Repräsentationsfähigkeit des deutschen Parteiensystems im Längsschnitt

Eine vergleichende Analyse von Repräsentationsindikatoren


Bachelorarbeit, 2020

65 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Einbettung
2.1 Parteien und Parteiensysteme
2.2 Kernbestandteile repräsentativer Demokratien
2.3 Krisen und Herausforderungen

3 Konzeptionalisierung der Repräsentationsindikatoren
3.1 Wahlbeteiligung
3.2 Cleavage-Modell

4 Entwicklung und Herausforderung des deutschen Parteiensystems
4.1 1953 bis 1976
4.2 1976 bis 1998
4.3 1998 bis 2005
4.4 2005 bis 2017

5 Resümee und Ausblick

6 Anhang

7 Quellenverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Konfliktstruktur der 50er Jahre

Abbildung 2: Konfliktstruktur der 60er und 70er Jahre

Abbildung 3: Konfliktstruktur seit Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre

Abbildung 4: Positionierungen der politischen Parteien im Cleavage-Modell im Jahre 2017

Tabelle 1: Wahlbeteiligung der BTW als Indikator des pluralistischen Gemeinwohls

Tabelle 2: Konfliktdimensionen des Cleavage-Modells

Tabelle 3: Die zu untersuchenden Entwicklungsphasen und ihre Namen

Tabelle 4: Wahlbeteiligung der Bundestagswahlen 1953-1976 als Indikator des pluralistischen Gemeinwohls

Tabelle 5: Wahlbeteiligung der Bundestagswahlen 1976-1998 als Indikator des pluralistischen Gemeinwohls

Tabelle 6: Wahlbeteiligung der Bundestagswahlen 1998-2005 als Indikator des pluralistischen Gemeinwohls

Tabelle 7: Wahlbeteiligung der Bundestagswahlen 2005-2017 als Indikator des pluralistischen Gemeinwohls

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Das Forschungsinteresse entstand durch den Wahlerfolg der Alternative für Deutschland (AfD), welche im Jahre 2017 drittstärkste Kraft im deutschen Bundesparlament wurde. Den Wahlerfolg einer mittlerweile eindeutig klassifizierbaren rechtspopulistischen Partei (vgl. Haußner/Leininger 2018: 70), wird als Herausforderung für die Demokratie Deutschlands gesehen (Oberreuter 2019: 25). In der Literatur ist das Aufkommen der AfD des Öfteren aufgrund einer „Repräsentationslücke“ beschrieben (vgl. Mielke 2018: 22; Patzelt 2018). Diese Erscheinung weckte mein Interesse. Während der Recherche haben sich weitere Faktoren der deutschen Demokratie offenbart, die schon seit langem das Parteiensystem herausfordern. Beispielsweise wird ein Rückgang der Volksparteien verzeichnet, eine allgemein sinkende Wahlbeteiligung und eine sinkende Parteienidentifikation, etc. (vgl. Von Alemann et al. 2018: 253-257) die in ihrer Summe eine sinkende Repräsentationskraft von Parteien zum Ausdruck bringen können. Einige Autoren, wie zum Beispiel Frank Decker (2016) sprechen sogar von einer „Krise der Demokratie“. Es entwickelte sich das Interesse, die repräsentative Demokratie genauer zu untersuchen. Der Fokus soll dabei nicht auf einer politischen Partei beschränkt sein. Stattdessen soll das Parteiensystem in seiner Gesamtheit analysiert werden. Um Aufschluss darüber zu entwickeln, seit wann Repräsentationslücken im deutschen Parteiensystem bestehen, wird eine Längsschnittuntersuchung vollzogen. Die Arbeit baut sich wie folgt auf:

Um die Bedeutung von politischen Parteien bezogen auf unsere repräsentative Demokratie zu verstehen, beginnt die theoretische Einbettung mit einer Schilderung über die Funktion politischer Parteien (Kapitel 2.1.). Anschließend werden Kernbestandteile repräsentativer Demokratien erläutert (Kapitel 2.2), die Gerd Mielke (2018) aus der politischen Theoriengeschichte abgeleitet hat. Und um ein allgemeines Verständnis für Herausforderungen und Krisen zu schaffen, ist eine Differenzierung beider Begriffe erläutert (Kapitel 2.3.), die überwiegend aus dem Werk des Politikwissenschaftlers Wolfgang Merkel (2015) „Demokratie und Krise“ stammen.

