Big Data im Fußball. Die Kernfähigkeit 'Zielverteidigung' deutscher Torhüter

Eine Analyse


Dossier / Travail, 2020

32 Pages, Note: 2,3


Extrait


I. Tabellenverzeichnis

II. Abbildungsverzeichnis

III. Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Big Data
2.1. Definition
2.2. Praxisbeispiele und Ziele

3. Positionsdaten im Fußball
3.1. Definition
3.2. Technik zur Datenerhebung
3.2.1. Regularien
3.2.2. GPS (Tracking)
3.2.3. Videobasiertes System
3.2.4. Radar- bzw. mikrowellenbasierte Systeme
3.3. Neue KPI und Ergebnisse
3.4. Torwartspezifische Spieldaten
3.5. Torwartanalyse der FIFA Weltmeisterschaft 2018
3.5.1. Rahmenbedingungen
3.5.2. Quantitative Analyse
3.5.3. Zusammenspiel zwischen Team und Torhüter
3.5.4. Performance-Analyse

4. Expected Goals
4.1. Methode
4.2. Keeping Goals Prevented

5. Methodik
5.1. Zwischenfazit
5.2. Forschungsgruppe
5.3. Datenerhebung

6. Ergebnisse und Interpretation
6.1. Ergebnisse
6.2. Interpretation

7. Fazit

IV. Literaturverzeichnis

V. Anhang

I. Tabellenverzeichnis

Tab. 1 Forschungsgruppe

Tab. 2 Abschlussranking

II. Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Beispielhafte Spielfeldgrafik und Schussereignisinfo

III. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

2014 jubelte eine ganze Nation über den Erfolg der deutschen Nationalelf bei der Weltmeisterschaft in Brasilien. Unterstützung erhielt das Trainerteam rund um Joachim Löw damals von SAP. Das Datenunternehmen stellte der Mann­schaft eine 7.000 Spiele umfassende Datenbank zur Gegneranalyse zur Ver- fügung.1 Nicht erst seitdem WM-Triumph spielen Daten im Fußball eine immer wichtigere Rolle. Auf der Suche nach belegbaren Erfolgsfaktoren werden im­mer wieder neue Bereiche analysiert und Kennzahlen entwickelt. Einen unbe­strittenen Einfluss auf das Endergebnis haben die Torhüter. Deshalb ist es gerade für die jeweiligen Nationaltrainer vor großen Turnieren wie einer Welt­meisterschaft besonders wichtig, zu wissen, welcher Torhüter der Beste in der Torverhinderung ist. Zur Beurteilung der Torhüterleistung im Bereich der ab­gewehrten Torschüsse entwickelte das Datenunternehmen Opta die Kennzahl „Keeping Goals Prevented“. Basis der Bewertung sind die Ergebnisse der Ex­pected Goals Methode. Die Kennzahl lässt sich jedoch nicht immer einwand­frei dem Torhüter und seiner gezeigten Leistung zuordnen.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, welcher deutsche Torhüter der aktuellen Saison die statistisch besten Werte im Bereich der Zielverteidigung aufweist.

Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst der Begriff Big Data definiert und anhand von Praxisbeispielen skizziert werden. Anschließend werden die aus Big Data entstandenen und für den Fußball wichtigen Positionsdaten er­läutert, deren Erhebung beschrieben und allgemeine sowie torwartspezifische Ergebnisse aus verschiedenen Studien präsentiert. Zusätzlich wird die Expec­ted Goals Methode und ihre Anwendung sowie die Kennzahl „Keeping Goals Prevented“ als Grundlage dieser Arbeit erläutert. Anschließend wird die Me­thodik beschrieben und eine modifizierte Kennzahl zur Ermittlung der Torhü­terleistung im Bereich der Zielverteidigung vorgestellt. Abschließend werden die Ergebnisse in einem Abschlussranking präsentiert, mit der ursprünglichen Kennzahl sowie den tatsächlichen Einsätzen der Torhüter für die deutsche Na­tionalmannschaft verglichen und ein entsprechendes Fazit gezogen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die Sprachform des generischen Maskulinums angewendet. Die ausschließliche Verwendung der männlichen Form ist geschlechtsunabhängig zu verstehen.

