Demokratien sehen sich nach wie vor mit Rechtsextremismus konfrontiert. Bei entsprechenden Vorfällen ertönt oft schnell der Ruf nach mehr Bildung. Aber ist Bildung tatsächlich ein (Allheil)Mittel? Trotz jahrzehntelanger Rechtsextremismusforschung gibt es auf die Frage keine zufriedenstellende Antwort. Der Autor Michael John geht davon aus, dass Bildung keine prinzipielle Antithese zu Rechtsextremismus darstellt. Statt die Forderung nach mehr Bildung pauschal zu unterstützen, fragt er detailliert, wie Bildung gestaltet sein muss, um rechtsextreme Einstellungen verhindern zu können. Aufbauend auf umfassenden theoretischen Vorüberlegungen werden zunächst pädagogische Konzepte im Kampf gegen Rechtsextremismus systematisch gesichtet, und anschließend qualitative Interviews mit Pädagogen aus Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit zum Problemzusammenhang ausgewertet. Das Buch richtet sich an Sozialwissenschaftler und Pädagogen sowie Personen, die sich mit der Thematik beschäftigen und Pauschalisierungen vermeiden wollen. Es liefert einerseits fundierte Hypothesen für anschließende Forschungsstudien, andererseits konkrete Praxisvorschläge für Bildungskonzepte gegen Rechtsextremismus. Die Interviewtranskripte sind aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht beigefügt.
Inhaltsverzeichnis
1... Einführung
1.1 Warum eine weitere Arbeit über rechtsextreme Einstellungen?
1.2 Was ist die Zielstellung der Untersuchung?
1.3 Wie sollen die Fragestellungen beantwortet werden?
1.4 Von welchen Prämissen wird bei der Untersuchung ausgegangen?
1.5 Zum Inhalt der Arbeit
Teil I: DIE THEORETISCHEN GRUNDLAGEN
2... Rechtsextreme Einstellungen
2.1 Abgrenzung von Rechtsextremismus zu konkurrierenden Begriffen
2.2 Ideologiefragmente des Rechtsextremismus: Merkmale rechtsextremer Einstellungen
2.3 Rechtsextremismus und rechtsextreme Einstellungen als aktuelles Problem
2.4 Zwischenfazit I: Eigenes Begriffsverständnis rechtsextremer Einstellungen
3. Ursachen rechtsextremer Einstellungen
3.1 Primäre Beziehungserfahrungen
3.2 Deprivation und/ oder Desintegration
3.3 Politische Kultur
3.4 Integration individualpsychologischer und gesellschaftlicher Bedingungen
3.5 Genetik
Exkurs Rechtsextreme Einstellungen als Problem männlicher Jugendlicher aus Ostdeutschland!? Anmerkungen zu populären Thesen
4.. Bildung
4.1 Historischer Abriss zur Begriffsgeschichte
4.2 Aktuelle Bildungskonzeptionen
4.3 Abgrenzung von Bildung zu Erziehung und Sozialisation
4.4 Zwischenfazit II: Eigenes Begriffsverständnis von Bildung
Teil II: BILDUNG ALS SCHUTZFAKTOR!? DIE UNTERSUCHUNG IMMUNISIERENDER BILDUNGSINHALTE
5. Der Bildungseffekt aus Sicht der Wissenschaft: Die Literaturrecherche
5.1 Bildung als immunisierende soziodemographische Variable?
5.2 Interpretationen des Immunisierungseffektes institutionalisierter Bildung
5.3 Zwischenfazit III: Ein Arbeitsmodell zum Einfluss von Bildung auf die Entstehung rechtsextremer Einstellungen
5.4 Bildung als Prävention: Die pädagogische Auseinandersetzung mit rechtsextremen Einstellungen
5.5 Zwischenfazit IV: Erste Anhaltspunkte immunisierender Bildungsinhalte und ihrer Einflussfaktoren
6.. Leitfadeninterviews mit Pädagogen: Die qualitative Studie
6.1 Das Forschungsdesign
6.2 Darstellung des Leitfadens
6.3 Vorstellung der Interviewpartner
6.4 Erläuterung der Auswertungstechnik
6.5 Zwischenfazit V: Immunisierende Bildungsinhalte und ihre Einflussfaktoren laut Interviews
6.6 Grundsätzliche Probleme der Studie: Bemerkungen zur Gültigkeit der Ergebnisse
7. Die Untersuchungsergebnisse im Überblick: Die Synthese aus Literaturrecherche und Studie
7.1 Immunisierende Bildungsinhalte und ihre Einflussfaktoren in der Zusammenfassung
7.2 Abschließende Hypothesen
TEIL III :IMMUNISIERENDE BILDUNGSINHALTE! DIE DISKUSSION DER UNTERSUCHUNGSERGEBNISSE
8. Bestimmte Bildung kann rechtsextreme Einstellungen verhindern helfen
9... Abschließende Anmerkungen zur Arbeit
Literaturverzeichnis
Anhang A: Interview-Leitfaden
Anhang B: E-Mail-Korrespondenz
1. Einführung
1.1 Warum eine weitere Arbeit1 über rechtsextreme Einstellungen?
Rechtsextreme Einstellungen sind nicht 1 nur an den gesellschaftlichen Rändern zu finden, sondern ebenso in der „Mitte der Gesellschaft“ (Decker/ Brähler 2006, S. 55)2. Zumindest einzelne Aspekte des „rechtsextremen Einstellungssyndroms“3 (Kleinert/ de Rijke 2000, S. 184) werden auch aktuell 4 von sehr vielen Menschen vertreten (vgl. hierzu die Studien von Decker/ Brähler 2006 und Heitmeyer 2006). Für eine demokratisch verfasste, auf dem „Prinzip der Volkssouveränität“ (Schultze 2001, S. 51) sich gründende Gesellschaft stellen solche antidemokratischen (vgl. Arzheimer/ Schoen/ Falter 2000, Aschwanden 1995), gleichsam in der gesellschaftlichen und politischen Mitte etablierten Orientierungen ein ernsthaftes Problem für deren Stabilität dar (vgl. Butterwegge/ Häusler 2002). Besonderer Aufmerksamkeit bedarf die sich abzeichnende „Normalität“5 (Heitmeyer 2006, S. 27) rechtsextremer Einstellungselemente deshalb, weil „alles, was als normal gilt, (..) sich nur schwer problematisieren“ und daher „nur noch mit großen Anstrengungen verändern“ (ebd.) lässt.