Der Längsschnitt der Entwicklung der Parteien wird in vier verschiedenen Phasen untersucht. Hierfür hat sich das Lehrbuch zum Grundwissen für Politik von Von Alemann/Erbentraut/Walther (2018) mit dem Titel „Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland“ angeboten. Die Autoren gehen auf gesellschaftliche Dynamiken ein und betonen, dass sich die Entwicklung des deutschen Parteiensystems prozesshaft vollzieht. Sie bestimmen unterschiedliche Entwicklungsphasen, welche für die Untersuchung als zeitliche Abschnitte übernommen wurden. Um den Umfang dieser Arbeit einzugrenzen habe ich mich dazu entschieden, die Untersuchung der Entwicklung des Parteiensystems, ab den 50er Jahren zu beginnen. Die besagten Autoren bestimmten seit 1953 vier Entwicklungsphasen. Diese werden in der Analyse vergleichend untersucht. Damit ein systematischer Vergleich ermöglicht wird, wurden hierfür zwei Indikatoren der Repräsentation konzeptualisiert, die Wahlbeteiligung und das Cleavage-Modell. Wie die Konzeptualisierung der Indikatoren für Repräsentation argumentiert werden, ist in Kapitel 3 erläutert. Selbstverständlich können die Indikatoren nicht das gesamte Spektrum an Möglichkeiten umfassen, wie die Repräsentationsfähigkeit von Parteien gemessen werden kann. Sie dienen jedoch dazu eine Perspektive zu eröffnen, inwiefern sich die Repräsentationskraft der Parteien gewandelt hat. Folgende Leitfrage bestimmt die Analyse:

Seit wann sind Zeichen einer Repräsentationslücke im deutschen politischen Parteiensystem erkennbar und wie gehen politische Parteien damit um?

Kapitel 4 stellt den Hauptteil, die Analyse, dar. Sie baut sich wie folgt auf: Zu Beginn wird die entsprechende Entwicklungsphase jeweils kurz zusammengefasst und einige allgemeine Herausforderungen werden herausgearbeitet, die auf das politische Parteiensystem wirken. Anschließend werden die selbstgewählten Indikatoren (Wahlbeteiligung und das Cleavage- Modell) untersucht. Die Zahlen für die Wahlbeteiligung entstammen der Onlineplattform Bundeswahlleiter.de (online)1. Die Verortung der Parteien im Cleavage-Modell wird neben literarischen Hinweisen auch durch selbstständige „Schlagwörtersuchen“ in Regierungs-, Wahl- und Grundsatzprogrammen bestimmt. Die Indikatoren ermöglichen einen systematischen Vergleich der Repräsentationskraft der politischen Parteien in den jeweiligen Entwicklungsphasen. In Kapitel 5 erfolgt dann das Resümee. Hier sind die Ergebnisse der Analyse zusammengefasst und einige weitere Erkenntnisse, die aus der Untersuchung gewonnen wurden und die Leitfrage betreffen, aufgeführt. Zudem werden weitere mögliche Forschungsansätze bezügliches des Themas „Repräsentationsfähigkeit“ angeschnitten.

2 Theoretische Einbettung

Die theoretische Einbettung dient als Grundbaustein, auf die die Analyse aufbaut.

2.1 Parteien und Parteiensysteme

Parteien haben, in der Herrschaft des Volkes, unter Anbetracht der hohen Bevölkerungszahl in Deutschland, eine strukturierende Funktion in der Volksherrschaft (vgl. Rudzio 2019: 85). Sie tragen die zentrale Funktion der institutionalisierten Repräsentation. „In modernen Demokratien sind Parteien das Bindeglied zwischen Wählern, Parlamenten und Regierungen (vgl. Merkel 2015: 34).“

Politische Parteien können nach Macht streben (vgl. Weber 1956: 176), um soziale, wirtschaftliche und kulturelle Konflikte im politischen Geschehen (auf Landes- oder Bundesebene) langfristig zu beeinflussen. Hierfür greifen Parteien die Interessen der Bevölkerung in öffentlichen Diskursen auf, bündeln sie und verschaffen ihnen im Parlament und Regierung politisches Gleichgewicht. Politische Parteien dienen der nationalen Integration der Bürger und der Repräsentation der territorialen Diversität (vgl. Detterbeck 2019: 101). Sie wirken an der politischen Willensbildung mit (vgl. Art. 21 (1) GG). Ihnen kommt eine zentrale Vermittlerrolle zwischen Staat und Gesellschaft zu (vgl. Mielke 2013: 175). „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 GG).“ Im Grundgesetz sind zudem demokratische Prinzipien verankert, wobei politischen Parteien ein spezifisches Parteiengesetz zukommt (Art. 21 (2) GG; PartG). Gewissermaßen stehen sie im verfassungsrechtlichen Auftrag, um die Demokratie in Deutschland zu wahren (vgl. Mielke 2013: 175). Das Grundgesetz legt fest, wie politische Parteien aufgebaut sein müssen, also welche Strukturbedingungen sie haben sollten, um der repräsentativen Form gerecht zu werden. Beispielsweise ist vorgeschrieben, dass ihre Finanzierungen offengelegt werden müssen, um zu vermeiden, dass sich die Politik von finanzstarken Institutionen oder Privatpersonen manipulieren lässt. Im Parteiengesetz sind außerdem Regelungen festgelegt, aus welchen Gründen Parteien verboten werden können, wenn sie beispielsweise die Demokratie in Deutschland gefährden. Die umfangreichen gesetzlichen Bestimmungen zu politischen Parteien haben eine bedeutsame Funktion, u.a. weil politische Parteien maßgeblich Änderungen oder Entwürfe neuer Gesetze bestimmen können (vgl. Elliker 2012: 51).

