Eine kritische Textanalyse zum Aufsatz "Töten: Abtreibung" aus dem Werk "Praktische Ethik" (1984) des Philosophen Peter Singer


Dossier / Travail, 2018

19 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Textrekonstruktion

3. Kritik

4. Schluss

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Buch „Praktische Ethik“ vom australischen Moralphilosophen Peter Singer wird seit 1989 in der Bundesrepublik stark diskutiert. Es wurde im Jahr 1979 in englischer Sprache unter dem Titel „Practical Ethics“ veröffentlicht und handelt von verschiedenen Problemen der angewandten Ethik, u.a. argumentiert Singer für weitreichende Umverteilungsmaßnahmen zugunsten der Dritten Welt, setzt sich für Tierrechte ein und verweist auf Argumente gegen jede Form von Rassismus und Sexismus. Vom Standpunkt einer utilitaristischen Ethik werden auch die Euthanasie- und Abtreibungsproblematiken behandelt. In Deutschland kam es zu Protesten und Widerständen gegen die Verwendung des Werkes zu Lehrzwecken, jedoch mit Verzögerung, da erst im Jahre 1984 eine Übersetzung im Reclam Verlag erschienen ist.1 Aus diesem Grund verwende ich für meine kritische Textanalyse zum Thema „Töten: Abtreibung“ die erstmalige deutsche Ausgabe von 1984, aus dem Englischen übersetzt von Jean-Claude Wolf.

Singer diskutiert in seinem Text unterschiedliche Argumente für und gegen die Abtreibung. Außerdem bezieht er begründete Standpunkte in den Unterkapiteln zu den Themen „Wert des fötalen Lebens“, „Der Fötus als potentielles Leben“ und „Abtreibung und Kindstötung“. Die leitende Frage des Autors könnte daher zusammengefasst werden unter „Wann und warum ist Abtreibung erlaubt?“. Diese Frage ist von großem Interesse. Singer begründet es selbst: „Ich betrachte einen ethischen Sachverhalt dann als relevant, wenn es einer ist, dem jede denkende Person sich konfrontiert sieht.“2 Er gesteht aber selbst ein, dass Probleme wie die Abtreibung glücklicherweise für die meisten Menschen keine alltäglichen Entscheidungen darstellen. Dennoch seien es „strittige Fragen, die zu einer bestimmten Zeit in unserem Leben auftreten können. Auch sind es Probleme von aktueller Bedeutung, über die jeder und jede […] aktiv nachdenken mu[ss].“3

Die Thesen und Überlegungen Singers sind diskutabel, haben jedoch anstatt argumentativer Auseinandersetzung massive Empörung hervorgerufen. Vorträge und Konferenzen wurden verhindert oder abgesagt und universitäre Lehrveranstaltungen über sein Buch zur Zielscheibe von Protesten. Es wurden sogar für die, die die Lehrveranstaltungen leiten, Berufsverbote gefordert.4 Dazu sagt Hans Joas in einem Interview der ZEIT vom 25.08.1989: „In der angelsäsischen Welt […] kennt man diese Form der Diskussion nicht, die vergiftet ist von Unterstellungen, Beschimpfungen, von Verdächtigungen der Motive der anderen – bis hin zum Anwurf des Faschismus. […] Die Art wie Singer hier zum Teil niedergeschrien worden ist […] hat mich bestürzt.“5

Die Position Singers hatte einen große Wirkung. Unterschiedliche Philosophen wie Ronald Dworkin, Ludger Honnefelder und Josef Isensee griffen Sie in ihren Schriften „Die Grenzen des Lebens“ und „Gentechnik und Menschenwürde“ auf.

2. Textrekonstruktion

Der Aufsatz ist in sechs Abschnitte eingeteilt, die teilweise nochmals in unterschiedliche Abschnitte gegliedert sind.

