Beethoven als Bearbeiter. Über die Ariette "Der Kuß" Op. 128


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

31 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A.
1. Zur Form „Ariette“
2. Beethoven als Ariettenkomponist

B
3. Ariette „Der Kuß“, op. 128
3.1 Entstehung
3.2 Gedicht „Der Kuß“ von Christian Felix Weiße
3.2.1 Herkunft und Quellenlage
3.2.2 Text
3.2.3 Anakreontische Tradition
3.3 Analyse
3.4 Musikalische Quellen
3.4.1 Autograph
3.4.2 Abschrift
3.4.3 Originalausgabe
3.4.4 Skizzen
3.4.4.1 Grasnick 1
3.4.4.2 Artaria 201
3.4.4.3 Klavierbegleitung

C.
4. Beethovens Bearbeitungen

Literatur

Anlage

Anlage 1 : Ariette „Der Kuß“ Opus 128

Anlage 2: Skizze 1798, Grasnick 1, Positiv

Anlage 3: Skizze 1798, Grasnick 1, Negativ

Anlage 4: Skizze 1822, Artaria 201, Seite 113

Anlage 5: Skizze 1822, Artaria 201, Seite 77

A

1. Zur Form „Ariette“

Der Begriff „Ariette“ wurde hauptsächlich im 18. Jahrhundert für verschiedene Typen des Solo- und Ensemblegesanges verwendet. Die Bedeutung des Begriffes hat sich je nach Kontext verändert.

In der Comédie à ariettes, der Vorform der Opéra comique, wurde die Ariette als Lied mit volkstümlichem Charakter verwendet.1 2 Als andere Bezeichnungen für Vokalensembles aufgenommen wurden, wurde die Bezeichnung Ariette wieder für Sologesang in keinem bestimmten Stil, aber auf alle Fälle niemals strophisch, verwendet. In vielen Opéra comique tragen die Arietten eine dramatische Rolle?

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war der Begriff eine Bezeichnung für die als Nachbildung der italienischen Arietta („kleine Arie“) in die französische Oper übernommene Arie in Da- Capo-Form. Sie stand in der französischen Oper und im Opernballett als ein von der Handlung unabhängiges Solo, das meist in den Zwischenspielen Platz fand und dem Sänger in den normalerweise doch recht umfangreichen Kompositionen mit Orchesterbegleitung Gelegenheit zur Entfaltung seines Könnens gab: „... the ariette represented a licence to let music expand at the expense of text. As well as da capo form ariettes often employed a lively, regular metre, made use of sequential passages and often exploited vocal virtuosity and decoration.”3

Mitte des Jahrhunderts wurde der Begriff dann auch auf die Opéra comique angewendet: „When separate terms were adopted for vocal ensembles, ariette reverted to a general term for a vocal solo, in no fixed style (though never strophic), but in contradistinction to romance, chanson, couplet and vaudeville.”4

Ebenfalls Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff auch für neu komponierte Nummern für eine oder mehrere Stimmen in der Opéra comique verwendet und der Ariette wurde ein mehr funktionaler als dekorativer Status zuteil.

Nach 1752 finden sich sehr viele verschiedene Definitionen. Nach J. F. Marmontel (Oeuvres complètes, 1787) enthält die Opera comique-Ariette typischerweise „du caractère et de Γ expression“ und entspricht einer „air expressif et passionné“? Der Begriff war aber eigentlich schon aus der Mode gekommen.

Laut einer Definition von H. Chr. Koch besteht „die Poesie der Arie“ aus “... verschiedenen in Ansehung der Anzahl und des Silbenmaßes willkürlichen, aber jederzeit lyrischen Versen. Enthalten diese Verse nur einen vollständigen Redesatz, so pflegt man sie eine Ariette zu nennen, zum Unterschied der gewöhnlichen Arie, die jederzeit zwey vollständige Redesätze enthält. Ehedem bediente man sich zur musikalischen Einkleidung der Arie nicht so vieler Formen wie anjezt.“ („Versuch einer Anleitung zur Composition“ III. Teil, 1793, S. 241)5 6 7 8

Wie die Da-Capo-Formen setzten Anetten oft ein lebhaftes, regelmäßiges Metrum ein, es finden sich sequenzartige Passagen und oft Virtuosität und Verzierungen im Gesang und Melismen auf Wörtern wie „régnez“ oder „briller“ drücken meist bei Momenten der Erholung bei Haupt- und Nebenpersonen typisch Freude oder Triumph aus.