In der repräsentativen Demokratie gibt es ein Mehrheitsprinzip, welches besagt, dass der Wille der Mehrheit des Volkes ausschlaggebend für die Regierungskonstellation ist. Damit Parteien den Willen des Volkes aufgreifen können, finden in regelmäßigen Abständen Wahlen auf Kommunal-, Regional- und Bundesebene, sowie auf Europaebene statt. Hier dürfen die Bürger Repräsentanten ihren Präferenzen nach frei wählen. Der Vorteil für die Bürger dabei ist, dass sie so nicht tagtäglich selbst am politischen Geschehen mitwirken müssen, sondern Politikern die Entscheidungen überlassen können (vgl. Lehmann et al. 2015: 157). „Indem Parlamentarier zu Repräsentanten des Volkes werden, werden ihre Entscheidungs- und Gestaltungsmacht legitimiert (ebd.).“ Durch die Regelmäßigkeit der Wahlen soll die Responsivität gewahrt werden, was einschließt, dass die Bürger Kontrolle über die Abgeordneten ausüben (vgl. ebd.). Dies bedeutet für die Parteien, sie erhalten nur dann Legitimität im politischen Entscheidungsprozess, wenn sie eine gewisse Mehrheit des Volkswillens aufbringen können. Um in den Bundestag einzuziehen, müssen politische Parteien mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen erzielen. Mit dieser Hürde soll die Regierungsarbeit erleichtert werden, damit nur stabile Mehrheiten die Regierungsmacht tragen (vgl. Reiher 2019: 121). „Gewinnt ein Kandidat einer Partei in einem Wahlkreis die meisten Erststimmen, kann er trotzdem in den Bundestag einziehen (vgl. Deutscher Bundestag 2017 online).“ Solche Abgeordneten sind durch ihre hohe Anzahl der Erststimmen im Bundestag vertreten (vgl. ebd.).

Politische Parteien sind privatrechtliche Vereinigungen von Bürgern. In Deutschland gibt es einen Gleichheitsgrundsatz (siehe Verfassungsrecht). Dieser schließt ein, dass jeder Bürger eine politische Partei gründen darf (Art. 21 (1) Satz 2 GG). Jeder Bürger soll somit zu gleichen Teilen, unabhängig seiner gesellschaftlichen Stellung, die Möglichkeit haben, sich mit der Gründung einer Partei oder mit Wahlen am politischen Prozess zu beteiligen (vgl. Lehmann et al. 2015: 157).

Politische Parteien sind keine isolierten Akteure, sondern Teil eines Parteiensystems. Sie konkurrieren mit anderen Parteien, können aber auch mit ihnen zusammenarbeiten. Die Parteieliten tragen dann die Konflikte und Kooperationen aus (vgl. Mielke 2013: 175). „Sie analysieren Wählermärkte, präsentieren den Wählern Programm- und Personalangebote und entwickeln Koalitionsperspektiven (ebd.: 175).“ Innerparteiliche Rivalitäten und Richtungskämpfe sind dabei gängig (vgl. ebd.).

2.2 Kernbestandteile repräsentativer Demokratien

Um die Repräsentationsfähigkeit von Parteien untersuchen zu können, soll zunächst verdeutlicht werden, in welchem Rahmen die politischen Parteien in Deutschland handeln. Moderne Demokratien beinhalten zentralen Prinzipien wie Menschenrechte, Gewaltenteilung, das Mehrheitsprinzip, Minderheitenschutz, Rechtsstaatlichkeit und Widerstandsrecht, sowie Normen der Repräsentation. Die repräsentative Demokratie gilt als eine politische Ordnung, in der besagte Prinzipien verankert sind (vgl. Mielke 2018: 24). Sie „[...] umfasst einerseits grundlegende politische Normen und andererseits einen Verfassungsrahmen, der mit seinem institutionellen Gefüge und den darin vollziehenden Prozessen diesen Normen Geltung und Anschaulichkeit verschafft (ebd.: 23).“ Die Interpretationen über das Normgefüge und ihre institutionelle Ausgestaltung befinden sich in einem diskursiven Prozess aus Fortentwicklung und Angleichung an neuen Sachverhalten (vgl. ebd.: 24). Um das heutige Normgefüge zu verstehen und die unscharfe Bezeichnung der repräsentativen Demokratie genauer zu definieren, leitet Gerd Mielke (2018) drei „Kernbestandteile der repräsentativen Demokratie“ aus der politischen Theorie ab (Mielke 2018: 24). Bezogen auf die Untersuchung, lassen sie sich als Eckpfeiler verstehen, um den Sinn des institutionellen Gefüges von Parteien und ihrer Funktion der Repräsentation nachzuvollziehen. An diesen Kernbestandteilen angelehnt, werden in Kapitel 3 Indikatoren konzeptualisiert.

