Das Thema dieser Arbeit ist an der Schnittstelle zweier Teilgebiete der Politikwissenschaft angesiedelt. Es werden sowohl politische Systeme als auch internationale Beziehungen betrachtet. Denn die Beziehungen zwischen dem Ausschuss der Ständigen Vertreter beim Rat der EU und den Institutionen der Mitgliedstaaten sind der Kern des Spannungsfeldes europäischer Politik. Denn genau an dieser Stelle übertragen die Nationalstaaten tagtäglich ein Stück ihrer Souveränität an ein supranationales Gebilde. Der Rat als Institution folgt zwei konkurrierenden Leitideen. Als Leitidee wird definiert die „Ordnungsvorstellung und die mit ihr verbundenen Geltungsansprüche, die für viele Akteure attraktiv oder evident wirken und genau darum zur verlässlichen Richtschnur ihres Handelns und zum Ausgangspunkt ihrer Struktur bildenden Anschlusspraxen werden” (Patzelt 2003, S. 53) Einerseits übernimmt er als zwischenstaatliches Forum Exekutivfunktionen. Andererseits stimmt er als eine Art zweite Kammer über alle Gesetzesvorlagen ab (Lempp 2005). In seiner ersten Eigenschaft wird er aus der Perspektive des liberalen Intergouvernementalismus als internationale Organisation verstanden, in der die Mitgliedstaaten als zentrale Akteure ihre Interessen durchsetzen (Krasner 1983; Milward 1992; Moravcszik 1993). Demgegenüber wird aus der Perspektive der anderen Leitidee der Rat selbst als europäischer Akteur angesehen, der mit dem Europäischen Parlament die Legislativfunktion für Europa übernimmt ( Lewis 1998, 2000, 2003). Der Rat ist neben der Kommission und dem Parlament eine der mächtigsten Institutionen Europas. Die Frage, wie letztendlich die nationale Verhandlungsposition im COREPER bestimmt wird, ist eine Frage der Macht. Je besser und effizienter die Arbeit der nationalen Beamten koordiniert ist, desto mächtiger ist die jeweilige Regierung gegenüber einzelnen Ministerien und den Vetospielern im System. Die Qualität der nationalen Position als Handlungsanweisung für die Vertreter ist unterschiedlich. Wenn die nationale Position klar, mit einer Zielvorgabe versehen, hinreichend flexibel und praktikabel ist, dann kann die nationale Delegation im COREPR erfolgreich verhandeln. Sie kann von den anderen Mitgliedern verlässlich eingeschätzt werden und wird an der Konsensbildung beteiligt. Wenn die Position jedoch unklar oder zu starr ist, dann findet die Entscheidung ohne diese Delegation statt. Damit sinkt der Einfluss auf das Ergebnis bei Mehrheitsentscheidungen. Die Qualität der vorgegeben nationalen Verhandlungsposition ist also eine Frage der Macht. Je besser die Qualität einer nationalen Weisung , desto höher die Macht des Mitgliedstaates im COREPER. Je besser die Weisungen insgesamt, desto höher die Macht des COREPER, weil seine Fähigkeit zur Konsensfindung steigt. Die Frage nach der Leistungsfähigkeit der nationalen Koordinationssysteme für das Verhandeln in der Kernzone des Rates lässt sich deshalb am besten an Hand der Qualität der Weisungen an die Vertreter beantworten. Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit lautet deshalb:
Wovon hängt die Qualität der Weisungen der Mitgliedstaaten an den COREPER ab?
