Der Beitrag der Massenmedien zur Etikettierung von Ausländern als "kriminell"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsbestimmungen
2.1. Kriminalität und Kriminalisierung
2.2. Massenmedien

3. Der „labeling approach“
3.1. Normsetzung
3.2. Durchsetzung von Regeln
3.2.1. Die vier Prämissen
3.2.2. soziale Kontrolle
3.2.3. Eigen-Gruppe und Fremd-Gruppe

4. Massenmedien und ihre Wirkung auf die Gesellschaft
4.1. Der Einfluss der Massenmedien auf ihr Publikum
4.1.1. Der Agenda-Setting-Ansatz
4.1.2. Medien als Vermittler der unbekannten Wirklichkeit
4.1.3. Suche nach Bestätigung
4.2. Massenmedien als Instanz sozialer Kontrolle
4.3. Die Verzerrung der Ausländerkriminalität in Medienberichten
4.3.1. Berichterstattung über inländische Kriminelle
4.3.2. Berichterstattung über ausländische Kriminelle
4.3.3. Berichterstattung über die PKS
4.2.4. Der Ausländer als Bedrohung

5. Ausblick

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Stößt man in den deutschen Massenmedien auf Berichte über Ausländer, so handeln diese fast ausschließlich von negativen Sachverhalten: die Überschwemmung des Landes durch Asylanten, Ausländer die den Deutschen Arbeitsplätze wegnehmen, rassistisch motivierte Gewalt oder eben Ausländerkriminalität, mit der ich mich in dieser Hausarbeit auseinandersetze. Auf Grund dieser primären Beschäftigung mit unangenehmen Themen ist es nicht verwunderlich, wenn im Kopf des Rezipienten ein Negativbild von Ausländern zurückbleibt.

Die BILD-Zeitung startete Januar diesen Jahres einen Report, in dem sie nach eigener Aussage ausführlich über die Jugend- und insbesondere die Ausländerkriminalität berichten wollte. Sieht man sich an, welche Titel dieser Berichtsserie als Aufreißer dienten, sollte einen dies eigentlich aufschrecken und zum Nachdenken anregen:

- „Dauer-kriminelle Ausländer ausweisen – das fordert Deutschlands mutigster Oberstaatsanwalt“ (04.01.2008)
- „Der nächste schlimme Fall! Sieben ausländische Jugendliche schlugen einen Lokführer
zusammen, die Polizei ließ sie trotzdem laufen“ (06.01.2008)
- „So viel kostet ein Therapieplatz für kriminelle Ausländer!“ (06.01.2008)
- „Gewalt an Schulhöfen und Spielplätzen. Wie ausländische Gangs ganze Stadtteile terrorisieren.“ (07.01.2008)
- „Überfälle in der U-Bahn, Gewalt an Schulen, Schlägereien auf der Straße: Deutschland diskutiert über Jugendkriminalität, die immer häufiger von jungen Ausländern ausgeht.“(08.01.2008)[1]

Alle diese Titel erscheinen mir schwer diskriminierend, da sie auf eine hetzerische Weise Ausländer mit Straftaten in Verbindung bringen. Natürlich kann man nicht einfach Berichterstattungen von verschiedenen Medien, wie die der oft stark polarisierenden und skandalisierenden BILD-Zeitung und die der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gleichsetzen. Jedoch denke ich, dass diese Zitate aussagekräftig für die Massenmedien in Deutschland sind, da die verschiedenen Medien oft in die gleiche Richtung weisen und die BILD-Zeitung außerdem die auflagenstärkste Tageszeitung in Deutschland ist.

Viele Deutsche machen kaum eigene Alltagserfahrungen mit Mitgliedern ethnischer Minderheiten. Deshalb können ihre Überzeugungen über Ausländer auch nicht so sehr von deren tatsächlichem Verhalten abhängen. Inwiefern die Massenmedien bei der Gestaltung dieser Alltagstheorien eine Rolle spielen und die Rezipienten mit ihren Berichten beeinflussen, möchte ich im Folgenden näher untersuchen.

Hierfür kläre ich in einem ersten Schritt die Begriffe der ‚Kriminalität’, der ‚Kriminalisierung’ und der ‚Massenmedien’ für ein konkreteres Verständnis über die Hauptthemen meiner Hausarbeit. Als Nächstes folgt eine Abhandlung des Etikettierungsansatzes, oder Labeling approachs, welcher sich damit beschäftigt, wie das Etikettieren bestimmter Personen vonstatten geht. Ich konzentriere mich dabei vor allem auf die Darstellung von Howard S. Becker, einem der Begründer und Hauptvertreter des Labeling approachs.

