Spaßpartei FDP? Die Reaktionen des Wählermarktes auf das Projekt 18


Bachelorarbeit, 2007

52 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.0 Einleitung

2.0 Die etablierte FDP
2.1 Unterwegs zur Spaßpartei: Die Entwicklung des 8 politischen Stellenwertes und des Images der FDP zwischen 1990 und
2.2 Die verlorene Bundestagswahl 1998 - 10 Entwicklungsmöglichkeiten in der Opposition

3.0 Die liberale Emanzipation
3.1 Die Kampagne 8 des Jürgen W. Möllemann
3.2 Ein unkonventioneller Landtagswahlkampf

4.0 Das Projekt 18 der FDP
4.1 Das Programm zur Bundestagswahl 2002
4.2 Die Definition der Zielgruppen
4.3 Exkurs: Der modernisierte Wahlkampf als Kernelement 21 der Politikvermittlung
4.4 Der modernisierte Wahlkampf der FDP
4.5 Die Positionierung des Spitzenkandidaten und die Ernennung 25 zur Spaßpartei
4.6 Die ersten Erfolge: Ausgewählte Landtagswahlergebnisse der 28 FDP während der Jahre 1999-2002
4.7 Der Höhepunkt des Projekts 18: Die Kanzlerkandidatur des 30 Guido Westerwelle

5.0 Das vorzeitige Ende des Spaßwahlkampfes
5.1 Mangelnde Flexibilität im professionalisierten Wahlkampf: 34 Die Elbflut und die Irakkrise
5.2 Das Ergebnis der Bundestagswahl 2002

6.0 Empirische Untersuchung: 39 Wie wirkte sich das Projekt 18 langfristig aus?
6.1 Die Strukturdaten
6.2 Die Analyse ausgewählter Fragestellungen
6.3 Zusammenfassung der Auswertung: Die Bedeutung des 43 Projekts 18 für die unmittelbare, weitere Entwicklung der FDP

7.0 Resümee

8.0 Bibliographie
8.1 Literatur
8.2 Internetquellen
8.3 Abbildungsverzeichnis

9.0 Anhang

9.1 Der Fragebogen

9.2 Diverse Graphiken zu Befragungsergebnissen

1.0 Einleitung

Der Alltag der deutschen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist geprägt durch Individualisierung und Schnelllebigkeit; Elemente, welche einer umfassenden Modernisierung zugeschrieben werden. Ein Prozess, der auch in der Politikvermittlung für grundlegende Veränderungen gesorgt hat.

Die Zeitung ist nicht mehr das hauptsächliche Kommunikationsmittel. Dieser Stellenwert wird nunmehr von den Massenmedien Fernsehen und Internet belegt, welche sich den modernen Gegebenheiten und Lebensgewohnheiten der Menschen angepasst haben. Vor allem das Fernsehen bietet dabei eine soziale Reichweite, an die kein anderes Medium heranreicht. Schließlich verfügt nahezu jeder deutsche Hausalt über ein Gerät - oftmals sind es sogar mehrere. Die Programmpräferenzen können ganz nach den individuellen Vorlieben gestaltet werden und wenn ein Format nicht in kürzester Zeit das Interesse des Rezipienten binden kann, wird zu einem anderen Sender umgeschaltet.

Gleiches gilt auch für die Vermittlung von politischen Inhalten. Die Parteien mussten während der vergangenen Jahren lernen, die veränderten Gewohnheiten des Wählermarktes zu studieren und für die eigene Präsentation zu nutzen. Als mit den so genannten “Elefantenrunden”, bei denen führende Politiker vor der Bundestagswahl im Fernsehen zusammenkamen und über unterschiedliche Positionen diskutierten, die Mediatisierung der deutschen Politik eingeläutet wurde, war das heutige Ausmaß noch nicht denkbar.

Die politische Kommunikation erfolgt heute vorrangig über die Massenmedien, da das Volk ansonsten nicht erreicht werden kann. Aufgrund der angesprochenen Schnelllebigkeit gilt es jedoch, sich in kürzester Zeit von den konkurrierenden Parteien abzugrenzen und das gewünschte Image zu verkaufen. Vor allem aufgrund der latenten Politikverdrossenheit der Bevölkerung muss es eine Partei verstehen den Bürger direkt und emotional anzusprechen. Dies gelingt jedoch lediglich mit Hilfe eines medienwirksamen Stellvertreters. Im Fall der FDP handelte es sich seinerzeit um den Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle.

