Mitbestimmungsmöglichkeiten von Kindern an der Gestaltung ihres Unterrichts an einem Beispiel aus dem sozialwissenschaftlichen Sachunterricht


Master's Thesis, 2019

70 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhalt

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

I. Theoretischer Teil

1. Mitbestimmung
1.1 Begriffsbestimmung
1.2 Stufen der Mitbestimmung
1.3 Qualitätsstandards von Mitbestimmung durch Kinder und Jugendliche

2. Handlungsfeld Schule/ Unterricht

3. Mitbestimmung in der Schule/ im Unterricht
3.1 Rechtliche Grundlagen
3.2 Ungewissheits- und Gewissheitsorientierung
3.2.1 Ungewissheitsorientierung
3.2.2 Gewissheitsorientierung
3.2.3 Ungewissheit- und Gewissheitsorientierung in Bezug auf das Handlungsfeld Schule und Unterricht
3.3 Auswirkungen von Mitbestimmung in der Schule
3.3.1 Chancen und Gründe für Mitbestimmung in der Schule
3.3.2 Herausforderungen und Voraussetzungen von Mitbestimmung in der Schule
3.4 Verankerung im Bildungsplan und Perspektivrahmen
3.5 Service Learning
3.6 Aktueller Forschungsstand zur Mitbestimmung von Kindern im Unterricht

II. Empirischer Teil

1. Ziele und Fragestellung

2. Methodisches Vorgehen
2.1 Erhebungsinstrumente
2.2 Untersuchungsablauf
2.3 Datenauswertung

3. Darstellung der Ergebnisse
3.1 Beobachtungsbögen der beobachtenden Lehrerin
3.2 Reflexion der Unterrichtsstunden der durchführenden Lehrerin
3.3 Gruppeninterviews

4. Diskussion der Ergebnisse

5. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 - Stufenmodell nach BMFSFJ

Abbildung 2 - Stufenmodell nach Hart (1992) und Gernert (1993)

Abbildung 3 - Stufenmodell Kriener und Petersen (1999)

Abbildung 4 - Übersicht Bildungsplan 2016 Grundschule Sachunterricht

Abbildung 5 - Das Kompetenzmodell des Perspektivrahmens Sachunterricht

Abbildung 6 – Erhebungszeitpunkte

Abbildung 7 - Prozessmodell induktiver Kategorienbildung

Abbildung 8 - Wie gehen die Schülerinnen und Schüler mit Mitbestimmung um?

Einleitung

„Wie können wir allen Kindern und Jugendlichen – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft – gute Bildung und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen? Wie können wir Heranwachsende früh an demokratische Verantwortungsübernahme heranführen, sie in ihrer Wertebildung unterstützen und ihnen jene Kompetenzen mit auf den Weg geben, die sie in einer sich rasant verändernden Welt für ein gutes und selbstbestimmtes Leben und aktive gesellschaftliche Teilhabe brauchen?“ (Nagy 2018, S.63). Wie kann man Menschen dazu bringen, sich als handelnde Subjekte in der Gesellschaft zu sehen? Wie kann man sie dazu befähigen, Einfluss auf ihre Umgebung und die Gesellschaft zu nehmen? Die Schule ist aufgrund der allgemeinen Schulpflicht, aber auch wegen ihrer Funktion in Bezug auf Sozialisation in besonderem Maße angesprochen und gefordert. Kinder sollten Demokratie nicht nur als Staatsform, sondern als Lebensform erfahren. Man sollte ihnen Gelegenheiten geben, die dafür erforderlichen Kompetenzen zu erwerben, um sie als mündige Bürger unserer Gesellschaft heranwachsen zu lassen.

In den letzten Jahren wurde das Thema Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern an der Gestaltung des Lehrens und Lernens und des schulischen Umfelds zunehmend Gegenstand der öffentlichen Diskussion und auch bildungspolitischer Forderungen auf nationaler und internationaler Ebene. Die Partizipation und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen und die dieses Thema betreffenden Fragen gehören unter anderem zum Nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010“ (NAP). Dies zeigt die aktuelle und gesellschaftliche Relevanz dieses Themas für Deutschland. Auch international wurde Mitbestimmung und das Mitspracherecht für Kinder in der UN-Kinderrechtskonvention gesetzlich verankert, die 1992 von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wurde und seit 2010 auch für alle in Deutschland lebenden Kinder gültig ist. Mittlerweile ist heute unumstritten, dass früh entsprechende Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten geschaffen werden müssen, um die notwendigen Werte sowie Haltungen zur Weiterentwicklung der offenen, demokratischen Gesellschaft zu erwerben (vgl. Beutel 2014, S.7).

Als Anlass und Impuls dieser Arbeit diente die Information des BMFSFJ (2015), dass nur circa 60 Prozent der Lehr- und Bildungspläne festgelegt sind, sodass genug Zeit und Raum vorhanden sein sollte, um Mitbestimmung in den Unterricht zu integrieren und zu leben. Diese doch geringe Prozentzahl zeigt die Relevanz und die Möglichkeiten, Unterricht mitbestimmungsorientiert zu gestalten. Diese Spielräume müssen dafür aber allen Beteiligten bewusst sein und genutzt werden (vgl. BMFSFJ 2015, S.23). Doch werden diese Spielräume im Schulalltag tatsächlich für Mitbestimmung genutzt und in welcher Form? In der vorliegenden Arbeit sollen deshalb Mitbestimmungsmöglichkeiten von Kindern an der Gestaltung ihres Unterrichts anhand eines Beispiels aus dem sozialwissenschaftlichen Sachunterricht und deren Umgang damit Schritt für Schritt ausführlich erarbeitet und beschrieben werden.

Die vorliegende Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Der erste, theoretische Teil, beschäftigt sich mit Fachliteratur zum Thema Mitbestimmung allgemein und anschließend in Bezug auf Schule und Unterricht. Dazu gehören nach einer kurzen Annäherung an das Thema zunächst Begriffsbestimmungen sowie Stufenmodelle und Qualitätsstandards von Mitbestimmung. Anschließend wird das Handlungsfeld Schule und Unterricht genauer beschrieben, um im darauffolgenden Kapitel die Grundlagen der Mitbestimmung und das Handlungsfeld Schule und Unterricht kombinieren und vertiefen zu können. Auch die betreffenden rechtlichen Grundlagen und Formen der Mitbestimmung in Bezug auf Kinder und Jugendliche werden dabei beleuchtet. Daran anschließend werden die zwei Orientierungsstile Ungewissheitsorientierung und Gewissheitsorientierung erläutert und in Verbindung zu Schule, Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer gebracht. Außerdem werden Auswirkungen von Mitbestimmung in der Schule und die damit einhergehenden Herausforderungen und Grenzen erläutert. Da das Handlungsfeld der Schule grundsätzlich mit dem Bildungsplan und dem Perspektivrahmen Sachunterricht verbunden ist, wird in diesem Kapitel die Verankerung von Mitbestimmung im Bildungsplan und Perspektivrahmen Sachunterricht herausgearbeitet. Darauffolgend wird auf „Service Learning“, eine Lehr- und Lernform, die fachliches Lernen mit gesellschaftlichem Engagement und Demokratielernen verbindet, eingegangen. Des Weiteren wird der bisherige Stand der Forschung veranschaulicht und Studien und deren Ergebnisse präsentiert, welche sich mit der Mitbestimmung von Kindern im Unterricht auseinandergesetzt haben.

Mit dem ersten Kapitel des zweiten Teils beginnt der empirische Teil der vorliegenden Arbeit. In diesem Teil werden die, im Rahmen der Masterarbeit durchgeführten, empirischen Untersuchungen dargestellt, erläutert und interpretiert. Zuerst werden die Ziele und Fragestellungen der Untersuchung vorgestellt. Das zweite Kapitel des empirischen Teils widmet sich dem methodischen Vorgehen der Erhebung und Auswertung der Daten, während im dritten Kapitel die Ergebnisse ausführlich dargelegt und beschrieben werden. Im vierten Kapitel des empirischen Teils sollen die der Untersuchung vorangegangenen Forschungsfragen und Hypothesen beantwortet, diskutiert und im Rahmen einer Schlussbetrachtung zusammengefasst werden. Das fünfte und abschließende Kapitel gibt ein Fazit und einen Ausblick in die Zukunft.

I. Theoretischer Teil

Im theoretischen Teil wird der Titel der Arbeit genauer untersucht. Daraus ergibt sich die folgende Dreiteilung. Zunächst die Mitbestimmung, anschließend das Handlungsfeld Schule und Unterricht und abschließend die Mitbestimmung in Schule und Unterricht. Anhand dessen sollen die theoretischen Grundlagen abgedeckt werden.

1. Mitbestimmung

1.1 Begriffsbestimmung

Zu Beginn der Arbeit werden Begrifflichkeiten geklärt, um im weiteren Verlauf darauf zurückgreifen zu können. Der Begriff der Mitbestimmung umfasst verschiedene Blickwinkel und soll nun anhand verschiedener Definitionen erläutert werden.

In der genauen Begriffsbestimmung bzw. Abgrenzung liegt eine Schwierigkeit, was in unterschiedlicher Literatur zu erkennen ist. Teilhabe, Partizipation, Engagement, demokratisches Handeln, Mitbestimmung, Einmischen – diese Begriffe verweisen auf Formen des Mitmachens und Mitentscheidens in gesellschaftlichen, institutionellen und sozialen Aspekten (vgl. Beutel 2014, S.4). Die Begriffe lassen sich nicht scharf voneinander abgrenzen und haben oftmals in Zielen, Motiven und Schwerpunkten Überlappungen (vgl. ebd., S.7). In der Literatur und im Alltag wird Mitbestimmung oftmals als Synonym zu Partizipation, Beteiligung, Teilnahme, Mitwirkung und Teilhabe verwendet (vgl. Dischler 2017, S. 6; Wagener 2013, S.14). Diese Begriffe bedeuten „die aktive Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen bei der Erledigung der gemeinsamen (politischen) Angelegenheiten bzw. der Mitglieder einer Organisation, einer Gruppe, eines Vereins etc. an den gemeinsamen Angelegenheiten.“ (Schubert, Klein 2011, S.223). Auch das Bundesjugendkuratorium verwendet die aufgeführten Synonyme als Erklärung der Begriffe selbst und meint damit, dass diese sich gegenseitig erklären (vgl. Bundesjugendkuratorium 2009 zitiert nach Wagner 2012, S.16).