Man sieht, der Begriff der Ariette hat sich im Laufe der Zeit durchaus gewandelt und wurde oft auch einfach unterschiedlich verstanden. Je mehr man sich daher mit den überaus zahlreichen Definitionen und Erklärungen auseinandersetzt, desto undurchsichtiger wird der Begriff, so scheint es.

Zusammengefasst lässt sich sagen, eine Ariette ist eine kleine Arie, wie auch die „Arietta“ in Italien verstanden wird. Sie enthält einige Elemente der Arie, wie z.B. eine Schlusssteigerung durch Wiederholungen der Schlusszeile und typischen Kadenzen. Ein wichtiges Merkmal einer Ariette ist zudem das Fehlen einer Orchesterbegleitung. Eine Ariette ist ein Typus mit leichterem Inhalt und stellt somit ein Zwischenstück zwischen Arie und Lied dar. Boettcher sagt, in der Ariette „Der Kuß“, die Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein wird, werden zwei Vokalprinzipe vermischt, weshalb er die Ariette dann auch als „Arienlied“ einordnet. Es sei ein durchkomponiertes Lied aber mit „Durchbrechung des textlichen Strophenbaus zugunsten rein musikalischer Formen“.

2. Beethoven als Ariettenkomponist:

Nur fünf Lieder Ludwig van Beethovens sind von ihm selbst als „Ariette“ betitelt worden, nämlich Opus 82 die Lieder eins bis vier und Opus 128 „Der Kuß“. Im Gegensatz zu „Der Kuß“ Op. 128 liegen den Arietten Op. 82 aus dem Jahre 1809 italienische Texte zugrunde, da im ausgehenden 18. Jahrhundert das deutsche Lied erst allmählich aufkam und italienische und französische Lieder noch sehr beliebt waren.

Die Arietten Op. 82, 1-5 sind wahrscheinlich 1809 entstanden. Die Entstehungsumstände liegen weitgehend im Dunkeln, sicher ist aber, dass sie von Anfang an von Beethoven selbst als eine abgeschlossene Folge geplant waren.9 Lied eins und zwei, „Dimmi, ben mio, che m’ami“ und „T’intendo si, mio cor“, beschreiben die positiven und negativen Seiten der Liebe und Lied drei und vier, „L’amante impaziente“, eine Arietta buffa, und „L’amante impaziente“, eine Arietta assai seriosa, zeigen die komischen und ernsten Aspekte der Liebe. Das Schlussstück, „Odi ,aura ehe dolce sospira“, fasst alles dieses zu einem Duett zwischen Venus und Pallas zusammen. Lied zwei bis fünf tragen Texte von Pietro Metastasio, der Textdichter des ersten Liedes ist unbekannt.

Hauptintention zu dieser Zeit bei Vertonung italienischer Dichtung war, mit der Vertonung einen angemessenen Träger für die Worte zu schaffen, um die essentielle Schönheit und lyrische Qualität der Worte erkennbar werden zu lassen.10 Der Schwerpunkt wurde auf eine lieblich fließende melodische Linie gesetzt und der Sänger konnte seine Fähigkeiten demonstrieren. Es liegt keine Strophenkomposition wie in deutschen Liedern vor und man konzentriert sich auf die Gesangslinie.

B.