2. Big Data

2.1. Definition

Big Data begleitet unsere Gesellschaft und unseren Alltag schon seit vielen Jahren. Wir selbst produzieren tagtäglich durch die Nutzung von Computern, Smartphones, Smartwatches oder Navigationssystemen neben Datenprodu­zenten wie u. a. soziale Medien, Wirtschaft, Forschung und Medizin ein hohes Datenaufkommen. Der Begriff Big Data definiert sich dabei wie folgt: „Mit ,Big Data' werden große Mengen an Daten bezeichnet, die [...] mit speziellen Lö­sungen gespeichert, verarbeitet und ausgewertet werden.“2 Die hohen und im­mer weiter wachsenden Datenmengen im Internet und den Unternehmen sol­len mithilfe von IT-Lösungen bewältigt und so aufbereitet werden, dass sich am Ende nutzbare Informationen ergeben.3 Big Data lässt sich dabei drei un­terschiedliche Dimensionen charakterisieren:

- Volume (Masse): Die Datenmenge bewegt sich im Tera- bis Zeta­bytebereich. Bis 2021 rechnet Cisco Systems mit bis zu 1,327 Zetabyte (1021 Byte) Datenvolumen in den weltweiten Rechenzentren.4
- Variety (Vielfalt): Daten liegen strukturiert, semi-strukturiert oder un­strukturiert in Formaten wie Bildern, Texten, als Audio oder Video vor.
- Velocity (Geschwindigkeit): Datenströme müssen in Echtzeit ausge­wertet und analysiert werden.5

Aus diesen drei Punkten lässt sich eine klare Herausforderung von Big Data ableiten. Zunächst muss die Möglichkeit geschaffen werden, die großen Da­tenmengen und verschiedenen Datentypen zu speichern und, möglichst in Echtzeit, zu analysieren. Durch eine schnelle Auswertung steigern die Daten den Wert für das Unternehmen. Mit den richtigen Algorithmen und Technolo­gien kann das Unternehmen Kausalitäten von Korrelationen unterscheiden, die Ergebnisse qualitativ bewerten und die neuen Erkenntnisse nutzen.

2.2. Praxisbeispiele und Ziele

Vor allem webbasierte Unternehmen wie Amazon, Google und Facebook prägten neben der Forschung den Begriff Big Data und brachten einige der heute populärsten Big-Data-Technologien auf den Markt.6 Darüber hinaus ha­ben sich bekannte Unternehmen wie IBM, Microsoft, SAS oder SAP auf Soft­ware-Lösungen zur Analyse und Verarbeitung von großen Datenmengen spe­zialisiert. Auch die Anzahl der Datenunternehmen die sich auf den Fußball fo­kussiert haben, wächst stetig. Die Bekanntesten in dieser Branche in Deutsch­land sind SAP, Opta Sports und Impire AG. SAP engagierte sich sogar von 2013 bis Ende März 2020 als Sponsor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).7 Die Ziele der Umsetzung von Big Data in den einzelnen Branchen sind auf einen Wissensvorsprung bzw. Wettbewerbsvorteil fokussiert. So verfolgt die Wirtschaft das Ziel, personenbezogene Profile über Interessen, Kaufverhalten oder Risikobereitschaft ihrer Kunden zu generieren, Produktionen zu optimie­ren sowie Innovationen auf den Markt zu bringen, um sich einen Wettbewerbs­vorteil gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen. Die Wissenschaft unter­sucht Entstehungen von aktuellen Naturereignissen wie dem Klimawandel, Erdbeben oder Epidemien um entsprechende Lösungen zu entwickeln.8