I. Ein „pluralistisches Gemeinwohl“

In der politischen Theorie ging es häufig um einen „ [...] erkenntnistheoretischen Streit um die prinzipielle Erkennbarkeit von Wahrheit [...] (Mielke 2013: 24)“. Ausschlaggebend ist, dass sich die Lebenswelt und entsprechende Handlungen je nach Individuum unterscheiden. Dies betrifft allgemeine Weltanschauungen, Religionen und Kulturen, Lebensweisen und Gebräuche. Die repräsentative Demokratie, aber konkret Deutschland, hat den Anspruch, die unterschiedlichen Lebenswelten ihrer Bevölkerung zu berücksichtigen (Art. 4 GG). Für die Richtigkeit einer Lebenswelt hatten im Mittelalter König oder Kaiser den „Wahrheitsanspruch“, was durch ihre autoritären Machtverhältnisse zum Ausdruck kommt. In der heutigen liberalen Demokratie in Deutschland (wie die repräsentative Demokratie auch genannt wird) dürfen politische und religiöse Vorstellungen frei bestehen und tragen mit zum Freiheitsanspruch der Bundesrepublik Deutschland bei (Art. 4 GG). Den „Wahrheitseinspruch“ über Gemeinwohl hat somit die Bevölkerung im Ganzen, daher pluralistisches Gemeinwohl. Im „Wörterbuch für Politik und Staat“ wird Gemeinwohl „ [...] verwandt zur Benennung eines allgemeinen Zwecks oder gemeinsamer Ziele bzw. Werte, zu dessen (deren) Verwirklichung Menschen in einer Gemeinschaft zusammengeschlossen sind [...]“, definiert (Nohlen 1995: 193). Ein pluralistisches Gemeinwohl zu verwirklichen, meint somit etwas Politisches, bei dem alle Bürger einer politischen Ordnung mit einer Norm, als ein Teil am Ganzen mitwirken.

II. Ein „pluralistisches Gesellschaftsbild“

Die Grundlage der repräsentativen Demokratie ist nicht mehr nur die Ausrichtung auf das Individuum, sondern ein sozioökonomisch und soziokulturell getragener Pluralismus, der sich nach Mielke (2018) in repräsentativen Demokratien etabliert hat. Neben individuellen Rechten und Interessen werden auch soziale Gruppen auf politischer Ebene repräsentiert. Hierdurch stellt sich die Kompatibilität zwischen Individuen und der heterogenen Gesellschaften her (vgl. Mielke 2018: 24).

III. Elitenkonkurrenz

Der dritte Eckpfeiler, den Mielke (2018) für repräsentative Demokratien herausgearbeitet hat, sind „rivalisierende Eliten“ (Mielke 2018: 25). Politische Eliten sind überwiegend durch Parteien organisiert, die wiederum miteinander konkurrieren (vgl. ebd.). Der Elitenbegriff ist umstritten. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass die Elite eine Minderheit ist, „ [.] die dem Rest der Gesellschaft überlegen ist und durch Auslese zustande kommt (Nohlen 1995: 113f zit. nach: Endruweit 1979:34)“. Im „Wörterbuch Staat und Politik“ (1995) wird der Begriff weiter definiert: „Als Elite bezeichnet zu werden verdienen jene, die durch ihr Verhalten am glaubwürdigsten die Leitwerte eines Gemeinwesens repräsentieren; die Bezeichnung steht jenen zu, die sich durch ihre Fähigkeiten und Leistungen an der Gemeinschaft als besonders nützlich erweisen, oder jenen, denen es aufgrund ihres Durchsetzungsvermögens gelungen ist, einen überlegenen Einfluß (sic!) auf und über ihre Mitbürger zu erlangen (Nohlen 1995: 113f. zit. nach: Jaeggi 1967: 97 ff; Schluchter 1963).“

2.3 Krisen und Herausforderungen

Partizipationstheoretiker und Postdemokraten wie beispielsweise Colin Crouch (2004) sind der Ansicht (vgl. Merkel 2015: 8), wenn man von einem goldenen Zeitalter der Demokratie sprechen kann, lag dies in den späten 50er Jahren. Grund dafür war das Parteiensystem, in dem Parteien im Vergleich zu heute weniger in Krise gesehen wurden. Der Krisenbegriff trägt eine normative Wertung in sich (vgl. Merkel 2015: 9). Wenn man über Krisen der Parteien oder sogar von einer „Krise der Demokratie“ (Pogrebinschi 2015, vgl. Merkel 2015) liest oder spricht, stellt sich die Frage (vgl. Merkel 2015: 9), wie „Krise“ definiert wird, also von welchem Normalzustand ausgegangen wird.

Diese Untersuchung hat Wolfgang Merkel (2015) als Grundlage, der die Ansicht vertritt, dass Krisen mit Herausforderungen einhergehen. Krisen sind „[...] schwerwiegende Störungen des Gleichgewichts [...]. Sie können endogen oder exogen induziert sein (Merkel 2015: 22).“ Sie sind systematische Störungen des politischen Systems, die nicht plötzlich da sind, sondern mit Herausforderungen beginnen. Der Weg von einer Herausforderung zu einer Systemkrise ist nicht determiniert. Ob es zu einer Systemkrise kommt, hängt davon ab, wie die Bürger mit jenen Herausforderungen umgehen und wie politische Eliten handeln- oder nicht-handeln. Zu unterscheiden sind neben Herausforderungen akute und latente Krisen (vgl. ebd.: 23).

