Das multikulturelle Deutschland spiegelt sich auch in der Schule wider. Hier treffen täglich Kinder aus den verschiedensten Kulturen aufeinander, lernen und leben dort gemeinsam. Diese Gemeinsamkeit zu stärken, ist heute wichtiger geworden denn je. Aus einer „multikulturellen“ Gesellschaft soll eine „interkulturelle“ Gesellschaft entstehen, in der die Kulturen nicht nur nebeneinander existieren, sondern auch miteinander agieren. Die Globalisierung und das damit einhergehende Aufeinandertreffen der verschiedensten Kulturen ist bereits in vollem Gange und wird sich auch weiterhin fortsetzen. Daher ist es wichtig, Kinder auf dieses „Aufeinandertreffen der Kulturen“ vorzubereiten, um sie somit auf ein Leben in einer "globalisierten" Welt vorzubereiten. Die Schule ist ein idealer Ort, um die dafür notwendige Schlüsselqualifikation interkulturelle Kompetenz anzubahnen. Trotz allem ist es auch eine große Herausforderung für die Lehrer, denen mit dieser Aufgabe eine überaus hohe Verantwortung übertragen wird. Märchen aus verschiedenen Ländern als Ausgangspunkt zu verwenden, um interkulturelles Lernen, sowie die intensive Arbeit im Fachbereich Deutsch zu ermöglichen, war das Anliegen der durchgeführten Unterrichtssequenz. Die Dokumentation der Arbeit ist in zwei Abschnitte geteilt. Zunächst werden die theoretischen Aspekte interkulturellen Lernens, sowie von Märchen als Bestandteil des Grundschulunterrichts erörtert. Im zweiten Teil folgt die Dokumentation der Planung, Umsetzung und Reflexion der Unterrichtssequenz.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theorie: Theoretische Grundlagen
2.1 Interkulturelles Lernen
2.1.1 Definition
2.1.2 Interkulturelles Lernen in der Grundschule- Begründung
2.1.3 Lehrplanaussagen zum Thema Interkulturellen Lernen
2.2 Märchen
2.2.1 Definition
2.2.2 Märchen in der Grundschule- Begründung
2.2.3 Lehrplanaussagen zum Thema Märchen (aus Kapitel I + II)
2.3 Märchen als Ausgangspunkt für interkulturelles Lernen?
3. Praxis: Planung und Umsetzung
3.1 Planung
3.1.1 Klassensituation
3.1.2 Märchenauswahl
3.1.3 Ziele und Produkt der Arbeit
3.1.4 Unterrichtssequenz
3.1.5 Lehrplan: Umzusetzende Inhalte aus dem Fachbereich Deutsch (Kapitel III)
3.2 Umsetzung
3.3 Abschlussreflexion
3.4 Fotos, Unterrichtsergebnisse
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Jedes alte Kulturvolk hatte seine eigenen Märchen und wandernden Erzähler, und seltsamerweise finden sich bei den Inuit, den Indianern, Afrikanern, Asiaten wie bei den Europäern viele ähnliche Bilder und Figuren. Es ist, wie der deutsche Kulturhistoriker Hermann Grimm, der Sohn des Märchensammlers, in einer Betrachtung über Märchen sagte: dass in ihnen der Inhalt …`der großen Weltgeschichte in den ältesten Zeiten` zu finden sei.“[1]
(Jakob Streit)
Das multikulturelle Deutschland spiegelt sich auch in der Schule wieder. Hier treffen täglich Kinder aus den verschiedensten Kulturen aufeinander und lernen und leben dort gemeinsam. Diese Gemeinsamkeit zu stärken, ist heute wichtiger geworden denn je. Aus einer „multikulturellen“ Gesellschaft sollte eine „interkulturelle“ Gesellschaft entstehen, in der die Kulturen nicht nur nebeneinander existieren, sondern auch miteinander agieren. Die Globalisierung und das damit einhergehenden Aufeinandertreffen der verschiedensten Kulturen, ist bereits in vollem Gange und wird sich noch schneller fortsetzen. Daher ist es wichtig, Kinder auf dieses „Aufeinandertreffen der Kulturen“ vorzubereiten, um ihnen so ein Leben in der globalisierten Welt zu erleichtern. Die Schule ist ein idealer Ort, um die dafür notwendigen Schlüsselqualifikation interkulturelle Kompetenz anzubahnen. Trotz allem ist es auch eine große Herausforderung für die Lehrer, denen mit dieser Aufgabe eine überaus hohe Verantwortung übertragen wird.