Spätestens seit internationalen Schulleistungstests wie PISA ist auch Bildung wieder ein Thema, das nicht nur wissenschaftlich, sondern v.a. auch politisch und medial neu diskutiert wird (vgl. Otto/ Oelkers 2006). Gegenwärtig wird Bildung als „Feuerwehr und Joker’“ (Lindner 2003, S. 47) gegen sämtliche sozialen Probleme bemüht; eben auch um rechtsextreme Orientierungen zurückzudrängen. Abgesehen davon, dass eine solche Sichtweise politisch fatal sein dürfte, da das strukturelle Problem rechtsextremer Einstellungen in unzulässiger Weise individualisiert und als Problem bildungsbenachteiligter Gruppen gedeutet wird (vgl. Butterwegge/ Häusler 2002, Hafeneger 1993), ist der damit zumindest implizit behauptete Wirkungszusammenhang auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten äußerst fragwürdig. Aufgrund ihrer „multifaktoriellen“ (Aschwanden 1995, S. 10) Bedingtheit können rechtsextreme Orientierungen nicht allein durch ein Mehr an Bildung reduziert werden. Übersehen wird außerdem, dass zwischen (höherer) Bildung und liberaler und toleranter Einstellung „kein Automatismus“ (Hopf 1999, S. 848) besteht.
Mitverantwortlich für eine solche „Pädagogisierung“ (Hafeneger 1993, S. 262) der Auseinandersetzung mit rechtsextremen Einstellungen ist der in der empirischen Forschung „immer wieder bestätigte empirische Befund“ (Hopf 1999, S. 847), dass mit steigendem Bildungsgrad solche Orientierungen relativ zurückgehen. Innerhalb der Wissenschaft besteht zwar weitgehend Konsens6 darüber, dass rechtsextreme Orientierungsmuster vielfältige Ursachen haben können - „Persönlichkeits- und Umweltfaktoren“ (Winkler 1996, S. 25; Hervorheb. d.V.) -, Bildung zählt aber scheinbar zu einer der wenigen Bedingungen, „die in der wissenschaftlichen Diskussion wenig kontrovers sind“ (Hopf 2001, S. 53)7. Hierbei wird Bildung jedoch lediglich als (aspirierter) allgemeinbildender Schulabschluss operationalisiert; bei älteren Studien zur Verbreitung rechtsextremer Einstellungen (vgl. z.B. Falter 2000, SINUS 1981) ebenso wie bei aktuellen Untersuchungen (vgl. z.B. Brähler/ Niedermayer 2002, Decker/ Brähler 2005, Dies. 2006).
Obwohl die Rechtsextremismusforschung ungebrochen ein „prosperierendes Forschungsfeld“
(Decker/ Brähler 2005, S. 8) ist und sich eine Vielzahl sozialwissenschaftlicher Disziplinen8, insbesondere seit Anfang der neunziger Jahre9 mit dem Phänomen befasst und versucht, die verschiedenen Aspekte des Rechtsextremismus[10] ursächlich zu erklären (vgl. Decker/ Brähler 2005, Lynen von Berg 2002, Winkler 2000), wird der „Bildungseffekt“ (Heyder 2003, S. 81) „kaum inhaltlich gedeutet oder theoretisch reflektiert“ (Hopf 1999, S. 848). Nur einige wenige Untersuchungen haben bisher versucht, die Frage zu beantworten, welche „Kompetenzen“ (Heyder 2003 S. 78) es en detail sind, die rechtsextreme Einstellungen zu verhindern helfen (vgl. z.B. Heyder 2003, Rippl 2002). Durch Einbeziehen von „Mediatorvariablen“ (Rippl
2002, S. 135) kann der negative[11] Einfluss des formalen Bildungsgrades auf rechtsextreme Einstellungen teilweise empirisch erklärt werden. Vollständig aufgeklärt werden kann der Bildungseffekt jedoch nicht. Zudem beziehen sich alle diese Versuche der inhaltlichen Deutung lediglich auf die „schulisch institutionalisierte Bildung“ (Heyder 2003, S. 84).
Über das, was Bildung ist, herrscht innerhalb der Wissenschaft ebenso Dissens (vgl. Gudjons 1999, Scherr 2003) wie bei der Beantwortung der Frage, was eine rechtsextreme Einstellung kennzeichnet (vgl. Decker/ Brähler 2005, Winkler 2000). Bildung ist eine unscharfe (vgl. Wehnes 2001) und unbestimmte (vgl. Ehrenspeck 2004) „schillernde Variable“ (Heyder 2003, S. 80). Ehrenspeck (2004) spricht gar davon, Bildung „nicht präzise definieren, sondern nur dimensionieren“ (ebd., S. 68) zu können. Zu vielfältig seien die Begriffsverwendungen. Dennoch merkt sie gleichzeitig an, „dass die Institutionen und Organisationen, die mit Bildung betraut sind, oftmals weniger Bildung denn Ausbildung ermöglichen“ (ebd., S. 70; Hervorheb. d.V.). Bildung ist also keineswegs mit Schulbildung gleichzusetzen (vgl. von Hentig 1999, BMFSFJ 2006)12. Aufgrund des Erreichens eines bestimmten formalen Bildungsgrades auf Bildung generell zu schließen, stellt daher auch eine unzureichende Verkürzung dar und berechtigt nicht, einen allgemeinen Zusammenhang zwischen Bildung und rechtsextremer Einstellung zu konstatieren und die in empirischen Studien häufig anzutref-fende Gleichung „hohe Bildung, geringerer Rechtsextremismus“ 13 (Decker/ Brähler 2006, S. 18) aufzustellen.
Eine Möglichkeit, den Bildungseffekt empirisch weiter aufzuklären, ohne ihn jedoch auf Schulbildung zu beschränken, wäre, nach den immunisierenden Bildungsinhalten zu fragen.
