Wie wird die Wahrnehmung der Alpträume dargestellt?

Eine filmische, psychoanalytische und kulturwissenschaftliche Perspektive von "Der Nachtmahr" (2015), "Before I Wake" (2016) und "Spuk in Hill House" (2018)


Bachelorarbeit, 2020

46 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Horrorfilme als Medium für die Darstellung der Alpträume

3. Begründung der Filmauswahl.

4. Der Nachtmahr (2015): Film der „Traumlogik“
4.1. Ausgangssituation
4.2. Der Nachtmahr und dessen Verhältnis zu Tina
4.3. Der Nachtmahr als Abjekt
4.4. Der Nachtmahr und die Psychoanalyse: das Wesen als Freud‘sches „Es“
4.5. Bezug zur Romantikepoche

5. Before I Wake (2016): Familiendrama und Mutter-Sohn-Beziehung
5.1. Codys Alpträume und Jessies Visionen: Analyse beider Traumata
5.2. Psychoanalyse: der Alptraum und das Unheimliche

6. Spuk im Hill House (2018): zwischen dem Übernatürlichen und dem Femininen
6.1. Die Figur Olivias und ihre Alpträume
6.2. Psychoanalytische Erklärung für Olivias Alpträume: Hysterie?
6.3. Die Frau als das böse Andere

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

9. Internetquellen

10. Filmauswahl und Videomaterial

11. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

„Es ist darauf hingewiesen worden, dass eine Verwandtschaft zwischen Horrorfilm und Psychoanalyse insofern besteht, als beide von einem verdrängten Unbewussten, von einem ausgeschlossenen Anderen erzählen“1

Florian Leitner

„Ein Albtraum freies Nachtleben haben zumeist nur jene Menschen, die sich den realen Albträumen bereits gründlich zur hellen Tageszeit stellen.2 “ Christa Schyboll Im Jahr 1900 wurde vom Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud unter dem Titel Die Traumdeutung eines der umfangreichsten und komplexesten Werke veröffentlicht. Ungefähr zur selben Zeit hat die Erfindung des Mediums Film ihren Ursprung. Kurz nach der Entwicklung dieser neuen Kunstform sind bereits mehrere Filme über Träume entstanden, zum Beispiel die avantgardistischen französischen Filme der 1920er-Jahre. Obwohl sich die Kunst auch davor mit der Abbildung der Träume beschäftigt hatte, schien der Film für die Abbildung innerer Realität prädestiniert zu sein.3 Seit mehr als hundert Jahren experimentieren die Filmemacher und Filmemacherinnen mit Kamerabewegungen, Ton, Montagetechniken usw., um die Traumphänomene nachzuahmen und die Konzepte von Zeit und Raum zu hinterfragen.

Allerdings gibt es eine spannende Beobachtung: Die beiden Konzepte von Film und Traum weisen Unterkategorien auf, die eine düstere und bedrohliche Atmosphäre erschaffen: den Horrorfilm und den Alptraum. Bei der allgemeinen Auseinandersetzung mit diesen Begriffen ist zu folgenden Schlussfolgerungen gekommen: Die erste, allgemeine Gemeinsamkeit dieser „dunklen“ Begriffe besteht in der Verbindung mit tiefen psychischen Prozessen und dem Spiel mit negativ konnotierten Gefühlen, die zweite bezieht sich auf die bildliche Sprache, die sowohl in den Träumen generell als auch im audiovisuellen Filmmedium ihren Platz findet.

Bei der Recherche zu dem Phänomen des Alptraums und zur Entwicklung der Fragestellung hat sich folgende Problematik gezeigt: Es ist eine riesige Menge an Material über den Traum aus biologischer, psychologischer, kulturhistorischer und filmwissenschaftlicher Sicht vorhanden. Auch zum Horrorfilm findet man umfangreiche, sowohl deutsch- als auch englischsprachige Quellen, in deren Vielfalt man sich leicht verlieren kann. Zu dem Sonderfall Alptraum sind dagegen nur wenige geschichtliche und biologisch-psychologische Werke zu finden. Auch Die Traumdeutung von Freud, in der er in die Tiefen der Psyche geht und Träume als „Hüter des Schafs“, die mit den unbewussten (infantilen) Wünschen verbunden sind,4 betrachtet, lässt sich in Bezug auf diese spezifische Art der Träume nur in geringem Umfang bis gar nicht anwenden. Allerdings ist es möglich geworden, die Alpträume nicht nur direkt mithilfe von Traumdeutung, sondern auch über einen Umweg psychoanalytisch zu diskutieren: Letztendlich lassen sich Freuds andere Werke anwenden, um die Verbindung von Alpträumen und seelischen (verdrängten) Prozesse anhand konkreter Beispiele zu verfolgen.

Daraus hat sich die Notwendigkeit starker Filmbeispiele ergeben, die den Alptraum und dessen Hintergründe sowohl inhaltlich als auch filmtechnisch möglichst unterschiedlich darstellen. Die im zweiten Kapitel dargestellte getroffene Filmauswahl lautet: Der Nachtmahr (2015), Before I Wake (2016) und Spuk im Hill House (2018). Im dritten Kapitel wird die Filmauswahl genauer begründen. Das Ziel der Arbeit besteht dabei im Allgemeinen darin, die Verbindungen der großen Kategorien des Alptraums, des Films und der klassischen Freud‘schen Psychoanalyse anhand dieser drei Filme zu verfolgen. Dabei handelt es sich um die doppelte Wahrnehmung: Erstens wird betrachtet, wie die Charaktere den Alptraum erleben und wie er sich anhand ihrer Stellung mithilfe von Freud‘schen psychoanalytischen und/oder kulturwissenschaftlichen Theorien erklären lässt. Zweitens wird untersucht, wie der Zuschauer den Alptraum auf dem Bildschirm wahrnimmt und welche Rolle filmische audiovisuelle Mittel dabei spielen.

