Ältere deutsche Literatur im gymnasialen Unterricht. Das Tierepos "Reinhart Fuchs" von Heinrich der Glîchezâre

Eine Unterrichtssequenz zur Thematik „Der Einzelne im Kampf gegen die Gesellschaft"


Unterrichtsentwurf, 2019

29 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Motivation und Zielsetzung

2 Eine Unterrichtssequenz zur Thematik „Der Einzelne im Kampf gegen die Gesellschaft. Wie es dem klugen Fuchs Reinhart gelingt, die verrottete Feudalgesellschaft des König Vrevel zu sprengen“
2.1 Erste Unterrichtseinheit: Ein Schritt zurück - Eine Zeitreise in die Vergangenheit
2.1.1 Reaktivierung des Vorwissens durch (audio-) visuelle Reize
2.1.2 Vermittlung von Sach- und Sprachkompetenz durch die Erarbeitung sprachlicher und geschichtlicher Aspekte des Mittelalters
2.1.3 Festigung des Lernzuwachses durch die Erstellung einer Mindmap
2.2 Zweite Unterrichtseinheit: Das erste deutsche Tierepos Reinhart Fuchs
2.2.1 Die Überlieferungsgeschichte als Basis für das Unterrichtsgeschehen
2.2.2 Schaffung eines Rahmengerüsts
2.2.3 Erarbeitung und Klärung zentraler Begrifflichkeiten mithilfe wissenschaftlicher Texte
2.3 Dritte Unterrichtseinheit: Die Bedeutung der sprechenden Namen im Tierepos
2.3.1 Definition sprechender Namen: Prinzip des spielerischen Lernens
2.3.2 Nomen est omen: Sprechende Namen und deren Umsetzung im Reinhart Fuchs
2.3.3 Präsentation als Mittel der Schüleraktivierung
2.4 Vierte Unterrichtseinheit: Die Bedeutung der sprechenden Namen im Tierepos
2.4.1 Rollenspiel zur Reaktivierung des Vorwissens
2.4.2 Die Ermittlung innerer und äußerer Eigenschaften zentraler Figuren des Tierepos
2.4.3 Abschlussdiskussion
2.5 Fünfte Unterrichtseinheit: Die Rolle der Gewalt im Reinhart Fuchs
2.5.1 Die Differenzierung zwischen Groß- und Kleintieren in Bezug zu den vorherrschenden Machtverhältnissen des 12. Jahrhunderts als Einstimmung
2.5.2 Die Rolle der Gewalt und das Verhältnis der Figuren zueinander
2.5.3 Die Rechtfertigung von Gewalt
2.6 Sechste Unterrichtseinheit: Machtverhältnisse als Legitimation für die Bestrafung der Tiere
2.6.1 Die Entstehung von not aus untriuwe als Rechtfertigung des Fuchses
2.6.2 Vorbereitung für die szenische Darstellung des Gerichtsverfahrens
2.6.3 Ausblick