Durch den Bundestagswahlkampf der FDP erreichte die moderne Politikvermittlung in Deutschland völlig neue Dimensionen. Die von Gerhard Schröder im Jahr 1998 eingeläutete Personalisierung wurde hier um ein Vielfaches ausgebaut; die FDP kreierte ein neues Image ihrer selbst, für das Guido Westerwelle werben sollte. Der Focus lag dabei auf der Erschließung von neuem Wählerpotential, welches sich mittels der bekannten, konventionellen Methoden nicht erschließen ließ. Die Stimmen von politisch Desinteressierten, Enttäuschten und Wechselwählern sollten nun an die Liberalen gehen. Diejenigen, welche bislang lediglich ihre Zweitstimme an die FDP gegeben hatten, sollten jetzt beide Kreuze bei dieser Par tei machen.

Doch um diese Teile des Wählermarktes zu erschließen, musste neben der Ausschöpfung aller medialen Möglichkeiten eine bis dato unbekannte Form des Wahlkampfes praktiziert werden, schließlich konnte man sich mit sachlicher Politik nicht medienwirksam von den Mitstreitern abheben. - Der Spaßwahlkampf wurde ins Leben gerufen! Ein neues Selbstbewusstsein, Wahlkampfauftritte mit dem Guidomobil sowie die Wahrnehmung von Unterhaltungsformaten, welche von anderen Politikern ignoriert wurden, sollten den Weg zu der Zielvorstellung der erneuerten FDP ebnen. Dieses war nicht bescheiden. - Es lautete: 18%.

Während das parteipolitische Umfeld skeptisch blieb, war das Projekt 18 in weiten Teilen der Bevölkerung durchaus erfolgreich. Andererseits wurden jedoch viele Stammwähler verschreckt, die den ernsthaften Charakter der Kampagne vermissten. Daraus resultieren die zentralen Fragestellungen, welche in dieser Arbeit behandelt werden sollen: War das Projekt 18 auf lange Sicht gesehen verantwortlich für eine veränderte Wahrnehmung der Partei von Seiten der Bürger und somit erfolgreich? Ist das damalige Image der “Spaßpartei” heute noch ein relevanter Faktor bei der Wahlentscheidung?

Um zu verstehen, weshalb sich eine etablierte FDP völlig neu erfand, sich selbst als “Spaßpartei” deklarierte und wie die deutsche Bevölkerung darauf reagierte, müssen zunächst die genauen Umstände erklärt werden. Daher werden zunächst die wichtigsten politischen Stationen beleuchtet, welche zu der Verortung der FDP in der Parteienlandschaft geführt haben, um im Anschluss Erklärungen für den Imagewandel zu finden, welcher schließlich nach der Kampagne 8 in dem Projekt 18 mündete und maßgeblich für die Reaktionen der Bevölkerung war. Dem Funktionär Jürgen W. Möllemann wird dabei ein großer Stellenwert eingeräumt, da er maßgeblich zu der hier behandelten Entwicklung beigetragen hat und als zentraler Indikator für den überraschenden Erfolg der FDP gilt.

Nach einer Analyse der Wahlergebnisse der Bundestagswahl 2002 findet schließlich die Auswertung einer eigens erstellten Umfrage statt, welche das Projekt 18 auf seine langfristige Wirkung auf den Wählermarkt untersucht. Am Ende dieser Arbeit befindet sich schließlich das Forschungsergebnis zu der Frage, ob die FDP nach wie vor das Image der Spaßpartei besitzt, ob es sich dabei um einen Negativ-Faktor handelt, oder ob es letztendlich förderlicher für die Entwicklung der Partei war, als es ihm angelastet wird.

2.0 Die etablierte FDP

Der liberale Gesellschaftsentwurf, in welchem sich die Intervention des Staates nur auf das Notwendigste beschränkt, die Freiheit des Individuums die oberste Prämisse ist und die Marktwirtschaft lediglich ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, eint überzeugte Wähler, Mitglieder und Funktionäre der FDP. Die offizielle Gründung der FDP fand am 11. Dezember 1948 in Heppenheim an der Bergstraße statt, als sich die verschiedenen liberalen Parteien der westlichen Besatzungszonen vereinigten. Theodor Heuss wurde im Anschluss von den Delegierten zum ersten Bundesvorsitzenden gewählt.

