Sprachliche Förderung von Kindern mit Autismus


Examensarbeit, 2008

98 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

Einleitung

1 Autismus
1.1 Begriffklärung und historische Betrachtung
1.2 Autismus als tiefgreifende Entwicklungsstörung
1.3 Diagnostische Merkmale des autistischen Syndroms
1.3.1 Soziale Interaktion
1.3.2 Kommunikation
1.3.3 Stereotypien und Sonderinteressen
1.3.4 Kognitive Fähigkeiten
1.3.5 Verhaltensauffälligkeiten
1.4 Zugehörige Merkmale und Störungen
1.5 Differentialdiagnose
1.6 Epidemiologie
1.7 Der Verlauf des autistischen Syndroms
1.8 Prognose
1.9 Ursachen

2 Der Spracherwerb
2.1 Lautäußerungen im Säuglingsalter
2.2 Die Lallphase
2.3 Erste bedeutungstragende Lautgebilde und Holophrasen
2.4 Beginn der Zweiwortsätze
2.5 Erste Mehrwortsätze
2.6 Haupt- und Nebensatzkonstruktionen

3 Auffälligkeiten im Sprachverständnis und Sprachgebrauch
3.1 Kommunikation über Entfernungen
3.2 Sprachverständnis
3.3 Echolalie
3.3 Pronominale Umkehr
3.4 Paraphrasien und Neologismen

4 Sprachliche Förderung- lebenslange Förderung
4.1 Früherkennung und Frühförderung
4.2 Förderung im Elternhaus
4.2 Schulische Förderung
4.2.1 Inhalte der schulischen Förderung
4.3 Berufliche Förderung
4.4 Leben außerhalb des Elternhauses

5 Ansätze zur Förderung
5.1 Verhaltenstherapie
5.1.1 Applied Behavior Analysis (ABA)
5.1.2 Der TEACCH-Ansatz
5.1.3 Das Bremer Elterntrainingsprogramm (BET)
5.1.4 Die kommunikative Sprachtherapie
5.2 Körperbezogene Therapieansätze
5.2.1 Sensorische Integrationstherapie
5.2.2 Psychomotorik
5.2.3 Audiosensorische Therapie
5.3 Psychotherapeutische Förderansätze
5.3.1 Die Aufmerksamkeits-Interaktions-Therapie (AIT)
5.3.2 Festhaltetherapie
5.4 Förderung von nonverbalen Kommunikationsformen
5.5 Ergänzende Maßnahmen

Ausblick

Literaturverzeichnis

Einleitung

Beeinträchtigungen in der Sprache zählen zu den offensichtlichsten Symptomen des autistischen Syndroms. Die ausbleibende oder auffällige Sprache ist für Eltern oft das erste eindeutige Zeichen, dass in der Entwicklung ihres Kindes „etwas nicht stimmt“.[1] Daher sind Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Sprachheilpädagogen und Logopäden häufig die ersten Fachleute, denen ein Kind mit Autismus vorgestellt wird.

Da sprachliche Auffälligkeiten bei Autismus so offensichtlich sind, nehmen sie auch innerhalb der Literatur und Forschung einen zentralen Stellenwert ein. Zeitweise betrachteten Wissenschaftler Defizite in der Sprache als Ursache für autistische Verhaltensweisen. Diese Auffassung gilt heute als überholt. Sprach-defizite werden als Folge von anderen, grundlegenden Beeinträchtigungen angesehen.[2]

Das autistische Syndrom geht mit einer Vielzahl von Symptomen einher. Förderansätze zielen daher meist auf eine Verbesserung in mehreren oder allen Bereichen der Entwicklung ab. Das heißt, sprachliche Förderung wird nicht isoliert betrieben, sondern ist Bestandteil einer umfassenderen Therapie.

Der Titel meiner Arbeit lautet: „Sprachliche Förderung von Kindern mit Autismus“. Sprachliche Förderung ist jedoch nicht auf das Kindesalter begrenzt. Da Autismus bis heute als nicht heilbar gilt, sollte die Förderung auch im Erwachsenenalter fortgeführt werden und darauf abzielen, dass Betroffene ihr Leben so selbständig wie möglich führen können.

Zunächst gehe ich auf das autistische Syndrom im Allgemeinen ein. Ich liefere eine Begriffsklärung und eine kurze historische Betrachtung. Anschließend werden die diagnostischen Kriterien und zugehörige Merkmale und Störungen dargestellt. Danach grenze ich das autistische Syndrom von anderen Krankheitsbildern ab.

Im Anschluss daran skizziere ich kurz den Verlauf des autistischen Syndroms und gehe auf die Prognose ein. Darauf folgt eine Darstellung möglicher Ursachen des Autismus.

Anschließend befasse ich mich mit dem Spracherwerb. Dabei gehe ich vom Spracherwerb normal entwickelter Kinder aus und stelle parallel dazu Auffälligkeiten von Kindern mit Autismus dar. Daran schließt eine Betrachtung der Beeinträchtigungen im Sprachverständnis und Sprachgebrauch an. Danach thematisiere ich die lebenslange Förderung von Menschen mit Autismus und gehe auf dem entsprechende Förderorte ein. Im Anschluss daran stelle ich Methoden zur Förderung von Menschen mit Autismus vor.

Entsprechend der Vielzahl von Verursachenstheorien existiert ein beinahe ebenso großes Spektrum an Therapieansätzen. Daher beschränke ich mich auf die Fördermethoden, die bei Menschen mit Autismus am häufigsten angewendet werden. In diese Therapiemethoden ist meistens eine Sprachförderung integriert. Da nonverbale Kommunikation als Vorstufe für verbale Kommunikation dienen kann, befasse ich mich kurz mit alternativen Kommunikationsformen.