1.2 Was ist die Zielstellung der Untersuchung?
Primäres Ziel der Arbeit ist die Beantwortung der Frage, welche Bildungsinhalte die Entstehung rechtsextremer Einstellungen verhindern können. Außerdem soll herausgefunden werden, ob es möglicherweise auch Bildungsinhalte gibt, die rechtsextreme Einstellungen eher bestärken bzw. hervorrufen können, und welche das sind; und ob es auch Inhalte gibt, die für die Entstehung entsprechender Orientierungen eher ohne Bedeutung sind.
Welche Inhalte von Bildung sind irrelevant, welche relevant; und welche wirken dabei eher immunisierend, welche eher kontraproduktiv?
Ziel ist nicht, den negativen Zusammenhang zwischen (Schul)Bildung und rechtsextremer Einstellung in einer weiteren Studie zu verifizieren. Das Erkenntnisinteresse liegt auch nicht primär darin, herauszufinden, warum ein höherer formaler Bildungsabschluss en detail immu- nisiert14 (vgl. Heyder 2003, Rippl 2002)15.
Durch Ausdifferenzierung der Bildungsinhalte in diese drei möglichen Wirkungsdimensionen soll einer pauschalen Bildungsabhängigkeit rechtsextremer Einstellungen (siehe Abschnitt 1.1) entgegengearbeitet werden. Wüsste man, wie Bildung inhaltlich gestaltet sein müsste, um vor dem „zwanghaft weltanschaulichen Wunschdenken“ (Erb 2003, S. 305) des Rechtsextremismus zu wappnen, würden sich zudem Implikationen für die pädagogische und politische Praxis zur Bekämpfung rechtsextremer Einstellungen ergeben. Der Aussage von Scherr (2007), dass „die neuere Rechtsextremismusforschung (..) ein im Kern hinreichendes Wissen bezüglich der Ausprägungen und Ursachen des neueren Rechtsextremismus zur Verfügung (stellt, d.V.) und (..) insofern eine Grundlage für die Entwicklung und Realisierung von Gegenstrategien (bietet, d.V.) (...) (und; d.V.) auch nicht zu erwarten (ist; d.V.), daß weitere Forschung zu einer substantiellen Erweiterung des Wissens über sinnvolle Gegenstrategien führt“ (ebd., S. 2), soll deshalb widersprochen werden. Denn auch wenn für rechtsextreme Einstellungen „mehrere zusammenhängende gesellschaftliche und individuelle Faktoren ursächlich sind“ (Schroeder 2004, S. 152; Hervorheb. d.V.), so können sie doch v.a. durch eine „Wendung aufs Subjekt“ (Adorno 1959b, S. 27) verhindert werden, da die gesellschaftlichen, objektiv gegebenen Bedingungen nur beschränkt veränderbar sind (vgl. Adorno 1966a). Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass „gesellschaftsstrukturelle Entwicklungen und soziale Lebensbedingungen nicht unmittelbar festlegen, wie Einzelne und soziale Gruppen sie wahrnehmen und auf sie reagieren“ (Scherr 2001, S. 22). Individuelle Wahrneh- mungs- und Deutungsmuster werden entscheidend durch Bildung bedingt (vgl. BMFSFJ 2006).
Seit seiner Einführung in der Moderne (vgl. Reble 1999) zielt der Bildungsbegriff[16] auf die „Befreiung des Menschen zu sich selbst, zu Urteil und Kritik“ (Tippelt 2003, S. 33). Bildung soll „Mündigkeit und Selbstbestimmung“ (Baumgart 1997, S. 176) ermöglichen und ist „gegen jede unreflektierte Anpassung an vorgegebene gesellschaftliche Situationen“ (Tippelt 2003, S. 33) gerichtet. Das war allerdings nicht immer so. Die pädagogische Programmatik des Nationalsozialismus zielte auf die „Einverleibung des einzelnen“ (Sturm 1938, zit. nach Baumgart 1997, S. 188) in die als schicksalhaft gedachte Volksgemeinschaft (vgl. ebd.). Herausragende Tugenden[17] jener Zeit waren „Mut und Wille, die Kunst des Gehorchens und des Befehlens, Zähigkeit und Rücksichtslosigkeit, Durchsetzungskraft und Opferbereitschaft für die neue Volksgemeinschaft“ (Reble 1999, S. 327). Und auch heute wird die Bedeutung solcher sogenannten Sekundärtugenden für die Soziabilität einer Person in der Wissenschaft diskutiert; durchaus kontrovers. Während Brezinka „Ehrfurcht, Treue, Unterordnung, Gehorsam und selbstlose Dienstbereitschaft“ (ebd. 1995, S. 10f18. ) als diesbezüglich förderlich beurteilt, erklärt Butterwegge (2000), dass solche objektivierten Werte ideale Anknüpfungspunkte für rechtsextreme Ideologeme bieten. Nach Klafki (1996) können aber nicht nur diese Sekundärtugenden sowohl für humanistische[19] als auch für inhumane Zwecke verwendet werden, sondern auch „instrumentelle Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten“ wie „Lesen und Schreiben, sachlich treffendes und kommunikativ verständliches Sprechen, grundlegendes Rechnen, Genauigkeit des Beobachtens, handwerklich-technische Grundfertigkeiten, Informationstechniken“ (ebd., S. 74). Die Untersuchung soll sich deshalb auch der folgenden, zweiten Fragestellung widmen:
Verhindern instrumentelle Fertigkeiten bzw. Sekundärtugenden (tendenziell) die Entstehung rechtsextremer Einstellungen, verstärken oder befördern sie diese eher oder haben sie stattdessen einen neutralen Charakter, d.h. sind sie Instrumente, die für die Entstehung entsprechender Orientierungen eher bedeutungslos sind?
Rechtsextreme Einstellungen können als ein Syndrom verschiedener Orientierungen verstanden werden (vgl. z.B. Heitmeyer 2002, Melzer/ Schubarth 1995, Merten/ Otto 1993). In Deutschland sind das „zumeist“ (Stöss 2000b, S. 25) Autoritarismus, Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus „Wohlstandschauvinismus“ und „Pronazismus“ (ebd., S. 26)20. Man könnte deshalb vermuten, dass Bildung möglicherweise nicht auf die Entstehung aller Einstellungselemente gleichermaßen Einfluss hat. Eine dritte Forschungsfrage lautet daher:
Haben entsprechende Bildungsinhalte (siehe Fragestellung 1) gleichsam auf alle Elemente des rechtsextremen Einstellungssyndroms Einfluss? Oder gibt es möglicherweise „bildungsunabhängige“ Orientierungsbestandteile rechtsextremen Denkens?
