Bewegungserziehung zur Mobilitätsbildung – Zur Entwicklung der psycho-motorischen Leistungsfähigkeit im Anfangsunterricht der Grundschule


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2008

97 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. So sind Kinder
2.1 Kindheit heute
2.2 Entwicklungen und Leistungsvoraussetzungen im Kindesalter
2.2.1 Psychische Entwicklungen und Leistungsvoraussetzungen im Kindesalter
2.2.2 Motorische Entwicklungen und Leistungsvoraussetzungen im Kindesalter

3. Bewegungserziehung und Psychomotorik
3.1 Bewegungserziehung im Anfangsunterricht
3.2 Psychomotorik im Anfangsunterricht

4. Zusammenhänge von Sport und Verkehrspädagogik

5. Kinder als Teilnehmer im Verkehr
5.1 Typische kindliche Erlebens- und Verhaltensweisen im Verkehr
5.2 Die Leistungsvoraussetzungen von Kindern im Verkehr
5.3 Radfahren mit sechs und sieben Jahren
5.4 Psychomotorische Handlungskompetenz von Kindern im Verkehr

6. Empirie
6.1 Hypothesen
6.2. Datenerhebung
6.2.1 Untersuchungsvorgehen (Stichprobe)
6.2.2 Untersuchungsmaterial (Messinstrument)
6.3 Ergebnisse
6.4 Diskussion der Ergebnisse

7. Ausblick

8. Literaturverzeichnis

9. Anhang

1. Einleitung

Die motorischen Defizite der heutigen Kindergeneration standen in den letzten Jahren immer wieder im Mittelpunkt medizinischer-, pädagogischer- und sogar politischer Diskussionen. Auch in den verkehrspädagogischen Debatten fand diese Thematik häufiger Aufmerksamkeit. Die Verkehrs- und Mobilitätserziehung versucht Kinder über die vielfältigen Gefahren im Straßenverkehr aufzuklären und richtiges Verhalten einzuüben. Das beginnt im Elternhaus, gefolgt vom Kindergarten und setzt sich in der Schule fort. Ein wesentlicher Teil der Verkehrs- und Mobilitätserziehung in allen genannten „Institutionen“ war und ist das Üben von verkehrsrelevanten Sicherheitsaspekten wie beispielsweise Verkehrsregeln und Schilder- oder Ampelbedeutungen. Im Anfangsunterricht der Grundschule ist Verkehrserziehung im „herkömmlichen“ Sinne oft nicht Mobilitätserziehung, sondern traditionelle Sicherheitserziehung und auf Anpassung an die gegebene Verkehrsstruktur orientierte Sozialerziehung. Für zusätzliche Aspekte bleibt kaum Zeit. Die meisten Lehrerinnen und Lehrer sind froh, wenn sie nach der Radfahrausbildung in der Grundschule wieder zum eigentlichen Unterricht zurückkommen können. Denn im vierten Schuljahr findet die Auslese in die weiterführenden Schulen statt, wobei die Kernfächer Deutsch, Mathematik und neuerdings Englisch wichtig sind, aber nicht Verkehrserziehung oder Mobilitätsbildung.

Auch ein verbessertes Verkehrsverständnis im Sinne der traditionellen Verkehrserziehung ist noch keine Garantie für sicheres Verkehrsverhalten. Die Grundlage, ein motorisch funktionstüchtiger, den gesteigerten Ansprüchen des Verkehrs angemessener Körper (und Geist) muss hervorgehoben werden. Die Integration der Bewegungserziehung in die Verkehrserziehung ist nicht unbedingt neu. Eine starke psychomotorische Bildung als Kern von Mobilitätsbildung, erst recht im Bereich des Erlangens einer Fahrradkompetenz, ist aber bis dato noch nicht umfangreich im Profil der Mobilitätserziehung integriert worden. Dabei benötigen wir, um im Verkehr zu Recht zu kommen, eine Reihe von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Einen Großteil dieser Fähigkeiten erlernt der Mensch erst durch Bewegung. Ein Ansatz dieser Arbeit liegt somit in der Schulung der gezielten Bewegung als Basis der Mobilitätserziehung; denn bevor wir uns in den Verkehr „stürzen“, müssen wir mit den Verkehrsmitteln, die wir benutzen, kompetent umgehen können. Um diese Aspekte zu bewältigen, brauchen wir verschiedene physische (und psychische) Fähigkeiten. Ob Fußgänger, Radfahrer oder Autofahrer, jede Art der Verkehrsteilnahme stellt hohe Anforderungen an unsere körperliche, geistige und soziale Leistungsfähigkeit. Da Kinder - je nach Alter - diese Fähigkeiten noch nicht oder nur teilweise besitzen, sind sie im Straßenverkehr besonders gefährdet. Die Unfallstatistiken machen deutlich, wie viele Kinder im Straßenverkehr verunglücken, wobei sich die Anzahl in den letzten Jahren verringert hat.[1] Will man die Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr erhöhen und die Häufigkeit und Schwere von Kinderunfällen senken, muss man die Erlebens- und Verhaltensweisen von Kindern unterschiedlicher Altersstufen als Fußgänger, Radfahrer und als Mitfahrer in Autos, Bussen oder Bahnen kennen und (bei der Entwicklung von Verkehrssicherheitsmaßnahmen) berücksichtigen. Hier hilft ein weitgehend automatisiertes, gut eingeübtes Verkehrsverhalten. Ein Forschungsgegenstand, dem man sich diesbezüglich nicht verwehren sollte, ist die Klärung möglicher Einwirkungen von psychischen, physischen und motorischen Beanspruchungen auf das (Fehl-Verhalten des) Kind(es) als Verkehrs- bzw. Mobilitätsteilnehmer. Die Frage nach der motorischen Beanspruchung und den motorischen Leistungsvoraussetzungen von Kindern, speziell im Anfangsunterricht, interessiert mich dabei in dieser Arbeit besonders. Da in den motorischen Beanspruchungsbereich der Bewegungshandlungen im Verkehr, vor allem beim Rad fahren, die koordinativen Fähigkeiten fallen und zugleich Automatismen bei der Mobilitätsteilnahme (wie auch im sonstigen Alltagsleben) eine große Rolle spielen, werde ich mein Hauptaugenmerk auf diese Aspekte der Aneignung einer „Mobilitätskompetenz“ legen. Werden schwierige Verkehrsituationen von Kindern durch den Versuch der Verminderung aller möglicher Risikofaktoren oder dagegen maßgeblich durch den Einsatz bewusster, bekannter Handlungssteuerungen bewältigt? Ich denke, dass ein psycho-motorisches Übungsangebot, nicht nur im Sportunterricht der Primarstufe, einen wesentlichen Beitrag zur Mobilitätserziehung und damit auch zur Mobilitätssicherheit der Kinder darstellen kann.

