Es gibt in den Sozialwissenschaften traditionell zwei kontroverse Sichtweisen: eine ist individualistisch und wird in den letzten Jahren oft mit dem Namen "Rational Choice" belegt, die andere ist kollektivistisch und macht in jüngerer Zeit unter der Bezeichnung "Kommunitarismus" von sich reden. Die beiden Traditionen unterscheiden sich u.a. in ihrem grundlegenden Menschenbild. Die Individualisten gehen von einem selbständigen und willensstarken Menschen aus, der stets bestrebt ist, seinen Nutzen zu maximieren. Kollektivisten dagegen betonen die Abhängigkeit und Formbarkeit des Menschen und nehmen an, daß Personen in erster Linie konform zu sozialen Normen handeln. Hiermit ist auch der Kern einer von Kommunitaristen nur implizit vertretenen Handlungstheorie umrissen. Im Zentrum der vorl. Arbeit steht die umstrittene Frage, ob moralisches Handeln mit Hilfe eines nutzentheoretischen Vokabulars angemessen zu erfassen ist. Hierzu werden die Argumente von Robert Bellah, Amitai Etzioni, Alasdair MacIntyre, Charles Taylor, Michael Baurmann, Gary Becker, James Coleman, Hartmut Esser, Robert Frank, Viktor Vanberg u.a. vorgestellt und diskutiert, daneben auch sprachanalytische Überlegungen von John Searle. Die in dieser Dissertation vorgeschlagene Lösung einer handlungstheoretischen Konzeption von "Moral" lautet wie folgt: am methodologischen Individualismus wird zwar festgehalten, von der Prämisse eines strikt nutzen- und entscheidungstheoretischen Vokabulars jedoch abgegangen. Um die Personen über längere Zeiträume prägenden und dabei ihre subjektiven Erwartungen und Bewertungen maßgeblich modifizierenden Einflüsse ihrer sozialen Umwelt theoretisch sinnvoll einarbeiten zu können, muß eine Handlungstheorie die Anwendung behavioristischer Verhaltensgesetze zulassen - eine Anforderung, die ein rein entscheidungstheoretischer Ansatz nicht erfüllt. Meine Konzeption greift insofern in wesentlichen Zügen auf die Überlegungen von George Homans zurück.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Kommunitarismus und Rational Choice als Gegensatzpaar
- Was ist Kommunitarismus?
- Gehen Kommunitaristen von einer Handlungstheorie aus?
- Normative Tendenzen und Befangenheiten bei Rational Choice und Kommunitarismus
- Das Problem der sozialen Ordnung: synchrone, objektive Merkmale der Situation
- Ist unsere Gesellschaft krank und Moral die Medizin? Robert Bellah und Amitai Etzioni klagen an
- Über die Gewohnheiten unserer Herzen
- Die Bedeutung der Verantwortung für das Gemeinwesen
- Beispiele moralischen Handelns bei Etzioni
- Was ist eigentlich Moral?
- Die Antworten von Rational Choice auf das Problem der sozialen Ordnung
- Spieltheorie: Die Evolution der Kooperation
- Norm, Sanktion und Gruppengröße: Die Logik kollektiven Handelns
- Das Konzept des sozialen Kapitals
- Das Konzept der Haushaltsproduktionsfunktion
- Das Konzept der sozialen Produktionsfunktion
- Recht als Konsens
- Handlungstheorie zwischen Kommunitarismus und Rational Choice: diachrone, subjektive Merkmale der Situation
- Handlungstheorie aus der Sicht kommunitaristischer Autoren
- Amitai Etzionis normativ-affektive Faktoren
- Alasdair MacIntyres Reformulierung des Tugendbegriffs
- Charles Taylors Projekt der Bestimmung der (neuzeitlichen) Identität
- Welche Erklärungen für moralisches Verhalten bietet Rational Choice bzw. die ökonomische Verhaltenstheorie?
- Der dispositionelle Nutzenmaximierer (M. Baurmann)
- Der Vergleich der Handlungstheorien von Kommunitarismus und Rational Choice
- Die Erklärung der sozialen Ordnung aus der Sicht beider Ansätze
- Die Rolle von Moral und Normen in der Handlungstheorie
- Die Bedeutung der individuellen Handlung für das Gemeinwesen
- Der Einfluss der sozialen Situation auf individuelles Verhalten
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert die unterschiedlichen Handlungstheorien des Kommunitarismus und des Rational Choice. Sie untersucht, wie beide Ansätze das Problem der sozialen Ordnung erklären und welche normativen Implikationen sie haben.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die Forschungsfrage der Arbeit vor. Kapitel 1 beschäftigt sich mit den Grundkonzepten des Kommunitarismus und des Rational Choice, während Kapitel 2 das Problem der sozialen Ordnung aus der Sicht beider Ansätze beleuchtet. Im dritten Kapitel werden die Handlungstheorien von Kommunitarismus und Rational Choice im Detail analysiert und verglichen.
Schlüsselwörter
Kommunitarismus, Rational Choice, Handlungstheorie, soziale Ordnung, Moral, Normen, individuelles Handeln, gesellschaftliche Strukturen, soziale Produktionsfunktion, soziale Gerechtigkeit, Nutzenmaximierung.
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- Klaus Dieter Lambert (Autor), 2000, Handlungstheorie zwischen Kommunitarismus und Rational Choice, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92862