Mitbestimmung wird durch den Duden als „das Mitbestimmen, Teilhaben, Beteiligtsein an einem Entscheidungsprozess“ (Duden 2018) definiert. Der Begriff Mitbestimmung wird oftmals in Verbindung mit dem Arbeitsleben und Mitwirkungsrechten verwendet, wie auch im Duden zu erkennen ist (vgl. Duden 2018; Schubert, Klein 2011, S.195). Partizipation hingegen wird häufig mit politischen Prozessen in Beziehung gesetzt (vgl. Wagener 2013, S.15). Wenn die Schule als Arbeitsfeld für Kinder gesehen wird, scheint Mitbestimmung der geeignete Begriff zu sein, um die Einflussmöglichkeiten von Kindern auf ihren Unterricht und die Schule zu beschreiben. Mitbestimmung steht dabei für das freiwillige Mitgestalten und stellt eine Grundlage für eine demokratische Gesellschaft dar und befähigt die Menschen dazu, ihre Vorlieben, Interessen und Meinungen zur Sprache zur bringen und durchzusetzen (vgl. Beutel 2014, S.4).

Müller-Jentsch (2019), dessen Buch im Themengebiet des Arbeitsfelds geschrieben wurde, definiert Mitbestimmung folgendermaßen: „Mitbestimmung bezeichnet grundsätzlich die Mitwirkung und Mitentscheidung jener, deren Arbeits- und Lebensweise durch Entscheidungen anderer beeinflusst werden (können), welche aufgrund formaler Rechts- oder Besitzverhältnisse dazu befugt sind, aber deren Entscheidungsbefugnisse durch die Mitbestimmung der davon Betroffenen ihre Begrenzung finden.“ (Müller-Jentsch 2019, S.1).

Mitbestimmung kann im Unterricht von der Themenwahl bis zur Leistungsbeurteilung eingesetzt werden. Mitbestimmen heißt, die eigene Stimme zu erheben und eine Position einzunehmen (vgl. Beutel 2014, S.6). Posch (2006) verwendet Partizipation und Mitbestimmung als Synonyme, die im schulischen Kontext meinen, dass Kinder und Jugendliche die Möglichkeiten bekommen, an Entscheidungen, die ihr Leben beeinflussen, aktiv mitzuwirken und bestehende bzw. erschaffene Entscheidungsspielräume zu nutzen (vgl. Posch 2006, S.11ff.). Nach dem BMFSFJ (2015) bedeutet Mitbestimmung im Kontext von Kindern und Jugendlichen, dass sie Mitverantwortung bekommen und ihnen ein gleichberechtigtes Stimmrecht eingeräumt wird (vgl. BMFSFJ 2015, S.8).

Um in der nachfolgenden Arbeit auch den Begriff der Demokratie voraussetzen zu können, werden auch hier verschiedene Ansätze erläutert, um sich der Begriffsbestimmung anzunähern. Der Begriff setzt sich aus zwei griechischen Bestandteilen zusammen „demos“ (Volk) und „kratein“ (herrschen). Die eine Definition von Demokratie gibt es nicht. Verschiedene theoretische Ansätze können hierbei unterschieden werden. Als geeigneter Rahmen für die partizipativen Demokratietheorien, die für die Schule von Bedeutung sind, dient das Demokratieverständnis von Dewey (vgl. Baumgardt 2019, S.4). Dewey definiert Demokratie nicht ausschließlich als Staats- und Regierungsform, sondern auch als eine Form von Zusammenleben, die auf Partizipation, gegenseitige Verantwortungsübernahme und gemeinsame demokratische Werte basiert (vgl. Nagy 2018, S.65). Deshalb ist für Dewey eine wichtige Aufgabe der Bildung, die Kinder und Jugendlichen mit Kompetenzen zu befähigen, um eine demokratische Gesellschaft aktiv mitgestalten zu können (vgl. ebd., S.65). Dies gelingt am besten durch praktisches Tun und Reflektieren, um Lernprozesse auf der Grundlage von Erfahrungen weiterzuentwickeln (vgl. ebd., S.65). Himmelmann (2004) unterscheidet drei Formen von Demokratie: Demokratie als Herrschaftsform, Demokratie als Gesellschaftsform und Demokratie als Lebensform (vgl. Himmelmann 2004, S.7f.). Demokratie als Herrschaftsform kommt vermutlich dem am nächsten, was die meisten Menschen mit Politik verbinden. Die Demokratie als Gesellschaftsform beinhaltet vor allem gesellschaftliches Engagement, bei dem das Interesse der Gesellschaft im Vordergrund steht. Demokratie als Lebensform ist die Grundlage für die zwei zuvor genannten Formen. Wenn bei den Menschen keine demokratischen Werte und Prinzipien im alltäglichen Miteinander als Lebensform vorhanden sind, ist Demokratie im Allgemeinen nicht möglich. Demokratie als Lebensform steht für Umgangsformen zwischen Menschen, die von demokratischen Werten und Prinzipien geprägt sind (vgl. ebd., S.7ff.). Für das Handlungsfeld Schule ist vor allem Demokratie als Lebensform bedeutsam und sollte im Unterrichtsgeschehen sowohl von Seiten der Schülerinnen und Schüler und als auch der Lehrerinnen und Lehrer angestrebt werden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Mitbestimmung das Teilnehmen und Mitwirken von Individuen oder Gruppierungen an Beschlüssen, Entwürfen oder dem eigenen Handeln sowohl bereichs- als auch altersunabhängig ist. Das bedeutet, bei Entscheidungen mitzuwirken und damit Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen.

In der nachfolgenden Arbeit wird der Begriff Mitbestimmung verwendet. Diese Verwendung beruht auf den aktuellen Definitionen im Duden (2018) und der von Müller-Jentsch (2019) mit der Begründung, die Schule als Arbeitsfeld der Kinder anzusehen. Zur weiteren, vertiefenden Erläuterung des Begriffs Mitbestimmung dienen die nachfolgenden Stufen und Standards.

1.2 Stufen der Mitbestimmung

Die Stufenmodelle dienen als theoretische Grundlage, um die Begriffsbestimmungen zu erweitern. In der Literatur finden sich eine Vielzahl von Stufenmodellen zur Beteiligung, Mitbestimmung und Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Aus dieser Vielzahl an Modellen zu dieser Thematik wurden nun drei für Kinder und Jugendliche relevante Modelle ausgewählt und werden im Folgenden vorgestellt.

Das erste ausgewählte Modell ist das des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Dieses Modell zeigt eine Dreigliedrigkeit in Beteiligungsstufen auf: „Mitsprache und Mitwirkung“, „Mitbestimmung“ sowie „Selbstbestimmung“. Die Beteiligungsintensität steigert sich von „Mitsprache und Mitwirkung“ bis zur „Selbstbestimmung“. Ebenso verändert sich das Machtverhältnis in gleicher Richtung zugunsten von Kindern- und Jugendlichen, d.h. in der Stufe der „Mitsprache und Mitwirkung“ liegt die Entscheidung dennoch bei den Erwachsenen, die Kinder und Jugendlichen werden lediglich nach ihrer Meinung gefragt. In der Stufe der „Selbstbestimmung“ haben die Kinder und Jugendlichen die alleinige Entscheidungsmacht (vgl. BMFSFJ 2015, S.8). In der Stufe „Mitsprache und Mitwirkung“ haben Kinder und Jugendliche die Chance, ihre Lebenswelt kreativ zu gestalten und haben die Möglichkeit, in die Entscheidungsprozesse der Erwachsenen einbezogenen zu werden. Dennoch sind die Erwachsenen die Entscheidungsträgerinnen und -träger. In der mittleren Stufe „Mitbestimmung“ wird den Kindern und Jugendlichen bei Entscheidungen ein Stimmrecht eingeräumt, das gleichwertig mit dem eines Erwachsenen ist, sie tragen damit Mitverantwortung. In der Stufe „Selbstbestimmung“, der Stufe der höchsten Beteiligungs- und Machtintensität, wird den Kindern und Jugendlichen die komplette Entscheidungsmacht übertragen, sie sind somit eigenverantwortlich (vgl. ebd., S.8).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 - Stufenmodell nach BMFSFJ

In diesem Fall müsste der Titel der Arbeit vermutlich angepasst werden und eher „Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Kindern an der Gestaltung ihres Unterrichts an einem Beispiel aus dem sozialwissenschaftlichen Sachunterricht“ heißen, wenn dabei der höchste Grad an Beteiligung vertreten sein sollte. Da dies nicht möglich ist und unterschiedliche Modelle verschiedene Begrifflichkeiten gebrauchen, wird in der nachfolgenden Arbeit dennoch der Begriff „Mitbestimmung“ verwendet. Dabei stellt sich zudem die Frage, ob eine vollkommene Selbstbestimmung im Unterricht überhaupt möglich ist und ob der Unterricht grundsätzlich in gewissem Maß durch Erwachsene anhand von Lehr- und Bildungsplänen bestimmt ist. Dieses Modell wurde ausgewählt, da es in Bezug auf Kinder und Jugendliche erstellt wurde und somit die Relevanz dieser Arbeit aufgreift.