Im nächsten Kapitel gehe ich erst einmal darauf ein, inwiefern Massenmedien Einfluss auf ihre Rezipienten ausüben können. Hierzu stelle ich unter anderem einen weit verbreiteten Ansatz in der Medienforschung, den Agenda-Setting-Ansatz, vor. Um den Aspekt der Wirkung der Massenmedien auf die Gesellschaft abzurunden, betrachte ich außerdem in welcher Hinsicht man die Massenmedien als Instanzen sozialer Kontrolle verstehen kann, um dann zum letzten Schritt, der konkreten Darstellung der Ausländerkriminalität in den Medien, überzugehen. Im Ausblick möchte ich schließlich noch einmal erörtern, ob die Massenmedien nun einen Beitrag für die öffentliche Etikettierung der Gruppe der Ausländer als ‚kriminell’ leisten und ob es nicht möglich wäre, diskriminierende Elemente aus der Berichterstattung herauszuhalten.

Um einen guten Lesefluss zu ermöglichen, habe ich im gesamten Text männliche Bezeichnungen gewählt.

2. Begriffsbestimmungen

2.1. Kriminalität und Kriminalisierung

Kriminalität definiert sich nach Kaiser als „die Summe der strafrechtlich mißbilligten, also mit einem besonderen Unwerturteil belegten Rechtsbrüche oder Verbrechen (…). Sie wird gewöhnlich nach Raum (national, regional, lokal) (…) und Zeit (Tag, Monat, Jahr) sowie nach Umfang (Zahl der Delikte, Struktur (Art und Schwere der Delikte) und Entwicklung beschrieben (…).“[2]

Der Begriff ‚Kriminalisierung’ bezeichnet hingegen nach Brusten „ein Verhalten, eine Handlung oder eine Person als kriminell definieren, registrieren, etikettieren und behandeln.“[3] Unabhängig davon auf welche Art und Weise dies geschieht, „weist das Konzept der K. darauf hin, dass Handlungen und Personen nicht >als solche< kriminell sind, sondern daß es von zahlreichen sozialstrukturell bedingten Prozessen abhängt, ob bestimmte Handlungen abstrakt oder konkret mit dem Etikett >kriminell< belegt werden bzw. ob bestimmte Personen aufgrund des Begehens derartiger Handlungen den Status des >Kriminellen< erhalten oder nicht.“[4] Dies impliziert die Annahme, dass bestimmte Handlungen nicht bei jedem die gleichen Konsequenzen nach sich ziehen.

2.2. Massenmedien

Massenmedien sind nach Hillmann „Techniken der Verbreitung und Vervielfältigung von schriftlichen, bildlichen (optischen) oder verbalen, musikalischen (akustischen) Aussagen (Informationen, Signalen, Symbolen u.a.) für einen großen heterogenen, nicht genau bestimmbaren Adressatenkreis. (…) Als kritisierende, kontrollierende und zum Selbstverständnis der Gesetzes beitragende Instanzen diskutieren sie Probleme, Ereignisse und Zustände, die die Gesetze als Ganzes betreffen.“[5]

Man kann unter ‚Massenmedien’ sowohl Zeitungen, als auch Illustrierte, Fernsehen, Computerspiele, Internet, Hörfunk oder auch Bücher verstehen. Diese diskutieren Probleme und Ereignisse nicht immer so auffällig wie die Tageszeitung. Sieht man sich beispielsweise Computerspiele oder Bücher an, so können Probleme auch beiläufig in den zugrunde liegenden Geschichten vorkommen, wodurch sich der Konsument dann indirekt mit ihnen auseinandersetzt.

3. Der „labeling approach“

Die Etikettierungstheorie (engl. labeling approach) kommt aus dem Bereich der Kriminalsoziologie. Sie ist somit ein „wissenschaftlicher Ansatz zur Erklärung der Kriminalität als bestimmte Form abweichenden Verhaltens, bei dem als Untersuchungseinheit nicht die Person des Täters oder die Art der Tat und ihre sozialen Begleitumstände im Vordergrund stehen. Sondern die sozialen Strukturverhältnisse, die Kriminalität als solche definieren und aus sich heraus Verbrechen und Delinquenz quantitativ und qualitativ erzeugen.“[6]

Nach Becker, einem wichtigen Vertreter des labeling approach, „ist abweichendes Verhalten keine Qualität der Handlung, die eine Person begeht, sondern vielmehr eine Konsequenz der Anwendung von Regeln durch andere und der Sanktionen gegenüber einem ‚Missetäter’.“[7]

Darauf, ob eine Person durch das Begehen einer Handlung von der Gesellschaft als ‚abweichend’ und somit als ‚kriminell’ bezeichnet wird, hat diese Person selbst somit keinen Einfluss, denn unabhängig davon über welche Handlung geurteilt wird: Dritte entscheiden darüber ob die Handlung abweichend ist und welche Strafen verhängt werden sollen. Dass dieses Urteil nicht ganz so willkürlich erscheint liegt daran, dass es in jeder Gesellschaft Rechtsnormen gibt, die jedem mehr oder weniger bekannt sind und nach denen sich der Einzelne richtet.