Durch Bewegung reagieren wir primär auf die Umwelt. Über Motorik findet die Auseinandersetzung des Kindes mit seiner Umwelt statt. Erst die Entwicklung motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten ermöglichen es dem Kind, seinen Lebensraum zu erforschen und neue Erfahrungen zu sammeln, die für seine weitere Entwicklung von Bedeutung sind. Insofern ist die motorische Entwicklung und Leistungsvoraussetzung auch Grundlage für eine sichere Teilnahme am Verkehr. Durch Bewegung sind wir „mobil“. Eine Mobilitätserziehung bzw. Mobilitätsbildung kann also nicht ohne Bewegung auskommen. Unter Berücksichtigung der genannten Aspekte habe ich zwei ersten Klassen zweier Grundschulen (in Oldenburg und in Garrel) motorische Tests durchgeführt, dessen Items ich auf die notwendigen motorischen Radfahr- und Mobilitätskompetenzen distinguiert habe. Zusätzlich habe ich in beiden Klassen vier Unterrichtssequenzen mit koordinativen und psychomotorischen Schwerpunkten durchgeführt. Den Bezug zum Rad fahren, als eine Art der Mobilitätsteilnahme von Kindern, habe ich dabei bewusst gewählt, da die Kinder oftmals zu Beginn der Grundschulzeit mit dem Fahrrad ernsthaft in Kontakt kommen. Da das Fahrrad fahren neben dem zu Fuß gehen bei den Kindern meist an zweiter Stelle der eigenen „Verkehrsteilnahmekompetenz“ steht und die Gefahr dort relativ hoch ist, sich zu verletzen, halte ich es für notwendig, sich intensiver damit zu beschäftigen. Zudem braucht man im Vergleich zum Gehen beim Rad fahren mehr motorische Handlungskompetenz. Die Anforderungen des Rad fahrens bzw. der Mobilitätsteilnahme an sich verlangen (empfindliche) Wahrnehmungsfähigkeiten und ein gutes Bewegungs-, Anpassungs-, Orientierungs-, Gleichgewichts- und Reaktionsvermögen. Dementsprechend möchte ich mich auf die motorischen Wirkungsgrade zum Erreichen einer „Mobilitätskompetenz“ konzentrieren. Ich denke, dass ihr Mangel den wahren Hintergrund für einen erheblichen Teil der Verkehrsverstöße und -unfälle darstellt (vgl. Kunz, 1993; Jackel, 1997)! Nach diesem Ansatz eignet sich die Bewegungserziehung im besonderen Maße, denn sie schärft den Orientierungs- und Anpassungssinn und vergrößert die variable Verfügbarkeit von Bewegungsmustern und befähigt zu kommunikativem Handeln (vgl. Zimmer, 1993). Auf der Grundlage bewegungserzieherischer und psychomotorischer Maßnahmen kann dann meines Erachtens die (traditionelle) Verkehrs- bzw. Mobilitätserziehung mit ihren verkehrsrelevanten Übungen aufbauen. Im Gegensatz zur traditionellen Verkehrserziehung, mit einem Schwerpunkt in der Vermittlung von Verkehrsregeln zur Sicherheit der Kinder, möchte ich bei den Kompetenzen der Kinder ansetzen: Kinder erwerben Kompetenzen im psychischen Bereich (sensorischer, mentaler, emotionaler Bereich) und im motorischen Bereich (Bereich der Bewegungsanpassung und der Körpermechanik).

Im Verlauf meiner Arbeit sollen die kindliche Entwicklung und die damit verbundenen Defizite im Verkehr angesprochen werden (siehe Kapitel 2). An diese Aussagen soll das dritte Kapitel anknüpfen, in dem ich mich mit der Bewegungserziehung und der psycho-motorischen Förderung von Grundschulkindern beschäftigen werde. Anschließend soll auf der Grundlage dieser Informationen das Verkehrsverhalten von Kindern umrissen werden und Basisinformationen über psychomotorische Gründe für die Verunfallung von Kindern im Straßenverkehr (speziell als Fußgänger und Radfahrer) präsentiert werden (Kapitel 4). Abschließend möchte ich die „motorischen Potentiale“ der Kinder im Anfangsunterricht anhand einer Untersuchung an zwei Grundschulen im Oldenburger Münsterland hervorheben (Kapitel 5). Zur Abrundung der Arbeit dient die Diskussion im letzten Kapitel.

2. So sind Kinder

In diesem Teil meiner Arbeit sollen die kindliche Entwicklung und die damit verbundenen Defizite (im Verkehr) angesprochen werden.

2.1 Kindheit heute

Verkehrspädagogik an der Institution (Grund-)Schule bedeutet zunächst Verkehrs-pädagogik für Kinder. Um diese näher zu betrachten, möchte ich eine Situationsanalyse der heutigen (verkehrsbezogenen) Lebenswelt der Kinder liefern. Um Schlüsse für die Zukunft einer kindgerechten Mobilitätsbildung zu gewinnen, ist es auch notwendig, die frühere und die jetzige Kindheit gegenüberzustellen und mögliche Disparitäten herauszufiltern.

In Kindergarten und Schule klagen Erzieher immer häufiger über Auffälligkeiten und Störsymptome, die sie oftmals einem gestörten Umfeld des Kindes zuordnen. Denkt man diesbezüglich an die Kindheit der 70er und 80er Jahre zurück, möchte man behaupten, dass die Kindheit damals noch „in Ordnung“ gewesen sei: Sie war geprägt von einer intakten Bewegungswelt. Zahlreiche Bolzplätze, Wälder und Flussauen, Wiesen und Sandgruben boten Raum für eine Fülle von Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten und förderten Koordination und Kondition. Heute fallen Spielflächen zusehends dem Platz zum Opfer, den der Verkehr benötigt. Im Gegensatz zu der heutigen „Gefahren-Verkehrs-Zone“ Straße diente die Straße damals den Kindern als Spiel- und Erlebnisraum. Es wurde auf der Straße gespielt, so dass das Wort „Spielstraße“ seinem Namen auch gerecht wurde. Der „Trend“ ging aber dahin, dass Straßen mit der Zeit als Mobilitäts- und Erkundungsbarrieren fungierten. Das zeigten schon die „home range-“ und „free range-Untersuchungen“ von Flade (1991, 1993). Nicht zuletzt beeinträchtigten Veränderungen des Verkehrsraumes die Kinder negativ, indem verkehrsbedingte Schadstoffe Krankheitsbilder im Kindesalter prägen können (vgl. Kiegelmann, 2003). Ein weiteres Anzeichen der Kindheit des vorigen Jahrhunderts war die enge Verbundenheit zur sozialen Gruppe.[2] Im Laufe der letzten Jahre wurde allerdings durch die Veränderung der Gesellschaft, speziell durch die Wegnahme und Einengung von Bewegungsräumen, der Weg zu „Tummelplätzen“ erschwert und verlängert. Dürftig ausgestattete Kinderspielplätze sind eine Folge der steigenden Bebauung und Beschneidung von Lebens- und Bewegungsräumen. Ebenso zieren Verbotsschilder die Plätze von Grundstücken, und Sportplätze sind nicht zu jeder Zeit zugänglich. Die Zunahme des Verkehrs hat zur Folge, dass bei vielen Kindern die „vier Wände“ bevorzugter Spielplatz werden (oder sein müssen). Gesundheitsminister/innen sowie Soziologen/innen und Pädagogen/innen sprechen in diesem Zusammenhang häufig von einer „Verhäuslichung“ oder auch „Verinselung“ der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen (vgl. Knauf, 2001, S. 123; Vester, 1988). In den letzten Jahren hat eine zunehmende Spezialisierung und Funktionalisierung der Lebensräume stattgefunden: So kommt es durch die für unsere heutige Gesellschaft und insofern auch schon für die Heranwachsenden zur charakteristischen Trennung von Wohnen, Arbeiten/Schule und Freizeit (vgl. Gudjons 2001, S. 15). Gleichzeitig haben der zunehmende Verkehr und die immer dichtere Bebauung in den Städten zum Verlust von Erfahrungs- und Erlebnisräumen für Kinder in der direkten Wohnumgebung geführt (vgl. Jürgens 2004, S. 35). Freies Spielen auf der Straße und in der Natur ist kaum noch möglich. Beide Entwicklungen bedingen, dass Kinder ihre Freizeit vermehrt in pädagogischen Spezialräumen verbringen: Sportvereine und Jugend- und Freizeithäuser sollen den Kindern eine individuelle Freizeitgestaltung ermöglichen. Die pädagogischen Spezialräume sind aber räumlich und zeitlich voneinander getrennt, haben ihre eigenen Bezugspersonen und Regeln. Hinzu kommt, dass der Raum zwischen den verschiedenen Freizeitangeboten meist mit dem Auto überbrückt werden muss. Selbst bei kurzen Distanzen wird das Kind mit dem Auto befördert. Dies war erstaunlicherweise auch in den Schulen zu beobachten, an denen ich die motorischen Tests durchgeführt habe. Der „Taxidienst“ der Eltern und das Verbot aus Sicherheitsgründen auf der Straße zu spielen öffnen einen Teufelskreis (vgl. Deutsche Verkehrswacht, 2006, S. 7): Kinder haben immer seltener Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln. Ein sicheres Verhalten, das Eltern durch das Fernhalten ihrer Kinder von vermeintlichen Gefahrenzonen bewirken wollen, setzt jedoch Aktivität, Anpassung und (schnelle) Umstellungsfähigkeit voraus (vgl. Deutsche Verkehrswacht, 2006, S. 8). Kinder erleben die Zeit im Auto als vorbeiziehendes Bild aus der Perspektive eines Beobachters; das Erfahren des Raumes wird abgelöst durch ein „panoramatisches“ Raumerleben (vgl. Gudjons 2001, S. 16). Auf diese Weise machen Kinder zerteilte Raum- und Zeiterfahrungen; das Spiel- und Freizeitverhalten wird häufig isoliert und aus dem Zusammenhang heraus erlebt.