3 Chancen und Grenzen des Umgangs mit dem Mittelalter im schulischen Kontext

Literaturverzeichnis

Anhang

1 Motivation und Zielsetzung

„Über mittelalterliche Literatur im Deutschunterricht [...] in der Bundesrepublik heute zu referieren, heißt, die Geschichte einer langen Agonie, eines stillen Todes und einer lautlosen Beerdigung zu skizzierend Diese nüchterne Feststellung vertritt keineswegs Wolfgang Kersken allein, vielmehr repräsentiert er mit seiner Aussage zahlreiche Beteiligte an der Lehrplan- und Curriculumsdiskussion im gegenwärtigen Wandel des bildungspolitischen Systems in Deutschland.1 2 Die Vernachlässigung mittelalterlicher Literatur - die nach Ina Karg beinahe als ,Kanonverdrossenheit'3 bezeichnet werden kann - spiegelt sich in der Betrachtung des bayerischen Lehrplans für das Gymnasium wider. Dort wird im Unterrichtsfach Deutsch lediglich in der Jahrgangsstufe 7 der Kompetenzerwerb mithilfe älterer deutscher Literatur aufgelistet.4 Dieser Unterrichtsgegenstand scheint einem Randdasein der schulischen Realität verpflichtet, welcher einen Dissens zwischen Befürwortern und Kritikern der Legitimation der Behandlung mittelalterlichen Sujets im Schulalltag sowie den daraus resultierenden didaktischen Stellenwert schürt.5 Im Rahmen wissenschaftspropädeutischer Seminare6 haben Lehrkräfte nun speziell an der gymnasialen Oberstufe die Möglichkeit dem Verlust kultureller Identität7 entgegenzuwirken. Diesem Interesse folgend entstand im Rahmen einer universitären Veranstaltung eine Unterrichtssequenz, welche epochenübergreifend die Thematik eines Individuums im Kampf gegen die Gesellschaft aufgreift und dabei den Fokus auf den mittelhochdeutschen Tierepos Reinhart Fuchs von Heinrich der Glichezâre 8 legt. Zentral ist hier der Kampf des einzelnen Bösen gegen die verrottete Gesellschaft und nicht wie so oft umgesetzt, der gute Einzelne gegen das böse Gesellschaftssystem. Der aufgrund der tierischen Natur seines Protagonisten als Tierepos9, gleichzeitig aber wegen seiner antistaufischen Gesinnung auch als ,Warnfabel' 10, deklarierte Reinhart Fuchs aus dem 12. Jahrhundert, schafft mit seiner gesellschaftspolitischen Kritik im Mantel der Tarnung eine Grundlage für einen bedeutungsvollen und hochinteressanten Unterrichtsgegenstand. Das Werk, das beschreibt wie sich ein bösartiges Individuum durch seine Klugheit und Raffinesse gegen das monarchische Oberhaupt und seine höfische Umgebung durchzusetzen vermag, thematisiert dabei die verrottete mittelalterliche Feudalgesellschaft zu Herrschaftszeiten Friedrich Barbarossas oder Heinrich VI mehr oder weniger deutlich.11 Die Alterität dieses kritischen kleinepischen Textes dient als Begründung für den folgenden Unterrichtsentwurf und dient so der Klärung und Diskussion zentraler Begrifflichkeiten des grundlegenden Geschichtsunterrichts, politischer Ereignisse aus der Epoche des Mittelalters sowie der Schaffung von Sprachbewusstsein. Im Rahmen des Unterrichtsentwurfes eines wissenschaftspropädeutischen Seminars sollen Schüler und Schülerinnen nun die Funktion von epischer Literatur kennen und verstehen lernen.

Im Folgenden wird ein kurzer Überblick der Unterrichtssequenz vorangestellt und anschließend acht doppelstündigen Unterrichtseinheiten detailliert didaktisch analysiert. Abschließend werden Chancen und Grenzen älterer deutschen Literatur im schulischen Kontext diskutiert.

2 Eine Unterrichtssequenz zur Thematik „Der Einzelne im Kampf gegen die Gesellschaft. Wie es dem klugen Fuchs Reinhart gelingt, die verrottete Feudalgesellschaft des König Vrevel zu sprengen.“

Das in der Fabeltradition als Medium dezidierte Tier in seiner Funktion als Spiegel der Gesellschaft^ soll Gegenstand der gesamten Unterrichtssequenz werden. Zudem wird die Rolle der Gewalt sowie deren Legitimation aufgrund desaströser Machtverhältnisse am Hof des Löwenkönigs Vrevel zur zentralen Thematik im Reinhart Fuchs. Die Rechtfertigung mithilfe gewaltsamer Mittel aus untriuwe not und gleichzeitig den Zerfall des Herrschaftsgefüges zu bewirken, soll mit den Schülern und Schülerinnen kritisch hinterfragt werden.12 13 Die Erarbeitung der Hauptcharaktere sowie der Figur Reinhartsu und die abschließende Diskussion, inwiefern dieser als ordnendes Instrument der Machtverhältnisse oder ,Anti-Held'14 gilt, welcher als Individuum gegen das politische System ankämpft, sind in der gesamten Sequenz von großer Bedeutung.

