Jugendlicher Konsum suchtverursachender Substanzen

Empirische Untersuchung zu möglichen Präventionsangeboten


Thesis (M.A.), 2006

175 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Gliederung

Einleitung

Erster Teil: Objektbereich der Untersuchung - Problemdefinition jugendlichen Konsums uchtverursachender Substanzen
1 Sucht - Formen, Entwicklung und Folgen
1.1 Suchtverursachende Substanzen - Definition, Wirkung und Verbreitung des Konsums der bekanntesten
1.1.1 Gesellschaftlicher Umgang mit suchtverursachenden Stoffen
2 Lebensphase Jugend – Definition und Bedeutung aus Sicht verschiedener Sozialwissenschaften
2.1 Jugendliche als Konsumenten suchtverursachender Substanzen
2.1.1 Ätiologie - Ursachen jugendlichen Konsums suchtverursachender Substanzen aus der Sicht unterschiedlicher Sozialwissenschaften
2.1.2 Folgen jugendlichen Konsums suchtverursachender Substanzen
3. Fazit Teil I: Problemdefinition jugendlichen Drogenkonsums aus pädagogischer Sicht

Zweiter Teil: Sucht- und Drogenpräventionsarbeit mit Jugendlichen in Deutschland als Antwort auf das Problem des jugendlichen Konsums suchtverursachenden Stoffe
4. Formen der Sucht- und Drogenprävention - Primär-, Sekundär und Tertiärprävention
4.1 Stand der Jugendforschung zum Thema „Suchtprävention“
5 Fazit Teil II: Phänomenologie der Sucht- und Drogenprävention und Stand der qualitativ-verstehenden Jugendforschung als Grundlage des Forschungsinteresses und der Methodik der empirischen Untersuchung

Dritter Teil: Empirische Untersuchung zu Faktoren, die den jugendlichen Drogenkonsum beeinflussen
6 Entwicklung der Untersuchungsinstrumente „leitfadengestütztes Interview“ & „standardisierter Fragebogen“
6.1 Verfahren und Erkenntnisgewinn „standardisierter Fragebogen“
6.1.1 Auswahl der Informanten „standardisierter Fragebogen“
6.1.2 Durchführung der Befragung
6.1.3 Überblick über die Erhebungsstichprobe
6.1.4 Auswertung des Datenmaterials - Deskriptive Daten aus dem Fragebogen
6.2 Verfahren und Erkenntnisgewinn „leitfadengestütztes Interview“
6.2.1 Auswahl der Informanten „leitfadengestütztes Interview“
6.2.2 Durchführung der Interviews
6.2.3 Überblick über die Untersuchungspersonen
6.2.4 Auswertung des Datenmaterials – Die Portraits
6.3 Vor- und Nachteile des Untersuchungsdesigns
7 Ergebnisse der empirischen Untersuchung – Eine Zusammenfassung
8 Ausblick – Im Hinblick auf Soziale Arbeit und im Bezug auf zukünftige Untersuchungen
9 Quellenverzeichnis
10 Anhang
a) Transkription der Interviews

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

„Lass ihn! Er ist noch so jung. Er muss erst noch lernen, dass es so keinen Sinn macht.“

Eine Mutter zu einem Vater über deren 14-jährigen Sohn.

„Mensch war das eine Zeit! Als ich noch jung war, konnte mich nichts aufhalten.“

Ein Großvater zu seinem jugendlichen Enkel.

„Ich bin alt genug! Ich weiß alleine, was gut für mich ist.“

Eine 15-Jährige zu ihren Eltern.

„Mein Gott! Die heutige Jugend – wo soll das nur hinführen?“

Ein Erwachsener zu einem anderen.

Solche oder ähnliche Situationen kennt jeder Jugendliche und jeder Erwachsene. Sie drücken die Besonderheit der Lebensphase Jugend aus. Zu den speziellen Charakteristika dieses Lebensabschnittes gehört u.a. auch das Experimentieren mit suchtverursachenden illegalen und legalen Stoffen (vgl.: Raithel 2004, S. 9f). Die vorliegende Arbeit setzt den Fokus speziell auf den Konsum suchtverursachender Substanzen in dieser Lebensphase eines jeden Menschen – irgendwo zwischen Kindheit und dem Erwachsensein.

Als Erstes soll der jugendliche Konsum suchtverursachender Substanzen als der Objektbereich der Untersuchung definiert (Teil I) und die Möglichkeiten der sozialen Arbeit im Rahmen der Sucht- und Drogenprävention bei Jugendlichen erörtert werden (Teil II), um die theoretische Basis der im Teil III vorgestellten Untersuchung zu schaffen. Dabei gilt es, die Jugendlichen zu verstehen, so dass nach der Analyse des erhobenen Datenmaterials die daraus resultierenden Erkenntnisse in Überlegungen zur Verbesserung der Sucht- und Drogenprävention einfließen können. Im Vordergrund der Analyse soll die Frage stehen, welche Faktoren eine abstinente Haltung gegenüber Drogen bzw. den Genuss/ vorübergehenden Konsum begünstigen und/oder negativ beeinflussen, um im Anschluss daran Aussagen über effektive Maßnahmen zur zielgruppenspezifischen Sucht- und Drogenprävention mit Jugendlichen treffen zu können.

Ausgangspunkt der Untersuchung war die Feststellung, dass Präventionsangebote die Jugend-lichen in zunehmendem Maße nicht erreichen. Es wird vergessen, dass das Jugendalter mit Risikoverhalten und speziell mit dem Experimentieren mit suchtverursachenden Substanzen, sprich sowohl mit legalen als auch illegalen Drogen, einhergeht und die Schwerpunktsetzung auf Primärprävention bzw. Tertiärprävention in diesem Bereich nicht zielgruppenspezifisch ist (vgl.: Schmidt 1998, S. 20; Hurrelmann 2005, S. 172; Raithel 2004, S. 9). Deshalb möchte die dieser Arbeit zu Grunde liegende Untersuchung im Rahmen einer Magisterarbeit analysieren, wie Prävention mit Jugendlichen gestaltet sein sollte. Um Antworten auf diese Frage zu erhalten, ist es das Erkenntnisinteresse dieser Studie, die Jugendlichen zu verstehen. Wie sieht deren Alltag aus? Welche Komplexität hat deren Lebenswelt? Wie bewerten die Jugendlichen ihr Leben? Welche Vorstellungen haben sie? Welche Rolle spielen suchtverursachende Substanzen dabei? Haben die Jugendlichen bereits an entsprechenden Präventionsveranstaltungen teilgenommen und wie stellen diese sich sinnvolle Maßnahmen vor? Bis dato wurde zwar eine große Anzahl von quantitativen Studien bezüglich Jugend-licher (u.a. Drogenaffinitätsstudien der BzgA[1], MODRUS I-III[2], Jugend-Shell-Studien 1-14) durchgeführt, spezielle qualitativ-verstehende Forschungsaktivitäten zu aktuellen Erkenntnissen, die den Bereich der Präventionsarbeit mit verstehenden Aspekten jugendlichen Drogenkonsums zielgruppenspezifischer gestalten lassen würden, sind jedoch kaum und nicht zeitnah durchgeführt worden und somit nicht in die Praxis mit eingeflossen (vgl. u.a.: Krüger/Grunert 2002, S. 225ff; Schmidt 1998, S. 18; Merkens/Zinnecker 2004). Entsprechend der dargestellten Situation, dass Prävention im Jugendalter nicht zielgruppenspezifisch ist und seitens der qualitativ – verstehenden pädagogischen Forschung in den letzten Jahren keine zeitnahen Daten erhoben und ausgewertet wurden, gestaltet sich neben der Forschungsfrage nach den sensibilisierenden Faktoren für jugendlichen Drogenkonsum auch das methodische Vorgehen dieser Untersuchung. Das sieht vor, sowohl Erhebungs- und Auswertungsverfahren der qualitativen als auch der quantitativen sozialwissenschaftlichen Methoden zu triangulieren.

Um die Komplexität der jugendlichen Lebenswelt, Einstellungen, Erfahrungen sowie Begründungszusammenhänge bezüglich des Konsums suchtverursachender Stoffe etc. verstehen und die Daten vergleichen zu können, wurde das Erhebungsinstrument leitfadengestütztes Interview entwickelt. Die Datenauswertung orientierte sich an dem von Tiefel (2005) lern- und bildungstheoretisch modifizierten Codierparadigma axiales Codieren der Grounded Theory nach Strauss/Corbin (1996). Diese Auswertungsmethode ermöglicht dem Forscher das Verstehen der Daten durch die Entschlüsselung von darin enthaltenden relevanten Bedingungen für das Handeln und Denken des Informanten, entsprechende Inter-aktionszusammenhänge, Handlungsstrategien und Konsequenzen (vgl.: Tiefel 2005, S. 1). Zusätzlich wurde das Erhebungsinstrument standardisierter Fragebogen entwickelt. Die erhobenen Daten wurden mit Hilfe der sozialwissenschaftlichen Auswertungssoftware SPSS ausgewertet. Das Antwortverhalten von einer relativ großen Fallmenge und somit u.a. auch die Lebenswelt der Jugendlichen, deren Konsumerfahrungen etc. konnten somit anhand deskriptiver Daten dargestellt werden und dienen zur Unterstützung der verstehend-qualitativen Daten.

Die vorliegende Arbeit versucht im ersten Teil den Objektbereich jugendlicher Konsum suchtverursachender Substanzen zu definieren. Dabei soll darauf eingegangen werden, was man unter Sucht, suchtverursachenden Stoffen und Jugend versteht. Anhand der Epidemiologie, Ätiologie und der Folgen jugendlichen Drogenkonsums soll dieser dann als Problem definiert und entsprechende Ausgangspunkte für diese Arbeit geschaffen werden. Im zweiten Teil wird auf die Präventionsarbeit im Bereich der Sucht- und Drogenprävention als Antwort auf das Problem des jugendlichen Drogenkonsums und auf den Stand der Forschung in diesem Feld eingegangen, um dann im dritten Teil die Untersuchung und deren Ergebnisse zu präsentieren.

Erster Teil: Objektbereich der empirischen Untersuchung – Problemdefinition jugendlichen Konsums suchtverursachender Substanzen

Möchte man den jugendlichen Konsum suchtverursachender Substanzen untersuchen, handelt es sich laut Böhnisch (1993, S. 166) um den Konsum im Alter zwischen 9. und 20. Jahren, laut Hurrelmann und Engel (1993, S. 6) um den zwischen dem 12. und 16. Lebensjahr und geht man nach Schmidt (1998, S. 15), ist die Entwicklungsspanne zwischen 12 und 18 Jahren für die experimentelle Erprobung und Entwicklung von Gebrauchsmustern für den Umgang mit legalen und illegalen Drogen von Bedeutung. Hier wird deutlich, dass Beginn und Ende der Lebensphase Jugend längst nicht mehr auszumachen sind (vgl. Böhnisch 1997, Seite 129). Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) weist jedoch kontinuierlich in ihren Publikationen zu den Themen Drogenkonsum, - missbrauch und Drogensucht darauf hin, dass suchtverursachende Stoffe in jedem Alter und besonders im Kindes- und Jugendalter enorme gesundheitliche Schädigungen verursachen können und somit die persönliche Zukunft der Betroffenen negativ beeinflusst werden kann (vgl.: www.bzga.de).