Inhaltsverzeichnis
- ABKÜRZUNGEN
- 1. EINLEITUNG
- 1.1 Thema, Forschungsstand und Kontext
- 1.2 Fragestellung
- 1.3 Aufbau und Methodik der Arbeit
- 1.4 Ziel
- 2. DER COREPER
- 2.1 Entstehung und Evolution
- 2.2 Stellung im Institutionengefüge der EU
- 2.2.1 Das Prozedere im Rat
- 2.2.2 Die Arbeitsgruppen
- 2.2.3 Die zentrale Position des COREPER
- 2.3 Aufbau und Funktionsweise
- 2.4 Funktionen und Aufgaben
- 2.4.1 Informationsfunktion
- 2.4.2 Koordinationsfunktion
- 2.4.3 Verhandlungsfunktion
- 2.4.4 Interpretationsfunktion
- 2.4.5 Verteidigungsfunktion
- 2.4.6 Dienstleistungsfunktion
- 2.5 Sozialisation der Mitglieder
- 3. COREPER UND MACHT
- 3.1 Machtkonzept
- 3.2 Instrument zur Machtanalyse
- 3.3 Analyseebenen
- 3.4 Macht des COREPER
- 3.5 Macht im "strategischen” Handlungsraum COREPER
- 3.6 Machtressource COREPER-Weisung
- 4. KOORDINATION DER EU-POLITIK AUF NATIONALER EBENE
- 4.1 Externe Einflussfaktoren auf die Formulierung der nationalen Position
- 4.2 Koordination im politischen System
- 4.3 Interministerielle Koordination
- 4.4 Prägefaktoren der Intraministeriellen Koordination
- 4.5 Koordination in Brüssel
- 4.6 Effektivität und Effizienz der Koordination
- 5 FORSCHUNGSDESIGN
- 5.1 Die abhängige Variable “Gute Weisung”
- 5.1.1 Operationalisierung
- 5.1.2 Fragebogen
- 5.1.3 Skala
- 5.1.4 Erhebungsmethode
- 5.2 Die unabhängigen Variablen
- 5.2.1 Das Modell
- 5.2.2 Externe Faktoren auf der Makroebene
- 5.2.2.1 Dauer der Mitgliedschaft
- 5.2.2.2 Stimmen im Rat
- 5.2.2.3 Integrationsbereitschaft der Gesellschaft
- 5.2.3 Faktoren im politischen System: Vetospieler
- 5.2.4 Koordinationsstruktur
- 5.2.4.1 Grad der Dezentralisierung
- 5.2.4.2 Ebenen der institutionalisierten Koordination
- 5.2.4.3 Weisungsgeber
- 5.2.4.4 Ständige Vertretungen
- 6 DATENANALYSE
- 6.1 Datenlage
- 6.2 Häufigkeiten
- 6.3 QCA-Analyse mit dem Ragin-Ansatz
- 6.3.1 Methode
- 6.3.2 Koordinationssystem
- 6.3.3 Externe Faktoren
- 6.3.4 Einfluss der Vetospieler im System
- 6.4 Statistische Regressionsanalyse
- 6.4.1 Koordinationsstruktur
- 6.4.2 Externe Faktoren
- 6.4.3 Vetospieler im System
- 6.4.4 Zusammenfassung
- 7 ERGEBNISSE
- 7.1 Warum produzieren Belgien, Deutschland, Portugal, Spanien, Bulgarien, Luxemburg und Dänemark “Gute Weisungen”?
- 7.1.1 Gemeinsamkeiten im Koordinationssystem
- 7.1.2 Gemeinsamkeiten im politischen System
- 7.1.3 Gemeinsamkeiten bei externen Faktoren
- 7.1.4 Besonderheiten I: Die Macht des Parlamentes in Dänemark
- 7.1.5 Besonderheiten II: Die Ohnmacht des Parlamentes in Deutschland
- 7.2 Warum werden in Österreich, Ungarn, Rumänien und Estland keine „Guten Weisungen” produziert?
- 7.2.1 Schwächen im Koordinationssystem
- 7.2.2 Hürden im politischen System in Wechselwirkung mit externen Faktoren : Ungarn, Österreich und Estland
- 7.2.3 Der Premier als Weisungsgeber in einem neuen Mitgliedstaat: Rumänien
- 7.3 Warum werden durchschnittliche Weisungen produziert?