Das zweite Modell „Stufen der Beteiligung“, das nun vorgestellt wird, wurde von Hart (1992) in den USA und Gernert (1993) in Deutschland entwickelt und zählt mit zu bekanntesten Modellen dieses Themas. Die Beteiligung wird in neun Stufen untergliedert von Fremdbestimmung auf der untersten Stufe bis hin zur Selbstverwaltung auf der obersten Stufe. Dieses Modell unterscheidet echte, vollkommene Bestimmung von diversen Vorstufen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 - Stufenmodell nach Hart (1992) und Gernert (1993)

In der ersten, untersten Stufe, der „Fremdbestimmung“ gibt es keine Möglichkeit der Einflussnahme auf das Angebot, sondern Zielvorstellungen erwachsener Personen sollen umgesetzt werden, ohne dabei genaueres Wissen zu erhalten. In der zweiten Stufe der „Dekoration“ stellen Kinder und Jugendliche dekorative Bestandteile dar, ohne zu wissen, um was es dabei geht. Bei der „Alibi-Teilnahme“ ist der Begriff so gut wie selbsterklärend. Kinder und Jugendliche haben dabei nur augenscheinlich ein Stimmrecht. Die dritte Stufe wird von der vierten Stufe durch einen Querstrich getrennt. Dies grenzt die Nicht-Beteiligungsstufen von den Quasi-Beteiligungsstufen ab. In der vierten Stufe, der „Teilhabe“, haben Kinder und Jugendliche über die Teilnahme hinaus ein sporadisches Engagement. Die nachfolgende Stufe „Zugewiesen, informiert“ stellt beispielsweise ein Projekt dar, organisiert von Erwachsenen, bei dem die Kinder und Jugendlichen darüber gut informiert werden, worum es geht und was sie daran bewirken können. „Mitwirkung“, die sechste Stufe, hier haben die Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit einer indirekten Einflussnahme durch Ideen und eigene Denkweisen, die beispielsweise in Fragebögen geäußert werden können. Die „Mitbestimmung“ bedeutet, dass ein Konzept von Erwachsenen stammt, Kinder und Jugendliche jedoch jegliche Entscheidungen und Umsetzungsschritte gemeinsam mit den Erwachsenen treffen. Kindern und Jugendlichen wird somit ein Beteiligungsrecht zugesprochen. In der Stufe der „Selbstbestimmung“ führen Kinder und Jugendliche ein Projekt aus freiem Willen und eigener Entschlossenheit durch, das von Erwachsenen unterstützt wird. In der obersten Stufe „Selbstverwaltung“ haben Kinder und Jugendliche bzw. eine Gruppe alleinige Entscheidungsfreiheit. Die Entscheidungen werden den Erwachsenen lediglich mitgeteilt (vgl. Schröder 2000, S.12).

Bei den ersten drei Stufen kann man noch nicht von Partizipation sprechen, sie stellen sozusagen eine Nicht-Beteiligung dar (vgl. Dischler 2017, S.7; Schröder 2000, S.12). Die Zwischenstufen (vier bis acht) hingegen repräsentieren Partizipationsformen, welche situationsabhängig sinnvoll für Kinder und Jugendliche erscheinen. Man könnte diese Stufen auch Quasi-Beteiligung nennen, um einen Vergleich mit dem dritten Modell herzustellen. In der obersten Stufe der „Selbstverwaltung“ ist die volle Beteiligung und Partizipation erreicht (vgl. Dischler 2017, S.7). In den obersten drei Stufen kann man bereits von Mitbestimmung und Beteiligung sprechen, in dem Sinne, dass die Zielgruppe selbst Entscheidungen treffen kann. Die Machtverhältnisse sind in diesen drei Stufen ausgeglichen, sodass kein Unterschied zwischen „Entscheider“ und „Betroffener“ besteht (vgl. ebd., S.7). Es gilt für die Zielgruppe und die durchführende Person oder Institution herauszufinden, welche der Formen im jeweiligen Setting geeignet sind. Inwieweit selbstbestimmte Projekte (Stufe 8 und 9) als Beteiligung gewertet werden, hängt von individuellen Maßstäben und der Einschätzung einzelner Projekte ab (vgl. Schröder 2000, S.12). Auch in diesem Modell ist „Mitbestimmung“ nicht die oberste Stufe. Es ist jedoch der höchste Grad an Beteiligung, wenn man die selbstbestimmten Projekte der oberen beiden Stufen abzieht. Da der Unterricht nicht vollkommen selbstbestimmt ist, weil er im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht stattfindet, ist vermutlich für den Unterricht „Mitbestimmung“ die höchste Stufe, bei der jegliche Entscheidungen von Kindern und Jugendlichen innerhalb dieses Rahmens selbst getroffen werden.

Beim dritten Modell von Kriener und Petersen (1999) ist eine Dreiteilung vorgenommen worden. Sie gliedern den Befähigungs- und Aktivierungsprozess der Adressaten in folgende Ebenen. Das Modell von Arnstein (1969) diente als Grundlage für dieses Stufenmodell.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 - Stufenmodell Kriener und Petersen (1999)

Diese drei Stufen sollen im Folgenden in Bezug auf Kinder und Jugendliche dargestellt werden.

1. Stufe: Nicht-Beteiligung

In der ersten Stufe, bildlich gesehen in der untersten Stufe, hat die Fachkraft, meist die erwachsene Person, die alleinige Entscheidungsmacht. Kinder und Jugendliche haben keine Möglichkeiten, darauf Einfluss zu nehmen (vgl. Petersen 2002, S.913).

2. Stufe: Quasi-Beteiligung

In der Stufe der Quasi-Beteiligung haben Kinder und Jugendliche die Chance, Wünsche und Interessen zu äußern, die bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Die Machtstruktur bleibt jedoch erhalten, sodass die Fachkraft immer noch die Entscheidungsmacht innehat und Kinder und Jugendliche nicht mitentscheiden oder Entscheidungen revidieren können (vgl. ebd., S.913).

3. Stufe: Beteiligung/ Partizipation

In der obersten Stufe „Beteiligung und Partizipation“ verlagert sich die Entscheidungsmacht, sodass Kinder und Jugendliche eigene Entscheidungen treffen oder Entscheidungen revidieren können und damit gleichberechtigt sind. Diese Stufe stellt das höchstmögliche Niveau an Beteiligung dar. Dabei kommt es zu einer Machtverlagerung (vgl. ebd., S.913). „ Partizipation bedeutet mitzuentscheiden und Entscheidungen auch wieder revidieren zu können“ (ebd., S. 913).

Bei diesem Modell betrifft Mitbestimmung das Verhältnis der Akteure zueinander und die Verteilung der Entscheidungsmacht. Dabei sollen nach oben hin die ungleichen Machtverhältnisse relativiert werden. Solange diese Entscheidungsmacht akzeptiert wird, ist diese nicht sichtbar, erst wenn dabei Differenzen bzw. Aushandlungsprozesse auftreten, wird sie erkennbar (vgl. ebd., S.912).

Nach der genaueren Betrachtung der Modelle lässt sich die Vielzahl an Modellen grundsätzlich in zwei Arten unterscheiden. Bei der einen Art von Modellen entscheidet der Grad an Selbstbestimmung und Selbstorganisation die entsprechende Stufe, beginnend meist mit „Nicht-Beteiligungsformen“. Darauf folgen Begriffe wie Teilnahme, Teilhabe, Mitwirkung, Mitbestimmung, Mitarbeit in unterschiedlichen Verwendungs- und Anordnungsweisen (vgl. Eikel 2007, S.20). Bei der anderen Form der Modelle entscheidet das Verhältnis zwischen Personen und Personengruppen in Entscheidungsprozessen die entsprechende Stufe. Dabei ist der Grad der Entscheidungsmacht ausschlaggebend (vgl. ebd., S.20). Das erste und das dritte Modell lassen sich der Form, in der die Verhältnisse zwischen den Personen und Personengruppen ausschlaggebend sind, zuordnen. Das zweite Modell dagegen gehört zur erstgenannten Form, bei dem der Grad der Selbstbestimmung oder Selbstorganisation entscheidend für die jeweilige Stufe ist. Wobei sich die Frage stellt, ob diese trennscharf zu unterscheiden sind, denn auch im zweiten Modell sind die Machtverhältnisse zwischen den Personen zu beachten.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es bei den jeweiligen Modellen keine Stufe gibt, die man als absolut richtig bezeichnen könnte. Zwar wäre es wünschenswert, immer so viel Mitbestimmung wie möglich zu realisieren, doch welche Stufe angemessen ist, hängt von den Beteiligten und den Rahmenbedingungen ab. Ebenso ist zu diesen Modellen anzumerken, dass sie auch unter einem kritischen Blick zu betrachten sind. In Bezug auf den Alltag kann anhand der Stufenmodelle die Beteiligungsebene festgestellt werden, in der man sich momentan befindet, was für Projektplanungen etc. herangezogen werden kann. Dennoch stellt sich dabei die Frage, ob sich dies im Alltag in neuen Situationen in dieser Weise einteilen und umsetzen lässt.

1.3 Qualitätsstandards von Mitbestimmung durch Kinder und Jugendliche

„Beteiligung darf nicht beliebig sein, wenn sie Kinder und Jugendliche und ihre Anliegen ernst nimmt.“ (BMFSFJ 2015, S.6). Mitbestimmung und Partizipation unterliegen einigen wichtigen Qualitätskriterien, die eingehalten werden sollten, um eine positive und ernst genommene Beteiligung zu gewähren. Im Folgenden werden diese Qualitätskriterien werden erläutert. Sie wurden vom Nationalen Aktionsplan (NAP), einem eingerichteten Arbeitskreis von Expertinnen und Experten, die sich mit der Qualität von Beteiligungsprozessen beschäftigen, erstellt (vgl. ebd., S.6).

Da das BMFSFJ den Begriff Mitbestimmung anders als in der vorliegenden Arbeit verwendet, wird in diesem Kapitel der Begriff der Beteiligung, analog des BMFSFJ, verwendet, um Unklarheiten und Verwirrung zu vermeiden.

Qualität in der Beteiligung setzt sich aus verschiedenen Dimensionen zusammen: Dazu zählen die Zielsetzungen und Umsetzungsstrategien (Konzeptqualität), die Gestaltung der Interaktion zwischen den Beteiligten (Prozessqualität), die Rahmenbedingungen (Strukturqualität) sowie der Umgang mit den Ergebnissen (Ergebnisqualität) und die Ermöglichung von persönlichem Zugewinn (Zugewinnqualität) (vgl. BMFSFJ 2015, S. 8f.). Die 14 allgemeingeltenden Qualitätsstandards für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen des BMFSFJ werden im Folgenden einzeln aufgezählt. Alternativ könnte man diese zusammenfassen, doch jedes der einzelnen Qualitätsstandards ist wichtig für den Einsatz von Mitbestimmungs- und Beteiligungsmöglichkeit und somit auch für die Gestaltung des Unterrichts. Auch Arzt (2003) entwickelte Kriterien, um positive Mitbestimmung gelingen zu lassen, die in großen Teilen denen, der BMFSFJ entsprechen.