Um zu verdeutlichen, wann der Konsum ein Problem darstellt und was es bedeutet, süchtig zu sein, soll als erstes allgemein auf den Begriff Sucht, auf Erscheinungsformen süchtigen Verhaltens, auf dessen Entstehung und Folgen eingegangen werden. Das Wissen darüber ist das Hintergrundwissen für pädagogisches Handeln (vgl.: www.lpm.uni-sb.de/suchtprävention /sehn-sucht.htm). Danach folgt eine thematische Schwerpunktsetzung auf den Bereich der suchtverursachenden Substanzen – welche existieren, wie diese wirken und wie die Gesell- schaft mit ihnen umgeht. Im Anschluss daran wird der Gegenstand der Untersuchung, die Jugendlichen, deren Lebenswelt und die Bedeutung der Jugendphase aus der Sicht verschiedener Sozialwissenschaften vorgestellt und erläutert, welche Rolle die Jugendphase für das Konsumverhalten Jugendlicher spielt. Es soll daraufhin herausgearbeitet werden, wie verschiedene Erklärungsansätze speziell das jugendliche Konsumverhalten bezüglich suchtverursachender Stoffe erklären. Somit wird der Gegenstand der Untersuchung, die Jugendlichen und deren Drogenkonsum, in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses gestellt und es werden neben Ursachen auch die daraus entstehenden Probleme erörtert.

1 Sucht – Formen, Entwicklung und Folgen

Wenn man sich eine/n Süchtige/n vorstellt, denken die meisten Menschen an Schicksale wie Christiane F. aus „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“[3] oder den Obdachlosen, der stadtbekannt ist und jeden Tag in schmutzigen Sachen und einem Beutel voller Bierflaschen seine Runden dreht. Die wenigsten sehen vor ihrem inneren Auge den Familienvater, der am Anfang des Monats sein komplettes Gehalt in den Spielautomaten steckt oder die 12-Jährige, die seit einem Jahr täglich beim Spaziergang mit dem Hund heimlich immer zwei und manchmal auch schon drei Zigaretten, die sie von ihrem Taschengeld am Kiosk nebenan kauft, raucht.

An diesen Beispielen ist bereits zu erkennen, dass Sucht nicht vor Status, nicht vor Alter oder Geschlecht halt macht. „Sucht ist gekennzeichnet durch ein chronisches Ausweichen vor scheinbar unlösbaren Konflikten. Sucht wird heute definiert als ein unabweisbares, starkes Verlangen nach einer Droge (z.B. Heroin, Alkohol, Tabletten) oder einem bestimmten Verhalten (z.B. Spielen, Essen, Arbeiten, Sex) mit dem Ziel, vor dem gegenwärtigen unerwünschten Erlebnis- und Bewusstseinszustand in einen anderen, einen gewünschten zu fliehen. Dieses Ziel kann dauerhaft oder periodisch angestrebt werden. Dem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes ebenso untergeordnet wie die Emotionen. Der willentliche Einfluss auf das Suchtverhalten geht mehr und mehr verloren (Kontrollverlust). Es kommt zur Dosissteigerung („more – effect“). Das Suchtverhalten will immer wieder befriedigt werden (Wiederholungszwang). Der Süchtige kann nicht von seiner Sucht lassen (Abstinenzunfähigkeit) (vgl.: Gross, 1990. In: Lindner und Reiners-Kröncke, 1993). Sucht hat viele Gesichter, verschiedene Ursachen sowie unterschiedliche Folgen. Kellermann (2005) stellt fest, dass der Suchtbegriff immer unschärfer wird und somit Ziele der Therapie und Prävention auf diesem Gebiet wenig erfolgsversprechend seien.

Um Aussagen über eine effektive und somit effiziente Suchtprävention tätigen zu können, soll im Folgenden klar definiert werden, von welchen Suchtformen, Ursachen jugendlichen Konsums und Folgen von Sucht im Bezug auf die vorliegende Arbeit ausgegangen wird.

Formen, Entwicklung und Folgen von Sucht

In der Fachliteratur ist man sich grundsätzlich darüber einig, dass man Sucht in zwei Formen

unterteilt – die stoffgebundenen und die stoffungebundenen Süchte (vgl. u.a.: www.dhs.de, Heckmann 2005, Seite 28). Nikotin, Alkohol, Medikamente oder andere chemische Wirkstoffe werden bei stoffgebundenen Süchten vom Menschen zugeführt. Dabei wird das Ziel verfolgt, Lustgefühle zu erzeugen oder Unlustgefühle zu vermeiden. Wohingegen bei stoffungebundenen Suchtformen vom Betroffenen kein chemischer Wirkstoff aufgenommen wird, sondern eine Abhängigkeit bestimmter Verhaltens- oder Erlebniszuständen (z.B. Glücksspiel, Essen/Brechen/Magern, Arbeiten) existiert (vgl.: Bäuerle, S. 1993, Seite 7; Bäuerle, D. 1996, Seite 37).

Schmidt (1998, S. 94) weist darauf hin, dass eindeutige Kriterien, die missbräuchlichen Konsum kennzeichnen, fehlen, dass Bezeichnungen wie schädlich, harmlos, experimentell etc. ohne konkrete Merkmale benannt werden und somit definitorische Begriffsbestimmungen für die Beschreibung von der Entstehung riskantem und süchtigem Konsumverhalten nicht existieren. Lindner/Reiners-Kröncke (1993, S. 9f) versuchen dieses Problem zu lösen. Demnach steht am Anfang der Sucht der Gebrauch einer Substanz (z.B. Marihuana) oder ein stoffungebundener Konsum (z.B. Fernsehen). Der Übergang zum Missbrauch ist erkennbar, wenn eine überdurchschnittliche Quantität und ein dementsprechender Drang bzw. die übermäßige Dosierung des Konsums vorliegt. Es ist also von Bedeutung, sich die graduellen Unterschiede hinsichtlich der Intensität des Erlebens als auch das Ausmaß und die Geschwindigkeit einer Schädigung ins Blickfeld zu nehmen. Empfindet der Betroffene ein zwanghaftes, dominierendes Verlangen im Sinne eines „Nicht-mehr-aufhören-Könnens“ (psychischen Abhängigkeit) und sind immer größere Dosen der Droge/Verhaltensform nötig (Toleranzerwerb bei physischer Abhängigkeit), spricht man von Sucht. Bäuerle (1996, S. 38f) unterteilt die Entwicklung von Sucht in vier Phasen und beschreibt in jeder die charakteristischen Eigenschaften der Persönlichkeit, der/des Suchtmittel und -milieus, der Mit- und Umwelt und mögliche gefährliche Folgen:

2. Phase der Suchtentwicklung: Steigerung des Genusses – positives Lebensgefühl – Gefühl der Verbesserung der Lebensqualität

- Persönlichkeit: gute Gefühle, Steigerung des Selbstwertempfindens, Euphorien, beglückende Rauschzustände, aber auch die Gefahr der falschen Selbsteinschätzung und des Realitätsverlusts;
- Suchtmittel und -milieu: Verstärkung des Konsums, Intensivierung der Erlebnisse;
- Mit- und Umwelt: Wechsel von Beziehungen hin zu Gleichgesinnten.

3. Phase der Suchtentwicklung: Gewöhnung – Verfestigung der Konsum-Genuss-Gewohnheiten – beginnende Persönlichkeitsveränderungen

- Persönlichkeit: zunehmender Realitätsverlust, Verlust der Konfliktfähigkeit, egozentrische Lebensorientierung, beginnender Verlust der Arbeits- und Leistungsfähigkeit, beginnende Verhaltensauffälligkeiten;
- Suchtmittel und -milieu: Zunahme der Gewöhnungstoleranz, beginnender Verlust der Selbstkontrolle, Dosis- und Erlebnissteigerung;
- Mit- und Umwelt: erste Konflikte im Arbeits-, Leistungs-, Ausbildungs- und Berufsbereich, zunehmende Belastung bisheriger Beziehungen in Familie, Partnerschaft, Kollegenschaft.

4. Phase der Suchtentwicklung: deutliche Persönlichkeitsveränderungen – Verlust sozialer Beziehungen – Abhängigkeiten

- Persönlichkeit: verschiedene Formen der Abhängigkeit, gesundheitliche Schädigungen, schwere Beeinträchtigungen der Realitätswahrnehmung, der Arbeits- und Leistungsfähigkeit, deutliche Verhaltensauffälligkeiten und -störungen;
- Suchtmittel und -milieu: weitere Dosissteigerungen und Erlebnisintensivierungen mit Kontrollverlust;
- Mit- und Umwelt: Verlust und Bruch von Beziehungen, Verlust des Arbeitsplatzes, Aufgabe der Ausbildung, überwiegende oder ausschließliche Orientierung an Suchtszene/-milieu, Inkaufnahme von Kriminalität und Prostitution.

5. Phase der Suchtentwicklung: Verfall – Verelendung – Pflegebedürftigkeit – Todesgefahr

- Persönlichkeit: seelischer und körperlicher Verfall, Verlust bzw. schwere Störungen seelischer und körperlicher Funktionen, äußerer Verfall, Unfähigkeit zur Selbstregulierung und Selbstkontrolle;
- Suchtmittel und -milieu: extreme Steigerungen, akute Gesundheitsschäden und Todesgefahren, Abnahme der Verträglichkeit durch gesundheitliche Schädigungen;
- Mit- und Umwelt: Verarmung und Verelendung, Isolation, soziale Ächtung, Pflegebedürftigkeit.

Sowohl an Lindners/Reiners-Krönckes (1993, S. 9f) Ausführungen als auch an Bäuerles, D. (1996, S. 38), welcher selbst einräumt, dass die Stadien der Suchtentwicklung nicht zwangsläufig in der beschriebenen Form ablaufen müssen, ist zu erkennen, dass die Übergänge vom Gebrauch über den Missbrauch bis hin zur Sucht zum einen fast nie eindeutig auszumachen sind und sie weisen zum anderen auf die Existenz von z.B. angepassten Alkohol- und Marihuanaabhängigen hin, die ihre Gesundheit zwar dauerhaft schädigen, aber auf einer bestimmten Stufe der Suchtentwicklung stehen und im Stande sind, ihr Leben selbstständig und ohne schwere Beeinträchtigungen anderer zu führen. Um eine verbesserte Diagnose stellen zu können, schlagen Lindner u. Reiners-Kröncke vor (1993, S. 9), Parameter wie Kontrollverlust, Dosissteigerung, Wiederholungszwang und Abstinenzunfähigkeit zu bestimmen, um die Auswirkungen des Konsums auf die menschliche Entscheidungsfreiheit bewerten zu können, die – und da sind sich alle Professionellen einig – bei einer Abhängigkeit von süchtigem Verhalten erheblich eingeschränkt ist. (siehe dazu u.a. Bäuerle, S. 1993, S. 7, Lindner und Reiners-Kröncke 1993, S. 9, Friedrichs 2002, S. 64).

Ein Süchtiger hat, wie bereits erörtert, keine Kontrolle mehr über seinen Konsum. Folgen, die aufgrund von süchtigem Verhalten entstehen, sind von Stoff zu Stoff, bzw. von Handlung zu Handlung unterschiedlich. Engel und Hurrelmann (1994) weisen auf starke gesundheitliche Risiken und Gefährdungen wie Lungenkrebs, chronische Bronchitis, Herz- und Kreislauf-störungen, Herzinfarkt, Leberzirrhose, Hepatitis B, Aids, psychovegetative Beeinträchti-gungen u.a. hin. Soziale Abgrenzung, Selbstüberschätzung, Realitätsverlust, Verelendung, Tod u.a. können jedoch auch zu den Folgen gehören (vgl.: Bäuerle, D. 1996, S. 38f). Sucht ist eine Krankheit und es folgen in der Regel schnelle körperliche und soziale Schädigungen (vgl.: www.dhs.de).