Ausgehend von 38 Unterrichtswochen abzüglich der Schulferien im Bundesland Bayern soll das wissenschaftspropädeutische Seminar „Der Einzelne im Kampf gegen die Gesellschaft“ mit dem Schwerpunkt auf der Zerstörung des Herrschaftsgefüges durch den bösartigen Fuchs fächerübergreifend abgehalten werden. Aufgrund seines epochenübergreifenden Charakters von der Antike bis in die Gegenwart, wird jeweils im Rahmen von sechs bis zehn Unterrichtseinheiten chronologisch der Text Antigone, anschließend die Epoche des Mittelalters als Schwerpunkt, repräsentiert durch das Tierepos Reinhart Fuchs und zuletzt die Figur des Joker thematisiert. Die antike Tragödie des Sophokles greift die verrotteten Herrschaftsverhältnisse im griechischen Stadtstaat Theben und Antigones Aufbegehren gegen die staatliche Ordnung auf. Das Einbeziehen bekannter Figuren aus der Gegenwart wie dem Bösewicht Joker der Comic- und Filmreihe Batman soll die Motivation und das Interesse der Schüler und Schülerinnen wecken. Die restlichen Stunden des Schulj ahres können für Ausflüge in die Bibliothek, die Einführung in die wissenschaftliche Arbeit, die Besprechung der Seminararbeitsthemen sowie Sprechstunden und letztendlich für die Präsentationen genutzt werden. Die Auswahl der Werke und die Vielfalt unterstützenden Materials sowie eingesetzter Unterrichtsformen sollen einen signifikanten Beitrag zum Lernerfolg der Schüler und Schülerinnen leisten.

Nach der Behandlung der Antigone wird nun im folgenden Verlauf detailliert auf die Konzeption der sechs Unterrichtseinheiten^ zum Reinhart Fuchs auf Basis des aktuell gültigen Fachlehrplans für das Unterrichtsfach Deutsch am bayerischen Gymnasium eingegangen.

2.1 Erste Unterrichtseinheit: Ein Schritt zurück - Eine Zeitreise in die Vergangenheit

In der ersten Unterrichtseinheit sollen die Schüler und Schülerinnen in die Epoche des Mittelalters zurückversetzt werden und eine Vorstellung bezüglich der damaligen Lebenswelt erhalten.15 16

2.1.1 Reaktivierung des Vorwissens durch (audio-) visuelle Reize

Zu Beginn der Unterrichtseinheit „Ein Schritt zurück - Eine Zeitreise in die Vergangenheit“ werden die Oberstufenschüler kurz von der Lehrkraft begrüßt sowie der Verlauf des nachfolgenden Stundenthemas erläutert, um eine klare Strukturierung des Unterrichts zu gewährleisten.17 Im Anschluss daran sollen die Schüler und Schülerinnen mithilfe eines visuellen Einstiegs psychisch auf den Unterrichtsgegenstand eingestimmt werden. Ein Bild der Schloss- und Festigungsruine Hardenburg (siehe Anhang 2) nahe dem für die Handlung des Heldenepos Nibelungenlied zentralen Ort Worms soll impulsgebend für die kognitive Aktivierung18 des in der Mittelstufe erworbenen Vorwissens sein. Dabei ist die Wahl dieses berühmten Heldenepos für den Unterrichtseinstieg nicht zufällig, vielmehr existieren vergleichbare heldenepische Motivstrukturen im Reinhart Fuchs, welche Heinrich der Glichezâre aus der Nibelungendichtung aufzugreifen scheint. 19 Anhand von der Lehrperson gestellter Leitfragen20 soll die Klasse eine Zeitreise in die Epoche des Mittelalters unternehmen, wodurch der Lehrkraft Erkenntnisse über den Wissensstand der Schüler und Schülerinnen offenbart und vorurteilbehaftete Sichtweisen korrigiert werden können:

- Versetzen Sie sich in die Zeit zurück, als diese Burg noch bewohnt war. Was sehen Sie?
- Wer hat hier gelebt bzw. wer hat hier nicht gelebt?
- Was hat sich hier abgespielt?
- In welches Jahrhundert müssen Sie sich zurückversetzen?

Bei der Klärung und Diskussion der Leitfragen im Plenum soll die Lehrkraft die Klasse durch ein angemessenes Tempo21 konstruktiv unterstützen, da die Schaffung von Basiswissen zu Beginn essentiell ist. Für die Wiederbelebung der mittelalterlichen Welt dient anschließend das Abspielen einer Sequenz aus der vor allem unter Jugendlichen populären Serie Game of Thrones. Hier soll das Bewusstsein für eine moderne wirtschaftliche Rezeptionsebene des Mittelalters, die aktuelle Präsenz der mittelalterlichen Thematik vor allem in den Medien, und zugleich eine motivationale Basis für den weiteren Verlauf geschaffen werden.

2.1.2 Vermittlung von Sach- und Sprachkompetenz durch die Erarbeitung sprachlicher und geschichtlicher Aspekte des Mittelalters

Die Zielsetzung des Hauptteils beruht auf dem Erwerb von Sprach- und Sachkompetenz sowie der Entwicklung von Arbeitstechniken mithilfe des Nibelungenlieds, dem Heldenepos, der passend zu der gezeigten Burg nahe Worms zu Beginn der Stunde vorgelegt wird. Die Lehrkraft teilt eine Textstelle der 2. Aventiure des benannten mittelhochdeutschen Epos aus, deren Inhalt die Beschreibung des heldenhaften Siegfrieds darstellt, und verzichtet dabei bewusst auf detaillierte Erklärungen wort- und inhaltsbezogener Art.

Do wuohs in Niderlanden eins vil edelen kuneges [kint], des vater der hiez Sigemunt, sin muoter Sigelint, in einer richen bürge, witen wol bekant, nidene bi dem Rine: diu was ze Santen genant.

Sivrit was geheizen der snelle degen guot. er versuochte vil der riche durch ellenthaften muot. durch sines libes sterke er reit in menegiu lant. hey, waz er sneller degene sit zen Burgonden vant! 22

Die Schüler und Schülerinnen sollen nun den Versuch wagen in Partnerarbeit das im Text dargestellte Geschehen zu rekonstruieren . Dabei wurde bei der Erstellung des Arbeitsblattes auf einen großen Zeilenabstand geachtet, damit interlinear Überlegungen zu den Textstellen festgehalten werden können. Besondere Bedeutung muss dabei einem angemessenen Lern- und Erfahrungsraum mit ausreichend Zeit für individuelle Lernprozesse zugesprochen werden. In Anpassung an den Verstehensprozess der Klasse wird nach einem variablen Zeitrahmen eine Folie (siehe Anhang 3) mit einer Text-Bild Kombination aufgelegt, die zur Unterstützung der Verstehensleistung beitragen soll. Gleichzeitig werden Begrifflichkeiten wie snelle degen guot, ellenhafter muot, libes sterke, edelen und versuochte aus dem Kontext gelöst an die Tafel skizziert und im Zuge einer Klassendiskussion entschlüsselt und erläutert. Anschließend wird mithilfe der geklärten Begriffe erneut der Versuch einer Übersetzung des gesamten Textausschnittes unternommen und für einen vollständigen Abschluss der Aufgabe nachfolgend die Musterübersetzung vorgelesen. Die Sinnhaftigkeit dieser Aufgabe besteht in der Verdeutlichung von sprachlichen Unterschieden zwischen dem Mittel- und Neuhochdeutschen23, ferner in der Schaffung von Sprachbewusstsein durch eine intensive Auseinandersetzung mit unbekannten, fremdsprachigen Texten sowie der Klärung heldenhafter Eigenschaften von Figuren des Mittelalters.24