Ich denke jedoch, dass man als Lehrperson vor dieser Verantwortung nicht zurückschrecken, sondern sie als Chance sehen sollte. Ein jeder kann in seinem individuellen Einflussbereich versuchen, interkulturelles Lernen zu ermöglichen. Ich habe mich dazu entschlossen, vor allem innerhalb meiner hier dokumentierten Arbeit, einen Schwerpunkt darauf zu legen.
Gleichzeitig war mir wichtig, mit den Kindern im Bereich Deutsch zu arbeiten, da die sichere Beherrschung der deutschen Sprache für eine erfolgreiche Zukunft in Deutschland unerlässlich ist.
Märchen aus verschiedenen Ländern als Ausgangspunkt zu verwenden, um interkulturelles Lernen, sowie die intensive Arbeit im Fachbereich Deutsch zu ermöglichen, war das Anliegen der durchgeführten Unterrichtssequenz.
Die Dokumentation der Arbeit ist in zwei große Abschnitte geteilt. Zunächst werden die theoretischen Aspekte von interkulturellem Lernen, sowie von Märchen innerhalb der Grundschule erörtert. Im zweiten Teil folgt die Dokumentation der Planung, Umsetzung und Reflexion der Unterrichtssequenz.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit, werden die Bezeichnungen Lehrer und Schüler synonym für männliche und weibliche Personen gebraucht. Die Arbeit ist nach den neuen amtlichen Rechtschreibregeln (gültig ab 01. August 2006) verfasst.
2. Theorie: Theoretische Grundlagen
Das Thema meiner Arbeit setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: aus dem Bereich Märchen und aus dem Bereich des interkulturellen Lernens. Daher werden beide Komponenten zunächst getrennt behandelt. In Punkt 2.3 wird jedoch die Kombination beider Bereiche im Hinblick auf meine Arbeit mit den Kindern dargestellt.
2.1 Interkulturelles Lernen
2.1.1 Definition
Interkulturelles Lernen wird häufig mit interkultureller Erziehung gleichgesetzt. Dies ist nicht unbedingt falsch, trotzdem erscheint es mir wichtig noch einmal hervorzuheben, dass der Begriff „interkulturelle Erziehung“ mehr die Lehrperson im Blick hat, während interkulturelles Lernen immer vom Schüler ausgeht.
Es ist also beim interkulturellen Lernen so, wie auch beim Lernen allgemein: das Kind selbst entscheidet ob, was, wann und wie viel es lernt. Dabei knüpft es neues Wissen an seine Vorerfahrungen an. Der Lehrer nimmt dabei lediglich die Rolle des Assistenten ein, der das Kind beim Lernen unterstützt.
Auch beim interkulturellen Lernen muss der Lehrer somit eine Lernumgebung schaffen, die dem Kind das Erwerben von interkultureller Kompetenz ermöglicht. Was genau ist nun interkulturelles Lernen?
Fest steht, dass dieser Begriff vielfältige Dimensionen beinhaltet. Hier soll eine Auswahl genannt werden.
Laut Ingrid Vogl bedeutet interkulturelles Lernen „zu lernen, interkulturelle Differenz wahrzunehmen, das Fremde als Normalität zu erkennen, interkulturelle Begegnung zu erfahren und zu erleben, und interkulturelle Inhalte zu thematisieren.“[2] Dies kann laut Vogl zum Beispiel dadurch geschehen, dass fremdsprachige Schüler das eigene kulturelle Umfeld in die Klassengemeinschaft einbringen, und andererseits die deutschen Schüler die Lernchance ergreifen, authentische Einblicke in andere Kulturen zu gewinnen.