1.1 Suchtverursachende Stoffe – Definition, Wirkung und Verbreitung des Konsums der bekanntesten

Da sich die vorliegende Arbeit mit dem jugendlichen Konsum suchtverursachender Substan-zen beschäftigt, werden nun, nachdem der Suchtbegriff definiert ist und sowohl die Formen, die Entwicklung als auch die Folgen von süchtigem Verhalten dargestellt wurden, die bekanntesten suchtverursachenden Substanzen, deren Wirkung und die Verbreitung des Konsums aufgezeigt und auf den gesellschaftliche Umgang mit ihnen eingegangen, um daraufhin die Zielgruppe dieser Arbeit, die Jugendlichen, ins Zentrum des Erkenntnisinteresses zu stellen. Aufgrund der thematischen Schwerpunktsetzung werden stoffungebundene Süchte im Folgenden nicht weiter thematisiert.

Suchtverursachende Substanzen - Definition

Wenn man über suchtverursachende Stoffe spricht, ist es notwendig, diese zu definieren. Für die Weltgesundheitsorganisation (engl.: WHO) gilt jede Substanz als Droge, die in einem lebenden Organismus Funktionen verändern kann (vgl.: www.who.de). Bei dieser Begriffs-bestimmung handelt es sich laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) um einen erweiterten Drogenbegriff, der nicht nur auf Cannabisprodukte, Halluzinogene, Stimulantien, Schnüffelstoffe, Schlaf- und Beruhigungsmittel, Alkohol, Tabakerzeugnisse, Schmerzmittel Opiate und Kokain bezogen ist, sondern auch Alltagsdrogen wie z.B. Kaffee und Tee mit einbezieht und somit Drogen von Genuss- und Lebensmittel nicht mehr klar unterscheiden lässt. Freitag und Hurrelmann (1999, S. 23f) hingegen ermöglichen durch ihre Definition eine verbesserte Orientierung. Sie richten sich in ihren Ausführungen nach Scheerer und Voigt (1989, S. 5). Diese verstehen unter Drogen ähnlich wie die WHO „alle Stoffe, Mittel, Substanzen, die aufgrund ihrer chemischen Natur Strukturen oder Funktionen im lebenden Organismus verändern“ und erweitern diese Definition um einen weiteren Aspekt: „wobei sich diese Veränderungen insbesondere in den Sinnesempfindungen, in der Stimmungslage, im Bewusstsein oder in anderen psychischen Bereichen oder im Verhalten bemerkbar machen“. Des Weiteren teilen sie die unterschiedlichen psychoaktiven Wirkstoffe nach Julien (1997) in folgende sieben Gruppen ein:

1 Psychedelische Substanzen und Halluzinogene wie Cannabinoide (Haschisch, Marihuana), LSD und Mescalin.
2 Psychostimulantien wie Amphetamin und Amphetaminderivate (Ecstasy), Kokain, Koffein und Nikotin.
3 Opioidanalgetika wie Heroin, Morphin, Codein und Naloxon.
4 Anxiolytika wie Benzodiazepine.
5 Antidepressiva wie Tranylcypromin.
6 nicht-selektive zentralnervös dämpfende Substanzen wie Barbiturate, Schlafmittel, Ethanol, Narkosemittel.
7 Neuroleptika wie Chlorpromazin, Haloperidol.

Grundsätzlich bekannt ist, dass die genannten Stoffe in legale und illegale Substanzen unterteilt werden und somit deren Konsum strafrechtlicht verfolgt wird (Betäubungsmittelgesetz) oder gesellschaftlich akzeptiert ist. Diese Kategorisierung lässt jedoch keine Aussagen über deren jeweiliges Schädigungspotenzial zu. Nur weil bestimmte Stoffe käuflich und andere verboten sind, heißt das nicht, dass legale Drogen prinzipiell ungefährlicher sind als illegale. Egal ob legal oder illegal, sie können süchtig machen und beim Betroffenen seelischen und körperlichen Schaden ausrichten. Sie sind alle Drogen. (vgl.: Bäuerle, D. 1996, S. 52; Freitag und Hurrelmann 1999, S. 24).

Wirkung und Verbreitung der bekanntesten suchtverursachenden Stoffe

Nachdem der Begriff suchtverursachende Substanzen definiert ist, sollen im Folgenden die bekanntesten Drogen kurz und übersichtlich vorgestellt und deren Konsum (Deutschland betreffend) anhand statistischer Zahlen präsentiert werden, um im anschließenden Abschnitt Schlüsse auf den gesellschaftlichen Umgang mit Drogen ziehen zu können.

Legale psychoaktive Substanzen

Alkohol[4]

Wirkung: zentralerregend und dämpfend, gehobene Stimmung, gesteigerte Kontaktfreudigkeit, Minderung bzw. Wegfall von Hemmungen, Nachlassen des Reaktionsvermögens, depressive Stimmung,

Folgen: körperliche, psychische und soziale Abhängigkeit, Tod, Vergiftung, Magen- und Leberschäden, Herz/-Kreislaufstörungen und -schäden, Beeinträchtigung der Gehirnfunktionen, psychosoziale Schädigung u.a.

Epidemiologische Zahlen:

Tab. 2.3.1.2-1: Alkoholverbrauch je Einwohner an reinem Alkohol (DHS 2006, S. 7)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Somit liegt Deutschland bezüglich des Konsums aller EU-Staaten im oberen Drittel.

Das Institut für Therapieforschung (ITF) schätzt, dass im Jahr 2005 10,4 Mio. Personen einem riskanten Konsum nachgehen, 1,7 Mio. den Alkohol missbräuchlich konsumieren und 1,7 Mio. Personen vom Alkohol abhängig sind.[5]

Nikotin[6]

Wirkung: bei Erstkonsum Übelkeit, Erbrechen, Durchfall; psychisch anregend und beruhigend, Verstärkung der Magensaftproduktion, bei Vergiftung: Krämpfe und Atemlähmung u.a.

mögliche Folgen: Schäden treten nach Jahrzehnten auf, Schäden betreffen den körperlichen Bereich, psychische und soziale Abhängigkeit, Krebs, Herz- Kreislaufstörungen, Durchblutungsstörungen u.a.

Epidemiologische Zahlen:

Tab. 2.3.1.2-2: Pro-Kopf-Verbrauch je Einwohner und Jahr

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das IFT geht bei 13,1 Mio. Personen von riskantem Konsum aus und schätzt die Zahl der Abhängigen auf 4,3 Mio. Personen (deutschlandweit).[7]

Illegale Psychoaktive Substanzen

Cannabinoide (Haschisch, Marihuana, Haschischöl)[8]

Wirkung: individuell sehr verschieden – Euphorie, gesteigerte Kontaktfreudigkeit, Halluzinationen, Ruhelosigkeit, Antriebsverlust, Veränderung der Sinneswahrnehmung, Schwindelgefühl, Übelkeit, gesteigerte Herz- und Pulsfrequenz, vermehrter Hunger und Durst, vermehrtes Schwitzen, Senkung des Augeninnendrucks u.a.

mögliche Folgen: Flashbacks, psychische und soziale Abhängigkeit, Schädigung des Atmungssystems (Rauchen in Verbindung mit Tabak), Verminderung von Lern- und Gedächtnisleistung und Motivation, Depressionen, Verwirrtheit u.a.

Epidemiologische Zahlen:

Laut dem Institut für Therapieforschung (IFT) bestand der Kreis der Konsumenten von Cannabis im Jahr 2005 deutschlandweit aus 140.000 Personen, die Missbrauch betreiben und aus 240.000 Abhängigen.[9]

Halluzinogene (z.B. LSD)[10]

Wirkung: Halluzinationen des Gesichts- und Gehörsinns, Beeinflussung der Wahrnehmungsfähigkeit und des Erkennungsvermögens, psychotische Verhaltensweisen, starke nervliche Erregung, heftige Gefühlsschwankungen, motorische Störungen, psychische Effekte (Veränderung Farben, Formen, Gerüche) u.a.

mögliche Folgen: Flashbacks, unerwartete und unkontrollierbare Handlungen, Fremd- und Selbstschädigung, Wahnvorstellungen, Psychosen, Realitätsverlust, starke psychische Abhängigkeit u.a.

Epidemiologische Zahlen: siehe unter Statistik illegale Substanzen

(Psycho-) Stimulantien (z.B. Amphetamine (u.a. Ecstasy), Kokain)[11]

Wirkung: Steigerung von Antrieb, Wachheit, Wahrnehmung, Leistungsfähigkeit u.a.

möglich Folgen: Erschöpfungszustände, Kollaps, körperlicher Verfall, Herz- und Kreislaufschäden, Paranoia, Tod, seelische und/oder körperliche Abhängigkeit u.a.

Epidemiologische Zahlen: siehe unter Statistik zum Konsum illegaler Substanzen

Opioide (z.B. Morphin, Methadon, Heroin)[12]

Wirkung: Beeinflussung des zentralen Nervensystems, Beruhigung, Senkung des Schmerzempfindens, starke Euphorien, gesteigertes Selbstbewusstsein, Abschwächung der Sinnenwahrnehmungen u.a.

mögliche Folgen: Gewöhnung, Entzugserscheinungen, Persönlichkeitsveränderungen, bleibende Gehirnschäden, Magen- und Darmstörungen, Leberschäden, Suizidgefahr, Atem- und Herzlähmung, seelische und körperliche Abhängigkeit u.a.

Epidemiologische Zahlen über Konsum illegaler suchtverursachender Substanzen ohne Cannabis:

Laut dem Institut für Therapieforschung (IFT) bestand der Kreis der Konsumenten von illegalen Drogen ohne Cannabis im Jahr 2005 deutschlandweit aus 250.000 bis 300.000 Konsumenten. Davon praktizierten 275.000 Personen einen riskanten Konsum und 175.000 waren von Opiaten abhängig (DHS 2006, S. 20).

Psychotrope Medikamente (z.B. Schlafmittel, Schmerzmittel)[13]

Wirkung: kombinierte Wirkungen, je nach Inhaltsstoffen

Folgen: seelische und körperliche Abhängigkeit, je nach Präparat

Epidemiologische Zahlen:

Laut DHS (2006, S.16) besitzen 4-5% aller verordneten Arzneimittel ein eigenes Suchtpoten-tial. Rund ein Drittel dieser Mittel wird nicht wegen akuter Probleme, sondern langfristig zur Suchterhaltung und zur Vermeidung von Entzugserscheinungen verordnet. Das IFT schätzt, dass 2005 1,9 Mio. Personen in Deutschland von Medikamenten abhängig waren (DHS 2006, S. 18).

1.1.1 Gesellschaftlicher Umgang mit suchtverursachenden Stoffen

Anhand der im vorherigen Abschnitt präsentierten Zahlen, ist zu erkennen, dass die legalen Substanzen (Alkohol, Nikotin) im Gegensatz zu den laut Betäubungsmittelgesetz verbotenen Stoffen einen erheblich größeren Konsumentenkreis haben. Dabei liegt die Vermutung nah, dass die Legalisierung einzelner suchtverursachender Stoffe (z.B. Alkohohl, Nikotin) einen erheblichen Einfluss auf deren gesellschaftliche Akzeptanz und somit auch auf den Konsum hat. Diese werden von der Allgemeinheit als Genussmittel angesehen und Begriffe wie Drogenmissbrauch und Drogenabhängigkeit werden in aller Regel ausschließlich mit illegalen Substanzen in Verbindung gebracht (vgl.: Hurrelmann 1990, S. 42).