1. Beteiligung ist gewollt und wird unterstützt – Eine Partizipationskultur entsteht.
2. Beteiligung ist für alle Kinder und Jugendliche möglich.
3. Die Ziele und Entscheidungen sind transparent – von Anfang an.
4. Es gibt Klarheit über Entscheidungsspielräume.
5. Die Informationen sind verständlich und die Kommunikation ist gleichberechtigt.
6. Kinder und Jugendliche wählen für sie relevante Themen aus.
7. Die Methoden sind attraktiv und zielgruppenorientiert.
8. Es werden ausreichende Ressourcen zur Stärkung der Selbstorganisationsfähigkeit zur Verfügung gestellt.
9. Die Ergebnisse werden zeitnah umgesetzt.
10. Es werden Netzwerke für Beteiligung aufgebaut.
11. Die Beteiligten werden für Partizipation qualifiziert.
12. Partizipationsprozesse werden so gestaltet, dass sie persönlichen Zugewinn ermöglichen.
13. Das Engagement wird durch Anerkennung gestärkt.
14. Partizipation wird evaluiert und dokumentiert (BMFSFJ 2015, S.10ff.).

Auch der UN-Ausschuss formulierte Anforderungen an die Mitbestimmungsprozesse. Die Mitbestimmungsprozesse müssen transparent und informativ für die Kinder sein. Es ist wichtig, dass diese Mitbestimmungsmöglichkeiten auf freiwilliger Basis stattfinden und mit Respekt behandelt werden. Die Themen, zu denen Kinder ein Recht der Mitbestimmung haben, sollten eine Lebensbedeutung für die Kinder haben und an die Fähigkeiten der Kinder angepasst sein, damit sie Wissen und Fertigkeiten besitzen, auf die sie bei der Meinungsäußerung zurückgreifen können. Alle Kinder müssen gleichberechtigt einbezogen werden, unabhängig von Geschlecht, Herkunft usw. Die Mitbestimmung braucht Unterstützung durch Bildungsmaßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung, um einen wirkungsvollen und sicheren Verlauf zu gewährleisten. Zuletzt ist es wichtig, dass die Kinder Informationen darüber erhalten, wofür ihre Meinungen und Aussagen genutzt werden (vgl. Maywald 2016, S.27f.).

2. Handlungsfeld Schule/ Unterricht

„Schule ist ein entscheidender Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen.“ (BMFSFJ 2015, S.22). Ebenso ist Schule Teil unserer Gesellschaft. Genau deshalb ist es besonders wichtig, auch in diesem Handlungsfeld mitbestimmungsorientiert zu arbeiten. In diesem Abschnitt geht es um das Handlungsfeld Schule und Unterricht. Dieses Handlungsfeld muss genauer erläutert werden, um anschließend in Punkt 3 auf die Mitbestimmung in Schule und Unterricht einzugehen zu können. Zunächst sollte dabei am grundsätzlichen Sinn und Zweck der Schule angesetzt werden.

Schule im Allgemeinen zielt darauf ab, Wissen aus verschiedenen Bereichen zu vermitteln, das als Allgemeinbildung bezeichnet wird. Die Schülerinnen und Schüler sollen dazu befähigt werden, mit dem gelernten Wissen umzugehen, dieses aufzunehmen, zu organisieren, zu reflektieren und anzuwenden (vgl. Tetens 2013, S.13). Außerdem ist es Aufgabe der Schule, Werthaltungen und Normen der Gesellschaft weiterzugeben, z.B. Pünktlichkeit und Regeltreue, was man auch als erzieherische Dimension bezeichnen kann. Diese Aufgabe ist für die Schule verpflichtend, da sie eine Einrichtung des Staates ist. Deshalb muss die Schule die Bildungspläne des jeweiligen Bundeslandes befolgen, um die vorgesehenen, für die Gesellschaft notwendigen Qualifikationen den Schülerinnen und Schüler zu vermitteln (vgl. Tillmann 2014, S.85).

Jeder Mensch hat ein Recht auf Bildung und ein Recht auf Schule. Dies ist in Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention festgehalten. Alle Kinder in Deutschland werden mit Vollendung des 6. Lebensjahrs schulpflichtig (vgl. UN-Kinderrechtskonvention o.J.). Für Schülerinnen und Schüler gilt eine gesetzliche Schulpflicht und im gleichen Zug für Lehrende die Verpflichtungen ihres Arbeits- und Dienstverhältnisses (vgl. Tillmann 2014, S.84).

Die Schule hat den Auftrag, sinnvolles bzw. als notwendig erachtetes Wissen, Techniken und Traditionen zu lehren zusätzlich zur natürlichen Wertevermittlung in Familie und im Umfeld, da irgendwann das Vorbildlernen nicht mehr gewährleistet werden kann und dies deshalb durch die Schule als institutionelle Vermittlung sichergestellt wird. Dieser Vermittlungsauftrag der Schule ist im Kern gesellschaftlich bestimmt bzw. ausgehandelt, was zur gesellschaftlichen Reproduktion und Entwicklung beitragen soll (vgl. Oevermann 1996 zitiert nach Tetens 2013, S.11; Tetens 2013, S.11). Auch im baden-württembergischen Schulgesetz ist festgehalten, dass jeder Mensch, ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage, ein Recht darauf hat, eine der Begabung entsprechenden Erziehung und Beschulung zu bekommen (vgl. Sliwka 2008, S.13f.).

Darüber hinaus, so zitiert Tetens (2013) Oevermann (1996), ist es Aufgabe der Schule und zugleich gesellschaftliches Interesse, die Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern zu bilden, d.h. zu Menschen, die befähigt sind „zur selbstverantwortlichen Verfolgung des Eigeninteresses unter der Bedingung der Achtung des anderen in seiner Eigenart und Würde einerseits und der Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl anderseits.“ (Oevermann 1996 zitiert nach Tetens 2013, S.11). Daran lässt sich Klafkis viel diskutiertes Bildungsverständnis anschließen, der Bildung als die „Fähigkeit des Menschen zu Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität“ (Klafki 1996 zitiert nach Tetens 2013, S.11) beschreibt. Aus Klafkis Bildungsverständnis lässt sich der Übergang zur Mitbestimmung herstellen. Daran ist zu erkennen, welche Bedeutung Mitbestimmung in der Schule beigemessen wird.

3. Mitbestimmung in der Schule/ im Unterricht

Die Kinder und Jugendlichen sollen zur Demokratie erzogen werden und die dafür erforderlichen Kompetenzen erwerben, die in schulgesetzlichen Regelungen und Lehr- und Bildungsplänen festgehalten sind. Zeitgleich entsteht aber auch ein Spannungsfeld zwischen Beurteilung, Aufsichtspflicht und Mitbestimmung, was eine besondere Herausforderung im Schulalltag mit sich bringt (vgl. BMFSFJ 2015, S.20). Da lediglich 60 Prozent der Lehr- und Bildungspläne festgelegt sind, sollte sich genug Raum und Zeit finden lassen, um Mitbestimmung in den Unterricht zu integrieren (vgl. ebd., S.23).

In der Schule finden sich alle Kinder und Jugendlichen ein und genau deshalb ist die Schulpflicht eine große Chance für Mitbestimmungsprozesse (vgl. ebd., S.22). Die Grundschule ist ein Ort, an dem verschiedene Akteure wie Lehrerinnen und Lehrer, Kinder, pädagogische Fachkräfte und Verwaltungsmitarbeiter viel Zeit gemeinsam verbringen (vgl. Baumgardt 2019, S.5). Wichtig ist aber, dass Schülerinnen und Schüler nicht nur in Projekten zu Wort kommen, sondern auch im alltäglichen Regelunterricht, das heißt, dass sie in die grundsätzliche Gestaltung und Umsetzung des Unterrichts einbezogen werden (Gebhard, Student 2019, S.30). „Partizipation ist ein Schlüssel für gelingende Aneignungs- und Bildungsprozesse.“ (BMFSFJ 2015, S.7). Durch das Einbinden von Kindern und Jugendlichen in politische und institutionelle Geschehen, können sie Erfahrungen sammeln, die ihnen vielfältige Handlungs- und Lernfelder ermöglichen. Dadurch wird ihr Wissens- und Handlungsrepertoire erweitert.

Die Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule und im Unterricht zielen darauf ab, Entscheidungsräume für die Schülerinnen und Schüler zu öffnen und dadurch die Entscheidungsmacht zugunsten der Lernenden zu verschieben (vgl. ebd., S.7). Ziel der Bildung in der Grundschule ist es, die Schülerinnen und Schüler zur Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität zu befähigen (vgl. Baumgardt 2019, S.4).

Eine wichtige Aufgabe der Schule ist es, die Kinder zu selbstständigen, verantwortungsbewussten und gemeinwohlorientierten Persönlichkeiten zu erziehen. Die Schule hat dabei den Auftrag, Wertvorstellungen von Kindern und Jugendlichen auszubilden und weiterzuentwickeln, sowie die Fähigkeit zu fördern, diese kritisch hinterfragen zu können. Die Aufgabe der Schule ist es dabei, Möglichkeiten und Räume dafür zu schaffen (vgl. Nagy 2018, S.94f.).

