Der Roman "Carrie'' von Stephen King und die Neuverfilmung von Kimberly Peirce. Ein Vergleich


Facharbeit (Schule), 2020

37 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung

2. Carrie als Roman
2.1. Inhalt
2.2. Entstehungsgeschichte

3. Filmadaptionen
3.1. Carrie – Des Satans jüngste Tochter – Brian De Palma 1976
3.2. Carrie – David Carson 2002
3.3. Carrie – Kimberly Peirce 2013

4. Aspekte von Buch und Neuverfilmung – ein Vergleich
4.1. Erzähltechniken und Struktur
4.2. Charaktere und Charakterbeziehungen im Verlauf der Handlung
4.2.1. Carrie White: eine außergewöhnliche jugendliche Außenseiterin
4.2.2. Carrie und Margaret White: ein gestörtes Mutter-Tochter-Verhältnis
4.2.3. Carrie White, Thomas Ross und Sue Snell: eine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung
4.3. Der Einsatz und die Funktion von Telekinese
4.3.1. Steinregen
4.3.2. Erste Entwicklungen
4.3.3. Verteidigung und Selbstvertrauen
4.3.4. Verwüstung am Ballabend
4.4. Funktion von extremer Gewaltdarstellung in Horrorfilmen und -romanen
4.5. Modernisierung des Mobbings

5. Resümee

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abstract

Die vorliegende vorwissenschaftliche Arbeit beschäftigt sich mit dem Inhalt, der Entstehung und den Verfilmungen von Stephen Kings Roman Carrie aus dem Jahr 1974 und fokussiert sich dabei im Speziellen auf Kimberly Peirces Remake aus 2013. Buch und Film zählen zum Genre des Horrors, denn sie erzählen die Geschichte der Außenseiterin Carrie White, die sich mithilfe ihrer telekinetischen Kräfte bei ihrer fanatisch religiösen Mutter Margaret und ihren Mitschülern rächt, die ihr ihr Leben zur Hölle machen.

Primäres Ziel der Arbeit ist es, herauszufinden wie sich Peirces Adaption erzähltechnisch und inhaltlich im Hinblick auf die wesentlichen Charaktere und das zentrale Motiv der Telekinese von der literarischen Vorlage unterscheidet. Erreicht wird das, indem beide Medien überwiegend in ihren Narrativen, aber auch in ihren Stilmitteln analysiert werden.

Bei der Analyse ergibt sich Folgendes: Charakteristisch für den Roman ist, dass er als fiktive Dokumentation aufgebaut ist und somit an mehr Glaubwürdigkeit gewinnt. Der Film hebt sich durch seine extremere Gewaltdarstellung vom Buch ab und erlangt dadurch einen stärkeren Kontrast zwischen Zuneigung und Brutalität in der Figurenkonstellation. Erkennbar ist das vor allem in Carries Verhältnis zu ihrer Mutter, doch auch die Telekinese und das modernisierte Mobbing werden in sehr drastischer Form eingesetzt. Emotional tiefe Verbindungen wie Telepathie oder Liebe, welche Carrie im Buch mit den Charakteren Sue Snell und Thomas Ross teilt, werden in der Verfilmung umgangen oder weniger intensiv dargestellt.

1. Einleitung

Bücherwürmer kennen es vermutlich nur allzu gut, wenn sie ihren Lieblingsroman endlich auf der Kinoleinwand ansehen können und ihnen dabei unzählige Unterschiede zur literarischen Vorlage auffallen. Fans von Stephen King kommen wohl des Öfteren in diese Situation, denn seine Bücher dienen schon seit 40 Jahren als Grundlage für viele Horrorfilme1. Auch sein erster Erfolgsroman Carrie erhielt mehrmals das Interesse der Filmproduzenten und das Ziel dieser Vorwissenschaftlichen Arbeit ist es, Kimberly Peirces Neuverfilmung Carrie aus 2013 mit seinem Ausgangswerk aus 1974 zu vergleichen.

Die Arbeit leitet die Thematik für Nicht-King-Fans mit einer Inhaltsskizze des Buches ein und erläutert die skurrile Entstehungsgeschichte der Erstauflage. Darauf folgt ein prägnanter Überblick über die drei Carrie -Verfilmung von De Palma, Carson und Peirce.