Die vermehrte Nutzung pädagogischer Aktionsräume führt allerdings nicht, wie vielleicht gewünscht, zur selbstständigen, individuellen Gestaltung der Freizeit, sondern vielmehr dazu, dass die freie Zeit der Kinder zunehmend verplant ist, wodurch die Möglichkeiten des freien Spiels, und dadurch auch die Möglichkeit der Kinder, sich ihre Lebenswelt (unkontrolliert) anzueignen, abnimmt. Es zeigt sich also, dass Kinder heutzutage andere Bewegungsaktivitäten, in anderen Kombinationen und Konstellationen, verbringen, als sie dies noch vor Jahren getan haben (vgl. Hildebrandt u.a., 1994; Schmidt, 1996, 1997; Hildebrandt-Stramann, 1999). Auch das Kinderzimmer als zentraler Spielort hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen: Beschäftigungen im Kinderzimmer lösen Spiele in der Gruppe ab (vgl. Jürgens 2004, S. 35). Prof. Dr. Dagmar Schipanski, die ehemalige Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), hat dies auf dem Zukunftskongress des Deutschen Sportbundes 2002 drastisch beschrieben: „Die Erlebniswelt vieler Heranwachsender ist auf den Medienkonsum konzentriert. Dabei schrumpfen die motorischen Anforderungen auf das Bedienen der Maustaste des Computers oder der Fernbedienung des TV-Gerätes“ (Deutscher Sportbund. Zukunftskongress 2002). Man ist geneigt, von einer geradezu „expansiven“ Medien- und Elektroniknutzung zu sprechen. Elektronische Medien nehmen somit im Alltag von Kindern einen immer höheren Stellenwert ein. Mit Hilfe von Fernseher, Computer, Playstation oder CD/MP3-Player ist eine dauerhafte Unterhaltung und ein uneingeschränkter Zeitvertreib der Kinder im Haus möglich (vgl. Jürgens 2004, S. 32). So sind tägliche Fernsehzeiten von mehreren Stunden bereits bei Vorschulkindern keine Seltenheit (vgl. Deutsche Verkehrswacht, 2006, S. 13; Gaschler, 1999, S. 11). Durch den hohen Konsum erfahren viele Kinder ihre Lebenswelt und die Wirklichkeit immer weniger direkt und selbst entdeckend. Die visuellen Medien vermitteln Erfahrungen nur noch aus „zweiter Hand“, und erzeugen eine (bestimmte) Vorstellung darüber, wie die Welt ist. Dadurch entsteht die Gefahr, dass diese passiven Erfahrungen selbsterlebte, ganzheitliche und aktive Erfahrungen verdrängen oder überlagern und Kinder den Sinn für die eigentätige Aneignung der natürlichen Wirklichkeit verlieren (vgl. Gaschler, 1999, S. 33). Diese „primären“ Erfahrungen sind aber insofern wichtig, da Kinder durch die selbstständige und unabhängige Erkundung ihres Umfeldes eine Vorstellung ihres Lebensraumes entwickeln. Die schrittweise Aneignung und Ausdehnung ihres Wirkungsbereiches ist eine wichtige Grundlage für ihre körperliche, geistige und soziale Entwicklung (vgl. Siller, 2003, S. 28). Ausreichend Bewegung ist dabei eine notwendige Voraussetzung für eine gesunde motorische Entwicklung, durch welche die körperliche und geistige Beweglichkeit entsteht (vgl. ebd. S. 11). Ein erhöhter Medienkonsum kann noch weitere negative Folgen haben: Abnahme zwischenmenschlicher Kontakte, Isolation, Verminderung physiologischer Reizsetzung, Einschränkung moralischer Urteilsbildung, Gewaltbereitschaft, restringierter Sprachgebrauch und Stresssymptome (vgl. Barthelmes, 1999). Sicherlich gibt es auch „positive“ Erscheinungen, wie Informationsbeschaffung und Unterhaltung, welchen ich aber an dieser Stelle keine große Gewichtung beimessen möchte. Während beim Spiel der Körper und alle Sinne beansprucht werden, werden beim Medienkonsum der Seh- und Gehörsinn hochgradig beansprucht und überfordert (vgl. Knauf, 2001, S. 122f.). „Kinder sind heute belastet durch eine Vielzahl unverarbeiteter Sinneseindrücke“ (Zimmer, 1993, S. 148). Wenn Kinder in die „Röhre“ gucken, dominiert die ikonische Aneignungsweise, dass heißt, (bewegte) Bilder werden mit den Augen wahrgenommen. Dabei werden meist eigene Denkprozesse nicht angeregt („Trichter“). Die ikonische ist eine Vorstufe der verbalen, analytischen Aneignung, die ein hohes Maß an intellektuellen Fähigkeiten verlangt. Diese (kognitive) Entwicklung ist bei Kindern, die sehr viel fernsehen, gestört.[3]

Die aufgeführten Veränderungen der kindlichen Lebenswelt stellen die Schule (und natürlich auch die Eltern) vor neue Herausforderungen. Die gesellschaftlichen Veränderungen und die damit einhergehenden Auswirkungen auf den Alltag der Kinder können nicht vernachlässigt geschweige denn außer acht gelassen werden, um denkbaren Schädigungen in der kindlichen Entwicklung möglichst früh entgegen zu wirken. Ein Wandel des Lebens ist auch immer ein Wandel der „Bewegungskultur“. Der „Umbau“ des Lebensalltages und des Lebensraumes der Kinder lässt sich kaum leugnen. Nun stellt sich die Frage, inwieweit dies Auswirkungen auf die psychische und physische Entwicklung der Kinder hat; wie sind die motorischen und kognitiven Leistungsvoraussetzungen eines Grundschulkindes zu Beginn der Schulzeit? Das wird in den nächsten Kapiteln zu klären sein.