Die Persönlichkeit eines Menschen ist „das unverwechselbare Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen und Handlungskompetenzen“ (Hurrelmann 2002, S. 16); wobei hierzu auch „Gefühle und Motivationen (..) ebenso (..) wie Wissen, Sprache und Werthaltungen“ (Tillmann 1989, S. 11) gehören. Einstellungen wie auch Bildung [21] sind also Teilaspekte der Persönlichkeit.[22] Insofern kann vermutet werden, dass nicht nur ein Einfluss von Bildung auf die Entstehung rechtsextremer Einstellungen besteht - Einstellungserwerb bzw„[23] Einstellungsänderung als Folge von Informationsverarbeitung“ (Bohner 2002, S. 276) -, sondern umgekehrt genauso, dass entsprechende Einstellungen bzw. Einstellungselemente influss auf die individuelle Interpretation von Bildung haben können; „Einstellungen lenken die Informationsverarbeitung“ (Bohner 2002, S. 297)[24]. Bildung muss also nicht in jedem Fall Einfluss auf die Entstehung einer rechtsextremen Einstellung haben. Darüber hinaus kann Bildung als ein Teilaspekt der sich aktuell konstituierten Persönlichkeit bzw. als ein Teilprozess[25] der Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Geißler 1977, Tillmann 1989, Hurrelmann 2002) verstanden werden; abhängig von den vorfindbaren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Bildung ist zwar immer „Selbstbildung“ (vgl. Thiersch 2006, S. 23), aber basiert auf der „Aneignung von Welt“ (Thiersch 2006, S. 22), d.h. Bildung (Bildungsaspekte[26] ) bedarf, um sich individuell entwickeln zu können immer des Sozialen, Kulturellen (vgl. Geißler 1977). Bildung ist insgesamt abhängig von einer „bildungsstimulierenden Umwelt“ (BMFSFJ 2006, S. 83). Und was Bildung dabei individuell bewirken soll (die Bildungsziele), ist ebenfalls nie unabhängig von der aktuellen Verfasstheit der Gesellschaft zu verstehen, d.h. die jeweiligen Bildungsideale selbst sind ein gesellschaftshistorisches Phänomen (vgl. Reble 1999) und widerspiegeln das „jeweilige Selbst- und Weltverständnis des Menschen“ (Böhm 1988, S. 85).[27] Die vierte und letzte Fragestellung gilt deshalb solchen Faktoren, die mehr oder weniger direkt[28] Einfluss auf das Immunisierungspotential von Bildung haben können, indem sie die Bildungsziele mitbestimmen, immunisierende Bildungsaspekte mitbedingen oder deren Wirkungsmöglichkeit beeinflussen können.
Welche Einflussfaktoren sind von Bedeutung, inwieweit immunisierende Bildung entstehen kann bzw. Bildung überhaupt immunisierend wirken muss?
1.3 Wie sollen die Fragestellungen beantwortet werden?
Das Aufzeigen der für die Entstehung rechtsextremer Einstellungen relevanten Bildungsinhalte gestaltet sich „auf der Ebene empirischer Untersuchungen ausgesprochen schwierig“ (Hopf 2006). Wahrscheinlich auch deshalb wurde das Thema bisher innerhalb der Forschung eher vernachlässigt. Dem theoretisch somit noch wenig strukturierten Gegenstandsbereich soll sich deshalb explorativ genähert werden. Ziel der Arbeit ist nicht die Verifizierung vorformulierter Hypothesen, sondern deren Generierung. Insgesamt werden die vier Fragestellungen in drei Schritten bearbeitet.[29]
Vor der empirischen Studie werden in einem ersten - theoriegeleiteten - Schritt relevante Bildungsinhalte und deren mögliche Einflussfaktoren aufgezeigt, die sich so bereits innerhalb der wissenschaftlichen Literatur finden lassen. Zunächst wird sich auf einschlägige Studien berufen, die versucht haben, den „Bildungseffekt“ (Heyder 2003, S. 81) empirisch aufzuklären. Bildung wird hierbei zwar als institutionalisierte Bildung verstanden, allerdings können durch Rückgriff auf diese Untersuchungsergebnisse auch erste Anhaltspunkte für relevante Bildungsaspekte geliefert werden. Anschließend wird die einschlägige pädagogische Literatur, die sich mit der Prävention von (bzw. Intervention gegen) rechtsextreme(n) Einstellungen auseinandersetzt, darauf hin gesichtet.
Um möglichst weitere immunisierende Bildungsinhalte zu erfahren, folgt in einem zweiten - empirischen - Schritt eine qualitative Studie. Ein qualitatives Forschungsdesign bietet sich an, da sich die qualitative Sozialforschung im Gegensatz zur quantitativen Vorgehensweise als explorierend und Hypothesen generierend versteht (vgl. Lamnek 2005). Erhoben werden die für die Beantwortung der vier Fragestellungen notwendigen Daten mittels leitfadenorientierter Interviews. Ziel ist es, wesentliche bzw. typische Bildungsinhalte zu erfahren. Entscheidend dafür dürfte die Auswahl der zu befragenden Personen sein (vgl. ebd.). Da Bildung einen „Kernbegriff“ (Ehrenspeck 2004, S. 64) der Pädagogik darstellt - als der Theorie und Praxis von Bildung und Erziehung (vgl. Böhm 2004) -, liegt es nahe, Personen zu befragen, die sich professionell mit Pädagogik beschäftigen. Insgesamt werden sechs leitfadengestützte Interviews mit Pädagogen[30] geführt, die sich bereits mit rechtsextremen Einstellungen bei ihrer Arbeit auseinandergesetzt haben. Die theoretischen Vorüberlegungen sowie die Ergebnisse des ersten, theoriegeleiteten Schritts fließen in die Leitfadenerstellung mit ein. Zur Auswertung der Interviewprotokolle wird sich insbesondere an der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (1995) orientiert.
