Sachlichkeit und Macht - Aspekte der Öffentlichkeitsarbeit der Bamberger Obrigkeit nach der Überschwemmung von 1784


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

46 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Vorüberlegungen
2.1 Theoretische Überlegungen zur Kommunikation
2.2 Der sogenannte aufgeklärte Absolutismus und Franz Ludwig von Erthal

3. Bamberg unter Wasser: Was die Natur vom 27. bis zum 29. Februar in Bamberg anrichtete

4. Kommunikation in der Akutphase: Mündliches Organisieren
4.1 Schramm Bericht
4.2 Handelnde Partein im Text von Schramm

5. Kommunikation in der Phase der Nachsorge I: die multimediale Massenverbreitung des Offiziösen
5.1 Die Verordnung
5.2 Das Avertissement

6. Kommunikation in der Phase der Nachsorge II: Der kulturelle Diskurs
6.1 Arkanhaltung, Top-Down-Information und das Druckwesen in Bamberg
6.2 Gedruckte Berichte
6.3 Die Oden von Eulogius Schneider
6.3.1 Eulogius Schneider
6.3.2 Charakterisierung der Ode
6.3.3 Schneiders Oden
6.3.4 Chronologie der Oden und der Einfluss des obrigkeitlichen Inszenierungsapparates
6.4 Andere Oden
6.4.1 Die Ode von Elias Baltasar
6.4.2 Die Ode auf die Geyerswerther Brücke

7. Schluss

Bibliographie

1. Einleitung

„Die Zeitbücher unsres Hochstifts melden uns von verschiedenen Ueberschwemmungen, und Wassergüssen, die über unsere Vorältern, Stadt und Vaterland schon so oft Schrecken und Verwüstungen verbreitet haben“. Bevor im späten 19. Jahrhundert in Bamberg Regnitz und Main besänftigt werden konnten, war ein Hochwasser für die Einwohner eher alljährlich als eine Katastrophe. Es gab aber anscheinend nicht eine, „die so groß, so wild, und reisend ware, und welche so fürchterlich mit solchen Ungestümm, und Gestöße zu uns herein brach...“ wie die Überschwemmung von 1784. Diese ist am deutlichsten in Quellen und Jahrbüchern überliefert, und sie scheint auch zweifellos eines der verheerendsten Hochwasser in der Geschichte von Bamberg zu sein. Rechtfertigt das es, von einer Katastrophe zu sprechen? In der Katastrophenforschung ist es üblich, „Katastrophe“ nicht als ein äußeres Ereignis zu definieren. Es ist vielmehr die gesellschaftlich wahrgenommen Dimension eines Ereignisses, welches dieses erst zu einer Katastrophe macht. Was war es in Bamberg? Einerseits das Ausmaß: „Das Wasser...übertraf alle vorhergehende, und die Geschichte weis uns kein Beyspiel aufzuweisen, das dem letztgewesenen gleich gekommen wäre“[1]. Andererseits spricht auch vieles dafür, dass es der Einsturz der steinernen Seesbrücke war, welches diese Überschwemmung zu einer „Katastrophe“ machte. In jedem Bericht über das Ereignis wurde sie deutlich erwähnt, meistens war sie dramaturgischer Höhepunkt der Erzählungen. Dies ist auch verständlich: Die steinerne Brücke war frisch an einem wichtigen Handelspunkt erbaut (1754), sie war außerordentlich prachtvoll und der Stolz Bambergs dieser Zeit. Zur „Katastrophe“ wurde die Überschwemmung wohl durch beides: Der Schaden, den die unberechenbare Natur ausrichtete und das Versagen von Resultaten gesellschaftlicher Produktion