Ähnlich definiert auch Bernd Klinger den Begriff: „Interkulturelles Lernen ereignet sich durch Hinhören, Wahrnehmen und Stellung beziehen. Zentrale Bedeutung hat bei diesem Verfahren das Wahrnehmen unterschiedlicher Vorstellungen“.[3]
Allgemeiner formuliert wird der Begriff von M. Kanyangu und H. Schreiterer. Sie beschreiben in ihrem Aufsatz „Interkulturelle Erziehung zur Globalität“ interkulturelles Lernen wie folgt: „Interkulturelles Lernen ist das erwerben einer geistigen und konkreten Haltung und Lebenseinstellung, die in der Schule wie im persönlichen Lebensumfeld ein entspanntes Zusammenleben und einen Kulturaustausch ermöglichen.“[4]
Ähnlich allgemein aber noch prägnanter ist der Begriff in den vom ISB entwickelten Leitsätzen zum Profil interkultureller Schulen definiert. Interkulturelles Lernen ist hier „die selbstverständliche Reaktion auf die Veränderte Wirklichkeit.“[5]
Man könnte noch viele weitere, unterschiedliche Definitionen anreihen. Einen Aspekt haben jedoch alle Definitionen gemeinsam: der Respekt und die Wertschätzung für die eigene, sowie für jede andere Kultur ist Ausgangspunkt und zugleich ein Ziel interkulturellen Lernens.
Allgemein ist zu sagen, dass alleine die Begegnung mit der fremden Kultur noch nicht zum interkulturellen Lernen führt. Hierzu gehört darüber hinaus das Aufnehmen und Verarbeiten der kulturellen Aspekte, das Vergleichen der fremden mit der eigenen Kultur, und im besten Falle der gemeinsame Versuch, das Fremde zum Eigenen zu machen.
2.1.2 Interkulturelles Lernen in der Grundschule- Begründung
Die Wichtigkeit interkulturellen Lernens innerhalb unserer Gesellschaft und vor allem innerhalb der Schule lässt sich auf verschiedene Weise begründen.
An dieser Stelle soll die rechtliche Begründung Aufschluss geben.
Zur rechtlichen Begründung können verschiedene Gesetze und Verordnungen zurate gezogen werden. Erste und wichtigste Quelle ist wohl die Bayerische Verfassung, in der im Artikel 131, Absatz 2 und 3 Aussagen zur interkulturellen Erziehung gemacht werden:
„(2) Oberste Bildungsziele sind …Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen.…“.[6]
Hier wird also die Achtung der Religion, welche einen wesentlichen Bestandteil von Kultur darstellt, hervorgehoben.
Weiter heißt es: (3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie… und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.“[7]
Diese Aussage zielt auf Gleichberechtigung und Verständnis zwischen Menschen verschiedener Kulturen hin.
Auch das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz beruft sich in Artikel 1 auf die Bildungsziele der Bayerischen Verfassung.
In Artikel 2 werden unter den Aufgaben der Schule auch Aufgaben zur interkulturellen Erziehung genannt:
„Die Schulen haben insbesondere die Aufgabe... zu Toleranz, friedlicher Gesinnung und Achtung vor anderen Menschen zu erziehen, zur Anerkennung kultureller und religiöser Werte zu erziehen…zur Förderung des europäischen Bewusstseins beizutragen…im Geist der Völkerverständigung zu erziehen….“[8]
In der Lehrervolksschulordnung äußert man sich zwar nicht explizit zur interkulturellen Erziehung, sie beinhaltet jedoch einen Paragraphen (§11) zum Unterricht für Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache. Hier ist geregelt, wie Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache auf unterschiedliche Weise gefördert werden sollen. Wichtig erscheint mir hier, dass die Kinder nicht nur in der deutschen Sprache, sondern auch in ihrer Muttersprache gefördert werden: „Für Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache, die eine deutschsprachige Klasse besuchen, wird muttersprachlicher Ergänzungsunterricht eingerichtet.“[9]
Auch wenn hier nicht ausdrücklich von interkultureller Erziehung gesprochen wird, so erkennt man doch deutlich die Akzeptanz und Wertschätzung, die andere Sprachen und Kulturen in unserem Schulsystem erfahren.
