Paulus als Mutter? Biblische Perspektiven auf Trans- und Intersexualität


Hausarbeit (Hauptseminar), 2020

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Frage nach der Geschlechtlichkeit des Menschen in den Schöpfungserzählungen der Genesis

3. Die Eunuchen

4. Der Mensch in Christus

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Eine Frau soll nicht die Ausrüstung eines Mannes tragen und ein Mann soll kein Frauenkleid anziehen“ (Dtn22, 5). Dieses Zitat kann, um es mit dem heutigen Sprachgebrauch zu sagen, als Verbot des Crossdressings gelesen werden1 und deutet an, dass Lebensweisen, die nicht dem vermeintlichen, binär gedachten Geschlecht entsprechen, bereits Thema zu biblischen Zeiten war. Mit diesem Thema beschäftigt sich auch die nachfolgende Arbeit, nämlich mit biblischen Perspektiven zum Thema Trans- und Intersexualität, mit ihren Möglichkeiten und Grenzen.

Zunächst eine kurze Einführung in die Begriffe der Trans- und Intersexualität und in die frage, inwiefern sie zusammengehören: „Transsexuelle identifizieren sich nicht mit dem Geschlecht, in dem sie bislang gelebt haben und möchten körperlich und sozial im anderen von zwei Geschlechtern leben.“2 Neurowissenschaftler sind der Ansicht, „dass Transsexualität eine besondere Form von Intersexualität darstellt. Als intersexuell bezeichnet man Menschen, die mit sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsmerkmalen zur Welt gekommen sind. Beim Phänomen ‚Transsexualität‘ scheint dies in besonderer Weise zuzutreffen“3. Wenn also im Folgenden von Transsexualität die Rede ist, geht es um Menschen, die den Wunsch verspüren und ggf. ausleben, im anderen Geschlecht zu leben, als in dem, in dem sie geboren wurden. Wenn von Intersexualität die Rede ist, geht es um Menschen, die nicht eindeutig im binären Geschlechtersystem den Kategorien männlich und weiblich zuzuordnen sind.

Es geht in dieser Arbeit nicht primär um eine moraltheologische Behandlung der Fragen nach Trans- und Intersexualität, sondern um die Exegese von Bibelstellen, die mit diesem Thema in Zusammenhang gebracht werden können. Die vorliegende Arbeit will sich einreihen in das Arbeitsfeld der Queer-Theologie: „Im Zuge der Verschärfung des Bewusstseins für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt hat insbesondere eine aus der Tradition der Befreiungstheologie und der Feministischen Theologie stammende Systematik Arbeit an den entsprechenden Vakanzen in der Theologie begonnen und Themen wie Homosexualität, Intersexualität und Transsexualität zun Themen von Rang erhoben.“4 Die theologische Meinung, die Bibel mache keine Aussagen über Themen wie Trans- und Intersexualität, wird von Queer-Theolog*innen dezidiert abgelehnt.5 So lässt sich z.B. für die Frage nach der Intersexualität sagen: „Das Geschlecht ‚divers‘ taucht in Bibelübersetzungen nicht auf. Doch es gibt Anhaltspunkte dafür, dass im Alten und Neuen Testament nicht alles in die Kategorien männlich/weiblich eingeordnet werden könnte“6.

Selbstverständlich setzt sich diese Form theologischen Arbeitens einem gewissen „Ideologieverdacht“7 aus, weshalb es umso wichtiger ist, in den folgenden Exegesen dem Text treu zu bleiben und zu versuchen, die Aussageabsicht des Verfassers möglichst gut zu erspüren. Deshalb muss auch ehrlicherweisen zu Beginn sagen, „dass das Verständnis sexueller Vielfalt, wie es sich uns heute erschließt, in dieser Form nicht im Horizont der Aussagen biblischer Texte steht“8. Dennoch lässt sich sagen, dass es ein „wichtiges Ergebnis geschlechterbewusster Exegese ist […], dass Genderfragen und damit verbundene Vorstellungen von Macht und Hierarchien nicht erst heute an die Texte herangetragen werden, sondern bereits in biblischer Zeit kontrovers diskutiert wurden“9.