Auf jeden Fall kann man nur bedingt von einer Katastrophe sprechen. Wasser auf den Straßen war in Bamberg nichts Außergewöhnliches und mit dem Schmelzen des Schnees im Frühjahr zu erwarten. Nicht erwartbar war lediglich die Intensität des Hochwassers. Man sollte diese Katastrophe als Extremsituation verstehen. Ausgelöst wurde sie extern[2] durch das ansteigende Wasser. Dieses versetzte die gesamte Bamberger Gesellschaft in die extreme Anspannung einer von Unterbrechung der alltäglich praktizierten Reproduktion gesellschaftlichen Handelns geprägten Situation. Die geographische anstatt soziale Lage entschied, wie stark der einzelne betroffen war und und wer sich mit wem gegen die Natur solidarisierte[3]. In jeder Dimension gesellschaftlichen Lebens, die sich in den Quellen niederschlug, manifestierte sich ihr alltäglicher Ablauf sowie die Anpassung an die Extremlage. Manche gültig geglaubte Institutionen können sich als nur auf dem Papier, nicht aber in einer komplizierten Realität funktionierend entpuppen. Andere, schriftlich wenig fixierte institutionalisierte Prozesse dagegen erweisen sich womöglich als äußerst anpassungsfähig und im städtischen Ablauf routiniert praktiziert.

Da aber sämtliche Dimensionen des frühneuzeitlichen Bambergs sich in dem kurzen, von der Überschwemmung geöffneten Zeitfenster unter extremen Bedingungen manifestierten, würde eine Untersuchung aller Prozesse den Rahmen einer Hausarbeit sprengen oder zu einer oberflächlichen Bestandsaufnahme werden. Dies machte in der Untersuchung die Einschränkung auf einen spezifischen Prozess im Bamberger Sozialgefüge notwendig, wobei ich mich für die Dimension der Kommunikation der Obrigkeit zur Bevölkerung entschied: Wie wurde während der Katastrophe kommuniziert und wie wurde auf die Verarbeitung in einem kulturellen Diskurs eingewirkt? Leider mussten dabei einige andere, ebenso interessante Aspekte ausgeklammert werden. Besonders erwähnenswert ist der geistesgeschichtliche Aspekt – wie spiegelte sich der Stand der Aufklärung in der Wahrnehmung der Überschwemmung? Wurde sie als einen „Unfall“ wertfreier Naturgesetze oder als Racheakt Gottes für die Sünden der Menschen wahrgenommen? Für den Aspekt der Kommunikation spricht insbesondere, dass er nicht nur als Fortsetzung eines alltäglichen Prozesses unter extremen Umständen erscheint, sondern selbst ein Ereignis war, welches mit dem durch die Katastrophe ausgelösten Öffnen des Zeitfensters begann, kausal von dem Ereignis „Überschwemmung“ abhängig war und in seinem Ablauf relativ vollständig beobachtbar ist.

Es war hilfreich, den Prozess der Kommunikation der Obrigkeit zum Volk durch Modelle besser sichtbar zu machen. Hierbei orientierte ich mich an dem Kommunikationsmodell von Erving Goffmann und.theoretischen Konzepten der Cultural Studies[4]. Modelle für den zeitlichen Ablauf der Ereignisse stammten aus der historischen bzw. soziologischen Katastrophenforschung. In diese Modelle versuchte ich ich die untersuchten Quellen (Berichte, Verordnungen und Oden) einzuordnen, wodurch sich gleichzeitig auch die Modelle selbst an die geschichtlichen Ereignisse anpassten. Die Kommunikation der Obrigkeit manifestierte sich dabei vor allem in drei Aspekten: Organisation, Sinnstiftung und Inszenierung. Zeitlich gliederte sich der Vollzug dieser Aspekte in die Akut- und die Nachsorgephase[5]. Die Quellen waren hierzu sehr aussagekräftig, was erfreulich war, aber leider dazu führte, dass der angestrebte Raum von 20-25 Seiten nicht eingehalten werden konnte.

