"Anything goes: Am reichhaltigen Büffet der pluralistischen Gesellschaft bedient sich die Jugend 2000 mit selbstbewußtem Pragmatismus. (...) Nie waren die Optionen so vielfältig, und nie sampelte eine Generation daraus derart heterogene Lebensentwürfe. Die Teens und Twens nach Null-Bock-Kids, Generation X, Y und @ verweigern sich einem eindeutigen Label." (Esser/ Holzer, 2000, 64/65)
In diesen Worten etikettieren die Autoren des Artikels "Jugend 2000: Das Geheimnis der ´Generation Flex´" im Focus vom 20. März 2000 die "Jugend 2000". Schlagwörter wie "anything goes", "pluralistische Gesellschaft" und "heterogene Lebensentwürfe" umreißen den Interpretationsrahmen, in dem die "Jugend 2000" charakterisiert wird. Auch die aktuelle Shell-Jugendstudie, die von dem Frankfurter Sozialwissenschaftler Arthur Fischer miterstellt wurde, beschäftigt sich mit der Jugend-Generation im Jahr 2000. Als zentrales Ergebnis wird festgehalten, daß die "Generation 2000" leicht optimistisch und leistungsbereit eingestellt sei.
In den Neunziger Jahren konzentrierten sich Teile der bundesdeutschen sozialwissenschaftlichen Jugendforschung vor allem auf einen sozialen Entwicklungsprozeß, der als Individualisierung begriffen wurde. Der Kultursoziologie Gerhard Schulze vertritt in seinen Arbeiten die These, das sich die Formen sozialer Aggregation geändert haben. Die Jugend der Neunziger zeichne sich durch eine "Ästhetisierung des Alltagslebens" aus, ferner sei die freiwillige Teilnahme an kollektiven Engagements ein Charakteristikum individualisierter Gesellschaften. Jugendliche in den Neunziger Jahren präferierten informale Gruppen, in denen sich eine spezifische kulturelle Praxis manifestiere, die sich vornehmlich aus Elementen wie bspw. Unterhaltung, Spaß, Umgang mit Gleichgesinnten ohne längerfristige Bindungen zusammensetze.
Im Zuge dieser angedeuteten Entwicklungen gewann eine Jugendkultur an Bedeutung, die unter dem Namen "Techno" subsumiert wird. Die Bedeutung dieser kulturellen Aggregation manifestiert sich v.a. für die bundesdeutsche Öffentlichkeit an der offiziell als Demonstration angemeldeten sog. "Love Parade", die seit 1989 jährlich in Berlin stattfindet. Die Besucherzahlen in den Jahren 1997 und 1998 mit ca. einer Million Teilnehmern verdeutlichen die Dimension dieser jugendkulturellen Praxis.
Inhalt
1. Einleitung
1.1. Thema der Arbeit
1.2. Stand der Forschung
1.3. Hauptthese und Zielsetzung
1.4. Eigene Motivation und Position
1.5. Methodisches Vorgehen
2. Postmoderne Entwicklungsprozesse und Thesen Jean Baudrillards als Beispiel für eine postmoderne soziologische Theorie
2.1. Zur Geschichte des Begriffs „Postmoderne“
2.2. Zur Differenzierung des Begriffs „Postmoderne“
2.3. Zentrale postmoderne Entwicklungsprozesse
2.3.1. Pluralität
2.3.2. Pastiche
2.3.3. Mehrfachkodierung
2.3.4. Fragmentierung
2.3.5. Anti-Heroismus
2.3.6. Recycling
2.4. Baudrillard – Drei Fragmente einer postmodernen soziologischen Theorie
2.4.1. Das Theorem der Simulation
2.4.2. Die drei Simulakren
2.4.3. Das Modell der Ekstase
2.5. Exkurs: Zum Verhältnis der Soziologie zur Postmoderne
3. Techno
3.1. Das Phänomen „Techno“
3.2. Zur Differenzierung des Begriffs „Techno“
3.3. Historische Rekonstruktion von „Techno“
3.3.1. Elektronische Musik
3.3.2. Elektronische Musik in den USA
3.3.2.1. Disco
3.3.2.2. Chicago - House
3.2.2.3. Detroit - Techno
3.3.3. Elektronische Musik in Großbritannien
3.3.4. Elektronische Musik in Deutschland
3.4. Produktion und Rezeption von „Techno“
3.4.1. Produktion
3.4.1.1. Der Produzent der „Techno“-Musik
3.4.1.2. Zur Funktion des DJs
3.4.2. Rezeption
3.4.2.1. Clubs und Clubkultur
3.4.2.2. Raves und Rave-Kultur
3.5. Zentrale Elemente von Techno
3.5.1. Musik: Struktur und Funktion der Techno-Musik
3.5.2. Tanz: Zur Funktion des Tanzes
3.5.3. Drogen: Zur Funktion des Konsums von „Ecstasy“
4. Techno als Jugendkultur?
4.1. Zur Differenzierung des Begriffs „Jugend“
4.2. Kritik der Konzepte Jugend- und Subkultur
4.3. Techno als „Szene“ und postmoderne informelle Gruppe von Jugendlichen
5. Schlußbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
Endnoten
1. Einleitung
1.1. Thema der Arbeit
„Anything goes: Am reichhaltigen Büffet der pluralistischen Gesellschaft bedient sich die Jugend 2000 mit selbstbewußtem Pragmatismus. (...) Nie waren die Optionen so vielfältig, und nie sampelte eine Generation daraus derart heterogene Lebensentwürfe. Die Teens und Twens nach Null-Bock-Kids, Generation X, Y und @ verweigern sich einem eindeutigen Label.“ (Esser/ Holzer, 2000, 64/65)[i]
In diesen Worten etikettieren die Autoren des Artikels „Jugend 2000: Das Geheimnis der ´Generation Flex´“ im Focus vom 20. März 2000 die „Jugend 2000“. Schlagwörter wie „anything goes“, „pluralistische Gesellschaft“ und „heterogene Lebensentwürfe“ umreißen den Interpretationsrahmen, in dem die „Jugend 2000“ charakterisiert wird. Auch die aktuelle Shell-Jugendstudie, die von dem Frankfurter Sozialwissenschaftler Arthur Fischer miterstellt wurde, beschäftigt sich mit der Jugend-Generation im Jahr 2000. Als zentrales Ergebnis wird festgehalten, daß die „Generation 2000“ leicht optimistisch und leistungsbereit eingestellt sei.
In den Neunziger Jahren konzentrierten sich Teile der bundesdeutschen sozial-wissenschaftlichen Jugendforschung vor allem auf einen sozialen Entwicklungsprozeß, der als Individualisierung begriffen wurde. Der Kultursoziologie Gerhard Schulze vertritt in seinen Arbeiten die These, das sich die Formen sozialer Aggregation geändert haben. Die Jugend der Neunziger zeichne sich durch eine „Ästhetisierung des Alltagslebens“ aus, ferner sei die freiwillige Teilnahme an kollektiven Engagements ein Charakteristikum individualisierter Gesellschaften. Jugendliche in den Neunziger Jahren präferierten informale Gruppen, in denen sich eine spezifische kulturelle Praxis manifestiere, die sich vornehmlich aus Elementen wie bspw. Unterhaltung, Spaß, Umgang mit Gleichgesinnten ohne längerfristige Bindungen zusammensetze.
Im Zuge dieser angedeuteten Entwicklungen gewann eine Jugendkultur an Bedeutung, die unter dem Namen „Techno“ subsumiert wird. Die Bedeutung dieser kulturellen Aggregation manifestiert sich v.a. für die bundesdeutsche Öffentlichkeit an der offiziell als Demonstration angemeldeten sog. „Love Parade“, die seit 1989 jährlich in Berlin stattfindet. Die Besucherzahlen in den Jahren 1997 und 1998 mit ca. einer Million Teilnehmern[ii] verdeutlichen die Dimension dieser jugendkulturellen Praxis.
Innerhalb und außerhalb dieses jugendkulturellen Phänomens wird in den letzten zwei bis drei Jahren vermehrt von einer Krise der Techno-Bewegung gesprochen. Als Ursache dieser wird v.a. eine starke Kommerzialisierung und die damit verbundene Entwicklung hin zu einem Massenphänomen ausgemacht, ferner ein Qualitätsverlust der musikalischen Produktionen. Damit ist die Techno-Kultur inzwischen mit ihren produzierten kulturellen Gütern und ihrer spezifischen Ästhetik zu einem Teil der Alltagskultur geworden. Trotz einer gewissen Konsolidierung der Techno-Kultur gehe ich davon aus, daß es sich weiterhin um ein aktuelles Phänomen handelt, das zunehmend auch Objekt sozialwissenschaftlicher Forschung ist. (Siehe Kapitel 1.2).
Für eine soziologische Analyse des Phänomens „Techno“ spricht neben dem quantitativen Argument der Massenhaftigkeit des Phänomens ferner seine Symptomatik für Lebensweisen in der „postmodernen“ Gesellschaft.
