Zu Christa Wolfs "Der Geteilte Himmel". Rita Seidel sagt "Ich"


Trabajo, 2007

22 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Christa Wolfs Der geteilte Himmel[1], eines ihrer frühen Werke und ihr Durchbruch in West und Ost, ist eine Erzählung, die ihre wahren Inhalte mehr verrät als eigentlich erzählt. Erzählt wird von Rita, die in der Stadt erwachsen werden soll und muss, will sie dem Leben standhalten. Verraten wird Interessanteres: Wolfs politische und gesellschaftliche Ideologie, um nicht zu sagen: Utopie; des Weiteren, wie die Autorin (die man hier noch getrost mit der Erzählinstanz identifizieren darf wie ich glaube) Subjekt und Subjektwerdung definiert, und schließlich, worin die Heilsversprechung für den Menschen und speziell die Frau ihre Erfüllung findet.

Aus heutiger Perspektive auf die Geschichte der DDR ist es einfach, die Erzählung als Produkt politischer Verblendung abzutun. Sie ist jedoch mehr als das, muss sicherlich auch als ehrlicher Versuch gelesen werden, dem Sozialismus eine (logische oder emotionale) Rechtfertigung zu verschaffen, und wenigstens das muss ihr zu Gute gehalten werden. Dass sie dabei manipulativ vorgeht, ist verzeihbar, das kann immerhin als ein Vorrecht der Literatur gelten. Dass die so sorgfältig zusammengezimmerte Logik allerdings, auf der die Legitimation beruht, nicht stringent, also gar nicht logisch im eigentlichen Sinne ist und notwendig zu einer anderen als der gewünschten Schlussfolgerung führt, verrät die Schwachstelle: wenn anstelle der logischen die gewünschte Schlussfolgerung steht, oder anders, wenn die gewünschte nicht die sich logisch ergebende Schlussfolgerung ist, hat die Argumentation versagt. Gerade für eine Erzählung, die sich als derart missionarisch herausstellt, ist dies ein verheerender Mangel, auch ein ästhetischer.

Diese Arbeit will an der Figur Ritas einen Faktor für das Scheitern der (Erzähl-)Logik aufzeigen. Die Erzählung behauptet eine Subjektwerdung Ritas, wie sie nur im Osten möglich sei: sie wird sich als eigentliche Mensch -Werdung herausstellen. Rita durchlebt Stadien der Abhängigkeit und politischer Uneinigkeit, es kommt zur Krise mit Selbstmordversuch, nach deren Überwindung Rita als selbstbestimmter Mensch hervorgeht, der von nun an klar sehen kann und sich in dieser neugewonnenen Klarheit zum Sozialismus bekennt. Allerdings: Hierin scheitert die Erzählung, denn Ritas Selbstbestimmtheit bleibt ewig behauptet – so meine These.

Die Erzählung ist gerahmt von Vorwort und Nachwort, welche nicht Teil der Erzählhandlung im eigentlichen Sinne sind. Das Vorwort ist vielmehr der erste Teil eines Meta-Narrativs, das mit dem Ende, dem Nachwort also, auf das abstrakte Leben rekurriert und damit einen frühromantisch anmutenden Meta-Mythos installiert, wie Søholm findet[2].

Das Vorwort kündet von nahen Gefahren, die für den Moment abgewendet seien. Die Rückversicherung für den Fortgang des normalen (Arbeits-)Lebens ist erst einmal nur behauptet, nicht erlebt; sie nimmt den Weg über den Naturkreislauf des Daseins: „Aber die Erde trug sie noch und würde sie tragen, solange es sie gab.“ (GH, S. 7) und der Schatten, der über die Stadt gefallen war, lastet nicht mehr auf den Menschen: „Wir gewöhnen uns wieder, ruhig zu schlafen. Wir leben aus dem Vollen, als gäbe es übergenug von diesem seltsamen Stoff Leben, als könnte er nie zu Ende gehen.“ (ibid.).

Das Nachwort nimmt den Schlussteil des Vorworts fast wörtlich wieder auf: „Das wiegt alles auf: Daß wir uns gewöhnen, ruhig zu schlafen. Daß wir aus dem vollen leben ...“ (GH, S. 19).