2. Theoretische Vorüberlegungen

2.1 Theoretische Überlegungen zur Kommunikation

Der gesamte die gesellschaftliche Welt reproduzierende Kommunikationsfluss im frühneuzeitlichen Bamberg kann natürlich nicht rekonstruiert werden. Nur sehr wenige ausgefählte Manifestationen dieses Prozesses sind durch die Quellen überliefert. Um über den Moment hinweg mitteilbar zu bleiben wurden diese Ausschnitte der Kommunikation schriftlich verankert. Um effektiv zu wirken musste die Beschallung der Öffentlichkeit durch Medien mit der höchstmöglichen Massenreichweite stattfinden. Prozesse der Massenkommunikation können mit Modellen der Cultural-Studies beschrieben werden. Getrennt wird zwischen „Power-Bloc“ und „People“[6]. Dementsprechend ist die Obrigkeit als die Personen anzusehen, welche soziale Macht ausüben und einen entsprechenden legitimen Rahmen für die Ausübung dieser Macht haben. Von den Regeln des gesellschaftlichen Diskurses in den alltäglichen Aushandlungen bevorteiligt reproduzieren sie durch die Institutionen der Gesellschaft die soziale Struktur[7]. In einer „top-down“-Kommunikation haben sie für die Durchsetzung ihrer Definitionen der Realität die besseren Chancen[8]. Die Bevölkerung von Bamberg sind von der Regeln der materiellen, diskursiven und politischen Macht benachteiligt, aber dennoch bereit, die strukturell möglichen Aushandlungs-prozesse zu nutzen. Die Definition der Realität in einem kulturellen Diskurs findet nicht einseitig, aber unter bevorteiligten Einfluss einer Obrigkeit, welche prinzipiell eher an der Kontinuität sozialer Zustände interessiert ist als die Bevölkerung[9].

Die Definition der gegenwärtigen Realität umfasste für die Obrigkeit nach dem extremen Wasseranstieg vor allem die Sinnstiftung[10], organisierende Handlungsanweisungen und die symbolische Legitimierung. Alle drei Aspekte sind ohne Macht nicht durchsetzbar. Macht und Herschaft wird hier im unersetzbar präzisen Weberschen Sinne verstanden: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finde.[11]“ Für kommunikativ vollzogene Macht kann diese Definition durch Erving Goffman ergänzt werden: Macht und Herrschaft ist die Chance (eines Einzelnen), „das Verhalten der anderen, insbesondere ihr Verhalten ihm gegenüber, zu kontrollieren. Diese Kontrolle wird weitgehend dadurch bewirkt, d aß er die Deutung der Situation beeinflußt, und zwar kann er das dadurch, daß er sich in einer Art und Weise ausdrückt, die bei den anderen den Eindruck, hervorruft, der sie veranlaßt, freiwillig mit seinen Plänen übereinzustimmen[12]“. Dieser Ausdruck räumt dem Darsteller in einer „Arbeitsübereinstimmung“ das moralische Recht auf die Gültigkeit seiner Ansprüche an die Definition der Situation ein[13] - dient also der Legitimation von Herrschaft. Seine Studie über die Durchführung dieser Macht zieht Goffmann ausschließlich an der mündlichen Interaktion durch, die in ihrem Ausmaß in der frühen Neuzeit nicht zu unterschätzen ist. In manchen Studien wird die mündliche Interaktion als das Hauptmedium erklärt, mit welchem in der frühneuzeitlichen Stadt obrigkeitliches Handeln vermittelt wird[14]. Dies erscheint für einen relativ überschaubaren und politisch autonomen Raum wie die Residenzstadt Bamberg[15] plausibel; die Verbreitungmedien waren technisch nicht nur weniger weit entwickelt als heute, sondern auch zur politischen Vergesellschaftung weniger notwendig. Wenn politische Normen in der frühen Neuzeit weniger fixiert als vielmehr in einem Prozess der Aushandlung zwischen den politischen Akteuren durchgesetzt wurden, dann musste die Obrigkeit zur Stabilisierung der Sozialstruktur die mündliche Kommunikation konditionieren und dominieren. Möglich war dies, wenn durch die Verwendung von Ritualen, Symbolen und Zeremonien Ereignisse, Personen und Beziehungen normativ aufgeladen und habituell verfestigt wurden[16]. Somit war die Obrigkeit in der funktionierenden Durchführung ihrer Herrschaft abhängig von der Welt, welche durch mündliche Kommunikation sozial konstruiert wurde.