2.2 Entwicklungen und Leistungsvoraussetzungen im Kindesalter

„Gemäß einer ganzheitlichen Konzeption sollte kindliche Entwicklung als ein Prozess ständig steigender Ausdifferenzierung, Strukturierung und Organisierung zu höherer funktioneller Komplexität verstanden werden, und zwar in enger Wechselwirkung zur Umwelt.“ (Kiphard, 1980, S. 13)

2.2.1 Psychische Entwicklung und Leistungsvoraussetzung im Kindesalter

Es gibt verschiedene Grundkonzeptionen über die Entwicklungssteuerung. Die Wirkgrößen Person und Umwelt können unterschiedlich aufgefasst und unterschiedlich in Bezug gesetzt werden. Obgleich die genauen Wirkmechanismen heutzutage umstritten sind, ist die Bedeutung von Jean Piagets (1896 - 1980) Beitrag zur Erforschung der Entwicklung (kognitiver Prozesse) bei Kindern aber unbestritten. Piaget entwickelte eine Theorie zur Beschreibung und Erklärung der Intelligenzentwicklung von Kindern. Als Grundlage der kognitiven Entwicklung erkannte Piaget den Zusammenhang zwischen dem Denken und Handeln eines Kindes und der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt (vgl. Zimbardo, 1995, S. 72 - 77; Jank & Meyer, 2002, S. 191). Der Mensch setzt sich demnach aktiv mit seiner Umwelt auseinander und eignet sich diese durch Anpassung (Adaption) und dem Versuch des Erhaltens des Gleichgewichtes (Äquilibration) an (vgl. ebd. S. 73).

Die Adaption ist durch zwei Prozesse der kognitiven Entwicklung gekennzeichnet: Assimilation und Akkomodation. Assimilation bezeichnet das Einfügen von neuem in das, was das Kind bereits weiß; Akkomodation ist der Vorgang der Anpassung des Gewussten an neue Informationen oder Erfahrungen (vgl. ebd. S. 73). Piaget geht zudem von einem dynamischen Wechselspiel, einer ständigen Interaktion von Assimilation und Akkomodation aus. Nach dem Äquilibrationsprinzip strebt der Mensch nach einem Gleichgewichtszustand zwischen seiner Umwelt und sich selbst (vgl. ebd. S. 73). Das Wechselspiel zwischen Adaption und Äquilibration führt zu körperlicher Reifung, zu sozialen Interaktionen und zu Erfahrungen in der Umwelt, welche wiederum dynamisch auf das Wechselspiel zwischen Adaption und Äquilibration zurückwirken. Die Entwicklung der kognitiven Prozesse wird somit vorangetrieben, wobei stets versucht wird, einen neuen, höheren Zustand eines Gleichgewichtes (Homöostase) zwischen sich und der Umwelt zu erreichen. Das Kind wird „immer weniger von der unmittelbaren Wahrnehmung und immer mehr vom Denken abhängig. Kognitive Entwicklung impliziert deshalb auch den Übergang vom Vertrauen auf den Augenschein zum Vertrauen auf Regeln“ (ebd. S. 73). Piaget betont dabei eine „Stufenförmigkeit“ der Entwicklung. Entwicklung vollzieht sich folglich in Phasen bzw. Stufen mit sachimmanenter Logik (erst Krabbeln, dann Laufen, etc.) als Rückgriff auf biogenetische Erklärungsmuster.

Piaget unterscheidet vier qualitativ unterschiedliche Stufen, die alle Kinder in derselben Reihenfolge durchlaufen, wobei aber das Entwicklungstempo unterschiedlich sein kann (vgl. ebd. S. 74). Diese Annahme ist grundlegend für Piagets Theorien. Die einzelnen Stufen nannte Piaget

- die Stufe der Sensomotorik (Säuglingsalter),
- die Stufe des präoperationalen Denkens (Kindergarten- und Vorschulalter, ca. von zwei bis sieben Jahren),
- die Stufe der konkreten Operationen (Grundschulalter, ungefähr von sieben bis elf Jahren),
- die Stufe der formalen Operationen (ab dem Jugendalter).

Nach Piaget erreicht die Entwicklung ihren Höhepunkt im Jugendalter.

Die Kinder der ersten Klasse einer Grundschule sind meistens sechs oder sieben Jahre alt und befinden sich somit nach Piaget am Beginn der konkreten Operationalisierung. Da Piaget von ungefähren Altersangaben spricht, kann ein Kind zu Beginn des ersten Schuljahres aber auch noch in der zweiten Entwicklungsphase, der Stufe des präoperationalen Denkens, „stecken“. Daher ist es notwendig sich diese beiden Phasen etwas genauer anzuschauen. In der präoperationalen Stufe treten Kinder als „naive Realisten“ (ebd. S. 75) ins Leben, was bedeuten soll, dass sie auch das glauben, was sie sehen. Kinder werden allmählich aber der „Invarenzen“ in ihrer Umwelt bewusst. Piaget spricht in diesem Zusammenhang vom Erlangen einer „Objektpermanenz“ (ebd. S. 74). Aber dennoch ist ihr Denken in der zweiten Entwicklungsphase immer noch in stärkerem Maße von Anschauungen abhängig als von Begriffen und Regeln. Das kann sie an der Ausführung bestimmter kognitiver Operationen hindern. Die Aufmerksamkeit richtet sich oft auf einen einzigen Gegenstand oder ein einzelnes Merkmal. „Das Kind kann nicht mehr als einen Wahrnehmungsgesichtspunkt gleichzeitig berücksichtigen.“ (ebd. S. 75). Ein Grund für diese Zentrierung ist der Egozentrismus von Kindern. Egozentrismus meint in diesem Zusammenhang weniger die Ichbezogenheit, sondern die Schwierigkeit, sich eine Sache aus der Sicht eines anderen vorzustellen (vgl. ebd. S. 75).

„Im allgemeinen tritt die Dezentrierung – die Fähigkeit, zwei oder mehr physikalische Dimensionen zur gleichen Zeit zu berücksichtigen – erst später in der Entwicklung auf.“ (ebd. S. 76). In der Stufe der konkreten Operation haben die Kinder (ab etwa sieben Jahren) ein Verständnis dessen erworben, was Piaget als „Erhaltung“ bezeichnet. Das bedeutet, sie verstehen zum Beispiel, dass Zahlen oder Flächen sich nicht „wirklich“ verändern, aus welchem Blickwinkel man sie auch betrachtet (vgl. ebd. S. 76).

„Das Verständnis der Erhaltung zeigt, dass sie nun geistige Operationen ausführen können – das heißt, sie können Informationen geistig transformieren und die Reihenfolge der kognitiven Verarbeitungsschritte sogar umkehren. Sie verlassen sich nun eher auf Begriffe als auf das, was ihre Wahrnehmung sie sehen oder fühlen lässt.“ (ebd. S. 76)

Obwohl die Kinder nun also langsam fähig sind, Logik und Denken zum Lösen konkreter Probleme einzusetzen (beispielsweise zum Lösen einer komplexen Verkehrssituation), benutzen sie bei der Konstruktion und Begründung ihrer Schlüsse immer noch Symbole für konkrete Ereignisse und noch keine Abstraktionen, wie man vielleicht schon vermuten könnte. Dies ist gut zu wissen, wenn man sich Gedanken über mögliches Verkehrsverhalten von Kindern machen möchte. Auf diesen Aspekt wird an späterer Stelle (siehe Kapitel 5) noch genauer eingegangen.