In der heutigen Zeit ist der Gebrauch von unterschiedlichen legalen und illegalen psychoaktiven Substanzen in den Industriegesellschaften weit verbreitet. In vielen Lebenssituationen (z.B. Wiederherstellung der Gesundheit durch Einnahme von Medikamenten zur Steigerung der Leistungsfähigkeit, um gesellschaftlicher Norm zu entsprechen sowie zur Behandlung von psychischen Problemen, Begehung ritueller Gegebenheiten wie Feste, Feiern durch Konsum von Nikotin und/oder Alkohol) wird der Gebrauch als eine normale – im Sinne von akzeptierte – Verhaltensweise angesehen. Sowohl illegale als auch legale Drogen dienen der Bewältigung unterschiedlicher Alltagsanforderungen und besitzen gleichermaßen eine hohe Funktionalität. (vgl. dazu: Freitag und Hurrelmann 1999, S. 23).

2 Lebensphase Jugend – Definition und Bedeutung aus der Sicht verschiedener Sozialwissenschaften

Um das Problem des jugendlichen Konsums suchtverursachender Substanzen definieren zu können, soll im Weiteren schwerpunktbezogen auf die Lebensphase Jugend eingegangen werden. Dabei ist von Interesse, welche Bedeutung die Jugend hat, welche speziellen Aspekte als Ursachen des jugendlichen Konsums von Drogen betrachtet werden und welche Folgen auftreten können. Die folgenden Aussagen werden aus dem Blickwinkel verschiedener sozialwissenschaftlicher Disziplinen formuliert und sollen somit das reale Bild der Jugend im Bezug auf deren Konsum suchtverursachender Stoffe widerspiegeln.

Die Lebensphase Jugend – Definitionen verschiedener sozialwissenschaftlicher Disziplinen

Wie anfänglich bereits festgestellt, ist man sich in der Fachwelt nicht einig darüber, wann die Jugendphase – auch Adoleszenz genannt – genau beginnt und endet. Dass sie sich in der Vergangenheit ausgedehnt hat, darüber besteht jedoch durchweg Einigkeit (vgl. dazu u.a.: Hurrelmann 2005, S. 17, Böhnisch 1997, S. 129, Scherr 1997, S. 89, Klawe 1993, S. 34, Hafeneger 1998, S. 9). Pädagogen, Soziologen, Psychologen u.a. stellen ein Wissen über jugendgemäße Praktiken zur Verfügung und ermöglichen u.a., dass die Individuen, welche nach jeweils anerkannten Definitionen als Jugendliche gelten, im Bezug auf Rechtsverordnungen, Erziehungsstile und Fördermaßnahmen zielgruppenspezifisch behandelt werden (vgl.: Scherr 1997, S. 87f). Im Folgenden sollen speziell der pädagogische und der soziologische Jugendbegriff vorgestellt werden.

Der erziehungswissenschaftliche Jugendbegriff

Nach Scherr (1997, S. 91ff) gibt es nicht „die Jugend“ als homogene soziale Gruppe (vgl. dazu u.a.: Raithel 2004, S. 13f, Klawe 1993, S. 26). Um den Begriff pädagogisch greifbar zu machen, geht er auf gesellschaftliche Bedingungen ein, welche die Lebensphase Jugend spezifisch strukturieren sowie von der Kindheit und der Erwachsenexistenz abgrenzen. Diese Grundmerkmale von unterschiedlichen Jugenden in modernen Gesellschaften sind Schule, Ausbildung und Sexualität. Demnach ist die Zielperspektive des Erwachsenwerdens die Vorbereitung auf die Erwerbstätigkeit. Eine Folge dessen ist nach Scherr die gesellschaftliche Durchsetzung eigenständiger Institutionen für berufliche Qualifizierung. Die schulisch-berufliche Ausbildung wird gesellschaftlich institutionalisiert, die soziale Position des Schülers hervorgebracht sowie als Bestandteil der rechtlich-kulturellen Ordnung der „Normal-biographie“ etabliert. Kernelement von Jugend ist in diesem Sinne das Schülersein.

Neben der schulischen Konstitution von Jugend ist nach Scherr die Geschlechtsreife das ent-scheidende, auslösende Moment für das Jugendalter. Dabei liegt die soziale Fremd- und Selbstzuschreibung sexuellen Vermögens und Begehrens dem Übergang vom Kind zum Ju-gendlichen zugrunde. Die Pädagogik betrachtet die Jugend als Spannungsverhältnis zwischen Individualismus und sozialem Lernen, zwischen Selbstinitiation und gesellschaftlicher Wertevermittlung, zwischen Erlebnis und Reflexion (vgl.: Brenner/Hafeneger 1996, S. 5).

Im pädagogischen Sinne zeichnet sie sich zusammenfassend dadurch aus, „dass Menschen in ihr nach Lebensorientierungen suchen, sich in der Gesellschaft zu positionieren trachten und beginnen, sich biographisch selbst zu thematisieren“ (Marotzki/Nohl/Ortlepp 2005, S. 84). Aus dem Blickwinkel der Sozialpädagogik unterscheidet man zwischen der gesellschaftlichen Jugend und der individuellen, biographisch eigenartigen Jugendphase. Das bedeutet, dass Jugend, als gesellschaftlich normiertes und vorgegebenes Lebensphasenmodell, von den Jugendlichen aus ihrem alltäglichen Lebenszusammenhang heraus bewältigt werden muss (vgl.: Böhnisch 1993, S. 151f).

Der soziologische Jugendbegriff

Aus gesellschaftswissenschaftlicher Sicht ist die Jugend die Phase im Leben, in welcher die Gesellschaft, in der ein Mensch lebt, ihn nicht mehr als Kind ansieht, ihm jedoch auch nicht den vollen Status, die Rollen und Funktionen des Erwachsenen zuspricht. Definiert ist dieser Lebensabschnitt durch die Rollen, die der junge Mensch aufgrund seines Status in der Gesellschaft spielen soll und darf, zu ihnen genötigt wird oder keinen Zugang zu ihnen bekommt. Es gibt keinen speziellen Zeitpunkt (z.B. körperliche Pubertät), der die Jugendphase bestimmt. Die Form, der Inhalt, die Dauer und der Abschnitt im Lebenslauf werden von verschiedenen Kulturen und Gesellschaften verschieden eingegrenzt (vgl.: Klawe 1993, S. 26). Raithel (2004, S. 13) bezieht sich auf die Definition Schäfers (2001) und geht davon aus, dass die Jugend eine Altersspanne im Lebenszyklus eines jeden Individuums darstellt, die mit dem Einsetzen der Pubertät (um das 13. Lebensalter) beginnt. Ihr geht die Kindheit voraus und es folgt das Erwachsenenalter. Raithel grenzt im Gegensatz zu Klawe die Jugendphase in die Altersgruppe der etwa 13- bis etwa 25-Jährigen ein, die typische Verhaltensweisen und Einstellungen besitzt. Dabei stellen die 13- bis 18-Jährigen, die sich in der pubertären Phase befinden, die Jugendlichen im engeren Sinne dar. Für die 18- bis 25-Jährigen und älteren Jugendlichen hat sich laut Raithel der Begriff Post-Adoleszente durchgesetzt. Jugend ist für Raithel eine biologisch mitbestimmte, aber sozial und kulturell „überformte“ Lebensphase, in der das Individuum die Voraussetzungen für ein selbstständiges Handeln in allen gesellschaftlichen Bereichen erwirbt. Die Jugend ist nach Raithel eine Subkultur bzw. eine gesellschaftliche Teilkultur (vgl. dazu auch: Hafeneger/Jansen/Klose 1998, S. 10).

Jugend und ihre Bedeutung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive

Die Lebenswelt der Jugendlichen ist im Einzelfall unterschiedlich, enthält jedoch bestimmte Elemente, die die Betonung der Gemeinsamkeit eines Lebensabschnittes ermöglichen. Eines ist die Pubertät (um das 13. Lebensjahr) in der Adoleszenz (vgl. dazu u.a.: Baacke 1991, S. 36, Raithel 2004, S. 14, Klawe 1993, S. 28ff). Die Professionellen sind sich einig, dass der jugendliche Mensch besonders in dieser Zeit tiefgreifende psychologisch-biologische Veränderungen wie die Ausbildung der Geschlechtsmerkmale, Längenwachstum u.a. durchlebt (vgl. dazu auch: Brenner/Hafeneger 1996, S. 38, Hurrelmann 1990, S. 1, Raithel 2004, S. 14). Weitere Gemeinsamkeiten von Jugendlichen, über die sich sowohl die Pädagogen, die Soziologen und auch die Psychologen einig sind, sind die Ablösung vom Elternhaus, der Einstieg ins Berufsleben (Ausbildung, Studium) und die Identitätsbildung (vgl. dazu u.a.: Klawe 1993, S. 28, Raithel 2004, S. 14, Hafeneger/Jansen/Klose 1998, S. 99, Hurrelmann 2005, S. 27f).

2.1 Jugendliche als Konsumenten suchtverursachender Substanzen

„Jugendliche suchen nach einem Normalitätspfad zwischen der Dynamik eines zunehmend sozial freigesetzten jugendlichen Alltagslebens und den öffentlich vorgegebenen, in den gesellschaftlichen Institutionen eingelassenen, sozialintegrativen Jugendbildern“ (Böhnisch 1993, S. 152). Auf der Suche nach diesem Normalitätspfad kommt es oftmals zu riskantem Verhalten – z.B. zu aggressivem und abweichendem Verhalten oder zum Konsum von suchtverursachenden legalen und illegalen Substanzen (vgl.: Engel/Hurrelmann 1994, S. 9).

Da das Thema dieser Arbeit der jugendliche Konsum suchtverursachender Stoffe ist, soll im Folgenden auf zeitnahe wissenschaftliche Erkenntnisse über dessen Umfang (der bekanntesten Substanzen), Ursachen und Folgen eingegangen werden, um letztendlich das Problem dessen definieren zu können und im zweiten Teil dieser Arbeit auf die Sucht- und Drogenpräventionsarbeit in Deutschland als eine Möglichkeit der Problembegegnung eingehen zu können.

Epidemiologische Fakten

Die folgenden Fakten sollen ein an der Wirklichkeit orientiertes Bild von jugendlichem Kon-

sum suchtverursachender Stoffe wiedergeben. Dabei werden die legalen Stoffe Alkohol und Nikotin von den illegalen Substanzen thematisch getrennt.

Legale Substanz Alkohol[14]

- Regelmäßiger Konsum von Bier, Wein und Spirituosen nimmt seit 25 Jahren kontinuierlich ab.
- Anteil Mixgetränke-konsumierender Jugendlicher von 2001 bis 2004 von 8% auf 16% verdoppelt.
- Durchschnittskonsum liegt bei 68,8 Gramm reiner Alkohol (2001 53,9).
- Knapp 40% hatten in den letzten 12 Monaten ein- oder mehrmals einen Alkoholrausch.
- Riskantes „Rauschtrinken“ betreiben 34% der Jugendlichen (43% Jungen, 25% Mädchen).
- Das Durchschnittsalter des ersten Alkoholrausches liegt bei 15,5 Jahren.
- Die 16- bis 19-Jährigen trinken am häufigsten regelmäßig Alkohol.
Legale Substanz Nikotin (Tabak)[15]
- 35% der Jugendlichen rauchen (2001 37%).
- Deutlicher Rückgang von starken Rauchern (20 oder mehr Zigaretten täglich).
- Es gibt keinen geschlechtsspezifischen Unterschied mehr in der Rauchintensität.
- Das Einstiegsalter liegt bei 11 Jahren.
- Sensibilisierende Faktoren sind soziale Einflüsse der Familie und der Freundesgruppe des Jugendlichen und dessen Gesundheitsbewusstsein.

