Thomas Bernhard - Philosoph oder Opportunist?


Seminararbeit, 2004

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Facetten des Weltbildes von Thomas Bernhard
--Jugend
--Krankheit, Todesnähe
--Religion
-- Freunde, Lebenspartner
--Karriere
--Besitz
--Heimat
-- Staat
--Politik, Politiker
--Nationalsozialismus
-- Das Ich
-- Die Anderen

3.Hatte Thomas Bernhard ein geschlossenes Weltbild ?

4. Hat uns Thomas Bernhard eine Botschaft hinterlassen ?

5.Fazit

6.Bibliographie

1. Einleitung

Mein wichtigster Flohmarktfund der letzten Monate war Wilhelm Jerusalems philosophisches Standardwerk aus dem Jahre 1919.[1] Wichtig ist für mich ein Buch dann, wenn es neue schlüssige Erkenntnisse bzw. Einsichten vermittelt oder aber die Bestätigung für latente Überzeugungen liefert. Bei Jerusalem habe ich die über­raschende Bestätigung für meine ganz persönliche Perzeption einer ganzheitlichen Philosophie gefunden, den Beweis, dass das, was ich intuitiv für das Wesen und den Sinn der Philosophie halte, tatsächlich irgendwann einmal allgemein gültige Lehre war. Jerusalem:[2]

„Philosophie ist die Denkarbeit, welche in der Absicht unternommen wird, die tägliche Lebenserfahrung und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung zu einer einheitlichen und widerspruchslosen Weltanschauung zu vereinigen, die geeignet ist, die Bedürfnisse des Verstandes und die Forderungen des Gemütes zu befriedigen.“

In seinen weiteren Ausführungen macht Jerusalem klar, dass er unter „einheitlich“ nicht eine einheitliche Weltanschauung im Sinne etwa des Marxismus postuliert, sondern eine Sicht, die den individuellen Erfahrungshorizont und den philo­sophischen Kanon zu einem schlüssigen, allgemein nachvollziehbaren Weltbild vereint. Im Weltbild Jerusalems sind schließlich auch noch die für mich von der Philosophie untrennbaren Bereiche Soziologie und Psychologie inkludiert, die sich heute als eigenständige Disziplinen gebärden und sich permanent bemühen, sich möglichst scharf von der Mutterwissenschaft abzugrenzen, nicht ohne damit den Mörtel aus den tragenden Teilen des Fundamentes der Wissenschaft herausbrechen.

Wenn nun im Titel der Lehrveranstaltung von „philosophischen Spuren“ die Rede ist, so verstehe ich darunter auch nicht die Spuren der Denkarbeit fremder Philosophen, die abgesehen von ausgestreuten Namen, im Oeuvre Bernhards für mich (aber auch für Pfabigan[3]) nicht wirklich nachweisbar sind, sondern die in Bernhards Schriften und Wortmeldungen erkennbaren persönlichen Über­zeugungen, sofern sie als Elemente einer „einheitlichen, widerspruchslosen“ Weltanschauung im Sinne Jerusalems und damit auch in meinem Sinne gelten können.

Anhand der Fundstücke möchte ich anschließend klären, ob und welches Weltbild sich aus diesen Puzzlesteinen zusammensetzen lässt. Wird es in Umrissen erkennbar, so bleibt schließlich noch die Frage offen, ob Bernhard auch das letzte und wohl auch entscheidende Kriterium eines philosophischen Weltbildes im Sinne Jerusalems erfüllt, ob er

„von dem gewonnenen höheren Standpunkt aus die höheren und die ferneren Ziele [erkannt hat], denen die Menschheit zustrebt und… mit Kraft und Vertrauen [erfüllt wurde, um] an der Erreichung dieser Ziele erfolgreich mit[zu]arbeiten.“