3. Ariette „Der Kuß“, op. 128

3.1 Entstehung

Die Ariette Opus 128 mit dem Titel „Der Kuß“ erschien im Frühjahr des Jahres 1825 beim Verlag Schotts Söhne in Mainz. Kein anderes Lied Beethovens hatte eine so ausgedehnte Entstehungszeit. Er begann im Jahre 1798 und schloss die Ariette nicht vor Ende 1822 ab. Die Erfindung der Melodie war aber 1798 bereits weitgehend geleistet. Die Skizzen umreißen die spätere Form der Gesangsmelodie, im Detail finden sich aber signifikante Unterschiede, die später noch untersucht werden.

Zum Titel der Ariette lässt sich sagen, dass sich Beethoven anscheinend, als er sich 1798 mit der Vertonung des Gedichts befasst, Titel und Verfasser nicht notiert und später wohl vergessen hat. Im Jahr 1822 stellt er eine Liste größtenteils älterer, noch unveröffentlichter Kompositionen zusammen, in die er das Lied am Schluss nach den Instrumentalstücken, offenbar aus dem Gedächtnis und bevor er sich erneut mit der Komposition beschäftigte, eintrug als „bey chloen war ich ganz allein von gleim“. Ohne Frage ist damit die Ariette gemeint.11 Helga Lühning nimmt an, dass der Eintrag als Erinnerung zur Vervoliständigung des Liedes diente, was für die Erwähnung der Ariette in seiner Liste durchaus plausibel klingt.12

Weißes Titel ist ihm dann anscheinend doch noch einmal eingefallen: Im Skizzenbuch Artaria 201 findet sich bei einer kurzen Notiz das Stichwort „Kuß“. In das Autograph übernahm er diese Überschrift jedoch nicht, sondern schrieb, offenbar erneut verunsichert, an den Rand: „Was für ein Titel?“.

In allen autographen Quellen heißt das Lied „Ariette“ und/oder nach der ersten Gedichtzeile „Ich war bei Chloen ganz allein“. Auf dem Titelblatt der Originalausgabe steht: „Der Kuss./ Worte von C.F. Weisse./ 128tes Werk“.13

Vollendet wurde die Ariette im Dezember 1822 was aus einem Brief vom 15. Februar 1823 an C.F. Peters hervorgeht. Bevor Beethoven im November 1824 dem Schott-Verlag das Lied anbot, hatte er schon vergeblich versucht, es bei C.F. Peters (15.02.1823), bei Simrock (10.03.1823) und bei Probst (25.02.1824) unterzubringen, und es schließlich seinem Bruder als Schuldentilgung statt einer schuldigen Summe Geld überlassen, der es, ebenfalls erfolglos, nach England zu verkaufen versuchte. Sein Bruder will für einige Werke zusammen 130 Dukaten in Gold als Honorar.14 15

Am 5. Februar 1825 erfolgte dann die Übertragung der Eigentumsrechte an Schott, ehemals mit Opuszahl 121, die die Trio-Variationen über „Ich bin der Schneider Kakadu“, das Opferlied und die Ariette beinhaltete.

Der Verlag Schott stimmt dem Honorar von 130 Dukaten für die Werke op. 121b, 122, 124, 126, 128 zu.13 Eine eigene Opuszahl erhielt die Ariette erst nach Beethovens Tod, als sich Artaria und Schott über die Nummerierung der letzten Quartette verständigten und dabei feststellten, dass die Nummer 128 noch frei war.

3.2 Gedicht „Der Kuß“ von Christian Felix Weiße

3.2,1 Herkunft und Quellenlage

Das Gedicht stammt von Christian Felix Weiße und erschien erstmals 1758 in Leipzig in einer Ausgabe mit dem Titel: „Scherzhafte Lieder“ und später auch in der von Karl Wilhelm Ramler herausgegebenen, sehr verbreiteten Sammlung „Lieder der Deutschen“ aus dem Jahre 1766 und dann ebenfalls im ersten Band von Weißes „Kleinen lyrischen Gedichten“.