Weil im Fußball wesentlich weniger Tore fallen als in anderen Sportarten, kann schon der kleinste Vor- oder Nachteil über Sieg und Niederlage entscheiden.9 Daher werden von Jahr zu Jahr mehr Daten zur Beurteilung und Bewertung von Spielern, Mannschaften und ihren Leistungen erhoben. Die aus den Daten gewonnenen Erkenntnisse werden aufbereitet und analysiert, um einen ent­sprechenden Wettbewerbsvorteil zu generieren. Danach strebt nicht nur der Vereinsfußball, auch die Nationalverbände stellen sich digital auf, wie die an­gesprochene Zusammenarbeit des DFB und SAP zeigt. Die Gründe der Ko­operation zur Definierung entsprechender Wettbewerbsvorteile sind primär die monetären Anreize der einzelnen Wettbewerbe, welche stark mit dem sportli­chen Erfolg verbunden sind. Dies zeigen vor allem die Preisgeldverteilungen der vergangenen FIFA Weltmeisterschaft10, der UEFA Nations League11 sowie der, auf das Jahr 2021 verschobenen, UEFA Europameisterschaft12. Als se­kundäre Gründe lassen sich noch Prestige und Image nennen.

3. Positionsdaten im Fußball

3.1. Definition

Anlässlich fehlender Aussagekraft von bekannten Ereignisdaten wie Ballbe­sitz, Torschüsse oder Zweikampfquote und Laufleistung in Bezug auf den Er­folg einer Mannschaft, wurden in den vergangenen Jahren neue, sogenannte Key Performance Indikatoren (KPI) entwickelt, um Leistungen im Fußball bes­ser messen und Erfolgsfaktoren ermitteln zu können. Die Anwendungsberei­che sind dabei vielschichtig: Von der Trainingsgestaltung und -steuerung über Spiel- und Taktikanalysen bis hin zum Scouting und zur Neuverpflichtung von Spielern - in all diesen Bereichen werden heute KPI zur Unterstützung ver­wendet. Besonders die dadurch entstandenen Positionsdaten spielen heute eine wichtige Rolle, wie Ralf Rangnick unterstreicht:

„Die moderne Spielanalyse umfasst mittlerweile mehr als die Auswer­tung von Zweikampfquoten oder zurückgelegten Kilometern - denn es hat sich herausgestellt, dass diese Daten nicht über Sieg oder Nieder­lage entscheiden. Vielmehr sind es deutlich komplexere Analysen mit neuartigen Leistungsindikatoren, welche neue Erkenntnisse im Spitzen­fußball liefern werden. Big Data beziehungsweise sogenannte Positi­onsdaten helfen beim Erkennen von taktischen Mustern, denn sie er­möglichen heutzutage die genaue Erfassung der Positionen jedes Spie­lers und des Balles.“13

Die Positionsdaten beschreiben dabei die räumlich-zeitliche Konstellation der sich auf dem Spielfeld befindenden Spieler. Dafür wird der Platz in ein Koordi­natensystem mit X- und Y-Achse umgewandelt. Anschließend werden die Ko­ordinaten mit den Positionen aller Spieler sowie des Balles auf dem Spielfeld erfasst. Mannschaften können also mit der entsprechenden Soft- und Hard­ware teilweise in Echtzeit das Spielgeschehen analysieren, die Leistungen der Spieler bewerten oder Spielmuster des Gegners erkennen und sich so einen entscheidenden Vorteil verschaffen.14

3.2. Technik zur Datenerhebung

3.2.1. Regularien

Bevor die aus den Positionsdaten neu gewonnen KPI genauer erläutert wer­den, sollen zuvor die technischen Möglichkeiten der Erhebung von Positions­daten betrachtet werden. Zu Beginn der Erhebung von Positionsdaten muss­ten diese händisch notiert und eingetragen werden.15 Grund dafür war zu­nächst die fehlende Technik, später das offizielle Regelwerk der FIFA. Dem­nach war es verboten, elektronische Geräte während des Spiels am Körper zu tragen, da diese nicht zur Standardkleidung des Spielers gehören. 2015 wurde die Aufhebung diese Regelung von der IFAB beschlossen und das Tragen von Mikrochips im offiziellen Spielbetrieb gestattet.16 Die Entscheidung zur Umset­zung und Durchführung überlässt die FIFA den einzelnen Verbänden. Ledig­lich zwei Regeln müssen eingehalten werden:

1. Die Gesundheit der Spieler darf durch das Tragen der Geräte nicht ge­fährdet werden.
2. Die entstehenden und gesammelten Daten dürfen ausschließlich für den mannschaftsinternen Gebrauch benutzt und nicht an Dritte, insbe­sondere für kommerzielle Zwecke, weitergegeben werden.17

Aktuell haben sich drei Systeme mit jeweils individuellen Vor- und Nachteilen zur Positionsdatenerhebung im Fußball hervorgetan:

3.2.2. GPS (Tracking)

Das GPS- oder auch Tracking-System ist das gängigste System im Fußball. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Anbietern auf dem Markt, die eine entsprechende Soft- und Hardware anbieten. Zu den bekanntesten Unternehmen zählen GP-Sports, Statsports, Tracktics, Catapult Sports und DashTag.18 Das System funktioniert dabei ähnlich wie ein Navigationssystem. Um den Standort des Spielers zu verfolgen, werden ein Transponder, welchen der Spieler am Körper trägt, ein Empfangsgerät und ein batteriebetriebener oder aufladbarer Akku pro Spieler benötigt. Der Transponder übermittelt dabei die Positionsdaten an das Empfangsgerät. Diese können mit einer entspre­chenden Schnittstelle zu einem PC in Echtzeit ausgelesen werden. Ein weite­rer Vorteil dieses Systems ist der geringe Kosten- und Logistikaufwand. Hinzu kommen zusätzliche nützliche Funktionen, wie z. B. ein in den Transponder eingebauter Herzfrequenzmesser. Damit lassen sich auch Fitnessdaten des Spielers zur Trainingsbelastung und -steuerung auslesen. Zudem ist das GPS­System sehr zuverlässig und kann ein exaktes Bewegungsprofil wiedergeben. Allerdings ist die Positionserkennung des Spielers auf dem Spielfeld ungenau. Zudem kann das System nur im Outdoor-Bereich verwendet werden.19

3.2.3. Videobasiertes System

Für die Ermittlung der Positionsdaten via videobasierte Systeme wird keine Elektronik am Spieler benötigt. Damit war diese Technik bereits vor 2015 im Wettkampf einsetzbar. Die Identifikation der Spieler und Positionen erfolgt mit­hilfe festinstallierter Kameras, die zumeist unter dem Stadiondach angebracht sind. Die Datenerhebung erfolgt dabei (semi-)automatisch und muss teilweise nachbearbeitet werden. Befinden sich beispielsweise bei einer Standardsitua­tion oder bei einem Torjubel viele Spieler gleichzeitig auf einem kleinen Raum, können die Kameras einzelne Spieler nicht mehr identifizieren. Anschließend ist eine händische Zuordnung der Spieler nötig, damit die gesammelten Daten in die richtigen Profile gespeichert werden. Witterung und Lichtverhältnisse können ebenfalls negativen Einfluss auf die Erkennung der Spieler und Posi­tionen haben. Auch hier ist eine händische Nachbearbeitung notwendig.20