Obwohl die Inhalte der Alpträume und der Umgang der Figuren mit ihnen in jedem Film anders dargestellt werden, besteht folgende Gemeinsamkeit, die für die Analyse der psychoanalytischen Aspekte enorm wichtig ist: Alle betroffenen Figuren sind durch bestimmte prägende Lebensumstände charakterisiert, die die Entstehung der jeweiligen Alpträume verursachen. Ein Alptraum erscheint dabei in allen Filmbeispielen als Resultat einer Störung, das niemals komplett unabhängig oder spontan entstehen kann. Aus diesem Grund lassen sich die psychoanalytischen Theorien von Freud auf jedes Filmbeispiel anwenden. Im Prozess der Filmanalyse, besonders bei Der Nachtmahr und Spuk im Hill House, konnten allerdings mehrere kulturwissenschaftliche Ansatzpunkte aufgebaut werden, die sich insbesondere bei der Analyse weiblicher Protagonistinnen angeboten haben.

Im zweiten Kapitel beschreibe ich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Erfahrung von Horrorfilm und Alptraum. Dabei wird hauptsächlich auf das Buch Medienhorror. Mediale Angst im Film des Film- und Medienwissenschaftlers Florian Leitner Bezug genommen. Dabei wird die Vorgehensweise bei der filmischen Auswahl nachgezeichnet.

Im vierten Kapitel, welches sich dem Film Der Nachtmahr widmet, wird wie folgt vorgegangen: Als Erstes werden die Ausgangssituation bei der Entstehung des Alptraums bzw. die Anfangssequenzen analysiert. Diese ersten Sequenzen sind wichtig, weil sie Andeutungen zum Wesen des Nachtmahr sowie zu seiner körperlichen Nähe und seinen physischen Gemeinsamkeiten mit der Protagonistin enthalten, was im Laufe des gesamten Films zu einem großen Thema wird. Als Nächstes werden Schritt für Schritt die Inhalte der Ausschnitte untersucht, die das Verhältnis zwischen Alptraum und Protagonistin verdeutlichen. Dabei wird auf die audiovisuellen Mittel wie Kamerabewegung und -perspektive, Beleuchtung, Ton usw. eingegangen, die die Wahrnehmung des Alptraums durch die Zuschauer prägen und den Film zu einem einzigartigen Erlebnis machen. Danach wird an die Abjekt-Theorien von Julia Kristeva angeknüpft, die bei der Interpretation des Alptraums einen bedeutenden Beitrag leisten. Dem folgt die Analyse des Alptraums aus der Freud'schen „Es“-Perspektive, wobei seine Arbeit Das Ich und das Es (1923) zitiert und schließlich die Figur des Nachtmahrs u. a. wegen seines Äußeren mit dem Gemälde von Füssli und Alptraummotiven der Romantik in Verbindung gebracht wird.

Im fünften Kapitel werden einzelne Sequenzen aus dem Film Before I Wake in chronologischer Reihenfolge vorgestellt und die Folgen von traumatischen Ereignisse in Bezug auf die Mutter­Sohn-Beziehung beleuchtet, die die Entstehung des Alptraums prägen. Filmtechniken wie Licht, Ton, Jump Scare usw. werden ebenfalls berücksichtigt, um die Wirkung des Alptraums auf den Beobachter zu verfolgen. Am Ende des Kapitels wird der Alptraum anhand der Freud'schen Konzeption des Unheimlichen untersucht und dabei sein Werk Das Unheimliche zitiert.

Im sechsten Kapitel 6 werden schließlich die Alpträume einer der weiblichen Protagonistinnen aus Spuk in Hill House untersucht, die teilweise eng mit ihrer problematisierten Persönlichkeit als Frau und Mutter zusammenhängen. Die komplette Handlung der Serie ist nicht linear gestaltet und besteht aus ständigen Zeitsprüngen, daher werden einzelne Sequenzen in meistens nicht chronologischer Reihenfolge betrachtet. Da die Serie als ein typisches Beispiel des Supernatural-Horror-Films erscheint, befindet man sich in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Übernatürlichen, den dem Genre entsprechenden filmischen Techniken und persönlichen inneren Prozessen der Protagonistin. Als Nächstes wird die Figur der Frau den Freud‘schen Hysteriekonzepten gegenübergestellt. Diese Theorien sind allerdings durchaus strittig und veraltet, daher findet das Buch Mythos und Weiblichkeit bei Sigmund Freud der Religions- und Kulturwissenschaftlerin Renate Schlesier, die eine neue Sichtweise auf die Theorien verschafft, Verwendung. Abschließend wird die Figur als eine böse, monströse Frau problematisiert und dabei auf die film- und kulturwissenschaftlichen Theorien von Barbara Creed und Julia Köhne eingegangen.