Es ist klar, dass ein wirklich befriedigendes Ergebnis dieses Vorhabens nur unter Einbeziehung aller Lebensäußerungen Thomas Bernhards zu erwarten wäre. Da ein solches Unterfangen den Rahmen einer Seminararbeit übersteigen würde, habe ich mir Beschränkungen auferlegt. Basis dieser Arbeit ist das Tagebuch von Karl Ignaz Hennetmair, eines Realitätenhändlers und Nachbarn Bernhards, der über ein Jahrzehnt lang engster Vertrauter von Thomas Bernhard war und die gemein­samen Erlebnisse des Jahres 1972 niedergeschrieben hat. Hennetmairs Erkenntnisse habe ich anhand der Werkanalysen Alfred Pfabigans[4] und Bernhard Sorgs[5] auf Allgemeingültigkeit überprüft. Nebenbei habe ich Heldenplatz durchgearbeitet und etliche weitere Bücher Bernhards gelesen oder zumindest überflogen.

2. Die Facetten des Weltbildes von Thomas Bernhard

--Jugend

Während in den Arbeiten anderer erfolgreicher Menschen ab der Lebensmitte die Jugend zumeist nur mehr als blasses Hintergrundbild präsent ist und dargestellt wird, hat Bernhard seine Jugend in fünf Bänden reflektiert. Er kam am 9. Februar 1931 als uneheliches Kind einer ebenfalls unehelich geborenen Mutter in den Niederlanden zur Welt und wurde 1932 von seinen Großeltern übernommen, die zunächst in Seewalchen am Attersee (Oberösterreich) lebten. 1937 übersiedelte er mit den Großeltern nach Traunstein in Oberbayern. Wichtigste Bezugsperson wurde sein Großvater, der von seiner schrift­stellerischen Tätigkeit allein nicht leben konnte und von der Familie mit erhalten werden musste. Während des Krieges verbrachte der junge Thomas auch einige Zeit in Internaten und Heimen. Darunter war auch ein Heim des „Deutschen Frauenwerkes“ in Thüringen. Dazu Hennetmair:[6]

„Beim Namen ,Frauenwerk’ wurde Thomas wütend. So viele Ohrfeigen und so wenig zu essen wie beim Frauenwerk habe ich sonst nirgends bekommen… Man hat mich dort so lange geohrfeigt, bis ich zum Bettnässer wurde. Dann hat man in der früh im Frühstückssaal mein nasses Leintuch vorgezeigt. Du kannst dir vorstellen, wie man sich in so einem Alter schämt und was ich da mitgemacht habe. Ich kann heute noch nicht begreifen, dass mich meine Mutter damals dorthin gegeben hat. Aber noch weniger kann ich ihr verzeihen, dass sie mich auch noch dort gelassen hat, als sie schon wusste wie es dort zuging.“

Zu den Zurücksetzungen durch Erzieher und Mutter kam die Zurücksetzung durch den Ziehvater. Hennetmair:[7]

„Thomas erzählt, als im Juni 1945 sein Ziehvater zu Fuß von Jugoslawien heimkehrte, lag er in Traunstein auf dem Blechdach in der Sonne. Als er seinen Ziehvater kommen sah, rannte er vom Dach, was er nur konnte seinem Ziehvater entgegen und wollte ihn stürmisch begrüßen. Dieser aber ging, ohne ihn anzusehen, an ihm vorbei und hob mit beiden Händen seinen Sohn Peter, den Halbbruder von Thomas in die Höhe und nahm auch später von Thomas keine Notiz. So was merkt man sich, das bringt man nie mehr aus sich heraus. Ich war damals 14 Jahre alt. Stell dir vor, wie einen das in diesem Alter trifft. !“

Tief getroffen hat ihn auch die Zurückweisung durch einen Gesangsprofessor:[8]

„Bei „Zeit im Bild“ kam die Nachricht, dass Prof. Krips die Leitung der Wiener Symphoniker niedergelegt hat. Thomas schrie auf: Dieses Schwein, das ist der Fleischhauersohn, den ich im Ignoranten meine. Der ist nämlich ein richtiger Fleischhauer, aber zu mir hat er gesagt, ich soll Fleischhauer werden, nachdem ich ihm vorgesungen habe. Was glaubst du, wie einen das trifft, wenn man 18 Jahre alt ist.“