1 Autismus

1.1 Begriffklärung und historische Betrachtung

Die etymologische Wurzel des Begriff „Autismus“ liegt im griechischen Wort „autós“, das übersetzt „selbst“, „eigen“ oder „persönlich“ bedeutet. Wortwörtlich versteht man unter „Autismus“ also eine „Ich-Bezogenheit“ oder „Zurückgezogenheit auf sich selbst.“[3] Der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler verwendete diesen Ausdruck erstmals 1911 für schizophrene Menschen, die sich von der Umwelt abkapselten und in ihre psychische Welt zurückzogen.[4]

Der amerikanische Kinder- und Jugendpsychiater Leo Kanner und der österreichische Kinderarzt Hans Asperger beobachteten 1943 und 1944 unabhängig voneinander eine Gruppe von Kindern mit schweren Beziehungs- und Kommunikationsstörungen.

Kanner bezeichnete diese Kinder als „frühkindliche Autisten“ und beschrieb folgende Kardinalsymptome: Die Kinder kapseln sich von ihrer personalen Umwelt ab und beharren auf Gleicherhaltung der dinglichen Umwelt, sowohl in der räumlichen als auch in der zeitlichen Dimension. Mit diesen Grundstörungen hängen Beeinträchtigungen oder Auffälligkeiten der Sprache wie Echolalie, pronominale Umkehr und Wortneuschöpfungen zusammen. Darüber hinaus weisen die betroffenen Kinder häufig Bewegungsstereotypien und bizarre Bewegungsabläufe auf. Häufig sind sie erheblich retardiert oder verfügen über ein sehr uneinheitliches Intelligenzniveau. Ihr Gefühlsleben wirkt oft disharmonisch, sie neigen zu Wutausbrüchen oder apathischem Verhalten, viele Kinder leiden unter Ängsten. Häufig zeigen die Betroffenen Sonderinteressen auf unterschiedlichem kognitivem Niveau. Des Weiteren ist ihr Spielverhalten eher stereotyp, sie erkennen oft den Aufforderungscharakter des Spielzeugs nicht.[5]

Asperger stellte fest, dass die von ihm beobachteten Kinder, die er als „autistische Psychopathen“ bezeichnete, nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sind, eine Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen.

Das Fehlen jeglicher affektiven Begleiterscheinung im Verhalten der Betroffenen stellt eine weitere Grundstörung dar. Darüber hinaus weisen sie Auffälligkeiten und Beeinträchtigungen in ihrer Sprache auf. Durch Wortneuschöpfungen scheint ihre Sprache oft besonders originell, doch scheinen viele Kinder die kommunikative Funktion der Sprache nicht wahrzunehmen. Auffällig ist auch die gepresst klingende Stimme, mit der die Betroffenen sprechen. Motorisch fallen sie durch Ungeschicklichkeit oder Bewegungsstereotypien auf. Ihre Intelligenz ist eher durchschnittlich bis überdurchschnittlich, wenngleich die Kinder im Alltag nicht davon profitieren, da sie ihre kognitiven Fähigkeiten nicht einsetzen bzw. anwenden können.

Das Gefühlsleben der Betroffenen wirkt disharmonisch, sie leiden unter einer hohen passiven Sensibilität, neigen zu Depressionen und Ängsten. Häufig zu beachten sind Sonderinteressen, die von den Kindern beharrlich und einfallsreich verfolgt werden, aber oft nur zu lexikalischen Kenntnissen führen.[6]

Ob Asperger und Kanner nun das gleiche Phänomen beschrieben oder nicht wird auch heute noch in der Fachwelt diskutiert. Asperger selbst war der Auffassung, dass es sich um zwei verschiedene Störungsbilder handelt.[7]

1.2 Autismus als tiefgreifende Entwicklungsstörung

Autistische Störungen werden heute in den medizinisch-psychiatrischen Klassifikationssystemen zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen gezählt und nicht mehr wie früher zu den Psychosen oder der kindlichen Schizophrenie.[8]

Unter der Bezeichnung „tiefgreifende Entwicklungsstörungen“ fasst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Gruppe von Störungen zusammen, „die durch qualitative Beeinträchtigungen in gegenseitigen Interaktionen und Kommunikationsmustern sowie durch ein eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten charakterisiert sind.“[9]

Bei diesen Störungen sind die qualitativen Beeinträchtigungen durch deutliche Abweichungen von der Entwicklungsstufe und vom Intelligenzalter einer Person „gekennzeichnet“.[10] Betroffene zeigen diese qualitativen Abweichungen in allen Situationen, der Ausprägungsgrad ist jedoch unterschiedlich. Tiefgreifende Entwicklungsstörungen können in Zusammen-hang mit bestimmten körperlichen Erkrankungen, wie frühkindlicher Cerebral-parese, Schädigung durch Rötelinfektion der Mutter in der Schwangerschaft, tuberöse Sklerose, Störung des Fettstoffwechsels mit Gehirnbeteiligung und fragiles X-Syndrom auftreten oder möglicherweise durch sie verursacht werden. Darüber hinaus können Betroffene kognitiv beeinträchtigt sein. Prinzipiell werden tiefgreifende Entwicklungsstörungen jedoch aufgrund des Verhaltens und unabhängig von eventuellen zusätzlichen Beeinträchtigungen diagnostiziert.[11]