3.1. Normsetzung

Der Begriff ‚Norm’ kommt aus dem lateinischen und bedeutet ‚Richtschnur’ oder ‚Regel’.[8] Normen regeln nach Hillmann „auf welche Weise sich jedes Mitglied eines sozialen Gebildes (…) in welcher Situation und in welcher Weise gegenüber welchem anderen Mitglied verhalten soll.“[9] ‚Rechtsnorm’ ist „diejenige soziale Norm, die von einer Instanz (meist vom Staat) kraft alleiniger Sanktionsgewalt geschützt wird.“[10]

Natürlich ist es nicht so, dass Normen aus dem Nichts auftauchen. Bedingung für das Entstehen einer Norm ist, dass jemand das Gefühl hat, bestimmte Tätigkeiten seien schädlich für die Gesellschaft. Er muss dann „die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diese Angelegenheiten lenken, den notwendigen Anstoß geben, damit etwas getan wird, und die mobilisierten Energien in die entsprechende Richtung dirigieren, damit eine Regel aufgestellt wird.“[11]

Unterschiedliche Gruppen entwickeln unterschiedliche Regelkataloge. Diese orientieren sich an den Problemen der Gruppen, die sich ihnen stellen „bei der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, ihrer Geschichte und den Traditionen, die sie mit sich schleppen“.[12]

Ein interessantes Beispiel hierfür liefert Singapur. In der Vergangenheit waren seine Straßen sehr dreckig, was sich schlecht auf die Attraktivität Singapurs für Touristen auswirkte. Deshalb wurden hohe Geldstrafen für die Verschmutzung von Straßen eingeführt, etwa 500 Euro nur für das einmalige Wegwerfen einer Zigarettenkippe oder eines Kaugummis.

In modernen Gesellschaften ist nicht jeder der gleichen Ansicht darüber, „welches die gültigen Regeln sind und wie sie in bestimmten Situationen angewandt werden sollen.“[13]

Wer andere dazu zwingen kann seine Regeln anzunehmen ist „eine Frage politischer und wirtschaftlicher Macht.“[14]

3.2. Durchsetzung von Regeln

3.2.1. Die vier Prämissen

Von der Gesellschaft aufgestellte Normen sind zu allgemein um das gesamte eigene Handeln daran zu orientieren. „In diesem Sinn ist prinzipiell kein Verhalten normgerecht.“[15]

Ob eine Norm schließlich durchgesetzt und Sanktionen verhängt werden, kommt bei Becker auf vier Prämissen an:

„Erstens ist Durchsetzung einer Regel ein unternehmerischer Akt. Irgend jemand – ein Unternehmer – muß die Initiative ergreifen, um den Schuldigen zu bestrafen. Zweitens kommt es zur Regeldurchsetzung, wenn jene, welche die Regel durchgesetzt wissen wollen, öffentliche Aufmerksamkeit auf den Regelverstoß lenken; Regelverstoß kann nicht ignoriert werden, wenn er einmal publik gemacht worden ist. Anders ausgedrückt, Regeldurchsetzung geschieht, wenn jemand Alarm schlägt. Drittens: Leute schlagen Alarm und machen somit die Durchsetzung notwendig, wenn sie darin irgendeinen Vorteil sehen. Persönliches Interesse spornt sie an, die Initiative zu ergreifen. Schließlich variiert die Art des persönlichen Interesses, das eine Durchsetzung nach sich zieht, entsprechend der Komplexität der Situation, in der Regeldurchsetzung stattfindet.“[16]

Es genügt somit nicht, sich die Normen einer Gesellschaft anzusehen, um zu verstehen, warum jemand als ‚abweichend’ etikettiert und mit Sanktionen belegt wird. „Abweichendes Verhalten ist keine Qualität, die im Verhalten selbst liegt, sondern in der Interaktion zwischen einem Menschen, der eine Handlung begeht, und Menschen, die darauf reagieren“[17]

[...]


[1] Bild-Zeitung (2008)

[2] Kaiser In: Kaiser/Sack/Schellhoss (1974), S.171

[3] Brusten In: Fuchs/Klima/Lautmann/Rammstedt/Wienold (1978), S. 433

[4] ebd., S. 433

[5] Hillmann 1982, S. 476-477

[6] Hillmann (1982), S.411-412

[7] Becker (1973), S.8

[8] vgl. Hillmann (1982), S.542

[9] ebd., S.543

[10] Treiber In: Fuchs/Klima/Lautmann/Rammstedt/Wienold (1978), S.628

[11] Becker (1973), S.147

[12] ebd., S.14

[13] Becker (1973), S.13

[14] ebd., S.15

[15] Trabant/Trabant (1975), S.28

[16] Becker (1973), S.109-110

[17] ebd., S.13

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Der Beitrag der Massenmedien zur Etikettierung von Ausländern als "kriminell"
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau
Veranstaltung
Kriminalität aus sozialpädagogischer Sicht
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
23
Katalognummer
V93064
ISBN (eBook)
9783638071598
ISBN (Buch)
9783638956239
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Beitrag, Massenmedien, Etikettierung, Ausländer, Kriminalität, Kriminalisierung, Labeling approach
Arbeit zitieren
Julia Weiß (Autor:in), 2008, Der Beitrag der Massenmedien zur Etikettierung von Ausländern als "kriminell", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93064

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