Der Titel dieser Arbeit umreißt den Rahmen der Analyse, der sich zwischen den drei großen Themenkomplexen „Techno“, „Jugendkultur“ und „Postmoderne“ bewegen soll.
Da das Themenfeld Techno eine Vielzahl von Aspekten beinhaltet, ist es notwendig, eine Eingrenzung des Themas vorzunehmen.
Zeitlich konzentriert sich diese Arbeit auf die Entwicklungen der Neunziger Jahre, als Ausgangspunkt für das bundesdeutsche Phänomen kann die Durchführung der ersten „Love Parade“ 1989 in Berlin gelten. Die Entwicklungen in der BRD markieren die räumliche Eingrenzung, wobei der Schwerpunkt der Darstellung auf den Zentren der Techno-Bewegung liegt, insbesondere Berlin. Für eine historische Rekonstruktion des Phänomens „Techno“ ist es aber unumgänglich, die historischen Entwicklungen auch außerhalb der BRD miteinzubeziehen, d.h. die Pop- und Musikkulturen „Disco“, „Chicago House“ und „Detroit Techno“ in den USA, die ich als Vorläufer des Phänomens ansehe. An diese historische Rekonstruktion knüpft sich thematisch die Analyse der Produktion und Rezeption von Techno. Als zentrale Figuren der Produktion musikalischen Materials sehe ich die Produzenten der Techno-Musik und die DJs an, deren Arbeitsweisen und Funktionen bei der Analyse im Vordergrund stehen. Bei dem Aspekt der Rezeption von Techno-Musik lege ich den Schwerpunkt der Analyse auf die Veranstaltungsorte, an denen diese vornehmlich rezipiert wird, d.h. der Club und der Rave, wobei ich die bundesdeutschen Großveranstaltungen wie der „Mayday“ und die „Love Parade“ als prototypische Raves ansehe. Daran an schließt sich die Analyse der zentralen Praktiken der Rezipienten in Clubs und auf Raves, wie z.B. die zentrale Praktik des Tanzes und der Konsum illegaler Drogen. (Siehe Kapitel 3.5). Innerhalb dieser angesprochenen Themenkomplexe wird in den jeweiligen Kapiteln eine weitere Eingrenzung des Unterthemas vorgenommen.
Im Titel dieser Arbeit findet sich die Formulierung „Techno als Jugendkultur“. Diese Gleichsetzung von „Techno = Jugendkultur“ soll in Kapitel vier thematisiert werden. Ich gehe davon aus, daß sich das Phänomen „Techno“ nicht mit dem traditionellen Jugendkulturbegriff adäquat beschreiben und verstehen läßt, deshalb soll in diesem Kapitel hinterfragt und diskutiert werden, ob das sozialwissenschaftliche Konzept der „Jugendkultur“ noch auf Techno anwendbar ist oder nicht. In der Schlußbetrachtung wird die Frage thematisiert und erörtert, ob man Techno als postmoderne Kultur bezeichnen kann. Die Eingrenzung des Themenfelds „Jugendkultur“ geschieht analog wie in Kapitel drei in den jeweiligen Unterkapiteln.
Der Teiltitel „im Kontext postmoderner sozialer Entwicklungsprozesse“ impliziert, daß die Analyse unter der Prämisse von gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen, die ich als typisch für die sog. „Postmoderne“ ansehe, durchgeführt wird. Da die „Postmoderne“ ein weites Themenfeld ist, werde ich in Kapitel 2.1 und 2.2 eine Eingrenzung vornehmen und das Konstrukt der „Postmoderne“ innerhalb des soziologischen Diskurses diskutieren. In Kapitel 2.3 werde ich dann meiner Ansicht nach sechs zentrale Prozesse bzw. Konzepte herausarbeiten.
Als ergänzende Analyseinstrumente werde ich in Kapitel 2.4 drei Thesen Jean Baudrillards darstellen, um diese dann in Kapitel drei einzusetzen. Den Schlußteil des zweiten Kapitels bildet ein Exkurs, der sich mit dem Verhältnis der Soziologie zur Postmoderne beschäftigt.
Auch hinsichtlich des Datenmaterials und der Quellen mußte aufgrund der großen Menge eine Eingrenzung erfolgen.
Bei der Erschließung der Dokumente erfolgte eine Auswahl unter dem Aspekt der Relevanz und Repräsentanz für die Hauptthese. Dabei galt es auch, die Intention des jeweils vorliegenden Dokuments kritisch zu reflektieren, insbesondere die subjektive Perspektive bei Darstellungen, die von Protagonisten der Techno-Kultur verfaßt wurden. (Siehe Kapitel 1.2).
In den Massenmedien wird umfangreich über das Untersuchungsobjekt berichtet. Bei der Recherche wurde sich auf Informationen konzentriert, die sich mit aktuellen Entwicklungen beschäftigen. Des weiteren findet in den szenespezifischen Printmedien eine kontinuierliche Berichterstattung statt, wobei diese Publikationen primär als Selbstzeugnisse verstanden werden und indirekt als Hintergrundinformationen in diese Arbeit einfließen.
Die computervermittelte Kommunikation, die vornehmlich im Internet stattfindet, und die daraus hervorgehenden Publikationen im World Wide Web (WWW), waren Gegenstand der Recherche, wobei sowohl institutionalisierte als auch Angebote von Akteuren der Techno-Kultur unter Berücksichtigung der formulierten Hauptthese ausgewählt wurden.
Dokumente, die in Form von Tonträgern veröffentlicht wurden, werden - analog der szenespezifischen Printmedien - indirekt berücksichtigt. Ich gehe davon aus, daß die Kenntnis des musikalischen Materials für das Verständnis des Phänomens „Techno“ grundlegend ist, da ich annehme, daß die Basis jugendkultureller Formationen in erster Linie musikalische Produktionen sind. Eine vollständige Kenntnis oder ein vollständiger Zugang zu den relevanten Tonträgern ist aber nicht möglich, da eine institutionalisierte Archivierung nur in Ansätzen existiert. Deshalb kann im Rahmen dieser Arbeit an dieser Stelle leider nur auf einige einflußreiche Tonträger oder Kompilationen verwiesen werden. (Siehe z.B. Anz/ Walder (Hgg.), 1995, 280).
1.2. Stand der Forschung
In diesem Kapitel konzentriere ich mich auf Monographien, die sich ausschließlich mit dem Thema „Techno“ auseinandersetzen und wie sich diese Arbeit auf diese bezieht. Aufgrund der zahlreichen Veröffentlichungen zu dem Themenkomplex „Techno“ ist es nötig, eine Auswahl zu treffen, die nach Kriterien der Relevanz und Repräsentativität für Teile der bundesdeutschen sozialwissenschaftliche Forschung als auch für nicht-wissenschaftliche Darstellungen erfolgte. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Arbeiten, die im bundesdeutschen Raum in den Neunziger Jahren entstanden und veröffentlicht wurden. Das Phänomen „Techno” wird in disparaten methodologischen und methodischen Zusammenhängen thematisiert
Der Münchener Musikjournalist und DJ Ulf Poschardt nimmt in seiner Monographie DJ-Culture (ursprünglich eine Promotionsarbeit) eine analytisch-kulturtheoretische Perspektive ein, in der er die Ausdifferenzierung einiger popmusikalischen Genres, die er als Vorläufer des Musikstils „Techno“ ansieht, historisch rekonstruiert. Ausgegangen wird von der Person des DJs, der mithilfe des Plattenspielers die Popmusik revolutioniert habe. Poschardt spricht von einer „DJ-Culture“, die entstanden sei und stellt im ersten Teil seiner Arbeit ausführlich die Vorgeschichte dieser Kultur, im zweiten die Geschichte der musikalischen Genres „Disco“, „Hip-Hop“, „House“ und „Dancefloor“ dar. Im dritten Teil versucht er eine Theorie zu entwerfen, welche die DJ-Kultur im Rahmen der Konzepte Fortschritt, Popkultur und Subkultur verorten will. Im Schlußkapitel widmet sich Poschardt auf 70 Seiten dem „Versuch einer Theorie“. Hierbei zitiert er u.a. Marx, Engels und Hegel und die Theorie der Idee wird diskutiert. Dieses Kapitel, in dem er die DJ-Kultur innerhalb des Projekts „Fortschritt“ lokalisieren will, lieferte für diese Arbeit wichtige Impulse.