Der eigentliche Kern der Arbeit – die Buch-Film-Gegenüberstellung – beschäftigt sich zuerst mit dem Medienvergleich, welcher sich auf Unterschiede in Erzähltechnik und Struktur beschränkt, und anschließend mit dem eingehenden ästhetischen Vergleich, bei welchem einzelne Handlungsaspekte und die agierenden Charaktere beleuchtet werden, wobei die inhaltliche Inszenierung im Vordergrund steht. Beide Arten des Vergleichs erfolgen mittels Analysen des Geschehens und der verwendeten Stilmittel.

Augenmerk der Figurenuntersuchung liegt auf der Protagonistin Carrie White und ihren Verhältnissen zu ihrer Mutter Margaret sowie ihren Schulkollegen Susan Snell und Thomas Ross. Verbunden damit wird Carries Fähigkeit der Telekinese als übernatürliches Element der Geschichte gesondert bearbeitet. Da Peirces Adaption die Handlung modernisierter und mit gewaltsameren Bildern erzählt, widmen sich die letzten zwei Unterkapitel zudem noch dem Cyberbullying und dem extremen Gewaltausmaß in Büchern und Filmen.

2. Carrie als Roman

2.1. Inhalt

Stephen Kings Werk Carrie handelt von dem Rachezug Carrie Whites, einer Außenseiterin der Ewen High School2, die durch die religiöse Erziehung ihrer Mutter Margaret daran gehindert wird, ein normales Leben wie jede andere Jugendliche zu führen3. Der Spott ihrer Mitschüler erreicht den Höhepunkt, als sie nach dem Turnunterricht erstmals ihre Periode bekommt und aufgrund ihrer Unwissenheit ausgelacht sowie mit Tampons und Binden beworfen wird. Durch die Stresssituation, der sie ausgesetzt ist, lässt sie eine Glühbirne zerplatzen und im Verlauf des Tages hat sie unkontrollierte Anfälle ihrer entstehenden telekinetischen Kräfte.4

Sportlehrerin Miss Desjardin beschließt, die restlichen Mädchen mit Nachsitzen zu bestrafen, ansonsten ist es ihnen nicht erstattet, den Frühlingsball zu besuchen. Während Schülerin Chris Hargensen sich ihren Maßnahmen widersetzt und keine Eintrittskarten erhält, empfindet ihre Freundin Sue Snell Schuldgefühle und bittet ihren Freund Thomas Ross, Carrie auf den Ball einzuladen. Carrie nimmt das Angebot zögernd an und gerät daraufhin in eine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter, bei der sie sich mit ihren telekinetischen Kräften zur Wehr setzt. Auch als Margaret am Abend des Balls versucht, sie am Ausgehen zu hindern, gelingt es ihr, zu fliehen.5

Tommy und sie werden am Ball zu König und Königin ernannt, doch womit niemand rechnet, als sie die Bühne betreten, sind die Eimer voller Schweineblut über ihnen, die Chris und ihr Freund Billy Nolan vorbereitet haben, um Carrie eines auszuwischen. Das Paar wird mit dem Blut übergossen und Carrie fühlt sich vor der gesamten Schule bloßgestellt. Sie beschließt, allen eine Lektion zu erteilen und tötet die Anwesenden mithilfe ihrer Telekinese durch Stromschläge oder Feuer, durch welche auch Tommy umkommt.6

Margaret beschließt, ihre Tochter zu töten, da sie ihre Fähigkeiten als satanische Kräfte ansieht. Als die beiden zuhause aufeinandertreffen, verletzt sie Carrie mit einem Messer, welche daraufhin ihr Herz zum Stillstand bringt. Auch Chris und Billy werden von Carrie getötet, indem sie Kontrolle über Billys Fahrzeug ergreift und es mit den Insassen gegen eine Mauer rasen lässt. Aus Vorahnung begibt sich Sue auf die Suche nach Carrie. Mithilfe ihrer Gedanken kommunizieren sie noch miteinander, doch schlussendlich erlebt Sue Carries Tod mit.7