Aufgrund der damals aktuellen politischen Ziele erfuhr die Freie Demokratische Partei in ihrer Anfangszeit zunächst einen recht hohen Zuspruch in der Bevölkerung, welcher in den folgenden Jahrzehnten jedoch sukzessive abnahm. Inhaltliche Alleinstellungsmerkmale wie die Forderung eines säkularen Staates oder die Einführung der Marktwirtschaft gingen nach kurzer Zeit unter, da moderne, liberale Tendenzen durchaus auch in den beiden großen Parteien CDU und SPD erkennbar wurden und sich bis heute verstärken.1

Mit Ausnahme der sozialliberalen Koalition entwickelte die FDP sich zu einem Mehrheitsbeschaffer der Volkspartei CDU. Die Wählerschaft setzte sich lange Jahre zum einen aus liberal Überzeugten und zum anderen aus Anhängern der CDU zusammen, welche die FDP aufgrund ihrer ökonomischen Konzepte mit in der Regierung wissen wollten. Im deutschen Parteiensystem wurde sie schließlich als “Partei der zweiten Wahl” angesehen.2

Diese Bezeichnung beinhaltet jedoch zwei verschiedene Blickwinkel. Während viele Wähler die FDP nach wie vor als notwendige, dritte politische Kraft erachten, um die Volksparteien an liberale, bürgerliche Interessen zu erinnern, sehen andere die Partei lediglich als Zweitstimmenempfänger, der als notwendiger Koalitionspartner einen viel zu großen Einfluss besitzt.

Die mangelnde Wahrnehmung der FDP als eigenständige politische Kraft führte innerhalb der deutschen Bevölkerung auch zu einem gefühlten niedrigeren politischen Stellenwert, wodurch auch das Image der Partei, reine Klientelpolitik zu betreiben, gefestigt wurde.

Im Folgenden werden daher kurz die wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre beleuchtet, welche schlussendlich zu Fremd- und Selbstwahrnehmung der FDP im Jahr 2002 führten.

2.1 Unterwegs zur Spaßpartei: Die Entwicklung des politischen

Stellenwertes und des Images der FDP zwischen 1990 und 1998 Der bis dato schleichende Übergang von der Programm- zur Funktionspartei erreichte seinen Höhepunkt in den neunziger Jahren.

Während der Ära Kohl stand der Auftritt der FDP unter dem Motto “Hauptsache: Dabei”. Unter der Führung von Hans-Dietrich Genscher kamen programmatische Richtungswechsel, wenn sie in der schwarz-gelben Koalitionsarbeit benötigt wurden.3 Eigene Positionen wurden zugunsten der CDU verändert, weshalb der “Partei der zweiten Wahl” für diesen Zeitraum zunächst lediglich ein passiver Einfluss auf die deutsche Politik konstatiert werden kann. Da andererseits jedoch ohne ihre Unterstützung keine Regierungspolitik betrieben werden konnte, besaß sie einen hohen Stellenwert - anders, als es zunächst bei einer verhältnismäßig kleinen Partei den Anschein hat.

Die Folge der für den Wähler offensichtlichen Inhaltsleere waren ausbleibende Wählerstimmen bei den Landtagswahlen in den Jahren 1994 und 1995. Zwar war sie ein weiteres Mal zum regierenden Koalitionspartner auf Bundesebene gewählt worden, auf Länderebene wurde die FDP jedoch sukzessiv abgewählt. Das Bundesland Hessen bildete dabei die einzige Ausnahme.

Die Stimmverluste kamen aus verschiedenen Richtungen. Für die Wähler aus den neuen Bundesländern war die FDP nicht attraktiv, da diese sich nicht an die dortigen Gegebenheiten anpasste, sondern lediglich ihren gewohnten westdeutschen Kurs fortsetzte. Mit dem Schlagwort “Marktwirtschaft” konnte hier noch keine Überzeugungsarbeit geleistet werden. Anhänger verschiedener Bürgerrechtsbewegungen wandten sich der alternativen Partei Bündnis `90 / die Grünen zu, da in der mittlerweile nach rechts orientierten FDP scheinbar kein Platz für alternative Gesellschaftsideen war:

Der neue Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt hatte dem, latent nach wie vor vorhandenen, internen sozialliberalen Kurs ein Ende gesetzt, da nach Jahren der Liberalisierung des Staates, der Bürger wieder mehr nach Schutz vor gesellschaftlichen Neuerungen und kriminellen Bedrohungen suchte. Die Begriffe des “Werteverfalls” und der “Multi-Kulti-Gesellschaft” standen nun neben der Wirtschaftspolitik im Zentrum des Interesses der FDP-Funktionäre. Damit war natürlich eine weitere Annäherung an die CDU geschaffen, was die Liberalen jedoch von den angesprochenen Bürgerrechtsbewegungen stark entfernte.

Doch gerade die Abwertung der genannten “Multi-Kulti-Gesellschaft” verprellte weiteres Wählerpotential. Große Teile der in Deutschland lebenden Einwanderer fühlten sich von der Partei nicht mehr akzeptiert, die bis dato stellvertretend für eine weltoffene Politik stand. Die Folge war, dass sie sich ebenfalls nach links wandten.4

Das Image der FDP war Mitte der neunziger Jahre demnach von einer stark konservativen Orientierung geprägt. Trotz der Formulierung eigener Forderungen prägte dies natürlich das Vorurteil, lediglich eine Schwesterpartei der CDU zu sein. Es gab jedoch schon damals einen Punkt, der die FDP deutlich von der CDU unterschied: Die Forderung nach mehr Deregulierung und einer Senkung der Abgaben von Seiten der Bürger an den Staat. Der nach wie vor inoffizielle zweite Name der FDP, der Steuersenkungspartei, rührt aus dieser Zeit, als Wolfgang Gerhardt zusammen mit Generalsekretär Guido Westerwelle den Anfang machte, wieder ein eigenständiges Profil zu schaffen.

Wenngleich dieses auch nicht konsequent umgesetzt wurde, da zur Bundestagswahl 1998 ein weiteres Mal auf die Zweitstimmen der CDU-Wähler gesetzt wurde, indem diese aufgefordert wurden, die FDP zu wählen, um den Sieg von Bundeskanzler Kohl zu sichern. Obwohl also erste Schritte zur Emanzipation getätigt worden waren, bildete dieser Wahlkampf den Höhepunkt der langjährig manifestierten Abhängigkeit - die FDP bot sich selbst als Mittel zum Zweck an! Doch das taktische Wahlmanöver zur Sicherung der eigenen Existenz im Bundestag ging nicht auf. Nach 16 Jahren schwarz-gelber Regierung suchte Deutschland den frischen Wind und wählte Gerhard Schröder zum Bundeskanzler.

2.2 Die verlorene Bundestagswahl 1998 - Entwicklungsmöglichkeiten in der Opposition

Zum einen war die politische Grundstimmung im Wahljahr 1998 für die Abwahl verantwortlich. Die Arbeitslosenzahlen hatten mit 4,38 Millionen den absoluten Höchststand seit der Gründung der Bundesrepublik erreicht. In diesem Zusammenhang konnten die Deutschen kein Verständnis für eine geplante Steuerreform aufbringen, welche höhere Einkommen noch bevorzugen sollte, während für den Großteil der Bevölkerung anscheinend vor allem Sparmaßnahmen avisiert wurden. Auch weitere wirtschafts- und sozialpolitische Themen wie z.B. die Renten- und Gesundheitspolitik, waren für die Bürger von herausragendem Interesse, während traditionell konservative und liberale Fachbereiche wie die Innere Sicherheit und Außenpolitik eher sekundär waren.5

Gründe hierfür sind sicherlich in der durch die Wiedervereinigung entstandenen Problemlage zu finden. Die im Wahljahr 1994 noch frische Euphorie über das zusammengewachsene Deutschland hatte inzwischen einer Realität weichen müssen, die dazu veranlasste, den Einigungsprozess differenzierter zu sehen. Im Focus weiter Bevölkerungsteile in Ost und West stand nicht mehr der gesellschaftliche Zusammenhalt, sondern vor allem die Sorge über die persönliche finanzielle Situation. Viele wirtschaftliche und soziale Problemlagen wurden als Fehler der Bundesregierung angesehen. Infolge dessen wurde den Regierenden, im Gegensatz zu einer zukunftsweisenden SPD mit einem unverbrauchten Kanzlerkandidaten, kein ausreichendes Leistungsvermögen mehr zugetraut Als weiteren Grund für den Wahlausgang gilt es jedoch festzuhalten, dass der Bundestagswahlkampf 1998 zum ersten Mal nicht mehr von politischen Inhalten dominiert wurde, sondern die visuelle Wahrnehmung der einzelnen Kandidaten im Vordergrund stand. Die Begriffe Modernisierung, Professionalisierung, Inszenierung und Personalisierung bewirkten in diesem Wahljahr eine völlig neue Dimension des Politischen.