3.2.4. Radar- bzw. mikrowellenbasierte Systeme

Radar- bzw. mikrowellenbasierte Systeme sind im Fußball auch als „Local Po­sition Measurement-Systeme“, kurz LPM, bekannt.21 Die Funktionsweise äh­nelt der der GPS-Systeme. Der Spieler trägt eine Transpondereinheit in einem Brustgurt oder seinen Schienbeinschonern. Rund um das Spielfeld im Stadion oder auf dem Trainingsplatz befinden sich fest installierte Empfänger zur Ver­arbeitung der Signale der Transponder. Mittels Triangulation werden die Posi­tionsdaten des Spielers genaustens berechnet und mit einer hohen Übertra­gungsgeschwindigkeit übermittelt. Zusätzlich ist es im Vergleich zu GPS-Sys­temen auch im Indoor-Bereich anwendbar. Allerdings ist die Installation eines solchen Systems sehr aufwändig, da eine sorgfältige Kalibrierung der Kame­ras und des Spielfeldes nötig ist. Der Gebrauch z. B. bei einem Auswärtsspiel wird somit außerordentlich erschwert.22

3.3. Neue KPI und Ergebnisse

Im Fußball werden zwar große Datenmengen erhoben, bisher fehlte aber die Aussagekraft in Bezug auf den Erfolg einer Mannschaft (vgl. Kapitel 3.1.). Ein erstes charakteristisches Merkmal für erfolgreiche Mannschaften fanden Cas­tellano et al. 2012 heraus. Sie analysierten mehrere Fußball-Weltmeister­schaften und stellten fest, dass es eine zuverlässige Unterscheidung in den Statistiken für die Anzahl der Schüsse und der Schüsse auf das gegnerische Tor zwischen siegreichen und unterlegenen Teams gab.23

Diese Entdeckung war ein erster Schritt, allerdings fehlten es bis 2015 an großflächigen Feldversuchen, bei denen entwickelte Methoden und Verfahren an einer großen Spielanzahl getestet wurden.24 Um diesem Mangel entgegen­zuwirken, schrieb die Deutsche Fußball Liga das Projekt „Positionsdaten im Profifußball“ aus. Das Projekt wurde als eine erste große Praxisstudie anhand von 50 Bundesligaspielen der Saison 2014/2015 an der Deutschen Sporthoch­schule in Köln durchgeführt. Ziel war die automatische Berechnung einer Aus­wahl neu entwickelter KPI unter Einsatz von neuronalen Netzen. Dafür wurden über 11.000 Leistungswerte mithilfe des entwickelten Spielanalysetools SOC­CER (© Perl 2011) ermittelt.25 Aus den Werten ermittelten sich die folgenden neuen KPI: Raumkontrolle, überspielten Gegner und die Pressinggeschwin- digkeit.26 Diese sollten die Frage beantworten, was den Unterschied zwischen erfolgreichen und erfolglosen Mannschaften ausmacht.27 Zudem sollten die KPI die taktische Leistung der Spieler objektiv bewerten.28

Für die Ergebnisse wurden die Daten der Mannschaften aus dem oberen so­wie unteren Tabellendrittel gemäß der Abschlusstabelle der Bundesliga der Saison 2014/2015 verglichen.29 Unterstützt durch die genannten Kennzahlen wurden erste Unterschiede ermittelt. Bei der Raumkontrolle konnte festgestellt werden, dass Teams aus dem oberen Tabellendrittel wesentlich größere Raumgewinne in der Angriffszone erzielten. Das bedeutet, dass die Top­Teams im Schnitt mit einem vergleichbaren Pass in der Angriffszone größere Räume kontrollierten als Teams aus dem unteren Tabellendrittel.30