2.2. Entstehungsgeschichte

Wenn King gefragt wird, woher er all seine Einfälle bekommt – die ihm am häufigsten gestellte Frage – so könne er 50 Prozent der Zeit eine genaue Antwort geben, die restliche Inspiration kommt wie aus einem Traum.8 An die Ideen für seinen ersten Erfolgsroman Carrie kann er sich noch genau erinnern und er hielt sie in seiner Biografie On Writing fest:

Im Alter von 19 oder 20 Jahren hatte King einen Ferialjob an der Brunswick High in Maine. Eines Tages bestand seine Aufgabe darin, die Duschen der Mädchenumkleide zu putzen, wobei ihm zwei Unterschiede zur Jungenumkleide auffielen: Die Mädchen konnten sich dank Vorhängen in Privatsphäre waschen und es befanden sich Tamponspender an den Wänden.9 Diese Erinnerung fiel ihm wieder ein, als er nach seiner Abschlussklassenfahrt bei Worumbo Mills and Weaving, einer Mühle in Lisbon Falls, Maine, arbeitete und er wandte sie etwas ab: eine Mädchenumkleide, doch ohne Privatsphäre. Ein Mädchen bekommt ohne jegliches Wissen darüber ihre erste Periode, weshalb die anderen Schülerinnen amüsiert und entsetzt reagieren.10She thinks she’s dying, that the other girls are making fun of her while she’s bleeding to death … she reacts … fights back… but how?11

Die Antwort darauf fand King in einem Life Artikel, den er Jahre zuvor gelesen hatte. Dieser beschrieb, es gäbe Beweise, dass Jugendliche telekinetische Kräfte besitzen könnten, welche vorherige Poltergeistaktivitäten erklären sollten. Auftreten sollte dieses Phänomen vor allem bei Mädchen zur Zeit ihrer ersten Menstruation.12

Bevor aus diesen Einfällen der heutige Roman entstand, hatte King jedoch mit einigen Problemen während des Schreibprozesses zu kämpfen, welche dafür sorgten, dass er seinen Entwurf schlussendlich wegwarf. Die Geschichte bewegte ihn nicht, Carrie White erschien ihm als Hauptcharakter zu passiv und die Handlungsorte sowie die vielen weiblichen Personen waren neu für ihn. Außerdem war Carrie zuerst für ein Magazin wie dem Cavalier oder dem Playboy bestimmt, für welche die Geschichte zu lang gewesen wäre.13

In einem Interview der Talking Volumes Serie im Jahr 2009 erklärte King, wie seine Frau Tabitha seinen begonnenen Roman und somit seine Karriere noch gerettet hatte: Sie fand das Manuskript im Müll und es gefiel ihr so sehr, dass sie ihren Mann bat, es weiterzuschreiben, damit sie den Rest lesen könnte.14 Sie wusste, dass Carrie es weit bringen könnte und nach dem Schreiben von fünfzig Seiten und der Unterstützung seiner Frau bezüglich den „Mädchenthemen“ war auch King überzeugt von dieser Einstellung.15

Die fertige Fassung schickte King zum Doubleday Verlag, bei dem sein Freund William „Bill“ Thompson arbeitete16, der bis 1978 seine weiteren Bestseller lektorierte17. Die erste Rückmeldung erhielt er an einem Arbeitstag 1973, an welchem Thompson ihm über ein Telegramm mitteilte, dass Carrie zu einem Doubleday-Buch wurde und er somit einen Vorschuss von 2500 Dollar erhielt.18The future lies ahead “ war seine Wortwahl19 und damit lag er richtig.

Bis dato hatte King mit seinen Kurzgeschichten nie mehr als 500 Dollar verdient20 und er schätzte, Carrie könnte als Taschenbuch 60.000 einbringen, welche mit Doubleday geteilt werden würden. Demnach ist es keine Überraschung, wie perplex King reagierte, als Thompson ihm ausrichtete, dass das Buch für 400.000 Dollar verkauft wurde.21

Der Entwurf seines ersten Bestsellers wurde aus dem Müll gerettet. Nicht umsonst wurde er deshalb im Titel eines Biographics -Videos als „ the man who almost didn’t become a writer22 bezeichnet. Der Mann, der fast kein Schriftsteller wurde.