In der Lehrerdienstordnung hingegen werden keine individuellen Aussagen zur interkulturellen Erziehung gemacht, sondern es wird sich ebenfalls auf die Verfassung, sowie auf das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen: „Die Lehrkraft trägt im Rahmen der Rechtsordnung und ihrer dienstlichen Pflichten die unmittelbare pädagogische Verantwortung für die Erziehung und den Unterricht ihrer Schüler. Dabei sind insbesondere die in der Verfassung und im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) niedergelegten Bildungsziele und Aufgaben der Schulen bestimmend für ihre Arbeit.“[10]
2.1.3 Lehrplanaussagen zum Thema Interkulturellen Lernen
(aus Kapitel I + II )
Die bereits mit Hilfe der Bayerischen Verfassung begründete Notwendigkeit zur interkulturellen Erziehung wird vom Lehrplan aufgegriffen. Ich halte es für unerlässlich die Lehrplanaussagen zu Grundlagen und Leitlinien, sowie zu den fächerübergreifenden Bildungszielen zu zitieren (Kapitel I + II), da sie die Brücke zwischen den Bildungszielen der Bayerischen Verfassung und deren konkreter Umsetzung in der Schule bilden. Somit ist die aktuelle Situation wie folgt im Lehrplan beschrieben:
„Die Grundschule als erste und gemeinsame Schule ist Lernort und Lebensraum für eine Schülerschaft von großer Heterogenität in Bezug auf ihre familiäre, soziale, regionale und ethische Herkunft sowie ihre individuellen Lern- und Leistungsdispositionen. Entsprechend unterschiedlich sind Vorerfahrungen, religiöse und ethische Orientierungen, Lernbedingungen und Leistungsvermögen sowie die geschlechtsspezifische Sozialisation.“[11]
Darüber hinaus wird dem Thema „interkulturelle Erziehung“ ein ausdrücklich eigenständiger Bereich unter den fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungsaufgaben eingeräumt. Interkulturelle Erziehung wird hier verstanden als „miteinander und voneinander lernen“. Die Aufgaben der Schule werden hier noch einmal genauer definiert:
„Die Vereinigung Europas und eine weltweit zunehmende Migration bringen in der Schule Kinder unterschiedlicher Herkunft zusammen. Die besondere Aufgabe der Grundschule besteht dabei in der Entwicklung der Erkenntnis, dass Menschen und Kulturen in gleichberechtigter Weise nebeneinander und miteinander leben, dass man voneinander lernen kann und sich so gegenseitig bereichert. Interkulturelle Erziehung verlangt den Erwerb von elementaren Kenntnissen über den anderen, über seine Kultur und Religion, aber auch soziales Lernen: andere in ihrer Eigenart – also in ihrer Andersartigkeit – zu akzeptieren, und auf sie zuzugehen.
Die interkulturelle Erziehung richtet sich an deutsche und ausländische Schüler gleichermaßen mit dem Ziel, eigene Einstellungen und Haltungen mit denen anderer zu vergleichen und zu einem respektvollen Miteinander anzuleiten. Für die Persönlichkeitsentwicklung nichtdeutscher Schüler ist es bedeutsam, sich sowohl in ihrem ursprünglichen Kulturkreis als auch in der Gesellschaft, in der sie jetzt leben, bewegen zu können.
