Pierres Bourdieus Kapitalbegriff als eigenes Karrierekonzept. Kapitalien als Grundlage für Karrieren


Seminararbeit, 2020

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition von Karriere in der neueren Forschung

3. Pierre Bourdieus eigenes Karrierekonzept
3.1 Bourdieus Kapitalbegriff
3.2 Bourdieus sozialer Raum

4. Die Karriere des Individuums
4.1 Karriereprozesse auf der Mikroebene
4.2 Karriereprozesse auf der Makroebene

Fazit

1. Einleitung

Jedes Individuum in einer Gesellschaft hat einen bestimmten Werdegang und verfolgt bestimmte Ziele, die es in seinem Leben verwirklichen will. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, inwiefern es selbstständig für seinen Lebensverlauf verantwortlich ist oder ob externe Umstände den Lebenslauf des Individuums bestimmen. Pierre Bourdieu hat zur Beantwortung dieser Frage zahlreiche gesellschaftssoziologische Theorien aufgestellt, wie beispielsweise seine Untersuchung zum soziologischen Verständnis des Begriffs des Kapitals und des sozialen Feldes. Die neuere Forschung hat seine zentralen Befunde wie folgt zusammengefasst:

„A ‘social field’ is characterized both by a patterned set of practices which suggests competent action in conformity with rules and roles and by being a playground or battlefield in which agents, endowed with a certain field-relevant capital, try to advance their position.“ (Iellatchitch et al. 2003: 732)

Ausgehend von diesem Forschungsbefund lässt sich zeigen, dass in einem sozialen Feld insbesondere das sogenannte Kapital eine relevante Rolle spielt. In der Tat hat Bourdieu in seiner Untersuchung von 1983 den Begriff des Kapitals definiert und dargestellt, inwiefern die Kapitalien die Karriere eines Individuums beeinflussen. Diese These verifiziert ebenso die neuere Forschung. Bourdieu habe mithilfe der Darstellung des ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals das sogenannte Karrierekapital charakterisiert (vgl. Iellatchitch et al. 2003: 733). Den Einflussbereich der Kapitalien eines Individuums hat Bourdieu mithilfe eines Schaubilds des sogenannten sozialen Raums dargestellt, das ebenso in der Arbeit kurz aufgegriffen wird.

Das Forschungsinteresse dieser Arbeit ist es, Bourdieus Gesellschaftsentwurf und der Einfluss seines von ihm definierten Kapitalbegriffs auf die Karriere eines Individuums zu untersuchen. Darum soll folgende Fragestellung untersucht werden: Inwiefern beeinflussen die Kapitalien die Karriere eines Individuums und inwiefern hat das Individuum nach Bourdieus Darstellung Einfluss auf seine Karriere? Die These dieser Arbeit lautet, dass das Individuum Bourdieu zufolge durch seinen Habitus, seinem Handeln und seiner familiären Sozialisation die Möglichkeit hat, sich in der Gesellschaft zu verwirklichen. Die Kapitalien, die ein Individuum teilweise durch eigenständiges Handeln erwirbt, spiegeln seinen Karriereprozess wider. Allerdings haben makrosoziologische Prozesse, wie z. B. die Rolle des Staates in Einkommensfragen oder die Bildung von sozialen Klassen drastischen Einfluss auf die Karriere eines Individuums, da diese das ökonomische Kapital eines Individuums stark beeinflussen können. Da Kapitalien sich transformieren lassen können, steht das ökonomische Kapital oft am Anfang der Karriere eines Individuums, da es dem Individuum erlaubt, anderes Kapital zu erwerben.