3. Filmadaptionen

In den ersten Monaten nach Veröffentlichung wurde Carrie mehr als eine Million Mal verkauft23, doch damit fand der Erfolg des Romans noch lange kein Ende. Es folgten drei Verfilmungen, von welchen Brian De Palmas Version die ausschlaggebendste ist24. Sie fallen alle in das Genre des Horrors, denn Carrie erfüllt mit seinen Protagonisten Aspekte, die Medienwissenschaftler Werner Faulstich als charakteristisch für einen klassischen Horrorfilm angibt:

„Das Fremde ist nicht weit entfernt und muss nicht erst gesucht werden, sondern es ist hautnah und bricht ins Wohlbekannte, Vertraute ein. Es bedroht das alte Ich, es stört die gewohnte Identität, es zerschlägt die Geborgenheit.“25

Als Beispiel dafür gibt Werner besessene Kinder und Wahnsinnige an, welche sich als Darstellung des Bösen aller Menschlichkeit und Moral widersetzen. Des Weiteren sind die Aufhebung von fixen Naturgesetzen und das Fehlen jeder Erläuterung des Horrors typisch.26 Wesen „ mögen zwar tot sein, aber sie leben weiter “.27

3.1. Carrie – Des Satans jüngste Tochter – Brian De Palma 1976

Den Vorschlag, Carrie zu verfilmen, bekam De Palma über einen befreundeten Drehbuchautor, der ihn auf das Buch aufmerksam gemacht hatte. Nach raschem Durchlesen nahm er sofort Kontakt zu Produzent Paul Monash auf, der die Filmrechte des Romans besaß, und fand heraus, dass dieser schon einen Freund De Palmas kontaktiert hatte, um ihm diese Idee näher zu bringen. De Palma zählt zu den unzähligen Carrie-White-Fans und setzte Kings Roman daher nahezu unverändert um, was Buch und Film zu großem Erfolg verhalf.28 So wurden Sissy Spacek und Piper Laurie für ihre Rollen als Carrie und Margaret White für die Oscars nominiert und John Travolta gelang es, als Darsteller des Billy Nolans ein Teenager-Idol zu werden. De Palma wurde zu einem beliebten Nachahmers Alfred Hitchcocks und King somit zu einem angesehenen Schriftsteller. Er gestand sogar, die Verfilmung hätte ihm mehr zugesagt als sein eigenes Werk. So wie das Buch in den Augen vieler das Meisterwerk Kings ist, ist der Film jenes des Regisseurs.29

3.2. Carrie – David Carson 2002

Ebenfalls von Kings Werk adaptiert entstand David Carsons Fernsehversion in Zusammenarbeit mit dem Sender NBC, welcher vermutlich darauf hoffte, eine jüngere Zielgruppe zu erreichen, die das Original noch nicht kannte. Die drei Stunden dauernde Neuverfilmung beginnt vielversprechend, scheitert jedoch im letzten Drittel. Die finalen Szenen sind in die Länge gezogen, möglicherweise um neue visuelle Effekte verwenden zu können, und Szenen scheinen eins zu eins von De Palma übernommen worden zu sein.30 Des Weiteren wurde die Spannung bei Übertragungen durch Werbeunterbrechungen zerstört und Carrie-Darstellerin Angela Bettis hatte wenige Chancen, ihr Schauspieltalent unter Beweis zu stellen. Passend zu der Erzählweise des Romans wird der Film jedoch von den Ermittlungen eines Detektives umrahmt, der versucht herauszufinden, was im Laufe der Ballnacht geschehen ist.31 Auf filmdienst.de wird der Film als Remake angesehen, welches sich „ eng an die literarische Vorlage […] anlehnt, ohne Eigenständigkeit zu entfalten oder je an de Palmas Verfilmung heranzureichen “.32