Die gesellschaftliche Mediatisierung hatte mittlerweile auch die Politik erreicht, was die Akteure von der SPD geschickt umzusetzen wussten. Gerhard Schröder wurde von seinem Wahlkampfteam regelrecht in Szene gesetzt. Bei zahlreichen Fernsehauftritten in diversen Unterhaltungsformaten stand seine Person im Mittelpunkt, was zur Folge hatte, dass auf die genaue Untersuchung politischer Inhalte oftmals verzichtet wurde. Der Kanzlerkandidat verstand es, die Massenmedien für sich zu nutzen und sich durch sein jugendliches Auftreten deutlich von Helmut Kohl abzusetzen.

Die deutsche Bevölkerung wollte in diesem Jahr eine neue Regierung - dass die zweite Volkspartei es in ihrem Wahlkampf mitunter unterließ, genaue Konzepte zur Zielerreichung vorzulegen, war daher nicht entscheidend. Kanzlerkandidat Schröder wurde zu einem Produkt, zu einer Marke stilisiert, über deren Erfolg, ganz im Sinne der Professionalisierung, die Verkaufsstrategie entschied.6

Die damalige Parteiführung der Christdemokraten und der Freien Demokraten hatte dieser ungewohnten Modernisierung nichts entgegenzusetzen und konnte nur verlieren.

Somit hatte die FDP ihre Eigenschaft als Mehrheitsbeschaffer verloren. Was sich bereits während der vorangegangenen 15 Jahre nach der Gründung der Grünen abgezeichnet hatte war den Liberalen nun bescheinigt worden: Die FDP war nicht mehr die dritte Kraft im Bundestag. War sie am Ende etwa nicht nur programm- sondern auch funktionsentleert? Oder kann die offensichtliche Niederlage doch als parteipolitischer Gewinn deklariert werden?

Die Parteispitze antwortete auf das Wahlergebnisse, indem sie einen künstlichen Nullpunkt setzte und den Startschuss für eine neue, modernere und selbstbewusstere FDP gab. Gerhardt und Westerwelle waren sich einig, dass ihre Partei keineswegs inhaltsleer sei - vielmehr müsse sie ihre Inhalte klar zu erkennen geben.7 Außerdem wurde die Aufgabe des liberalen Korrektivs wiederentdeckt. Die neue Funktion der Partei bestand ab diesem Zeitpunkt darin, die Möglichkeiten der Opposition auszuschöpfen, eigene Positionen zu verdeutlichen und wieder mehr Zuspruch in der Bevölkerung zu erlangen. Einen besseren Gegenspieler als die SPD konnte es dafür gar nicht geben.

In letzter Konsequenz ist der eigentliche Ausgang der Bundestagswahl 1998 für die Liberalen ein Anderer, als es die Zahlen zunächst vermuten lassen. Die Wahlniederlage wurde langfristig gesehen zur Chance, indem sie eine neue Profilierung ermöglichte, welche wiederum richtungweisend für die Entwicklung der FDP bis zum Jahr 2002 war.

Die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl 2002 nutzte die FDP nun, um sich selbst neu zu definieren. War einer der entscheidenden Knackpunkte gegenüber der SPD und den Grünen die fehlende Modernität gewesen, so musste deren Einführung zu den obersten Prioritäten zählen. Es kam viel Bewegung in das liberale Parteileben, wie der Landtagswahlkampf von Jürgen W. Möllemann im Jahr 2000 zeigte. Dieser war der Auftakt zu einer knapp drei Jahre andauernden politischen Werbeveranstaltung.

3.0 Die liberale Emanzipation

Aufgrund des Spendenskandals um Helmut Kohl fand im Jahr 1999 eine Verlagerung der Stimmen des bürgerlichen Lagers statt. Diejenigen, welche der CDU das Vertrauen entzogen, wählten bei den folgenden Landtagswahlen die FDP, da sie die gewünschten politischen Ziele hier am ehesten repräsentiert fühlten.