Die Rückversicherung steht nach der Krise, ist nun „erarbeitet“, real; die Gefahr, von der im Vorwort die Rede war, ist gebannt durch die relative Unmöglichkeit, dass dieser seltsame Stoff ausgehen könnte.

Strukturell wie inhaltlich hält die Erzählung sich an die Vorgaben des sozialistisch realistischen Ankunftsromans, oder „Romans des Erlangens bewußter Reife“[3]. Als Ankunftsroman ist Der geteilte Himmel, wie Søholm[4] findet, ein klassischer Entwicklungsroman, der auf der Grundlage der üblichen Oppositionen und Schemata funktioniert: Heimat (Dorf) vs. Fremde (Stadt), Suche nach neuer Heimat, schließlich finden einer neuen Heimat. Der sich zu entwickelnde Charakter ist Rita, ein Mädchen vom Lande, das dem Ruf des Lehrerwerbers Schwarzenbach folgt, um Lehrerin zu werden.

Unterstrichen findet Søholm dieses Schema der Oppositionen durch das dominierende Symbol der Erzählung, dem Himmel[5]. Über dem Dorf der Kindheit ist der Himmel unverletzt:

Dieses hohe, zartverschleierte Himmelsgewölbe, das Wichtigste an dieser Landschaft, das, unverletzt durch Häuserblocks und Schornsteine, von einer schmerzhaft bekannten Linie – Wald, Felder und ein kleiner Höhenzug – getragen wurde, ordnete wie von selbst alles um einen natürlichen Mittelpunkt und ließ kein quälendes Außer-sich-Sein aufkommen. (GH, S. 126)

Dem gegenübergestellt findet sich die Stadt (als Typus) als die emotionale Fremde, in der alles durchbrochen scheint und wo sich schließlich auch der Bruch des Himmels vollzieht. Die „penetrante Erfahrung des Bruchs“[6] durchzieht das Buch bis in die kleinsten Winkel des Lebens hinein und bringt Rita schließlich, nachdem neue Identifikationsangebote gescheitert sind, an den Rand des Nervenzusammenbruchs und ihrem daraus resultierenden Selbstmordversuch.

Ritas Krise entwickelt sich auch meiner Meinung nach entlang der bekannten Linien des Erwachsenwerdens als Bruch- und Verlusterfahrung, ich denke jedoch, dass sie darüber hinausgeht, denn die Oppositionen im Buch sind weit differenzierter als Søholm sie darstellt. In das typische Schema aus Oppositionen eingebettet finden sich auch psychologische und feministische Fragen (ohne dass an dieser Stelle behauptet werden soll, jene seien tatsächlich als solche angelegt), die sich schwerlich auf einfache Heimat – Fremde – Gegensätze reduzieren lassen.

Zunächst einmal zu den weniger komplizierten Strukturen: Ritas Dorf, so langweilig es ihr auch gewesen sein mag, ist eine übersehbare, unangetastete Welt, in der sie zufrieden war (GH, S. 11) – und steht darin in scharfem Kontrast zur Stadt, in der sie sich lange nicht zurechtfinden kann und in der sie die Orientierung verliert. An späterer Stelle, als sie versucht, sich im Dorf vom Leben in der Stadt und ihrer eigenen Zerrissenheit zu erholen, heißt es, dort sei „alles zu finden, was ein Mensch braucht“ (GH, S. 126). Da sie „außerordentliche Freuden und Leiden, außerordentliche Geschehnisse und Erkenntnisse“ (ibid., S. 14) von ihrem Leben erwartet, diese aber in ihrem kleinen Büro nicht finden wird, überkommt sie allabendlich „ein Gefühl der Verlorenheit“ (ibid., S. 15), und in diese Phase hinein fällt dienlicherweise ihre Begegnung mit Manfred: „Da traf sie Manfred, und auf einmal sah sie Sachen, die sie nie gesehen hatte“ (ibid.). Und etwas später, in der Retrospektive auf Weihnachten: „Die beiden Hälften der Erde paßten ganz genau ineinander, und auf der Nahtstelle spazierten sie, als wäre es nichts.“ (ibid., S. 16). Diese Harmonie und Einheit – sowohl mit der Welt als auch mit Manfred – ist es, die Rita in der Stadt immer vermissen und nach der sie streben wird. Doch sie ist in der Stadt schon als Unmöglichkeit angelegt, weil