Bei der Kennzahl der überspielten Gegner ließ sich ebenfalls ein signifikanter Unterschied zwischen den Teams der beiden Tabellendrittel feststellen. So ergaben die Berechnungen, dass sich die siegreicheren Teams einen Feldvor­teil erspielen konnten, weil ihnen im Schnitt bei allen Pässen bis zur Angriffs­zone weniger Gegenspieler gegenüberstanden. Damit überspielen erfolgrei­che Mannschaften bei eigenen Angriffen nicht nur mehr gegnerische Spieler, in der Verteidigungsarbeit bekommen sie auch mehr Spieler hinter den Ball.31 Die Pressinggeschwindigkeit entsteht aus der Kombination der beiden zuvor erläuterten KPI. Um auch hier ein repräsentatives Ergebnis zu erzielen, wur­den alle Halbzeiten mit einer Führung von mindestens zwei Toren analysiert. Wie bereits beschrieben, schaffen es erfolgreiche Mannschaften mit ihren Pässen im Schnitt größere Räume in der gegnerischen Angriffszone zu kon­trollieren, sich gleichzeitig im defensiven Umschaltspiel von Angriff auf Abwehr schneller zu sortieren und mehr Spieler hinter dem Ball zu positionieren. Das defensive Umschaltverhalten wird mit der Pressinggeschwindigkeit festgehal­ten und ausgedrückt. Bei der Analyse überzeugten die siegreichen Teams be­sonders zum drei Sekunden nach dem Ballverlust gemessenen Zeitpunkt mit ihrer Raumverdichtung im Vergleich zu ihren Gegnern.32

3.4. Torwartspezifische Spieldaten

Aufgrund der im Fußball geringen Anzahl an Toren im Vergleich zu anderen Sportarten hat ein Torhüter nicht selten einen entscheidenden Einfluss auf den Spielausgang. Gerade in engeren Spielen können sie den Unterschied zwi­schen Sieg und Unentschieden oder Unentschieden und Niederlage ausma­chen. Umso erstaunlicher erscheint der Umstand, dass wissenschaftliche Ana­lysen zwar immer häufiger versuchen, einen oder mehrere zuverlässige Er­folgsfaktoren im Fußball zu ermitteln, dabei aber zumeist die Position des Tor­hüters vernachlässigt wird. Wie bei den Feldspielern werden auch für Torhüter spezifische Eventdaten, wie die Anzahl der Spiele und Gegentore, Spiele ohne Gegentor oder die Quote der abgewehrten Torschüsse, ermittelt. Dazu werden von Sportmedien regelmäßige Torhüter-Rankings erstellt, die sich jedoch häu­fig auf subjektive und nicht wissenschaftliche Bewertungen wie Notendurch­schnitte oder Algorithmen mit unklarer oder geheimer Berechnung berufen.33

3.5. Torwartanalyse der FIFA Weltmeisterschaft 2018

3.5.1. Rahmenbedingungen

Bis zur FIFA Weltmeisterschaft 2018 gab es keine adäquate wissenschaftliche Positionsanalyse für Torhüter. Dies stellte auch Marc Ziegler, DFB-Torwart­Koordinator, bei der Präsentation der Ergebnisse seiner Torwartstudie zur Weltmeisterschaft 2018 beim Internationalen Trainer-Kongress 2018 in Dres­den fest: „Ich habe versucht, im Vorfeld der WM einiges an Informationen zu sammeln, und ich muss ehrlich sagen, es gab nicht viel. [...] deswegen war es höchste Zeit, dass wir diese Analyse gestartet haben im Torwartbereich [.]“.34

Mit Unterstützung von elf weiteren Experten konnte Marc Ziegler das Torwart­spiel aller 64 Spiele der FIFA Weltmeisterschaft 2018 in Russland analysieren und auswerten. Die Analyse teilte sich dabei in sechs verschiedene Bereiche auf. Für die quantitative Analyse wurde jede Aktion eines Torhüters per Video­auswertung erfasst und alle vorhandenen Daten, Fakten und Zahlen mithilfe eines vorgefertigten Analysebogens dokumentiert. In der Gegentoranalyse wurden die Gegentore in ihrer Entstehung und auf ihre Vermeidbarkeit durch den Torhüter untersucht. Zudem wurden die bisher geltenden Leitlinien für den Torhüterbereich auf ihre Aktualität überprüft. Beim Thema Technikanalyse wurde u. a. auf den Abdruck, den Moment und die Kraft des Absprungs ge­achtet. Weiter wurde auch eine Spielphasenanalyse durchgeführt. Hierbei wurde nicht nur die Torwart-Aktion beim Abschluss durch den Gegner, son­dern auch das Verhalten der Torhüter in der Entstehung der Situation, die zum Abschluss führte, analysiert. Zuletzt wurde mit der Performance-Analyse die Effizienz insgesamt bewertet. Nachfolgend soll auf die für diese Arbeit rele­vanten Ergebnisse im Bereich der Zielverteidigung eingegangen werden.35