2. Horrorfilme als Medium für die Darstellung der Alpträume

Der Hauptteil dieser Arbeit beginnt mit Definitionen zu den zwei zentralen Begriffen Horrorfilm und Alptraum , um deren Verbindung besser verfolgen zu können. Wenn man zu der Begrifflichkeit des Alptraums recherchiert, stößt man hauptsächlich auf die psychologischen bzw. biologisch-medizinischen Begriffsbestimmungen und Untersuchungen. In beinahe jedem Erklärungsversuch finden sich gemeinsame Begriffe wie negativ, Angst und Emotion . Eine der Definitionen liefert beispielsweise der deutsche Psychotherapeut und Professor für klinische Psychologie Reinhard Pietrowsky, der schreibt: „Unter Alpträumen werden Träume verstanden, die einen starken negativen Affekt hervorrufen und von ihm begleitet werden. Dieser Affekt ist in der Regel Angst, es kann sich aber auch um andere starke negative Emotionen handeln, wie Scham, Ärger, Hass oder Wut.“5 Es lässt sich feststellen, dass ein Alptraum als subjektive Erfahrung ein grundlegend negativ konnotiertes Erlebnis darstellt, welches mit unangenehmen Emotionen sowohl während des Traums als auch nach dem Erwachen verbunden ist. Diese stark negative Aufladung des Phänomens und die Anwesenheit ausschließlich negativer Gefühle werden in Verbindung mit den jeweiligen Horrorfilmen hinterfragt.

Zum Verständnis des Horrorfilms sind zahlreiche filmhistorische und medienwissenschaftliche Erklärungsversuche vorhanden. Florian Leitner gibt in seinem Buch Medienhorror. Mediale Angst im Film ebenfalls Definitionen zum Horrorfilm an und zitiert die Formulierung von Arno Meteling: „Die Merkmale des Horrorfilms können [...] vorsichtig so benannt werden, dass sie von der Bedrohung des menschlichen Geistes und Körpers erzählen und dies mit einer Rhetorik der Gewalt, des Schreckens, der Angst und des Ekels ausmalen [...].“6 Für Florian Leitner ist dabei Folgendes besonders wichtig: „[D]ie Gefahr, der die Figuren ausgesetzt sind, überträgt sich [...] auf die Zuschauer und ruft auch bei ihnen ein Gefühl der Bedrohung hervor.“7

Eine andere Definition des Genres liefert der Kultur- und Filmwissenschaftler Moritz Rosenthal wir folgt:

[...] Die Erzeugung von Abscheu, Ekel, Schrecken, Schock ist ein zentrales Moment des Horrorgenres, wobei zwar das Hauptaugenmerk auf dem Moment des Erschreckens liegt, aber die Situation, sich einem Zustand des „möglicherweise erschreckt werden“ auszusetzen, ebenfalls mitschwingt.8

Die Gemeinsamkeit bei der Erfahrung des Horrorfilm und des Alptraums liegt somit in der emotionalen Wahrnehmung dieser Phänomene, wodurch u. a. Angst produziert wird. Julia Köhne schreibt in ihrem Essay Angst im Film:

Das Medium Film ist seit seiner Erfindung auf verschiedenen Ebenen mit dem Topos Angst verknüpft, da es - verglichen mit anderen akustischen und visuellen Medien oder mit Schriftmedien - in besonderer Weise dazu geeignet ist, Angst und Furcht, Horror und Schrecken künstlerisch zum Ausdruck zu bringen und für die Zuschauenden intensiv nachempfindbar zu machen.9

Hierbei handelt es sich folglich sowohl um die Angst auf der diegetischen Ebene des Films (die von den Figuren empfundene Angst) als auch um die außerfilmische Angst, die sich auf den Zuschauer überträgt. Bei der Erfahrung eines Horrorfilms entsteht aber eine gegensätzliche Verbindung von Schrecken oder Ekel und Genuss. Einerseits „[...] scheint [...] die ästhetische Distanz zwischen dem Publikum und der durch den Film vorgestellten fiktionalen Realität vorübergehend zusammenzubrechen [...]“10, anderseits ist dem Zuschauer durchaus bewusst, dass die Geschehnisse auf dem Bildschirm nicht echt sind. Während die individuelle Erfahrung des Alptraums negativ ist, erscheint sie auf dem Bildschirm in Verbindung mit audiovisuellen Techniken als unterhaltend.

An dieser Stelle kann man von der sogenannten Lust an Horror sprechen. Es ist offensichtlich, dass die subjektive Erfahrung eines Alptraums nicht genießbar sein kann, weil der Schlafende u.a. einer Bedrohungsgefahr oder diversen Ekelgefühlen ausgesetzt ist, die der Alptraum verursacht. Die Erfahrung eines Horrorfilms oder die sogenannte Beobachtung zweiter Ordnung des im Film dargestellten Alptraums kann hingegen eine einzigartige Freude bzw. einen solchen Genuss bereiten. Damit aber diese Lust, auf Englisch „delight“, überhaupt entstehen kann, müssen dem Zuschauer gerade die Fiktionalität und die Distanz zum Geschehen bewusst werden.11

Eine andere Gemeinsamkeit von Horrorfilm und Alptraum besteht darin, dass beide Phänomene als eine durchaus körperliche Erfahrung erscheinen. Bei einem Alptraum handelt es sich oft um eine physische Erfahrung u. a. nach dem Aufwachen: Herzrasen, Gänsehaut, Zittern usw. Ähnliche Symptome sind allerdings ebenfalls während des Anschauens eines Horrorfilms möglich. „Obwohl die Welt, mit der das Medium sie konfrontiert, nur eine imaginäre ist, machen sie eine reale ,sinnliche‘ Erfahrung [...] - eine Erfahrung, die sich im Körper abspielt [... ]“12, berichtet Leitner.