Die akute Krise meint einen Systemkollaps. Die gesamte Existenz des politischen Systems ist dabei bedroht (vgl. Merkel 2015: 24). In dieser Untersuchung wird von keiner akuten Krise ausgegangen, da hierfür beispielsweise die politische Partizipation, neben den Wahlen, eine Überprüfung des Minderheitenschutzes, eine Untersuchung des Einflusses von Banken und Weiteres analysiert werden müsste (vgl. ebd.: 29), wofür der Umfang jedoch nicht reicht. Mit höherer Wahrscheinlichkeit kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es in Deutschland eine latente Krise unserer Demokratie gibt. Sie meint nach Merkel (2015) zweierlei, „[...] dass die Krise sich lange hinzieht und das Ende konzeptionell nicht mitgedacht wird (Merkel 2015: 25)“. Bei einer latenten Krise besteht die Befürchtung, dass es einen Qualitätsverfall der Demokratie gibt. Das Wesen der Demokratie wird dabei, wie Colin Crouch (2004) es beschreibt (vgl. ebd.), „[...] von innen ausgehöhlt“. Eine latente Krise kann bedeuteten, dass demokratische Institutionen zwar bestehen, jedoch der Gedanke einer „[...] demokratisch legitimierten und rechtsstaatlich eingehegten Volksherrschaft verblasst [...] (Merkel 2015: 25).“ Damit dieser Prozess nicht in einer akuten Krise endet, könnten aber auch deliberative und diskursive Elemente einbezogen werden (vgl. ebd.: 25). Offe (2003) erörtert beispielsweise eine „Demokratisierung der Demokratie“ und macht den Ausgang einer latenten Krise damit positiv denkbar (vgl. ebd.). Eine latente Krise muss nicht in einer akuten Krise münden, sondern der Ausgang latenter Krisen bleibt offen. Entscheidend dabei ist, wie Politiker und Bürger mit den Herausforderungen umgehen (vgl. Merkel 2015: 25). Das Ende einer latenten Krise bleibt offen. Da es empirische Befunde gibt, die für eine latente Krise sprechen, erfolgt nun eine Auflistung an Beispielen, die diese Behauptung beweisen:

Im Jahre 2016 ist folgender Trend, durch Umfragen, die über einen längeren Zeitraum hinweg gestellt wurden, erkennbar (vgl. Von Alemann et al. 2018: 253-257):

-Die Mitgliedschaft der Volksparteien „schmilzt“.
-Die Wahlbeteiligung sinkt.
-Der Konzentrationsgrad der Parteien lässt nach.
-Der Stammwähleranteil sinkt, mit einer steigenden Zahl an Wechselwählern, die zum Teil sogar komplett das politische Lager wechseln.
-Politische Skandale werden häufiger berichtet, was sich auf Wahlentscheidungen auswirkt.
-Jugendliche fühlen sich zunehmend von der Parteienpolitik entfremdet, sodass die Zahl der Wahlbeteiligung insbesondere von Jugendlichen sinkt.
-Das Vertrauen in Parteien und Politiker nimmt in der Bevölkerung allgemein ab (vgl. Von Alemann et al. 2018: 253-257).

Diese Faktoren im Parteiensystem wirken sich auf die Demokratie aus und verdeutlichen eindeutige Herausforderungen. Sie sich bewusst zu machen und sich entsprechende Konsequenzen auszumalen, kann hilfreich sein, um beim Ausgang aus der bestehenden Krise, auch als deutscher Staatsbürger mitzuwirken (siehe oben). Der Zustand einer latenten Krise wird, wie bereits erwähnt, als Grundlage für diese Ausarbeitung betrachtet.

3 Konzeptionalisierung der Repräsentationsindikatoren

Aus dem Kontext der Eckpfeiler I-III einer repräsentativen Demokratie nach Gerd Mielke (2018) werden zwei Indikatoren frei ausgesucht, die den ersten beiden Eckpfeilern zugeteilt werden. Die Konzeptualisierung der Indikatoren wird im Folgenden vorgestellt. Sie kann bestätigt, verworfen oder modifiziert werden, stellt in dieser Untersuchung jedoch den Interpretationsrahmen dar, um die Analyse über die Repräsentationsfähigkeit von Parteien nachvollziehbar und transparent zu machen. In der Analyse (Kapitel 4) werden die Indikatoren je nach Entwicklungsphasen des deutschen Parteiensystems miteinander verglichen. Der Vergleich soll Aufschluss darüber geben, inwiefern sich die Repräsentationskraft seit dem Jahre 1953 entwickelt hat und ob Herausforderungen aus der Vergangenheit heute noch erkennbar sind und wie mit ihnen damals umgegangen wurde.

3.1 Wahlbeteiligung

Zur Messung des I) pluralistischen Gemeinwohls ist der Indikator Wahlbeteiligung frei gewählt. Da das pluralistische Gemeinwohl ein multifaktorieller und mehrdimensionaler politischer Zustand ist, bleibt die Wahlbeteiligung nur ein Teilaspekt, um das pluralistische Gemeinwohl einzuschätzen. Die Untersuchung der Wahlbeteiligung dient als Parameter, um eine Einschätzung der Repräsentationskraft systematisch einzugrenzen, sodass die Aussage transparent und nachvollziehbar bleibt.