3.5.2. Quantitative Analyse

Die Zielverteidigung definiert sich als das Verhindern von Gegentoren und wird in der Analyse von Ziegler als wichtiger Kern des Torwartspiels beschrieben.36 Rund ein Achtel aller Aktionen der Torhüter bei der WM in Russland konnten der Zielverteidigung zugeordnet werden. Durch die vielen Standardsituationen waren mit 21 Prozent Kopfbälle abzuwehren. Hinzu kamen, aufgrund der vie­len und nah vor dem eigenen Tor verteidigenden Mannschaften, 34 Prozent Fernschüsse. 28 Prozent betrug der Wert für die Schüsse aus der Nahdistanz, hier definiert als Schüsse innerhalb des Strafraums. Die restlichen 17 Prozent umfassten direkte Standards auf das Tor, wie Elfmeter oder Freistöße, und 1- gegen-1 Situationen des Angreifers mit dem Torwart. Zusätzlich stuften die Experten rund 47 Prozent der 169 Gegentore als vermeidbar ein, wobei bei 14 Prozent ein klarer Torwartfehler vorausging und bei den weiteren 33 Prozent dem Torhüter eine Mitschuld von den Experten zugesprochen wurde.37

3.5.3. Zusammenspiel zwischen Team und Torhüter

Verbesserungspotenzial im Zusammenspiel der Feldspieler und des Torhüters sehen die Experten im Bereich der Schussverteidigung. Hier wird primär das Abwehrverhalten des Verteidigers kurz vor und während der Schussabgabe des Angreifers kritisiert. Demnach sollten die Verteidiger, ähnlich wie bei einer Freistoßmauer, eine Seite des Tores konsequent verteidigen, damit der Tor­wart sich auf einen entsprechenden Schuss, in die vom Verteidiger unge­deckte Ecke einstellen kann. Häufig eröffnet der Verteidiger dem Angreifer die Gelegenheit, in die von ihm vermeintlich gedeckte Ecke zu schießen, indem er z. B. einen weiten Ausfallschritt macht und der Ball so durch seine Beine geschossen werden kann. Diese Bälle sind für den Torhüter erst spät zu se­hen, wodurch die erfolgreiche Zielverteidigung erschwert wird.38

3.5.4. Performance-Analyse

Für die abschließende Performance-Analyse wurde der Einfluss jedes Torhü­ters auf das Spiel seiner Mannschaft subjektiv bewertet. Dafür wurde eine Ska­lenbewertung von eins, für einen sehr negativen Einfluss, bis zehn, für einen sehr positiven Einfluss, in den einzelnen Kategorien vergeben. Als sehr posi­tives Beispiel wurde der Franzose Hugo Lloris für seine Leistung im WM-Halb- finale gegen Belgien hervorgehoben. In zwei Kategorien bekam er mit zehn die Höchstpunktzahl und wurde auch in den weiteren Punkten gut bewertet.39

4. Expected Goals

4.1. Methode

Die Expected Goals Methode ist auf die beschriebenen Positionsdaten zurück­zuführen. Dabei handelt es sich um eine sogenannte „Pre-shot Analyse“.40 Sie beschreibt die Trefferwahrscheinlichkeit eines Torschusses im Moment der Torschussabgabe durch den Angreifer. Die Wertigkeit des Schusses ergibt sich aus der Position des Schützen und der Positionskonstellation der weiteren Mit- und Gegenspieler auf dem Spielfeld. Die Erfolgswahrscheinlichkeit auf ein Tor wird aus den Resultaten ähnlicher Szenen ermittelt. Das kumulierte Er­gebnis aller Torschüsse einer Mannschaft in einem Spiel sind die zu erwarten­den Tore (xG) für das Team.41

Darüber hinaus gibt es weitere Faktoren, die den xG-Wert eines Abschlusses positiv oder negativ beeinflussen können. Es wird unterschieden, ob der Ball mit dem Kopf oder Fuß, mit dem starken oder schwachen Bein, zunächst an­genommen oder per Direktabnahme oder der Ball per Standard oder aus dem Spiel auf das Tor geschossen wurde.42

[...]