3. Begründung der Filmauswahl

Die Auswahl der Filme wurde durch folgende Kategorie markiert: Die Filme sollen sowohl in Bezug auf das Entstehungsjahr und -land als auch auf die bildliche Darstellung sowie die Interpretation der jeweiligen Alpträume möglichst unterschiedlich sein. Schließlich fiel die Entscheidung für die Filme Der Nachtmahr (2015) aus Deutschland und Before I Wake (2016) aus den USA. Das dritte Beispiel ist die ebenfalls US-amerikanische Serie Spuk in Hill Haus (Originaltitel: The Haunting of Hill House), die im Jahr 2018 auf Netflix veröffentlicht wurde und damit als neuestes filmisches Material dient.

Die Anwendung der psychoanalytischen und psychologischen Ansatzpunkte zu jedem Film sollte ebenfalls möglich sein. An dieser Stelle traten einige Schwierigkeiten auf, da nicht jeder (Horror-)Film, in dem die Darstellung der Alpträume ihren Platz findet, perfekt für die psychoanalytische Analyse geeignet ist. Zum Beispiel wurde im Rahmen der Recherche der Film Requiem for a Dream (2000) angeschaut. Der Film enthält u. a. Sequenzen, die durch narkotische Substanzen ausgelöste Halluzinationen darstellen. Jedoch erwiesen sich dieser Film bzw. die oben genannten Szenen als für die Analyse ungeeignet, da nicht eindeutig feststeht, ob man bei durch Drogen bedingtem „Tagträumen“ bzw. Halluzinieren von Alpträumen im eigentlichen Sinn sprechen kann. Die Hauptideen von Requiem for a Dream knüpfen sehr stark an die Problematik von Drogenkonsum an. Die Alpträume als Folge des narkotischen Rausches erscheinen dabei als ein nebensächliches und untergeordnetes Phänomen.

Der Nachtmahr lebt von seiner einzigartigen audiovisuellen Gestaltung und mehrdeutigen Handlung, die zum Erstaunen und Nachdenken führen. Before I Wake zeichnet sich durch eine ausgeprägte emotionale Aufladung und die höchst sympathische Figur des Hauptcharakters aus. Spuk im Hill House kann als ein typisches Mystik-Horror-Filmbeispiel bezeichnet werden, in dem sehr viel Wert auf die klassischen Schreckmomente gelegt wurde. Bei der Untersuchung der Serie sind folgende Problematiken aufgefallen: Das Bild einer der Hauptfiguren und deren Alpträume werden in der Serie im Vergleich zu den Figuren in Der Nachtmahr und Before I Wake, weniger ausführlich dargestellt. Aus diesem Grund musste einerseits teilweise detaillierter und aufmerksamer als bei der Analyse der anderen beiden Filme vorgegangen werden, um die möglichen Ansatzpunkte nicht zu verpassen. Anderseits hat dies viel Freiraum für Anknüpfungen an mehrere nicht ausschließlich psychoanalytische Theorien und eigene Interpretationen geschaffen.

4. Der Nachtmahr (2015): Film der „Traumlogik“

[...] Der Nachtmahr [stellt] einen originellen, von seiner frontalen Inszenierung mit suggestiver Kameraführung und verstörender Tonspur getragenen psychologischen Horrorfilm dar. Aber Regisseur Akiz - ein Pseudonym, hinter dem sich Achim Bornhak verbirgt - hat mehr im Sinn: Der Nachtmahr lässt sich eben nicht lückenlos in wörtliche Bedeutung rückübersetzen, da bleibt ein Rest, der schon die eindeutige Kategorisierung als Horrorfilm erschwert.13

Der Nachtmahr ist ein Film von Achim Bornhak (Künstlername: AKIZ) aus dem Jahr 2015. Als kurze Beschreibung des Inhalts lässt sich Folgendes zusammenfassen: Protagonistin ist eine 17-jährige Berlinerin namens Tina, die nach einer Party von einer hässlichen Kreatur verfolgt wird. Tina versucht zunächst, den Nachtmahr loszuwerden. Doch später wird ihr die ungewöhnliche Nähe zu dem Wesen bewusst.

Bevor mit der Analyse des Films begonnen wird, werden die Dimensionen genannt, die bei diesem sowohl audiovisuellen als auch inhaltlichen Beispiel essenziell sind. Hier geht es grundsätzlich um das Hinterfragen von Traum und Realität sowie um die begriffsübergreifende Bedeutung des Alptraums. Dabei werden folgende Fragen aufgeworfen: Wie wird das Wesen des Nachtmahrs ausgefasst und in welchem Verhältnis steht der Nachtmahr zu Tina? Wie wird das Spannungsverhältnis zwischen (Alp-)Traum und (filmischer) Realität konstruiert und welche (filmischen) Mittel werden dabei benutzt? Bei der Analyse des ersten Beispiels werden einzelne Filmausschnitte, die für das Verständnis der Nachtmahr-Figur bedeutsam sind, parallel mit den angewandten audiovisuellen Techniken untersucht.