Eine repräsentative Auswahl an Begrifflichkeiten über die Epoche des Mittelalters können nun anhand eines Kreuzworträtsels (siehe Anhang 4, 5) in Partner- oder Gruppenarbeit erarbeitet werden, welche für die Erweiterung des Basiswissens sorgen sollen. Die im Rätsel enthaltenen Worte greifen vor allem einzelne Aspekte des Feudalsystems und Lehenswesens auf, um die bestehenden gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse zu Zeiten der Monarchen Friedrich Barbarossa oder Heinrich VI, zwei Stauferkönige, welche im Reinhart Fuchs kritisierte werden könnten, im Vorgang der intensiven Lektüre der Tierdichtung zu thematisieren. In einer anschließenden Diskussion wird im Plenum ausführlich über im Rätsel enthaltene, unbekannte Begriffe gesprochen, sowie eine Vertiefung der nun schon bekannten Begrifflichkeiten wie Lehenswesen und Ständegesellschaft, mitsamt seiner Charakteristika, vorgenommen. Dabei kann die Lehrkraft auf die im Arbeitsheft „EinFach Deutsch“ enthaltenen Schaubilder zur bildhaften Darstellung zurückgreifen (siehe Anhang 6).25

2.1.3 Festigung des Lernzuwachses durch die Erstellung einer Mindmap

Am Ende der Unterrichtseinheit soll spielerisch und im Kontrast zum bisherigen Verlauf der Unterrichtsstunde zusammen eine Mindmap (siehe Anhang 7) an der Tafel erstellt werden. Dabei darf jeder Schüler nach vorne an die Tafel treten und das erworbene Wissen verschriftlichen. Um einem Chaos entgegenzuwirken, dürfen sich maximal drei Kinder gleichzeitig an der Tafel aufhalten. Durch Zusammenarbeit und Unterstützung der Lehrkraft können nun die wichtigsten Punkte zum Mittelalter aufgelistet werden. Um den Schülern und Schülerinnen mehr Zeit für die Umsetzung und die Gestaltung der Mindmap zu ermöglichen, soll diese als Hausaufgabe und in den weiteren Stundenverläufen selbstständig vervollständigt werden.

Abschließend wird das Lesen des Reinhart Fuchs von Heinrich der Glichezâre innerhalb des Zeitraumes von einer Woche für die Schaffung einer Grundlage der zukünftigen Unterrichtseinheiten als Hausaufgabe aufgegeben, mit dem Hinweis wichtige Geschehnisse und Personen zu markieren.

2.2 Zweite Unterrichtseinheit: Das erste deutsche Tierepos Reinhart Fuchs

Die zweite Unterrichtseinheit zielt darauf ab, eine Grundlage zur Bearbeitung des Reinhart Fuchs zu schaffen. Dabei wird neben der Überlieferungsgeschichte besonders der Inhalt des Werkes fokussiert.