Beethoven kannte das Gedicht wohl am ehesten aus einem Wiener Nachdruck von 1793 von der letztgenannten Ausgabe mit dem Titel „Kleine lyrische Gedichte“.16 Die Verse in Beethovens Vertonung stimmen mit der Erstausgabe im Wortlaut überein, nur die Interpunktion weicht ein wenig ab. In dem Gedicht von Christian Felix Weiße handelt es sich um eine Annäherungs- und Werbungsszene zwischen einem jungen Mann und einem Mädchen, in der konventionelle Verhaltenserwartungen eine Rolle spielen. Erzählt wird von einem geraubten Kuss und es geht um das „Schreyn“ - in diesem Fall als ein Zeichen für „Gegenwehr“.

Die Erzählhaltung steht im Gegensatz zur knappen Form des Gedichts. Der weit ausholende Beginn „Ich war bei Chloen ganz allein“ wäre als Ausgangspunkt für eine Ballade typisch. Mit einer solchen weiträumigen, inhaltlich wenig ergiebigen Geste zu beginnen und schon acht Zeilen später zu schließen, erzeugt jedoch formale Spannungen. Dasselbe gilt auch für die Wörter Jedoch“, „doch“ und „Ja wohl“, die man eher dem Bereich des Erzählens und Argumentierens zurechnet.

Das metrische Schema umfasst in beiden Strophen je zwei verschränkte Verspaare zu vier und drei Hebungen. Durch die semantischen Akzente sind in der ersten Strophe, mit Ausnahme des zweiten Verses, die zweite und die letzte Hebung aktiviert, die zweite Strophe räumt, wiederum mit Ausnahme des zweiten Verses, der dritten und der ersten Hebung ein gewisses Übergewicht ein. Vor allem aber ist der Rhythmus, der aus dem Zusammenwirken von metrischem und semantischem Akzent resultiert, in der ersten Strophe regelmäßig, während in der zweiten 1 s Strophe Hebungsballungen auftreten. Den einzigen unreinen Reim finden wir in der ersten Strophe: „Müh“ aus dem vierten Vers antwortet dem „sie“ aus dem zweiten Vers. Eine Ausnahme in dem kurzen Gedicht bildet auch das letzte Wort der Schlusszeile „hinterher“. „Hinterher“ und sein Reim-Analogon „Gegenwehr“ sind die einzigen Wörter des Gedichtes, die zwei Hebungen tragen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.2.3 Anakreontische Tradition

Das Gedicht „Der Kuß“ steht in jener „anakreontischen Tradition“17 18 19 der deutschen Dichtung, deren Beginn um die Mitte des 18. Jahrhunderts mit Werken von Gleim, Uz und Götz angesetzt wird und manchmal mit der englischen Madrigaldichtung verglichen worden ist.

Werke, die in dieser Tradition stehen, handeln meist von Frühling, Freundschaft, Blumen, Wein und vor allem von der Liebe. Die Liebenden tragen meist mythologische Namen wie zum Beispiel Amor, Damon oder Phyllis, und befinden sich in einer Landschaft von arkadischer Schönheit. Die einfachen, fast eindimensionalen Gefühle sind stets rein und unverfälscht empfunden, aber die Charaktere zeigen dennoch eine Naivität und Weltfremdheit, die auch schon im mittleren 18. Jahrhundert völlig unglaubwürdig wirkte. Zu den grundsätzlichen Merkmalen der anakreontischen Dichtung zählt die offensichtlich intendierte Sanglichkeit. Der Terminus „Lied“ wird in Titeln von Gedichtsammlungen oft synonym für „Gedicht“ gebraucht und die Vertonung sollte einfach und in unveränderter Strophenform sein, was von Beethoven bei dieser Ariette so nicht wirklich beachtet wurde. Die anakreontische Tradition wurde von Kritikern meist unterschätzt und mit Verlegenheit behandelt, dennoch war sie zu ihrer Zeit eine bedeutsame Kraft innerhalb der deutschen Literatur, da sie es den österreichischen Autoren zum ersten Mal ermöglichte, den Zwang der lateinischen Dichtung abzuschütteln.