Illegale Substanzen u.a. Marihuana, Ecstasy, Kokain[16]

- 32% haben schon einmal illegale Drogen konsumiert.
- Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge (24% konsumierten diese ausschließlich).
- Akzeptanz für Cannabis ist deutlich gestiegen.
- 4% haben Amphetamine konsumiert.
- 4% haben Ecstasy konsumiert.
- 4% haben psychoaktive Pflanzen und Pilze konsumiert.
- 2% haben Kokain konsumiert.
- 2% haben LSD konsumiert.
- 32% haben diese Stoffe in einer begrenzten Zeitspanne konsumiert.
- Jugendliche, die Tabak und Alkoholrauscherfahrungen haben, nehmen deutlich häufiger Cannabis als welche, die dies nicht haben.
- Wirkungserwartungen bei Jugendlichen, die sich vorstellen können, Drogen zu nehmen, sind z.B. Glücksgefühle, Abbau von Hemmungen oder das Vergessen von Alltagsproblemen.
- Drogenerfahrene Jugendliche erwarten Entspannung und Spaß mit Freunden.
- Seit Mitte der 80er Jahre ist der Anteil der Jugendlichen, die auf keinen Fall illegale Drogen nehmen würden, von 66% (1986) auf 50% (2004) gesunken. Grund dafür ist die zunehmend positive Einstellung zu Cannabis. Die Distanz zu anderen illegalen Drogen ist unverändert groß.
- Bedeutendster sensibilisierender Faktor für den Drogenkonsum ist das Gesundheitsbewusstsein.

2.1.1 Ätiologie – Ursachen jugendlichem Konsums suchtverursachender Substanzen

aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Perspektiven

Wenn man über die Ursachen des jugendlichen Konsums suchtverursachender Stoffe spricht, ist unabhängig von der erklärenden Disziplin zu beachten, dass die Motive multifaktoriell sind und immer in einem sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhang stehen. Es gibt Grundmotive und Rahmenbedingungen bzw. spezifische Faktoren des Jugendalters, die süchtiges Verhalten provozieren und fördern können, die sogenannten Risiko- und Stressfaktoren. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einem Drogendreieck Persönlichkeit – Droge – Gesellschaft (vgl. dazu auch: Bäuerle, S. 1993, S. 10, Bäuerle, D. 1996, S. 18, Schmidt 1998, S. 87, Lindner/Reiners-Kröncke 1993, S. 11f).

Ebenfalls ist es wichtig zu wissen, dass die zentralen theoretischen Ansätze zur Entstehung, Ausgestaltung und Aufrechterhaltung riskanter Konsummuster innerhalb der biomedizinischen, psychologischen und soziologischen Wissenschaftstraditionen entwickelt worden sind (Schmidt 1998, S. 81). Aus diesem Grund soll schwerpunktbezogen auf die vorliegende Arbeit im Weiteren neben den pädagogischen auch auf die psychologischen und soziologischen Erklärungsmodelle eingegangen und eventuelle Defizite in der Ursachenforschung dargestellt werden.

Erklärungsansätze der Pädagogik

Aus Sicht der Pädagogik stehen Jugendliche oft im Widerstreit unterschiedlicher Werte. Eltern, Lehrkräfte, Ausbilder, andere Erwachsene, Gleichaltrige und der Jugendliche an sich selbst stellen Forderungen und Erwartungen. Zum einen sollen sie ein eigenständiges Wert- und Normempfinden aufbauen, zugleich aber bestimmte Annpassungsleistungen an das gesellschaftliche System erbringen. Auf der einen Seite wird soziale Verantwortlichkeit erwartet, aber auf der anderen Seite sollen Jugendliche Durchsetzungsvermögen entwickeln. Trotz sexueller Verbote bzw. Tabus einerseits und einer gelebten und erfahrenen sexuellen Freizügigkeit anderseits, soll die Geschlechterrolle geübt und angenommen werden. Ebenfalls sollen Schule und Ausbildung gemeistert, berufliche Perspektiven entwickelt und die eigene Existenzsicherung vorbereitet werden, während gleichzeitig durch rezessive Maßnahmen auf dem Bildungssektor Zukunftschancen gemindert oder zerstört werden. Weiterhin wird von ihnen erwartet, dass sie sich vom Elterhaus lösen aber gleichzeitig unreflektiert Gehorsam zeigen. Nicht alle Jugendlichen sind diesen oftmals konträren Anforderungen des Lebensabschnittes der Adoleszenz gewachsen. Hinderliche Faktoren können sein, wenn in Erwachsenen kein Vorbild in Form von akzeptablen, lebbaren Perspektiven erkannt werden kann, wenn die Bedeutung der gestellten Anforderungen fehlt und sie überfordert werden, wenn schwierige Lebensumstände in der unmittelbaren sozialen Umwelt (Schule, Familie etc.) ihre Entwicklung beeinträchtigen sowie ihre Reifung gefährden oder der Jugendliche von Gleichaltrigen, Freunden und Erwachsenen nicht ernstgenommen wird. Problematisch ist es auch, wenn ihnen Hilfe versagt wird, die sie zur Bewältigung ihrer Alltagsprobleme benötigen oder falsche Problemlösungen angeboten bekommen, die sie nicht fördern sondern schädigen. Dem somit entstehenden Spannungsfeld von Persönlichkeitsentwicklung, Identitätssuche und dem Finden von Problemlösungsstrategien begegnen Jugendliche auf verschiedene Art und Weise und das eigene Konsum- und Genussverhalten spielt auf der Suche nach dem eigenen Lebensentwurf eine wichtige Rolle. Suchtmittelkonsum kann aus Neugier geschehen, kann aber auch ein ganz bewusster Regelverstoß im Sinne einer Kraftprobe gegen bestehende Normen sein. Er kann ebenfalls als ein Versuch der Demonstration des Erwachsenwerdens dienen und ebenso ein Ritual des Cliquenzusammenhalts darstellen. Möglich ist es auch, dass innere Leere und Langeweile damit bekämpft werden sollen (vgl.: Bäuerle, D. 1996, S. 18ff). Auch Bohnensack (1995) weist in seinem Phasenmodell der Adoleszenzentwicklung darauf hin, dass u.a. der Konsum suchtverursachender Substanzen, auch der exessive, durch Desinte-grationserfahrungen der Jugendlichen entstehen kann (Marotzki/Nohl/Ortlepp 2005, S. 90). Dieses Verhalten wird in der Pädagogik speziell in der Sozialpädagogik als Risikoverhalten eingestuft (vgl.: Böhnisch 1993, S. 216). Die Sozialpädagogik sieht in der Persönlichkeitsstruktur des Menschen, in der Art seines Umgangs mit Krisen, in der Fähigkeit, Gefühle auszudrücken und in der familiären und schulischen Situation die Ursachen von Sucht. Auch die Konfliktfähigkeit, die Reflektionsleistung und Sinnhaftigkeit bezüglich des eigenen Lebens und Tuns, sowohl die Beziehungsfähigkeit und die Einbindung in soziale Netze als auch die Zukunftsaussichten und die gesellschaftlichen Bedingungen werden als ursächlich angesehen. Erst als letztes steht die Verfügbarkeit von Drogen (vgl.: www.lpm.uni-sb.de/suchtprävention/sehn-sucht.htm)

Erklärungsansätze der Psychologie

Stress- und Risikofaktoren sind aus psychologischer Sicht Bedingungen, die zu einer länger andauernden Überforderung führen und welche erhebliche Fehlanpassungen der körperlichen, psychischen und sozialen Kapazitäten (Lebensführung und Sozialverhalten) als Folge haben (vgl.: Hurrelmann 1990 S. 70f).

Das persönlichkeitspsychologische Modell, das die Ausbildung einer Suchtpersönlichkeit während der Suchtentwicklung als gegeben ansieht, versucht bestimmte menschliche Persönlichkeitsstrukturen für die Entwicklung von Suchterkrankungen verantwortlich zu machen. Repräsentative Aussagen über die Existenz einer Suchtpersönlichkeit gibt es jedoch bisweilen nicht (vgl.: Schmidt 1998, S. 65f). Das lerntheoretische Modell geht wiederum davon aus, dass soziales Lernen etc. über Konditionierung oder Modell-Lernen geschieht. Die Beobachtung und Imitation der Verhaltensweisen anderer ermöglicht zusätzlich zu der positiven und negativen Verstärkung und neben Bestrafung und Löschung als Konsequenz auf ein bestimmtes Verhalten das Lernen und eine Stabilisierung von Verhalten, ohne eigene Erfahrungen sammeln zu müssen (vgl.: Schmidt 1998, S. 67). Modell-Lernen bedeutet somit im Bezug auf den Konsum suchtverursachender Substanzen, dass Peers und auch die Erwachsenen mit ihrem Konsumverhalten ein Auslöser für das eigene Verhalten sein können. Konditionierung über positive und negative Verstärker geschieht in Hinsicht auf das bearbeitete Thema, dass die gesetzliche Regelung bezüglich legaler und illegaler Stoffe aber auch Funktionen, die der Konsum von Suchtmitteln erfüllt eben solche Verstärker darstellen.

Allgemein kann festgehalten werden, dass psychische Faktoren, die die Entstehung und Entwicklung von Substanzenmissbrauch begünstigen, neben bereits frühkindlichem Problemverhalten auch aus dem Ruder gelaufene Strategien zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben sind. Zusätzlich wirken die über Erfahrung und Imitation gelernten Konsummuster sowie die subjektiv als positiv eingeschätzten Konsequenzen von Substanzgebrauch unterstützend (vgl.: Schmidt 1998, S. 81).

Erklärungsansätze der Soziologie

Anders als das persönlichkeitspsychologische Modell, geht man in dem sozialisations-theoretischen Ansatz davon aus, dass das Experimentieren als eine typische Form des Erlebens zur Jugendphase gehört, bevor eindeutige und stabile Verhaltensweisen und Ein-stellungen ausgebildet werden. Das bedeutet, dass es typisch für diese Lebensphase ist, dass der Umgang mit verschiedenen suchtverursachenden Stoffen erprobt wird. Statistiken bestätigen, dass fast alle Jugendlichen im Verlauf des zweiten Lebensjahrzehnts Erfahrungen mit illegalen/legalen Drogen sammeln (Silbereisen, 1995). Das ist Teil der Persönlichkeits-entwicklung und erfüllt wichtige Funktionen für die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung (vgl.: Schmidt 1998, S. 66). Raithel (2004, S. 101) geht davon aus, dass die sozialisationstheoretische Perspektive stresstheoretische Annahmen (Lazarus 1966; Pearlin 1987) in Hinsicht auf psychosoziale Belastungen in Familie, Schule, Freizeit und Peer-Group integriert. Das heißt, dass der Konsum suchtverursachender Substanzen als ein bestimmtes Risikoverhalten zum einen entwicklungsbedingt ist und zum anderen aufgrund entwicklungsbedingter Stressfaktoren auftritt. „Unter Risikoverhalten lassen sich aus sozialisationstheoretischer Perspektive alle Verhaltensweisen zusammenfassen, bei denen mittel- und langfristig die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass sie zu Schwierigkeiten der sozialen Integration oder zu Problemen bei der Weiterentwicklung einer stabilen und gesunden Persönlichkeit führen“ (Engel/Hurrelmann 1993, S. 9).