Im Nachfolgenden werden drei Fragen zum Thema Trans- und Intersexualität in der Bibel behandelt, nämlich die Frage nach der Geschlechtlichkeit des Menschen in den Schöpfungserzählungen der Genesis, die Frage nach dem Sonderstatus der Eunuchen in der Bibel und die Frage danach, welche Perspektiven sich aus dem Menschenbild von Gal3, 28 für das Thema ergeben. In einem abschließenden Fazit sollen die vorgenommenen Exegesen noch einmal kurz zusammengefasst und reflektiert und eine Bilanz gezogen werden. Das anfängliche Zitat und das Titel-Zitat deuten bereits darauf hin, dass sich dieser Komplex in der vorliegenden Arbeit nicht gänzlich erschöpft, sondern vielmehr drei Kernthemen daraus beleuchtet werden sollen.

2. Die Frage nach der Geschlechtlichkeit des Menschen in den Schöpfungserzählungen der Genesis

Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf die Erzählungen über die Erschaffung des Menschen in Genesis 1,27 „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn. Männlich und weiblich schuf er sie.“ und Genesis 2,21-23 „Das ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, sodass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. Gott, der Herr, baute aus der Rippe die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie genannt werden; denn vom Mann ist sie genommen.“. Insbesondere die ausführlichere Erzählung aus Gen2 ist sowohl für die Frage der Intersexualität, als auch für die Frage der Transsexualität interessant. Zunächst ist es jedoch wicht, allgemein festzustellen, „dass versucht wird, den Schöpfungserzählungen eine gleichsam geschichtsenthobene Theorie und Anthropologie der Geschlechter zu entlocken. Eine solche Interpretation zielt an der Aussageabsicht der Schöpfungserzählungen vorbei. Alle alttestamentlichen Forscher betonen […], dass insbesondere die Paradieserzählung ‚keine Lehre über das Wesen der Geschlechter‘ enthalt“10. Dies Bedeutet, dass sich das Phänomen der Intersexualität nicht dadurch negieren oder abwerten lässt, dass man, biblisch begründet, ein binäres Geschlechtersystem als gottgewollt darstellt. Diese Ablehnung eines radikal binären Geschlechtersystems lässt sich darüber hinaus auch systematisch-theologisch begründen.11 Auch für die Frage nach der Transsexualität ist die Tatsache, dass sich dem biblischen Befund keine ‚Anthropologie der Geschlechter‘ ergibt wichtig, da sie die (binäre) Geschlechtlichkeit des Menschen von dem Sockel holt, der Transsexualität zur Sünde macht12.

Darüber hinaus ergeben sich, mit Blick in den hebräischen Text, aus der Genesis2-Erzählung zwei weitere Perspektiven für die Thematik. „Erst als die Frau geschaffen ist, erkennt der Mann sich selbst als Mann. Während bislang in der Erzählung nur vom ‚Erdling‘ bzw. vom Gattungswesen ‚Mensch‘ (adam meint beides!) die Rede war, wird nun der Begriff ‚Mann‘ (isch) eingeführt.“13 Mit Blick auf die Intersexualität lässt sich aus der Tatsache, dass der Mensch erst in der Unterscheidung zur Frau zum Mann wird, die provokante These formulieren, dass der erste Mensch in der Bibel zunächst intersexuell war. „Das Wesen […] war offenbar zwittrig, androgyn oder intersexuell.“14 Dies ist auch für die Frage nach der Transsexualität interessant, da der erste biblische Mensch sich offenkundig in einem Prozess der Geschlechterwerdung befand und somit, provokant formuliert, quasi auch noch transsexuell war. „Dem zum Ebenbild Gottes geschaffenen Ur-Adam musste Eva erst entnommen werden, um zu seinem männlichen Geschlecht zu finden. Also durchlief er ebenso wie Eva erst eine Transformation, bis sie beide den Menschen unterschiedlicher Geschlechter entsprachen […]. Mit ihrer Transformation durch den Schöpfer erlebten sie einen Prozess, den Transidente auf dem Weg zu ihrem Identitätsgeschlecht Eva und Adam gut nachempfinden können.“15