Im anglo-amerikanischen Sprachraum hingegen sich der Ausdruck „Autismus-Spektrum-Störungen“ (ASS) durchgesetzt. Dabei dienen ASS als Oberbegriff für den frühkindlichen Autismus, das Asperger-Syndrom, das Rett-Syndrom, die Desintegrationsstörungen und unspezifische Entwicklungsprobleme. Mit der Verwendung des Begriffs „ASS“ soll verdeutlicht werden, dass zu diesem Krankheitsbild ein Kontinuum von Symptomen und Schweregraden gehören.[12]

Daneben existieren eine Reihe weiterer Bezeichnungen. „Frühkindlicher Autismus“ oder „der Autismus“ sind die Begriffe, die im ICD-10[13] zur Beschreibung der Kerndiagnose verwendet werden. Für dieselbe Symptomatik wird im DSM IV[14] der Ausdruck „autistische Störung“ benutzt. Mit dem Adjektiv „frühkindlich“ (oder „infantil“) als Zusatz soll ausgedrückt werden, dass die Störung in der frühen Kindheit beginnt. Diese Bezeichnung ist jedoch redundant, da Autismus per Definition vor der Vollendung des dritten Lebensjahres beginnt.[15] Außerdem kann dabei in Vergessenheit geraten, dass Autismus auch das Leben von Erwachsenen entscheidend prägt und es bis heute keine Möglichkeit der Heilung gibt.[16]

Die Bezeichnung „autistisches Syndrom“ verdeutlicht, dass zu diesem Störungsbild viele verschiedene Symptome gehören. Durch die Verwendung des Terminus „autistisches Kontinuum“ werden die unterschiedlichen Ausprägungsgrade von Autismus betont. Um den unterschiedlichen Ausprägungsgrad bzw. Untergruppen des autistischen Kontinuums zu beschreiben werden Begriffe wie „Asperger“- und „Kanner-Syndrom/ Autismus“, „Entwicklungsverzögerung mit autistischen Zügen“ und „High Function/ Functioning-Autismus“ verwendet.[17]

Die Bezeichnung „High-Functioning-Autismus“ wird für Menschen mit Autismus verwendet, die je nach Definition, keine geistige Behinderung (IQ > 70) oder mindestens eine durchschnittliche Intelligenz (IQ > 85) haben. Darüber hinaus verfügen die meisten Menschen mit „High-Functioning-Autismus“ über gute verbale Fähigkeiten, auch wenn ihr Spracherwerb zunächst verzögert war.

Im Gegensatz dazu weisen Menschen mit „Low-Functioning-Autismus“ geringe sprachliche Fähigkeiten und verminderte kognitive Fähigkeiten auf.[18]

In der Forschung ist man unterschiedlicher Meinung, ob es sich bei dem Asperger-Syndrom um eine eigene Klassifikation oder eine Untergruppe im weiten Spektrum autistischer Störungen handelt.[19]

Der Begriff „Kanner-Syndrom“ wird häufig zur Bezeichnung von Menschen verwendet, bei denen die autistische Störung sehr stark ausgeprägt ist und dient dabei zur Abgrenzung vom Asperger-Syndrom.[20]

In meiner Arbeit verwende ich die Begriffe „autistisches Syndrom“ bzw. „Autismus“. Da ich von einem autistischen Kontinuum ausgehe, differenziere ich nicht zwischen Asperger- und Kanner-Syndrom. Ich fasse Autismus als eigenständiges Störungsbild auf und grenze es im Kapitel 1.8 von anderen Störungen ab.

Betroffene bezeichne ich in meiner Arbeit als „Kinder/ Menschen/ Personen mit Autismus“. Mir ist bewusst, dass diese Bezeichnungen als stigmatisierend empfunden werden könnten. Anhand der Diskussion von Susanne Schäfer und Susanne Nieß, zwei Frauen mit Autismus, ist jedoch ersichtlich, dass es schwer ist, einen Terminus zu finden, der die Gefühle Betroffener oder ihrer Angehörigen nicht verletzt.[21]

1.3 Diagnostische Merkmale des autistischen Syndroms

Die Hauptmerkmale des autistischen Syndroms sind eine deutlich abnorme und beeinträchtigte Entwicklung im Bereich der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie ein stark eingeschränktes Repertoire an Aktivitäten und Interessen.[22]

Das autistische Syndrom tritt vor der Vollendung des dritten Lebensjahres auf und zeigt sich durch Verzögerungen oder abnorme Funktionsfähigkeit in mindestens einem, meist jedoch in mehreren der folgenden Bereiche: soziale Interaktionen, Sprache als soziales Kommunikationsmittel, symbolisches oder phantasievolles Spiel.[23] Meist weisen Kinder mit Autismus in allen Entwicklungsphasen Auffälligkeiten auf. Elternbefragungen konnte entnommen werden, dass sich etwa 20% der Kinder im ersten oder in den ersten beiden Lebensjahren relativ normal entwickelten. Die Eltern dieser Kinder berichten meist, dass ihr Kind zunächst einige Worte gelernt, diese jedoch wieder verloren habe oder in der weiteren Entwicklung stagniert sei.[24]

1.3.1 Soziale Interaktion

Menschen mit Autismus sind in ihrer zwischenmenschlichen Interaktion und Kommunikation beeinträchtigt, da ihre nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten, wie Blickkontakt, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Gestik wenig ausgeprägt sind. Vielen Betroffenen ist es nicht möglich, ihrer Entwicklungsstufe entsprechende Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen. Kinder mit Autismus zeigen oft wenig oder kein Interesse an Freundschaften. Jugendliche oder erwachsene Menschen mit Autismus würden zwar gerne Freundschaften knüpfen. Dies scheitert aber oft daran, dass ihnen das Verständnis für die Regeln einer zwischenmenschlichen Beziehung fehlt.