Die Entwicklung einer derart geprägten Identität soll zu einer besseren Alltagsbewältigung beitragen. Deutsche Kinder können durch das Kennen lernen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden Neugier, Offenheit und Toleranzfähigkeit entwickeln. Aus diesem Verständnis heraus greift interkulturelle Erziehung die individuellen Erfahrungen in der Klasse gezielt auf, und geht auf aktuelle gesellschaftliche Situationen in einer altersgemäßen Form ein. Die Intensität und Qualität der unterrichtlichen Bemühungen liegt dabei in der verantwortlichen Entscheidung des einzelnen Lehrers, der die spezifische Situation und die damit verbunden Bedürfnisse entsprechend berücksichtigt.“[12]
2.2 Märchen
2.2.1 Definition
Märchenforschung
In der Märchenforschung unterscheidet man zwischen der literaturwissen-schaftlichen Märchenforschung, der psychologischen Märchenforschung, der volkskundlichen Märchenforschung und der soziologischen Märchenforschung. Jeder Bereich zeigt unterschiedliche Definitionen des Märchenbegriffs auf. Hier möchte ich mich auf die Definition aus der literaturwissenschaftlichen Märchenforschung beschränken.
Es wird zwischen Volksmärchen und Kunstmärchen unterschieden.
Volksmärchen
Volksmärchen stammen nicht aus der Feder eines Autors, sondern aus dem Volk. Über Jahrhunderte existierten sie nur in mündlicher Form und wurden von Generation zu Generation durch Erzählungen weitergegeben. Die Gebrüder Grimm waren die ersten, die es sich zur Aufgabe machten, die zahlreichen Märchen zu sammeln und aufzuschreiben. „Von ihnen stammt die wohl wichtigste Sammlung deutscher Volksmärchen, die erstmals 1812 erschien und mehrmals von ihnen überarbeitet wurde.“[13]
Kunstmärchen
Dem Volksmärchen gegenüber steht das Kunstmärchen. Das Kunstmärchen wurde von einem einzigen Verfasser erfunden und aufgeschrieben. Es enthält daher weniger allgemein kulturelle Aspekte, da der Dichter es meist „mit einer selbst gewählten psychologisch- symbolischen Zielsetzung verfasst hat.“[14]
Merkmale des Volksmärchens
Das Volksmärchen weist bestimmte Merkmale auf. Am Anfang des Märchens steht stets ein Problem, das bis zum Ende hin gelöst wird. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Held, der das Problem zu lösen versucht, oder wie C. Pertler schreibt: „Das Märchen beschreibt den `Weg des Helden` hindurch durch viele Hindernisse und Irrungen hindurch bis zum glücklichen Ende.“[15]
Alle anderen Charaktere die im Märchen auftauchen sind nur Nebendarsteller, welche die Hauptperson auf ihrem Weg unterstützen oder hindern wollen.
Das Märchen neigt dazu, sehr handlungsfreudig und aktionsreich zu sein, was vor allem Kinder besonders anspricht. Selten wird im Märchen in die Tiefe gegangen und über längere Phasen reflektiert. Es werden kaum Gefühle beschrieben.
Darüber hinaus bleibt das Märchen sehr oberflächlich und schemenhaft. Es gibt keine genauen Ortsangaben und keine detaillierten Personenbeschreibungen. Dies lässt viel Freiraum für die eigene Vorstellungskraft.
Märchen sind außerdem voll von plastischen, auffälligen Gegensätzen (gut/böse, jung/alt, schön/hässlich, schlau/dumm, groß/klein). Märchen beinhalten eine Vielfalt an Symbolen. Häufig kommen die Zahlen 3 oder 7 vor. Man findet zum Beispiel viele Märchen in denen der Held drei Versuche hat. Auch formelhafte Wendungen wie „Es war einmal…“, oder „Und wenn sie nicht gestorben sind…“ sind typische Elemente des Volksmärchens.
Hinzu kommt noch die Eindimensionalität des Märchens. „Märchen wechseln unvermittelt zwischen diesseitigem und jenseitigem, ohne dass die Figuren des Diesseits ein Gefühl dafür entwickeln, dass sie es überhaupt mit Erscheinungen aus dem jenseitigen Bereich zu tun haben“.[16] Im Märchen geschehen werden also reale und irreale Ereignisse miteinander vermischt.