Der erste Abschnitt, „Das Problem“, behandelt das moralische Problem der Abtreibung und weshalb es bis zu diesem Zeitpunkt umstritten bleibt. Singer bezeichnet die Abtreibung als „ethisches Problem“6, da es viele unterschiedliche Ansichten von Abtreibungsgegnern und –befürwortern gibt und bis dato keine gemeinsame Einigung erfolgen konnte. Singer verweist an dieser Stelle auf die Entwicklung in der Geschichte, in welchen Ländern zu welchem Zeitpunkt die Abtreibung legalisiert wurde. Die Abtreibungsgegner verschiedener Länder konnten wiederum erreichen, dass die Finanzierung der Abtreibung eingeschränkt wurde. Dieser geschichtliche Bezug ermöglicht dem Rezipienten, dass die Abtreibungsdiskussion weltweit geführt wird und jeden betreffen kann.

Das Problem an sich ist nach Singer, dass die Entwicklung eines menschlichen Wesens graduell verläuft. Er stellt die These auf, dass die Zygote, „eine winzige Ansammlung von Zellen“7, kein Bewusstsein hat und auch keine Schmerzen empfindet. Außerdem behauptet er, dass die absichtliche Entfernung einer Zygote zu keiner Beunruhigung führen könne. Dies begründet er damit, dass viele Zygoten aus der Gebärmutter einer Frau während ihres gesamten Lebens herausgeschwemmt werden. Das Problem ist folglich, dass am Ende des Entwicklungsprozesses der erwachsene Mensch steht und diesen zu töten würde moralisch verurteilt werden. Problematisch ist, dass es keine offensichtliche Trennungslinie gibt zwischen Zygote und einem Erwachsenen. Am Ende des Abschnittes erläutert Singer sein weiteres Vorgehen: die Position der Abtreibungsgegner darstellen, Antworten einiger Liberalen auf ihre Unangemessenheit hin prüfen und abschließend den Wert des Lebens diskutieren, um das Problem aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Die Abtreibungsgegner haben eine konservative Position, diese wird im zweiten Abschnitt seines Aufsatzes beleuchtet. Singer stellt das zentrale Argument der Abreibungsgegner auf. Dieses Argument verwendet und prüft er innerhalb des gesamten Textes.

Prämisse eins: Es ist falsch, ein unschuldiges menschliches Wesen zu töten.

Prämisse zwei: Ein menschlicher Fötus ist ein unschuldiges menschliches Wesen.

Konklusion: Daher ist es falsch, einen menschlichen Fötus zu töten.

Nach Singer bestreiten die Liberalen die zweite Prämisse und stellen somit in Frage, dass der menschliche Fötus ein unschuldiges menschliches Wesen ist. Und sobald eine Prämisse falsch ist, kann auch die Konklusion nicht als gültig erklärt werden. Kernpunkt der Diskussion ist, wann menschliches Leben beginnt. Die Konservativen verweisen hingegen auf den Zusammenhang zwischen Zygote und Kind, an welchem Punkt gibt es einen moralisch bedeutsamen Einschnitt? Die konservative Position stellt die These auf, dass ohne eine moralisch bedeutsame Zäsur, der Status der Zygote höher oder der des Kindes niedriger bewertet wird. Damit ist der Schutz des Fötus garantiert. Essentiell ist die Frage nach dem „Einschnitt“ oder der „Trennungslinie“, die zwischen Fötus und Kind besteht/bestehen könnte. Singer prüft im Folgenden unterschiedliche Trennungslinien, die gewöhnlich vorgeschlagen werden: Geburt, Lebensfähigkeit und Bewegung des Embryos.

Die Geburt ist als einzige eine sichtbare Trennungslinie. Die Behauptung der Konservativen ist, dass Fötus und Baby dasselbe Wesen sind, unerheblich, ob innerhalb oder außerhalb des Mutterleibes, da es dieselben menschlichen Züge hat, Schmerz empfindet und einen gewissen Bewusstseinsgrad hat. Singer schlussfolgert, dass es unlogisch wäre, einen entwickelten Fötus zu töten, aber ein Frühgeborenes am Leben zu lassen. Daher kommt er zu dem Schluss, dass die räumliche Lage eines Wesens keinen moralischen Unterschied markiert und die Geburt keine bedeutsame Trennungslinie ist.