Weitere Konzepte der soziologischen Forschung sind u.a. kontrolltheoretische, sozialstrukturelle und Etikettierungsansätze. Diese gehen ebenso wie die Konzepte anderer Sozialwissenschaften von Stress- und Risikofaktoren aus. (vgl.: Hurrelmann 1990 S. 70f; Schmidt 1998, s. 71f). Soziologische Modelle betrachten Drogenabhängigkeit als Konsequenz soziokultureller und gesellschaftspolitischer Bedingungsfaktoren. Die Aufnahme und Stabilisierung missbräuchlicher Konsumgewohnheiten sind die Folge fehlender Bindungen an konventionelle, protektiv wirkende Institutionen und Personen, die Folge der Nichterfüllung gesellschaftlicher Anforderungen an eine gelungene Biographie sowie das Resultat von Stigmatisierung spezifischer Substanzformen als Abweichung (vgl.: Schmidt 1998, S. 81). Drogen verschaffen im Jugendalter „häufig Anerkennung und Vergnügen und helfen, Kontakt zu finden.“ (Hurrelmann/Freitag 1999 S. 23)

Defizite in der Ursachenforschung

Schmidt (1998, S. 81) verweist in ihren Ausführungen darauf, dass bis jetzt nur einzelne Aspekte jugendlichen Substanzgebrauchs, jeweils aus der Sicht einzelner Wissenschaften, bearbeitet wurden. Es existiert keine Theorie, in der die multikomplexen Bedingungsfaktoren zu einem umfassenden Gesamtkonzept zusammengefasst dargestellt werden. Somit fehlt es an Erkenntnissen darüber, wie die einzelnen Aspekte zusammenhängen. Auch in der aktuellen Fachliteratur ist keine Rede von einem derartigen Gesamtkonzept.

2.1.2 Folgen des Konsums suchtverursachender Substanzen für den Jugendlichen

Obwohl die gesundheitlichen Folgen jugendlichen Konsums bisher kaum untersucht worden sind, wird vermutet, dass der experimentelle Substanzengebrauch, welcher bei der Mehrzahl der Jugendlichen vorliegt, weitestgehend keine schwerwiegenden Folgeerscheinungen hat. Missbräuchlicher Drogenkonsum und Abhängigkeit hingegen haben neben meist weniger schweren körperlichen Beeinträchtigungen bedeutsame Einschränkungen auf psychosozialer Ebene zur Folge. Spezifische Entwicklungsaufgaben werden nicht zufriedenstellend erfüllt und es entstehen Defizite im psychischen, sozialen und schulischen/beruflichen Bereich. Langfristig sind Schädigungen der biologischen, psychischen und sozialen Gesundheit zu erwarten. Zum Beispiel wird beobachtet, dass jugendlicher Alkoholkonsum steigende Verletzungsraten durch Fahren unter Alkohol oder als Beifahrer bedingt (vgl. Schmidt 1998, S. 87ff).

3 Fazit Teil I Problemdefinition aus pädagogischer Sicht

Es wurde herausgearbeitet, in welchen Formen Sucht auftritt, wie sie sich entwickelt und welche Folgen sie im Allgemeinen und speziell für den Jugendlichen haben kann. Es wurde festgestellt, dass auch die legalen suchtverursachenden Stoffe Drogen sind (siehe Kap. 1ff). Für diese Arbeit bedeutet das, dass es keinen begrifflichen Unterschied zwischen z.B. Nikotin, THC oder Heroin gibt. Es handelt sich immer um Drogen. Weiterhin wurde aufgezeigt, das der Alltag eines Jugendlichen in vier wesentliche Elemente unterteilt ist: (1) Schule, (2) Familie, (3) Freizeit und (4) Freunde. Entsprechend dieser Aufteilung gestaltet sich sowohl der Aufbau der Erhebungsinstrumente als auch die Darstellung der Daten. Von Bedeutung ist ebenfalls, dass die Jugendphase im Leben eines Menschen fast immer mit Risikoverhalten und speziell mit dem Konsum suchtverursachender Substanzen einhergeht. Dieses zu meist experimentelle Verhalten erfüllt individuelle Funktionen, birgt jedoch trotzdem die Gefahr der Suchtentwicklung in sich. Beinahe alle Jugendlichen experimentieren sowohl mit illegalen als auch legalen Drogen. Die meisten zeigen eher maßvolle Konsummuster, die wenig invasiv wirksam sind und nur eine kurze Phase darstellen. Erst die Kumulation von Risikofaktoren und das Fehlen protektiver Faktoren beeinflussen die Ausbildung von schädlichem Missbrauchsverhalten (vgl. dazu u.a. Schmidt 1998, S. 66, 87; Hurrelmann 2005 S. 172). Aus pädagogischer Sicht ist der jugendliche Konsum suchtverursachender Substanzen dennoch ein Problem, da er auf kurze und/oder lange Sicht, bewusst oder unbewusst für den Jugendlichen zu einer Beeinträchtigung seines körperlichen und psychischen Wohlbefindens sowie seiner sozialen Entfaltungsmöglichkeit führen kann sowie mit dem Risiko von Abhängigkeit und Sucht verbunden ist. Risikoverhalten im Sinne des Konsums von Drogen kann Probleme im Bezug auf die biographische Lebensbewältigung und die Sozialintegration auslösen (vgl.: Böhnisch 1993 S. 216; Böhnisch 1997, S. 160). Forschung auf diesem Gebiet, die Präventionsmaßnahmen zeitnah und dadurch zielgruppenspezifisch gestalten lässt, muss aufgrund dessen kontinuierlich betrieben werden.

Bezogen auf die Definition von Jugend, d.h. ihrer zeitlichen Eingrenzung, ist allgemein bekannt, dass Jugend von unterschiedlicher Länge sein kann. Es gibt 14-Jährige, die bereits ausgereift sind und es gibt junge Menschen, die 20 Jahre alt sind, jedoch viel jünger wirken (vgl.: Baacke 1991, S. 39). Die verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen definieren den Jugendbegriff aus deren jeweiliger Perspektive, haben jedoch alle das Problem der zeitlichen Bestimmung. Problem deshalb, da eine Erforschung von Jugendlichen keinen Sinn macht, wenn die empirischen Erkenntnisse nicht vergleichbar sind und somit keine Aussagen über Entwicklungstendenzen oder empirische Darstellungen von Jugend zulassen. In Bezug auf die vorliegende Arbeit ist nach Steinberg (1993) mit Jugendlichen die Altersgruppe der 11- 21-Jährigen gemeint. Diese befinden sich in der Adoleszenz. Der Terminus Adoleszenz, in welcher die Pubertät stattfindet, ist in der internationalen Jugendforschung im Kontext ent-wicklungsbezogener Veränderungen der Jugendphase gebräuchlich. Steinberg unterscheidet die Adoleszenz in 3 Phasen: (1) frühe Adoleszenz zwischen 11 und 14 Jahren; (2) mittlere Adoleszenz zwischen 15 und 17 Jahren; (3) späte Adoleszenz zwischen 18 und 21 Jahren (vgl.: Raithel 2004, S. 14). Die Menschen in diesem Alter weisen sich dadurch aus, dass sie in diesem Lebensabschnitt nach Lebensorientierungen suchen, sich in der Gesellschaft zu positi-onieren trachten und beginnen, sich biographisch selbst zu thematisieren (vgl.: Marotzki/ Nohl/Ortlepp 2005, S. 84). Aus pädagogischer Sicht sind sie Jugendliche.

Zweiter Teil: Sucht- und Drogenpräventionsarbeit mit Jugendlichen in Deutschland als Antwort auf

das Problem jugendlichen Konsums suchtverursachender Substanzen

Im ersten Teil wurde der Objektbereich der im Teil III vorgestellten Untersuchung definiert. Es wurde somit die Grundlage geschaffen, im nun folgenden zweiten Teil die Sucht- und Drogenprävention, wie sie die sozialpädagogische Arbeit bzw. die Soziale Arbeit mit Jugendlichen praktiziert und für die am Ende der Untersuchung effektive Vorschläge gemacht werden sollen, vorzustellen. Es folgt eine Beschreibung der verschiedenen Formen der Sucht- und Drogenprävention, deren Bedeutung und der aktuelle Stand der entsprechenden Forschung, um danach auf die empirische Untersuchung und deren Ergebnisse eingehen zu können. Bevor jedoch die einzelnen Formen von moderner Sozialer Arbeit speziell der Sucht- und Drogenprävention vorgestellt werden, stehen die Fragen im Raum: Was ist Suchtprävention? Hat sie sich verändert? Worauf zielt sie?

Im Mittelpunkt der modernen Suchtprävention steht nicht die Sucht oder die Droge als Anknüpfungspunkt für suchtpräventives Handeln, sondern der einzelne Mensch, seine Entwicklung, seine Lebensbedürfnisse und seine Suche nach Sinn, Lebensqualität und Lebensbewältigung. Im Sinne der Erziehungswissenschaft ist Suchtprävention ein Erziehungsprinzip bzw. ein suchtunspezifischer pädagogischer Ansatz, der sowohl SchülerInnen, LehrerInnen als auch Eltern betrifft. Noch vor 30 bis 40 Jahren hieß Suchtprävention, Bilder von Raucherbeinen, Lungenkarzinomen und Ähnlichem zu zeigen. Man wollte abschrecken. Dann folgte die Zeit der Aufklärung durch Statistiken und medizinische Fakten, die jedoch nicht die Risikofreudigkeit Jugendlicher und deren aktuelle Lebenslage berücksichtigten (vgl.: www.lpm.uni-sb.de/suchtprävention/sehn-sucht.htm; Bäuerle, D. 1996, S 88ff).

Wie bereits beschrieben, ist moderne Suchtprävention im Rahmen sozialpädagogischer Arbeit auf die Lebenslagen des Individuums ausgerichtet. Das heißt u.a., dass sie zielgruppenspezifisch sein soll. Besonders oft richtet sich präventive Arbeit an Jugendliche, da diese in der Schule leicht erreichbar sind und ihr Verhalten in diesem Lebensabschnitt und besonders den Umgang mit suchtverursachenden Stoffen erlernen und stabilisieren (vgl.: Schmidt 1999, S. 81). Hält man sich die Risiken von jugendlichem Konsum suchtverursachender Substanzen vor Augen (siehe 2.3.3 und 3) und erkennt die Bedeutung der Lebensphase Jugend im Leben eines Menschen an (siehe 2.2), wird die große Wichtigkeit der Suchtprävention in diesem Alter deutlich. Die verschiedenen Formen der Prävention sollen im Weiteren vorgestellt werden.

4 Formen der Sucht- und Drogenprävention – Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention

Man richtet sich in der Sozialpädagogik heutzutage nach der Unterteilung der Suchtpräven-tion in drei Formen von suchtpräventiver Arbeit: (1) Primärprävention; (2) Sekundärpräven-tion; (3) Tertiärprävention. Eine jede von ihnen hat eine andere Zielgruppe und beinhaltet dementsprechende Methoden, welche Teile von Behandlung und Repression mit einschließen (vgl. dazu u.a.: Friedrichs 2002, S. 198; Hurrelmann 1990, S. 188; Kellermann, 2005, S. 96f). Nun zu den jeweiligen Formen.