Auch auf eine Gedankenlosigkeit Hundertwassers hat er auf spezifische Art reagiert. Hennetmair:[9]

„Beim Verlassen des Kaffeehauses hielt Thomas den Kaftan für Hundertwasser hoch, dieser beeilte sich aber nicht, in den entgegengehaltenen Mantel hineinzu­schlüpfen, sondern sprach unbekümmert mit Dr. Schmid weiter. Thomas blieb bei seiner Haltung, und als Hundertwasser Thomas endlich den Kaftan abnehmen wollte, ließ Thomas den hochgehaltenen Mantel zu Boden fallen und ging wortlos. Seither haben sie sich nicht mehr gesehen.“

Während andere Jugendliche solche Erlebnisse klaglos verarbeiten, hat sie Bernhard mit Akribie in seinem Gedächtnis bewahrt und mit seinen Krankheitserfahrungen in den Mittelpunkt seines Schaffens gestellt.

--Krankheit, Todesnähe

Mit 18 Jahren wird Thomas Bernhard lungenkrank und gerät an den Rand des Todes. Die lieblose Therapie, die Einsamkeit und die Hoffnungslosigkeit dieser Monate waren wohl die prägendsten Erlebnisse seiner Jugendjahre. Geblieben ist ein Ekel vor Krankheiten und die Furcht bei seinen seelischen Alleingängen die Grenze zum Wahnsinn zu überschreiten. Den Tod, den er als Krönung des Lebens empfindet, fürchtet er an sich nicht. So kommentiert Bernhard die Nachricht vom Freitod des 72jährigen Nobel­preis­trä­gers Jasunari Kawabata gegenüber Hennetmair wie folgt:[10]

„Mit 72 Jahren ist das das Beste, was man machen kann. Wenn du dich [Hennet­mair] mit 72 Jahren umbringen würdest, würde ich große Hochachtung vor dir haben und den Hut ziehen.“

--Religion

Seine jüngeren Arbeiten legen Zeugnis ab von seinem Kampf um den Glauben. Dieser Glaube wird während seiner Krankheit nachhaltig erschüttert. Die Religion gibt ihm nicht jenen Rückhalt, den er sich erhofft. In seinen Gedichten: Auf der Erde und in der Hölle[11] kommt diese Erschütterung deutlich zum Ausdruck, die in Resignation übergeht. Gegen die Kirche nimmt er erstmals 1963 in Frost Stellung. Aus der Kirche ist er allerdings erst Ende 1972 ausgetreten.[12]

-- Freunde, Lebenspartner

Das größte Manko Thomas Bernhards war seine auch im täglichen Leben permanent präsente Asozialität, worunter die Unfähigkeit bzw. der Unwillen verstanden sein soll, menschliche Beziehungen aufzubauen und zu halten. Beziehungen ging er nur ein, wenn sie ihm mehr Nutzen als Belastung brachten und –so wie beim (Ausnahme)Verhältnis mit Hennetmair- mit keinen emotionalen Forderungen und anderen Verpflichtungen verbunden waren. Nur bei Hennetmair gab er sich ganz ungezwungen und zeigte sich auch als begabter Humorist:[13]

„Thomas erzählte lustige Geschichten, und es entwickelte sich, wie schon so oft, eine Lachhysterie, so dass, nachdem sich die Lachkrämpfe immer noch verstärkten und Omi bereits in der Küche verschwunden war, sogar Thomas ins Vorhaus gehen musste, um mit seinem Lachkrampf fertig zu werden.“

Mit anderen Beziehungen hatte er gemäß Hennetmair das ewig gleiche Problem:[14]

„Die Weichen mag er nicht, mit den Harten verträgt er sich nicht, da bleibt niemand üblich für ein freundschaftliches Verhältnis. Also nur ein auf Vernunft begrün­detes.“