2.2.1 Die Überlieferungsgeschichte als Basis für das Unterrichtsgeschehen

Den Auftakt des Unterrichtsgeschehens, dessen Hauptaugenmerk auf der Behandlung des ,ersten deutschsprachigen Tierepos’26 liegt, stellt die Auseinandersetzung mit einem Auszug aus dem Codex Manesse (siehe Anhang 8), einer Pergamentsammlung handschriftlich angefertigter mittelhochdeutscher Lieder, dar. Durch die visuelle Darstellung des Auszuges sowie einem darauffolgenden Unterrichtsgespräch sollen Vorstellungen sowie ein grundlegendes Verständnis hinsichtlich der Überlieferungsgeschichte mittelalterlicher Texte geschaffen werden. Als besonders Interesse erweckend wird hierbei das Untersuchen und Entziffern des fremdartigen Schriftzuges einiger Sätze im Plenum vermutet. Der deduktiven Unterrichtsstrategie vom Allgemeinen zum Speziellen folgend, wird nun mittels eines kurzen Lehrervortrages auf die Datierung des Reinhart Fuchs sowie dessen Vorlagen eingegangen. Hierbei stellen die zwei themenverwandten lateinischen Tierepen Ecbasis captivi und Ysengrimus sowie die zwischen 1175 und 1190 verfasste französische Vorlage Roman de Renart nennenswerte Werke dar, welche damals schon Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit politischen Machtverhältnissen boten.27 Zudem sollte der Elsässer Heinrich als Erschaffer des ersten deutschen Tierepos im 12. Jahrhundert genannt werden. Die Erwähnung des Entstehungszeitalters scheint insofern von großer Bedeutung, als dass auf diese Weise die bestehenden Herrschaftsverhältnisse als auch der Resonanzboden in die Geschichte eingeordnet werden können.28 Die kurze Benennung von zentralen Differenzen, welche sich speziell am Ende des Reinhart Fuchs in der Vergiftung und dem Zerfall des Löwenkönigs Vrevel widerspiegeln, sollte zudem für eine Abrundung thematisiert werden. 29

2.2.2 Schaffung eines Rahmengerüsts

Der Grundstein für das allgemeine Verständnis mittelalterlicher Überlieferungsgeschichte wurde im Vorgang gelegt, nun soll der Inhalt des Reinhart Fuchs rekapituliert werden. Dies soll in Abgrenzung zum vorangegangenen Frontalunterricht nun mit hoher Schülertätigkeit geschehen, um einen Lernerfolg durch den Wechsel von Unterrichtsformen zu sichern.30 Dazu wird ein Zeitstrahl mit Kreide an die Tafel skizziert, woran die Schüler und Schülerinnen später die erarbeiteten zentralen Geschehnisse chronologisch fixieren können. Als Vorstrukturierung wird das Tierepos von der Lehrkraft, vorerst ohne Beachtung des Pro- und Epilogs, in drei Abschnitte31 unterteilt. Dabei handelt es sich um die Überlistungsversuche des Fuchses an den Kleintieren (11-384), dem Antagonismus von Reinhart und Isengrin (385-1238) und die Überlistungsversuche des Fuchses an den Großtieren (1239-2248), welche als laminierte beschriftete Kärtchen mithilfe von Magneten an den Zeitstrahl geheftet werden. Nun sollen sich die Oberstufenschüler selbstständig in drei Kleingruppen aufteilen und jeweils einen der drei zentralen Abschnitte bearbeiten. Eine intensive Textlektüre sowie eine anschließende Gruppendiskussion sind Voraussetzung für die vollständige Beschriftung des Zeitstrahls mit wichtigen Ereignissen des Reinhart Fuchs. Die Ergebnisse jeder Kleingruppe können nun mit Folienstiften auf laminierten Kärtchen festgehalten und an der Tafel fixiert werden. Nun wird mithilfe der Lehrperson die Richtigkeit des fertiggestellten Tafelbildes diskutiert. Die Erarbeitung des inhaltlichen Stoffes in der Klasse, sowie das Festhalten der erarbeiteten Ergebnisse anhand eines Tafelbildes, ist für die Schaffung gleicher Grundvoraussetzungen für den zukünftigen Unterricht von großer Bedeutsamkeit. Zusätzlich steigt nach wissenschaftlichen Befunden die Merkleistung von Individuen durch die bildhafte Darstellung von neu erlerntem Stoff. 32