3.3. Carrie – Kimberly Peirce 2013

Warum eine weitere Verfilmung? Diese Frage stellten sich sowohl King, der seinen Abstand von der 2013 Version hielt, als auch Peirce, welcher von MGM angeboten wurde, die Regie für das Remake zu führen. Peirce, selbst ein Fan von De Palmas Werk, sah darin die Chance, Carrie zu modernisieren und trat mit Neugier an das Projekt.33 Neue Filmtechnik konnte für die Darstellung der Telekinese verwendet werden und Cybermobbing wurde in die Handlung miteingebunden.34 Zudem brachte Peirces Version einige Veränderungen in der Mutter-Tochter-Beziehung, Margaret Whites Charakter ist durchdachter porträtiert35 und Chloë Moretz stellt eine Carrie dar, welche sich ihrer Kräfte bewusster ist36. Carrie sei zwar einfach als lustige, kurzweilige Adaption zu sehen37, doch unterscheidet sich nicht groß von De Palmas Version38. Der Film mache zwar nichts falsch, wird aber als irrelevant angesehen.39

4. Aspekte von Buch und Neuverfilmung – ein Vergleich

Viele Spielfilme basieren auf einer literarischen Vorlage, doch die Stoffquelle muss nicht zwingend berücksichtigt werden, wenn Drehbuchautor und Regisseur sich nur aus Inspiration am Werk bedienen. Bei einem Medium, welches bewusst auf ein anderes transferiert wird, verhält es sich anders. In einem solchen Fall kann man beispielsweise die Adäquatheit einer Verfilmung infrage stellen. Aufgrund unterschiedlicher Vergleichskriterien eines Mediums wäre ein Vergleich zwischen Roman und Film allerdings nicht angemessen, man unterscheidet stattdessen zwischen dem Medienvergleich (Buch und Film) und dem ästhetischen Vergleich (Roman und Spielfilm).40 Folgendes Kapitel beinhaltet beide Arten der Vergleichsmethoden. Beim ästhetischen Vergleich ist anzumerken, dass die meisten Aspekte von Roman und Spielfilm nicht völlig separat voneinander betrachtet werden können, da sie zueinander in Beziehung stehen.

4.1. Erzähltechniken und Struktur

Anders als in der Verfilmung wird der Handlungsverlauf im Roman fortlaufend von Textausschnitten unterbrochen, welche aus fiktiven Quellen entnommen wurden.41 Hierbei handelt es sich beispielsweise um Pressemeldungen, Zeitungsberichte, Lexikonartikel oder Carrie Whites Totenschein, die einst dafür bestimmt waren, den Umfang des Buches auszudehnen, aber trotzdem einen Mehrwert liefern. Die Erzählung wird somit als fiktive Dokumentation aufgebaut, die Sachtexte untermauern die Begebenheiten scheinbar wissenschaftlich und verleihen Glaubwürdigkeit.42

Der Erzähler der Geschichte bleibt unbekannt , doch Carrie weißt sowohl die auktoriale und die personale Erzählperspektive als auch die Ich-Perspektive auf. Der Haupthandlungsverslauf wird überwiegend personal erzählt und verfällt teils ins Auktoriale, die Ich-Perspektive wird verwendet, wenn Gedanken einer Person wiedergegeben werden.43

Die Textausschnitte und die Gedankenwiedergabe sind erzähltechnische Mittel der Montage. Darunter versteht man das Zusammenfügen unterschiedlicher Wirklichkeitsebenen oder Satzfragmenten verschiedener stilistischer und raumzeitlicher Herkunft, deren Ziel Provokation und Überraschung ist. Gedanken, die in Klammern ohne Interpunktionszeichen angegeben werden, um den Denkvorgang darzustellen, und fiktive Quellen sollen die Spannung steigern und dienen als Erklärungsversuche.44 Ein weiteres Mittel der Spannungserhöhung ist die Multiperspektivität, bei welcher der Handlungsverlauf aus verschiedenen Sichten wiedergegeben wird, wie zum Beispiel am Anschlag der Ballnacht.45

Die Haupthandlung findet innerhalb von drei Wochen statt, doch aufgrund der Einschübe umfasst die erzählte Zeit 90 Jahre, beginnend mit der Geburt von Carries Urgroßmutter 1898 und endend mit einem 1988 adressierten Brief. Auffällig ist, dass die erzählte Zeit zu Beginn des Buches komprimiert ist und sich dann nach und nach der Erzählzeit nähert. Erkennbar ist dies am Seitenzahlverhältnis. Die Handlung der ersten drei Wochen entwickelt sich innerhalb 145 Seiten, die verbleibenden sieben Stunden werden auf 150 erzählt.46

