Das Verbot der mehrfachen Strafverfolgung bzw. Bestrafung wegen derselben Tat ist nicht allein grundgesetzlich (Art. 103 Abs. 2 GG), sondern zugleich völker- (Art. 14 Abs. 7 IPbpR) und europarechtlich (Art. 4 Protokoll Nr. 7 zur MRK) abgesichert. Im transnationalen Bereich häufen sich in zunehmendem Maße die praktischen Probleme, wie sich eine rechtskräftige Aburteilung in einem Erstverfolgerstaat auf die Strafverfolgung im Zweitverfolgerstaat auswirkt. Innerhalb der Europäischen Union gibt es mittlerweile ein solches Verbot der Mehrfachverfolgung bzw. -bestrafung in Art. 54 SDÜ – eine zentrale Regelung, die einerseits den Strafverfolgungsbehörden mancherorts noch unbekannt zu sein scheint, deren Fortentwicklung wiederum andererseits von der Strafrechtswissenschaft angestrengt wird. Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 54 SDÜ ist das Vorliegen „derselben Tat“. Die beiden wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit dem Tatbegriff gehen dahin, wieweit die angeklagte/abgeurteilte Tat reicht (Umfang der Tat) und wann eine Tat ungeachtet einiger Unterschiede in Tatort, Tatzeit und/oder Deliktscharakter noch mit der angeklagten/abgeurteilten Tat (Identität der Tat) übereinstimmt. Während zum ersten Themenkomplex bereits eine Fülle von nationaler und internationaler Literatur ergangen ist, gibt es derweil erst wenige Beiträge zu der Tatidentität in Art. 54 SDÜ. Die vorliegende Begutachtung nimmt sich dieses letztgenannten Gesichtspunktes an und erläutert – nach einer einführenden vergleichenden Betrachtung des prozessualen Tatbegriffs, wie er seit 1871 von der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgefasst wird – die Grundsätze der erst jüngst ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Näheres über den Autor erfahren Sie unter http://www.home.uni-osnabrueck.de/skische.
Inhaltsverzeichnis
- A. EINFÜHRUNG UNTER SKIZZIERUNG DER WESENTLICHEN PROBLEMSTELLUNGEN
- B. ZUR AUSLEGUNG DES PROZESSUALEN TATBEGRIFFS IM INNERSTAATLICHEN RECHT
- I. FUNKTIONEN DES PROZEssualen TatbEGRIFFES
- II. DIE DEFINITION DES TATBEGRIFFS IN DER HÖCHSTRICHTERLICHEN RECHTSPRECHUNG
- IIC. ZUR AUSLEGUNG DES TATBEGRIFFS IN DEN ART. 54 FF. SDÜ
- D. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Tatidentität im Sinne von Art. 54 des Übereinkommens über das Schengener Durchführungsabkommen (SDÜ). Ziel ist es, die Auslegung des Tatbegriffs im deutschen Strafprozessrecht sowie im europäischen Recht zu untersuchen und die relevanten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs zu analysieren. Darüber hinaus werden die Auslegungen des Tatbegriffs in anderen EU-Staaten betrachtet.
- Die Auslegung des Tatbegriffs im deutschen Strafprozessrecht
- Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Tatidentität
- Die Auslegung des Tatbegriffs im europäischen Recht
- Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 54 SDÜ
- Die Bedeutung des Prinzips "ne bis in idem" im internationalen Strafrecht
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel führt in die Thematik der Tatidentität im Sinne von Art. 54 SDÜ ein und skizziert die wesentlichen Problemstellungen. Im zweiten Kapitel wird die Auslegung des prozessualen Tatbegriffs im deutschen Strafprozessrecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsfigur der "fortgesetzten Tat" erläutert. Hierbei wird die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs analysiert. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Auslegung des Tatbegriffs in den Art. 54 ff. SDÜ. Die Bedeutung von Art. 54 ff. SDÜ sowie die Auslegung des Tatbegriffs in anderen EU-Staaten werden dargestellt. Anschließend wird die Auslegung "derselben Tat" in Art. 54 SDÜ durch den Europäischen Gerichtshof betrachtet. Abschließend werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und ein Ausblick gegeben.
Schlüsselwörter
Tatidentität, Art. 54 SDÜ, "ne bis in idem", Strafprozessrecht, Fortgesetzte Tat, Europäisches Strafrecht, Bundesgerichtshof, Europäischer Gerichtshof, Rechtsprechung, Auslegung.
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- Ass. iur. Sascha Kische (Author), 2008, Zur Tatidentität in Art. 54 SDÜ, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90953