Als nächstes prüft Singer, ob die Lebensfähigkeit eines Fötus als geeignete Trennungslinie gelten kann. Singer hat diesbezüglich zwei Einwände. Der erste bezieht sich auf die Entscheidung der Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten: der Staat habe ein Interesse daran, potentielles Leben zu schützen, da der Fötus wahrscheinlich die Fähigkeit besitzt, außerhalb des Mutterleibes zu existieren. Singer schlussfolgert und stellt die These auf, dass Abtreibung vor der Erreichung der Lebensfähigkeit (außer bei Gesundheitsrisiken der Mutter) nicht verfassungswidrig ist. Das Gericht konnte nicht begründen, weshalb die Fähigkeit außerhalb des Mutterleibes zu existieren von solcher Bedeutung ist. Der Einwand Singers ist, dass ein nicht lebensfähiger Fötus genauso ein potentielles menschliches Leben erwarten kann wie ein lebensfähiger Fötus. Das Gegenargument der Potentialität wird im späteren Abschnitt seines Aufsatzes nochmals erwähnt. Als zweiten Einwand benennt Singer, dass der Moment, ab dem ein Fötus überleben kann, vom Stand der medizinischen Technologie abhängt. Bei dem damaligen medizinischen Stand kann ein Fötus im sechsten Monat überleben, jedoch 20 Jahre zuvor wäre das noch nicht der Fall gewesen. Er kommt zu dem Schluss, dass Gegenwart und Vergangenheit nicht ausschlaggebend sein können bei der moralischen Beurteilung einer signifikanten Trennungslinie. Doch nicht nur die Zeit ist ein wichtiger Faktor, sondern auch der Ort. Singer verweist auf das Beispiel der Geburt oder Abtreibung eines Fötus im sechsten Monat an unterschiedlichen Orten: New York und New Guinea. Während der Fötus in New York aufgrund der medizinischen Innovationen überleben würde, dürfte die Frau nicht abtreiben. Aber in New Guinea dürfe sie abtreiben, da das Neugeborene nicht überleben könne. Er schlussfolgert, dass der Aufenthalt an unterschiedlichen Orten nichts an der Natur des Fötus ändere. Singer beruft sich hierbei auf die Schlussfolgerung, die er aus dem Beschluss des Gerichtshofes der Vereinigten Staates gezogen hat (Abtreibung vor der Lebensfähigkeit legitim). Als nächstes verweist er auf einen möglichen Einwand der Liberalen: der Fötus sei bezüglich seines Überlebens von der Mutter abhängig, also habe er kein von ihren Wünschen unabhängiges Recht auf Leben. Diesen Einwand widerlegt Singer. Er stellt die These auf, dass völlige Abhängigkeit von einer anderen Person nicht bedeutet, dass diese über Leben und Tod entscheiden darf. Er bringt hierfür unterschiedliche Beispiele: ein Neugeborenes ist abhängig von der Milch/Flasche der Mutter, eine ältere Frau ist abhängig von der Versorgung ihres Sohnes, eine Frau in Not ist abhängig von ihrem Begleiter. Trotz dieser Abhängigkeit dürfe sich weder die Mutter, noch der Sohn oder der Begleiter erlauben, jemanden umzubringen. Somit kommt er zu dem Schluss, dass die Abhängigkeit eines nicht lebensfähigen Fötus von der Mutter ihr nicht das Recht gibt, diesen zu töten.