Die Folge war, dass nachdem die Liberalen zuvor bei den Landtagswahlen durchgängig weit unter die notwendige 5%-Hürde gefallen waren - mit Hessen als einziger Ausnahme, die die Regel bestätigte-, nun im Jahr 2000 zunächst zwei Landesverbände von dem fundamentalen Stimmenzuwachs profitierten: Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.

War das Ergebnis Kubickis mit 7,6% schon ungewöhnlich hoch für liberale Verhältnisse, so schaffte Möllemann es am 14.5.2000 mit erzielten 9,8 % in einem traditionell sozialdemokratisch regierten Bundesland, neue Maßstäbe für eine selbstbewusste Partei zu setzen.

Der Grund für den bahnbrechenden Erfolg lag in der angewandten Strategie. Freche Slogans und dynamische Bilder verdeutlichten jedem Bürger im “Vorbeigehen”, worum es der FDP ging und vor allem, wen er wählen sollte: Jürgen W. Möllemann.

3.1 Die Kampagne 8 des Jürgen W. Möllemann

Diese Aussage war der Kern des Landtagswahlkampfes im Jahr 2000. Anscheinend hatte die nordrhein-westfälische FDP aus dem modernisierten und personalisierten Bundestagswahlkampf der SPD gelernt und daher ihren gesamten Wahlkampfetát auf die Profilierung ihres Spitzenkandidaten verwendet.

Die Reaktionen der Journalisten bestanden aus Verwunderung und Ungläubigkeit, als Möllemann gegen Ende des Jahres 1999 auf einer Pressekonferenz verkündete, dass das angestrebte Wahlziel bei 8% läge. Schließlich war die FDP NRW bei den vorherigen Landtagswahlen an der 5% Hürde gescheitert! Die Einschätzungen der Journalisten wurden durch Meinungsforschungsinstitute bestätigt, welche den Liberalen ein voraussichtliches Ergebnis von lediglich 3% prognostizierten.8

Es handelte sich um öffentlich geäußerte Zielvorstellungen in völlig neuen Dimensionen. Möllemann wusste selbstverständlich, dass in dem Moment, in welchem er erneut zu wenig Stimmen bekäme, um wieder in den Landtag einzuziehen, er und die FDP sowohl von der Bevölkerung als auch von den Konkurrenten nicht mehr ernst genommen werden würde. Folglich mussten er und sein Wahlkampfteam zum Zeitpunkt der Bekanntmachung bereits eine Strategie besitzen, von deren Erfolg sie absolut überzeugt waren.- Und sie existierte auch!

Die maßgebliche Verantwortung dafür trugen der Spitzenkandidat selbst, sowie der PR- Berater Fritz Goergen, dem das politische Umfeld aus eigenen Erfahrungen nicht fremd war. Die so genannte Kampagne “8%” wurde von diesen beiden Personen ab Sommer des Jahres 1999 geplant, ohne dass weite Teile der Partei davon Kenntnis besaßen. Erst auf dem Landesparteitag gegen Ende des Jahres wurden die Delegierten informiert und das Wahlprogramm auch sogleich verabschiedet.

Hierbei wurde der Focus auf die Themen Bildung und Verkehr gerichtet. Damit konzentrierte sich die Partei nicht mehr auf die klassischen wirtschaftspolitischen Themen, welche vor allem auf Bundesebene relevant waren, sondern wandte sich speziell an die dort lebende Bevölkerung: Sowohl zu Autobahnen, die einem erhöhten Verkehrsaufkommen nicht mehr gerecht wurden und den tagtäglichen Berufsverkehr lähmten, als auch zu dem schlechten Image der Schulbildung konnte sich jeder Bürger aus eigener Erfahrung äußern. Die beiden klassischen Streitpunkte in der Landespolitik NRWs sollten eine ideale Verbindung zwischen Partei und Wähler - beziehungsweise zwischen dem Kandidaten und seinen Wählern schaffen.