- 7.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
- 7.5 Empfehlungen und weitergehende Überlegungen
- 8 METHODENBERICHT
- 8.1 Erhebung und Datenanalyse
- 8.2 Methodenkritik
- 8.3 Datenquellen
- 8.3.1Vetospieler
- ANHANG
- Fragebogen
- Organigramme
- LITERATURVERZEICHNIS
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit den Beziehungen zwischen dem Ausschuss der Ständigen Vertreter beim Rat der EU (COREPER) und den Institutionen der Mitgliedstaaten. Ziel ist es, den Einfluss des COREPER auf die Koordination der EU-Politik auf nationaler Ebene zu untersuchen. Die Arbeit analysiert, inwiefern die Koordinationsstruktur der Mitgliedstaaten und die Macht des COREPER die Qualität der von den Mitgliedstaaten an den Rat der EU übermittelten "Weisungen" beeinflussen.
- Die Entstehung und Entwicklung des COREPER
- Die Rolle des COREPER im Institutionengefüge der EU
- Die Macht des COREPER und seine Einflussfaktoren
- Die Koordination der EU-Politik auf nationaler Ebene
- Der Einfluss des COREPER auf die Qualität der Weisungen der Mitgliedstaaten
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Thema der Arbeit vor, erläutert den Forschungsstand und die Fragestellung, beschreibt den Aufbau und die Methodik der Arbeit sowie das Ziel der Untersuchung.
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem COREPER. Es behandelt die Entstehung und Entwicklung des Ausschusses, seine Stellung im Institutionengefüge der EU, den Aufbau und die Funktionsweise sowie die Funktionen und Aufgaben.
Das dritte Kapitel analysiert den Einfluss des COREPER auf die Machtverhältnisse in der EU. Es beschreibt verschiedene Machtkonzepte, untersucht die Machtanalyseebenen und untersucht die Macht des COREPER sowie die Machtressource "COREPER-Weisung".
Das vierte Kapitel widmet sich der Koordination der EU-Politik auf nationaler Ebene. Es analysiert externe Einflussfaktoren auf die Formulierung der nationalen Position, die Koordination im politischen System, die interministerielle Koordination, die Prägefaktoren der intraministeriellen Koordination sowie die Koordination in Brüssel.
Das fünfte Kapitel beschreibt das Forschungsdesign der Arbeit. Es definiert die abhängige Variable "Gute Weisung" und operationalisiert sie. Die unabhängigen Variablen, wie die Koordinationsstruktur, externe Faktoren und Vetospieler im System, werden ebenfalls vorgestellt.
Das sechste Kapitel analysiert die erhobenen Daten. Es stellt die Datenlage und die Häufigkeiten dar und führt eine QCA-Analyse mit dem Ragin-Ansatz sowie eine statistische Regressionsanalyse durch.
Das siebte Kapitel präsentiert die Ergebnisse der Untersuchung. Es analysiert die Gründe für die Produktion von "Guten Weisungen" in bestimmten Mitgliedstaaten, erklärt die fehlende Produktion in anderen Mitgliedstaaten und analysiert die Gründe für die Produktion von durchschnittlichen Weisungen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit der Koordinationsfunktion des COREPER, den Beziehungen zwischen den Institutionen der EU und den Mitgliedstaaten, der Macht des COREPER, der Koordination der EU-Politik auf nationaler Ebene, der Qualität der "Weisungen" der Mitgliedstaaten, dem Einfluss von externen Faktoren und Vetospielern sowie dem Vergleich verschiedener Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Produktion von "Guten Weisungen".
- Quote paper
- Jan Stoye (Author), 2007, Die Beziehungen zwischen dem Ausschuss der Ständigen Vertreter beim Rat der EU und den Institutionen der Mitgliedstaaten , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92160