Je mehr Menschen sich an der Wahl beteiligten, desto mehr Menschen sind Teil des politischen Entscheidungsprozesses. Mit ihrer Stimme befürworten oder sanktionieren Wähler die politischen Parteien und Politiker (vgl. Petring 2015: 221). Bei der Einschätzung des pluralistischen Gemeinwohls geht es mitunter um den Wahrheitsanspruch der Politik und von wem er ausgeht. In der repräsentativen Demokratie sollte er vom Volk bzw. der Wählerschaft ausgehen (siehe Kapitel 2.2), die ihre Macht mit dem Gang zur Urne ausüben (vgl. Gabriel/Westle 2012: 14f.). Treffen wahlberechtigte Bürger die Entscheidung eine Partei oder Politiker zu wählen, partizipieren sie politisch. Der Deutung nach zeigt die Wahlbeteiligung, wie hoch der prozentuale Anteil derjenigen ist, die die Vorstellung teilen, mit dem Gang zur Urne die Richtung der Politik mitbestimmen zu können. Sie bringen diese Vorstellung zum Ausdruck, weil sie einen gemeinsamen Zweck verfolgen, nämlich mit ihrer Stimmenabgabe einen Teil dazu beizutragen, Parteien und Politiker die Legitimation zu erteilen gemeinsame Ziele und Werte der Gemeinschaft zu verwirklichen. Personen, die nicht zur Wahl gehen, teilen nicht die Vorstellung, mit ihrer Stimmenabgabe bei der Richtung der Politik mitwirken zu können. Sie erteilen Parteien und Politikern nicht aktiv die Legitimation politische Entscheidungen zu treffen und arbeiten damit auch nicht mit daran, gemeinsame Ziele und Werte der Gemeinschaft durch das politische Parteiensystem verwirklichen zu lassen.

Zwischen 1953 und 2017 lag die Wahlbeteiligung in Deutschland zwischen 70 und 90 Prozent. Im Vergleich zur prozentualen Wahlbeteiligung anderer nicht-europäischer, liberaler Demokratien, wie der USA, ist sie damit verhältnismäßig hoch (vgl. Von Alemann et al. 2018: 254). Die Repräsentationskraft des deutschen Parteiensystems wird bei einer hohen Wahlbeteiligung höher eingeschätzt als bei einer geringen Wahlbeteiligung.

Bei der Untersuchung wird das Potenzial des pluralistischen Gemeinwohls als „sehr hoch“, „hoch“ und „gemäßigt“ kategorisiert. Eine hohe Wahlbeteiligung wird als hohes Potenzial zur Verwirklichung des pluralistischen Gemeinwohls kenntlich gemacht. Eine geringe Wahlbeteiligung wird als ein geringeres Potenzial zur Verwirklichung des pluralistischen Gemeinwohls gedeutet. Die folgende Tabelle stellt eine Übersicht der Konzeptualisierung dar:

Tabelle 1: Wahlbeteiligung der BTW als Indikator des pluralistischen Gemeinwohls

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung, nach: Bundeswahlleiter 2020

3.2 Cleavage-Modell

Um eine Einschätzung über die Verwirklichung des pluralistischen Gesellschaftsbildes zu treffen, wurde das Cleavage-Modell als Indikator gewählt. Hierbei geht es darum ausfindig zu machen, ob neben individuellen Rechten und Interessen, auch soziale Gruppen politisch repräsentiert werden. Das Modell ist eine historische und theoretische Systematisierung sozialer Gruppen (vgl. Mielke 2013: 24). Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan haben es im Jahre 1967 entwickelt. Ihr Anlass war einen Erklärungsansatz zu schaffen, der begründet, warum sich Parteiensysteme liberaler Demokratien unterscheiden. Angeführter Grund ist, dass gesellschaftliche Konflikträume je nach Gesellschaft variieren. Hierbei ist anzumerken, dass der Gesellschaftsbegriff damals vermutlich (1967) mit einem territorialen Bezug zum Nationalstaat einherging. Die Autoren meinen, dass die Partei-Identifikation des Wählers und die Identität der Partei maßgeblich durch Konfliktlinien in der Gesellschaft geprägt werden. Die Konfliktlinien formieren die Konflikträume und gestalten sich mit gesellschaftlichem Wandel um (vgl. Von Aleman et al. 2018: 141). Jegliche Veränderungen der Formierung der Konflikträume werden in der Analyse (Kapitel 4) erläutert.

Grundsätzlich systematisieren sich die Konflikträume durch vier dominante Hauptspannungs­linien, die durch ökonomische, wie auch sozial-kulturelle gesellschaftliche Konflikte entstehen (ebd.). In der folgenden Tabelle werden die Hauptspannungslinien in ihrer Ausgangsform dar­gestellt:

Tabelle 2: Konfliktdimensionen des Cleavage-Modells

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung, nach: Von Alemann et al. 2018: 141

