Ist ‚Vater‘ gleichbedeutend mit ‚Macht‘ und wird somit Ersterer durch das Fehlen der Letzteren negiert? Wenn ja, würde das voraussetzen, dass Macht an physische Präsenz gekoppelt ist. Dies ist zu bezweifeln, da schon das Konzept von ökonomischer Macht, welches Thomä in seinem Argument aufwirft, nichts mit körperlicher Anwesenheit zu tun hat. Dennoch hat der Vater dadurch die Verfügungsgewalt über die Familie: Ungehorsam führt zum Ausschluss aus der Versorgungsgemeinschaft und zur gesellschaftlichen Ächtung. Obwohl der Vater aus dem ‚Exil der Arbeitswelt‘ heraus agiert, bleibt seine Macht folglich ungebrochen. Weiterhin lässt sich diskutieren, ob die seltene Anwesenheit den Eindruck der Macht des Vaters tatsächlich mindert. Wäre dies der Fall, hätten Könige (oder Regierungen generell) einen schlechten Stand. Schließlich können sie nicht immer überall präsent sein. Diese Schwäche wird durch eine symbolische Macht ausgeglichen, die eine Gesellschaft gewissen Institutionen zuschreibt – so beispielsweise dem Vater.
Im Laufe des 18 Jahrhunderts „wurde der Vater von den emotionalen familiären Beziehungen ausgeschlossen, bis er im späteren 19. Jahrhundert als strenge, unnahbare Autorität im Hintergrund der Familie stehen sollte.“ Auch ohne körperlich anwesend zu sein, hat der Vaters großen Einfluss auf familiäre Abläufe. Er wird zur Repräsentationsfigur der bürgerlichen Ordnung. Beide hier angeführten Gegenargumente gegen Thomäs Idee der Marginalisierung der Väter laufen letztlich darauf hinaus, dass ein Vater nicht physisch präsent sein muss, um innerhalb der Familie Macht auszuüben. Literarisch war dieses Thema bereits im 18. Jahrhundert präsent, als nicht nur die Sphären von Familie und Arbeit auseinanderzudriften begannen, sondern auch politische Veränderungen eintraten.
Wenn der Vater also nicht nur regieren darf, sondern muss, wie wirkt sich dessen Abwesenheit auf die Machtstrukturen innerhalb der Familie aus? Diese Frage soll hier mit der Komödie "Die Pietisterey im Fischbeinrocke" von Luise Adelgunde von Gottsched exemplarisch an einem Werk der Frühaufklärung untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Der fremde König...
- 2. Soziologischer und zeitgeschichtlicher Hintergrund der familiären Beziehungen und Vaterschaft..
- 3. Die Vater-Kind-Beziehung in der Pietisterey.
- 3.1 Zwei gegensätzliche Schwestern: Luischen und Dorrchen im Vergleich..
- 3.2 Der falsche Vater: Magister Scheinfromm und Frau Glaubeleicht..
- 3.3 Der legitime Repräsentant: Onkel Wackermann..
- 3.4 Der wahre Herrscher: Herr Glaubeleicht...
- 4. Substitution der Vaterinstanz durch andere Figuren...
- 4.1 Die elterliche Doppelrolle der Frau Glaubeleicht..
- 4.2 Herr Liebmanns verworfene Autorität.
- 4.3 Herr Wackermann als Beschützer der Familienehre?.
- 4.4 Herr Scheinfromm und die beeinflussbare Frau….....
- 5. Herr im eigenen Haus: Väterliche Machtstrukturen in der Vaterlosigkeit........
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit befasst sich mit der Vaterfigur in Luise Adelgunde von Gottscheds Komödie "Die Pietisterey im Fischbeinrocke". Sie untersucht die Auswirkungen der Vaterabwesenheit auf die Machtstrukturen innerhalb der Familie und beleuchtet die verschiedenen Perspektiven auf väterliche Autorität, die von den Figuren in der Komödie repräsentiert werden. Die Arbeit setzt sich dabei mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der Frühaufklärung auseinander, in der sich sowohl familiäre als auch gesellschaftliche Strukturen veränderten.
- Die Bedeutung der Vaterfigur in der Frühaufklärung.
- Die Veränderungen der Machtstrukturen innerhalb der Familie.
- Die verschiedenen Repräsentationen von väterlicher Autorität in "Die Pietisterey im Fischbeinrocke".
- Die Auswirkungen der Vaterabwesenheit auf die Familie.
- Die Rolle von anderen Figuren in der Komödie, die die Vaterinstanz substituieren.
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet den zeitgenössischen Diskurs über die Marginalisierung der Väter im 19. Jahrhundert und setzt sich kritisch mit den Thesen von Thomä auseinander. Das zweite Kapitel untersucht den soziologischen und zeitgeschichtlichen Hintergrund der familiären Beziehungen und Vaterschaft in der Frühaufklärung. Es wird aufgezeigt, wie sich die Vorstellung von Machtstrukturen im Wandel der Zeit veränderte und wie die Familie als Ort der Internalisierung dieser Strukturen fungierte. Im dritten Kapitel erfolgt eine Analyse der Vater-Kind-Beziehung in "Die Pietisterey im Fischbeinrocke". Es werden die verschiedenen Figuren und ihre jeweiligen Perspektiven auf väterliche Machtstrukturen beleuchtet, insbesondere die gegensätzlichen Positionen von Luischen und Dorrchen, die den Einfluss von Magister Scheinfromm und Frau Glaubeleicht sowie die Autorität von Onkel Wackermann und Herrn Glaubeleicht. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Substitution der Vaterinstanz durch andere Figuren in der Komödie. Es werden die unterschiedlichen Rollen und Machtstrukturen von Frau Glaubeleicht, Herrn Liebmann, Herrn Wackermann und Herrn Scheinfromm analysiert.
Schlüsselwörter
Die Seminararbeit befasst sich mit den Themen Vaterschaft, Machtstrukturen, Frühaufklärung, Familienkonstellationen, "Die Pietisterey im Fischbeinrocke", Luise Adelgunde von Gottsched, Vaterlosigkeit, Autorität, Substitution, Familienbeziehungen, Geschlechterrollen, soziale Strukturen.
- Quote paper
- Carolin Will (Author), 2019, Der abwesende Vater. Zu den Eltern-Kind-Beziehungen in "Die Pietisterey im Fischbeinrocke", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/912758