Poschardt geht in seinem Buch wissenschaftlich exakt vor. Begriffe werden definiert, die Quellenlage wird analysiert und die Untersuchung wird in eine wissenschaftliche Theorie eingebettet. Problematisch bleibt aber Poschardts methodischer Zugang, der sich an grundlegenden Techniken und Praxen der DJ-Culture orientiert, wie z.B. die des Mixes, Remixes und Sampling -Prinzips, welche er auf seinen wissenschaftlichen Diskurs anwendet. (Siehe Poschardt, 1995, 33). Dabei konstatiert er, daß sein Ziel, die Geschichte der DJ-Culture von seinen Ursprüngen bis in die Gegenwart zu rekonstruieren von dem Grundproblem begleitet sei, daß Intellektualität und Sprache in gewisser Weise inkompatibel mit der Techno-Kultur seien. Somit erkennt der Autor eine tiefe Differenz zwischen seinem wissenschaftlichen Diskurs und seinem Gegenstand DJ-Culture, als Konsequenz verarbeitet er sein Material mit Techniken und Praxen der DJ-Kultur.
Poschardts Untersuchung ist im deutschsprachigen Raum die bisher einzige Publikation, die sich ausführlich der DJ-Kultur und ihren Ausprägungen innerhalb der unterschiedlichen Musikstilen widmet. Die theoretische Einordnung des DJs in seinen soziokulturellen Kontext wird ausführlich vorgenommen. Poschardt leistet somit mit seiner historischen Rekonstruktion der DJ-Culture einen ersten wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Techno-Kultur.
Die Frage, ob die DJ-Culture in das Projekt der Moderne eingebunden werden muß, läßt Poschardt offen. (Siehe Poschardt, 1995, 392). Er kritisiert im Kapitel „Hochmoderne – Nicht Postmoderne“ das Konzept der Postmoderne und konstatiert, daß die Postmoderne einfach nur die Hochmoderne sei. (Siehe Poschardt, 1995, 393). Er argumentiert, daß eine Geschichtsschreibung der DJ-Culture nicht mit der allgemeinen Tendenz postmoderner Konzepte vereinbar sei, ahistorisch zu sein. Damit nimmt Poschardt eine durchaus kritische Position gegenüber Konzepten der Postmoderne ein.
Bezogen auf meine Arbeit ist sein Ansatz für die historische Rekonstruktion des Phänomens „Techno“ grundlegend, ferner bei der Darstellung der Funktion des DJs als Künstler. Im Unterschied zu Poschardts Kritik des Konzepts der Postmoderne denke ich, daß die Einbindung der DJ- und Techno-Kultur in das Projekt der (Post)Moderne sinnvoll ist, da sich in ihr postmoderne Denk- und Arbeitsweisen widerspiegeln.
Die Beiträge von Ronald Hitzler (Hochschullehrer für allgemeine Soziologie an der Universität Dortmund) und der Diplom-Politologin Michaela Pfadenhauer (1997 und 1998) verfolgen einen qualitativen, ethnographischen Zugang, der individualisierungstheoretische Elemente beinhaltet. In der bundesdeutschen Soziologie gelten Hitzler und Pfadenhauer als „Experten“ zum Forschungsfeld „Techno“. Sie führen seit Mitte 1995 soziologisch-ethnologische Forschungen in der Techno-Szene durch. Die qualitative Methode der „teilnehmenden Beobachtung“ wird bei ihnen zum zentralen Erhebungsinstrument im Rahmen einer ethnographischen Kulturanalyse. In ihrer Analyse der Techno-Szene wird diese in Anlehnung an Zygmunt Baumanns Werk Ansichten der Postmoderne (1995) als Prototyp posttraditionaler Gemeinschaft verstanden, die sich durch eine jederzeit kündbare Mitgliedschaft auszeichne. Exemplarisch konzentrieren sie sich auf den Aspekt des Körpers bzw. eines neuen Körperverständnisses, das sich an Techno zeigen lasse. Ihr Ansatz orientiert sich am phänomenologischen Wissenschaftsprogramm von Edmund Husserl und Alfred Schütz:
„Phänomenologisch gesehen haben wir es beim Phänomen Techno mit einem distinkten Erfahrungskomplex, mit einer besonderen Sub-Sinnwelt (im Verstande von Schütz 1971) zu tun. Organisiert aber ist dieser distinkte Erfahrungskomplex in einem speziellen Milieu, dessen Praktiken zu explorieren, dessen Semiotik zu beschreiben und dessen Eigen-Sinn zu ergründen, kurz: das in seiner kulturellen Besonderheit ethnographisch zu rekonstruieren ist.“ (Hitzler/Pfadenhauer, 1998, 75. [H.i.O.] ).
Damit leisten Hitzler und Pfadenhauer einen Beitrag, charakteristische Praktiken der Partizipation in der Techno-Szene zu beschreiben, ohne jedoch auf die Terminologie der Jugendsoziologie zurückzugreifen. Die Autoren stellen primär die Semiotik der Praktiken der Techno-Szene dar und ordnen diese in einen größeren Zusammenhang („Techno als Prototyp posttraditionaler Gemeinschaft“) ein.
Diese Vorgehensweise, d.h. eine mikrostrukturelle Perspektive mit einer makro-strukturellen zu verknüpfen, erscheint mir auch im Kontext dieser Arbeit sinnvoll, wobei die Richtung der Analyse im Gegensatz zu Hitzler und Pfadenhauer von einer Makro- („Postmoderne“) zu einer Mikro-Perspektive („Techno“) wechselt. Einen empirisch-ethnografischer Zugang verfolge ich somit nicht. Die Forschungen von Hitzler und Pfadenhauer leisten v.a. eine anschauliche Beschreibung der kulturellen Praktiken der Techno-Szene, die teilweise sehr detailliert ausfällt.
Die Arbeit von Alexander Belser (1999), ursprünglich eine Magisterarbeit, die 1998 an der Universität Hamburg im Fach Ethnologie entstand, verfolgt einen analytisch-kulturwissenschaftlichen Zugang mit der Love Parade als beispielhaften Untersuchungsgegenstand. Belser geht zunächst von dem Konzept der Festkultur aus, mit dem Schwerpunkt auf der Darstellung von modernen Großstadtfesten und Pop-Festen. Die „Love Parade“ wird nach Belser als modernes Großstadtfest bzw. Pop-Fest interpretiert. Die Metropole bilde den urbanen Festrahmen, der auf vier verschiedenen Modernitätsebenen betrachtet wird. Anhand des Terminus „Rhizom“ der Autoren Gilles Deleuze und Félix Guattari versucht Belser, die „Ravekultur“ als ein postmodernes Pop-Plateau zu verstehen. Belsers konzeptueller Ansatz besteht darin, die Rezeption einschlägiger Literatur zum Phänomen „Techno“ mit persönlichen Erfahrungen im Feld zu verbinden, eine Vorgehensweise, an der sich auch diese Arbeit orientiert.
Belsers Rückgriff auf Autoren, die im Umfeld des sog. Poststrukturalismus gearbeitet haben, zeigt, daß es durchaus sinnvoll sein kann, Elemente poststrukturalistischer bzw. postmoderner Theorien auf das Phänomen „Techno“ zu projizieren. Im Unterschied zu Belser werden in dieser Arbeit Konzepte des „Poststrukturalisten“ Jean Baudrillard für die Analyse des Phänomens als sinnvoll angesehen.
Belsers konzeptueller Ansatz, seine persönlichen Erfahrungen im Feld „Techno“ mit der einschlägigen Literatur zu verbinden ist insofern problematisch, als daß der Text gelegentlich stark subjektiv eingefärbt ist und die Differenz zwischen forschendem Subjekt und Beforschten oftmals diffus bleibt. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive wird aber i.A. erwartet, daß der forschende Volkskundler Subjektivität nicht ausblendet. Die Differenz von Subjektivität und Objektivität ist auch für meine Arbeit insofern problematisch, als daß eine strikte Trennung nahezu unmöglich ist, da meine persönlichen Erfahrungen und subjektiven Präferenzen nicht völlig auszublenden sind. (Siehe auch Kapitel 1.4).
Erik Meyer (wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Gießen) betrachtet in seiner Dissertation Die Techno-Szene. Ein jugendkulturelles Phänomen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive (2000) das Phänomen Techno aus der Perspektive der politischen Soziologie. Seine Fragestellung ist, ob die heutige Jugend politisches Engagement anders lebe als vorherige Jugendgenerationen und ob die Techno-Szene als ein neuer Ort des Politischen für junge Menschen angesehen werden kann. Anhand der Techno-Szene soll diese Frage näher beleuchtet werden. Meyer will damit einen Beitrag zur These vom Wandel von Jugendkultur und zur politischen Soziologie sog. posttraditionaler Vergemeinschaftungsformen leisten.
Inhaltlich deckt Meyer ein breites Themenspektrum ab, er thematisiert das sozialwissenschaftliche Konzept „Jugendkultur“, die Entstehung und Entwicklung von Techno, die Produktion, Distribution und Rezeption von Techno, stellt die wichtigsten Medien der Techno-Szene vor und rekonstruiert die Entstehung und Entwicklung des Phänomens der „Love Parade“. Meyer geht davon aus, daß das Phänomen der Techno-Szene nicht nur einen Wandel von Jugendkultur ausdrücke, sondern in individualisierten Gesellschaften die Formierung politischer Akteure an Bedeutung gewinne. Ob es sich beim Phänomen „Techno“ um eine Jugendkultur im traditionellen sozialwissenschaftlichen Verständnis handelt, ist im Kontext meiner Arbeit zu hinterfragen. (Siehe Kapitel vier).
