Die Brillenversuche haben eine lange Tradition und demzufolge gibt es eine Fülle von Abhandlungen zu diesem Thema. Diese Arbeiten befassen sich jedoch hauptsächlich mit der Beschreibung der kontinuierlichen Adaption des Menschen an den - durch Prismen- und Spiegelbrillen - veränderten Input an das visuelle System auf rein verhaltensbeobachtender Ebene.
Der Frage, wie sich diese Adaption auf neuronaler Ebene vollzieht, wurde bisher noch nicht nachgegangen.
Zu diesem Zweck müssten visuelle Systeme von Individuen, die sich erfolgreich an die veränderten Umweltbedingungen angepasst haben, mit solchen verglichen werden, bei denen ein Umlernen nicht stattgefunden hat. Nun sind solche Untersuchungen aber mit erheblichem methodischen Aufwand verbunden, da man ja die Veränderungen in der zellulären Struktur des visuellen Systems in erster Linie mit Hilfe histologischer Methoden beschreiben müsste.
Als Alternative bietet sich nun eine Technologie an, die in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat und sich in ihrer vergleichsweise einfachen Handhabung möglicherweise für diese Art von Untersuchungen eignet: Die Nachbildung menschlicher Wahrnehmungssysteme mit Hilfe computersimulierter neuronaler Netzwerke.
Obwohl die simulierten Netzwerke im Vergleich zu ihren natürlichen Vorbildern meist drastisch vereinfacht sind, so lassen sich in Bezug auf Aufbau, Funktionsweise und Verhalten gewisse Parallelen nicht leugnen. Diese Ähnlichkeiten gehen so weit, dass einige der führenden Netzwerk-Forscher der Meinung sind, dass solche Simulationen durchaus eine hohe explikative Potenz aufweisen.
Zumindest stellen die Erkenntnisse aus Netzwerk-Simulationen eine sinnvolle Ergänzung zu den traditionellen Untersuchungsmethoden dar.
In diesem Sinne wurde Im Rahmen dieser Diplomarbeit ansatzweise versucht, bestimmte Teilaspekte des neuronalen Umlernvorgangs während des Tragens einer Umkehrbrille, mit einem computersimulierten neuronalen Netzwerk nachzubilden und die entstandenen neuronalen Strukturen auf Unterschiede zu untersuchen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Die Kohler'schen Versuche mit Umkehrbrillen
- 1.1. Einführung
- 1.2. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
- 1.3. Bedeutung der Kohler'schen Brillenversuche für die moderne Wahrnehmungsforschung
- 2. Aufbau und Funktionsweise des visuellen Systems
- 2.1. Die Stationen der visuellen Verarbeitung
- 2.1.1. Die funktionelle Organisation retinaler Ganglienzellen
- 2.1.2. Die Sehbahn und ihre Projektionen
- 2.1.3. Die Signalverarbeitung im Corpus Geniculatum Laterale
- 2.1.4. Die Signalverarbeitung im visuellen Kortex
- 2.1.5. Die Verarbeitung in den höheren visuellen Arealen
- 2.2. Ontogenetische Entwicklung und Plastizität im visuellen System
- 2.3. Objektrepräsentationen und Objekterkennung im visuellen System
- 2.3.1. Moderne Theorien des Sehens
- 2.3.1.1. Eine Arbeitshypothese: »Sehen als Zuordnen von internen Repräsentationen zu Objekten der Außenwelt<<
- 2.3.1. Moderne Theorien des Sehens
- 2.1. Die Stationen der visuellen Verarbeitung
- 3. Computersimulierte neuronale Netzwerke
- 3.1. Einleitung
- 3.2. Vergleich zwischen natürlichen und künstlichen neuronalen Netzwerken
- 3.3. Geschichtlicher Überblick der Entwicklung neuronaler Netzwerke
- 3.4. Struktur und Funktionsweise mehrschichtiger neuronaler Netze
- 3.4.1. Allgemeiner Aufbau
- 3.4.2. Der Lernvorgang in einem neuronalen Netzwerk
- 3.4.3. Der Informationsverarbeitungsvorgang in einem Prozessorelement
- 3.5. Das Backpropagation-Netzwerk
- 3.5.1. Aufbau eines Backpropagation-Netzwerks
- 3.5.2. Die generalisierte Delta - Lernregel
- 3.5.3. Backpropagation-Netzwerke als vereinfachte Modelle für menschliche Wahrnehmungssysteme
- 3.6. Interne Repräsentationen in neuronalen Netzwerken und Matrixspeichern
- 3.6.1. Interne Repräsentationen in neuronalen Netzwerken
- 3.6.2. Interne Repräsentationen in Matrixspeichern
- 3.6.2.1. Mathematischer Formalismus und Funktionsweise von Matrixspeichern
- 3.6.2.2. Entwicklung eines musterassoziierenden Matrixspeichers
- 3.6.2.3. Matrixspeicher als Modelle für die Großhirnrinde
- 3.6.2.3.1. Das Assoziativ-Speichermodell der Hirnrinde von Günther Palm
- 3.6.2.3.2. Anwendung des Palm´schen Assoziativspeichermodells
- 3.6.3. Zusammenfassung
- 4. Die Computer-Simulation des neuronalen Umlernvorgangs während des Tragens einer Umkehrbrille
- 4.1. Einleitung
- 4.2. Beschreibung des Seh- und Umlernvorgangs durch einen musterassoziierenden Matrixspeicher
- 4.2.1. Der musterassoziierende Matrixspeicher M.A.M.