Das größte Problem, dass sie uns bereitet, trägt die mündliche Kommunikation bereits im Namen: Sie konnte ohne die Hilfe von schriftlichen Medien stattfinden, weswegen sie auch nicht überliefert ist. Lediglich einige Hinweise aus den Quellen können es ermöglichen, ihre Konturen ansatzweise nach zu zeichnen..

2.2 Der sogenannte aufgeklärte Absolutismus und Franz Ludwig von Erthal

1784 war die Aufklärung bereits weit fortgeschrittenen, Kaiser und Adel hatten sich dem aufgeklärten Bürgertum geöffnet. Dieses nahm mit der Zeitschrift an der Prägung der sozialen Konstruktion jener legitimen Rolle von Staat und Souverän zunehmend teiln[17]. Eine eine Legitimation von Herrschaft durch Macht und Geburt war weniger haltbar als zuvor, neue Gesellschafts- und Herrschaftsverträge sowie deren philosophische Diskussion banden das Re­giment von Königen und Fürsten an eine neue Legitimation: Die Herrscher sollten sich als oberste Diener und Beamte des Staates verstehen, das erklärte Ziel war es, die Ressourcen zu nutzen, neue Möglichkeiten in Handel, Gewerbe und Landwirt-schaft zu erschließen, Verwaltung und Justiz zu vereinheitlichen, neue Grund­lagen des Rechts zu schaffen und Wissenschaft und Bildung zu fördern[18].

Um heute[19] und auch damals[20] als musterhafter und ehrenwerter katholizstisch-aufgeklärten Fürstbischof zu gelten, musste Franz Ludwig dieses oben skizzierte Bild als zentrales Element in seiner öffentlichen Darstellung plazieren. Er rechtfertigte seine absolutistische Macht durch eine öffentliche „Dienerschaft am Volk“ ebenso wie durch wirksame Bekundung des Willens, alles im Interesse der Bevölkerung zu tun. Erthal beendete die rauschenden Feste seiner Vorgänger und führte eine neue Lebensform der Nüchternheit und Rationalität ein – die Sorge für die allgemeine Wohlfahrt sollte die Regierungs- und Hofgeschäfte unter seinem Vorsitz bestimmen. Bis zum Jahr 1784 hatte er allein im Gesundheitsbereich zahlreiche Reformen unter zweckdienlichen Gesichtspunkten durchgeführt[21]. Die Gesundheit und vor allem Bildung des Volkes[22] waren Prioritäten seiner Politik wie auch seiner Inszenierung. Sosehr sie bei Erthal auch verinnerlicht erscheinen, die öffentliche Darstellung einer solchen Politik war 1784, bei vermehrten sozial motivierten Bürgeraufständen und einer nahenden französischen Revolution[23], eng mit der erfolgreichen Behauptung von Herrschaft verbunden[24] und weitete sich somit auf das Darstellungsrepertoie der gesamten Obrigkeit tendenziell aus. Die Inszenierung des Fürstbischofs war also nicht lediglich eine Repräsentation von Macht, sondern erzeugte diese mit[25], durchaus durch Symbole, die durch ihre Anwesenheit etwas Abwesendes repräsentierten – beispielsweise die positiv verfälschten Bilder von Eigenschaften der herrschenden Schickt[26].

Interessant wäre es, fest zu stellen, ob die Abwesenheit des sich als „väterlichen Hirten“ inszenierenden Fürstbischofs Ludwig Erthal (der erst einen Monat später aus Würzburg zurückkehrte) negative Folgen auf sein Prestige hatte.