Die einzigartige filmische Gestaltung hat eine hohe Relevanz für das Verständnis der Nachtmahr-Figur und das Schaffen der filmischen Traumlogik , die der Regisseur in einem der Interviews anspricht.14 Die Idee spielt offensichtlich eine wichtige Rolle in der filmischen Struktur und im generellen Verständnis der Konzeptionen. Allerdings wurde dieser Begriff von AKIZ nicht weiter erläutert. Im Rahmen des Films kann jedoch folgende Erklärung der Idee vorgeschlagen werden: Unter der Traumlogik ist eine nicht lineare, geschichtliche Struktur zu verstehen, die dem Erlebnis eines Traums ähnelt. Die Anordnungen der Traumlogik fungieren außerhalb der rationalen Erklärungen; die Realität wird ständig hinterfragt.

Der Film ist nach Bekundung des Regisseurs stark durch seine eigenen Erfahrungen als Teenager beeinflusst. „Das Gefühl, nicht perfekt zu sein“15 prägt Tinas Existenz im Laufe des Films; im Interview berichtet der Filmemacher zusätzlich über seine Epilepsie- und Ohnmachtsanfälle in der Teenagezeit.16 Offensichtlich kennt AKIZ selbst das Gefühl, anders zu sein, was sein Werk beeinflusst hat. Dieser persönliche Bezug des Filmemachers macht diesen Film ebenfalls bemerkenswert. Während des Schauens fällt auf, dass der Film aus einer einzigartigen Kollage aus mehreren Filmgenres besteht; er enthält Elemente aus Science­Fiction, Teenagerdrama und auch Horror. AKIZ gibt selbst zu, dass sich der Film nur schwer eine Kategorie pressen lässt.17 Auch in Bezug auf die filmischen Techniken und die Inszenierung steht der Film außerhalb der gewöhnlichen Methoden. Der Filmkritiker und Journalist Kaspar Heinrich schreibt in seinem Artikel für Zeit Online Der Nachtmahr: Das Monster vor dem Kühlschrank:

Lange musste er [AKIZ] nach einem Kameramann suchen, der bereit war, seine bildästhetischen Vorstellungen umzusetzen: die fürs Kino ungewohnte Weitwinkelperspektive und der Verzicht auf zusätzliche Beleuchtung. ,Die Antwort war immer: ,Das sieht nach nichts aus, sagt Akiz. ,Ich habe dann entgegnet: ,Das soll auch nach nichts aussehen.‘18

Dieses einzigartige Zusammenspiel der ungewöhnlichen Filmtechnik und des zu hinterfragenden Inhaltes schafft eine besondere filmische Realität. Dabei wird eine traumähnliche Ebene jenseits der rationalen Logik und Erklärungen aufgebaut.

4.1. Ausgangssituation

Reinhard Pietrowsky schreibt über die ursprüngliche Bedeutung eines Nachtmahrs, es handele sich um einen weiblichen Geist, der bei den Menschen Alpträume verursache.19 Seine Begrifflichkeit lässt sich allerdings nicht auf den genannten filmischen Nachtmahr anwenden, denn das Wesen lässt sich nicht auf jene geschlechtliche Angehörigkeit festlegen. Weiterhin lassen sich die filmische Realität und der filmische Traum nicht genau definieren. Hier kann folgende These formuliert werden: Der Nachtmahr ist ein essenzieller Teil von Tina, der anerkannt und dem aktiv begegnet werden muss, damit der Ekel und die Angst überwunden werden können. Er stellt eine geschlechtslose Verkörperung des Tabuisierten und nicht Anerkannten dar. Die Begründung der Entstehung des Nachtmahrs bzw. die Geschichte werden später im Laufe des 4. Kapitels erläutert. Nun ist es jedoch wichtig, die filmischen „Trigger“ zu verfolgen, die die „Geburt“ des Monsters auf eine gewisse Art und Weise prophezeien.

Noch bevor der Film beginnt, erscheinen Warnhinweise auf dem schwarzen Hintergrund: Blinkende Lichter, isochronische Töne und binaurale Sequenzen können epileptische Reaktionen hervorrufen.20 Dann erscheint plötzlich folgender Hinweis: „Wie auch immer ... dieser Film sollte laut abgespielt werden!“21 Auf diese Weise soll möglicherweise Neugier durch ein gewisses Risiko hervorgerufen werden. Dabei handelt es sich um die potenzielle Gefahr, die vom audiovisuellen Medium an sich ausgeht.

Als Ausgangspunkt für die Entstehung des Alptraums dient ein Autounfall nach einer Party, bei dem Tina überfahren wird. Tatsächlich sind jedoch am Anfang des Films mehrere Anspielungen vorhanden, die auf das Wesen des Alptraums hinweisen. Auf den nächsten Seiten wird analysiert, durch welche „Stufen“ die kommende Entstehung des Nachtmahrs markiert ist.

Der erste Ansatzpunkt beginnt bereits nach einer Minute des Films. Auf dem Weg zur Party erzählt Tina ihren Freundinnen über Embryos, die während des Biologieunterrichts gezeigt wurden.22 Der Embryo auf Tinas Handyfoto zeigt dabei viele Ähnlichkeiten mit dem später entstehenden Alptraum (Siehe Abb. 1 und 2)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1. Der Embryo aus dem Video (Bildschirmkopie AKIZ: Der Nachtmahr, 2015, 00:01:39)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2. Der Nachtmahr im Badezimmer (Bildschirmkopie AKIZ: Der Nachtmahr, 2015, 00:40:30)

Bemerkenswert ist, wie Tinas Stimmung dabei von fröhlich und sorglos rasch auf ernst und angewidert wechselt. Die Verärgerung bei Tina nimmt zu, als ihre Freundin zum Spaß Tinas Foto mit dem Bild des missgebildeten Embryos zusammenfügt - in einer Handy-Applikation kommt es zu der Illusion, dass Tina sich in den Embryo „verwandelt“23. Sie ist äußerst angeekelt und gereizt. „Das ist voll eklig, mach das weg, lösch das sofort“24, sagt sie zu ihrer Freundin. Scheinbar erkennt sie unbewusst die Verbindung zwischen dem hässlichem Wesen und sich selbst.