Die Konflikte stellen die Hauptspannungslinien (auch Cleavages genannt) dar. Sie können sich kreuzen oder überlagern, wodurch die gesellschaftlichen Konflikträume entstehen. Für die Analyse der Repräsentationskraft politischer Parteien (Kapitel 4) sind sie zur Systematisierung sozialer Gruppen von Gebrauch (vgl. Mielke 2013: 24). Dabei wird der Frage nachgegangen, inwiefern politische Parteien sich in den gesellschaftlichen Konflikträumen wiederfinden. Hierbei ist zu betonen, dass die gesellschaftlichen Konflikträume, die durch das Cleavage- Modell dargestellt werden, nicht Aufschluss über alle sozialen Gruppen der deutschen Gesellschaft gewährleisten. Das Modell hat insofern seine Grenzen, dass ausschließlich eine 11 sozial-kulturelle und wirtschaftliche Ebene der Gesellschaft und nicht die ganze Bandbreite der Interessen der Gesellschaft umspannt werden können. Es ist jedoch eines der meist verwendeten Modelle in der Politikwissenschaft, um die gesellschaftliche Verankerung politischer Parteien betrachten zu können. Dadurch, dass es von vielen Autoren aktualisiert wurde, ist es gut anwendbar, um eine fundierte Aussage der Repräsentationskraft politischer Parteien zu treffen. Die Aussage der Repräsentationskraft bezogen auf ein pluralistisches Gesellschaftsbild, ist wie folgt konzeptualisiert: Findet sich mindestens eine Partei in jeweils einem der Konflikträume wieder, so spricht dies dafür, dass das politische Parteiensystem die Vorstellung eines pluralistischen Gesellschaftsbildes repräsentieren kann. Die Deutung ergibt sich daraus, dass jeder Konfliktraum eine soziale Gruppe der Gesellschaft umspannt. Wenn sich jeweils eine Partei einem Konfliktraum zuordnen lässt, spricht dies dafür, dass auch die Rechte und Interessen dieser sozialen Gruppen politisch repräsentiert werden können.

Wenn ein Konfliktraum jedoch frei bleibt, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass einige soziale Gruppen, keine Partei als politischer Repräsentant zu Verfügung steht. Entsprechende soziale Gruppe wird hierdurch womöglich im politischen Entscheidungsprozess ausgeschlossen. Der Deutung nach, kann das politische Parteiensystem dadurch kein pluralistisches Gesellschaftsbild verkörpern, was als „Repräsentationslücke“ interpretiert wird. Die Annahme besteht, dass hierdurch Rechte und Interessen einer sozialen Gruppe, von keiner Partei repräsentiert werden kann.

Bei dem Modell kann die Aktualität der Konflikträume hinterfragt werden. Die gesellschaftlichen Konflikte, besonders in ideologischer Hinsicht, werden zunehmend komplexer, sind im Modell jedoch stark vereinfacht darstellt. Was in dem Modell gut zum Ausdruck kommt, sind die immer wiederkehrenden wirtschaftspolitischen und sozial­kulturellen Konflikte, die Gesellschaften teilen. Für eine Systematisierung gesellschaftlicher Gruppen, wird es darüber hinaus verwendet, da es eins der meist verwendeten Modelle in den Politikwissenschaften ist.

4 Entwicklung und Herausforderung des deutschen Parteiensystems

Das Bundesdeutsche Parteiensystem ist dynamisch. Im Laufe seiner Entwicklung fächerte es sich von einer „Zweiparteiendominanz“ (Niedermayer 2010) zu einem „Vielparteiensystem“ (Nijhuis 2010) auf. Im Folgenden wird das deutsche Parteiensystem anhand von Phasen 12 politikwissenschaftlich-historisch untersucht. Die Entwicklungsphasen werden in der nachstehenden Tabelle dargestellt:

Tabelle 3: Die zu untersuchenden Entwicklungsphasen und ihre Namen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung, nach: Alemann et al. (2018)

Die Phasen bringen zum Ausdruck, dass die Entwicklung des Parteiensystems prozesshaft ist und berufen sich auf Von Alemann et al. (2018). Je nach Phasen werden Herausforderungen (siehe Kapitel 2.3.) herausgearbeitet. Bundestagswahlen und innerparteiliche Richtungswechsel sind dabei wesentliche Anhaltspunkte. Darüber hinaus werden die selbstgewählten Indikatoren Wahlbeteiligung und das Cleavage-Modell (siehe Kapitel 3.) in jeder Phase analysiert, um eine Aussage über die Repräsentationskraft zu treffen. Die Ergebnisse werden im Resümee zusammengefasst.

4.1 1953 bis 1976

Die Zeitspanne von 1953 bis 1976, wird von Von Alemann et al. (2018) als Konzentrationsphase bezeichnet. Der Name lässt sich insofern herleiten, dass die Wählerschaft sich auf wenige Parteien konzentriert.

Anfang der 50er Jahre stellt die Wirtschaftslage eine große Herausforderung für die Politiker dar. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges sind fortgehend zu spüren und Rezession wollte vermieden werden (vgl. Von Beyme/Schmidt 2013: 52). Zudem musste sich die Demokratie im Parteiensystem internalisieren und beispielsweise auch in Führungspositionen zur Norm werden (vgl. Von Alemann et al. 2018: 72). Viele führende Posten in Wirtschaft und Politik besetzten ehemalige Nationalsozialisten oder rechte Sprecher. Im Sinne wiederkehrender autoritärer Machtverhältnisse (vgl. ebd.: 74), kann dies als eine Herausforderung für die repräsentative Demokratie verstanden werden. Weitere Folgeerscheinungen des Zweiten Weltkriegs forderten das Parteiensystem zusätzlich heraus. Aufgrund von Beschlüssen der Alliierten, wurde im Jahre 1961 die Berliner Mauer gebaut, welche die deutsche Gesellschaft spaltete und dazu führte, dass zwei politische Systeme in Deutschland entstanden sind (vgl. Benz 2018)2.