3. Bamberg unter Wasser: Was die Natur vom 27. bis zum 29. Februar in Bamberg anrichtete

Manche Zeichen auf die Katastrophe wurden schon vorher wahrgenommen: Die Monate Januar und Februar waren extrem kalt und von viel Schnee und Eis begleiet. Mehrmals wurden Verfügungen an die Müller erlassen, den Fluss aufzueisen[28]. Als es dann am 23. Februar zu regnen begann, musste den Hochwasser-erfahrenen Bambergern bereits klar geworden sein, was kommen sollte. In dieser Intensität aber hatte es niemand erwartet: Nach ununterbrochenem Niederschlag traf es zuerst den Mühlwörth, hier schwammen im Hochwasser riesige Eisschollen und Holländerbäume, und schon in der Nacht auf den 27. Februar waren die ersten Mühlräder zertrümmert. Am nächsten Tag stand das Wasser bereits bis an die Haustüren, und Mühlen stürzten komplett oder teilweise in den Fluss. Das Wasser hatte hier die Stege überschwemmt und weggerissen. Anschließend breitete sich dieses Szenario auf alle niedrig gelegenen Teile der Stadt aus. Die Straßen standen unter Wasser, auf dem Marktplatz trieben Bäume und Eisschollen, die Fundamente der Häuser wurden unterwühlt, unzählige Gartenmauern zerstört, Kirchen und Klöster waren überschwemmt, Brücken stürzten ein und schließlich wurden auch viele Häuser vom Fluss mitgerissen oder krachten aufgrund unterhöhlter Fundamente ein. Das Vieh ertrank, die Fische konnten ihren Winterungen entschlüpfen, in der kompletten Innenstadt stand das Wasser zwischen 3 und 7 Schuh hoch. Am Mittag des 28. Februars stürzte sogar die prächtige, steinerne Seesbrücke ein und riss ungefähr 15 Menschen in den Tod. Viele Bewohner flüchteten auf die Hügel oder ihre Dächer. Am 29. Februar endete endlich der Regen, es setzte starker Wind und Frost ein und das Wasser fiel sehr rasch wieder auf einen ertragbaren Stand. Nun konnte auch Bilanz über den angerichteten Schaden gezogen werden: Die Straßen verdreckt und die Pflastersteine aufgewühlt, überall lagen Baumstämme herum, alle Brücken bis auf die Obere und die Geyerswerther Brücke eingestürzt, der Fluss voll von Möbeln und Gerätschaften der Bamberger, Leichen waren aus ihre Gräbern auf den Marktplatz, Kadaver aus dem Schlachthaus und der Fleischbank auf die Straße gespült worden. Das Rathaus und viele Kirchen waren beschädigt, mindestens 12 Menschen hatten ihr Leben verloren, nahezu alle Gartenmauern waren eingestürzt, mindestens vier Mühlen, zwei Kaufmanns- und vier Bürgerhäuser, die Stadtwache und einige Hinterhäuser waren vollständig zerstört und unzählige Häuser durch metergroße Löcher oder auf andere Weise beschädigt. Viele Bamberger waren komplett ruiniert, die Lebensmittelversorgung konnte nur durch Lieferungen der Klöster Ebrach und Langheim, die Öffnung der Notspeicher, den Verkauf von tagelang im Wasser geschwommenem Fleisch und das Verspeisen von Hunden erhalten[29] werden. Der Wiederaufbau der Brücken und Gebäuden wie auch die Unterstützung der Geschädigten durch Zuschüsse aus der Kammer und Steuernachlässe sollte sich noch einige Jahre hinziehen[27][30].

4. Kommunikation in der Akuphase: Mündliches Organisieren

4.1 Schramms Bericht

Über die mündliche Kommunikation in der Akutphase (während der Überschwemmung) wird man am besten durch den Bericht von Johann Sebastian Schramm informiert. Dieser ist unter den Quellen der Detailreichste. Gleichzeitig scheint er das höchste Maß an Sachlichkeit und Objektivität aufzuweisen. Sein besonderes Merkmal im Kommunikationskontext war seine Handschriftlichkeit. Er wurde mehrmals abge­schrieben und liegt in mehrfacher Form vor. Zum Zeitpunkt seines Entstehens kann nur gesagt werden, dass er mit der Datierung 1784 versehen ist und nicht vor dem Monat Mai oder Juni verfasst wurde[31]. Auch aufgrund seines atemlosen Tons, der mehr an eine spontane Rede als an einen Aufsatz erinnert, vermute ich, dass Schramm einem Schreiber seine Erinnerung diktierte und der Text an­schließend in privilegierten Kreisen verkehrte. Es war also keine Top-Down In­formation. Dies zeigt sich auch deutlich am Fehlen des Aspektes der Sinnstiftung durch religiöse Muster[32].