[h]ier keiner auf keinen [achtet], wie leicht kann einer hier verlorengehen ... Hunderttausend Gesichter, wenn ich wollte. Unter den hundert in meinem Dorf bin ich nicht so allein gewesen. (GH, S. 27)

Der Einzige, der für Rita den Schlüssel zur Stadt hält, ist Manfred:

Er hatte für all die fremden, langweiligen, zugeschlossenen Straßen und Plätze den Schlüssel, der hieß Erinnerung. Er öffnete ihr die Stadt, sie sah, daß sie verborgene Schönheiten und Reichtümer hatte. (ibid., S. 28)

Der Schlüssel aber ist eine Erinnerung, zu der Rita keinen Zugang haben kann, weil sie jünger ist als Manfred und auch, weil sie nicht in der Stadt aufgewachsen ist; die Beziehung zu Manfred ist also nicht nur gewollt, sondern auch notwendig – und hier verrät Wolf ein wie ich finde problematisches Denkmuster: Denn es ist nicht etwa so, dass Rita sich per se nicht zurechtfinden wollte, im Gegenteil. Aber sie kann es nicht, weil die Stadt sich ihr hermetisch zugeschlossen zeigt. Dass sie aber, wie sich hier bereits andeutet, solchermaßen auf Manfred angewiesen ist, kann sie nur noch abhängiger machen. Meine These ist folglich, dass Ritas Charakter zur Unselbstständigkeit angelegt ist, und es ist diese Schwäche, die sie selbst nach ihrer ‚Subjektwerdung’, wie ich behaupten möchte, nicht loswerden kann. Darüber hinaus kann man fragen, was das über Wolf als weibliche Autorin verrät, die ihr Werk, so die Kritik, der feministischen Frage schlechthin gewidmet hat, nämlich wie die Frau in der Gesellschaft sie selbst werden, „Ich“ sagen, kann[7].

[...]


[1] Wolf, Christa, Der geteilte Himmel. Erzählung. München: dtv 1979, im folgenden: GH.

[2] Vgl. Søholm, Kirsten, Mythos, Moderne und die Teilung Deutschlands: Zu Christa Wolfs „Der geteilte Himmel“ und Uwe Johnsons „Mutmaßungen über Jakob“. In: Weimarer Beiträge 36:9 (1990) S. 1513-23. Hier S. 1519.

[3] Scribner, Charity, Von „Leibhaftig“ aus zurückblicken: Verleugnung als Trope in Christa Wolfs Schreiben. In: Weimarer Beiträge 50:2 (2004) S. 212-26. Zitat S. 213.

[4] Vgl. Søholm, S. 1516.

[5] Ibid.

[6] Ibid.

[7] Vgl. Heidelberger-Leonard, Irene, Literatur über Frauen = Frauenliteratur? Zu Christa Wolfs literarischer Praxis und ästhetischer Theorie. In: Text + Kritik 46:4 (1994) S. 129-39. Hier S. 129.

Final del extracto de 22 páginas

Detalles

Título
Zu Christa Wolfs "Der Geteilte Himmel". Rita Seidel sagt "Ich"
Universidad
University of Constance  (Fachbereich Literaturwissenschaft)
Curso
Wirtschafts- und Sozialromane
Calificación
1,0
Autor
Año
2007
Páginas
22
No. de catálogo
V93071
ISBN (Ebook)
9783638071819
Tamaño de fichero
585 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Christa, Wolfs, Geteilte, Himmel, Rita, Seidel, Wirtschafts-, Sozialromane
Citar trabajo
Anna Maria Rain (Autor), 2007, Zu Christa Wolfs "Der Geteilte Himmel". Rita Seidel sagt "Ich", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93071

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