Bis Mitte der 60er Jahre gab es in Westdeutschland einen Wiederaufbauboom der Wirtschaft. Zudem etablierte sich eine Sozialpolitik die Wohlfahrtsstaatlichkeit aufbaute (Runge 2013: 155). In der Literatur sind solche Faktoren größten Teils als Ausdruck einer guten Regierungsarbeit aufgeführt (vgl. Von Alemann et al.: 73). Neben der SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) ist auch die CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands), sowie die CSU (Christlich-Soziale Union) etabliert. CDU und CSU bilden eine gemeinsame Fraktion und werden bei der Untersuchung als eine gemeinsame Partei betrachtet. Die Union und die SPD tragen die Selbstbezeichnung „Volkspartei“. Sie haben sich aus der Zentrumstradition herausentwickelt und bekennen sich überkonfessionell und offen gegenüber unterschiedlichen Weltanschauungen und gesellschaftlichen Schichten (vgl. Mielke 2018: 176). CDU und SPD zeichnen sich in der Konzentrationsphase (1953-1976) durch enormen Mitgliederzuwachs aus (vgl. von Alemann et al. 2018: 194) (siehe Anhang 3). Zum Ende der Phase haben sich professionelle Funktionäre und moderne Organisationsstrukturen entwickelt und ein gut ausgebauter Parteienapparat wurde geschaffen. Rechtsradikale und Sonstige Parteien scheinen in den 70er Jahren (vgl. Von Alemann et al. 2018: 78) „aus dem Feld geschlagen“ zu sein.

Indikator I- Wahlbeteiligung (Eckpfeiler: pluralistisches Gemeinwohl):

Die Bundestagswahlen werden im Folgenden mit „BTW“ abgekürzt. Zwischen 1953 und 1976, (der Konzentrationsphase') beteiligten sich bei jeder BTW mindestens 86,0 Prozent der wahl­berechtigten Personen Deutschlands. Es besteht ein Trend indem die Wahlbeteiligung stetig zunimmt. Eine Demokratisierung findet nicht nur auf institutioneller Ebene und bei Führungspositionen statt (siehe oben). Die zahlreiche Partizipation an Wahlen zeigt, dass Bürger mit zur Demokratisierung in Deutschland beitragen. Als im Jahre 1961 die Berliner Mauer gebaut wurde, wirkte sich dies nur geringfügig auf die Wahlbeteiligung aus. Sie lag hier bei 87,7 Prozent und hatte damit nur 0,1 Prozentpunkte verloren. In den zwei darauffolgenden BTW stieg die Wahlbeteiligung wieder an und lag bei rund 87 Prozent. Der Höhepunkt wurde im Jahre 1972 verzeichnet. Hier partizipierten über 90 Prozent der wahlberechtigten Personen an der BTW. Die hohe Wahlbeteiligung kann auf die Sorge, um die wirtschaftliche Existenz zurückgeführt werden. Mit Hilfe der Regierungskoalitionen wurde die Wirtschaft wiederaufgebaut und eine Sozialpolitik wurde etabliert (vgl. Von Alemann et al. 2018: 73, Von Beyme/Schmidt 2013: 128). Die hohe Wahlbeteiligung spricht dafür, dass die Arbeit der politischen Parteien von der Bevölkerung befürwortet und unterstützt wird. Betrachtet man die Wahlbeteiligung als Teil des Eckpfeilers der repräsentativen Demokratie, wird das Potenzial zur Verwirklichung des pluralistischen Gemeinwohls in dieser Entwicklungsphase als „hoch“ bzw. im Jahre 1972 und 1976 sogar als „sehr hoch“ eingeschätzt. Die folgende Tabelle stellt eine Übersicht über die Wahlbeteiligung der Bundestagswahlen 1953-1976 als Indikator des pluralistischen Gemeinwohls zusammenfassend dar.

[...]


1 Im Quellenverzeichnis führt der Link auf die Bundestagswahl 1953. Daten über die darauffolgenden BTW können mit Hilfe des Links und einem Weiterklicken zu den folgenden BTW überprüft werden. Hierunter fallen ebenso Angaben über prozentuale Stimmenanteile einzelner Parteien.

2 Die Analyse bezieht sich während der Deutschen Teilung (1961-1989) auf das politische System in Westdeutschland.

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Repräsentationsfähigkeit des deutschen Parteiensystems im Längsschnitt
Untertitel
Eine vergleichende Analyse von Repräsentationsindikatoren
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
65
Katalognummer
V916964
ISBN (eBook)
9783346236708
ISBN (Buch)
9783346236715
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wahlbeteiligung, Cleavage Modell, Repräsentationslücke, latente Krise des Parteiensystems
Arbeit zitieren
Isabel Irene Wolframm (Autor:in), 2020, Repräsentationsfähigkeit des deutschen Parteiensystems im Längsschnitt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/916964

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