Um zu verstehen, was überhaupt mit dem soziologischen Konzept der Karriere und Bourdieus Kapitalbegriff gemeint ist, soll im ersten Teil dieser Arbeit untersucht werden, mit welchen Themen sich die soziologische Karriereforschung beschäftigt und wie Bourdieu den Begriff Kapital definiert. Danach soll der aus Bourdieus Untersuchungen resultierende Karrierebegriff herausgestellt werden, indem dargestellt wird, wie sich die Karriere eines Individuums mithilfe von Bourdieus Kapitalien entwickelt. Durch die Analyse der Mikro- und Makroebene soll verdeutlicht werden, dass sowohl das eigenständige Handeln eines Individuums als auch externe Umstände den Erwerb von Kapital und damit auch die Entstehung von Karrieren beeinflussen. Abschließend erfolgt ein Fazit, in dem die wichtigsten Befunde dieser Arbeit nochmals herausgestellt werden. Insgesamt stützt sich die Arbeit auf Bourdieus Untersuchung zum Kapitalbegriff sowie auf deutsch- und englischsprachige Studien.1

2. Definition von Karriere in der neueren Forschung

Insgesamt verdeutlicht die neuere Forschung, dass zahlreiche Soziologen dem Begriff der Karriere skeptisch gegenüberstehen, da die Soziologie eher soziale Umstände erfassen sollte. Mit der Karriereforschung werden also auf dem ersten Blick die Individuen auf dem Arbeitsmarkt untersucht. Damit wird allerdings nicht die ganze Bandbreite dieses Forschungsfeldes erfasst. Niklas Luhmann zufolge stelle eine Karriere wie z. B. der Lebenslauf eines Individuums die Abfolge von Ereignissen dar und sei zudem eine politische Angelegenheit (vgl. Hitzler/Pfadenhauer 2003: 9-10). Markus Latzke verdeutlicht in seiner Untersuchung noch weitere Aspekte der Karriereforschung, wie beispielsweise die Wichtigkeit der Erfahrungen eines Individuums als Zukunftsorientierung für seinen weiteren Werdegang. Das Arbeitsleben eines Individuums sei zudem als Folge der Sozialisation und des gesellschaftlichen Anpassungsprozesses eines Individuums zu deuten. Zudem spielen soziale Aspekte für den Karriereerfolg des Individuums eine bedeutsame Rolle (vgl. Latzke et al. 2019: 4ff.). Aus diesen Befunden lässt sich interpretieren, dass insbesondere mikro- und makrosoziologische Aspekte aufeinandertreffen. Sowohl das Individuum selbst als auch die gesellschaftlichen Bedingungen haben Einfluss auf die Karrieren in der Gesellschaft. Außerdem kann festgestellt werden, dass nicht nur die Rolle des Individuums an seinem Arbeitsplatz, sondern auch andere Aspekte seines Lebenslaufs, wie z. B. die Erfüllung seiner postmaterialistischen Ziele in den Blick der Karriereforschung genommen werden. Bourdieu hat diese beiden Beobachtungen in seinen Gesellschaftsanalysen bestätigt und weitere Aspekte herangezogen, die zur Analyse von Karrieren auf der Mikro- und Makroebene bedeutsam sind.

3. Pierre Bourdieus eigenes Karrierekonzept

3.1 Bourdieus Kapitalbegriff

Pierre Bourdieu stellt zu Beginn seiner Untersuchung dar, dass Begriff Kapital seiner Auffassung nach akkumulierte Arbeit beschreibe und Bezug auf die Verteilungsstruktur des gesellschaftlichen Lebens und des Wirtschaftslebens nehme. Dabei verdeutlicht er, dass das Kapital in der Gesellschaft in mehreren Erscheinungsformen auftrete, weshalb sich sein Kapitalbegriff vom kapitalistischen bzw. den in der ökonomischen Praxis auftretenden Kapitalbegriff unterscheide (vgl. Bourdieu 1983: 184). Er differenziert insbesondere zwischen drei Kapitalien, die im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Das ökonomische Kapital fasst er kurz als das in Geld konvertierbare Kapital zusammen (vgl. Bourdieu 1983: 186). Mit Blick auf die Fragestellung dieser Arbeit hat das ökonomische Kapital die Bedeutung, dass Karrieren eines Individuums nicht ohne Zugang zu Geld entstehen. Die Menge an ökonomischen Kapital, das ein Individuum beispielsweise von seinem Arbeitgeber erhält, ist zur Erfüllung bestimmter Karriereziele notwendig oder soll überhaupt erst die Rahmenbedingungen dafür schaffen, eine Karriere aufzubauen.