- 4.2.2. Durchführung der Simulation
- 4.2.2.1. Zuordnung interner Repräsentationen zu aufrechten Objekten
- 4.2.2.2. Zuordnung interner Repräsentationen zu verkehrten Objekten
- 4.3. Zusammenfassung und Diskussion der Assoziativspeicher-Simulationsergebnisse
- 4.4. Simulation des neuronalen Umlernvorgangs durch ein Backpropagation-Netzwerk
- 4.4.1. Erzeugung des Backpropagation-Netzwerks
- 4.4.2. Training des Netzwerks durch die Lernmusterdateien für aufrechte und verkehrte Muster
- 4.4.3. Analyse der synaptischen Gewichtungen
- 4.4.3.1. Untersuchungsfrage
- 4.4.3.2. Erhebung der Gewichte
- 4.4.3.3. Statistische Auswertung
- 4.4.3.3.1. Testauswahl
- 4.4.3.3.2. Durchführung des T-Tests für unabhängige Stichproben
- 4.4.4. Simulation des Überlernens von Assoziationen
- 4.5. Zusammenfassung und Diskussion der Netzwerk-Simulationsergebnisse
- 4.6. Annahme eines >>Neuronalen Erklärungsmodells<< zum Umlernvorgang während des Tragens einer Umkehrbrille
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Diplomarbeit von Hartmut Häfele beschäftigt sich mit der Erklärung von Umlernvorgängen, die beim Tragen einer Umkehrbrille auftreten, mithilfe neuronaler Netzwerke und Matrixspeichern. Ziel ist es, ein Modell zu entwickeln, das das Verhalten des menschlichen visuellen Systems bei der Anpassung an veränderte Umweltbedingungen simuliert und erklärt.
- Die Kohler'schen Brillenversuche und ihre Bedeutung für die moderne Wahrnehmungsforschung
- Aufbau und Funktionsweise des visuellen Systems, insbesondere die Plastizität und die Rolle von Objektrepräsentationen
- Computersimulierte neuronale Netzwerke als Modelle für menschliche Wahrnehmungssysteme
- Interne Repräsentationen in neuronalen Netzwerken und Matrixspeichern
- Simulation des Umlernvorgangs während des Tragens einer Umkehrbrille mit Hilfe eines musterassoziierenden Matrixspeichers und eines Backpropagation-Netzwerks
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den Fokus auf die Bedeutung von Umlernvorgängen während des Tragens einer Umkehrbrille legt und die Notwendigkeit eines neuronalen Erklärungsmodells hervorhebt.
Kapitel 1 beleuchtet die Kohler'schen Versuche mit Umkehrbrillen und deren Bedeutung für die moderne Wahrnehmungsforschung. Kapitel 2 widmet sich dem Aufbau und der Funktionsweise des visuellen Systems, wobei insbesondere die Plastizität und die Rolle von Objektrepräsentationen im Fokus stehen.
Kapitel 3 stellt computersimulierte neuronale Netzwerke als Modelle für menschliche Wahrnehmungssysteme vor. Es werden verschiedene Netzwerkarchitekturen und Lernregeln erläutert, wobei das Backpropagation-Netzwerk als relevantes Modell für die Umlernsimulation hervorgehoben wird.
Kapitel 4 beschreibt die Computersimulation des neuronalen Umlernvorgangs während des Tragens einer Umkehrbrille. Die Simulation erfolgt mithilfe eines musterassoziierenden Matrixspeichers und eines Backpropagation-Netzwerks. Die Ergebnisse beider Simulationen werden ausführlich analysiert und diskutiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit fokussiert auf die folgenden Schlüsselwörter: Umlernvorgänge, Umkehrbrille, neuronale Netzwerke, Matrixspeicher, visuelle Wahrnehmung, Objektrepräsentation, Plastizität, Computersimulation, Backpropagation, Assoziativer Speicher, Hirnrinde.
- Quote paper
- Mag. rer. nat. Hartmut Häfele (Author), 1993, Anwendung neuronaler Netzwerke und Matrixspeicher zur Erklärung von Umlernvorgängen während des Tragens einer Umkehrbrille, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91956