Methodisch orientiert sich Meyer an qualitativen sozialwissenschaftlichen Methoden, an der Vorstellung sozialwissenschaftlichen Verstehens kombiniert mit ethnographischer Feldforschung, Dokumentenanalyse, der Strategie des „theoretischen Samplings“ und dem Verfahren der „grounded theory“. (Siehe Meyer, 2000, 17).
Damit nimmt Meyer eine ähnliche Perspektive wie Hitzler/Pfadenhauer und Belser ein, die sich an qualitativen, analytisch-kulturwissenschaftlichen Methoden orientiert.
Meyer leistet in seiner Publikation eher eine sozialwissenschaftliche Zeitdiagnose als eine empirische Arbeit. Die Basis seiner Untersuchung bildet in erster Linie Material, daß in Form von Printerzeugnissen vorlag. Meyer gibt damit auf einer breiten, systematischen Basis einen Überblick über nahezu alle relevanten Aspekte des jugendkulturellen Phänomens „Techno“, wobei dies aber mitunter zu einer Kumulation von Spezialwissen führt und Nebenaspekte großen Raum einnehmen. Vor diesem Problem steht auch meine Arbeit, weshalb ich mich bei der Analyse auf die zentralen Elemente der Techno-Kultur beschränkt habe. (Siehe Kapitel 1.1).
Bezogen auf meine Arbeit habe ich mich v.a. an der Struktur des Kapitels „Entstehung und Entwicklung von Techno“ und „Produktion, Distribution und Rezeption von Techno“ von Meyer orientiert, unter Berücksichtigung meiner in Kapitel 1.3 formulierten Hauptthese.
Desweiteren existieren eher reflexiv-analytische Versuche, über die Techno-Kultur zu schreiben. Dies sind v.a. Darstellungen und Analysen, die von Aktivisten bzw. Sympathisanten der Techno-Szene verfaßt wurden, zumeist Selbstdarstellungen, die sich häufiger durch geringe Distanz zum Gegenstand auszeichnen, für das Verständnis und die Argumentation der Akteure der Techno-Kultur meiner Ansicht nach aber wichtig sind und in diese Arbeit miteinfließen, v.a. durch das Zitieren einflußreicher Akteure der Techno-Kultur.
Als wichtige Publikation läßt sich das Buch techno, herausgegeben von dem Musikjournalisten und Techno-DJ Philipp Anz zusammen mit dem Redakteur und Autor Patrick Walder (1995) ansehen, das erstmalig im deutschsprachigen Raum zentrale Aspekte von Techno analysiert und „von innen“ über das „Phänomen Techno“ berichten will. Damit nehmen die Autoren eine Art Binnenperspektive ein, sie berichten aus der Perspektive der Szene-Aktivisten. Die Spannbreite der Beiträge reicht von Portraits einzelner Musiker bis hin zum Geschlechterverhältnis innerhalb der Techno-Kultur. Neun Essays über das Selbstverständnis bekannter Techno-Musiker bilden den ersten Teil, im zweiten Teil werden sechs wichtige Musikstile beschrieben und im dritten und umfangreichsten finden sich reflexive Texte, die sich bspw. mit dem „Rave-Phänomen“, der „Ästhetik von Techno“ oder dem „Technogeschäft“ auseinandersetzen. Ergänzt werden diese Beiträge von kurzen Äußerungen von interviewten Personen zu den Themen „Tanz“, „Familie“ und „Geschlecht“.
Die Problematik, das Phänomen in seiner umfassenden Totalität abzuhandeln - die sich schon bei Meyer andeutete - wird im Vorwort thematisiert. Die Autoren gehen davon aus, daß Techno nicht länger nur eine bestimmte Musikrichtung bezeichne und von der Vorstellung einer Homogenität der Techno-Szene Abstand genommen wird. Die Heterogenität dieser Szene ist auch problematisch in dieser Arbeit, weshalb die konstitutiven Elemente (z.B. Musik, Tanz, Drogen) bei der Analyse im Vordergrund stehen.
Damit ist auch bei Anz und Walder die heterogene und fragmentierte Form des Diskurses zu erklären, die sich auf Essays zu eng begrenzten Themen beschränkt, ohne einen Anspruch auf einen kohärenten Gesamttext zu erheben. Problematisch bleibt die mitunter einseitige Perspektive der Autoren, ferner eine gewisse euphorische Schreibweise, welche die Entwicklung des Phänomens hin zu einer Massenkultur und damit ein gesteigertes Selbstbewußtsein der Techno-Szene Mitte der Neunziger Jahre reflektiert.
Trotz dieser Einschränkungen halte ich diese Veröffentlichung neben Poschardts für die gelungenste und selbstreflexivste Darstellung der Techno-Kultur aus der Perspektive der Akteure.
Im Zusammenhang mit dieser Arbeit werde ich im Kapitel 3.4.1 und 3.4.2 auf einige Aufsätze aus diesem Sammelwerk wie z.B. „Eine Musikanalyse“ von Manuela Keller (siehe Kapitel 3.4.1.1) zurückgreifen.
Einen vergleichbaren Ansatz verfolgen die Beiträge im localizer 1.0. the techno house book, herausgegeben von Robert Klanten (1996) im Umfeld des Berliner „Chromaparks“. Es handelt sich hierbei um einen eingetragenen Verein, der eine Plattform für experimentelle Kunst und Gestaltung in der Techno-Kultur bieten will. Der Ansatz geht vom Prinzip eines Localizer aus, ein Instrument zur Standortbestimmung in der Navigationstechnik. Die klassische Erzählstruktur wird weitgehend aufgegeben zugunsten einer assoziativ orientierten. Inhaltlich werden die Hauptthemen Plattenfirmen, Clubs/Events, Mode, Techno-Magazine, Design, Grafik und Kunst der Techno-Kultur abgehandelt. Desweiteren orientiert sich das Layout des Buches an der Mitte der Neunziger Jahre aktuellen Techno-Ästhetik und stellt den visuellen Effekt in den Vordergrund.
Im Vergleich zu Anz/Walder (1995) wird bei Klanten (1996) die visuelle Erscheinungsform zum Analyseraster der Techno-Kultur. Grafiken und Text bilden in dieser Publikation keinen Antagonismus, sondern sollen sich vielmehr ergänzen. Trotz des großen Anteils an Grafiken sind die Texte inhaltlich reflektiert und substantiell. Aufgrund des Primats der ästhetischen Gestaltung und der Themen Labels, Mode, Grafik und Kunst konnten nur wenige Texte berücksichtigt werden, die in Kapitel 3.2 und Kapitel 3.3.4 miteinfließen. Im Kontext der Hauptthese dieser Arbeit wäre eine Untersuchung zur Mehrdimensionalität visueller Zeichen, wie sie sich in der Gestaltung des localizer 1.0. the techno house book ausdrückt, durchaus lohnenswert, würde aber im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen.
Die Politologen und freien Journalisten Friedhelm Böpple und Ralf Knüfer (21998), die sich selbst als „Insider der internationalen Technoszene“ bezeichnen, erzählen in ihrem Buch Generation XTC. Techno und Ekstase in fünf Kapiteln die Geschichte von Techno („Anfänge von Techno“), diskutieren die Drogenproblematik („Du hast Drogen genommen. Von Beatniks über Hippies zur Generation XTC“), beleuchten die Darstellung von Techno in den Medien („Techno und der Medienschock“), erörtern die psychischen Auswirkungen der Techno-Musik und des Drogenkonsums („Use Your Head – Die Seele von Techno“), schließlich die Rolle der Sexualität im Kontext des Drogenkonsums und der Techno-Musik („Sex, Drugs & Techno“). Sie vertreten die These, daß Techno die Differenz zwischen Technik und Kunst aufhebe. (Siehe Böpple/Knüfer, 21998, 2). Dabei argumentieren sie mit Thesen von Autoren wie bspw. Jean Baudrillard, Walter Benjamin, Douglas Coupland, Herbert Marcuse, Marshall McLuhan oder Vilém Flusser. Damit bewegen sich die Autoren auf dem Terrain der Medientheorie, kritischer Theorie und der Diskussion über den Konsum illegaler Drogen.
Böpple und Knüfer argumentieren in erster Linie aus der Perspektive der Techno-Akteure, beide bezeichnen sich selbst als „Szenekenner“ und „Technofans“. Daraus resultiert ein eher journalistischer Schreibstil, der mitunter pseudophilosophische Züge annimmt. Trotz einer gewissen einseitigen Perspektive schaffen es die Autoren, ein komprimiertes und differenziertes Bild der Techno-Kultur zu zeichnen, das viele Akteure innerhalb und außerhalb dieser zu Wort kommen läßt.