Edelstein (2009) stellt vier Module vor, in denen Mitbestimmung in Bezug auf die Schule umgesetzt werden kann: der Unterricht, Projekte, die Schulinnenpolitik und die Schulaußenpolitik. Der Unterricht wird dabei nicht nur als didaktischer Prozess angesehen, sondern auch als Ort für Aushandlungs- und Mitbestimmungsprozesse. Dies ist fundiert durch die verpflichtenden Kinderrechte und Qualitätsstandards. Die Projekte können ebenfalls im Unterricht oder auch in anderen Organisationen und Institutionen durchgeführt werden. Oftmals finden sie auch innerhalb Kooperationen statt. Vorrangig geht es hierbei aber um Prozesse der Gestaltung und Inhalte demokratischen Handelns. In der Schulinnenpolitik wird demokratisches Handeln innerhalb der Schule umgesetzt, beispielsweise wäre der Klassenrat eine Form, die Schule partizipativ zu gestalten. Mit Schulaußenpolitik hingegen ist die Öffnung der Schule zur Gemeinde oder zur Gesellschaft gemeint. Dabei geht es meist um am Gemeinwesen orientierte Vorhaben, die den Schülerinnen und Schüler die Struktur kommunaler Probleme und demokratischen Handelns nahebringen (vgl. Edelstein 2009, S.12f.). Die vorliegende Arbeit bezieht sich vor allem auf Entscheidungs- und Mitbestimmungsprozesse im Unterricht, so auch die Untersuchung im zweiten Teil. Aus diesem Grund werden die anderen Module an dieser Stelle nur genannt und nachfolgend nicht weiter berücksichtigt.

3.1 Rechtliche Grundlagen

„Erziehung zur Demokratie und der Erwerb der dafür erforderlichen fachlichen, personellen und sozialen Kompetenzen sind wesentliche Ziele von Schule und in schulgesetzlichen Regelungen und Lehrplänen manifestiert.“ (BMFSFJ 2015, S.20).

Die gesetzliche Grundlage der Belange von Kindern und Jugendlichen hat sich in den vergangenen Jahren stark zum Positiven geändert und befindet sich stets im Wandel. „Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Beteiligung und Mitgestaltung“ (ebd., S.7). Dieses Recht gehört zur Grundlage unserer Demokratie und wurde in den letzten Jahren in vielfältigen internationalen und nationalen Gesetzestexten festgeschrieben. Dazu zählen die UN-Kinderrechtskonvention, das Bürgerliche Gesetzbuch, das Baugesetz und das Kinder- und Jugendhilfegesetz (vgl. ebd., S7).

Die UN-Kinderrechtskonvention, die von der Bundesrepublik 1992 in Kraft gesetzt wurde, zunächst mit Vorbehalten, umfasst weitgehende Grundrechte für Kinder, worunter sich auch die Mitbestimmung findet. Seit dem 15. Juli 2010 ist die UN-Kinderrechtskonvention für alle in Deutschland lebenden Kinder ohne Vorbehaltserklärungen gültig (vgl. BMFSFJ 2018, S.3; Petersen 2002, S.914). Die UN-Kinderrechtskonvention wurde am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und trat erstmals 1990 in einem Mitgliedsland in Kraft. Sie ist eine Abkürzung für das „Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Convention on the Rights of the Child, CRC) und ist das wichtigste internationale Menschenrechtsinstrumentarium für Kinder.“ (UN-Kinderrechtskonvention o.J.). Durch die Ratifizierung hat sich Deutschland verpflichtet, die Kinderrechte umzusetzen und damit auch im Bildungsbereich zu realisieren (vgl. Gebhard, Student 2019, S.27). Die CRC strebt den Schutz der Menschenrechte an und sichert die sozialen, kulturellen und politischen Rechte der Kinder anhand von 54 Artikeln. Als Vorgänger dieser Konvention gelten die Genfer Erklärung über die Rechte des Kindes (1924), die allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) und die UN-Deklaration über die Rechte des Kindes (1959). Weltweit setzten mittlerweile bereits 192 Staaten die Konvention in Kraft (vgl. BMFSFJ 2018, S.35). Das Übereinkommen beinhaltet drei Arten von Rechten: Versorgungsrechte, Schutzrechte und Beteiligungsrechte (vgl. UNICEF 1999 zitiert nach Stange, Zastrow o.J., S.4). Die Mitbestimmung, bzw. hier Beteiligung, von Kindern und Jugendlichen wird im Rahmen der CRC in fünf Artikeln aufgegriffen. Außerdem ist der Artikel 28 der CRC von wichtiger Bedeutung, der das allgemeine Recht auf Bildung und Schule gewährleistet.

Besonders Artikel 12 der CRC ist in Bezug auf Mitbestimmung bedeutend. Darin wird festgehalten, dass den Kindern und Jugendlichen zugesichert wird, eine eigene Meinung zu bilden und äußern zu dürfen, die dann auch berücksichtigt wird (vgl. Stange, Zastrow o.J., S.4; UN-Kinderrechtskonvention o.J.; Gebhard, Student 2019, S.28; Dischler 2017, S.5). Artikel 13 beschäftigt sich mit der Meinungsfreiheit des Kindes. Er sichert Kindern das Recht zu, ihre Meinung frei zu äußern und sich dafür jegliche Art von Informationen zu beschaffen, solange sie die Rechte anderer nicht verletzen (vgl. Stange, Zastrow o.J., S.5; BMFSFJ 2018, S.15). Anhand des Artikels 31 wird die Teilhabe und der Zugang zu Freizeitaktivitäten, kulturellem Leben und das Recht auf Ruhe gesichert (vgl. Stange, Zastrow o.J., S.33; BMFSFJ 2018, S.23). Weitere Mitbestimmungsrechte sind in Artikel 14 und 15 festgehalten, die die Autonomie von Gedanken, Gewissensfragen und Religionsbekenntnis und das Recht auf Vereinigungen zu Kinder- und Jugendorganisationen betreffen (vgl. Stange, Zastrow o.J., S.32f., S.5; BMFSFJ 2018, S.16).

Ebenso wichtig für die Rechte der Kinder ist der Nationale Aktionsplan (NAP) „Für ein kindergerechtes Deutschland“. Der NAP entwickelt Maßnahmen, um die Rechte der Kinder und Jugendlichen zu sichern und zu stärken. Am Weltkindergipfel 2002 in New York nahm der NAP teil. Dort wurde vereinbart, dass alle Staaten der Vereinten Nationen, einen auf ihre Nation angepassten Plan zur Realisierung der Kinderrechte ausführen und umsetzen (vgl. BMFSFJ 2006, S.1). In sechs Themenfeldern sollten 170 Maßnahmen umgesetzt werden. Eines der Handlungsfelder ist die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen und deren Recht, in Familie, Umfeld und Institutionen mitzubestimmen. Der NAP schlägt zu diesem Zeitpunkt (2006) das Entwickeln von Qualitätsstandards vor, um eine positive und verstärkte Beteiligung umzusetzen zu können (vgl. ebd., S.1). In 1.3. dieser Arbeit wird deutlich, dass diese Maßnahme zur Erstellung von Qualitätsstandards realisiert wurde.

Auch die Kultusministerinnen und -minister aller Bundesländer (KMK) fokussieren die Demokratieerziehung immer mehr und wollen damit eine Ausweitung der Mitbestimmung von Schülerinnen und Schüler erreichen (vgl. BMFSFJ 2015, S.20).

Im weiteren Sinn ist auch im baden-württembergischen Schulgesetz Demokratie und Mitbestimmung verankert. Darin ist beschrieben, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung aus dem Grundgesetz und der Landesverfassung nicht in Frage gestellt werden darf. Ebenso ist die Vorbereitung auf die der Schülerinnen und Schüler umgebenden Gesellschaft und Gemeinschaft im Schulgesetz von Baden-Württemberg festgehalten (vgl. Sliwka 2008, S.14). Im Schulgesetz (§49) ist auch geschrieben, dass die Schülerinnen und Schüler ein Recht auf Anhörung bei der Leistungsbewertung haben (vgl. Schmidt 2001, S.27).

3.2 Ungewissheits- und Gewissheitsorientierung

„Kein Begriff der Handlung und keine gesellschaftliche Praxis kann ohne Kontingenz, d.h. ohne die Erfahrung von Offenheit und Ungewissheit gedacht werden.“ (Paseka et al. 2018, S.1). Deshalb sind die Ungewissheits- und Gewissheitsorientierung wichtige Komponenten bezüglich der Handlungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule. Um den Unterricht mitbestimmungsorientiert zu gestalten, muss die jeweilige Person darauf ausgerichtet sein, sich mit neuen Erfahrungen, veränderten Lebensumständen und mit neuem Wissen auseinandersetzen zu wollen. Die Ungewissheits- und Gewissheitsorientierung werden aufgrund des Handlungsfelds Schule auf die Schule bezogen und anschließend in Verbindung zur Mitbestimmung gesetzt. Es soll aufgezeigt werden, dass dem Orientierungsstil einer Person, unabhängig ob Schülerinnen und Schüler oder Lehrerinnen und Lehrer, eine wesentliche Bedeutung für die Gestaltung von Unterricht zukommt. Der große Umfang dieses Kapitels zeigt die hohe Bedeutung für diese Arbeit. Im empirischen Teil der Arbeit wird auf diese Grundlagen aufgebaut.

Im einleitenden Zitat zu diesem Kapitel wird der Begriff Kontingenz erwähnt. Paseka et al. (2018) gebrauchen diesen als Synonym für Ungewissheit. Nachfolgend wird deshalb weiterhin der Begriff Ungewissheit verwendet.