Jenseits der bereits angeführten Frage, ob die Behauptung eines radikal binären Geschlechtersystems der Intention der Genesiserzählungen entspricht oder nicht, sollte bei der Argumentation mit der Bibel im Gebiet von Trans- und Intersexualität immer bedacht werden, dass es sich bei den Schöpfungserzählungen, bei aller Normativität, die die Bibel für das Christentum hat, um theologische und nicht um historische Texte handelt16, die gattungsmäßig narrativ und sagenartig und deren Geschlechtervorstellungen der konkreten menschlichen Erfahrung entsprngen17. Darüber hinaus existieren diese Texte nicht zeitlos für sich, sondern sind historisch gewachsen, was sich z.B. anhand der Rezeption altorientalischer Mythen in Genesis 2 zeigt.18 Diese texthermeneutischen Erkenntnisse relativieren die Normativität der Schöpfungserzählungen in Fragen der Geschlechterordnung deutlich. „Das Wesentliche am christlichen Schöpfungsglauben ist deshalb nicht eine alternative supranaturalistische Theorie der Welt- und Lebensentstehung, sondern eine bestimmte Haltung zur Wirklichkeit als dem Medium der Liebe und Zuwendung des Schöpfers.“19

3. Die Eunuchen

In der theologischen Literatur zu Trans- und Intersexualität ist, wenn biblische Texte herangezogen werden, auffällig oft von Eunuchen die Rede.20 Ein Eunuch ist „ein durch Verstümmelung zeugungsunfähiger Mann“21. Sollte es schon vor der Pubertät zu einer Kastration gekommen sein, hat der Eunuch eine unterentwickelte Muskulatur und sekundäre Geschlechtsmerkmale wie Bartwuchs, Körperbehaarung und Stimmbruch sind nur schwach ausgeprägt oder fehlen völlig.22 In diesen beiden Definitionen deutet sich bereits an, dass Eunuchen nicht einfach dem binären Geschlechtersystem entsprechen, sondern, dass sie erstens eine Veränderung ihrer Geschlechtlichkeit durch äußeren Eingriff erfahren haben und dass sie zweitens vom äußeren Erscheinungsbild her, je nach Zeitpunkt des Eingriffs, nicht klar einem Geschlecht zugewiesen werden können. Auch die häufige Tätigkeit von Eunuchen als Haremswächter (Vgl. hierzu auch Est2,15) lässt fragen, ob sie durch ihre körperliche ‚Entmannung‘ nicht auch den sozialen Status als Mann verloren haben, wenngleich den Eunuchen der Zugang zu hoch angesehenen politischen Ämtern offen stand.23 Forschungen haben ergeben, dass es in der Geschichte Eunuchen gab, die sich von ihrer einstigen männlichen Identität distanzierten, sich Mädchen nannten, Frauenkleider trugen und sogar als Frauen heirateten.24 Der Bezug zwischen Eunuchen und Trans- und Intersexuellen ist also offensichtlich, weshalb auch die Frage nach den Eunuchen in der Bibel eine Perspektive auf die Themen Trans- und Intersexualität bieten kann. Die in den biblischen Texten vorkommenden Haltungen sind unterschiedlich. Die Texte des Pentateuchs richten sich an zwei Stellen ausdrücklich gegen Eunuchen: „In die Versammlung des HERRN darf keiner kommen, dessen Hoden zerquetscht sind oder dessen Glied verstümmelt ist.“ (Dtn23,2) „Keiner deiner Nachkommen, auch in den kommenden Generationen, der ein Gebrechen hat, darf herantreten, um die Speise seines Gottes darzubringen. Denn keiner mit einem Gebrechen darf herantreten: […] keiner mit Augenstar, Ausschlag, Flechte oder Hodenquetschung. Keiner der Nachkommen Aarons, des Priesters, der ein Gebrechen hat, darf herantreten, um die Feueropfer des HERRN darzubringen.“ (Lev21,17ff.) Dagegen stehen zwei Stellen im Alten Testament, die den Eunuchen gegenüber positiv gestimmt sind, nämlich Jesaja 56,3ff.: „Der Eunuch soll nicht sagen: Sieh, ich bin ein dürrer Baum. 4 Denn so spricht der HERR: Den Eunuchen, die meine Sabbate halten, die wählen, was mir gefällt und an meinem Bund festhalten, 5 ihnen gebe ich in meinem Haus und in meinen Mauern Denkmal und Namen.“ und Weisheit 3,14: „Selig ist auch ein Entmannter, der nichts Unrechtes tut und nichts Böses gegen den Herrn erdenkt; dem wird für seine Treue eine auserlesene Gabe und ein besseres Los im Tempel des Herrn gegeben werden“25 und auch Jesus äußert sich über Eunuchen: „ Denn manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht und manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen.“ (Mt19,12).