Der Rückgriff der Autoren auf „postmoderne“ Theoretiker wie Flusser und Baudrillard (siehe auch Kapitel 2.3.6 und 2.4 dieser Arbeit) zeigt, daß die Techno-Kultur mit postmodernen Modellen analysiert werden kann.
Der DJ Maximilian Lenz (Pseudonym „Westbam“) - einer der populärsten nationalen DJs und Mitinhaber der Plattenfirma „Low Spirit“ - veröffentlichte 1997 Mix, Cuts & Scratches zusammen mit dem Autor Rainald Goetz. Lenz spricht in eigenen Texten und im Interview mit Goetz. Inhaltlich werden die Kunst, die Musik, die Arbeit, die Praxis und das Leben des DJs thematisiert, in sprachlicher Form von Anekdoten, Aphorismen und Assoziationen. Lenz geht davon aus, daß das musikalische Credo von Techno die Party und die Arbeit des DJs sei. Seine Vorstellungen, was die Arbeit eines DJs ausmache, expliziert er in den Kapiteln „Was ist Record Art ?“, „Worum geht es beim Mixen?“, und „The age of the dj mixer“. Lenz kommentiert das Konzept der „ravenden Gesellschaft“ und erläutert sein Selbstverständnis als Künstler.
Problematisch bleibt bei dem Zugang von Lenz seine fragmentierte Form des Diskurses, die fehlende Stringenz seiner Argumentation, die sich in seiner aphoristischen und assoziativen Schreibweise manifestiert. Auch das sprachliche Niveau schwankt zwischen vulgärer Alltagssprache und kunstphilosophischen Reflexionen. Trotz dieser Mixtur verschiedener Stilebenen finden sich wichtige „Insider“-Informationen und grundsätzliche Reflektionen bezüglich der Praxis des DJings und der Techno-Kultur, die gängige Klischees dekonstruieren. Daß das Werk vom Merve Verlag in Berlin verlegt wurde, wo auch „poststrukturalistische“ Autoren wie bspw. Jean Baudrillard und Michel Foucault publizierten, zeigt, daß Lenz´ Ausführungen im Kontext des nationalen wie internationalen Poststrukturalismus-Diskurses eingeordnet werden können.
Lenz´ Gedanken sind - bezogen auf diese Arbeit - v.a. wertvoll im Hinblick auf das Selbstverständnis des DJs und seiner Funktion innerhalb der Techno-Szene.
1.3. Hauptthese und Zielsetzung
Als Hauptthese nehme ich an, daß sich im jugendkulturellen Phänomen „Techno“ postmoderne soziale Entwicklungsprozesse abbilden.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß Konzepte bzw. theoretische Konstrukte wie „Techno“, „Jugendkultur“, „Postmoderne“, „Entwicklung“ und „Prozeß“ hinreichend eingegrenzt und expliziert werden müssen. Dies soll in den jeweiligen Kapiteln geschehen. Diese Konzepte sollen vornehmlich auf einer soziologischen Ebene betrachtet werden, d.h. das soziologische Moment soll herausgearbeitet werden. Damit ist diese Arbeit ein Projekt, daß auf einer logischen Analyse beruht, die Mechanismen eines Gegenstandsbereichs entschlüsseln will, im vorliegenden Falle des Gegenstands „Techno“. Wie sich bereits im vorigen Kapitel andeutete, besteht bei der Analyse des Phänomens die Gefahr, sich in Details zu verlieren und popkulturellen Stereotypen bzw. Mythen aufzusitzen.
Bezüglich der analytischen Perspektive wird zunächst eine eher makrostrukturelle verfolgt, die sich auf Entwicklungsprozesse innerhalb der sog. Postmoderne bezieht, desweiteren eine eher mikrostrukturelle, die sich auf das Phänomen „Techno“ bezieht.
Diese Arbeit verfolgt mehrere Zielsetzungen. Wie sich schon im Kapitel 1.2 andeutete, verfolgen die meisten Autoren eine eher mikrostrukturelle Perspektive, d.h. das Phänomen wird anhand eines Einzelaspekts analysiert. Die Einordnung des Phänomens in einen übergeordneten Zusammenhang bleibt dabei vielfach problematisch, da sich einige Arbeiten in Nebenaspekten verlieren. (z.B. Poschardt (1995) und Meyer (2000)). Auch führte der Diskurs über die Drogen-Problematik in der Techno-Szene Mitte der Neunziger Jahre zu einer verzerrten Sichtweise, die den Bezug auf übergeordnete gesellschaftliche Entwicklungen in den Hintergrund drängte. Techno war Mitte der Neunziger Jahre sicherlich ein Modethema, zu dem besonders viel publiziert wurde. Erst gegen Ende der Neunziger, als sich eine Tendenz zur Historisierung der Techno-Kultur immer weiter durchsetzte, können die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser mit mehr Distanz betrachtet werden. Somit verfolgt diese Arbeit einerseits eine enge Zielsetzung, d.h. ein Phänomen zu analysieren, andererseits eine eher weite Zielsetzung, d.h. das analysierte Phänomen in einem größeren Zusammenhang zu betrachten, im Falle dieser Arbeit im Kontext postmoderner Entwicklungsprozesse. Die Arbeiten von Hitzler/Pfadenhauer (1997 u. 1998), Belser (1999) und Böpple/Knüfer (²1998) zeigen, daß die Einordnung in einen größeren sozialen Zusammenhang sinnvoll und gerechtfertigt ist. Somit sehe ich meine Arbeit auch als einen Beitrag an, den Prozeß der Historisierung des Phänomens „Techno“ zu beschleunigen und Mythen, die sich um diese Kultur ranken, zu dekonstruieren.
Somit sehe ich – im Unterschied zu Poschardt – eine Notwendigkeit, die Techno-Kultur in das Projekt der Postmoderne einzubinden.
1.4. Eigene Motivation und Position
Meine Motivation bezüglich dieser Arbeit besteht darin, daß ich mich mit dem Themenkomplex Jugendkultur im Allgemeinen und im Speziellen intensiv auseinandergesetzt habe. Zunächst als Angehöriger einer Jugendkultur, später als distanzierterer Beobachter verschiedener Jugendkulturen und -szenen. Da ich selber aktiv Musik praktiziert und mich auch theoretisch mit popkulturellen Phänomenen bzw. Jugend- und Subkulturen beschäftigt habe, weckte Mitte der Neunziger Jahre die Jugendkultur „Techno“ mein Interesse. Die Musikkultur, das Nachtleben und eine Affinität für „Anspruchsvolles“ und den sog. „Underground“ motivierten mich, über dieses Phänomen nachzudenken.
Im Rahmen eines empirischen Praktikums an der Philipps-Universität Marburg im Wintersemester 1996/1997 und Sommersemester 1997 zum Thema „Lebensstile in der „Techno“-Szene unter dem Aspekt von chemischen Drogen“ erfolgte dann die erste wissenschaftliche Beschäftigung mit der Jugendkultur „Techno“. Des weiteren verfaßte ich im Kontext eines Hauptseminars „Musik und Gesellschaft. Ausgewählte Probleme der Musiksoziologie“ an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg i. Br. eine Arbeit mit dem Titel „Das Phänomen „Techno“: Entstehung, Entwicklung, Produktion und Vertrieb eines Musikstils“.
Da diese Arbeit auch ein Stück weit Geschichtsschreibung der Techno-Kultur ist, ist sie insofern parteiisch, da jede Geschichtsschreibung Selektion und Bewertung impliziert. Da aber Wissenschaft Objektivität und Neutralität verlangt, stellt sich die Frage, wie man sich dieser Kultur annähern kann, ohne pophistorische Legendenbildung zu betreiben oder dem Gegenstand die Aura zu rauben. Ein Dilemma, das sich der Autor, der sich auf beiden Feldern bewegt, bewußt sein muß: Zum einen als Soziologe, der über Techno schreibt, zum anderen als Rezipient elektronischer Musik und Teilnehmer an Techno-Veranstaltungen.
1.5. Methodisches Vorgehen
Diese Arbeit verfolgt eine analytisch-theoretische Methode. In der Soziologie wird i.A. die analytische Methode als eine Variante der theoretischen betrachtet, die ein Phänomen in seine Elemente „zerlegt“. Analysieren bedeutet demnach das „zergliedern“ eines Gegenstands, das Allgemeine aus dem zufälligen Einzelnen begrifflich „heraussondern“. Bezogen auf diese Arbeit soll das Phänomen „Techno“ „zergliedert“ werden. Die Gliederung dieser Arbeit stellt so gesehen also schon eine erste Analyse des Gegenstands in zentrale Elemente, wie bspw. Musik, Tanz und Drogen dar.