Bernhards Hilfsbereitschaft war kaum präsent, vertrat er doch den Standpunkt, dass „jede Hilfe, die man anderen gewährt, auch eine Art Egoismus ist,“[15] da er andere zur Dankbarkeit nötigt, was zu neuen unerwünschten Kontakten führt. Als Gastgeber war Bernhard geizig und den Most, den er nicht mehr benötigte, jährlich oft mehrere hundert Liter, den verschenkte er nicht, sondern verschüttete ihn. Dies kann als Teil seines nicht immer subtilen geführten ,Rachefeldzuges‘ verstanden werden, die der erfolgreiche Bernhard gegen zahlreiche Personen führte, die ihn seiner Meinung nach in Zeiten seiner Bedeutungslosigkeit von oben herab behandelt bzw. ignoriert hatten. Pathologische Züge bekam dieser ,Rachefeldzug‘ als er ihn auf Menschen ausweitete, die in mehrfacher Hinsicht entscheidend zu seinem Aufstieg beigetragen haben. Bei Thomas Bernhard waren diese Mentoren Gerhard Lampersberg und seine Gattin, ein gut situiertes Künstlerehepaar, die Bernhard neben finanzieller Förderung auch Kost und Quartier auf ihren Besitzungen zukommen ließen, ihm halfen seine gesellschaftlichen Defekte zu überwinden und Fuß in der Moderne zu fassen. Sein erstes Prosawerk[16] widmet er 1958 Lampersberg mit den Worten: „Meinem einzigen und wirklichen Freund G.L., dem ich im richtigen Augenblick begegnet bin.“ An diesem Künstlerpaar wird er sich 1984 in Holzfällen rächen, was auch ein gerichtliches Nachspiel haben sollte. Die Begründung für dieses Verhalten liefert Bernhard in Holzfällen selbst:

„Wir sind nichts und sie machen etwas aus uns und wir hassen sie dafür:“[17]

Der Makel des Ehepaars Lampersberg war die Tatsache, dass sie ihn schwach und hilfsbedürftig gesehen hatten. Hatte er selbst, wenn auch nur kurzfristig und in trivialen Situationen, die Möglichkeit Macht über andere Personen auszuüben, so pflegte er diese häufig einfach aus Schadenfreude einen unangenehmen Zustand zu versetzen. Dr. Wieland Schmied:[18]

[...]


[1] Jerusalem, Wilhelm: Einleitung in die Philosophie (Achte Auflage, Wien 1919) Übersetzungen ins Russische (1901), Polnische (1907), Englische (1910), Finnische (1910), Ungarische und ins Kroatische

[2] Jerusalem.1

[3] Pfabigan, Alfred: Thomas Bernhard. Ein österreichisches Weltexperiment

(Wien 1999) 24

[4] Pfabigan, Alfred: Thomas Bernhard. Ein österreichisches Weltexperiment (Wien 1999)

[5] Sorg, Bernhard: Thomas Bernhard (München 1992)

[6] Hennetmair, Karl Ignaz: Ein Jahr mit Thomas Bernhard. Das versiegelte Tagebuch 1972 (Salzburg 2000) 154

[7] Hennetmair. 93

[8] Hennetmair. 495

[9] Hennetmair. 26

[10] Bernhard, in: Hennetmair.180

[11] Bernhard, Thomas: Auf der Erde und in der Hölle. Gedichte. (Salzburg 1957)

[12] Hennetmair. 492.

[13] Hennetmair. 413

[14] Hennetmair.88

[15] Hennetmair. 452

[16] Bernhard, Thomas: In hora mortis (Salzburg 1958) 27

[17] Bernhard, Thomas: Holzfällen. Eine Erregung. (Frankfurt 1984) 20

[18] Aussage Schmied, in: Hennetmair. 170

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Thomas Bernhard - Philosoph oder Opportunist?
Hochschule
Universität Wien  (Philosophisches Institut)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V92339
ISBN (eBook)
9783638046893
ISBN (Buch)
9783638942867
Dateigröße
551 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Thomas, Bernhard, Philosoph, Opportunist
Arbeit zitieren
Dr. Hans Christian Egger (Autor:in), 2004, Thomas Bernhard - Philosoph oder Opportunist?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92339

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