In den 1790er Jahren war die anakreontische Dichtung in Österreich im Gegensatz zu Deutschland noch immer sehr beliebt. Aber bereits 1822 waren solche Dichtungen auch in Wien aus der Mode gekommen und die dem Gedicht eigene, ziemlich vereinfachte Gefühlswelt hatte für die meisten Künstler längst jeden Anreiz verloren. Beethoven richtete sich beim Entschluss zur Vertonung also nicht nach dem Zeitgeschmack.

Bereits dem Rezensenten der Erstausgabe des Liedes, die 1825 erschien, galt der Text als „veraltet“ und „nur noch genießbar [...] bey einer so verschmitzten - man möchte sagen schelmischen Behandlung“, wie Beethoven die ihm zuteil werden ließ.“

Die Rückkehr zu diesem Lied führte nicht zu einer von seinem ersten Konzept radikal unterschiedlichen Vertonung. Beethoven hegte wohl 1822 immer noch genügend Sympathie für die Verse, um sie der Vertonung als wert zu erachten, obwohl sie eigentlich bereits altmodisch waren, als er sich zum ersten Mal dafür interessierte. Vielleicht wollte er sich einfach seine bereits geleistete Arbeit zunutze machen, um wenigstens etwas Ertrag aus seinen früheren Versuchen zu ziehen.

3.3 Analyse

Die Ariette trägt die Vortragsbezeichnung „Allegretto. Mit Lebhaftigkeit, jedoch nicht in zu geschwindem Zeitmaße und scherzend vorgetragen“ und steht in einem %-Takt in A-Dur. Wie bereits erwähnt, war ein entscheidendes Merkmal der anakreontischen Dichtung die Sanglichkeit und daher sollte die Vertonung einfach und in unveränderter Strophenform erfolgen. Doch Beethoven demonstriert seine Fähigkeit, einer solchen Dichtung übliche Konvention zu überschreiten und sein Verfahren überstieg jede zeitgenössische Erwartung eines Dichters weit. Hauptmerkmal ist dabei seine genaue Ausformung einzelner Worte oder Phrasen, die er dann derart einfühlsam vertont, dass deren Sinn verstärkt oder erweitert wird. Besonders in der letzten Zeile des Gedichts kommt dieses Verfahren zur Anwendung - mit dem Effekt, dass sie einen starken und passenderweise recht humorvollen Akzent erhält. Für das kurze, achtzeilige Gedicht „Der Kuß“ von Christian Felix Weiße bevorzugte Beethoven eine durchkomponierte Form. Statt aber durch Wiederholungen motivischer Ideen eine Art dreiteilige Form zu schaffen, moduliert Beethoven in der Mitte des Stückes zur Dominante E-Dur und kehrt dann in den letzten Zeilen wieder zur Tonika A-Dur zurück.

Zwischen Beginn und Ende bestehen zwar einige thematische Beziehungen, zum Beispiel Takt 9 bis 11 mit Takt 40 bis 42, aber es gibt keine genauen oder auch variierten Wiederholungen. Die melodischen Ideen entwickelt Beethoven kontinuierlich weiter.

Sehr wichtig für die Interpretation der Gedichte und grundlegend für Beethovens strukturelles Konzept ist die Wortwiederholung. Abgesehen von dem Kopfmotiv und dem punktierten Rhythmen enthält die Ariette kaum Charakteristisches, aber auffällig ist, dass man deutlich an Beethovens Crescendo-Anweisungen erkennt, wo künstliche Beiläufigkeit in großen Gestus umschlägt.“

Thomas Kabisch bezeichnet die Vertonung des Gedichtes als „entwickelnde Variation“ und betont immer wieder den „Prozesscharakter der Liedkomposition“.“' Die traditionelle20 21 Gliederung, die auf Kadenzen, Texturwechseln und motivische Differenz beruht, wird „prozesshaft zu einem Ganzen verklammert“, woraus dann wieder Einzelheiten oder musikalische Situationen dadurch „hervortreten, dass sie über ihre Funktion hinaus charakteristisch profiliert sind“.22 Das Klavier eröffnet, indem es einem liedhaften Vordersatz einen zunächst motivisch entwickelnden dann stark figurierten Nachsatz hinzufügt.