1 Vgl. Tauber (2014)

2 Springer (2018)

3 Vgl. Radtke (2019)

4 Vgl. Cisco System (2018)

5 Vgl. Schroeck et al. (S. 4, 2012), vgl. Fasel/Meier (S. 6, 2016)

6 Vgl. Fasel/Meier (2016)

7 Vgl. Sponsors (2019), vgl. Focus (2019)

8 Vgl. ebd.

9 Vgl. Memmert, Raabe (S. 170, 2017)

10 Vgl. Sponsors (2018)

11 Vgl. UEFA (2018b)

12 Vgl. UEFA (2018a), vgl. UEFA (2020b)

13 Vgl. Rangnick in Memmert, Raabe (IX f., 2017)

14 Vgl. Memmert, Raabe (S. 4 & S. 193, 2017)

15 Vgl. Baca in Memmert, Raabe (S. 62, 2017)

16 Vgl. FIFA (S. 6 ff., 2015a)

17 Vgl. FIFA (2015b)

18 Vgl. Sport 2000 (o. J.)

19 Vgl. Memmert, Raabe (S. 62 ff., 2017)

20 Vgl. Memmert, Raabe (S. 65 f., 2017)

21 Vgl. Memmert, Raabe (S. 71, 2017)

22 Vgl. Memmert, Raabe (S. 67 f., 2017)

23 Vgl. Castellano et al. (S. 114, 2012)

24 Vgl. Memmert et al. (S. 2 f., 2016)

25 Vgl. Memmert, Raabe (S. 8 f., 2017)

26 Vgl. Memmert, Rein (S. 66 f., 2018)

27 Vgl. Memmert, Raabe (S. 158, 2017)

28 Vgl. Memmert et al. (S. 2, 2016)

29 Vgl. Memmert, Raabe (S. 157, 2017)

30 Vgl. Memmert, Raabe (S. 163 f., 2017)

31 Vgl. Memmert, Raabe (S. 172 ff., 2017)

32 Vgl. Memmert, Raabe (S. 182, 2017)

33 Vgl. Kicker (2020), vgl. LigaInsider (2020), vgl. z. B. WhoScored.com (2020)

34 Bund Deutscher Fußball-Lehrer (07:00 - 07:38, 2018)

35 Vgl. Ziegler (S. 15, 2018a)

36 Vgl. Ziegler (2018b)

37 Vgl. Ziegler (S. 15 f., 2018a)

38 Vgl. Ziegler (S. 17, 2018a)

39 Vgl. Ziegler (S. 18, 2018a)

40 Vgl. Tippett (S. 4 f., 2019)

41 Vgl. Tippett (S. 4 f., 2019)

42 Vgl. Tippett (S. 7, 2019)

Fin de l'extrait de 32 pages

Résumé des informations

Titre
Big Data im Fußball. Die Kernfähigkeit 'Zielverteidigung' deutscher Torhüter
Sous-titre
Eine Analyse
Université
IST-Hochschule für Management University of Applied Sciences
Note
2,3
Auteur
Année
2020
Pages
32
N° de catalogue
V913639
ISBN (ebook)
9783346232519
ISBN (Livre)
9783346232526
Langue
allemand
Mots clés
Big Data, Torhüter, Torwart, Analyse, Fußball, Expected Goals
Citation du texte
Sebastian Heuser (Auteur), 2020, Big Data im Fußball. Die Kernfähigkeit 'Zielverteidigung' deutscher Torhüter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/913639

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