Das Phänomen analysiere ich nach gewissen Gesichtspunkten. Als Gesichtspunkte der Analyse sollen die in Kapitel 2.3 herauszuarbeitenden zentralen postmodernen Entwicklungsprozesse dienen. Als weitere Instrumente der Analyse werden drei Thesen Baudrillards dienen, die ich in Kapitel 2.4 darstellen werde. Kapitel zwei bildet demnach den theoretischen Teil meiner Arbeit. Somit ist dieser Teil mit der Darstellung ausgewählter postmoderner Theorien und Konzepte als Folie der Analyse zu verstehen, die über das Objekt „Techno“ gelegt wird. Die Basis der Analyse wird daher das Denkgebäude der Postmoderne sein, was eine eher deduktive Vorgehensweise impliziert, d.h. ich bemühe mich, eine allgemeine Theorie (im Falle dieser Arbeit Theorieelemente der Postmoderne und Baudrillards) auf einen besonderen Fall (Phänomen „Techno“) anzuwenden.
Da Analysieren die vielfältigen Erscheinungen des Phänomens Techno auf für die Hauptthese relevante Gesichtspunkte reduziert, ist es wichtig, das Abstraktionsniveau zu spezifizieren. Die Analyse des Phänomens in Kapitel drei wird in erster Linie eine Objektanalyse sein, die das Objekt nach den obengenannten Analysegesichtspunkten zerlegt, im Sinne postmoderner Denkweisen dekonstruiert. Ich gehe davon aus, daß sich bei der Analyse des Objekts „Techno“ Zusammenhänge zwischen postmodernem Denken und sozialen Praxen zeigen lassen, so daß ich eine Objektanalyse anstrebe, die z.B. funktionale Zusammenhänge aber auch strukturelle Beziehungen zwischen dem Gegenstand und postmodernen gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen herausarbeitet. Kapitel drei bildet also den analytischen Teil meiner Arbeit.
Im vierten Kapitel werde ich versuchen, die in Kapitel drei durch die Analyse erklärten Elemente und die herausgearbeiteten Zusammenhänge zwischen „Postmoderne“ und „Techno“ in einen allgemeineren Kontext einzuordnen, d.h. die analysierten Elemente zu synthetisieren, indem ich die Frage diskutieren werde, ob Techno als Jugendkultur verstehbar ist.
Eine Analyse eines Gegenstandes sollte wertneutral sein. Jedoch implizieren analytische Kategorien oft bestimmte Bewertungen, z.B. reflektieren die Beschränkung der Analysegesichtspunkte auf sechs postmoderne Entwicklungsprozesse und auch die vorgenommene Themeneingrenzung subjektive Entscheidungskriterien und Präferenzen. Trotzdem strebe ich im Kontext dieser Arbeit eine möglichst wertneutrale und vorurteilsfreie Analyse an, die sich auf das Phänomen einlassen will.
Im Titel dieser Arbeit ist von einer „kritischen Analyse“ die Rede. Kritik soll an den Stellen geübt werden, wo es mir sinnvoll erscheint, d.h. die von mir verwendeten Konzepte, Modelle und Theorien sollen – wenn nötig – nicht ohne kritische Anmerkungen übernommen werden. Dies bedeutet, daß neben dem Abstraktionsniveau „Objektebene“ in Kapitel drei auch die dargestellten Theoreme und Modelle der Postmoderne bzw. Baudrillards in Kapitel zwei auf ihre möglichen Widersprüche und Konsistenz hin kritisch dargestellt werden. Auch will ich insbesondere im Kapitel drei deutlich machen, aus welcher Perspektive die Akteure der Techno-Kultur argumentieren, um die Abstraktionsebene der Analyse herauszustellen. Es ist also in dieser Arbeit nötig, auf mindestens zwei Analyseebenen zu arbeiten.
2. Postmoderne Entwicklungsprozesse und Thesen Jean Baudrillards als Beispiel für eine postmoderne soziologische Theorie
Gegenstand dieses Kapitels sind zentrale postmoderne Entwicklungsprozesse. Neben einführenden Bemerkungen zur Geschichte und Vorstellung verschiedener Definitionsversuche des Begriffs „Postmoderne“ sehe ich folgende Prozesse als spezifisch postmodern an: Pluralität, Pastiche, Mehrfachkodierung, Fragmentierung, „Anti-Heroismus“ und „Recycling“. Im darauffolgenden Kapitel werden Hauptthesen von Baudrillard als exemplarischem Vertreter postmoderner soziologischer Theorie vorgestellt, die ich für die Analyse des Phänomens Techno als sinnvoll erachte. Den Schlußteil bildet ein Exkurs, in dem ich kurz zusammenfassend auf das Verhältnis der Soziologie zum Konzept der Postmoderne eingehe.
Bezogen auf die in Kapitel 1.3 genannte Hauptthese, daß sich postmoderne soziale Entwicklungsprozesse im Phänomen „Techno“ abbilden, hat dieses Kapitel die Funktion, ausgewählte postmoderne soziale Entwicklungsprozesse, die für die Analyse relevant erscheinen, herauszuarbeiten. Dabei soll in den jeweiligen Kapiteln – wo es mir sinnvoll erscheint – der Bezug zur Techno-Kultur exemplarisch verdeutlicht werden, um zu zeigen, daß postmoderne Denkelemente durchaus auf diese projizierbar sind. Dieses Kapitel bildet somit die Basis für die nachfolgende Analyse des Phänomens.
Im folgenden Abschnitt wird die Relevanz des Phänomens der Postmoderne für die Sozialwissenschaften diskutiert und an welchem Verständnis von „Postmoderne“ sich diese Arbeit orientiert.
In der akademischen Diskussion um das Phänomen der Postmoderne ist seit längerem eine weniger starke Polarisierung der Positionen der akademischen Kritik festzustellen. Das Phänomen „Postmoderne“ wird zunehmend nüchterner betrachtet, die anfängliche Begeisterung ist einer allgemeinen Ratlosigkeit gewichen, was man mit „der Postmoderne“ noch anfangen könne. Im akademischen Diskurs sind einige Thesen der Postmoderne wie z.B. die Fragmentierung des Subjekts noch präsent, die auf eine Akzeptanz von postmodernen Denkelementen insbesondere in den Sozialwissenschaften hinweisen, obwohl ihre Erkenntnislogik allgemein als „dünn“ angesehen wird. Der britische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton vertritt in seinem Essay Die Illusionen der Postmoderne die These, die Postmoderne sei trotz der erkenntnistheoretischen Kritik kein theoretischer Irrtum, sondern ein Ausdruck der Infragestellung eines universellen Fortschrittsglaubens verbunden mit der derzeitigen Orientierungslosigkeit des Denkens.[iii] An diesem Verständnis von Postmoderne wird sich diese Arbeit orientieren, da das Phänomen „Postmoderne“ zwar vielfach kritisiert wurde, sich aber postmoderne Thesen und Denkelemente meiner Ansicht nach eignen, eine Analyse des Phänomens „Techno“ im Kontext postmoderner Prozesse vorzunehmen.
Um eine erste Orientierung im heterogenen Feld „Postmoderne“ zu ermöglichen, wird im nächsten Kapitel die Geschichte des Begriffs thematisiert.
2.1. Zur Geschichte des Begriffs „Postmoderne“
„Seit Mitte der achtziger Jahre wurde die Postmoderne von vielen Seiten totgesagt, vor allem aber von jenen, die ihre Existenz sowieso grundsätzlich bezweifelt hatten. Da sie jetzt tot ist, kann man also zumindest konstatieren, daß es so etwas wie Postmoderne gegeben hat.“[iv]
Der Diskurs um die Geschichte des Begriffs „Postmoderne“ soll in diesem Kapitel thematisiert werden, um einen Ausgangspunkt für die Diskussion der Inhalte des Begriffs zu liefern. Da eine vollständige Genealogie des Ausdrucks im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann, beschränke ich mich auf eine kurze Darstellung der Geschichte des Begriffs, die sich hauptsächlich auf den soziologischen Diskurs bezieht.[v]
Darüberhinaus soll dieses Kapitel die Relevanz des Begriffs innerhalb des soziologischen Diskurses in den Achtziger und Neunziger Jahren verdeutlichen.