2.2.2 Märchen in der Grundschule- Begründung
Zur Begründung von Märchen in der Grundschule macht M. Dehn folgende Aussage:
„Das Märchen ist eine der wenigen Textarten, mit der fast alle Kinder außerhalb der Schule umgehen. Aber das ist nicht Grund genug, sie zum Unterrichtsgegenstand zu machen“.[17]
Welche Begründungen für Märchen in der Grundschule kann man nun aber anführen?
Laut C. und R. Pertler gibt es eine ganze Reihe an positiven Faktoren, die das Märchen innerhalb der Grundschule einnimmt. Das Märchen vermittelt Vertrauen auf die eigenen Kräfte und hilft den Kindern somit beim Umgang mit ihren inneren Ängsten. Im Märchen können die Kinder ihre Ängste exemplarisch durchleben, wissen aber, dass es keine ernste Situation ist.
Ähnlich verhält es sich auch mit den Gefühlen allgemein. Kinder, die heute häufig nicht mehr in der Lage sind Gefühle zu artikulieren, zuzulassen oder überhaupt zu empfinden, können durch Identifikation mit den unterschiedlichen Märchenfiguren verschiedene Gefühle immer wieder durchleben. Dies trainiert auch für die reale Lebenssituation.
C. und R. Pertler ergänzen ebenfalls, dass Kreativität und Sprachvermögen des Kindes durch Märchen positiv beeinflusst werden:
„Märchen regen die Phantasie und Kreativität an. Es wurde nachgewiesen, dass Kinder mit viel Märchenkontakt einen größeren Wortschatz haben als andere Kinder derselben Alterstufe.
Im Hören, aber ganz besonders in der eigenen sprachlichen Formulierung und Umsetzung der Märcheninhalte finden Kinder gute Anregungen zur Förderung der eigenen Sprachfähigkeiten, umgekehrt aber steigert sich mit dem Wortschatz eines Kindes wiederum sein Erlebnisvermögen .“[18]
Weiterhin haben Märchen laut C. und R. Pertler positive Auswirkungen auf die Sozialität des Kindes:
„Das Kind identifiziert sich im Märchenerleben mit den Figuren. Durch das reale oder nur in der Phantasie stattfindende Rollenspiel beim Märchenerleben erweitern die Kinder ihr Verhaltensrepertoire. Sie werden in ihrer Selbstdarstellung flexibler und können unterschiedlichen Verhaltenserwartungen besser entsprechen. Durch das Einnehmen vieler verschiedener Standpunkte im Rollenspiel wächst die Fähigkeit, sich in die Rolle anderer hineinzuversetzen und Situationen auch aus der Sicht des Gegenübers wahrzunehmen, die Vorraussetzung für eine Zunahme and Verständnis und Einklang im sozialen Miteinander.“[19]
[...]
[1] J. Streit, Kinder brauchen Märchen,
[2] I. Vogl, BMW Group Award 1997,
[3] B. Klinger, Kreatives Schreiben- Eine Chance für interkulturelle Verständigung,
[4] M. Kanyangu / H. Schreiterer, Interkulturelle Erziehung zur Globalität,
[5] ISB, Die Münchener Thesen zum interkulturellen Lernen,
[6] Bayerische Verfassung, Artikel 131, Absatz 2
[7] Bayerische Verfassung, ebd., Absatz 3
[8] BayEUG, Artikel 2
[9] VSO, § 11, Absatz 5
[10] LDO, § 2
[11] Lehrplan für die Bayerische Grundschule 2000,
[12] ebd.,
[13] C. Pertler / R. Pertler, Kinder erleben Märchen,
[14] C. Pertler / R. Pertler, ebd.,
[15] C. Pertler / R. Pertler, ebd.,
[16] M. Dehn, Das Märchen als Lernmodell,
[17] M. Dehn, ebd.,
[18] C. Pertler / R. Pertler, Kinder erleben Märchen,
[19] C. Pertler/ R. Pertler, Kinder erleben Märchen,
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