Darüber hinaus verspüren Menschen mit Autismus oft nicht das spontane Verlangen, Dinge oder Erlebnisse, die ihnen Vergnügen bereiten oder sie interessieren, mit anderen zu teilen. Beispielsweise zeigen oder bringen sie anderen Personen keine Dinge, die sie interessieren und weisen auch nicht auf diese hin. Häufig tauschen sich Betroffene auch nicht sozial oder emotional mit anderen Menschen aus. Das heißt, sie spielen nicht aktiv mit anderen Kindern, ignorieren diese eventuell sogar völlig und beschäftigen sich stattdessen alleine. Phantasiespiele oder symbolisches Spielen fehlen bei Kindern mit Autismus völlig oder sind stark eingeschränkt. Sie zeigen auch keine Imitations- oder Rollenspiele.[25]

Oft beziehen sie andere Menschen in ihre Aktivitäten nur als „Werkzeug“ oder „mechanische Hilfe“ mit ein. Dass Betroffene Schwierigkeiten haben, sich in andere hineinzuversetzen zeigt sich z.B. daran, dass sie häufig keine Vorstellung von den Bedürfnissen anderer Menschen haben und auch deren emotionale Verfassung nicht einschätzen können.[26]

1.3.2 Kommunikation

Menschen mit Autismus sind sowohl in ihrer nonverbalen als auch ihrer verbalen Kommunikation deutlich und anhaltend beeinträchtigt. Häufig ist die Entwicklung der verbalen Sprache verzögert oder bleibt völlig aus.

Personen, die sprechen können, haben oft Schwierigkeiten, ein Gespräch mit anderen zu beginnen oder fortzuführen.[27] Die grammatischen Strukturen ihrer Sprache sind oft unterentwickelt, stereotyp und repetitiv. Das heißt, sie wiederholen Worte oder Sätze ohne Bedeutungszusammenhang, wie z.B. Werbesprüche.

Manche Menschen mit Autismus verwenden auch eine idiosynkratische Sprache, weshalb sie nur von Personen verstanden werden können, die mit ihrem Kommunikationsstil vertraut sind.

Das Sprachverständnis von Menschen mit Autismus ist oft verzögert. Daher fällt es manchen Betroffenen schwer, Fragen, Anweisungen oder Witze zu verstehen. Außerdem können Stimmhöhe, Intonation, Sprechgeschwindigkeit, Sprech-rhythmus oder Betonung der Sprache auffällig sein.[28]

1.3.3 Stereotypien und Sonderinteressen

Oft weisen Personen mit Autismus beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten auf. Dies zeigt sich darin, dass sie sich ausschließlich und intensiv mit einem oder mehreren stereotypen und begrenzten Interessen beschäftigen, wie z.B. Telefonnummern oder Fußball-statistiken. Viele sind von Dingen fasziniert, die sie bewegen können, wie z.B. sich drehende Räder von Spielsachen oder Türen. Manche bauen eine starke Bindung an unbelebte Objekte auf.[29]

Viele Betroffene bestehen auf das genaue Einhalten von gewohnten Abläufen, wie z.B. jeden Tag zur selben Uhrzeit zu frühstücken. Veränderungen im Tagesablauf oder ihrer gewohnten Umgebung können Widerstand oder Kummer hervorrufen. Darüber hinaus beharren Menschen mit Autismus oft auf bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten oder Rituale, wie beispielsweise das Aufstellen von Spielsachen in immer derselben Art und Weise.

Auch die Körperhaltung kann auffällig sein. Manche gehen z.B. auf Zehen-spitzen oder haben eine ungewöhnliche Körperhaltung. Einige bewegen ihre Hände (klatschen oder schnippen mit den Fingern) oder den ganzen Körper (wiegende, schaukelnde und schwankende Bewegungen) stereotyp.[30]

1.3.4 Kognitive Fähigkeiten

Bei Kindern mit Autismus wird häufig auch eine geistige Behinderung diagnostiziert, die leicht bis schwerst ausgeprägt sein kann. Bei etwa 75% der Betroffenen bestehen aufgrund der für sie typischen Wahrnehmungs-verarbeitungsstörungen und den daraus resultierenden Beziehungs-, Lern- und Leistungsstörungen intellektuelle Defizite, die in den Bereich von Lern- oder geistiger Behinderung eingeordnet werden.[31] Unabhängig vom allgemeinen Intelligenzniveau ist das Profil kognitiver Fähigkeiten gewöhnlich unausgewogen. Dabei sind die verbalen Fähigkeiten meist schwächer als die nichtverbalen ausgeprägt.[32]

1.3.5 Verhaltensauffälligkeiten

Auch in ihrem Verhalten zeigen Menschen mit Autismus oft Auffälligkeiten, wie z.B. Hyperaktivität, eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, Impulsivität, Aggressivität, selbstschädigendes Verhalten oder Wutanfälle. Eine hohe Schmerzschwelle, Übersensibilität gegenüber Tönen und Berührungen, übersteigerte Reaktionen auf Licht oder Gerüche können Anzeichen dafür sein, dass die sensorische Verarbeitung beeinträchtigt ist. Einige Betroffene zeigen ein auffälliges Essverhalten, wie z.b. die Beschränkung auf einige wenige Lebensmittel. Darüber hinaus können Menschen mit Autismus abnorme Schlafrhythmen aufweisen.

Kichern oder Weinen ohne ersichtlichen Grund oder das Fehlen von emotionalen Reaktionen sind Auffälligkeiten der Stimmung oder des Affekts, die bei einigen beobachtet werden können.