Hinsichtlich seiner historischen Entwicklung ist der Begriff „Postmoderne“ umstritten. Postmoderne als historische Periode oder chronologische Entwicklung verstanden indiziert einen bestimmten Zeitrahmen, der hauptsächlich durch industrielle und ökonomische Entwicklungen vorgegeben ist. Postmoderne wird i.A. im Gegensatz zu der „frühen Moderne“ bzw. „Hochmoderne“ als der Zeitraum nach der Mitte des 20. Jahrhunderts bezeichnet, der amerikanische Literaturwissenschaftler Frederic Jameson bemerkt hierzu: „Dieser Begriff [Anm.: Postmoderne, M.W.] geht zurück auf die Annahme eines radikalen Bruchs (...) Ende der 50er oder in den frühen 60er Jahren.“[vi]
Die frühe adjektivische Verwendung des Begriffs scheint im Kontext der Malerei um 1870 belegt zu sein.[vii] Der österreichische Philosoph Wolfgang Welsch sieht bei Rudolf Pannewitz die erste Erscheinung dieses Begriffs, der ihn in seinem Werk Die Krisis der europäischen Kultur von 1917 verwendete, in Anlehnung an Nietzsches Übermenschen. Ein drittes mal taucht der Ausdruck postmodernismo um 1934 beim spanischen Literaturwissenschaftler Frederico de Onis auf, als Gliederungsbegriff für die hispano-amerikanische Literatur von 1905-1914. Nach 1945 findet der Ausdruck „Postmoderne“ bei Arnold Toynbees Werk A Study of History Eingang als eine Bezeichnung für die gegenwärtige Phase abendländischer Kultur. Von Toynbee aus wird der Begriff Ende der Fünfziger Jahre in der nordamerikanischen Literaturdebatte diskutiert.
Die verschiedenen Vorkommen und Inhalte des Begriffs „Postmoderne“ z.B. in der Literatur, Architektur und Kunst bleiben dieser Arbeit eher unberücksichtigt, da hier v.a. die Diskussion innerhalb der Soziologie und der Begriff der (postmodernen) Kultur im Vordergrund steht.[viii]
In der Soziologie wurde der Begriff v.a. von Amitai Etzioni 1968 aufgegriffen. Etzioni beschäftigte sich hauptsächlich mit den Auswirkungen des beschleunigten technischen Fortschritts und Wandels nach dem Zweiten Weltkrieg und den Auswirkungen auf gesellschaftliche Verhältnisse.[ix] Etzioni sah neben der Möglichkeit der Zunahme technokratischer Tendenzen die Option einer „(...) Relativierung technologischer Rationalität auf den Status eines Mittels und zur Wiedergewinnung einer Priorität der Werte (...).“[x]. Damit verweist er auf eine „postmoderne“ Gesellschaft, die durch verschiedene Technologien, wie z.B. Kommunikations-, Wissens- und Energietechnologien und deren Steigerung bestimmt sei. Trotz dieser diagnostizierten technokratischen Tendenzen geht er davon aus, daß Werte wieder an Priorität gewinnen würden, die das Ideal einer „aktiven Gesellschaft“ bilden.[xi]
In der Soziologie setzte sich aber eher der Begriff „postindustrielle“ Gesellschaft anstatt postmoderner Gesellschaft durch, der v.a. von David Riesmann und Daniel Bell ausformuliert wurde.[xii] Bells Entwurf einer „nachindustriellen Gesellschaft“[xiii] orientiert sich wie Etzioni am Phänomen eines technologischen Wandels: „Die postindustrielle Gesellschaft ist durch den Primat theoretischen Wissens, durch das Bündnis von Wissenschaft und Technologie sowie durch die Planung und Steuerung der Sozialentwicklung gekennzeichnet.“[xiv] Dieser technologische Wandel, der nach Bell die Fortsetzung eines längerfristigen Technisierungsprozesses sei, würde in der postindustriellen Gesellschaft beschleunigt vorangetrieben. Damit haben beide Autoren den gleichen Ausgangspunkt ihrer Konzeptionen, nämlich eine technologische Veränderung. Bezüglich der Interpretation dieser Veränderung bestehen aber zwischen Bell und Etzioni Differenzen: Bells Konzeption der postindustriellen Gesellschaft impliziert eine Fortsetzung bestimmter Prozesse der industriellen bzw. modernen Gesellschaft, demgegenüber entwirft Etzioni das Ideal einer „aktiven“ und sich selbst bestimmenden Gesellschaft. Somit verfolgen beide Autoren unterschiedliche Zielsetzungen, haben aber als gemeinsamen Ausgangspunkt den technologischen Wandel. Bells und Etzionis Konzeptionen einer postindustriellen bzw. postmodernen Gesellschaft stellen also den technologischen Wandel in den Mittelpunkt.
In den Siebziger Jahren wurde Postmodernismus oft als Sammeletikett für neue kulturelle Phänomene verwendet, die einen sozialkulturellen Wandel und globale Veränderungs- und Gefahrenprozesse reflektierten. Damit deutet sich ein Perspektivenwechsel an, die postmoderne Gesellschaft zunehmend unter dem Aspekt des kulturellen statt des technologischen Wandels zu betrachten. Bezogen auf die Techno-Kultur bedeutet dies, daß subkulturelle Entwicklungen und Phänomene der Siebziger Jahre wie bspw. „Disco“ als Vorläufer dieser Kultur betrachtet werden können. (Siehe Kapitel 3.3.2.1).
Die vieldeutigen Phänomene, die in verschiedenen Wissenschaftsfeldern Gegenstand der Diskussion waren und als „postmodern“ beschrieben wurden, erreichten in den Achtziger Jahren ihren Höhepunkt. Gesellschaftlicher Wandel und Entwicklungsprozesse wie z.B. Technisierung und eine verstärkte Informatisierung bestimmten dieses Jahrzehnt. Obwohl der Ausdruck „Postmoderne“ historisch nicht exakt zu rekonstruieren ist, ist der Begriff v.a. in den Achtzigern intensiv diskutiert worden. Ihab Hassan – den man als einen der Protagonisten der Debatte um die Postmoderne bezeichnen kann – konstatierte Mitte der Achtziger, daß der Begriff „Postmoderne“ zu einem „(...) gebräuchlichen Markenzeichen für Tendenzen in Theater, Tanz, Musik, Kunst, Architektur, in Literatur und Literaturkritik, in Philosophie, Psychoanalyse und Geschichtsschreibung, in Kybernetik und selbst in den Naturwissenschaften [wurde].“[xv] Im Gegensatz zu der Verwendung des Begriffs in den späten Achtzigern und Anfang der Neunziger Jahre als gängige Metapher oder Kodewort wird der Terminus „Postmoderne“ in den späten Neunzigern kaum noch puristisch gebraucht. Bis heute hat sich keine eindeutige oder standardisierte Definition durchsetzen können, der Begriff bleibt in seiner Unschärfe und Uneindeutigkeit sozusagen „postmodern“ und indifferent. Es konnte hier also nicht um eine einheitliche oder eindeutige Definition oder historische Rekonstruktion des Begriffs gehen. Die Debatten über die Postmoderne zeigen aber, daß der Begriff seine Daseinsberechtigung und Relevanz für die Analyse und Beschreibung postmoderner Phänomene hat. Wilfried Ferchhoff und Georg Neubauer bemerken in ihrer Publikation Patchwork-Jugend. Eine Einführung in postmoderne Sichtweisen dazu:
„In der Debatte über die (Post)Moderne und die (post)modernen Signaturen der Gesellschaft ging es darum, die postmodernen Phänomene in verschiedenen Sektoren oder Regionen (...) in ihrer ganzen Breite zu durchleuchten. (...) So wurden in den 80er Jahren bspw. (...) soziologische Dimensionen und Fragestellungen aufgenommen, Veränderungen in der alltäglichen Lebenswelt diagnostiziert (...).[xvi]
Diese „Durchleuchtung“ postmoderner Phänomene nach Ferchhoff und Neubauer ist meiner Ansicht nach auch bei der Techno-Kultur zulässig, da diese sich in den Achtziger Jahren entwickelte und somit prototypisch als postmodernes Phänomen verstehbar ist. Somit orientiere ich mich an der Vorstellung der beiden Autoren, das postmoderne Phänomen „Techno“ möglichst breit zu durchleuchten.
2.2. Zur Differenzierung des Begriffs „Postmoderne“
„Die Postmoderne ist (...) – vielleicht mehr als alles andere – ein Geisteszustand. Genauer: ein Zustand jener Geister, die die Gewohnheit haben (...) über sich selbst nachzudenken, in ihrem eigenen Inneren zu forschen und darüber zu berichten, was sie dort gefunden haben (...).“[xvii]
Nach der vorangegangen Problematisierung des Begriffs „Postmoderne“ im historischen Kontext werden in diesem Kapitel verschiedene Differenzierungen und Definitionen des Begriffs dargestellt.
Dabei gehe ich zunächst von der Verwendung des Begriffs im Alltagsdiskurs aus, dann stelle ich verschiedene Definitionsversuche einiger Autoren vor, die den Begriff „Postmoderne“ bestimmen. Neben der Charakterisierung der Postmoderne als neuen Denkansatz bzw. kulturellen Zustand wird die Verwendung des Begriffs im Kontext dieser Arbeit erläutert.
Einleitend ist zu sagen, daß der Terminus oder das Konzept der Postmoderne hinsichtlich seiner Legitimität, seines Anwendungsbereiches, seiner zeitlichen Abgrenzung und seines Inhalts umstritten ist.