Auch die letzte mögliche Trennungslinie, die Bewegung des Embryos, ist für Singer nicht stichhaltig. Singer stellt die These auf, der Zeitpunkt sei bedeutungslos. Dies begründet er damit, dass der Moment, an dem eine eigenständige Bewegung des Fötus von der Mutter empfunden wird, variiert. Der Fötus lebe aber schon vor diesem Zeitpunkt, wendet er ein. Zuletzt zieht er das Beispiel eines Gelähmten heran: das Fehlen eines physischen Anspruchs auf Bewegungsvermögen hebe nicht den Anspruch auf Weiterleben auf.

Da es keine moralisch bedeutsame Trennungslinie zwischen einem Fötus und einem Neugeborenen gibt, ist die konservative Sichtweise durch Singer widerlegt worden. Bei der konservativen Ansicht stimmt nur, dass die Entwicklung von Zygote zum Kind einen stufenlosen Prozess darstellt.

Als nächstes prüft Singer drei Argumente der Liberalen, die die zweite Prämisse des Hauptarguments nicht anfechten, aber die Abtreibung dennoch befürworten.

Zunächst erläutert er das erste Argument der Abtreibungsbefürworter: Gesetze gegen Abtreibung verhindern diese nicht, sondern schaden den Frauen, da sie den Eingriff Unqualifizierten überlassen – mit meist tödliche Folgen haben. Singer entgegnet, dass dieses Argument sich ausschließlich auf Abtreibungsgesetze bezieht, jedoch nicht auf die Moral der Abtreibung. Es sei ein Irrtum, ein Gesetz würde stets moralisches Verhalten erzwingen. Versuche, richtiges Verhalten zu erzwingen könnten unvorhersehbare Folgen haben und keinen Rückgang von Vergehen herbeiführen, es gäbe eine Zone der „privaten Moral“.

Das zweite Argument der Liberalen bezieht sich auf Abtreibungsgesetze. Singer zitiert an dieser Stelle einen Untersuchungsbericht der britischen Regierung: „Es mu[ss] ein Bereich der privaten Moral und Unmoral übrigbleiben, der […] nicht Sache des Gesetzes ist.“8 Diese Ansicht sei unter Liberalen weit verbreitet, u.a. nutzen die Liberalen das Werk On Liberty von John Stuart Mill, als Forderung nach der Abschaffung von Gesetzen. Die Abtreibungsbefürworter, Singer erwähnt auch den Kriminologen Edwin Schur, halten Abtreibung für ein Verbrechen ohne Opfer. Singer verweist auf einen möglichen Einwand von Abtreibungsgegnern: der Fötus sei das Opfer. Daraufhin könnten wiederum die Liberalen antworten, dass der Fötus kein Opfer ist, da er keine Interessen besitzt. Singer stellt die These auf, niemand dürfe anderen moralische Ansichten aufzwingen. Diese These untermauert er mit einem Beispiel vom Nazismus. Er schlussfolgert, dass Mills Prinzip nicht vertretbar ist, insofern es auf Handlungen beschränkt ist, die niemandem schaden. Die Liberalen verwenden dieses Argument unter der Voraussetzung, dass Abtreibung keinem anderen schadet. Dies bezweifelt Singer, da es einer Beweislegung bedarf.

Das letzte Argument der Liberalen ist das sogenannte „feministische Argument“. Es besagt, dass eine Frau ein Recht darauf habe zu entscheiden, was mit ihrem Körper geschehe. Als klassische Vertreterin der Frauenemanzipation benennt Singer Judith Jarvis Thomson. Als Beispiel verwendet sie den Vergleich zwischen einer Schwangeren und einem unbekannten Geiger, der mit einer Frau über Monate verbunden ist (siehe S. 156-157). Singer benennt die These von Thomson, man wäre in einer moralisch misslichen Situation nicht verpflichtet dem Geiger zu helfen, genauso wenig sei es Unrecht, ein Kind abzutreiben, welches bspw. durch Vergewaltigung entstanden ist. Dieses Argument lässt sich weiter ausführen, indem Singer das vorherige Beispiel mit dem Geiger nochmals verändert (S. 158) und die Verbundenheit zwischen Geiger und Frau aufgrund von Unwissen und Nachlässigkeit (des Personals) zurückzuführen ist. Singer stellt die These auf, dass sich das Argument über Notzuchtfälle (missliche Situationen) hinaus anwenden lässt: Frauen, die auch durch Unwissenheit, Nachlässigkeit oder mangelnde Verhütung schwanger werden. Dies ist der entscheidende Einwand, den Singer gegen Thomson formuliert, indem er ihr eigenes Argument weiter ausdehnt.