Wenngleich die Stellen aus Jesaja und dem Buch der Weisheit die Güte eines Menschen über seine Religiosität definiert, so zeigt sich darin auch, dass Würde und Wert des Menschen jenseits seiner Geschlechtlichkeit und jenseits seiner geschlechtlichen Kategorisierung liegen. Das Jesaja-Wort kann sogar als Revidierung der Ablehnung in Deuteronomium 23,2 ausgelegt werden.26 „Hier werden Eunuchen ausdrücklich ins Gottesvolk integriert, weil sie nach ihrer Treue beurteilt werden und nicht nach ihrer Geschlechtlichkeit.“27

Schaut man zunächst in die gängige Auslegung der Textstelle um Mt19,12 herum, dann fällt auf, dass der Kern der Eunuchen-Frage in dieser Stelle die dritte Kategorie der Eunuchen ist, nämlich die, die es um des Himmelreiches willen wurden. Ob es hier um Eunuchen im wörtlichen oder übertragenen Sinne geht, ist nicht eindeutig zu beantworten, aber auch nicht entscheidend, denn das Thema des Eunuchen-Wortes ist die Ehelosigkeit in der Nachfolge Jesu und im Glauben an die Gottesherrschaft.28 Hier lässt sich eine, wenn auch sehr weit gefasste, Verbindung zwischen dem vom mattheischen Jesus thematisierten Zölibat und Transsexualität erkennen: die bewusste Entscheidung für ein Leben entgegen der (vermeintlichen) eigenen Geschlechtlichkeit. In einer queertheologischen Auslegung wird dieses Jesuswort als Wertschätzung queerer Persönlichkeiten verstanden: „Es gebe Menschen mit einem von Geburt an außergewöhnlichen Geschlecht […] und manche verzichteten freiwillig auf Geschlechtsfestlegungen um des Reiches Gottes willen. […] Und nach seiner Aufzählung verflucht Jesus keine dieser Gruppen, wie es sich vielleicht manche Pharisäer gewünscht hätten, sondern erklärt sie für normal: Wer es fassen kann, der fasse es.“29 Auch wenn diese Auslegung ideologisch wirken mag, so weist sie doch darauf hin, dass Jesus selbstverständlich von Eunuchen spricht, sie nicht verurteilt, sondern sie sogar in Beziehung zum Gottesreich setzt, was sehr bedenkenswert erscheint, wenn man die in der Tora gründende Ablehnung von Eunuchen im Judentum (s.o.) bedenkt. Insofern lässt sich im Kontext von Mt 19,12 durchaus von einer Akzeptanz Jesu gegenüber Menschen mit veränderter Geschlechtlichkeit sprechen. Dazu passt die Auslegung von Dorothea Zwölfler, die über diese stelle sagt, Jesus mache „diese Gruppe sichtbar […] [und stelle] außerdem ‚klar, dass es mehr gibt als eine binäre genitalgeschlechtliche Ordnung‘“30. Diese Wertschätzung von Menschen jenseits der ‚genitalgeschlechtlichen Ordnung‘ deutet perspektivisch auf einen Umgang mit dem Thema Intersexualität. Roughgarden deutet dieses Jesuswort als Aufruf zur Inklusion von Transpersonen in kirchlichen Kontexten.31 Eine entsprechende Auslegungstradition findet sich auch für die Geschichte von der Taufe des Äthiopiers in Apg 8, 26ff.: „Ein Engel des Herrn sagte zu Philippus: Steh auf und geh nach Süden auf der Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt! Sie führt durch eine einsame Gegend. Und er stand auf und ging. Und siehe, da war ein Äthiopier, ein Kämmerer, Hofbeamter der Kandake, der Königin der Äthiopier, der über ihrer ganzen Schatzkammer stand. Dieser war gekommen, um in Jerusalem anzubeten, und fuhr jetzt heimwärts. Er saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. 