Als zweiter Ansatzpunkt dient die Stelle im Film, wenn Tina Drogen zusammen mit Alkohol einnimmt.25 Gleich danach folgt die dritte Warnung, die sehr wichtig ist und die filmische Realität und die Linearität der Ereignisse auf den Kopf stellt. Ein Junge zeigt Tina und ihrer Freundin eine Aufnahme auf dem Handy, in der ein Mädchen von einem Auto überfahren wird.26 Die Pose des Mädchens auf der Straße sieht genauso aus wie der Embryo davor. Dabei findet Tina das Video wiederum als Einzige verstörend und „uncool“, sie wirkt distanziert und besorgt.

Die darauf folgende Partysequenz27 erscheint als eine Art Alptraum im Wachzustand. Es ist dunkel, das Bewusstsein ändert sich unter dem Einfluss von Rauschsubstanzen, das Gefühl von Raum und Zeit verschwindet. Die Rave-Musik wirkt psychedelisch und trägt zu der sich verändernden Wahrnehmung der Realität bei. Währenddessen kommt die vierte und letzte Warnung: Tina sieht etwas draußen im Busch.28 Was für die Zuschauer lediglich als helle, unklare Konturen erscheint, ist für Tina höchst unheimlich. Das Monster ist folglich bereits da. Das in Kürze Geschehende wirkt für die Zuschauer sowohl überraschend als auch verstörend. Als Tina draußen vom Auto überfahren wird,29, ist diese Szene nahezu identisch zu der davor gezeigten Aufnahme. Im Video zuvor hat Tina sich selbst jedoch offensichtlich nicht erkannt. Dies eröffnet mehrere Fragen: Was ist real und was nicht? Befindet sich Tina von Anfang an in einem (Alp-)Traum? Ebenfalls bemerkenswert ist, dass die Lichtverhältnisse sich ändern. Kurz vor dem Unfalls und währenddessen befindet sich Tina draußen unter der Straßenlaterne. Das trübe gelbliche Licht wirkt bedrohlich und düster. Diese Sequenz dient als eine Übergangssituation bzw. als metaphorisches „Erwachen“ nach dem Rausch-„Alptraum“. Während des Unfalls werden rasch filmische Ereignisse gezeigt, die später passieren werden. Ob Tina ihre Zukunft gesehen hat oder die Zukunftsszenen sich außerhalb der diegetischen Realität befinden und nur für den Zuschauer sichtbar sein sollen, bleibt unklar.

Daraus lässt sich schließen, dass die Entstehung des Monsters eine relativ lange Vorgeschichte hat. Der Autounfall nach der Party erscheint dabei als die letzte, aber nicht die entscheidende Instanz.

4.2. Der Nachtmahr und dessen Verhältnis zu Tina

Zur Erklärung des Nachtmahrs kann man folgende These aufstellen: Der Alptraum erscheint als wahrnehmbares/spürbares Wesen, welches bestimmte von Tina verdrängte Eigenschaften verkörpert und damit Teil ihrer eigenen Identität ist. Der Begriff des Alptraums, wie er schon im oberen Abschnitt angedeutet wurde, beschränkt sich jedoch nicht auf das unheimliche Wesen. Hinterfragt wird, was man im Film als Alptraum (im metaphorischen Sinne) betrachten kann. Was ist Realität und was ist ein Traum? Können der häufige Rauschzustand und die daraus resultierende Selbstzerstörung, psychedelische Rave-Partys und Isolation im eigenen Zimmer als vollwertige Realität bezeichnet werden? Oder sind die ständige Präsenz und die physische Spürbarkeit des Nachtmahrs das einzige wirklich Reale in Tinas Leben? Im Laufe der vorliegenden Analyse sollen diese Fragen in Verbindung mit angewendeten filmischen Techniken aufgegriffen und beantwortet werden.

Es handelt sich offensichtlich um mehrere Bedeutungsebenen des Konzepts Alptraum . Dieser Begriff steht im Spannungsverhältnis zum Begriff des Nachtmahrs , welcher als Menschen heimsuchendes Fabelwesen gedeutet werden kann. Als Alptraum bezeichnet man hingegen u. a. eine Vision bzw. ein Phänomen, das ausschließlich im Kopf besteht. Diese letzte Bedeutungsebene gilt ebenfalls für ungefähr ein Drittel des Films. Zunächst kann der Eindruck entstehen, dass das Monster nur in Tinas Psyche existiert (als mögliches Ergebnis des Konsums von Rauschsubstanzen). Zwar gibt es Anspielungen auf die Existenz des Wesens auch in der filmischen Realität, die weiter oben bereits beschrieben wurde, doch für den Zuschauer bleibt das Monster relativ lange unsichtbar.