Als nächstes greift Singer ein weiteres Beispiel von Thomson auf (Henry Fonda, S. 158-159). Thomson stellt die These auf, dass trotz des Rechts auf Leben es nicht möglich ist, jemanden zu zwingen „moralischen Verpflichtungen“ nachzukommen. Thomson vertritt nicht die Meinung, die Handlung mit den besten Konsequenzen durchzuführen, in diesem Falle die kühle Hand von Henry Fonda. Singer schlussfolgert, dass Thomson ein System von Rechten und Pflichten akzeptiert, die es einem erlauben, Handlungen unabhängig von ihren Konsequenzen zu rechtfertigen. Singer formuliert daraufhin einen Einwand am Beispiel der Utilitaristen, die immer die bestmöglichen Konsequenzen unter Berücksichtigung der Interessen aller Betroffenen einer Situation vorziehen. Somit sei es falsch, sich vom Geiger (Beispiel eins) abkoppeln zu lassen. Sobald das Beispiel Thomsons mit dem Geiger seine Wirkung verliert, ist es auch nicht mehr mit der Abtreibung vergleichbar und man würde die Weigerung, einen Fötus innerhalb der Frist einer natürlichen Schwangerschaft auszutragen, als Unrecht bezeichnen.

Diese drei benannten Argumente der Liberalen konnten von Singer zurückgewiesen werden. Außerdem ist es den Liberalen nicht gelungen, die Abtreibung korrekt zu rechtfertigen, ohne die zweite Prämisse des Hauptarguments zu bestreiten.

An dieser Stelle lässt sich zusammenfassen, dass die Konservativen der ersten Prämisse zustimmen aber nicht der zweiten. Während die Liberalen beide Prämissen anerkennen aber nicht die Konklusion, dass Abtreibung per Gesetz verboten werden sollte.

Da keine der beiden Gruppen die erste Prämisse in Frage stellt, widmet sich Peter Singer dem im darauffolgenden Textabschnitt „Der Wert fötalen Lebens“.

Zuerst kritisiert Singer die Begriffsbestimmung des Wortes „menschlich“ und leitet zwei möglich Wortbedeutungen ab: zum einen im Sinne von „zugehörig zur Gattung homo sapiens“ und zum anderen „Person“. Durch diese unterschiedlichen Wortbedeutungen gelingt es Singer, die Prämissen des Hauptarguments in Frage zu stellen. Die zweite Prämisse sei nicht mehr haltbar, da ein Fötus unmöglich als Person, welche rational und selbstbewusst ist, eingestuft werden kann. Singer stellt die These auf, dass Prämisse eins nicht mehr haltbar ist, da es fraglich erscheint, weshalb es Unrecht ist, das Mitglied einer bestimmten Gattung (homo sapiens) zu töten. Die Zugehörigkeit zur Gattung homo sapiens hätte „moralisch keine Bedeutung“9. Diese Ansicht beruhe auf religiösen Lehren.

