001, Kap. "Was sind Systeme?".

[18] So soll Luhmann seine Theorie einmal bezeichnet haben, eben weil der Mensch nicht mehr Zentrum und Ausgangspunkt von allem ist. Vgl.: Gerth 2006, Kap.4 "Menschen".

[19] Bei psychischen Systemen die Gedanken des Bewusstseins, bei sozialen Systemen die Kommunikation. Damit differieren sie von lebenden Systemen dadurch, dass die Elemente jener nicht-materiell, dieser hingegen materiell (Zellen) sind. Vgl. dazu: Wenzel o.A., B, Kap. "Abstrahierung vom Subjektbegriff".

[20] Missverstanden wäre es, dass der Mensch bedeutungslos fürs Ganze sei. Auch wenn nach Luhmann soziale Systeme aus Kommunikation und nicht aus der Summe der Menschen bestehen, so bedarf es doch der Partizipation der psychischen Systeme als Personen an der Kommunikation. Ohne sie gäbe es keine Kommunikation/Gesellschaft und umgekehrt. Alles steht, wie hier üblich, in einer zirkulären Relation. Der Mensch ist nicht länger wichtigstes Glied, sondern nur noch ein Bestandteil des Ganzen, auf den das Ganze aber nicht allein zurückzuführen ist. Vgl. dazu: ebd. Und: Gerth 2006, Kap.4 "Menschen".

[21] Vgl.: Nehrkorn 2001, Kap. "Was sind Systeme?".

[22] Ausnahme physische Systeme, deren Systemgrenzen bei der eigenen Haut (oder Membran) enden.

[23] Vgl.: Gerth 2005, "System".

[24] Selbstredend besteht die Umwelt auch aus Gegenständen wie Steine (unbelebte Materie) und dergleichen, die aber nicht im Sinne genannter Systemtypen aktiv zu handeln verstehen.

[25] Kontingent ->Kontingenz verstanden als "auch-anders-möglich-sein", "zufällig", sprich dass Systeme unvorhersehbar/variabel/offen (re)agieren..Vgl: Gerth 2005, "Kontingenz". Und: Bode 2006, S. 161.

[26] Vgl. zum Beobachter insbesondere: Bode 2006, Ende S. 160FF.

[27] Wahrnehmen verstanden als Feststellen einer Differenz, ohne sie jedoch zu verarbeiten. Das Verarbeiten macht erst das Charakteristikum des Beobachtens aus. Vgl.: Gerth 2005, "Wahrnehmen".

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Luhmannsche Systemtheorie exemplifiziert am Casino Hohensyburg
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Kulturwissenschaften)
Note
1.0
Autor
Jahr
2008
Seiten
25
Katalognummer
V90904
ISBN (eBook)
9783638054348
ISBN (Buch)
9783638946445
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar: "Ich habe selten eine solch exzellente Hausarbeit im Rahmen der Praxisorientierung (Modul 3) begutachten dürfen. Zunächst expliziert der Autor das theoretische Konzept und die wesentliche Begrifflichkeit der Luhmannschen Systemtheorie. Daran anschließend stellt Herr Schnettler dar, wie die Luhmannsche Systemtheorie am Beispiel des Casino Hohensyburg zu neuen Erkenntnissen geführt hat."
Schlagworte
Luhmannsche, Systemtheorie, Casino, Hohensyburg
Arbeit zitieren
Dominic Schnettler (Autor:in), 2008, Luhmannsche Systemtheorie exemplifiziert am Casino Hohensyburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90904

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