Ab dem Ausschnitt, in dem Tina das Monster zum ersten Mal zu Hause hört und später sieht, kann die Beziehung zwischen Tina und ihren Eltern, die im Laufe des gesamten Films eine bedeutsame Rolle spielt, nachverfolgt werden. Die Entstehung des Nachtmahrs verläuft sowohl auf akustischer als auch auf visueller Ebene. Bevor Tina das Wesen in der Küche bemerkt, hört sie seltsame Geräusche. Als Tina ihre Eltern zu Hilfe ruft, wirken sie distanziert, misstrauisch und sogar verärgert.30 Die Situation an sich kann mit einer Alptraumerfahrung eines Kindes verglichen werden: Während dieses nach einem Alptraum beruhigt und wieder ins Bett gebracht wird, erscheinen Tinas Eltern distanziert und nicht unterstützend.

Die in dieser Sequenz angewendeten filmischen Mittel sind für den Gesamteindruck ebenfalls bedeutsam. Eine wichtige Rolle sowohl in dieser Sequenz als auch im Laufe des ganzen Films spielen die Kamerafahrten. Die Kameraverfolgt Tinas Wandeln durch das Haus, was einen Eindruck von Unruhe schafft. Die Kameraführung ist dabei verwackelt, wodurch die Aufnahmen als gezielt subjektiv und nicht professionell dargestellt werden sollen. Die filmische Welt zieht den Zuschauer tief in das Geschehen hinein und wirkt besonders authentisch. Die Abwesenheit einer für Horror typischen Musik sorgt ebenfalls für mehr Authentizität und ein Gefühl der Echtheit.

Die Szenen, in denen der Nachtmahr für den Zuschauer noch nicht gezeigt wird, deuten trotzdem darauf hin, dass das Wesen nicht nur zu Tinas Leben gehört, sondern auch Teil ihrer eigenen Existenz und sogar ihres Körpers wird. In der oben beschriebenen Unfallsequenz sowie im späteren Abschnitt in der Küche am nächsten Morgen kopiert Tina sowohl bewusst als auch unbewusst die Körperhaltungen des Wesens (siehe Abb. 3 und 4); ihre Silhouette sieht derjenigen des Nachtmahr unglaublich ähnlich. So verschwimmt teilweise die Differenz zwischen Tinas eigener Identität und dem mystischen Wesen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.3. Tina vor dem Unfall (Bildschirmkopie AKIZ: Der Nachtmahr, 2015, 00:09:22)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.4. Tina zu Hause vor dem Kühlschrank (Bildschirmkopie AKIZ: Der Nachtmahr, 2015, 00:19:18)

Eine andere Besonderheit des Films besteht darin, dass es sich um ein Spiel der Kontrastaufnahmen handelt. Nach den nächtlichen Sequenzen der Partys und des Rauschmittelkonsums folgen unmittelbar die Settings des Alltags; das metaphorische „Wachträumen“, das Gefühl der Freiheit und der völligen Auflösung im Moment werden nachfolgend durch tägliche Routine und autoritäre Personen wie Eltern ersetzt. Diese unbeständige Inhaltstruktur spiegelt Tinas eigene Labilität und Zerrissenheit wider.

Die Interpretation von Tinas Visionen bzw. des Nachtmahrs als (psychische) Störung sowie Verkörperung des Verdrängten und Unerwünschten ist spätestens ab der Szene mit dem Psychotherapeuten, dem Tina von ihren Eltern zugewiesen wird, klar.31 Daraus wird deutlich, dass der Nachtmahr nicht einfach Resultat einer exzessiven Partynacht und eines einmaligen Drogenkonsum ist, sondern eine tiefere Bedeutung dahinter verborgen sein kann. In der Therapiesitzung wirkt Tina sehr distanziert und emotionslos, zwischen dem Therapeuten und der Patientin herrscht eine angespannte Stimmung. Obwohl der Zuschauer das Wesen bis dahin immer noch nicht gesehen hat und sich fragt, ob es tatsächlich existiert und was es darstellen soll, wird es als Tinas Alptraum angenommen. Der Psychotherapeut tritt dabei als eine autoritäre Person und als Vermittler zwischen (Alp-)Traum und Realität auf, der Erklärungen liefert und versucht, diese beiden Ebenen in Einklang zu bringen.

Das bestehende Machtverhältnis wird u. a. durch filmische Techniken bzw. verschiedene Kameraperspektiven sichtbar gemacht. Tina wird mithilfe von Close-ups aufgenommen, die zwar nicht gleichzeitig als Obersichten beschrieben werden können, jedoch einen ähnlichen Eindruck schaffen: Tinas Emotionen werden sichtbar; sie unterdrückt ihre passive Aggression und wirkt auf eine besondere Art und Weise sehr verletzlich. Die Aufnahmen des Psychotherapeuten, die im Vergleich zu denjenigen von Tina eher als Untersichten wirken, zeigen hingegen seine ruhige Körperhaltung, eine generelle Selbstbeherrschung und die Abwesenheit von jeglichen Emotionen.

Eine besondere Stelle im Film stellt die kurze Sequenz dar, in der Tina einen (echten) Alptraum hat.32 Hierbei handelt es sich um einen Alptraum im klassischen Sinne des Wortes, was der Zuschauer jedoch nicht sofort realisiert. Im Traum wird Tina von ihren Eltern in die Psychiatrie gebracht; die Eltern wirken wie davor relativ distanziert und sogar etwas angeekelt von ihrer eigenen Tochter. Dabei entsteht der Eindruck, sie wollten Tina schnellstmöglich loswerden. Zunächst gibt es keine audiovisuellen Hinweise darauf, dass es sich um einen Alptraum handelt: Die absichtlich verwackelte Art der Kameraführung sowie Abwesenheit jeglicher Filmmusik bleiben bestehen. Ab der Sequenz 00:27:52 wird es jedoch klar, dass ein Alptraum dargestellt wird; in der Psychiatrie wird Tina in ein kleines Loch in der Wand gesteckt. „Das ist dein Zimmer“33, sagt die Krankenschwester. „Das ist aber viel zu klein, ich meine, da passe ich niemals rein“34, antwortet Tina verzweifelt. Daraufhin sagt die Mutter beinahe gereizt, „Sie denkt wieder, dass sie dieses Wesen ist.“35.