Die Ansätze der Ungewissheits- und Gewissheitsorientierung erschienen erstmals im Aufsatz von Sorrentino, Short und Raynor (1984), die die Theorie der Leistungsmotivation von Atkinson kritisierten (vgl. Huber, Roth 1999, S.20; Schmidt 1997, S.21). Im Vergleich zu Atkinson wird nicht die Aufgabenschwierigkeit als relevante Handlungsdimension gesehen, sondern die Bedeutsamkeit der Gewissheit des Ergebnisses und ob sich die Person durch die Ungewissheit des Moments leiten lässt (vgl. Schmidt 1997, S. 21). Diese Orientierungsstile beeinflussen das Verhalten und die Entscheidungen einer Person wesentlich und sind unabhängig von Intelligenz oder anderen Fähigkeiten eines Menschen (vgl. Martinek 2007, S.17). Sorrentino und seine Mitarbeiter stellten in einem Versuch, wie Personen auf neue Informationen reagieren, zwei Orientierungsstile fest: 1. Sie reagieren offen und sehen darin eine Möglichkeit, Neues zu lernen (Ungewissheitsorientierung), 2. Die Personen befürchten den Verlust der Gewissheit (Gewissheitsorientierung) (vgl. Sorrentino, Roney 1999 zitiert nach Martinek 2007, S.18). Dennoch streben alle Menschen danach, die Ungewissheit zu vermindern, zu strukturieren bzw. zu verstehen (u.a. vgl. Huber, Roth 1999, S.11; Kagan 1972 zitiert nach Schmidt 1997, S.21; Gruschka 2018, S.19f.). Zu dieser These gibt es jedoch auch eine Gegenposition von Sorrentino und Hewitt (1984), die eine weitere Studie durchführten, die dieses Resultat in Frage stellt. Sie kamen dabei zu dem Ergebnis, dass nur ungewissheitsorientierte Personen stets daran interessiert sind, Ungewissheiten zu verstehen und zu lösen. Gewissheitsorientierte Personen hingegen zeigten dabei keine Motivation (vgl. Sorrentino und Hewitt 1984 zitiert nach Schmidt 1997, S.22).

Orientierungsstile entwickeln sich während der Entwicklung eines Menschen und werden sozial vermittelt. Da das Konzept der Orientierungsstile noch relativ jung ist, gibt es noch einige offene Fragen diesbezüglich (vgl. Huber, Roth 1999, S.96ff.).

3.2.1 Ungewissheitsorientierung

„Ohne Ungewissheit keine Bildungsprozesse“ (Gruschka 2018, S.15). Diese Aussage von Gruschka soll zeigen, dass Ungewissheit der zentrale Kern für gehaltvolle Lern-, Bildungs- und Erziehungsprozesse ist.

In diesem Kapitel soll der Orientierungsstil der Ungewissheit genauer erläutert werden, um dies anschließend auf die Schule und Mitbestimmung beziehen zu können. Wobei zunächst noch eine genauere Bestimmung ungewisser Situationen vorangestellt werden muss.

„Unter ungewissen Situationen werden solche, die mehrdeutig, komplex, unlösbar und/oder neu sind (Bundner 1962) oder wenn ungenügend Informationen über den weiteren Verlauf der Situation vorliegen (Dalbert 1999a) zusammengefasst“ (König 2003, S.10). In Bezug auf den Umgang mit solchen Unsicherheiten bedeutet dies nun für den Orientierungsstil, dass „das Konzept der Ungewissheitsorientierung […] den unterschiedlichen Umgang von Menschen mit Situationen, in denen Unklarheit besteht“ (König 2003, S.10) beschreibt. In ungewissen Situationen gibt es keine objektiven Kriterien, um die Auswirkungen des Handelns abschätzen zu können (Huber, Roth 1999, S.11f.). Im Umgang mit Ungewissheit zeigen Menschen intraindividuelle Unterschiede, womit sich das Konzept des Orientierungsstils befasst, das hauptsächlich Sorrentino prägte (vgl. Martinek 2007, S.17).

Ungewissheitsorientierte Personen präferieren Situationen mit offenem Ausgang, um Neues zu erfahren und sich mit der Meinung anderer auseinanderzusetzen (vgl. Schmidt 1997, S.20; Martinek 2007, S.18). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nach Situationen streben, in denen neue Informationen stecken, wodurch sie in Bezug auf ihre eigenen Fähigkeiten, Einstellungen und das eigene Wissen, die Ungewissheit verringern können, motiviert durch einen „Erkenntnisdrang“ (Martinek 2007, S.18). Sie haben das Bedürfnis, ihr Wissen neu zu ordnen und zu erweitern. Dabei wollen sie die unbekannte Situation und auch sich selbst verstehen (vgl. ebd., S.18).

3.2.2 Gewissheitsorientierung

Dieses Kapitel beinhaltet den Orientierungsstil der Gewissheit und wie dieser sich äußert.

Im Gegensatz zu ungewissheitsorientierten Personen neigen gewissheitsorientierte Personen eher dazu, sich in klar strukturierten Situationen zu bewegen und ihr Wissen und ihre Erfahrungen in Bezug auf ihre Umwelt stabil zu halten, um die Situationen unter Kontrolle zu haben (vgl. Schmidt 1997, S.20; Martinek 2007, S.19). Sie versuchen stets, ungewisse Situationen zu meiden. Dies bedeutet nicht, dass sie keine neuen Informationen aufnehmen wollen, sondern sie bevorzugen lediglich Situationen mit Klarheit. Gewissheitsorientierte Personen fühlen sich wohl, wenn sie mit der Umgebung und Situation vertraut sind und diese ihnen Gewissheit vermittelt. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie veränderte, neue Situationen versuchen zu lösen durch bestehende Gewohnheiten, um Ungewissheiten zu vermeiden und die Situation zu strukturieren und einzugliedern (vgl. Martinek 2007, S.19). Gewissheitsorientierte Personen zeigen deutlich mehr Engagement und Bereitschaft, umso mehr Bestätigung sie in Bezug auf sich selbst bekommen (vgl. ebd., S.19).

3.2.3 Ungewissheit- und Gewissheitsorientierung in Bezug auf das Handlungsfeld Schule und Unterricht

Ziel dieses Kapitels ist es aufzuzeigen, wie die jeweiligen Orientierungsstile das Verhalten von Schülerinnen und Schülern beeinflussen und welche Voraussetzungen und Möglichkeiten dies für den Unterricht bietet. Außerdem werden die Orientierungsstile in Verbindung mit Lehrerinnen und Lehrer gebracht und untersucht, wie sich der Orientierungsstil auf die Planung und Durchführung von Unterricht auswirkt und welche Konsequenzen sich dabei für die Schülerinnen und Schüler ergeben. Dabei soll deutlich werden, warum die Orientierungsstile in dieser Arbeit und für das Thema Mitbestimmung eine solch wichtige Bedeutung haben.

Ungewissheitsorientierung und Gewissheitsorientierung sind in Bezug auf Mitbestimmungsmöglichkeiten im Unterricht in der Literatur noch relativ unerwähnt. Deshalb wird versucht, auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen, Rückschlüsse auf die Mitbestimmung zu ziehen. Man könnte meinen, dass es im Schulalltag eigentlich keine ungewissen Situationen gibt, da Schule immer nach dem gleichen Prinzip abläuft. Die Lehrperson ist dazu da, den Schülerinnen und Schülern Wissen zu vermitteln. Grundsätzlich ist dabei nichts Ungewisses zu erkennen. Wenn man das Lernen allerdings etwas näher betrachtet, stellt man fest, dass es auch hier viele ungewisse Aspekte gibt.

Im Unterricht hat man, besonderes als Lehrperson, die Aufgabe, mit vielen Ungewissheiten zurecht zu kommen, z.B. Was denken die Schülerinnen und Schüler? Werde ich mein Programm in der gegebenen Zeit durchführen können? Welche Schülerinnen und Schüler kommen zum Ziel? Diese Offenheit der Fragen kann schnell auch als Belastung empfunden werden und kann nur dann positiv genutzt werden, wenn auf produktive Kommunikation mit den Schülerinnen und Schüler gleichsam aufgebaut und ein nicht erwarteter Verlauf als belebend empfunden wird (vgl. Gruschka 2018, S.18). Dennoch ist, wie bereits erwähnt, die Reduktion und Strukturierung von Ungewissheit oder noch besser, das Einlassen auf die Situation und Nutzen des Potenzials, die Lösung, um mit Ungewissheit umzugehen. Dies gilt auch für pädagogisches Handeln (vgl. ebd., S.19f.).

In Bezug auf die Definitionen von Ungewissheits- und Gewissheitsorientierung lässt sich darauf schließen, dass ungewissheitsorientierte Lerner danach streben, neue Lösungswege und kreative Alternativen zu finden.

Besonders von Bedeutung für den Unterricht und diese Arbeit ist, wie Martinek (2007) darstellt, dass ungewissheitsorientierte Personen besser arbeiten, wenn die persönliche Relevanz und Abhängigkeit des Inhalts bzw. der Situation hoch sind. Dies zeigt, dass ungewissheitsorientierte Personen selbstbezogen handeln. Außerdem können sie besser mit Belastungssituationen umgehen bzw. Situationen mit Unklarheiten eher bewältigen als gewissheitsorientierte Personen (vgl. Martinek 2007, S.19). Dalbert (1995) zeigt in Studien, dass ungewissheitsorientierte Personen Situationen von hoher Belastung aktiv lösend gegenübertreten und Differenzen durch positive Umbewertungen auflösen (vgl. Dalbert 1995 zitiert nach Schmidt 1997, S.24). Im Gegensatz dazu versuchen gewissheitsorientierte Personen in Situationen mit hoher persönlicher Relevanz, diese Situationen schnell und oberflächlich zu bewältigen. Im Vergleich zu ungewissheitsorientierten Personen weisen gewissheitsorientierte Personen unter Belastung deutlich schlechtere physische Zustände auf und können mit der Belastung nicht so gut umgehen (vgl. Martinek 2007, S.20). Dies gilt sowohl für Lehrende als auch für Lernende.

Im Bezug auf Lehrerinnen und Lehrer konnten Huber und Roth (1999) zeigen, dass sich die Lehr- und Lernorganisation der Lehrkräfte je nach Orientierungsstil unterscheiden. Gewissheitsorientierte Lehrerinnen und Lehrer verhalten sich stark strukturiert in ihrem Unterricht und schaffen somit von gewissheitsorientierten Lernenden bevorzugte Lernsituationen. Diese Lehrformen sind eher direkt und lehrerzentriert. Ungewissheitsorientierte Lehrkräfte hingegen gestalten ihren Unterricht vielmehr entgegenkommend für ungewissheitsorientierte Lernende und geben beispielsweise mehr Raum für sozialen Austausch (vgl. Huber, Roth 1999, S.34ff., 86ff.). Es kann also festgehalten werden, dass ungewissheitsorientierte Lehrpersonen im Großen und Ganzen bestrebt sind, einen offenen und schülerzentrierten Unterricht zu konzipieren, aber gleichzeitig in der Lage sind, flexibel auf die Klasse und deren Voraussetzungen zu reagieren.