Abschließend werden in einem dritten - synthetisierenden - Schritt die Ergebnisse aus theoriegeleiteter Literaturrecherche und empirischen Interviews zusammengeführt und Hypothesen zu den insgesamt vier Forschungsfragen generiert; wobei diese Hypothesen - darauf sei hier bereits ausdrücklich hingewiesen - lediglich induktiv gewonnene Vermutungen darstellen sollen, keine (vorläufig) verifizierten Behauptungen.
1.4 Von welchen Prämissen wird bei der Untersuchung ausgegangen?
In den bisherigen Ausführungen wurden bereits häufiger die der Untersuchung zugrundeliegenden Ideen angedeutet. Um den Fortgang der Arbeit besser nachvollziehen zu können, werden an dieser Stelle die Prämissen expliziert. Im weiteren Fortlauf der Arbeit werden diese weiter spezifiziert, um schließlich in das Arbeitsmodell der Untersuchung zum Einfluss von Bildung auf die Entstehung rechtsextremer Einstellungen einzufließen (siehe Abschnitt 5.3).
Einstellungen sind Ergebnis der individuellen Sozialisation (vgl. Witte 1989). Sie entstehen „in produktiver Auseinandersetzung mit den natürlichen Anlagen, insbesondere den körperlichen und psychischen Grundmerkmalen (...) und mit der sozialen und physikalischen Umwelt“ (Hurrelmann 2002, S. 7); und sind Teil der Persönlichkeit (vgl. Hurrelmann 2002, Tillmann 1989). Prämisse 1: Rechtsextreme Orientierungen - als spezifische Einstellungsmuster - sind somit ebenfalls durch Sozialisation bedingt (vgl. z.B. Decker/ Brähler 2006, SINUS 1981, Stöss 2005).
Prämisse 2: Bildung (als Zustand) ist ebenfalls als Ergebnis der Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Geißler 1977) zu interpretieren und Teil der Persönlichkeit (vgl. Hurrelmann 2002, Tillmann 1989). Der Arbeit liegt also ein Sozialisationsansatz als Rahmenmodell zugrunde (siehe Arbeitsmodell, Abschnitt 5.3).
Im Anschluss an Stroebe (1980) stellt eine Einstellung eine Disposition dar, ein Objekt (Person, Gruppe, Idee etc.) in spezifischer Weise zu bewerten, wobei diese Disposition auf Gefühlen und Meinungen dem Einstellungsobjekt gegenüber beruht. Eine Meinung stellt dabei ein „Wahrscheinlichkeitsurteil“ über die Verbindung einer Objektinformation mit dem Einstellungsobjekt dar (vgl. Stroebe 1980). Insofern kann vermutet werden, dass Bildung Einfluss auf die Entstehung (und Veränderung) einer rechtsextremen Einstellung haben kann (Prämisse 3). Einstellungserwerb bzw. -veränderung können u.a. als „Folge von Informationsverarbeitung“ (Bohner 2002, S. 276) interpretiert werden.[31] Wobei dieser Einfluss nicht allein wegen der durch Bildung vermittelten Faktoren (formaler Bildungsabschluss, sozialer Status etc.; siehe Abschnitt 5.2) vermutet wird,[32] sondern auf Bildung an sich beruht, d.h. auf der „Verfügung über kulturelle Fähigkeiten“ (Bourdieu 1983, S. 188); und zwar sowohl über inhaltliches Wissen als auch grundlegende formale Fähigkeiten und Fertigkeiten (vgl. Klafki 1964).[33]
Inwieweit Bildung rechtsextreme Einstellungen eher hervorruft oder die Übernahme entsprechender Orientierungen eher verhindert, soll zunächst nicht weiter interessieren.[34] An dieser Stelle sei nur darauf verwiesen - Prämisse 4 - dass rechtsextreme Orientierungen keine „Antithese“ zur Bildung darstellen. Entsprechend eingestellten Personen ist nicht ihr je individueller Bildungsstatus abzusprechen. Auch sie verfügen über Bildung, und entsprechende Einstellungen beruhen nicht einfach auf „falschem Wissen“ (Hormel/ Scherr 2005, S. 99). Bildung (und Bildsamkeit) ist nicht nur bei demokratischen Orientierungen gegeben. Würde das behauptet werden, so würde man sich derselben Rhetorik bedienen wie einst nationalsozialistische Pädagogen, die Bildung und Bildsamkeit - zwar nicht ideologisch, aber - rassisch-biologisch beschränkt sahen (vgl. Baeumler 1939). Entscheidend für den Zusammenhang zwischen beiden Größen (siehe Prämisse 3) dürfte vielmehr die Qualität, die inhaltliche Ausgestaltung der je individuell vorhandenen Bildung sein.
Insofern rechtsextreme Einstellungen Ergebnis je individueller Sozialisationsprozesse sind (siehe Prämisse 1), sind sie nicht monokausal bestimmbar. Es gibt nicht die Ursache, sondern individualpsychologische wie gesellschaftliche Bedingungen können durch „ein - individuell jeweils verschiedenes - Zusammenwirken“ (SINUS 1981, S. 102) rechtsextreme Einstellungen entstehen lassen. Insofern stellt Bildung auch nur einen einflussreichen Faktor dar. Prämisse 5: Bildung allein kann rechtsextreme Einstellungen weder verhindern noch hervorrufen. Darüber hinaus soll Bildung nicht als eine genuine Ursache für die Entstehung entsprechender Orientierungen verstanden werden.[35] Bildung hat „lediglich“ Einfluss[36] (siehe Prämisse 3).
1.5 Zum Inhalt der Arbeit
Am Ende des ersten Kapitels soll nun noch kurz die inhaltliche Struktur der Arbeit dargestellt werden. Ziel dessen ist es, hierdurch einen ersten Überblick über die zu besprechenden Themenfelder sowie die Prioritäten der Untersuchung zu erhalten.