Im Film wird ohne Unterbrechungen erzählt, es finden sich bloß zwei Zeitsprünge vor. Der Vorspann beginnt mit Carries Geburt, nach der Titelsequenz setzt die Geschichte in ihrem Jugendalter fort47 und der Haupthandlungsverlauf endet mit ihrem Tod im Steinregen48. Im Epilog unbestimmte Zeit später sitzt Sue Snell vor Gericht. Während ihrer Wiedergabe der Ballnacht sieht man, wie sie den Grabstein der Whites besucht, welcher durch Carries Gravierung Aufschluss auf die Erzählzeit gibt.49 Carrie lebte von 1995 bis 2013 und unter der Annahme, dass die Verhandlungen bald nach der Ballnacht stattfinden, beschränkt sich der Zeitraum auf circa 18 Jahre. Bezieht man das alternative Ende, in welchem Sue hochschwanger ist und in einem Albtraum ihr Kind gebärt50, in die Rechnung mit ein, verlängert sich die Erzählzeit um circa neun Monate. Auch im Film beginnt die erzählte Zeit komprimiert und nähert sich während der Ballnacht der Erzählzeit.51

4.2. Charaktere und Charakterbeziehungen im Verlauf der Handlung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Personengefüge (Möbius, 1998, S. 58)

In Filmen gestaltet es sich im Vergleich zu Büchern weitaus schwieriger, Figuren ausführlich zu charakterisieren, da sie als visuelle Medien auf das Sichtbare zurückgreifen müssen, um Innenleben wie Gefühle und Gedanken darstellen zu können. Die meisten Filme sind daher eher Handlungs- und keine Figurenfilme, wodurch auch die Bedeutung aller agierenden Personen steigt.52 Die folgenden Unterkapitel analysieren die Protagonisten Carrie und Margaret White sowie Susan Snell und Thomas Ross medienübergreifend deshalb nicht nur im Allgemeinen, sondern ebenso an speziellen Schlüsselszenen der Geschichte.

4.2.1. Carrie White: eine außergewöhnliche jugendliche Außenseiterin

Der auf den ersten Blick offensichtlichste Unterschied zwischen der Protagonistin Carrie aus dem Roman und Carrie aus der Verfilmung ist ihr äußerliches Erscheinungsbild. In der Buchversion ist sie ein „ Frosch unter Schwänen. […] ein dickliches Mädchen mit Pickeln an Hals, Rücken und Gesäß, ihr nasses Haar […] vollkommen farblos53. Mit sich selbst, vor allem mit ihrem nichtssagenden Gesicht unzufrieden greift sie deshalb hin und wieder zum Frustessen, um ihre innere Leere zu füllen.54 Ihren Körper versteckt sie unter schwerer Wäsche.55

Darstellerin Chloë Moretz verkörpert keine dieser Eigenschaften: Sie besitzt blonde Haare, ein ausdrucksvolles Gesicht mit reiner Haut und vollen Lippen sowie einen schlanken Körperbau. Ihre Kleidung bleibt weitgehend unauffällig.56 Aufgrund dieser Gegensätzlichkeit wird Carrie in einem Trope Anatomy Video als Beispiel für „ adaptierte Attraktivität “ angeführt57: Berühmte und attraktive Besetzungen seien eine der einfachsten Methoden, um einen Film möglichst ansprechend für die breite Masse zu machen.58 Carries Schönheit beeinflusst zwar weder ihren Charakter noch die Handlung, vermittelt allerdings ein anderes Bild für den Spott ihrer Klassenkameraden. Dass die Häme ihrer Mitschüler schon länger zurückreicht, wird in Kings Werk des Öfteren angeführt. Die Beschreibungen beginnen bei Beleidigungen, welche in Tischen der Grundschule59 und der Junior High School60 eingeritzt sind, und reichen bis zu einer Auflistung unzähliger Gemeinheiten, die ihr angetan werden: Namen, die sie gerufen wird, Stolperbeine, die ihr gestellt werden, oder ein fieser Scherzanruf, den sie von Chris Hargensen erhält. Durch ihre eigene Tollpatschigkeit stellt sie sich außerdem in ein noch schlechteres Licht.61 Der Grund für all den Spott liegt in der strikt religiösen Erziehung ihrer Mutter Margaret, die alles daran setzt, Carries Bemühungen, sich anzupassen, zu verhindern. Ihre Maßnahmen führten zum Auslöser aller Demütigungen, als Carrie in der Grundschule anfing, beim Mittagessen zu beten und sich dafür niederkniete.62

[...]