29 Und der Geist sagte zu Philippus: Geh und folge diesem Wagen! Philippus lief hin und hörte ihn den Propheten Jesaja lesen. Da sagte er: Verstehst du auch, was du liest? Jener antwortete: Wie könnte ich es, wenn mich niemand anleitet? Und er bat den Philippus, einzusteigen und neben ihm Platz zu nehmen. Der Abschnitt der Schrift, den er las, lautete: Wie ein Schaf wurde er zum Schlachten geführt; und wie ein Lamm, das verstummt, wenn man es schert, so tat er seinen Mund nicht auf. In der Erniedrigung wurde seine Verurteilung aufgehoben. Seine Nachkommen, wer wird von ihnen berichten? Denn sein Leben wurde von der Erde fortgenommen. Der Kämmerer wandte sich an Philippus und sagte: Ich bitte dich, von wem sagt der Prophet das? Von sich selbst oder von einem anderen? Da tat Philippus seinen Mund auf und ausgehend von diesem Schriftwort verkündete er ihm das Evangelium von Jesus. Als sie nun weiterzogen, kamen sie zu einer Wasserstelle. Da sagte der Kämmerer: Siehe, hier ist Wasser. Was steht meiner Taufe noch im Weg? Er ließ den Wagen halten und beide, Philippus und der Kämmerer, stiegen in das Wasser hinab und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser stiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus. Der Kämmerer sah ihn nicht mehr und er zog voll Freude auf seinem Weg weiter. Den Philippus aber sah man in Aschdod wieder. Und er wanderte durch alle Städte und verkündete das Evangelium, bis er nach Cäsarea kam.“ Im Kontext dieser Erzählung wird vom Kämmerer als einem ‚schwarzen Intersexuellen‘ gesprochen und die Gruppe der Eunuchen als sexuelle Minderheit charakterisiert, da sie den üblichen geschlechtlichen Kategorien nicht entsprachen.32 An dieser Erzählung wird deutlich, dass das Kriterium für die ‚Zulassung‘ zur Taufe die Suche nach Gott ist und nicht die Kategorisierung durch Identitätsmarker wie Hautfarbe oder Genderidentität.33 Es ist auffällig, dass in der Apostelgeschichte, in der das Urchristentum und seine Ausbreitung beschrieben werden, ein Mensch getauft wird, der sowohl von seiner Ethnie und Herkunft, seiner Religion und auch seiner Genderidentität her, nicht zu den ursprünglichen Adressaten des Evangeliums gehörte, weshalb mit dieser Erzählung der Adressatenkreis des Evangeliums bei Lukas entscheidend geweitet wird.34 „Dieser endgültige Akt der Taufe des äthiopischen Eunuchen setzt einen hohen Maßstab für Inklusivität, den die christliche Kirche nur selten erreicht hat.“35 Queertheologisch ergeben sich aus dieser Bibelstelle also zwei Konsequenzen, nämlich zum einen, wie bei den anderen Bibelstellen auch, die Relativierung der Gewichtigkeit der geschlechtlichen Identität zugunsten des ganzen Menschen, hier durch die Festlegung von Glauben und Gott-Suche als Kriterium für die Zulassung zur Taufe und zum anderen ergibt sich ein Inklusions- und Akzeptanzimperativ für die Kirche gegenüber Trans- und Intersexuellen.

[...]


1 Vgl. Lüdke, Klaus-Peter. Jesus liebt Trans. 60.

2 www.tagesspiegel.de Queeerlexikon. Art.: Transsexualität.

3 Haupt, Horst-Jörg. Neurointersexuelle Körperdiskrepanz. In: Schreiber, Gerhard (Hg.). Transsexualität in Theologie und Neurowissenschaften. 79.

4 Wirth, Matthias. ‚Der dich erhält, wie es dir selber gefällt.‘. In: Schreiber, Gerhard (Hg.). Transsexualität in Theologie und Neurowissenschaften. 486.