4.2 Handelnde Parteien im Text von Schramm

Noch während der Akutphase der Katastrophe sendete bereits ein erstes Massenmedium: Die Prediger. Folgt man der Katastrophenforschung dient dies der Sinnstiftung: Die Erfahrung der Naturkatastrophe sollte in eine sinnvolle Struktur eingeordnet werden, um verarbeitbar zu sein, das gedankliche Modell der erlebten Unsicherheit sollte in ein Modell der Sicherheit überführt werden[33]. Überschätzen sollte man dies aber nicht: Bedenkt man, dass Bamberg in dieser Zeit regelmäßig überschwemmt wurde, und dass die ersten Betstunden bereits am 27. Februar um 6 Morgens ins Leben gerufen wurden[34], zu einem Zeitpunkt, in dem das Hochwasser weit von seinem Höhepunkt entfernt war, so erscheinen die Betstunden eher als gewohnheitsmäßiges Ritual – zwar Hochwasser-, aber nicht Katastrophenbedingt. Bemerkenswert ist dennoch, dass die Betstunden bis zum 13. März fortgesetzt wurden.

[...]


[1] Beide Zitate auf: Schneider 1784a, S. 3.

[2] Viele soziologischen Katastropheansätze gehen hier zu weit, wenn sie Katastrophen als ausschließlich internes Ereignis betrachten

[3] es wäre übrigens eine falsche Annahme, dass die Reichen Bürger Bambergs in den Berggebieten, die Armen im Tal gewohnt hätten. Die Berichterstattung von Johann Sebastian Schramm läßt eher darauf schließen, dass die Mitglieder der Obrigkeit geographisch verstreut in allen Vierteln – ob betroffen oder nicht – wohnten.

[4] Für eine Übersicht über die Cultural Studies siehe: Winter, Rainer (2001): Die Kunst des Eigensinns. Cultural Studies als Kritik der Macht, Göttingen: Velbrück Wissenschaft oder Hepp, Andreas (1999): Cultural Studies und Medienanalyse – eine Einführung, Opladen: Westdeutscher Verlag

[5] Die drei Aspekte der Kommunikation ergaben sich aus verschiedenen katastrophenhistorischen Forschungen, die Einteilung der Zeiten vor allem aus: Pfister, Christian (2002): Naturkatastrophen und Naturgefahren in geschichtlicher Perspektive – Ein Einstieg, in: Pfister, Christian (Hrsg.): Am Tag danach – Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500-2000, Bern, S. 11-26: Akuphase / Phase der Räumung / Phase des Wiederaufbaus, S. 17; Frank, Michael (2001): Der rote Hahn; in: Münch, Paul (Hrsg.): „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte; Historische Zeitschrift Beiheft 31, München, S. 229-247: Prävention / Akutphase / Nachsorge, S. 240-244.

[6] Im Original: Stuart Hall 1981, 238, zitiert in Sparks, Colin (1992): Popular Journalism: Theories and practice, in: P.Dahlgreen und C.Sparks (Hrsg.): Journalism and popular culture, London, S. 24-44; auf

[7] Fiske, John (1992): Popularity and the politics of information, , in: P.Dahlgreen und C.Sparks (Hrsg.): Journalism and popular culture, London, S. 45-63; auf S. 45ff

[8] Ebd.

[9] Renger, Rudi (2004): Journalismus als kultureller Diskurs, in M. Löffelholz (Hrsg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Lehrbuch, Wiesbaden, S. 351-371; S. 362, Hervorhebung im Original.

[10] Die Bedeutsamkeit dieses Aspektes ist zentrales Element der historischen Katastrophenforschung, siehe dazu auch im Nowosadtko/ Pröve (2001) S. 211 und Jakubowski-Tiessen (2001) S. 262, 267; bei im Beiheft der Historischen Zeitung. Betont wird hier vor allem die Einbettung der Katastrophenerfahrung in sinnstiftende Erklärungen und deren symbolische Bedeutung, somit die Transformation von Unsicherheit in Sicherheit. Interessant ist auch die Einschätzung der Katastrophe als „Feuerprobe“ für herrschende Weltbilder.