Gefahren können von vielen schwer eingeschätzt werden. Daher kann es sein, dass sich Betroffene in Situationen, in denen reale Gefahr droht, furchtlos verhalten oder in unbedenklichen Situationen übermäßig ängstlich.[33]

1.4 Zugehörige Merkmale und Störungen

Wenn Autismus mit einem medizinischen oder neurologischen Krankheitsfaktor wie beispielsweise dem Fragilen X-Syndrom oder der tuberösen Sklerose verbunden ist, weisen die Betroffenen dementsprechende Laborbefunde auf. Unabhängig davon kann bei vielen Menschen mit Autismus ein erhöhter Serotonin- und Dopaminspiegel festgestellt werden. Bildgebende Verfahren zeigen bei einigen Betroffenen Auffälligkeiten. Bisher wurde jedoch noch kein spezifisches Muster eindeutig identifiziert.[34] Bei etwa einem Viertel der Betroffenen können epileptische Anfälle auftreten. Auffälligkeiten im EEG können jedoch oft auch unabhängig davon festgestellt werden. Die Forschungs-ergebnisse hierzu sind jedoch uneinheitlich: Die Häufigkeitsangaben über Kinder mit abweichenden EGG-Befunden schwanken zwischen 20% und 90%.[35] Des Weiteren wurden bei Menschen mit Autismus unspezifische neurologische Symptome wie z.B. abgeschwächte Reflexe oder eine verzögerte Entwicklung der Handdominanz beobachtet.[36]

1.5 Differentialdiagnose

Auch bei nichtbehinderten Kindern können gelegentlich regressive Entwicklungsphasen beobachtet werden. Jedoch sind diese nicht so schwerwiegend und langanhaltend wie bei Kindern mit Autismus.

Autismus wird von anderen tiefgreifenden Entwicklungsstörungen abgegrenzt. Von der Rett-Störung sind ausschließlich Mädchen betroffen, wohingegen Autismus häufiger bei Jungen diagnostiziert wird. Mädchen mit der Rett-Störung weisen ein verlangsamtes Kopfwachstum auf. Außerdem verlieren sie zuvor erworbene zielgerichtete Fertigkeiten der Hände und können Bewegungen des Rumpfes oder des Gangs schlecht koordinieren.

Im Vorschulalter zeigen Mädchen mit der Rett-Störung häufig soziale Auffälligkeiten, die denen von Kindern mit Autismus ähneln. Meistens sind diese Verhaltensauffälligkeiten jedoch von vorübergehender Dauer.[37]

Tritt eine Entwicklungsregression nach mehr als zwei Jahren normaler Entwicklung auf, spricht man von einer desintegrativen Störung im Kindesalter. Wenn keine Informationen über die frühe Entwicklung eines Kindes verfügbar sind oder es unmöglich ist, den erforderlichen Zeitraum normaler Entwicklung festzustellen, sollte das autistische Syndrom diagnostiziert werden.[38]

Kindliche Schizophrenie entwickelt sich gewöhnlich nach Jahren normaler oder annähernd normaler Entwicklung. Wenn eine Person mit Autismus zusätzlich die typischen Symptome einer Schizophrenie zeigt und diese mindestens einen Monat andauern, kann zusätzlich die Diagnose Schizophrenie gestellt werden.[39]

Ein Kind mir selektivem Mutismus ist unfähig, in spezifischen sozialen Situationen (z.B. im Kindergarten oder in der Schule) oder mit bestimmten Personen (z.B. Personen, die nicht zum engsten Familienkreis gehören) zu sprechen. Es weist nicht die starken Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion und die eingeschränkten Verhaltensweisen auf, die beim autistischen Syndrom zu beobachten sind.[40]

Bei einer ex pressiven Sprachstörung und der kombinierten rezeptiv-expressiven Sprachstörung ist der Betroffene in seiner Sprache beeinträchtigt. Eine qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion und eingeschränkte, repetitiven und stereotypen Verhaltensmuster können jedoch nicht festgestellt werden.[41]

Bei manchen Kindern mit einer geistigen Behinderung ist es schwierig zu entscheiden, ob die zusätzliche Diagnose „Autismus“ gerechtfertigt ist, besonders, wenn die Kinder schwere oder schwerste geistige Beeinträchtigungen aufweisen.

Die zusätzliche Diagnose sollte in den Fällen gestellt werden, bei denen qualitative Defizite hinsichtlich der sozialen und kommunikativen Fähigkeiten und die für das autistische Syndrom charakteristischen Verhaltens-auffälligkeiten registriert werden können.

Auch motorische Stereotypien sind typisch für das autistische Syndrom.[42] Eine zusätzliche stereotype Bewegungsstörung wird nicht diagnostiziert, wenn diese als Teil des autistischen Syndroms besser erklärt werden kann.[43]

1.6 Epidemiologie

Nach Angabe von epidemiologischen Studien weisen pro 10.000 Menschen fünf ein autistisches Syndrom auf. Daneben existieren aber auch Untersuchungen, die über 2 bis 20 Fälle pro 10.000 Personen berichten.[44] Dabei bleibt jedoch unklar, ob die höheren Prävalenzraten auf Unterschieden in der methodischen Vorgehensweise basieren oder auf eine höhere Anzahl von Betroffenen hinweisen. Fest steht, dass Autismus vier- bis fünfmal häufiger bei Jungen als bei Mädchen auftritt. Betroffene Mädchen weisen jedoch häufiger eine stärkere geistige Behinderung auf.