Das zweite von Bourdieu benannte Kapital ist das kulturelle Kapital, das in verschiedenen Formen auftrete. Das kulturelle Kapital könne in dem Individuum in Form von Verhaltens- und Handlungsmustern inkorporiert sein und verinnerlicht werden. Es trete aber auch auf, wenn ein Individuum bestimmte Güter auswählt oder das Individuum zahlreiche Bildungstitel erwerbe. Dabei könne beobachtet werden, dass insbesondere die Eltern für das kulturelle Kapital ihres Kindes verantwortlich seien (vgl. Bourdieu 1983: 186ff.). Bourdieu zeigt hierbei also auf, dass das kulturelle Kapital in verschiedenen Formen auftrete und ebenso in der Familie weitergegeben werden kann. Er betont allerdings, dass vor allem die Zeit, in der das Kapital vom Individuum aufgenommen wird, ein bedeutsamer Aspekt ist (vgl. Bourdieu 1983: 187). Mit anderen Worten ist der Zeitpunkt, wann ein Individuum das kulturelle Kapital erwirbt bedeutsam, um in seiner Karriere oder in seinen Karrierezielen voranzukommen.

Das dritte zentrale Kapital von Bourdieu ist das sogenannte soziale Kapital, das vor allem auf die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer Gruppe beruhe. Dabei würden besonders materielle und symbolische Eigenschaften des Individuums eine Rolle spielen, die für die Formierung von Beziehungsnetzen äußerst relevant seien und Zugang zu weiteren materiellen und symbolischen Profiten verschaffen würden. Soziales Kapital hänge auch mit Verpflichtungen zusammen, die das Individuum zu bewältigen habe. Dabei sie zu beachten, dass jede soziale Gruppe soziale Grenzen habe. Nicht jedes Individuum kann ein Mitglied einer bestimmten, meist privilegierten Klasse werden. Um das Sozialkapital zu reproduzieren, müsse eine unaufhörliche Beziehungsarbeit stattfinden. Oft stehe eine Person einer Gruppe im Vordergrund und handle in ihrem Namen. In den gruppeninternen Wettbewerb, wer diese Führungsaufgabe übernehmen dürfte, könnten Verwerfungen und Zweckentfremdungen entstehen (vgl. Bourdieu 1983: 191ff.). Bourdieu greift also hierbei die zu diesem Zeitpunkt kaum aktuelle soziologische Netzwerktheorie auf und verdeutlicht, wie soziale Systeme mit der persönlichen Karriere eines Individuums zusammenhängen.

Ein Grund, warum sich Bourdieus Kapitalbegriff auf die Karriereforschung anwenden lässt ist, dass sich die von ihn definierten Kapitalien umwandeln und transformieren lassen. Um an ein Kapital zu gelangen wird, braucht ein Individuum jeweils ein anderes Kapital (vgl. Bourdieu 1983: 196ff.) So könnte ein Individuum das ökonomische Kapital als Ausgangspunkt nutzen und durch dieses Kapital auch z. B. an kulturelles Kapital gelangen. Insbesondere dieser Befund ist wichtig für die Interpretation seines Konzeptes des sozialen Raums, wie sich im nächsten Teilkapitel zeigen lässt.