Nach Meinel & Schnabel (2007) ist bei Schulanfängern mit folgenden allgemeinen psychosozialen Charakteristika zu rechnen: Ein (weiterhin) starkes Bedürfnis nach Bewegung, ein außerordentlicher Fortschritt im Spracherwerb und die damit erheblich steigende Kommunikationsqualität. „Biopsychosozial sind damit im frühen Kindesalter sehr günstige Voraussetzungen für die weitere [motorische] Entwicklung gegeben.“ (Meinel & Schnabel, 2007, S. 272). Wichtig zu erwähnen wäre noch, dass bei Piagets entwicklungstheoretischer Annahme geschlechts-, schichten- und kulturspezifische Variationsmöglichkeiten ausgeblendet werden. Selbstverständlich sollte man auch (wie Piaget) der Auffassung sein, dass die Entwicklung (kognitiver Strukturen) durch pädagogische Maßnahmen unterstützt werden kann. Ohne diese Meinung wäre eine pädagogische Intervention, wie ich sie in zwei Grundschulen vorgenommen habe, schon im Vorfeld zu verwerfen. Aber welche Bedeutung spielt die Handlung bzw. die Bewegung für die geistige Entwicklung? Die Handlung ist für Piaget das zentrale Bindeglied zwischen den Dingen der Welt und dem Denken. „Denken, Fühlen und Handeln entwickeln sich in dialektischer Verschränkung“. (Jank & Meyer, 2002, S. 194). Die Grundlage für die Entwicklung des Denkens und der Intelligenz bilden die kognitiven Operationen. Diese entstehen wiederum durch die Verinnerlichung konkreter Handlungen und Erfahrungen. „Durch den Verlauf der fortgesetzten Verinnerlichung lösen sich die Operationen (...) von den Inhalten und Modalitäten der äußeren Handlung und werden verallgemeinert - sie werden [allmählich] zu Abstraktionen“. (ebd. S. 321). Diese nannte Piaget auch formale Operationen (vgl. Zimbardo, 1995, S. 77). „Über die praktische Bewältigung von Situationen gelangt das Kind zu deren theoretischen Beherrschung.“ (Zimmer, 1993, S. 40). Die einer Handlung zugrunde liegende Struktur wird durch die Handlung kognitiv erfasst (vgl. ebd. S. 38ff). Denken, Handeln, Bewegen gehen dabei wechselseitig auseinander hervor, wodurch sich zum einen die Forderung für den Unterricht ergibt, konkrete Handlungen in den Unterricht mit einzubeziehen und zum anderen die Abstraktion, also den Übergang von den konkreten Handlungen zu kognitiven Operationen, zu üben (vgl. Jank & Meyer, 2002, S. 322).

2.2.2 Motorische Entwicklung und Leistungsvoraussetzung im Kindesalter

Die Bedeutung der motorischen Entwicklung für die Gesamtentwicklung des Kindes ist sehr hoch einzustufen: Die motorische und die kognitive[4] Entwicklung stehen in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Persönlichkeitsentwicklung und beeinflussen sich gegenseitig (vgl. Zimmer, 1996). Aber zunächst einmal sei zu klären, was genauer unter Motorik zu verstehen ist, bevor ich mit dem Begriff weiter arbeite. Nach Bös & Mechling (1983) kann die Motorik als Gesamtheit aller Steuerungs- und Funktionsprozesse verstanden werden, die der Haltung und Bewegung zugrunde liegen. Danach ist die motorische Fähigkeit für den Erwerb und für das Ausführen von Bewegungshandlungen verantwortlich. Dabei bestimmt „der Ausprägungsgrad der motorischen Fähigkeiten […] die Qualität der beobachtbaren Bewegungshandlungen in Entwicklungs-, Lern- und Leistungsprozessen“ (Bös, 2003, S. 86). Da an der Steuerung und Kontrolle von Haltung und Bewegung auch sensorische, kognitive und motivationale Vorgänge beteiligt sind, schließt der Motorikbegriff nach Bös & Mechling deren Zusammenspiel mit ein. Dieser enge Zusammenhang zwischen motorischen und psychischen Prozessen spiegelt sich auch in den Begriffen „Psychomotorik“ und „Sensomotorik“ wieder. Motorische Fähigkeiten sind für den Erwerb und das Zustandekommen von Bewegungshandlungen verantwortlich. Dementsprechend ist die Ausprägung der motorischen Fähigkeiten auch ein Grad für eine gute oder weniger gute, beobachtbare und messbare „Bewegungsleistung“ (vgl. Bös, 2001b; Bös & Mechling, 1983).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Differenzierung motorischer Fähigkeiten (Bös, 2003, S. 87)

Im Folgenden möchte ich kurz klären, welche Fähigkeiten genauer unter die motorischen Fähigkeiten fallen und versuchen, diese zu differenzieren. Bös (2003) unterteilt die motorischen Fähigkeiten auf der ersten Ebene in energetisch determinierte (konditionelle) und informationsorientierte (koordinative) Fähigkeiten (vgl. Abb.1). Auf der zweiten Ebene werden diese in die motorischen Grundeigenschaften Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination und Beweglichkeit unterschieden. In Abhängigkeit von der Art der Energiegewinnung wird die Ausdauer in aerobe (Energiegewinnung mit Sauerstoff, AA) und anaerobe Ausdauer (Energiegewinnung ohne Sauerstoff, AnA) unterteilt (vgl. Hohmann/Lames/Letzelter, 2002). Die motorische Grundeigenschaft Kraft wird unterschieden in Maximalkraft (MK), Schnellkraft (SK) und Kraftausdauer (KA). Die Schnelligkeit unterteilt sich in Aktionsschnelligkeit (AS) und Reaktionsschnelligkeit (RS). Die koordinativen Fähigkeiten können nach Art der sensorischen Regulation und in Abhängigkeit vom Anforderungsprofil der Bewegungshandlungen in Koordination unter Zeitdruck (KZ) und Koordination bei Präzisionsaufgaben (KP) differenziert werden (vgl. auch Roth, 1982). Die Beweglichkeit lässt sich nicht eindeutig dem konditionellen oder koordinativen Bereich zuordnen, deshalb steht sie auch am Rande der Grafik.

Die Güte einer Bewegungsausführung kann unterschiedlich sein. Lässt man eine bestimmte Bewegung von etwa zwanzig Kindern einer ersten Klasse ausführen, wird man bemerken können, dass einigen Schülern die (erstmalige) Realisation dieser (sportlichen Fertigkeit) auf „Anhieb“ gut gelingt, anderen weniger. Es kann sogar sein, dass sie einem Kind besser gelingt, das diese Bewegung zum ersten Mal ausübt als einem Kind, das auf längere Erfahrungen in Bezug auf jene Bewegung zurückgreifen kann.

Dies weist auf interindividuelle Unterschiede hin (vgl. Mechling, 2003, S. 348). Was diese Unterschiede ausmacht und worin sie bestehen, ist für viele Entscheidungen in der Praxis (der Mobilitätserziehung) von Aussagekraft. An dieser Stelle kommt die (noch nicht abgeschlossene) Motorikforschung, insbesondere die Suche und Identifikation von koordinativen Fähigkeiten ins Spiel (vgl. ebd. S. 348).

„Aus dem Kreis der Eigenschaften, die, jeweils im Komplex wirkend, die sportliche Leistung bestimmen, gilt es diejenige herauszufinden, die sich primär auf die Prozesse der Bewegungssteuerung und –regelung beziehen und durch diese wesentlich bedingt sind.“ (Meinel & Schnabel, 2007, S. 212)

Dies sind die koordinativen Fähigkeiten.