Ein erhöhtes Risiko für das autistische Syndrom besteht bei Geschwistern von Betroffenen. Schätzungsweise 5% der Geschwister sind ebenfalls durch Autismus beeinträchtigt. Darüber hinaus scheint es auch ein erhöhtes Risiko für verschiedene Entwicklungsschwierigkeiten bei Geschwistern von Betroffenen zu geben.[45]

1.7 Der Verlauf des autistischen Syndroms

Einige Eltern von Kindern mit Autismus berichten, dass sie schon beim Neugeborenen oder Säugling das fehlende Interesse an sozialen Interaktionen registrierten. Doch im Säuglings- und Kleinkindalter sind die Anzeichen für das autistische Syndrom subtiler und damit schwerer zu definieren als bei zweijährigen Kindern. Den Eltern fällt oft ein fehlendes Zärtlichkeitsbedürfnis, Gleichgültigkeit oder Aversion gegenüber Zuneigung oder körperlichem Kontakt, das Fehlen von Blickkontakt, mimischen Reaktionen und sozialem Lächeln sowie die fehlende Reaktion auf ihre Stimme auf.[46]

Zwischen dem zweiten und dem vierten Lebensjahr sind die Entwicklungsabweichungen von Kindern mit Autismus immer deutlicher erkennbar. In dieser Phase gibt es oft Probleme durch Wutanfälle, Zerstörung von Gegenständen und Selbstverletzung sowie Schwierigkeiten bei alltäglichen Routineabläufen. Bei den meisten Betroffenen nehmen diese Probleme mit zunehmendem Alter ab, bei manchen nehmen sie jedoch bis zum Schulalter zu.[47] Bei Schulkindern und Jugendlichen können oft Fortschritte in der Entwicklung beobachtet werden, z.B. steigt bei manchen das Interesse an Sozialkontakten mit dem Schuleintritt.[48]

Aufgrund der körperlichen Umstellung, der stärkeren sexuellen Impulse und der veränderten Erwartungen der Umwelt besonders in Bezug auf die Selbständigkeit ist die Phase von der Pubertät bis zum frühen Erwachsenenalter für viele Menschen mit Autismus schwierig. Teilweise reagieren sie auf die körperlichen und psychischen Veränderungen der Pubertät aggressiv oder auch selbstverletzend.[49] Im Gegensatz zu normal entwickelten Jugendlichen bleiben Jugendliche mit Autismus oft nach wie vor auf Hilfsangebote ihrer Umwelt angewiesen.

Daher beginnen viele in dieser Zeit, ihr „Anderssein“ zu erkennen und nach Autonomie zu streben. Andere hingegen werden als Reaktion auf das Bewusstwerden ihrer schweren Beeinträchtigung depressiv.[50]

Etwa die Hälfte aller Erwachsenen mit Autismus kann nicht sprechen. Nur wenige finden einen Arbeitsplatz, der ihren Fähigkeiten entspricht und können unabhängig leben. Schätzungsweise ein Drittel der Betroffenen kann ein teilweise unabhängiges Leben führen.[51]

1.8 Prognose

Über viele Jahre galt die Langzeitprognose für Kinder mit Autismus als schlecht. Mittlerweile hat man jedoch erkannt, dass das autistische Syndrom sehr unterschiedlich verlaufen kann.

Für eine Langzeitprognose sind das Sprachvermögen und das allgemeine Intelligenzniveau die wichtigsten Indikatoren.[52] Laut Untersuchungen haben Kinder mit einem nonverbalen IQ, der größer ist als 70 und die bis zum Alter von ca. fünf Jahren eine sinnvolle Sprache erworben haben günstige Entwicklungsaussichten. Demzufolge ergibt sich eine ungünstige Prognose, wenn der nonverbale IQ unter 50 liegt und bis zum fünften Lebensjahr keine Sprache erworben wurde.[53]

Darüber hinaus lassen die Kontrolle der Ausscheidungsfunktionen vor dem achten Lebensjahr, Imitationsverhalten und der Rückgang von Stereotypien vor dem zehnten Lebensjahr auf eine positive Entwicklung hoffen.[54]

Außerdem können eine sprunghafte Lernkurve im Grundschulalter, das Erlernen von Blickkontakt und die Reduzierung von zwanghaftem Verhalten auf einen günstigen Verlauf der Entwicklung sprechen.[55] Auf geringe Entwicklungsmöglichkeiten kann das Auftreten von epileptischen Anfällen hinweisen.[56]

Durch adäquate Frühfördermaßnahmen können die meisten Kinder mit Autismus zumindest eine einfache kommunikative Sprache und ein gewisses Maß an Sozialfunktion erwerben. Insgesamt gesehen konnten neuere therapeutische Ansätze die Langzeitprognose für Kinder mit Autismus deutlich verbessern.[57]

1.9 Ursachen

Bislang konnte noch nicht eindeutig geklärt werden, wie Autismus entsteht und wodurch er verursacht wird. Es wird angenommen, dass während der Entstehung dieser Störung hauptsächlich hirnorganische, stoffwechselbedingte, genetische, psychogenetische oder psychosoziale Faktoren eine Rolle spielen. Mittlerweile existieren etwa. 60 Theorien über die Ursachen des Autismus, die sich jedoch teilweise widersprechen. Nach Hartmut Sautter lassen sich vier ätiologische und therapeutische Grundkonzepte unterscheiden: Der hereditär-genetische Ansatz, der psychogene, der organologische und der polyätiologische Ansatz.[58]

Nach Auffassung von Vertretern des hereditär-genetischen Ansatzes, wie Asperger, Kanner u.a., ist die Konstitution zur Ausprägung autistischer Verhaltensweisen hauptsächlich durch erbliche Dispositionen bedingt sind. Daher ist die Therapie primär verhaltensmodifikatorisch und damit symptomorientiert.[59]