Der kleine Raum gewinnt möglicherweise eine symbolische Bedeutung und erscheint als Metapher bzw. als bildlicher Ausdruck für Tinas Ängste, die Eingrenzung ihrer Identität und ihre „dunkle Seite“, die (zumindest an dieser Stelle des Films) weder von ihrer Umgebung noch von ihr selbst akzeptiert ist. Diese Szene erscheint als ein anderer Hinweis darauf, dass das Monster ein Teil von Tina ist. Die Sequenz liefert eine klassische Interpretation des Konzepts, die in dieser Form zum ersten Mal im Film vorkommt. Vorher konnte man den Alptraum als körperlichen Zustand, als Ergebnis der Wirkung der Rauschsubstanzen und einer bestimmten Art von Musik, die die Wahrnehmung verändern, deuten.

[...]


1 Leitner, Florian: Medienhorror. Mediale Angst im Film, Paderborn 2017, S. 18.

2 Unter https://www.gutzitiert.de/zitat_autor_christa_schyboll_thema_albtraum_zitat_30999.html. Letzter Zugriff: 04.06.2020.

3 Vgl. Pietrowsky, Reinhard: Alpträume, in: Traum und Schlaf. Ein interdisziplinäres Handbuch, hrsg. v. Krovoza, Alfred und Walde, Christine, Stuttgart 2018, S. 335.

4 Vgl. ebd., 00:04:58-00:05:10.

5 Pietrowsky, 2018, S. 330.

6 Leitner, 2017, S. 34.

7 Leitner, 2017, S. 34.

8 Rosenthal, Moritz : Das Monster im Blick, Leipzig 2014, S. 23.

9 Köhne, Julia B. (2012): Angst im Film. In: Angst. Medizin. Psychologie. Gesellschaft, hrsg. v. Prof. Dr. Peter Zwanzger. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (im Druck, 2018), S. 48.

10 Leitner, 2017, S. 34.

11 Vgl. Leitner, 2017, S. 39.

12 Ebd., S. 35.

13 Nöding, Oliver (2016, 24.Mai): Der Nachtmahr - Kritik, unter https://www.critic.de/film/der-nachtmahr- 8599/. Letzter Zugriff: 29.05.2020.

14 Vgl. Rocket Beans TV: Der Nachtmahr | Interview mit Regisseur AKIZ | Rocket Beans TV, 27. Mai 2016, [YouTube] https://www.youtube.com/watch?v=-qRCI6MlMYk&t=1242s, 00:11:21-00:11:24.

15 Ebd., 00:04:45-00:04:49.

16 Vgl. ebd., 00:04:58-00:05:10.

17 Vgl. ebd., 00:10:08-00:10:13.

18 Heinrich, Kaspar (2016, 25.Mai): „Der Nachtmahr“. Das Monster vor dem Kühlschrank, unter https://www.zeit.de/kultur/film/2016-05/der-nachtmahr-film-kuenstler-daemon-akiz. Letzter Zugriff: 29.05.2020.

19 Vgl. Pietrowsky, 2018, S. 330.

20 Vgl. AKIZ: Der Nachtmahr, Deutschland 2015, 00:00:10-00:00:22.

21 Ebd., 00:00:26-00:00:35.

22 Vgl. AKIZ, 2015, 00:01:29-00:01:36.

23 Vgl. ebd., 00:01:50-00:02:14.

24 Ebd., 00:02:12-00:02:16.

25 Vgl. ebd., 00:03:26-00:03:30.

26 Vgl. ebd., 00:03:55-00:04:04

27 Vgl. ebd., 00:04:54-00:07:25.

28 Vgl. AKIZ, 2015, 00:07:48-00:07:51.

29 Vgl. ebd., 00:09:21-00:09:25.

30 Vgl. AKIZ, 2015, 00:12:40-00:17:31.

31 Vgl. AKIZ, 2016, 00:21:41-00:24:02.

32 Vgl. AKIZ, 2015, 00:27:10-00:28:15.

33 Ebd., 00:27:53-00:27:55.

34 Ebd., 00:27:58-00:28:03.

35 Ebd., 00:28:03-00:28:07.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Wie wird die Wahrnehmung der Alpträume dargestellt?
Untertitel
Eine filmische, psychoanalytische und kulturwissenschaftliche Perspektive von "Der Nachtmahr" (2015), "Before I Wake" (2016) und "Spuk in Hill House" (2018)
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
46
Katalognummer
V913360
ISBN (eBook)
9783346244796
ISBN (Buch)
9783346244802
Sprache
Deutsch
Schlagworte
wahrnehmung, alpträume, eine, perspektive, nachtmahr, before, wake, spuk, hill, house
Arbeit zitieren
Maria Ovcharenko (Autor:in), 2020, Wie wird die Wahrnehmung der Alpträume dargestellt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/913360

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