5 Vgl. Roughgarden, Joan. Die Binarität der Geschlechter in der Natur, menschlichen Kulturen und der Bibel. In: Schreiber, Gerhard (Hg.). Das Geschlecht in mir. 223.

6 Artikel www.deutschlandfunk.de. Als Mann und Frau schuf er sie … doch nicht.

7 Wirt, Matthias. ‚Der dich erhält‘. In: Schreiber, G (Hg.). Transsexualität in Th. U. Nw. 487.

8 Jung, Volker. Sexuelle Vielfalt als Herausforderung für kirchenleitendes Handeln. In: Schreiber, G (Hg.). Transsexualität in Th. U. Nw. 562.

9 Artikel WiBiLex Gender (NT). 4.

10 Karle, Isolde. ‚Das ist nicht mehr Mann noch Frau…‘. 201.

11 Vgl. Jung, Volker. Sexuelle Vielfalt als Herausforderung für kirchenleitendes Handeln. In: Schreiber, Gerhard (Hg.). Transsexualität i. Th. U. Nw. 562.

12 Vgl. Goertz, Stephan. Theologien des transsexuellen Leibes. In: Schreiber, Gerhard (Hg.). Das Geschlecht in mir. 278.

13 Stuttgarter Altes Testament 1. 13.

14 14 Artikel www.deutschlandfunk.de. Als Mann und Frau schuf er sie … doch nicht.

15 Lüdke, Klaus-Peter. Jesus liebt Trans. 62.

16 Vgl. Die Bibel. Kommentierte Studienausgabe. Lexikon. Art. Schöpfung. 345.

17 Vgl. Karle, Isolde. ‚Da ist nicht mehr Mann noch Frau…‘. 201f.

18 Vgl. Stuttgarter Altes Testament 1. 12.

19 Evers, Dirk. Sind wir unser Gehirn?. In: Schreiber, Gerhard (Hg.). Das Geschlecht in mir. 262.

20 Vgl. z.B. www.evangelisch.de Art.: Que(e)r gelesen: Der Eunuch aus Äthiopien.

21 LThK. Art. Eunuch. Bd3. 1184.

22 Vgl. www.wissen.de Art.: Eunuch.

23 Vgl. LThk. Art.: Eunuch.

24 Vgl. Roughgarden, Joan. Die Binarität der Geschlechter in der Natur, menschlichen Kulturen und der Bibel. In: Schreiber, Gerhard (Hg.). Das Geschlecht in mir. 224f.

25 Übersetzung zit. n. www.evangelisch.de Art.: Kommen Transsexuelle in der Bibel vor?

26 Vgl. Roughgarden, Joan. Die Binarität der Geschlechter in der Natur, menschlichen Kulturen und der Bibel. In: Schreiber, Gerhard (Hg.). Das Geschlecht in mir. 223.

27 www.evangelisch.de Art.: Kommen Transsexuelle in der Bibel vor?

28 Vgl. Limbeck, Meinrad. Matthäus-Evangelium. 237f.

29 Lüdke, Klaus-Peter. Jesus liebt Trans. 38.

30 www.evangelisch.de Art.: Kommen Transsexuelle in der Bibel vor?

31 Vgl. Roughgarden, Joan. Die Binarität der Geschlechter in der Natur, menschlichen Kulturen und der Bibel. In: Schreiber, Gerhard (Hg.). Das Geschlecht in mir. 199.

32 Vgl. www.evangelisch.de Art.: Que(e)r gelesen: Der Eunuch aus Äthiopien.

33 Vgl. Ebd.

34 Vgl. Stuttgarter Neues Testament. 468f.

35 Roughgarden, Joan. Die Binarität der Geschlechter in der Natur, menschlichen Kulturen und der Bibel. In: Schreiber, Gerhard (Hg.). Das Geschlecht in mir. 227.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Paulus als Mutter? Biblische Perspektiven auf Trans- und Intersexualität
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Biblische Theologie und ihre Didaktik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
13
Katalognummer
V924675
ISBN (eBook)
9783346249111
ISBN (Buch)
9783346249128
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Queertheologie, biblische Theologie
Arbeit zitieren
Till Thieme (Autor:in), 2020, Paulus als Mutter? Biblische Perspektiven auf Trans- und Intersexualität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/924675

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