Für Vertreter des psychogenen Ansatzes wird das autistische Syndrom primär durch die soziale Umgebung und die sozialen Umstände der ersten Lebensmonate und –jahre hervorgerufen. Daher richten psychoanalytisch orientierte Forscher wie Bettelheim und Tustin ihren Fokus auf die engste soziale Umgebung des Kindes (Mutter-Kind-Dyade). Gute, stabile, verlässliche und haltgebende zwischen-menschliche Beziehungen im „therapeutischen Milieu“ und die Orientierung an den individuellen Bedürfnissen des Betroffenen bilden die Basis der Therapie.[60]

Für ethologisch orientierte Forscher wie N. Tinbergen, E. Tinbergen, Welch und Zaslow steht die Wirkung gesamtgesellschaftlicher autistoider Entwicklungen im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Sie setzen die Haltetherapie ein, bei der man davon ausgeht, dass das (erzwungene) Halten durch eine Bezugsperson- in der Regel die Mutter- es dem Kind ermöglicht, langsam sichere Beziehungen aufzubauen. Beide psychogenen Forschungs-richtungen berücksichtigen jedoch auch anlagemäßig-konstitutionelle Voraus-setzungen für das Entstehen von Autismus.[61]

Für Vertreter des organologischen Ansatzes (Delacato, Rimland, Lempp, Weber) wird Autismus durch neurologische Fehlfunktionen verursacht, die dazu führen, dass die Wahrnehmungsverarbeitung beeinträchtigt wird. Dementsprechend hat die Therapie eine neurologische Organisation durch Bewegungsübungen und Sinnestraining zum Ziel.[62]

Mittlerweile gehen einige Forscher davon aus, dass Autismus in seiner Viel-gestaltigkeit auch durch vielgestaltige Ursachen hervorgerufen wird.

Vertreter dieses sogenannten polyätiologischen Ansatzes wie Kehrer, O’ Gorman und Nissen betrachten Autismus als zentrale Persönlichkeitsstörung, die durch eine Kombination von erblicher Disposition, Hirnfunktions- und Wahrnehmungs-störungen und psychische Faktoren verursacht wird. Daher erfolgt die Therapie durch eine individuell angepasste Kombination verschiedener Therapieformen, wofür eine interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig ist.[63]

2 Der Spracherwerb

In mikroanalytischen und videogestützten Untersuchungen der Interaktion zwischen Neugeborenen und ihrer Mutter konnte nachgewiesen werden, dass schon Säuglinge über eine Vielfalt an kommunikativen Fähigkeiten verfügen, die sie im Kontakt mit den Eltern ständig erweitern. Demnach können Babys bereits im ersten Lebensjahr differenziert, wenn auch noch nicht intentional, mit ihren Eltern kommunizieren. Die Eltern stimmen ihr kommunikatives Verhalten unbewusst auf die Signale ihres Kindes ab.[64] Dadurch entstehen eine spezifische Kommunikationsstruktur und eine enge Bindung. Daher ist ein andersartiges Kontaktverhalten des Kindes oft das erste Symptom, das Eltern auffällt, besonders wenn sie bereits nichtbehinderte Kinder haben.

Die auf Forschungsergebnissen und Elternberichten basierenden Früh-erkennungslisten für Kinder mit Autismus beziehen sich deshalb auf eine Vielzahl sozialer Auffälligkeiten der Babys und Kleinkinder: Betroffene Kinder zeigen keine (positive) Reaktion auf ihre Mutter, sie scheinen ihre Mutter nicht zu erkennen. Wenn sie hochgenommen werden machen sie sich steif oder schlaff. Darüber hinaus interessieren sie sich nicht für ihre Umwelt und sind anscheinend alleine am glücklichsten.

Viele Babies und Kleinkinder mit Autismus schreien viel und lange und lassen sich von ihrer Mutter oft nicht beruhigen. Andere hingegen sind auffallend ruhig.[65]

Darüber hinaus vermeiden Kinder mit Autismus Blickkontakt. Das soziale Lächeln entwickelt sich verspätet. Allgemein lachen sie wenig und zeigen auch sonst keine Freude an Sozialkontakten. Kinder mit Autismus fallen außerdem durch ihr stereotypes Spielen auf. Sie imitieren nicht und zeigen anderen Personen nichts.[66]

Auch wenn Eltern diese Auffälligkeiten ihres Kindes schon früh wahrnehmen, sind sie sich oft erst sicher, dass mit ihrem Kind etwas nicht stimmt, wenn der Spracherwerb ausbleibt oder deutlich verzögert verläuft.[67]

2.1 Lautäußerungen im Säuglingsalter

Das Schreien eines Säuglings ist ein angeborenes, artspezifisches Lautmuster mit einer Frequenz zwischen 400 und 600 Herz. Unterschiede im Schreien sind je nach Bedürfnis (Hunger, Schmerz etc.), aber auch zwischen einzelnen Kindern feststellbar.