3.2 Ein unkonventioneller Landtagswahlkampf

Möllemann setzte auch innerparteilich auf Emotionen. Die Enthüllung des am Rednerpult angebrachten Schildes, auf dem nichts weiter zu lesen stand, als 8%, brachte sofort den erhofften Erfolg: Die Anwesenden ließen sich von der Euphorie Möllemanns anstecken; gab es doch nach der langen Zeit der Niederlagen endlich wieder jemanden, der an die Kraft der eigenen Partei glaubte und Erfolge in Aussicht stellte! Die stetige Einprägung der symbolträchtigen Ziffer war zusammen mit der Überzeugungskraft entscheidend für die Mobilisierung der Mitglieder - jedoch auch für das neue Image der FDP in der Öffentlichkeit.

Wie publikumswirksam eine noch nicht real existierende Kampagne sein kann, zeigten Umfragewerte des WDR im Januar 2000, welche der FDP mittlerweile schon einen möglichen Wahlerfolg von 6% prognostizierten.9

Die Zivilbevölkerung reagierte also schon auf einzelne Fragmente, ohne jedoch deren genauen Inhalt zu kennen. Allein das neue Selbstbewusstsein der kleinen Partei schien Einfluss auf ihren Erfolg zu haben. Aufgrund dessen stimmte der Landesvorstand der fertig gestellten Kampagne natürlich zu, als sie ihm Ende Januar präsentiert wurde. Dass ein solches Projekt, welches fundamental verantwortlich für die weitere Parteientwicklung sein konnte, quasi im Alleingang des Landesvorsitzenden erarbeitet wurde, war dabei nicht mehr von Belang.

Die Schwerpunkte wurden bei den bereits genannten Themen Bildung und Verkehr in Nordrhein-Westfalen gesetzt. In Bezug auf die visuelle Ausgestaltung der Kampagne gab es zwei Elemente, die in jeder Anzeige, auf jedem Flyer und jedem Plakat wiederkehrten: Die Kombination eines provokanten Bildes mit einer nicht minder offensiven, direkten Ansprache des Betrachters mittels eines unkonventionellen Slogans, wie z.B. “Grün staut. Mölli baut.“10, sowie dem Claim “NRW braucht Tempo. Möllemann.”

Falls der Spitzenkandidat mit Foto abgebildet war, so war er nicht als ferner Berufspolitiker gekleidet, sondern im schlichten Rollkragenpullover - zur Suggerierung der Bürgernähe.

Der Schriftzug der FDP wurde gegebenenfalls so platziert, dass er erst auf den zweiten Blick auffiel. Trotzdem wusste aufgrund der Farbgebung sofort jeder Bürger, um welche Partei es sich handelte. Hiermit wurde erstmalig eine politische Richtung als Marke deklariert, mit dem Spitzenkandidaten als Verkäufer. Fast jeder Einzelne aus der Zivilbevölkerung konnte einen Ansatz finden, mit dem er sich identifizieren konnte. Die freche Sprache trug zudem dazu bei, dass die trockene Politik mit Leben gefüllt und dadurch auch interessant für Erstwähler wurde.

[...]


1 vgl. Leuschner, Udo: Die Geschichte der FDP, S. 4

2 vgl. Dittberner, Jürgen: FDP - Partei der zweiten Wahl, S. 144

3 vgl. Dittberner, Jürgen: Die FDP, S. 103

4 vgl. Dittberner, Jürgen: Die FDP, S. 104

5 vgl.Brunner, Wolfram / Walz, Dieter: Die politische Stimmungslage im Vorfeld der Bundestagswahl, S.

6 vgl. Holtz-Bacha, Christina: Bundestagswahlkampf 1998-Modernisierung und Professionalisierung, S. 10

7 vgl. Dittberner, Jürgen: Die FDP, S. 107

8 vgl. Möllemann, Jürgen W.: Klartext. Für Deutschland, S. 48

9 vgl. ebenda, S. 83

10 vgl. www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2000/0504/politik/0035/index.html, Stand: 10.08.07

Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Spaßpartei FDP? Die Reaktionen des Wählermarktes auf das Projekt 18
Hochschule
Universität Siegen
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
52
Katalognummer
V91506
ISBN (eBook)
9783638043014
Dateigröße
649 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Spaßpartei, Reaktionen, Wählermarktes, Projekt
Arbeit zitieren
B.A. in Social Science Ann-Cathrin Freise (Autor:in), 2007, Spaßpartei FDP? Die Reaktionen des Wählermarktes auf das Projekt 18, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91506

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