Dabei gehen kooperative Lernformen meistens mit einem hohen Grad an Ungewissheit einher, da die Schülerinnen und Schüler für den Lernprozess eigenverantwortlich sind und ein sozialer Austausch mit verschiedenen Meinungen, Vorschlägen und Kenntnissen unabdingbar, aber ebenso auch erwünscht ist (vgl. Martinek 2007, S.46). Huber und Roth konnten unter anderem in Studien zeigen, dass gewissheitsorientierte Schülerinnen und Schüler an kooperativen Lernformen nicht nur weniger Freude haben, sondern, dass sich diese sogar negativ auf ihre Leistungen, ihr Kompetenzgefühl und ihre allgemeine Zufriedenheit auswirken (vgl. Huber, Roth 1999, S.41ff., 65). Im Gegenzug zeigen ungewissheitsorientierte Schülerinnen und Schüler in Unterrichtsformen wie Frontalunterricht oder Stillarbeit weniger Engagement und Motivation, als in Gruppenarbeiten oder Projektformen (vgl. Schmidt 1997, S.110).

Daraus kann man schließen, dass das Einsetzen von kooperativen, offenen Lernformen und -settings, vor allem die spezielle Modifikation der ungewissheitsorientierten Schülerinnen und Schüler berücksichtigt. Lehrerinnen und Lehrer müssen sich in jedem Fall bewusst sein, dass die Lernenden auf diese Unterrichtsform unterschiedlich reagieren, wobei natürlich der individuelle Orientierungsstil der Lehrkraft eine nicht unerhebliche Rolle spielt (vgl. Huber, Roth 1999, S.65).

Aus den bisherigen Ausführungen könnte man schließen, dass gewissheitsorientierte Schülerinnen und Schüler in offenen Lernsituationen benachteiligt werden. Dies kann dann passieren, wenn die Lehrperson die verschiedenen Orientierungsstile ihrer Schülerinnen und Schüler nicht in die Unterrichtsplanung mit einfließen lässt. Aus diesem Grund haben Huber und Roth (1999, S.130f.) fünf Prinzipien aufgestellt, mit denen „der entwicklungsorientierten Anpassung des Lehrens an individuell unterschiedliche Lernvoraussetzungen“ (ebd., S.131) Sorge getragen werden kann und somit allen Schülerinnen und Schüler, unabhängig ob ungewissheits- oder gewissheitsorientiert, die gleichen Lernchancen geboten werden können (vgl. ebd., S.130f.). Auftrag der Schule ist es, angemessene und zufriedenstellende Lernumgebungen für alle Lernenden zu schaffen. Es ist nicht sinnvoll, wie auch Huber und Roth (1999) aufzeigen, Schülerinnen und Schüler in bestimmte Lern- und Unterrichtsformen zu zwingen. Vielmehr ist es Aufgabe der Schule, in gleichem Maße sowohl verschlossene, als auch offene Schülerinnen und Schüler auf die Ungewissheiten im Leben vorzubereiten und sie zu befähigen, diese bewältigen zu können. Dazu stellen Huber und Roth fünf Prinzipien dar, wodurch für alle Beteiligten eine angenehme und zufriedenstellende Lehr- und Lernumgebung geschaffen werden kann unter der Prämisse eines chancengleichen Unterrichts. Diese Prinzipien beinhalten Differenzierung, Äquifinalität (unterschiedliche Wege führen zum Ziel), Methodenvielfalt, Selbstplatzierung (Lernenden wird die Wahl gelassen) und Supervision von Lernprozessen (Lehrkräfte achten darauf, dass Schülerinnen und Schüler nicht immer denselben Weg wählen) (vgl. ebd., S.130f.). Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass ungewissheitsorientierte Personen offene Lernarrangements, gewissheitsorientierte Personen dagegen klar definierte Lernangebote bevorzugen. Ebenso unterscheiden sich Lehrkräfte in ihrem Orientierungsstil und in der daraus resultierenden Lehr- und Lernorganisation. Die fünf Prinzipien von Huber und Roth (1999), die den Unterricht an die unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden anpassen sollen, können auch auf mitbestimmungsorientierten Unterricht übertragen werden und haben auch hier ihre Gültigkeit. Denn dabei haben die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, die optimale Passung selbst mitzubestimmen (vgl. ebd., S.130). Die Lernenden sollen langfristig ihre Lernaktivitäten selbst regulieren können. Da dies nicht zu Beginn des Lernprozesses vorausgesetzt werden kann, sollte zielgerichtet darauf hingearbeitet werden.

Hubert und Roth (1999, S. 134) zeigen außerdem verschiedene Beispiele auf, wie man z.B. stark strukturierte Unterrichtssituationen auflockern kann, sodass auch ungewissheitsorientierte Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit bekommen, sich einzubringen. Sie werden animiert und aktiviert – wie Huber und Roth (1999, S.134f.) dies bezeichnen – sich aktiv am Unterricht zu beteiligen.

Nach der Ausführung über Ungewissheits- und Gewissheitsorientierung im schulischen Kontext kann nun abschließend gesagt werden, dass jede Person einem bestimmen Orientierungsstil folgt und damit folglich eine ungewissheits- bzw. gewissheitsorientierte Person ist. Dieser Orientierungsstil wirkt sich sowohl auf das Lernverhalten von Schülerinnen und Schüler, als auch auf das Lehrverhalten von Lehrerinnen und Lehrer aus. Dennoch wäre eine klassische Zweiteilung von ungewissheits- oder gewissheitsorientierten Lernenden und Lehrenden sicher nicht korrekt. Denn in unterschiedlichen Situationen kann man auch unterschiedliche Orientierungsstile aufweisen, wie in der Studie von Huber und Roth (1999, S.36) von der Grundschullehrerin gezeigt wird. Auch bei Schülerinnen und Schülern ist dies nicht anders. Deshalb kann man eher von einer Grundhaltung, als von feststehenden Kategorien sprechen, denn es ist nicht garantiert, dass ungewissheitsorientierte Personen in ungewissheitsorientierten Situationen offen reagieren. Dabei kommt es unter anderem auf den Kontext und die jeweilige Situation an.

Außerdem fällt in der Literatur auf, dass gewissheitsorientierte Personen häufig als eher negativ beschrieben werden. Diese Ansicht könnte problematisch sein, da zum Beispiel bei gewissheitsorientierten Schülerinnen und Schüler kein Grund besteht, deren Lernverhalten als negativer zu betrachten, als das der ungewissheitsorientierten Schülerinnen und Schüler. Außerhalb der Schule kann es sicherlich in einigen Situationen hilfreich sein, eine ungewissheitsorientierte Grundeinstellung aufzuweisen, um neuen Erfahrungen und Innovationen positiv zu begegnen. Dennoch ist es möglich, dass Personen im schulischen Kontext eher gewissheitsorientierte Menschen sind und im alltäglichen Kontext auch ungewissheitsorientierte Züge aufweisen und verfolgen.

Wenn man Unterricht auf der Grundlage der Kenntnis von Ungewissheit abwechslungsreich, mal mehr strukturiert, mal völlig offen, gestaltet, so sollten die Schülerinnen und Schüler von der Abwechslung profitieren und niemand benachteiligt werden. Aus diesem Abschnitt kann man den Schluss ziehen, dass in jedem Fall den Lehrkräften die verschiedenen Orientierungsstile bewusst sein müssen, um daraus das unterschiedliche Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler verstehen zu können (vgl. Huber, Roth 1999, S.65).

3.3 Auswirkungen von Mitbestimmung in der Schule

3.3.1 Chancen und Gründe für Mitbestimmung in der Schule

Dieser Punkt der Arbeit dient dazu, die positiven Auswirkungen von Mitbestimmung in der Schule und im Unterricht zu erläutern, die gleichzeitig auch als Gründe dienen sollen, den Unterricht unter dieser Berücksichtigung zu gestalten.

„Die Demokratie ist kein Selbstläufer – und ebenso wenig fallen mündige Bürgerinnen und Bürger vom Himmel.“ (Baumgardt 2019, S.4). Eine funktionierende Gesellschaft ist auf aktive und kompetente Bürgerinnen und Bürger mit einer ausgebildeten Handlungskompetenz angewiesen. Wie jede andere Kompetenz muss diese erlernt und angeeignet werden (vgl. ebd., S.4).

Mitbestimmungsmöglichkeiten können den kommenden Generationen deutlich machen, dass sie in unserem demokratischen System und in ihrem eigenen Leben etwas bewirken können und dass dies notwendig ist. Dies gehört schließlich zu den Rechten von Kindern und Jugendlichen. Genau deshalb ist es von wichtiger Bedeutung, diese Mitbestimmungsmöglichkeiten bereits früh zu ermöglichen (vgl. BMFSFJ 2015, S.7).

Die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Partizipation Österreich (2006) gestaltete eine Broschüre zum Thema „Kinder- und Jugendbeteiligung“. Darin stellten sie Chancen und Gründe für Mitbestimmung und Beteiligung im Allgemeinen vor. Kinder und Jugendlichen sollen durch Erfahrung lernen, dass ihr Mitwirken etwas bewirken kann, wodurch sich die Eigen- und Mitverantwortung junger Menschen erhöht. Sie lernen dabei, sich selbst als wichtig anzusehen. Außerdem werden das Engagement und die Bereitschaft junger Menschen mitzuwirken gefördert, was auch für das weitere Leben von wichtiger Bedeutung ist. Dadurch können sich die Kinder und Jugendlichen mit der Gemeinde, der Schule oder anderen Institutionen identifizieren. Dabei werden demokratische Kompetenzen erworben, die für mündiger Bürger in der Gesellschaft zentral sind. Durch das Mitwirken, Mitbestimmen und Beteiligen von Kindern und Jugendlichen lernen auch die Erwachsenen die Denkweisen, Ideen und Bedürfnisse der nachfolgenden Generationen kennen, wodurch die Lebensqualität aller Menschen profitiert und die Kommunikation zwischen den Generationen gefördert wird (vgl. ARGE Partizipation Österreich 2006, S.2). Schülerinnen und Schüler erleben, ernst und als Gesamtperson wahrgenommen zu werden (vgl. BMFSFJ 2015, S.22).