„Gut ausgeprägte koordinative Fähigkeiten erhöhen den Ausnutzungsgrad energetischer Funktionspotenzen bzw. konditioneller Fähigkeiten durch aufgabengemäße und genaue Krafteinsätze sowie durch eine energiesparende Entspannung unbeteiligter Muskelgruppen. Sie schonen den Stoffwechsel und ökonomisieren die zyklische Bewegungstätigkeit.“ (ebd. S. 217)

Demnach sichern koordinative Fähigkeiten in den Ausdauersportarten eine hohe Bewegungseffektivität und –ökonomie, „verbessern“ also auch die Ausdauerfähigkeit und ihre charakteristischen, der Definition enthaltenden Ermüdungserscheinungen. Zudem äußern sich Meinel & Schnabel (2007, S. 217) zu den Sprint- und Schnellkraftdisziplinen: Sie sagen, dass durch die koordinativen Fähigkeiten eine hohe Bewegungsfrequenz und eine volle Wirksamkeit des energetischen Potenzials abgerufen und gesichert werden kann. Auf Grund meiner motorischen Tests und auf Grund der Wichtigkeit jenes Bereiches möchte ich nachfolgend noch etwas ausführlicher auf diese koordinativen Fähigkeiten eingehen.

Roth (1982) stellte eine Struktur der koordinativen Fähigkeiten dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Struktur des koordinativen Fähigkeitsbereiches (Roth, 1982, S. 53)

Vergleicht man diese Abbildung mit Abbildung 1, sieht man, dass der Bereich „koordinative Fähigkeiten unter Zeitdruck“ bei Bös mit KZ und der Bereich „koordinative Fähigkeiten zur genauen Kontrolle von Bewegungen“ bei Bös mit KP bezeichnet wird. Diese beiden Bereiche können auf einer weiteren Ebene in jeweils „ganzkörperliche Bewegungen“ und „Teilbewegungen“ unterteilt werden. Im Gegensatz zu konditionellen Fähigkeiten, die durch Energiebereitstellung und –vermittlung bestimmt sind (vgl. Hohmann/Lames/Letzelter, 2002), lassen sich koordinative Fähigkeiten als Voraussetzung zur Ausführung von (komplexen) Bewegungen bestimmen.

Roth (1982) geht diesbezüglich auch noch auf die Wichtigkeit der Informationsverarbeitung für den Wert einer koordinativen Fähigkeit ein. In koordinativen Fähigkeitskonzepten wird (implizit) angenommen, dass jeder Mensch die koordinativen Fähigkeiten besitzt. Da sie für die individuellen Unterschiede bei der Ausführung einer sportmotorischen Bewegung verantwortlich sind, unterscheiden sie sich allerdings in der jeweiligen Ausprägung (vgl. Mechling, 2003, S. 355). Zu klären bleibt, was genau unter koordinativen Fähigkeiten zu verstehen ist. Das Wort Koordination wird abgeleitet vom Lateinischen „com ordo“, was soviel bedeutet wie „mit Ordnung“. Meinel & Schnabel (2007, S. 213) definieren koordinative Fähigkeiten folgendermaßen:

„Klasse motorischer Fähigkeiten, die vorrangig durch die Prozesse der Bewegungsregulation bedingt sind und relativ verfestigte und generalisierte Verlaufsqualitäten dieser Prozesse darstellen. Sie sind Leistungsvoraussetzungen zur Bewältigung dominant-koordinativer Anforderungen.“

Koordination im Sport ist das Zusammenspiel von Sinnesorganen, peripherem und zentralem Nervensystem sowie der Skelettmuskulatur. Der Begriff Fähigkeiten steht dabei für die gelernten oder angeborenen Voraussetzungen, die für das Vollbringen einer bestimmten Leistung notwendig sind. Fähigkeiten sind die Voraussetzung für die Realisierung bestimmter Fertigkeiten. Koordinative Fähigkeiten bewirken, dass die Impulse innerhalb eines Bewegungsablaufs zeitlich, stärke- und umfangmäßig aufeinander abgestimmt werden und die entsprechenden Muskeln erreichen. Sie sind jedoch nicht angeboren und müssen daher erlernt, gefestigt und weiterentwickelt werden. Zwischen dem 6. und 10. Lebensjahr ist eine besondere Lernfähigkeit für koordinative Fähigkeiten, sowie für alle anderen motorischen Fähigkeiten, gegeben (vgl. Meinel & Schnabel, 2007, S. 248). Der Grund dafür liegt in der beschleunigten Reifung grundlegender Funktionen des Zentralnervensystems sowie der Analysatoren. Hinzu kommen biologische Reifungsprozesse im Zusammenhang mit einem starken Bewegungsbedürfnis. Einig ist man sich bis heute nicht, welche Fähigkeiten nun genau zu den koordinativen Fähigkeiten zählen (vgl. Meinel & Schnabel, 2007, S. 218ff.). Jedoch scheint Konsens darüber zu herrschen, dass hierbei mehrere Fähigkeiten beteiligt sind.

Es lassen sich in der Literatur verschiedene Aufzählungen finden: Nach Hirtz (1985) lassen sich 5 Fähigkeiten unterscheiden (a-e), nach Meinel & Schnabel (2007) gibt es sogar 7 grundlegende Fähigkeiten (a-g):

a) (kienästhetische) Differenzierungsfähigkeit b) Reaktionsfähigkeit
c) Rhythmisierungsfähigkeit d) Orientierungsfähigkeit
e) Gleichgewichtsfähigkeit f) Umstellungsfähigkeit
g) Kopplungsfähigkeit

a) Die (kienästhetische) Differenzierungsfähigkeit ist die Fähigkeit, einen Bewegungsablauf sicher, genau und ökonomisch auszuführen. Sie äußert sich im Allgemeinen im Gefühl, wie zum Beispiel dem Bewegungs- oder Ballgefühl, wobei Rückmeldungen kienästhetischer Analysatoren entscheidend sind. Die Rezeptoren in den Muskeln, Sehnen, Gelenken und Bändern geben Auskunft über die Position der Körperteile und die auf sie einwirkenden Kräfte. Die kienästhetische Differenzierungsfähigkeit wird bei fast jeder Bewegung, ob beim Werfen oder Laufen, benötigt und ist daher schwer isoliert zu unterrichten. (vgl. ebd. S. 221f.).

Beim Rad fahren im Straßenverkehr heißt differenzieren, alle von außen einwirkenden Faktoren wie Änderungen der Straßenführung, Wechsel des Straßenbelags und Situationsanpassung aufgrund der Operationen anderer Verkehrsteilnehmer aufzunehmen und zu unterscheiden und dann entsprechend schnell zu reagieren (vgl. Jackel, 1997, S. 39).