Primärprävention

Friedrichs (2002, S. 198) vertritt die Ansicht, dass Primärprävention die Abstinenz von sucht-verursachenden Stoffen als Ziel hat. Wenn man jedoch bedenkt, dass speziell das Jugendalter als Experimentierraum für den Konsum suchtverursachender Stoffe gilt, ist eine auf Abstinenz ausgerichtete Prävention für Jugendliche unrealistisch und kann im Sinne der Ziele unter Umständen nicht förderlich sein. Deshalb muss das Ziel der Primärprävention bei Jugendlichen sein, diese zu einem reflektierten Umgang mit diesen Substanzen zu erziehen (Schmidt 1998, S. 17). Das gelingt am effektivsten, wenn die primärpräventive Arbeit früh-zeitig begonnen und langfristig angelegt ist. Die entsprechenden Konzepte zielen auf eine Veränderung von allen ausweichenden Verhaltensweisen, die mangelnde Lebensqualität ersetzen sollen. Suchtfördernde Strukturen der Umwelt sollen aufgedeckt und verändert wer-den. Jugendliche sollen ihren Alltag ohne Missbrauch von Drogen erleben und gestalten können (Lindner/Reiners-Kröncke 1993, S. 77). Das wird laut Schmidt (1998, S. 16) am besten durch Trainings zur Verbesserung psychosozialer Kompetenzen ermöglicht, in der Fachwelt auch „Life-Skills“ genannt. Allgemein sind Angebote der Primärprävention sucht- und drogenunspezifische Maßnahmen zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und zur Stärkung der Persönlichkeit (vgl.: Bäuerle, D. 1996, S. 70f). Beispiele dafür sind u.a. die Schulmediation, die Peermediation und Spielepädagogik, welche zielgruppenspezifisch zur Erhöhung sozialer Kompetenzen eingesetzt werden. Sie müssen hohen Ansprüchen genügen. Aufgrund dessen, dass direkte Erfolge nur langfristig nachzuweisen und kurzfristig Erfolge nicht zu erwarten sind, kritisieren viele Professionelle primärpräventive Konzepte. Ein wei-terer Kritikpunkt ist, dass primäre Prävention gerade bei experimentierfreudigen Jugendlichen, die bereits Erfahrung mit Drogen gemacht haben, keinerlei Wirkung hat (vgl.: Schmidt 1998, S. 20f). Zielgruppen dieser Drogenerziehung sind trotz der Kritik Eltern, Kleinkinder, Kinder und Jugendliche (vgl. Lindner/Reiners-Kröncke 1993, S. 77).

Sekundärprävention

Diese Form der Prävention richtet sich an Personen, aus dem Blickwinkel dieser Arbeit also an Jugendliche, die bereits Erfahrungen im Umgang mit suchtverursachenden Stoffen gemacht haben und möchte diese durch entsprechende Maßnahmen die weitere Ausprägung und Verfestigung verhindern. Zielgruppe sind also Jugendliche mit latenten und manifest gefährlichen Konsummustern. Das bedeutet, dass die Gefährdeten identifiziert werden müssen und ihnen spezielle Hilfestellung bei der Bewältigung der individuellen Probleme gegeben werden muss. Somit soll der Übergang vom Gebrauch zu riskantem und dann zu missbräuch-lichem Konsum und zur Abhängigkeit verhindert werden (vgl.: Friedrichs 2002, S. 198; Lindner/Reiners-Kröncke 1993, S. 78). Entsprechende Maßnahmen können sein: Prosoziale Intervention, um Risiko- und Problemverhalten zu reduzieren; Drogenerziehung zur Vermei-dung des Einstiegs in riskanten Gebrauch; gruppenbezogene Maßnahmen zur Stabilisierung des sozialen Netzwerks; schulische Angebote zur Stärkung der schulischen Bindung; Trainings für Eltern zur Steigerung des Verständnisses über Risiko- und protektive Faktoren für Drogenmissbrauch; verhältnisbezogene Maßnahmen zur Veränderung von Drogen-angebot und -nachfrage. Besonders in Zeiten knapper Kassen favorisiert man Maßnahmen, die nicht eine unüberschaubare Menge von Personen ansprechen, sondern gezielt Risikopopulationen erreichen. Trotz dieser Erkenntnisse werden immer noch vornehmlich Maßnahmen der primären Präventionsarbeit betrieben (vgl.: Schmidt 1998, S. 17f).

Bäuerle (1996, S. 71) fasst zusammen, dass bei der Sekundärprävention Gefahren durch psychosoziale Stützung und Optimierung der personalen Kompetenzen sowie durch Aufklärung neutralisiert werden und mit entsprechender Methode suchtfördernde Strukturen in der Lebensumwelt erst erkannt und dann bekämpft bzw. verändert werden sollen.

Tertiärprävention

Unter der dritten Form, der Tertiärprävention, versteht man Vorbeugung als Krisenintervention und -bewältigung, als Rückfallvorbeugung gedacht für ehemalige Abhängige und Suchtkranke. Maßnahmen, die dabei angewandt werden sind Beratung, Therapie und Rehabilitation (vgl.: Bäuerle, D. 1996, S. 71). Sie setzt bei manifestem Suchtverhalten an. Die Rückfallquote soll nach abgeschlossener Therapie reduziert werden. Ziel ist die Wiedereingliederung in das soziale Leben. Das soll durch stationäre, teilstationäre, komplementäre und ambulante Leistungen geschehen. Dort erhält der Betroffene die Möglichkeit der Entgiftung, Entwöhnung und/oder der Substitution. Es werden neben einer medizinischen Basisversorgung auch Kontaktläden, Unterstützungsangebote bei der Wohnraumbeschaffung, Schuldnerberatung, juristische Beratung oder Leistung der Berufsförderung bereitgestellt. Speziell für Jugendliche existieren nur wenige Einrichtungen, die sich speziell an Abhängige in dieser Altersgruppe richten. Die Versorgungssituation wird als defizitär angesehen (vgl.: Lindner/Reiners-Kröncke 1993, S. 78; Schmidt 1998, S. 19f).

4.1 Stand der Jugendforschung zum Thema Suchtprävention

Entsprechend dem Stand, welcher in entsprechender Fachliteratur dargestellt ist (vgl.: Krüger/Grunert 2002, S. 225ff und Merkens/Zinnecker 2004) steht fest, dass sich in den letzten Jahren im Bereich der qualitativ-verstehenden Jugendforschung eher mit dem Gewaltverhalten Jugendlicher u.a. beschäftigt wurde, als mit deren Konsum suchtverursachender Substanzen. Es werden zwar in regelmäßigen Abständen quantitative Studien zum Umfang des jugendlichen Substanzengebrauchs durchgeführt (u.a. MODRUS I-III[17] ; BzgA-Studien[18]), die auch auf statistische Zusammenhänge zwischen Drogenkonsum und z.B. dem Gesundheitsbewusstsein und dem Konsum des Umfeldes hinweisen (vgl.: BzgA-Studie 2004), spezielle qualitativ-verstehende Forschungsaktivitäten zu aktuellen Erkenntnissen, die den Bereich Präventionsarbeit mit verstehenden Aspekten jugendlichen Drogenkonsums zielgruppen-spezifischer gestalten lassen würden, sind kaum und nicht zeitnah durchgeführt worden und somit nicht in die Praxis mit eingeflossen (vgl. dazu auch: Schmidt 1998, S. 18).

Bis jetzt wurde im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit u.a. daraufhingewiesen, dass für die in der Gegenwart betriebene pädagogische Arbeit im Bereich der Suchtprävention das Ziel überwiegend darin besteht, durch vor allem primärpräventive Maßnahmen soziale Kompetenzen der Jugendlichen zu stärken und dabei deren Risikofreudigkeit und aktuelle Lebenslage zu berücksichtigen. Auch Schmidt (1998, S. 20) weist darauf hin, dass vornehmlich Maßnahmen der Primärprävention bei Jugendlichen angewandt werden. Ein Beispiel ist die Kampagne „Kinder stark machen“, durchgeführt von der BzgA. Hier ist das Ziel, durch substanzunspezifische und substanzübergreifende Suchtprävention, das Selbstbewusstsein von Kindern und Jugendlichen zu stärken, deren Konfliktfähigkeit zu fördern und sie in der realistischen Einschätzung ihrer eigenen Stärken und Schwächen zu unterstützen (vgl.: Suchtbericht der Bundesregierung 2005). Ob dieses Vorgehen immer noch seine Berechtigung in der Empirie erfährt, soll u.a. die im dritten Teil vorgestellte Untersuchung klären.

5 Fazit Teil II Phänomenologie der Sucht- und Drogenprävention und der Stand der qualitativ-verstehender Jugendforschung als Grundlage des Forschungsinteresses und der Methodik der empirischen Untersuchung

Es wurde aufgezeigt, dass im Bereich der Präventionsarbeit mit Jugendlichen eher mit primärpräventiven Maßnahmen gearbeitet wird als mit sekundären und im Bereich der tertiären Prävention zu wenig Therapieplätze für Jugendliche bereitstehen. Bezüglich der Arbeit mit Jugendlichen wird häufig vernachlässigt, dass das Experimentieren mit Drogen nichts Ungewöhnliches in dieser Lebensphase ist und in dieser Zeit spätere Konsum- und Verhaltensmuster entstehen, geprägt und verfestigt werden. Aus diesem Grund greifen die Präventionsangebote zunehmend nicht mehr (vgl.: Schmidt 1998, S. 20ff). Der Stand der Jugendforschung zum Thema Suchtprävention in der Arbeit mit Jugendlichen lässt auf ein Defizit entsprechend aktueller, qualitativer Erkenntnisse über zielgruppenspezifische Bedarfe Jugendlicher schließen. Es bestehen zwar Untersuchungen und Theorien im Bereich der quantitativen Sozialforschung (z.B. MODRUS I-III, Jugend-Shell-Studien) aber keine entsprechenden Theorien, die auf Grundlage verstehender, qualitativer Daten entwickelt worden sind. Rauschenbach/Thole (1998, S. 74f) stellen fest, dass sich die Adressatenforschung, wozu diese Arbeit zählt, gegenwärtig nur noch im Bereich der Problembearbeitung und nicht mehr im Bereich der Problementstehung bewegt.

Dementsprechend soll die vorliegende Arbeit, in deren Mittelpunkt eine qualitativ-verstehende Untersuchung steht, den Beitrag leisten, auf der Basis der Analyse der Faktoren, die jugendlichen Drogenkonsum begünstigen/verhindern (Problementstehung), die Sucht- und Drogenprävention zielgruppengerecht, angepasst an den Lebensalltag der Jugendlichen und deren Vorstellungen, gestalten zu können (Problembearbeitung).

Dritter Teil: Empirische Untersuchung zur thematischen Gestaltung möglicher Präventionsangebote für Jugendliche im Arbeitsfeld der Sucht- und Drogenprävention

Im Mittelpunkt der Untersuchung stand folgende Frage: Welche Faktoren begünstigen bzw. verhindern den Konsum suchtverursachender Substanzen bei Jugendlichen? Das Ziel, welches dabei verfolgt wurde, war, auf der Basis verstehender Forschung, Vorschläge für zielgruppenspezifische Präventionsarbeit mit Jugendlichen entwickeln zu können.