Die ersten beiden Textzeilcn sind als reguläre Achttaktphrase gestaltet und kennzeichnen sich vor allem durch die Wiederholung des entscheidenden Wortes „küssen“ und des Satzes „küssen wollt ich sie“.

Das erste Verspaar fällt mit dem viertaktigen Vordersatz zusammen. Im Nachsatz wird die zweite Zeile als ganze wiederholt, das Schlüsselwort „küssen“ wird dabei innerhalb der Wiederholung noch mehrmals fokussiert.

Im Klaviervordersatz wie auch in der gesungenen Variante steht am Beginn das Kopfmotiv „Ich war bei Chloen ganz allein“ (Abb. 1 ).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Der Nachsatz in der Singstimme unterscheidet sich aber dann vom Klaviervorspiel und stellt sehr deutlich den Sextsprung der Einleitungstakte 5 bis 7 heraus (Takte 14-16, Abb.2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Im Klaviernachsatz komplettierte den Sextsprung eine Quarte (Takt 5-7), die aber im vokalen Teil zunächst vernachlässigt wird. Sie wird erst in Takt 17-23 nachgereicht und motivisch weiterentwickelt (Abb.3).

[...]


1 Μ. Honegger; G. Massenkeil: Ariette, In: Das große Lexikon der Musik, 1976, S. 102.

2 D Charlton: Ariette, In: The New Grove Dictionary Of Music And Musicians, 1980, S. 898.

3 Ebda.

4 Ebda. 3 D. Charlton: Ariette, In: The New Grove Dictionary Of Music And Musicians, 1980, S. 898.

5 Ebda. 3 D. Charlton: Ariette, In: The New Grove Dictionary Of Music And Musicians, 1980, S. 898.

6 S. Leopold; H. Lühning; W. Ruf; H. Schneider: Arie, In: MGG, 1994, Sp. 824.

7 D. Charlton: Ariette, In. The New Grove Dictionary Of Music And Musicians, 1980, S. 898.

8 H. Boettcher: Beethoven als Liederkomponist, 1928, S. 59.

9 E. West: 4 Arietten und Duett mit Klavierbegleitung op. 82, 1994, S. 640.

10 Ebda., S. 641.

11 E. West: Klavierlied „Der Kuß“ op. 128, 1994, S. 292.

12 L.v. Beethoven. Werke, NGA, Kritischer Bericht, 1990, S.77.

13 Ebda.

14 S. Brandenburg: Briefwechsel Gesamtausgabe L. v. Beethoven, 1996, Band 5, S. 386.

15 Ebda., S. 388

16 L.v. Beethoven. Werke, NGA, Kritischer Bericht, 1990, S.76.

17 E. West: Klavierlied „Der Kuß“ op. 128, 1994, S. 292.

18 Ebda., S. 293

19 Th. Kabisch: Vom "Küssen" und vom "Schreyn“, Beethovens Ariette op. 128, 2001, S. 142.

20 Th. Kabisch: Vom "Küssen" und vom "Schreyn“, Beethovens Ariette op. 128, 2001, S. 149.

21 Ebda., S. 147.

22 Th. Kabisch: Vom "Küssen" und vom "Schreyn“, Beethovens Ariette op. 128, 2001, S. 147.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Beethoven als Bearbeiter. Über die Ariette "Der Kuß" Op. 128
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Musikwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar: Beethoven als Vokalkomponist: Lieder und Gesänge
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
31
Katalognummer
V913765
ISBN (eBook)
9783346232014
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Es handelt sich um den Scan der Hausarbeit.
Schlagworte
beethoven, bearbeiter, über, ariette
Arbeit zitieren
Irene Schleifer (Autor:in), 2005, Beethoven als Bearbeiter. Über die Ariette "Der Kuß" Op. 128, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/913765

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