Aufgrund dieser Schlussfolgerung betrachtet Singer den Fötus als das, was er ist und mit den Eigenschaften, die er besitzt. Dabei behauptet Singer, man könne den Fötus mit anderen Wesen, die ähnliche Eigenschaften besitzen (aber nicht zu derselben Spezies gehören), vergleichen. Er richtet sich auch gegen die Abtreibungsgegner, welche sich für ein „Recht auf Leben“ aussprechen, aber gleichzeitig das Fleisch von Hühnern, Kälbern und Schweinen verspeisen. Dieser Einwand von Singer ist von großer Bedeutung, da er den Fötus mit Tieren vergleicht. Dies macht er abhängig von bestimmten relevanten Eigenschaften: Rationalität, Selbstbewusstsein, Bewusstsein, Autonomie sowie Lust- und Schmerzempfindung. Er stellt die These auf, dass jedes Huhn, Kalb oder Schwein mehr Bewusstsein hätte als ein Fötus (zu jeder Zeit der Schwangerschaft). Daher schreibt er dem menschlichen Fötus nicht mehr Wert zu als dem eines nichtmenschlichen Wesens. Singer setzt damit ein eindeutiges Zeichen und erkennt die Tiere als dem Menschen als ebenbürtig oder vergleichbar an.

Singer behauptet, ein Fötus habe keinen Anspruch auf Leben, als Begründung nennt er die Nicht-Zugehörigkeit zu der Kategorie „Person“. Somit wäre eine Abtreibung, insbesondere bis zur 18. Schwangerschaftswoche möglich, da der Fötus bis dahin kein ausgebildetes Nervensystem hat und kein Empfinden besitzt. Der Fötus bis zur 18. Woche habe keinen Wert. Ein Fötus zwischen der 18. Woche und der Geburt habe nur einen gewissen Wert, da er zwar bewusst aber nicht selbstbewusst ist. Damit legitimiert Singer die Abtreibung auch nach der 18. Schwangerschaftswoche und sogar bis kurz vor der Geburt. Dabei stützt er sich hauptsächlich auf die sechs relevanten Eigenschaften eins Wesens, die zuvor erwähnt wurden. Die Interessen der Frau stünden vor den (rudimentären) Interessen des Fötus.

Als nächstes bezieht sich Singer auf das Töten an sich, indem er die These aufstellt, dass das Töten so schmerzlos wie möglich geschehen sollte. Dies begründet er damit, dass „eine zur Empfindung fähige Kreatur“10 Schmerzen empfinden kann. Er wendet ein, dass sich die Gesellschaft bisher wenig um das humane Töten von Föten gekümmert hat und benennt ein grausames Beispiel (S.163). Er kommt zu dem Schluss, dass das Leiden des Fötus, welches durch die Abtreibung verursacht wird, vermieden werden sollte.

[...]


1 Christoph Anstötz, Rainer Hegselmann, Hartmut Kliemt (Hg.) (1997): Peter Singer in Deutschland. Zur Gefährdung der Diskussionsfreiheit in der Wissenschaft. Frankfurt am Main, S. 1.

2 Peter Singer (1984): Praktische Ethik. Aus dem Englischen übersetzt von Jean-Claude Wolf. Stuttgart, S. 5

3 Ebd.

4 Christoph Anstötz, Rainer Hegselmann, Hartmut Kliemt (Hg.) (1997) a.a.O., S. 2.

5 Ebd., S. 5.

6 Singer, Peter (19984) a.a.O., S. 146.

7 Ebd.

8 Ebd., S. 154.

9 Ebd., S. 159.

10 Ebd., S.163.

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Eine kritische Textanalyse zum Aufsatz "Töten: Abtreibung" aus dem Werk "Praktische Ethik" (1984) des Philosophen Peter Singer
Université
University of Potsdam  (Institut für LER)
Cours
Das beste Argument gewinnt! Grundlegende Einführung in Philosophie und Ethik für LER
Note
1,7
Auteur
Année
2018
Pages
19
N° de catalogue
V914809
ISBN (ebook)
9783346234926
ISBN (Livre)
9783346234933
Langue
allemand
Mots clés
Peter Singer Praktische Ethik Abtreibung
Citation du texte
Julia Kobán (Auteur), 2018, Eine kritische Textanalyse zum Aufsatz "Töten: Abtreibung" aus dem Werk "Praktische Ethik" (1984) des Philosophen Peter Singer, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/914809

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