Um Aussagen entsprechend dem Erkenntnisinteresse machen zu können, galt es herauszufinden, welche Komplexität der Alltag der Jugendlichen hat, wie diese die einzelnen Elemente ihres Lebens (Schule, Familie, Freizeit, Freunde; vgl. u.a. dazu: Engel/Hurrelmann 1994, S. 59ff; Lenz, Karl 1988, S. 13; Raithel 2004, S. 89) bewerten und welche Vorstellungen, Handlungsperspektiven, Reflexionsmuster, Einstellungen und Begründungszusammenhange erkennbar sind. Speziell auf suchtverursachende Stoffe bezogen, war es von Interesse zu erfahren, inwieweit die Jugendlichen und deren Umwelt Erfahrungen mit suchtverursachenden Stoffen haben und welche Einstellung und welches Wissen sie zu verschiedenen Drogen besitzen. Bezüglich des Ziels, Vorschläge für die Präventionsarbeit zu entwickeln, wurde untersucht, ob die jungen Menschen bis dato an einer Präventionsveranstaltung zum Thema Drogen teilgenommen haben, was diese davon halten und wie solche Veranstaltungen in deren Augen gestaltet sein müssten, so dass sie erfolgreich im Sinne von suchtpräventiver Arbeit sind. Ebenfalls ist es von Bedeutung zu erfahren, welche Handlungsperspektiven die Jugendlichen in Problemlagen, die mit dem Konsum von Drogen zusammenhängen, besitzen und welche Hilfsangebote in der Sucht- und Drogenarbeit erwartet werden.

Der Kontakt zu den Untersuchungspersonen wurde über eine Schule (Gymnasium aus Sachsen-Anhalt) hergestellt. Als sowohl die Schule und das Landesverwaltungsamt ihr Einverständnis gegeben hatten, kam aufgrund organisatorischer Faktoren erst der standardisierte Fragebogen und kurze Zeit später der Interviewleitfaden zum Einsatz. Die Analyse der Daten des Fragebogens wurde mit Hilfe der sozialwissenschaftlichen Auswertungssoftware SPSS durchgeführt und die Auswertung der Interviews orientierte sich an dem von Tiefel (2005, S.1) lern- und bildungstheoretisch modifizierten Codierparadigma axiales Codieren der Grounded Theory nach Strauss/Corbin (1996). Im Folgenden sollen die Untersuchung bzw. deren Forschungsdesign näher beschrieben werden.

6 Entwicklung der Untersuchungsinstrumente leitfadengestütztes Interview und standardisierter Fragebogen

Aufgrund des im Teil II beschriebenen Forschungsstandes entstand die Forschungsfrage, das Erkenntnisinteresse und die Methodik dieser Arbeit. Entlang des Erkenntnisinteresses wurden dann die Erhebungsinstrumente (Interviewleitfaden und standardisierter Fragenbogen) konstruiert. Fest steht, dass ein Defizit im Bereich der qualitativ-verstehenden Forschung bezüglich Suchtprävention bei Jugendlichen besteht und dass sich die angewandte Methodik dieser Arbeit daran orientieren soll, diesem Defizit im Rahmen einer Magisterarbeit zu begegnen. Dementsprechend wurde das Erhebungsinstrument leitfadengestütztes Interview ausgewählt, um auf der einen Seite dem Umfang des Erkenntnisinteresses gerecht zu werden und auf der anderen Seite, verstehende Aussagen bezüglich der Forschungsfrage und des Untersuchungsziels entwickeln zu können. Gleichzeitig wurde bedacht, dass die Fallmenge bei qualitativen Erhebungen im Gegensatz zu quantitativen Untersuchungen in der Regel geringer ist. Um Aussagen über die alltägliche Lebenswelt einer größeren Anzahl von Jugendlichen machen zu können, werden die verstehenden Aussagen aus der Analyse des leitfadengestützten Interviews durch die Darstellung deskriptiver Daten eines quantitativen Erhebungsinstrumentes ergänzt. Dazu wurde ein standardisierter Fragebogen mit geschlossenen Fragen entwickelt, der deskriptiv die Lebenswelt, das Wissen und die Einstellungen bezüglich Drogen sowie Erfahrungen und Meinung der Jugendlichen über Präventionsveranstaltungen unterstützend zu den Einzelfallanalysen in einem größeren Umfang darstellen soll. Dadurch soll ein der Realität entsprechendes Bild von Jugendlichen im Bezug auf die thematische Schwerpunktsetzung entstehen, um zielgruppenspezifische Aussagen treffen zu können. Die angewandte Methodik entspricht somit dem Verfahren der Triangulation. Mit diesem Stichwort wird neben anderen Herangehensweisen am stärksten die Kombination verschiedener Methoden verknüpft, wobei damit nach Engler (1997) oder u.a. auch Flick (1995, S. 280ff) die Verbindung qualitativer und quantitativer Methoden gemeint ist (vgl.: Flick/Kardorff/Steinke 2004, S. 313).

In den folgenden Abschnitten werden die in der Methodenkombination angewandten Techniken jeweils beschrieben und das jeweils gewonnene Datenmaterial ausgewertet.

6.1 Verfahren und Erkenntnisgewinn „standardisierter Fragebogen“

Das Erhebungsverfahren standardisierter Fragebogen ist ebenso wie das leitfadengestützte Interview ein reaktives Verfahren (vgl.: Marotzki, 2002). Im Gegensatz zum Interview ist der standardisierte Fragebogen jedoch aus dem Bereich der quantitativen Forschungsmethoden. Das in dieser Arbeit verwendete Instrument ist auf einem hohen Niveau standardisiert und lässt somit keine verstehenden Analyseergebnisse zu. Die Informanten müssen zwar auf geschlossene Fragen antworten, sich wiedererkennen und sich erinnern, sie müssen und können sich aber nicht erklären (vgl.: Holm 1975). Laut Dippelhofer-Stiem (2002) bestehen die Vorteile standardisierter Fragebögen in der damit einhergehenden hohen Reliabilität, der Realisierbarkeit der Auswertung, der Fallmenge sowie in der hohen Vergleichbarkeit der Daten. Je höher das entsprechende Niveau der Standardisierung, desto ausgeprägter die Vorteile.

Die vorliegende Untersuchung trianguliert, wie bereits erwähnt, eine qualitativ-verstehende und eine quantitative Methode. Die Befragung mittels standardisiertem Fragebogen deshalb, da der Forscher durch ihn in der Lage ist, hinsichtlich der ihn interessierenden Messdimension/en die Verteilung der Befragten zu ermitteln, d.h. das Antwortverhalten einer größeren Fallmenge im Bezug auf ein spezielles Forschungsfeld darzustellen. Mit diesem Ziel kommt der standardisierte Fragebogen in dieser Untersuchung zum Einsatz. Er soll die verstehenden Daten des Interviews ergänzen[19]. Er soll die Lebenswelt von Jugendlichen, speziell den Bereich des Konsums suchtverursachender Stoffe, diesbezügliche Einstellungen, Erfahrungen und Meinungen bezüglich präventiver Arbeit etc. einer größeren Fallmenge (75 Befragte) beschreiben.

Zur Deskription der im Leitfaden untersuchten Phänomene wurde der folgende Fragebogen entwickelt. Zum besseren Verständnis wird zu jeder Frage und den entsprechenden Items das Erkenntnisinteresse der Forscherin beschrieben.

Der standardisierte Fragebogen

Liebe Schülerin, lieber Schüler, mein Name ist Jessica Boche und ich studiere die Fächer Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften an der Universität in Magdeburg. Im Moment schreibe ich meine Abschlussarbeit über das Thema „Jugendliche und deren Lebenswelt“. Für den Erfolg meiner Studie ist es wichtig, dass Du jede Frage ehrlich beantwortest. Ich garantiere Dir, dass Deine Antworten streng vertraulich behandelt werden. Deine Angaben sind freiwillig, anonym und werden nach der Auswertung nicht für weitere Zwecke gespeichert. Vielen lieben Dank. Jessica Boche.

Die Welt in Deinen Augen!?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kennst Du…?

Wie denkst Du über…?

Was machst Du…?

1. Schätze bitte ein, wie viel Du von den folgenden Dingen brauchst!

Mache einfach ein Kreuz!

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nachdem im einleitenden Text die befragten Schüler über die vor ihnen liegende Erhebung von Daten aufgeklärt und sie u.a. auf den vertraulichen Umgang mit deren Angaben hingewiesen werden, soll die erste geschlossene Frage inklusive der ersten 16 Items den Bedarf der Jugendlichen bezüglich unterschiedlicher Elemente des Phänomens „jugendliche Lebenswelt“ erfassen. Diese Elemente sind neben der Schule (Item 3,5) und der Familie/Eltern (Item 2,10,13,15,16) der Befragten auch deren Freizeit (Item 4,6,7,8,11,13,15) und Freunde (Item1,10 ). Ziel ist es, neben Aussagen über deren entsprechenden Bedürfnisse auch auf die damit verbundene Zufriedenheit machen zu können.

[...]


[1] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): Drogenaffinitätsstudien.

[2] Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Moderne Drogen- und Suchtprävention I-III.

[3] Christiane F.: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. 1978

[4] vgl. u.a.: Bäuerle, S. 1993, S. 47ff; Bäuerle, D. 1999, S. 54f

[5] DHS 2006,

[6] vgl.: Kellermann 2005, S. 13f; Bäuerle, D. 1996, S. 57f

[7] DHS 2006,

[8] vgl.: Bäuerle, D. 1996, S. 60; Freitag und Hurrelmann 1999, S. 26ff

[9] DHS 2006,

[10] vgl.: Bäuerle, D. 1996, S. 60ff; Freitag und Hurrelmann 1999, S. 26ff

[11] ebenda

[12] Bäuerle 1996, S. 61, Freitag und Hurrelmann 1999, S. 40f

[13] Bäuerle 1996, S. 57ff

[14] Die Zahlen sind dem Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung vom Mai 2005 entnommen. Dieser wird jährlich angefertigt, bezieht sich jedoch auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA). Da diese jedoch in mehrjährigen Abständen stattfindet – voraussichtlich wieder im Jahr 2007 – werden sich die Aussagen (laut telefonischer Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 25. April 2006) des Drogen- und Suchtberichts im Mai 2006 erneut auf die Daten der BzgA aus dem Jahr 2004 beziehen. Die Studie der BzgA ist die einzige regelmäßig durchgeführte, für ganz Deutschland repräsentative Untersuchung zum Konsum suchtverursachender Substanzen von 12- 25-Jährigen und soll deshalb Grundlage der Aussagen sein.

[15] ebenda

[16] ebenda

[17] Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Moderne Drogen- und Suchtprävention I-III

[18] Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

[19] Siehe hierzu auch die Jugend-Schell-Studien. Denen liegt ebenfalls eine Methodenkombination aus qualitativ-verstehenden Elementen und quantitativ-statistischen Elementen zu Grunde.

Excerpt out of 175 pages

Details

Title
Jugendlicher Konsum suchtverursachender Substanzen
Subtitle
Empirische Untersuchung zu möglichen Präventionsangeboten
College
Otto-von-Guericke-University Magdeburg
Grade
1,3
Author
Year
2006
Pages
175
Catalog Number
V92619
ISBN (eBook)
9783638054805
File size
1145 KB
Language
German
Keywords
Jugendlicher, Konsum, Substanzen
Quote paper
Jessica Boche (Author), 2006, Jugendlicher Konsum suchtverursachender Substanzen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92619

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