2.2.3 Erarbeitung und Klärung zentraler Begrifflichkeiten mithilfe wissenschaftlicher Texte

Im Anschluss an die Rekapitulation des Inhalts sollen nun in Bezug auf das Kreuzworträtsel33 der vorangegangenen Unterrichtseinheit, die für den weiteren Lernprozess charakteristischen Begrifflichkeiten mithilfe wissenschaftlicher Texte erarbeitet und geklärt werden. In Einzelarbeit sollen wesentliche Aspekte angestrichen, separiert herausgeschrieben und mit dem Banknachbarn verglichen werden. Hierbei soll zwischen Helden und Antihelden differenziert sowie die Termini Fabeltradition und Tierepos mitsamt seiner Funktion erschlossen werden. Die Begriffe werden nun im Plenum zusammen mit der Lehrkraft diskutiert, zusätzlich teilt diese Arbeitsblätter für eine abschließenden Festigung des erlernten Stoffes aus. Da es sich hier um ein wissenschaftspropädeutisches Seminar für die gymnasiale Oberstufe handelt, soll schon gleich zu Beginn der 11. Klasse das wissenschaftliche Arbeiten in den Unterricht miteinfließen, um grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten für die im Rahmen des Seminars anzufertigende Hausarbeit zu schaffen. Deshalb muss die Lehrperson genügend Zeit für die Bearbeitung zur Verfügung stellen, zusätzlich kann ein lernförderndes Klima ertragreich für den Wissenserwerb sein.34

Die Führung eines Diskurses über die Individualität der Tierdichtung Reinhart Fuchs, der die Meinungen aller Schüler und Schülerinnen aufgreift, soll das Ende der Unterrichtseinheit darstellen. Hier soll die Klasse vor allem auf den Aspekt des vom Bösewicht ausgehenden Kampfes gegen die verrottete Gesellschaft und im speziellen gegen den Monarchen Vrevel und seine höfische Umgebung gebracht werden.

[...]


1 Kersken, Wolfgang. Literatur des Mittelalters im Deutschunterricht der Sekundar- stufe II., Göppingen 1982, S. 97 f.

2 vgl. Büsse, Jacqueline. Mittelalterliche Lyrik im Deutschunterricht. Entwurf von Curriculum-Modulen zu Walther von der Vogelweide in der Sekundarstufe I und II, Göttingen 2011, S. 1f.

3 Karg, Ina. ,.und waz so guoter lere wernt.': mittelalterliche Literatur und heutige Literaturdidaktik. Versuch einer Kooperation. Frankfurt/Main 1998a, S. 20.

4 http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/id_26291.html, aufgerufen am 12.08.2019 um 15:12 Uhr.

5 vgl. Büsse (wie Anm. 2), S. 4f.

6 Im weiteren Verlauf wird nun von der Kenntnis über den Aufbau wissenschaftspropädeutischer Seminare ausgegangen.

7 vgl. Büsse (wie Anm. 2), S. 2.

8 vgl. Heinrich der Glichezâre. Reinhart Fuchs. Stuttgart 2005.

9 vgl. Neudeck, Otto. Frevel und Vergeltung. Die Desintegration von Körper und Ordnung im Tierepos Reinhart Fuchs. Frankfurt a. M. 2004, S. 101.

10 Schwab, Ute. Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs. Göppingen 1967, S. 57-126.

11 vgl. Neudeck (wie Anm. 9), S. 104.

12 vgl. Obermaier, Sabine. Tiere und Fabelwesen im Mittelalter. Berlin 2009, S. 16ff.

13 Im Verlauf der Arbeit werden weiterhin die neuhochdeutschen Tiernamen aus dem Tierepos verwendet.

14 Neudeck (wie Anm. 9), S. 113; vgl. Neudeck, Otto. Der Fuchs und seine Opfer: Prekäre Herrschaft im Zeichen von Macht und Gewalt. Berlin/Boston 2016, S. 22.