3.2 Bourdieus Konzept des sozialen Raums2

Pierre Bourdieus Darstellung des sozialen Raums verdeutlicht die Zusammenhänge zwischen den Kapitalien, den politischen Wahlverhalten, der Berufswahl und dem dazugehörigen Lebensstil eines Individuums. Es zeigt sich, dass sich Individuen mit einer größeren Menge an Kapital beispielsweise teureres Essen und kostspielige Tätigkeiten wie Tennis leisten können. Wer weniger ökonomisches Kapital hat, kann sich diese Tätigkeiten nicht leisten. Auch eine erhöhte Meine an kulturellen Menge eröffnet den Individuum die Möglichkeit, viele Tätigkeiten in Anspruch zu nehmen. Die Vielfalt an Interessen, Einstellungen und Tätigkeiten verdeutlichen also, dass ein Individuum nicht zu jeder Tätigkeit Zugang hat, was auf die Kapitalien zurückzuführen ist. Es kann ohne Zweifel gesagt werden, dass Bourdieu mit dieser Darstellung mithilfe seiner Kapitalien einen Gesellschaftsentwurf entwickelt, der aufzeigt, welche gesellschaftlichen Milieus und Gruppen es überhaupt gibt. Diese Gruppen teilen gemeinsame Leidenschaften und Lebensstile, da sie aufgrund ihres Kapitals Zugriff zu diesen haben. Abschließend stellt sich jedoch die Frage, ob die Verteilung dieser Kapitalien, die für die Entstehung spezifischer Karrieren verantwortlich sind, mikro- und makrosoziologische Hintergründe haben. Warum kann nicht jedes Individuum Zugang zu allen Praktiken, die in dem Schaubild gezeigt werden, haben? Liegt das in der Verantwortung des Individuums oder spielen auch externe Umstände eine Rolle dabei, wie die gesellschaftliche Verteilung von Kapital zu erklären ist? Diese Fragen sollen im nächsten Kapitel beantwortet werden.

4. Die Karriere des Individuums

Nach der Zusammenfassung von Bourdieus Ausführungen sollen nun seine Kapitalien auf die Problemfelder der Karriereforschung angewendet werden und gleichzeitig herausgestellt werden, inwiefern das Individuum für seine Karriere auf der Mikroebene selbst verantwortlich ist oder ob gesellschaftliche Umstände auf der Makroebene die Karriere von Individuen beeinflussen.

4.1 Karriereprozesse auf der Mikroebene

Um Karriereprozesse auf der Mikroebene zu begreifen, soll die Sicht auf externe Prozesse zunächst weitgehend ausgeblendet werden und der Fokus auf das Handeln des Individuums gerichtet werden. Was kann das Individuum nach Bourdieu Karrierekonzept eigenständig unternehmen, um eine zufriedenstellende Karriere zu haben? Bourdieu hat zu Beginn seiner Studie unterstrichen, dass das Individuum beispielsweise für den Erwerb von Bildung und Bildungstiteln selbst verantwortlich ist (vgl. Bourdieu 1983: 187). Das bedeutet, dass das Individuum selbst entscheiden kann, wie es seine Karriere während seines Werdegangs gestaltet. Wenn das Individuum sich beispielsweise nicht bilden will und aus diesen Gründen keine positiven Schulleistungen vollbringt, kann es keine nachhaltige Arbeitskarriere erwarten. Es verweigert damit die Aufnahme an kulturellen Kapital. Es hängt, wie in Bourdieus sozialen Raum gezeigt wurde, von dem Lebensstil und der Leistungsbereitschaft des Individuums ab, wie viel kulturelles Kapital es anreichert.

[...]


1 Die Arbeit orientiert sich bei der Zitation der Forschungsliteratur auf die Angaben des folgenden Studienbuches: file:///C:/Users/Mein%20PC/Desktop/Studienhandbuch.pdf (zuletzt abgerufen am 21.06.2020).

2 Die Darstellung des sozialen Raums entspricht nicht dem Original, sondern wurde um die gezeigten Berufe und Lebensstile ergänzt. Entnommen wurde diese Darstellung aus dem folgenden Werk: Martin Böhm (2010): Die Bedeutung des Modells des sozialen Raums von Pierre Bourdieu für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung. URL: http://bidok.uibk.ac.at/library/beh-2-10-boehm-raum.html (zuletzt abgerufen am 29.05.2020).

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Pierres Bourdieus Kapitalbegriff als eigenes Karrierekonzept. Kapitalien als Grundlage für Karrieren
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Veranstaltung
Soziologie der Karriere
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
14
Katalognummer
V917987
ISBN (eBook)
9783346238221
ISBN (Buch)
9783346238238
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Karriere, Soziologie, Bourdieu, Gesellschaft, Individuum, Makro, Mikro
Arbeit zitieren
Lauritz Tufan (Autor:in), 2020, Pierres Bourdieus Kapitalbegriff als eigenes Karrierekonzept. Kapitalien als Grundlage für Karrieren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/917987

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