[11] Max Weber (2005): Wirtschaft und Gesellschaft, Frankfurt a.M; S. 38.

[12] Goffman, Erving (1976): Wir alle spielen Theater – Die Selbstdarstellung im Alltag, München; S. 7f. Im Grunde ist Goffmans Modell wenig komplex und ergibt sich bereits aus dem Titel: Der soziale Mensch muss, um sich seinen Status in der situationellen Hierarchie behaupten zu können, immer eine Rolle spielen. Bei der Aufführung dieser Rolle konstuiert Goffman ein Modell, in dem Begriffe wie Bühne, Requisite, Ensemble, Hinterbühne, Publikum, Regisseur, Dramaturgie usw. im gleichen Sinne wie im Theater verwendet werden. Die Beschränktheit dieses Modells räumt er im Vorwort ein, doch ich halte es für diesen Zusammenhang durchaus anwendbar.

[13] Ebd. S. 13, 16

[14] Schlögl, Rudolf (2004): Vergesellschaftung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen in der vormodernen Stadt, in: Schlögl, Rudolf (Hrsg.): Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz, S. 9-62; S. 36.

[15] Als Anhaltspunkt verweise ich auf die von Schelling aufgeführte Einwohnerzahl von 17 000 im Jahr 1800. Schelling, Heinz (2004): Die Stadt in der frühen Neuzeit, München. S. 11.

[16] Schlögl S. 21ff

[17] Faulstich, Werner (2002): Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700-1830). Geschichte der Medien Band 4, Göttingen, S. 273ff.

[18] Kopitzsch, Franklin (2003): Aufklärung, in: van Dülmen, Richard (Hrsg.): Das Fischer Lexikon – Geschichte; Frankfurt a.M., S. 139-149. S. 142.

[19] Kist, Johannes (1962): Fürst- und Erzbistum Bamberg, Bamberg. S. 127 : „Mit ihm [Franz Ludwig von Erthal] stieg der letzte große Fürstbischof von Bamberg ins Grab.“ Oder Michel, Konrad (1978): Aufklärer auf dem Fürstenstuhl – Ein Porträt Franz Ludwig von Erthals, in: Historischer Verein Bamberg (Hrsg.): 114. Bericht, Bamberg, S. 63-79. S. 79: „Franken hatte einen Bischof verloren, der es noch heute verdient, zu den großen Herr­schern des Landes gezählt zu werden, auch und gerade, weil er nichts hinterließ als Menschen, denen das Leben wieder lebenswerter geworden war“. In meiner Untersuchung fand ich nichts, was diesem übertrieben erscheinenden Eindruck widersprechen würde, eher im Gegenteil.

[20] Nicolai, Christoph Friedrich (1991): Rotweiße Wachsbilder mit katholischem Augenaufschlag. 1781, in: Ulrich Predelli (Hrsg.): Bamberg in alten und neuen Reisebeschreibungen, Düsseldorf, S. 60-71. Aus dieser durchweg negativen Beschreibung sticht Erthal auf S. 62 positiv heraus. Ganz generell muss man positive Zeichnungen von Erthal nicht suchen, bei der Beschäftigung mit seiner Regierungszeit stößt man unvermeidlich auf sie.

[21] Guth, Klaus (1978): Bambergs Krankenhaus unter Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal (1779-1795), in: Historischer Verein (1978), S. 81-96. S. 85ff

[22] Michel

[23] Dülmen, Richard van (1992): Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit. Zweiter Band Dorf und Stadt 16.-18. Jahrhundert, München. S. 121.

[24] Goffmann S. 13ff

[25] Warstat

[26] Horn, Christian (2005): Verhandlung von Macht durch Inszenierung und Repräsentation, In: Fischer-Lichte, Erika: Diskurse des Theatralen, Tübingen, S. 149-169.