1 Vgl. Wieseler, 27.12.2019 (online)

2 Vgl. Möbius, 1998, S. 33

3 Vgl. ebd. S. 60

4 Vgl. ebd. S. 33 f.

5 Vgl. ebd. S. 34 ff.

6 Vgl. ebd. S. 36 ff.

7 Vgl. ebd. S. 37 ff.

8 Vgl. UMass Lowell, 11.07.2019 (online), TC: 5:44

9 Vgl. King, 2012, S. 77 f.

10 Vgl. ebd. S. 78 f.

11 Ebd. S. 79

12 Vgl. ebd. S. 79

13 Vgl. ebd. S. 79 f.

14 Vgl. MPR News, 23.07.2019 (online), TC: 00:08

15 Vgl. King, 2012, S. 81 ff.

16 Vgl. ebd. S. 88

17 Vgl. King, 2011, S. 47

18 Vgl. King, 2012, S. 88 f.

19 Ebd. S. 89

20 Vgl. MPR News, 23.07.2019 (online), TC: 03:12

21 Vgl. ebd. TC: 03:35

22 Biographics, 27.07.2019 (online)

23 Vgl. Möbius, 1998, S. 31

24 Vgl. ebd. S. 31

25 Faulstich, 2013, S. 45

26 Vgl. ebd. S.45

27 Ebd. S. 46

28 Vgl. Loderhose, 2013, S. 311 f.

29 Vgl. ebd. S. 316 f.

30 Vgl. Guthmann, 30.07.2019 (online)

31 Vgl. Wertheimer, 30.07.2019 (online)

32 Carrie (2002), 30.07.19 (online)

33 Vgl. Russo, 11.08.2019 (online)

34 Vgl. Sharkey, 11.08.2019 (online)

35 Vgl. Russo, 11.08.2019 (online)

36 Vgl. Duralde, 11.08.2019 (online)

37 Vgl. Russo, 11.08.2019 (online)

38 Vgl. Sharkey, 11.08.2019 (online)

39 Vgl. Duralde, 11.08.2019 (online)

40 Vgl. Faulstich, 2013, S. 62 f.

41 Vgl. Möbius, 1998, S. 40

42 Vgl. ebd. S. 53 f.

43 Vgl. ebd. S. 54

44 Vgl. ebd. S. 73 f.

45 Vgl. ebd. S. 75

46 Vgl. ebd. S. 54 ff.

47 Vgl. Carrie, 2013, TC: 02:40

48 Vgl. ebd. TC: 01:29:09

49 Vgl. ebd. TC: 01:29:47

50 Carrie 2013 alternative ending, 25.08.2019 (online), TC: 01:05

51 Vgl. Carrie, 2013

52 Vgl. Faulstich, 2013, S. 99

53 King, 2013, S. 9

54 Vgl. ebd. S. 55 ff.

55 Vgl. ebd. S. 54

56 Vgl. Carrie, 2013, TC: 42:58

57 Vgl. Trope Anatomy, 24.08.2019 (online), TC: 00:29

58 Vgl. ebd. TC: 01:10

59 Vgl. King, 2013, S. 9

60 Vgl. ebd. S. 30

61 Vgl. ebd. S. 14 f.

62 Vgl. Möbius, 1998, S. 60

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Der Roman "Carrie'' von Stephen King und die Neuverfilmung von Kimberly Peirce. Ein Vergleich
Note
1,0
Jahr
2020
Seiten
37
Katalognummer
V923820
ISBN (eBook)
9783346251916
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stephen King, Buch-Film-Vergleich, Kimberly Peirce, Filmanalyse, Textanalyse, Horrorfilm, Carrie White, Brian de Palma, Telekinese, Romanverfilmung
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Der Roman "Carrie'' von Stephen King und die Neuverfilmung von Kimberly Peirce. Ein Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/923820

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