Der Titel der Arbeit - Bildung als Schutzfaktor vor rechtsextremen Einstellungen? Eine Exploration immunisierender Bildungsinhalte - macht als erstes die Klärung der beiden Begriffe Bildung und rechtsextreme Einstellung erforderlich (Teil I: Die theoretischen Grundlagen). Kapitel 2 befasst sich insbesondere mit den Ideologiefragmenten des Rechtsextremismus, d.h. den Merkmalen rechtsextremer Einstellungen[37] und versucht zu klären, was der Terminus rechtsextrem im Unterschied beispielsweise zu fremdenfeindlich, antisemitisch, rassistisch etc. bedeutet. Auf Basis dessen wird als erstes Zwischenfazit [38] das eigene, der Untersuchung zugrundeliegende Begriffsverständnis rechtsextremer Einstellungen verdeutlicht. Außerdem wird in diesem Kapitel der für Demokratien bestehende Problemcharakter von Rechtsextremismus bzw. rechtsextremen Einstellungen herausgearbeitet. Hierbei wird die Entwicklung und aktuelle Situation vier verschiedener Aspekte des Rechtsextremismus (siehe Fußnote 10) aufgezeigt: rechtsextrem motivierte Straftaten, Personenpotential des organisierten Rechtsextremismus, Wahlerfolge rechtsextremer Parteien und Verbreitung rechtsextremer Einstellungen innerhalb der Bevölkerung.
Kapitel 3 beschäftigt sich mit den wissenschaftlich populärsten, empirisch bewährten Ursachen für die Entstehung rechtsextremer Einstellungsmuster (vgl. z.B. bei Decker/ Brähler 2006, Stöss 2005, Winkler 1996, Ders. 2000). Prämisse 5 (siehe Abschnitt 1.4) geht davon aus, dass Bildung lediglich eine intervenierende Größe bei deren Entwicklung ist. Deshalb sollen hier die genuinen Ursachen primäre Beziehungserfahrung, (antizipierte) Deprivation und Desintegration und politische Kultur dargestellt werden.[39] Mit der Diskussion des vergleichsweise neuen Ansatzes von Wahl (vgl. Wahl/ Tramitz 2001, Wahl/ Rieker/ Steger 2000, Wahl 2001, Ders. 2004) wird darüber hinaus auf die Bedeutung der Genetik für die Entstehung rechtsextremer Einstellungen bzw. insbesondere entsprechender Verhaltensweisen kurz eingegangen.
Anschließend wird der Bildungsbegriff im Kapitel 4 theoretisch ergründet. Zunächst soll sich dem modernen Bildungsverständnis durch einen kurzen historischen Abriss zur Begriffsgeschichte angenähert werden, wobei hier insbesondere auf antike, christlich geprägte mittelalterliche und neuhumanistische Interpretationen von Bildung eingegangen wird. Anschließend werden aktuelle Konzeptionen des Bildungsbegriffs anhand je charakteristischer Schlüsselwörter vorgestellt. Auf Basis dessen soll das eigene, der Untersuchung zugrundeliegende Begriffsverständnis von Bildung aufgezeigt werden (Zwischenfazit II).
Nachdem beide Größen inhaltlich bestimmt wurden, kann sich im zweiten Teil der Arbeit (Bildung als Schutzfaktor!? Die Untersuchung immunisierender Bildungsinhalte) der Beantwortung der vier Fragestellungen gewidmet werden.
Kapitel 5 beschäftigt sich mit den für die Arbeit relevanten, theoretisch bereits vorhandenen Informationen zum Zusammenhang von Bildung und rechtsextremer Einstellung. Zunächst sollen ausgewählte Studien den „immer wieder bestätigten empirischen Befund (beispielhaft verdeutlichen; d.V.), dass mit steigendem Bildungsgrad[40] fremdenfeindliche, antisemitische und rechtsextreme Einstellungen zurückgehen“ (Hopf 1999, S. 847). Gleichzeitig wird aber auf historische und aktuelle Abweichungen verwiesen, die zeigen, dass hierbei „kein Automatismus“ (Hopf 1999, S. 848) besteht. Anschließend werden deshalb - theoretische wie empirische - Versuche dargestellt, die den schulischen „Bildungseffekt“ (Heyder 2003, S. 81) zum Teil aufklären können. Hierdurch werden auch als bedeutsam interpretierte Einflussgrößen deutlich, die Bildung an sich meinen (siehe Prämisse 3, Abschnitt 1.4).[41] Zusammen mit den theoretischen Grundlagen (siehe Kapitel 2 bis 4) stellen diese Hinweise die Basis des anschließend konzipierten Arbeitsmodells dar, das den Einfluss - wie er für den weiteren Fortgang der Untersuchung vermutet wird - von Bildung auf die Entsehung rechtsextremer Einstellungen darstellt (Zwischenfazit III). Erste Anhaltspunkte für konkrete immunisierende Bildungsinhalte ergeben sich durch Rückgriff auf die pädagogische Literatur, die sich mit der Prävention von (bzw. Intervention gegen) rechtsextreme(n) Einstellungen auseinandersetzt. Abschließend werden in einem vierten Zwischenfazit (vorläufige) immunisierende Bildungsinhalte und die sie beeinflussenden Faktoren zusammenfassend dargestellt (siehe Fragestellung 4, Abschnitt 1.2).
Anschließend widmet sich Kapitel 6 der Darlegung der qualitativen Studie. Zunächst wird das Forschungsdesign und die verwandten Techniken der Datenerhebung (leitfadengestützte Interviews) und Auswertung (qualitative Inhaltsanalyse) vorgestellt, bevor schließlich die Ergebnisse der Studie hinsichtlich der vier Fragestellungen (siehe Abschnitt 1.2) präsentiert werden (Zwischenfazit V).
Damit ist die Untersuchung jedoch noch nicht abgeschlossen. Kapitel 7 versucht schließlich die theoretisch und empirisch ermittelten Antworten auf die vier Forschungsfragen zusammenzufassen und abschließende diesbezügliche Hypothesen zu generieren.
In einem dritten - und letzten - Teil der Arbeit (Immunisierende Bildungsinhalte! Die Diskussion der Untersuchungsergebnisse) werden schließlich Chancen und Grenzen einer Immunisierung vor rechtsextremen Ideologemen qua Bildung kurz diskutiert (Kapitel 8). Generelle
Anmerkungen zum Thema und dessen Umsetzung bilden den Abschluss der Arbeit (Kapitel 9).
Teil I: DIE THEORETISCHEN GRUNDLAGEN 2. Rechtsextreme Einstellungen
Als erstes soll der Begriff der rechtsextremen Einstellung theoretisch grundgelegt werden. Das ist Thema dieses Kapitels.