[27] Diese verkürzte Darstellung bezieht sich vor allem auf: Schramm, Johann Sebastian (1784): Beschreibung des anno 1784 den 27 february bedauerungs würdigen wasser ruin in hochstift bamberg beschrieben. Staatsbilbliothek M.v.MS 7 und HV.Msc. 58. Um nicht jedes zweite Wort mit einer Fußnote zu versehen, kennzeichne ich nur die Stellen, die sich auf andere Quellen berufen.

[28] Stadtarchiv C1.243

[29] Jäck, Heinrich Joachim (1831): Bamberg'sche Jahrbücher von 741 bis 1832. Dritter Jahrgang, Bamberg.

[30] Looshorn, Johann (1910): Die Geschichte des Busthums Bamberg. Bd. 7: Das Bisthum Bamberg von 1729-1808, Bamberg. S. 543ff.

[31] dafür gibt Schramm Hinweise, wenn er berichtet, wann die einzelnen Opfer der Seesbrücke gefunden wurden. Da diese Liste im Vergleich mit späteren Quellen nicht vollständig erscheint, vermute ich, dass der Text etwa im Mai oder Juni entstanden ist. S. 6f

[32] eigentlich weist der Text in Anbetracht der Tatsache, dass Schramm Chorregent der oberen Pfarre war, ein sehr verwunder­liches Fehlen auch nur des kleinsten Hinweises auf Gott als Verursacher der Katastrophe. Betstunden aber hielt Schramm dennoch für unverzichtbar, was sich auch in seiner Klage, St. Stephan und St. Jakob hätten keine Extrabetstunden eingerichtet, manifestiert. Folgt man der These von Jakubowski- Thiessen von der Gleichzeitig­keit des Ungleichzeitigen (S. 267), die er daran erklärt, dass die Deichbauer Sturmfluten zwar religiös gedeutet hätten, in ihrer Handlungsrelevanz aber viel mehr pragmatisch-naturwissenschaftich vorgegangen waren, so stellt sich bei Schramm genau das gegenteilige Bild dar: Als Handlungspraxis wurde der religöse Aspekt keineswegs hin­terfragt, wie die eingerichteten Betstunden und die Kritik an den beiden Nebenstiften belegt, als Deutungssche­ma aber spielt er hier keine Rolle mehr. Dies könnte auch auf das von Richard van Dülmen erwähnte Paradoxon der Aufklärer beleuchten, die zwar ihre eigene Aufgeklärtheit hochhielten, aber an einer Aufklärung der brei­ten Bevölkerung wenig Interesse hatten, dass also die „aufgeklärte Obrigkeit“ ebenso als obrigkeitliche Aufklä­rung zu verstehen ist – der aufgeklärte Absolutismus kann auch als absolutistische Aufklärung bezeichnet werden.

[33] Siehe Nowosadtko, Jutta / Pröve, Heinz (2001): Einleitung, in: Münch, Paul (Hrsg.): „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte, Historische Zeitschrift Beiheft 31, München, S. 211-216, S. 211 und Jakubowski-Tiessen, Manfred (2001): Kommentar, in: Münch (2001), S. 261-267, S. 265, S. 267.

[34] Schramm, S. 4f.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Sachlichkeit und Macht - Aspekte der Öffentlichkeitsarbeit der Bamberger Obrigkeit nach der Überschwemmung von 1784
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Lehrstuhl für Neuere Geschichte)
Veranstaltung
Bamberg in der Frühen Neuzeit (WS 2005/6)
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
46
Katalognummer
V92539
ISBN (eBook)
9783638062084
Dateigröße
612 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar des Professors: "Sehr gelungener und erkenntnisrelevanter Einsatz von kommunikationswissenschaftlichen Theorien!"
Schlagworte
Sachlichkeit, Macht, Aspekte, Bamberger, Obrigkeit, Bamberg, Frühen, Neuzeit
Arbeit zitieren
Christoph Mann (Autor:in), 2006, Sachlichkeit und Macht - Aspekte der Öffentlichkeitsarbeit der Bamberger Obrigkeit nach der Überschwemmung von 1784, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92539

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