In den ersten Wochen nach der Geburt erfolgen die Lautäußerungen des Säuglings reflektorisch auf Unbehagen.[68] Erst später erhält das Schreien den Charakter eines konditionierten Reizes oder eines geplanten Signals.[69] Für die Mutter hat das Schreien ihres Babys eine kommunikative Funktion. Bereits kurz nach der Geburt kann sie ihr Kind anhand seines Schreiens erkennen. Kurze Zeit später kann sie aufgrund der Art des Schreiens und dessen Kontext auf seine Ursache schließen und spezifisch darauf reagieren.[70]

Während des zweiten Lebensmonats differenziert sich das Schreien des Kindes aus. Wenn der Säugling Abwehr ausdrücken will, setzt seine Stimme hart ein. Äußerungen des Wohlbefindens beginnen mit einem weichen Stimmeinsatz. Dabei verwendet das Kind bevorzugt Vokale und den Konsonanten „h“.[71]

Eltern von Kindern mit Autismus berichten, dass das Schreien ihrer Kinder eine geringere Ausdrucksqualität aufweist als das normal entwickelter Kinder. Oft konnte nur eine Art des Schreiens beobachtet werden. Da kein anderes körperliches Signal an die Stelle des Schreiens tritt, können ihre Bedürfnisse oft schwerer erkannt werden.[72]

2.2 Die Lallphase

Etwa sechs Wochen nach der Geburt beginnt die sogenannte Lallphase. Früher hat man dieser Phase keine große Bedeutung beigemessen. Mittlerweile weiß man jedoch, dass Kinder während der Lallphase einen Rückkopplungsprozess vollziehen, der eine wichtige Voraussetzung für den Spracherwerb darstellt.

Der Säugling beginnt meist im zufriedenen Zustand mit seiner Stimme zu experimentieren. Das Kind liegt dabei in bequemer Rückenlage und wirkt selbstzufrieden mit sich selbst beschäftigt. Die produzierten Laute sind zunächst noch weitgehend unbewusst und unwillkürlich und entstehen durch zufällige Lageänderungen der Sprechorgane. Die produzierten Laute bestehen teilweise aus konsonantischen Phonationen, Zisch- und Schnalzlauten, die in der Muttersprache nicht mehr vorkommen.[73] Mit ca. sechs Monaten beginnt der Säugling nur noch Laute zu produzieren, die spezifisch für seine jeweilige Sprachumgebung sind.[74]

Da sich das Kind selbst hört, werden ihm seine stimmlichen Fähigkeiten bewusst, was die Lautproduktion zusätzlich stimuliert.

[...]


[1] Seemann 1999, S. 31.

[2] Ebd.

[3] Feuser 2001, S.234.

[4] Klein 2002, S. 24.

[5] Ebd.

[6] Klein 2002, S. 24.

[7] Asperger 1968, S. 136-145.

[8] Klein 2002, S. 24.

[9] http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2008/fr-icd.htm, 17.10.2007

[10] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 102.

[11] Remschmidt 2002, S. 14.

[12] Bernard-Opitz 2005, S. 13.

[13] Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), 10. Version siehe http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2008/fr-icd.htm, 17.10.2007.

[14] Vierte Ausgabe des D iagnostic and S tatistical Manual of M ental Disorders, herausgegeben von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung siehe Diagnostisches und Statistisches Manual 2003.

[15] Poustka u.a. 2004, S. 11.

[16] Able u.a. 2001, S. 16.

[17] Ebd., S. 17.

[18] Poustka u.a. 2004, S. 11.

[19] Vgl. Steindal 1996, S. 8 und 11f.; Bundesverband 2001, S. 9f.; Lösche 1992, S. 7f.

[20] Able u.a. 2001, S. 16.

[21] Schäfer vertritt die Auffassung, der Begriff Autist/in sei diskriminierend. Sie empfindet die Bezeichnung „Mensch mit Autismus“ als korrekter. Dagegen argumentiert Nieß, Autismus präge die Persönlichkeit in so hohem Ausmaß, dass der Terminus Autist/in angemessen sei. Vgl. autismus Mai Nr. 43/97, S. 43f.

[22] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 103.

[23] Ebd., S. 104.

[24] Ebd., S. 105.

[25] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 104.

[26] Ebd., S. 103.

[27] Ebd.

[28] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 104.

[29] Ebd.

[30] Ebd.

[31] Schulische Förderung 2003, S. 9.

[32] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 104.

[33] Ebd.

[34] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 105.

[35] Vgl. Innerhofer u.a. 1988, S. 158 und Weber 1985, S. 282.

[36] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 105.

[37] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 107.

[38] Ebd.

[39] Ebd.

[40] Ebd.

[41] Ebd.

[42] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 107.

[43] Ebd., S. 108.

[44] Ebd., S. 106.

[45] Ebd.

[46] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 106.

[47] Denkschrift 2001, S. 13.

[48] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 106.

[49] Denkschrift 2001, S. 13.

[50] Denkschrift 2001, S. 13.

[51] Ebd., S. 14.

[52] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 106.

[53] Siegel 1991, S. 53-68.

[54] Able u.a. 2001, S. 38.

[55] Able u.a. 2001, S. 38.

[56] Ebd.

[57] Diagnostisches und Statistisches Manual 2003, S. 106.

[58] Sautter 1995, S. 39.

[59] Klein 2002, S. 25.

[60] Ebd.

[61] Ebd.

[62] Ebd.

[63] Klein 2002, S. 26.

[64] Cordes 1995, S. 13.

[65] Seemann 1999, S. 31.

[66] Kehrer 1979, S.97.

[67] Cordes 1995, S. 25.

[68] Ebd., S. 30.

[69] DeMyer 1986, S. 41.

[70] Cordes 1995, S. 30.

[71] Kalde 1992, S. 68.

[72] DeMyer 1986, S. 42.

[73] Kalde 1992, S. 69.

[74] Keller 1982, S. 65.

Ende der Leseprobe aus 98 Seiten

Details

Titel
Sprachliche Förderung von Kindern mit Autismus
Hochschule
Universität Koblenz-Landau  (Institut für Sonderpädagogik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
98
Katalognummer
V92385
ISBN (eBook)
9783638061339
ISBN (Buch)
9783656564119
Dateigröße
707 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprachliche, Förderung, Kindern, Autismus
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Caroline Debelt (Autor:in), 2008, Sprachliche Förderung von Kindern mit Autismus , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92385

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