15 Unter einer Unterrichtseinheit ist in diesem Falle eine Doppelstunde von 90 Minuten zu verstehen. Als Unterrichtssequenz wird hier eine Anzahl von 6 Doppelstunden, also 12 Schulstunden â 45 Minuten gesehen.

16 Ein Artikulationsschema wird hier als Beispiel für eine mögliche Strukturierung angeführt (siehe Anhang 1).

17 vgl. Rehm, Markus/Reinhardt, Volker/Wilhelm Markus. Wirksamer Deutschunterricht. Unterrichtsqualität: Perspektiven von Expertinnen und Experten. Hohengehren 2018, S. 15.

18 vgl. Lewalter, Doris. Lernen mit Bildern und Animationen. Studie zum Einfluß von Lernmerkmalen auf die Effektivität von Illustrationen. Münster/München 1997, S. 35.

19 vgl. Speckenbach, Klaus. Der Reichsuntergang im Reinhart Fuchs und in der Nibelungendichtung. Münster 1979, S. 404-434.

20 vgl. Feistner, Edith/Karg, Ina/Thim-Mabrey, Christiane. Mittelalter-Germanistik in Schule und Universität. Leistungspotenzial und Ziele eines Faches. Göttingen 2006, S. 124.

21 vgl. Rehm/Reinhardt/Wilhelm (wie Anm. 18), S. 15.

22 Schulze, U. (Hg.): Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, übers. u. kommentiert v. Siegfried Grosse (Handschrift B), 2. Aventiure, 18-19.

23 Der mittelhochdeutsche Begriff muot lässt sich beispielsweise im Neuhochdeutschen nicht einfach mit „Mut“ übersetzen, sondern beschreibt vielmehr das Gemüt eines Individuums. Übersetzungsmöglichkeiten stellen hier Sinn, Gesinnung, Absicht oder Verstand dar.

24 vgl. Neudeck (wie Anm. 9), S. 117.

25 vgl. Möller, Jürgen. EinFach Deutsch Unterrichtsmodelle. Mittelalter. Gymnasiale Oberstufe. Paderborn 2007, 52f.

26 Neudeck (wie Anm. 9), S. 101.

27 vgl. Neudeck (wie Anm. 14), S. 10ff.

28 vgl. Neudeck (wie Anm. 9), S. 103-117.

29 Die Schaffung dieses Endes gilt als Eigenleistung’ des Elsässers Heinrich. Vgl. Neudeck (wie Anm. 9), S. 103.

30 vgl. Rehm/Reinhardt/Wilhelm (wie Anm. 18), S. 212f.

31 vgl. Neudeck (wie Anm. 9), S. 103.

32 vgl. Schnotz, Wolfgang/Zink, Thomas/Pfeiffer, Michael. Visualisierungen im Lehr-Lern-Prozess. Weinheim 1996, S. 193-213.

33 Um ein Grundgerüst zu schaffen wurden hier schon einige Begriffe genannt, die nun im weiteren Verlauf einer intensiveren Behandlung benötigen.

34 vgl. Rehm/Reinhardt/Wilhelm (wie Anm. 18), S. 14f.

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Ältere deutsche Literatur im gymnasialen Unterricht. Das Tierepos "Reinhart Fuchs" von Heinrich der Glîchezâre
Untertitel
Eine Unterrichtssequenz zur Thematik „Der Einzelne im Kampf gegen die Gesellschaft"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
29
Katalognummer
V912344
ISBN (eBook)
9783346244987
ISBN (Buch)
9783346244994
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Reinhart Fuchs, Feudalgesellschaft, Kampf gegen die Gesellschaft
Arbeit zitieren
Noemi Meixner (Autor:in), 2019, Ältere deutsche Literatur im gymnasialen Unterricht. Das Tierepos "Reinhart Fuchs" von Heinrich der Glîchezâre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/912344

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