Eine große Chance der Schule besteht darin, sich Know-how aus anderen Bildungseinrichtungen anzueignen und mit ihnen in Kooperation zu treten. Dies kann beispielsweise durch Service Learning umgesetzt werden, einem Projekt im gesellschaftlichen Umfeld verbunden mit fachlichen Lerninhalten. Dabei erleben die Kinder die Öffnung von Schule und erfahren auch außerschulische Mitbestimmungsmöglichkeiten (vgl. ebd., S.23).

Wiater und Lohrenz (1980) stellen Argumente zugunsten der Mitbestimmung vor. Zusammengefasst beinhalten diese Argumente für die Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern, dass die Motivation und Freude am Lernen erhöht und ihnen zur Mündigkeit verholfen wird. Außerdem werden das Lernen und die Schule dadurch „menschlicher und natürlicher“ (Wiater, Lohrenz 1980, S.21), sodass praxis- und alltagsnahe Erfahrungen aus dem Leben unserer Gesellschaft erworben werden können. Denn es ist Aufgabe der Schule, die Schülerinnen und Schüler auf die demokratische Gesellschaft vorzubereiten (vgl. ebd., S.13ff.). Außerdem kann durch Mitbestimmung im Unterricht auf Schülerinteressen eingegangen und der Unterricht schülerzentriert gestaltet werden, sodass Selbstständigkeit und Selbstverantwortung stetig zunehmen (vgl. ebd., S. 38, S.87).

Im Kapitel 3.6. wird der bisherige Forschungsstand aufgearbeitet. Dabei werden die Chancen und Gründe für Mitbestimmung ergänzt. Diese hier zu erwähnen, würde zu Doppelungen führen.

3.3.2 Herausforderungen und Voraussetzungen von Mitbestimmung in der Schule

Ebenso wie es Chancen und Gründe für Mitbestimmung in der Schule gibt, existieren auch Herausforderungen und Grenzen, die damit einhergehen. Das Konzept der Mitbestimmung scheint auf den ersten Blick umsetzbar. Dennoch existieren einige Herausforderungen und Voraussetzungen, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Eine grundsätzliche Herausforderung ist das Spannungsfeld zwischen Beurteilung, Aufsichtspflicht, Zeitmanagement und Mitbestimmung.

Eine der größten Herausforderungen der Schule ist es, eine Schul- und Unterrichtskultur zu entwickeln, in der Mitbestimmung eine Selbstverständlichkeit darstellt. Dies bedeutet, den Schülerinnen und Schülern sowohl in den Schulorganisationen, als auch in den Lernarrangements regelmäßig die Möglichkeit zu geben, mitzubestimmen. Die Aufgabe der weiterführenden Schule ist es dann, diese Erfahrungen der Kinder zu nutzen und daran anzuschließen (BMFSFJ 2015, S.23). Eine wichtige Voraussetzung dafür wäre, dass Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen grundsätzlich in unserer Gesellschaft als selbstverständlich angesehen werden. Man beschäftigt sich zwar viel mit diesem Thema, jedoch ist einer Vielzahl an Menschen noch nicht bewusst, welche Auswirkungen und Vorteile sich daraus ergeben und dadurch bewirkt werden kann.

Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz von Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule ist eine partizipative Grundhaltung der Lehrkräfte. „Partizipation verlangt von den Erwachsenen, mit Jugendlichen über Inhalte und Interessen zu verhandeln, ohne zu dominieren.“ (Knauer, Sturzenhecker 2005 zitiert nach BMFSFJ 2015, S.24). Denn Mitbestimmung und Partizipation beginnt in den Köpfen der Lehrkräfte (vgl. Baumgardt 2019, S.5). Dafür ist eine ausgeglichene dialogische Kommunikation auf Augenhöhe eine wichtige Grundlage. Das BMFSF betont dabei, wie wichtig es ist, die eigene Rolle als Lehrkraft zu reflektieren, sodass die Kinder als mündige Personen angesehen werden. Eine weitere Herausforderung ist, dass Lehrkräfte dazu verpflichtet sind, sich an die Lehr- und Bildungspläne zu halten und die beinhalteten Kompetenzen den Schülerinnen und Schüler zu vermitteln. Dennoch sind nur 60 Prozent der Lehrpläne festgelegt, was vielen bekannt ist, sodass genug Raum und Zeit für Mitbestimmung vorhanden sein sollte. Der Eigenanteil der Kinder sollte im Unterricht deshalb hoch sein (vgl. BMFSFJ 2015, S.23). Lehrerinnen und Lehrer empfinden deshalb Mitbestimmung in vielen Fällen als eine zusätzliche Belastung bzw. Anforderung und nicht als Chance. Damit einher geht oftmals der dabei entstehende Konflikt zwischen verpflichtenden Lernstandserhebungen und den ergebnisoffenen Unterrichtsstunden (vgl. ebd., S.24).

Eine weitere Herausforderung ist, dass jedem einzelnen Schüler und jeder Schülerin auf dem Weg zur Mitbestimmung in differenzierter Weise die benötigte Hilfestellung und Beratung angeboten werden muss. Dies kann in kooperativen Lernformen umgesetzt werden, bei denen das Lernen der Schülerinnen und Schüler nicht mehr durch die Lehrkraft geplant wird (vgl. Wiater, Lohrenz 1980, S.90). Damit geht oft die Sorge der Überforderung der Kinder auf Seiten der Lehrkräfte und Eltern einher. Können die Kinder das überhaupt schon? Überfordert man sie damit nicht? Doch wie Wiater und Lohrenz (1980) beschreiben ist es wichtig, die benötigte Hilfestellung und Beratung zu bieten, um den Kindern angeleitet Mitbestimmung zu ermöglichen. Diese Hilfestellungen und Impulse können mit fortlaufender Übung abnehmen.

Eder (1998) beschreibt Argumente gegen Mitbestimmung in der Schule und im Unterricht, die auch mögliche Grenzen aufzeigen. Viele Menschen zweifeln an der Reife der Schülerinnen und Schüler, die aufgrund ihres Alters noch nicht in der Lage seien, Entscheidungen sinnvoll zu treffen (vgl. Eder 1998, S.18). Doch als Gegenposition könnte man vertreten, dass auch Erwachsene nicht überprüft werden, ob sie über Voraussetzungen verfügen, an der Gesellschaft mitzuwirken. Gerade deshalb ist es wichtig, bereits im frühen Alter damit anzufangen, was auch ganz klar durch gesetzliche Grundlagen und Bildungspläne geregelt ist. Ein weiteres Argument von Eder (1998) ist, dass überdacht werden muss, ob der Aufwand im Verhältnis zur Effizienz steht und ob deshalb Zeit für die anderen Inhalte des Unterrichts verloren geht. Auch diesem Argument ist zu widersprechen, da dieser Aufwand einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft leistet. Eder (1998) stellt ein weiteres Argument mit der Befürchtung vor, dass aufgrund von Überstimmung der Lehrkraft das Anforderungsniveau im Unterricht gesenkt werden könnte. Diese Haltung geht davon aus, dass von Seiten der Schülerinnen und Schüler und Eltern im Allgemeinen kein Interesse am Lernen besteht, was ebenso kritisch zu sehen ist. Diese Haltung wäre berechtigt, wenn Mitbestimmung im weiteren Leben keine Rolle spielen würde, dies ist jedoch eine wichtige Vorbereitung auf das spätere Leben (vgl. Eder 1998, S.18f.).

3.4 Verankerung im Bildungsplan und Perspektivrahmen

Um die schulische Relevanz von Mitbestimmung deutlich zu machen, ist es wichtig, die Verortung im Bildungsplan sowie im Perspektivrahmen Sachunterricht der GDSU herauszustellen.

Das Thema Mitbestimmung ist sowohl in den prozessbezogenen, als auch in den inhaltsbezogenen Kompetenzen des Bildungsplans für die Grundschule im Fach Sachunterricht (2016) verankert. Prozess- und inhaltsbezogene Kompetenzen sind stets verknüpft und integrativ anzusehen. Der Bildungsplan 2016 Grundschule im Sachunterricht untergliedert die inhaltsbezogenen Kompetenzen in fünf Teilbereiche. Einer davon ist „Demokratie und Gesellschaft“ (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport 2016a, S.6). Die Standards für inhaltsbezogene Kompetenzen unter dem Teilbereich „Demokratie und Gesellschaft“ sehen in Klasse 1/2 das Thema „Leben in Gemeinschaft“ vor. Dabei sollen die Schülerinnen und Schüler Mitbestimmungsmöglichkeiten kennenlernen und diese in unterschiedlichen Situationen erproben. Dies soll dazu führen, ein positives Selbstkonzept zu entwickeln, zu stärken und die Positionen von Mitmenschen wahrzunehmen und zu respektieren (vgl. ebd., S.7). Ebenso sind in Klasse 3/4 aktive Mitbestimmungsprozesse und die Gestaltung der Gemeinschaft im Bildungsplan verankert. Dies kann durch „Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten des Zusammenlebens in der Klasse und der Schule beschreiben und angemessen nutzen“ (ebd., S.31) erreicht werden. Dazu gehören beispielsweise der Klassenrat, die Schülerversammlung oder Klassensprecherinnen und Klassensprecher (vgl. ebd., S.31).

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Excerpt out of 70 pages

Details

Title
Mitbestimmungsmöglichkeiten von Kindern an der Gestaltung ihres Unterrichts an einem Beispiel aus dem sozialwissenschaftlichen Sachunterricht
College
University of Education Ludwigsburg
Grade
1,0
Author
Year
2019
Pages
70
Catalog Number
V922736
ISBN (eBook)
9783346248619
ISBN (Book)
9783346248626
Language
German
Keywords
Mitbestimmung Kinderrechte
Quote paper
Lara Strese (Author), 2019, Mitbestimmungsmöglichkeiten von Kindern an der Gestaltung ihres Unterrichts an einem Beispiel aus dem sozialwissenschaftlichen Sachunterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/922736

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