Im Alltagsdiskurs wird der Terminus „Postmoderne“ bzw. „postmodern“ in verschiedenen Zusammenhängen inflationär gebraucht, z.B. als Modewort. Welsch bemerkt zu dieser diffusen Vorstellung von Postmodernismus:
„Das Credo dieses diffusen Postmodernismus scheint zu sein, daß alles, was den Standards der Rationalität nicht genügt oder Bekanntes allenfalls verdreht wiedergibt, damit auch schon gut, ja gar gelungen sei, daß man den Cocktail nur ordentlich mixen und mit reichlich Exotischen versetzten müsse. Man kreuze Libido und Ökonomie, Digitalität und Kynismus, vergesse Esoterik und Simulation nicht und gebe auch noch etwas New Age und Apokalypse hinzu – schon ist der postmoderne Hit fertig.“[xviii]
Diese diffusen Bedeutungszuschreibungen im Alltagsdiskurs sind jedoch auch im Wissenschaftsdiskurs vorzufinden. Den Begriff „Postmoderne“ mit einem konkreten Inhalt zu füllen bleibt somit schwierig. Trotzdem soll hier der Versuch unternommen werden, den Begriff mit möglichen Inhalten zu füllen. Dazu werden nun Definitionen folgender Autoren vorgestellt: Ulrich Beck, Werner Fuchs-Heinritz, Max Preglau und Wolfgang Welsch.
Für Beck ist „´Post´ das Codewort für Ratlosigkeit, die sich im Modischen verfängt. Es deutet auf ein darüberhinaus, das es nicht benennen kann, und verbleibt in den Inhalten, die es nennt und negiert, in der Erstarrung des Bekannten.“[xix] Damit formuliert Beck eine Kritik an dem inflationären Gebrauch des Begriffs und seiner Ansicht nach offenbaren Inhaltsleere, eine Problematik, mit dem ein jeglicher Versuch verbunden ist, „Postmoderne“ eindeutig definieren zu wollen.
„Postmodern“ in adjektivischer Verwendung kann zunächst als Opposition zum Begriff „modern“ verstanden werden. Damit bildet auch der Begriff „Postmoderne“ ein Gegenpol zum Begriff der „Moderne“,[xx] das Präfix „post“ bedeutet somit ein zeitliches „Nach“ der Moderne. Werner Fuchs-Heinritz definiert „postmodern“ im Lexikon zur Soziologie als einen „aus der ästhetischen und philosophischen Diskussion stammenden Begriff, der bei wechselnder Bedeutung (...) eine Lebensweise bzw. Erfahrungsweise vom Leben sowie die Verfaßtheit einer nicht mehr modernen Gesellschaft bzw. Kultur bezeichnet.“[xxi] Damit bietet Fuchs-Heinritz eine recht allgemeine Definition an, die sich v.a. auf eine „Lebensweise bzw. Erfahrungsweise vom Leben“ bezieht und diffus bleibt.
Max Preglau differenziert zwischen einer negativen und positiven Bestimmung des Begriffs „postmodern“:
„´postmodern´ ist (...) negativ bestimmt als daß, was sich nicht entsprechend den Gesetzmäßigkeiten und den Normen der neuzeitlichen Kultur und Zivilisation verhält und sich deshalb auch den Erkenntnismöglichkeiten der exakten Wissenschaften und den Zugriffsversuchen der sozialen Herrschaft entzieht.“[xxii]
Als positive Begriffsbestimmung führt Preglau Welsch an, der die Postmoderne „(...) als Verfassung radikaler Pluralität“[xxiii] versteht. Diese „radikale Pluralität“ kann als ein nachzuweisender Trend in verschiedenen Bereichen der gegenwärtigen Gesellschaft verstanden werden, was im Kapitel 2.3.1 dargestellt werden soll. Postmoderne kann somit auch als ein realer Zustand bzw. Lebensgefühl bezeichnet werden, der sich in verschiedenen Teilbereichen der Gesellschaft ausmachen und nachweisen läßt. Der Begriff kann also reale Phänomene, einen realen gesellschaftlichen Zustand umschreiben und stellte einen neuen Denkansatz in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen dar.
Postmoderne kann auch als ein gegenwärtiger kultureller Zustand in westlich-kapitalistischen Gesellschaften verstanden werden, der in erster Linie von technologischen und medialen Entwicklungen und Prozessen bestimmt wird. Diese Prozesse gesellschaftlicher Veränderung werden wahlweise als postindustrielle (Bell), technologische oder „Risikogesellschaft“ (Beck)[xxiv] bezeichnet. Der beschleunigte technologische Fortschritt und die kulturelle Entwicklung bieten Raum zur Deutung, der von verschiedenen gesellschaftlichen Feldern mit Sinn gefüllt wird. Die angedeutete Spannbreite des Terminus bewegt sich einerseits auf der Theorieebene, andererseits auf der Ebene der gesellschaftlichen Verhältnisse, die anhand des Begriffs „Postmoderne“ beschreibbar sind. Daraus ergibt sich, daß der Terminus „Postmoderne“ ein relationaler Begriff ist, der analysierend eingesetzt werden kann.
„Postmoderne“ ist neben seiner kritisierten Funktion als Schlagwort und catch-all-term ein Ausdruck von Wandlungsprozessen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Die industrielle Produktionsgesellschaft wandelt sich zunehmend zu einer postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft, ein Wandlungsprozeß, der alte Werte und Normen verschiebt und neue Wirklichkeits- und Denkmodelle gegenüber der sog. Moderne hervorbringt.
„Postmoderne“ wird in dieser Arbeit als Beschreibungskategorie verstanden, die bestimmte Entwicklungen, Vorgänge und Tendenzen als postmoderne Phänomene charakterisiert. Der Begriff soll weiterhin ein kulturelles Feld (in diesem Kontext die Techno-Kultur) umschreiben, das meinem Verständnis nach durch postmoderne Merkmale geprägt ist.
Wenngleich es die Postmoderne oder die postmoderne Theorie nicht geben kann, ist zu konstatieren, daß ein grundsätzlicher theoretischer Impetus existiert: die Gegenwart sei plural gestaltet. Eine Einheit kultureller Phänomene kann es demnach nicht geben, heterogene Elemente aus verschiedenen Lebenswelten und Kulturen treffen aufeinander, vermischen sich, es entstehen neue Synthesen.
Dies ist auch insbesondere der Fall beim Phänomen „Techno“, das meiner Ansicht nach nicht mehr als homogene Jugend- oder Subkultur betrachtet werden kann, sondern als heterogenes kulturelles Phänomen, daß verschiedenartige Elemente zu einer Synthese kombiniert.[xxv]
Nach dieser Problematisierung des Begriffs „Postmoderne“ werden nun im folgenden Kapitel zentrale postmoderne Entwicklungsprozesse dargestellt.
[...]
[i] Diese Arbeit wurde nach den Regeln der alten Rechtschreibung verfaßt.
[ii] Um die Lesbarkeit des Textes zu erleichtern, wird von der Verwendung von Binomen des Typs „Teilnehmerinnen und Teilnehmer“ bzw. orthographischen Experimenten wie bspw. „BürgerIn“ oder „man/frau“ abgesehen.
[iii] Siehe Eagleton, 1997.
[iv] Sell, 2000, Kapitel „Zum Begriff der Postmoderne“.
[v] Für eine ausführliche Darstellung der Genealogie des Ausdrucks, der Bandbreite des Terminus und dem Sinns des Begriffs siehe Welsch, 41993, 9-43.
[vi] Jameson, 51997, 45.
[vii] Siehe Welsch, 41993, 12.
[viii] Siehe Welsch, 41993, 14-25.
[ix] Siehe Welsch, 41993, 26.
[x] Etzioni zitiert in Welsch, 41993, 26.
[xi] Siehe Amitai Etzioni. 1968. The Active Society. A Theory of Societal and Political Processes. New York.
[xii] Siehe Welsch, 41993, 26-27.
[xiii] Siehe Welsch, 41993, 27.
[xiv] Bell zitiert in Welsch, 41993, 27.
[xv] Ihab Hassan zitiert in Belser, 1999, 119.
[xvi] Ferchhoff/Neubauer, 1997, 56.
[xvii] Baumann, 1995, 5 [H.i.O.].
[xviii] Welsch, 41993, 2.
[xix] Beck, 31996, 12 [H.i.O.].
[xx] Siehe Welsch, 41993, 45ff.
[xxi] Fuchs-Heinritz (Hg.), 31995, 507.
[xxii] Preglau in Morel u.a., 1995, 237.
[xxiii] Welsch, 41993, 4.
[xxiv] Siehe Beck, 31996.
[xxv] Siehe Anz/Walder (Hgg.), 1995, 7.
- Arbeit zitieren
- Marius Weigel (Autor:in), 2000, Techno als Jugendkultur der 90er in der BRD: Eine kritische Analyse des Phänomens im Kontext postmoderner sozialer Entwicklungsprozesse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9202
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