b) Die Reaktionsfähigkeit zeigt sich in der Fähigkeit, möglichst schnell auf bestimmte Signale zu reagieren und eine motorische Reaktion auszuführen. Eine Differenzierung kann nach Art des Reizes (optisches, akustisches oder taktiles Signal) oder nach Art der Reizantwort (einfache motorische Reaktionen oder komplexe motorische Reaktionen) erfolgen. (vgl. Meinel & Schnabel, 2007, S. 223f.).
c) Die Rhythmisierungsfähigkeit ist die Fähigkeit, Bewegungen in einer gleichmäßig gegliederten zeitlichen Abfolge auszuführen, einen äußeren Rhythmus zu übernehmen oder einen eigenen Rhythmus zu gestalten. Der Rhythmisierungsfähigkeit kommt vor allem bei zyklischen Bewegungen eine große Bedeutung zu. Azyklische Bewegungen folgen ihrem eigenen Rhythmus. Die Schulung der Rhythmisierungsfähigkeit kann sowohl durch Musik oder den Einsatz anderer akustischer Signale erfolgen sowie durch die Vorgabe optischer Signale oder räumlicher Anordnungen. Die Anpassungsfähigkeit (teilweise auch gesondert betrachtet) an einen Partner- oder Gruppenrhythmus in synchronisierten Bewegungen stellt eine andere Möglichkeit der Rhythmusschulung dar. (vgl. ebd. S. 227f.).
d) Die Orientierungsfähigkeit ist die Fähigkeit zur Bestimmung und zielangepassten Veränderung der Lage und Bewegung des Körpers im Raum. In Situationen mit wenig Bewegungsraum aber großer Auswahl an Körperpositionen, wie zum Beispiel beim Boden- oder Geräteturnen ist diese Fähigkeit ebenso von Bedeutung wie in großen Bewegungsräumen (Mannschaftsspielen), wo man wissen sollte, an welcher Stelle im Raum man sich (in Bezug zu seinem Gegner oder seinem Partner) befindet. (vgl. ebd. S. 225).
e) Die Gleichgewichtsfähigkeit ist die Fähigkeit, den eigenen Körper oder Gegenstände gegen den Einfluss der Schwerkraft im Gleichgewicht zu halten. Man unterscheidet zwischen statischem Gleichgewicht (Stehen auf einem Bein), dynamischem Gleichgewicht (Balancieren über eine Langbank; Fahrrad fahren) oder Objektgleichgewicht (Balancieren eines Stabs auf der Handfläche). Gleichgewichtsfähigkeit ist sowohl Voraussetzung für alle motorischen Handlungen als auch Grundlage eines psychisch-emotionalen Gleichgewichts und damit auch Grundlage des Wohlbefindens (vgl. ebd. S. 225f.). Die Gleichgewichtsfähigkeit, speziell das dynamische Gleichgewicht, ist die zentrale Grundfähigkeit beim Rad fahren (vgl. Jackel, 1997, S. 39f.).
f) Die Umstellungsfähigkeit ist die Fähigkeit, seine Handlungen möglichst schnell an situationsbedingte Veränderungen anzupassen. Man muss sich schnell auf eine neue Situation, beispielsweise auf einer viel befahrenen Straße auf Fehler von anderen Verkehrsteilnehmern (Antizipation) einstellen können. (vgl. Meinel & Schnabel, 2007, S. 226f.).
g) Die Kopplungsfähigkeit ist die Fähigkeit, verschiedene Teilkörperbewegungen zu einer ganzen Bewegung räumlich, zeitlich und dynamisch zu verbinden. Formen der Bewegungskopplung sind zum Beispiel: Anfahren mit dem Rad, also Aktivierung der Beinmuskulatur und gleichzeitige Bewegung des Kopfes in die gewünschte Fahrtrichtung. (vgl. ebd. S. 223).

Im Zusammenhang mit diesen Fähigkeiten stehen die bereits erwähnten Analysatoren. Die Leistungsfähigkeit dieser bestimmt die Qualität der koordinativen Fähigkeiten entscheidend mit. Die Analysatoren sind für die Wahrnehmungsprozesse zuständig. Der optische Analysator (vgl. ebd. S. 46) leistet einen erheblichen Beitrag zur Bewegungsregulierung. Dies wird besonders deutlich, wenn der Sehsinn bewusst ausgeschaltet wird. Meist kommt es dann zu großen Bewegungsunsicherheiten. Der kienästhetische Analysator (vgl. ebd. S. 44f.) hat seine Rezeptoren in den Muskeln, Sehnen und Gelenken. Er ist dadurch sehr bewegungsempfindsam. Die Rezeptoren geben Rückmeldung über die Belastung und Änderung der Position des Körpers. Dieser Analysator ist vor allem für die Bewegungskontrolle wichtig. Der statico-dynamische Analysator[5] (vgl. ebd. S. 46) ist verantwortlich für die Raumlage des Körpers. Das wichtigste Organ ist dabei der Vestibularapparat. Bewegungen des Kopfes werden in Richtung und Beschleunigung erfasst. Einen wichtigen Einfluss hat der Vestibularapparat auf die Augen und auf die Stützmotorik. Zusammen bilden sie die Grundlage des statico-dynamischen Analysators für die Gleichgewichtserhaltung des Körpers. Der akustische Analysator (vgl. ebd. S. 48) verarbeitet akustische Signale (z.B. Umweltgeräusche oder Autos auf der Straße) über den Bewegungsvollzug. Auch verbale oder rhythmisierende Signale werden darüber wahrgenommen. Der taktile Analysator (vgl. ebd. S. 45f.) erhält Informationen über die Rezeptoren in der Haut. Über ihn erhalten wir Informationen über die Beschaffenheit einer Fläche oder die Form eines Körpers. Durch das Zusammenspiel dieser Komponenten ist eine Bewegungshandlung erst möglich![6]

Aufgrund der Tatsache, dass koordinative Fähigkeiten nicht immer isoliert schulbar sind, bieten sich auch kombinierte Übungen an. Der Inhalt der koordinativen Fähigkeiten wird im Kerncurriculum Sport nicht explizit erwähnt (vgl. Niedersächsisches Kerncurriculum Sport). Dadurch verliert das Thema jedoch nicht seine Berechtigung. Vielmehr werden in den einzelnen Bereichen die koordinativen Fähigkeiten vorausgesetzt. Somit kommt ihnen gerade im Grundschulalter eine erhebliche Bedeutung zu. Erst recht vor dem Hintergrund, dass sie als „Leistungsvoraussetzungen“ angesehen werden können (vgl. Bös, 1994, S. 192). Koordinative Fähigkeiten sind insofern für die Schnelligkeit und Genauigkeit der Aneignung motorischer Fertigkeiten sowie für ihre Konstanz von Bedeutung und bestimmen auf allen Leistungsstufen den Umsetzungsgrad der konditionellen Potenzen mit (vgl. ebd. S. 192). Die Werte der koordinativen Fähigkeiten für die allgemeine Gesundheit des Menschen lassen sich nach Meinel & Schnabel (2007, S.215) wie folgt zusammenfassen: Gut ausgeprägte koordinative Fähigkeiten sichern eine erfolgreiche Bewältigung der Alltagsanforderungen. Die Unfallgefahr wird reduziert, da Gefahrensituationen, beispielsweise durch Reaktions- und Orientierungsfähigkeit, schneller erkannt (Risikoprophylaxe) und besser bewältigt werden können (Sturzprophylaxe) (vgl. Kunz, 1993).

Die motorische Anpassung an wechselnde Bedingungen und ungewohnte Anforderungen, wie beispielsweise auf einer viel befahrenen Straße, und die Haltungsregulation (Bewahrung des Gleichgewichts bei plötzlichem Spurwechsel) verbessert sich (vgl. Meinel & Schnabel, 2007, S. 215). Auch die Trittsicherheit wird optimiert. Zudem führen gut ausgeprägte koordinative Fähigkeiten zur „vollen Ausschöpfung des energetischen Potenzials in der Bewegungstätigkeit“ (ebd. S. 215). Die Bewegung wird also ökonomischer. Daneben können gut ausgebildete koordinative Fähigkeiten Fehlbelastungen und die Abschwächung einzelner Muskeln verhindern: Die Belastungen des Halteapparates und somit „Verschleißerscheinungen“ können sich mit Hilfe der koordinativen Fähigkeiten in Grenzen halten. „Sie können zur Kompensation schwächerer anderer Funktionssysteme beitragen.“ (ebd. S. 215). Nach Meinel & Schnabel (2007, S. 215) haben „koordinative Fähigkeiten und Bewegungsfertigkeiten […] demnach eines gemeinsam: Sie sind koordinativ bedingte Leistungsvoraussetzungen. […] Sie entwickeln und verfestigen sich in der sportlichen Tätigkeit.“