Zunächst wird Rechtsextremismus von anderen, häufig gleichbedeutend verwendeten Begriffe wie Rechtsradikalismus, (Neo)Nazismus, Fremdenfeindlichkeit etc. (vgl. Backes 2003b, Decker/ Brähler 2006) abgegrenzt[42], um dadurch Klarheit zu schaffen, was Rechtsextremismus (nicht) ist. Innerhalb der Rechtsextremismusforschung gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, ob die Begriffe Rechtsextremismus und Gewalt notwendigerweise zusammengehören oder nicht (vgl. Winkler 2000). Es wird sich daher auch kurz mit dieser Problematik im ersten Teil dieses Kapitels beschäftigt (Abschnitt 2.1). Durch die abgrenzende Darstellung des Rechtsextremismusbegriffs werden bereits erste entsprechende Ideologeme dargestellt. Sie sind Thema von Abschnitt 2.2, der die Merkmale rechtsextremer Einstellungen aufzeigt. Letztlich soll auf Basis dessen das der Untersuchung zugrundeliegende Begriffsverständnis rechtsextremer Einstellungen erläutert werden (Abschnitt 2.4).
Es macht aber nur Sinn, sich (soziologisch) mit entsprechenden Orientierungen auseinander zu setzen, wenn diese in der Gesellschaft (aktuelle) existier(t)en;[43] wenn es also auch tatsächlich außersprachliche soziale Phänomene gibt, die begrifflich mit dem Terminus rechtsextreme Einstellung bezeichnet werden können.[44] Deshalb sollen in Abschnitt 2.3 vier Aspekte des komplexen Rechtsextremismusphänomens hinsichtlich ihrer Aktualität und zeitlichen Entwicklung beschrieben werden: rechtsextrem motivierte Straftaten, das organisierte rechtsextreme Personenpotential, Wahlerfolge rechtsextremer Parteien sowie die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen.
2.1 Abgrenzung von Rechtsextremismus zu konkurrierenden Begriffen
Nach Jaschke (1994, S. 31) versteht man unter Rechtsextremismus „die Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen, organisiert oder nicht, die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen und das Gleichheitsgebot der Menschenrechts-Deklaration ablehnen, die den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betonen, von der Unterordnung des Bürgers unter die Staatsräson ausgehen und die den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie ablehnen und Demokratisierung rückgängig machen wollen.“
Diese (vorläufige) Definition soll prägnant verdeutlichen, was unter Rechtsextremismus verstanden wird. Durch sie kann der Rechtsextremismusbegriff von konkurrierenden Begriffen abgrenzt werden.[45] Allerdings soll mit der Darstellung dieser einen Definition nicht suggeriert werden, dass (wissenschaftlicher) Konsens über das „Wesen“ von Rechtsextremismus bestehen würde: „Es existiert keine allgemein anerkannte Definition“ (Stöss 2005, S. 13, vgl. auch Heitmeyer 2002, Winkler 1996, Ders. 2000). Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass naheliegende Begriffe[46] wie Rechtsradikalismus, (Neo)Nazismus, (Neo)Faschismus, Autori- tarismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus oder Nationalismus häufig synonym oder ähnlich innerhalb der Öffentlichkeit aber auch der Wissenschaft verwandt werden und miteinander konkurrieren (vgl. Decker/ Brähler 2006). Denn ebenso wie Kontroversen über den Rechtsextremismusbegriff bestehen, werden auch diese Begriffe jeweils unterschiedlich inhaltlich bestimmt (vgl. Backes 2003b).[47] Es wird an dieser Stelle aber dennoch ver- sucht, die Begriffe voneinander abzugrenzen[48]. Dem Rechtsextremismusbegriff wird dabei der Vorrang eingeräumt, da er als der am wenigsten problematische und darüber hinaus als der international gebräuchlichste Terminus interpretiert werden kann (vgl. Backes 2003b).[49] Da rechtsextreme Einstellungen als Syndrom verstanden werden, besitzt der Rechtsextremismusbegriff zudem den Vorteil, viele der anderen Termini in sich integrieren zu können (s.o. die Definition von Jaschke 1994 und Abschnitt 2.2). Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass auch der Rechtsextremismusbegriff selbst problematisch ist, da er suggeriert, dass es eine „normale“ Mitte der Gesellschaft gibt, die sich von dem rechten bzw. linken Extrem klar abgrenzen lässt (vgl. Butterwegge 2000, Decker/ Brähler 2006).[50]
Rechtsradikalismus
Vor allem der Begriff des Rechtsradikalismus wird innerhalb der (Fach)Öffentlichkeit immer wieder als synonym für Rechtsextremismus verwandt. Seitdem der Rechtsextremismusbegriff vom Verfassungsschutz (1974) verwendet wird (vgl. Backes 2003b), sehen einige Autoren wie beispielsweise Rucht (2002) den „weniger normativ aufgeladenen Begriff des Rechtsradikalismus“ (ebd., S. 75) für wissenschaftliche Analysen geeigneter als den demokratieorientierten Extremismusbegriff[51] (vgl. ebd., auch Rucht/ Koopmans 1996). Andere Autoren wie Merten und Otto (1993) verwenden beide Begriffe zwar nicht gleichbedeutend, aber durchaus problematisch. Sie interpretieren Rechtsradikalismus als die gesteigerte, gewalttätige Form des Rechtsextremismus. Bizarr ist diese Verbindung von Rechts und Radikalismus deshalb, weil der Radikalismusbegriff bürgerlich-demokratische Wurzeln in der Zeit der Aufklärung hat (vgl. Butterwegge 2000). Eine Verbindung emanzipatorischer Traditionen mit gegen sie gerichteten Positionen erscheint jedoch äußerst fragwürdig (vgl. Heitmeyer 1995, auch Backes 2003b, Möller 2001).
Zur Vorsicht ist auch bei einer synonymen Verwendung der Begriffe (Neo)Nazismus bzw. (Neo)Faschismus mit Rechtsextremismus geraten, da diese nur für Personen und Organisationen angewandt werden dürfen, die sich explizit auf den Faschismus Mussolinis bzw. den Nationalsozialismus Hitlers beziehen, diese nachahmen, verherrlichen oder systematisch verharmlosen (vgl. Butterwegge 2000).