Diese Annahme ist Grundlage für (mein) praktisches Handeln im Schulsport! Ganz offensichtlich lernen somit Schulkinder auch schon zu Beginn ihrer Schulzeit mit guten koordinativen Fähigkeiten motorisch schneller und effektiver als Kinder mit schlechten koordinativen Fähigkeiten. Wichtig ist, dass sie sich manifestieren können und in beträchtlichem Maße trainierbar sind (vgl. Bös, 1994, S. 192). Allerdings muss man auch sagen, dass sie von „habituellen und aktuellen motivationalen Antriebsprozessen sowie von kognitiven Funktionsprozessen abhängig sind“ (ebd. S. 192). Ferner sind die koordinativen Fähigkeiten bei den Kindern meistens nicht gleich stark ausgeprägt. Zum einen hinsichtlich der Klasse, dort existieren oft große Unterschiede von Kind zu Kind, und zum anderen hinsichtlich des Kindes selbst, welches nicht alle Fähigkeiten gleich stark ausgebildet hat. Ob ich dies auch bei meinen Tests beobachten kann, wird sich zeigen.[7]

Über die Motorik werden Erfahrungen und Erkenntnisse im sensorischen, emotionalen, sozialen, kognitiven und sprachlichen Bereich möglich. Mit Bezug auf verkehrsrelevante Aspekte lassen sich die Bereiche wir folgt umschreiben:

Sensorischer Bereich: Hören: Schulung der Akustik (von wo kommt ein Geräusch und damit die evtl. Gefahr?)

Sehen: Schulung der Visumotorik (Auge-Hand-Koordination beim Fahrrad fahren; die Augen nehmen die Fahrstrecke gedanklich vorweg und steuern die Lenkbewegungen.)

Gleichgewichtsregulation (vestibuläre Reizverarbeitung)

Emotionaler Bereich: Freude im „flow-driving“ (vgl. Jackel, 1997, S. 38) erfahrbar machen und bei gelungenen Bewegungsvarianten.

Sozialer Bereich: Andere Verkehrsteilnehmer (Kinder) in das Geschehen mit einbeziehen. Besonders wichtig bei achsenkonkordantem Fahren zweier Personen auf einem Gerät und bei Parcoursarrangements mit mehreren Teilnehmern.

Kognitiver Bereich: Zum Beispiel kann hier der Wirkzusammenhang von konzertiertem Bremsen und sicherem Anhalten mit dem unsicherem Bremsen (nur mit der Handbremse) und über die Lenkstange fallen einsichtig gemacht werden.

Sprachlicher Bereich: Verkehrsanweisungen/-regeln begreifen, anwenden und Kameraden mitteilen.

Über die Primärstellung der Handlung können perzeptive[8], motorische und emotional-soziale Entwicklungsbereiche mitgefördert werden, weil sie alle an der Handlung beteiligt sind. Also macht ein Kind beim Bewegen Erfahrungen in seiner Umwelt durch Be-greifen, Be-handeln, Be-sichtigen; das heißt, es macht seine Umwelt durch Wahrnehmung und Bewegung erfahr- und verfügbar (vgl. Jackel, 1997, S. 42).

Ein kleiner Exkurs: In den letzten Jahren verdichteten sich aus empirischen Befunden sogar Einsichten darüber, dass motorische Erfahrungen die Wahrnehmung des Säuglings und des Kleinkindes differenzieren und damit auch dessen kognitive Entwicklung beeinflussen können (vgl. Fischer, 1996). Guckt man diesbezüglich über den Tellerrand hinaus, würde es erweitert für das Kindesalter bedeuten, dass Kinder durch Bewegung lernen, sich vorbereitend und zweckmäßig zu verhalten. Ein interessanter Ansatz, wie ich finde.

An den vorherigen Ausführungen soll erkenntlich gemacht, was Motorik alles beinhaltet. Nun möchte ich näher auf die Entwicklung der kindlichen Motorik, auf die motorischen Voraussetzungen und möglichen Folgerungen für die Förderung der motorischen Entwicklung der heutigen Kinder zu sprechen kommen.

Wie schon angedeutet, kann die motorische Entwicklung eines Kindes nie allein mit der Motorik umschrieben werden. Sie erfordert zu ihrem umfangreichen Verständnis auch die Einbeziehung anderer Entwicklungsaspekte. Nach Meinel & Schnabel (2007, S.243ff) lassen sich drei Objektbereiche kennzeichnen:

1. Die „Phylogenese“ der Motorik, auch als Anthropomotorik bezeichnet. Sie ist die Jahrmillionen umfassende Bewegungsgeschichte.
2. Die motorische „Ontogenese“. Das ist die „Individualgenese der menschlichen Motorik von der pränatalen Entwicklung bis zum Tode“ (Meinel & Schnabel, 2007, S. 243).
3. Die motorische „Aktualgenese“. Das ist die vielfältige Erwerbung von motorischen Fähig- und Fertigkeiten im Ergebnis entsprechender Lern- und Adaptationsprozesse.[9]

Ich möchte mich nun auf die motorische Ontogenese konzentrieren, da sie am ehesten den Bezug zu meiner Arbeit liefert. „Als Gegenstand der motorischen Ontogenese wird die lebenslang-altersbezogene Individualentwicklung des Menschen hinsichtlich unterscheidbarer, letztlich jedoch untrennbarer [dreier] Teilbereiche verstanden“ (Meinel & Schnabel, 2007, S. 243):

1. Die ontogenetischen Veränderungsprozesse, die sich auf ein motorisches Verhalten und insofern auf die körperlich-sportliche Aktivität beziehen.
2. Die ontogenetischen Veränderungen, die sich auf den Erwerb von Haltung und Bewegung sowie die „variable Verfügbarkeit von grundlegenden und sportlichen Bewegungsfertigkeiten als quantitativ und qualitativ wahrnehmbare Erscheinungen“ (ebd. S. 243) beziehen, also das Erwerben von Haltung und Bewegungen wie Laufen und Springen. (Auch die Veränderungen von Merkmalen der Bewegungskoordination sind damit gemeint.)
3. Die „inneren“ Steuerungs- und Funktionsprozesse. Damit ist die Individualentwicklung von koordinativen und konditionellen Fähigkeiten gemeint.

[...]


[1] 1978 lag die Gesamtanzahl der verunglückten Kinder bei 72.129; 2005 hingegen bei 36.954. vgl. Anhang I.

[2] vgl. dazu die Rolle der „peer group“ im Bewegungsleben des Kindes in Größing, 2002, S. 46f.

[3] vgl. Anzahl der Stunden und Auswirkungen in Gudjons, 2001, S. 16f.

[4] siehe Kapitel 2.2.1

[5] auch Vestibularanalysator genannt.

[6] Wie man sieht ein sehr komplexes Themengebiet!

[7] siehe Kapitel 6

[8] Perzeption = Reizaufnahme durch Sinneszellen

[9] siehe Kapitel 2.2.1

Final del extracto de 97 páginas

Detalles

Título
Bewegungserziehung zur Mobilitätsbildung – Zur Entwicklung der psycho-motorischen Leistungsfähigkeit im Anfangsunterricht der Grundschule
Universidad
University of Vechta
Calificación
1,7
Autor
Año
2008
Páginas
97
No. de catálogo
V92140
ISBN (Ebook)
9783638060271
ISBN (Libro)
9783638950350
Tamaño de fichero
1310 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Bewegungserziehung, Mobilitätsbildung, Entwicklung, Leistungsfähigkeit, Anfangsunterricht, Grundschule
Citar trabajo
Michael Lampka (Autor), 2008, Bewegungserziehung zur Mobilitätsbildung – Zur Entwicklung der psycho-motorischen Leistungsfähigkeit im Anfangsunterricht der Grundschule, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92140

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