Zwischen dem heutigen Rechtsextremismus und dem historischen Nationalsozialismus besteht keine triviale Wesensverwandtschaft (vgl. Gessenharter 2002). Während die Ideologie des Nationalsozialismus als ein „auf Expansion gerichteter Nationalismus (bezeichnet werden kann; d.V.), der eine Weltmachtstellung für ein Mitteleuropa beherrschendes Dtl. (Deutschland; d.V.) forderte; (zusammen mit; d.V.) Bestrebungen, die Nation durch innere soziale Versöhnung des dt. (deutschen; d.V.) Volkes über die Klassengegensätze hinweg unter Ablehnung des internat. (internationalen; d.V.) ,marxist.’ (marxistischen; d.V.) Sozialismus zur Machtpolitik nach außen zu befähigen; (und; d.V.) auf Volkstums- und Rassentheorien gründenden antisemit. (antisemitischen; d.V.) Feindbildern (basierte; d.V.)“ (Die Zeit 2005, Bd. 10, S. 248), sind rechtsextreme Ideologeme nicht darauf beschränkt (vgl. Backes 2003b, Möller 2001). Gleichzeitig ist Rechtsextremismus auch etwas anderes, da nicht zwangsläufig die Weltmachtstellung proklamiert wird (s.o. die Definition von Jaschke).[52]
Zwar spricht Stöss (2000a) hinsichtlich des Rechtsextremismus von einer „ideologischen Kontinuität“ (ebd., S. 106, vgl. auch Aschwanden 1995, Erb 2003) seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, sieht aber gleichzeitig den aktuellen deutschen Rechtsextremismus neben „Pronazismus“[53] auch durch „Wohlstandschauvinismus“[54] (Stöss 2000b, S. 26), Auto- ritarismus, Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus gekennzeichnet (vgl. ebd.)[55].Und Möller (2001) erklärt, dass insbesondere das zentrale rechtsextreme Ideologem der Fremdenfeindlichkeit[56] gegenüber Migranten „etwas ganz anderes“ (ebd., S. 202) ist, als der zentrale Aspekt des Antisemitismus während des Nationalsozialismus, der sich gerade gegen inländische Personen richtete.
Von Neonationalismus wird insbesondere seit dem Niedergang der NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands; siehe Abschnitt 2.3) Ende der sechziger Jahre gesprochen, als in Folge dessen es zu unterschiedlichen Reaktionen im rechtsextremistischen Lager kam, und sich auch eine Szene herausbildete, die explizit an der nationalsozialistischen Ideologie angelehnt war und durch den zeitlichen Abstand von 25 Jahren als neu bezeichnet werden kann (vgl. Pfahl-Traughber 2000). Aber auch hierbei gilt zu beachten: „Zwar ist jeder Neonazi ein Rechtsextremist, aber keineswegs jeder Rechtsextremist ein Neonazi“ (Butterwegge 2000, S. 16); zumal bei einer synonymen Verwendung die Gefahr besteht, dem Nationalsozialistischen besonderes Gewicht zu verleihen, während andere Aspekte zwangsläufig vernachlässigt werden würden (vgl. Heitmeyer 1995).
(Neo faschismus
Faschismus ist ebenso wie der Nationalsozialismus eine zeitlich und national begrenzte politische Bewegung gewesen (vgl. Butterwegge 2000). Er kann deshalb nicht einfach auf die veränderten heutigen Verhältnisse übertragen werden (vgl. Heitmeyer 1995).
Rechtsextremismus geht außerdem nicht in den Ideologemen des Faschismus vollständig auf, was insbesondere die antikonservative bzw. antibürgerliche Orientierung und den vorgetragenen Antikapitalismus des Faschismus betrifft (vgl. Backes 2003b).
Während die bisher genannten Termini verschieden dem Rechtsextremismusbegriff sind[57], stellen die nächsten gewissermaßen Subbegriffe des Oberbegriffs Rechtsextremismus dar, insofern sie zu dessen Kernideologemen häufig gezählt werden (vgl. z.B. bei Stöss 2000b, Arzheimer/ Schoen/ Falter 2000, Winkler 2000).[58]
Autoritarismus
Im Anschluss an Adorno (1996) kann Autoritarismus v.a. als eine individuelle Charakterstruktur beschrieben werden, die sich v.a.[59] auszeichnet durch eine Tendenz des übermäßigen Gehorsams Stärkeren gegenüber und der aggressiven Beherrschung Schwächerer, d.h. die „unkritische Unterwerfung unter idealisierte Autoritäten der Eigengruppe“ und die „Tendenz, nach Menschen Ausschau zu halten, die konventionelle Werte missachten, um sie verurteilen, ablehnen und bestrafen zu können“ (Sanford et al. 1996, S. 45). Adorno (1996) versteht dieses autoritäre Charaktersyndrom als einen Typ eines „potentiell faschistischen Charakters“ (ebd., S. 312), welcher sich durch eine Anfälligkeit für „antidemokratische Propaganda“ (Sanford et al. 1996, S. 46) auszeichnet.[60]
Inwieweit Autoritarismus eine Ursache für (vgl. Adorno 1996) oder aber ein Merkmal von (vgl. Stöss 2000b) Rechtsextremismus darstellt, ist strittig (vgl. Stöss 2005). Denn gleichzeitig wird Autoritarismus auch als Subphänomen des aktuellen Rechtsextremismus verstanden, und zwar im Sinne einer autoritären Staatsauffassung bzw. allgemein eines unkritischen Kollektivismus (vgl. Arzheimer/ Schoen/ Falter 2000, Pfahl-Traughber 2000, s.o. die Definition von Jaschke); oder gar identisch mit Adornos Verständnis, nämlich als die „Bereitschaft zur freiwilligen Unterwerfung unter Stärkere bzw. unter nicht legitimierte Herrschaft und die Neigung zur Beherrschung Schwächerer“ (Stöss 2000b, S. 25).[61]
Fremdenfeindlichkeit
Erhebliche Kontroversen bestehen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung von Fremdenfeindlichkeit. Einzig darin scheinen sich die Autoren einig zu sein, dass Fremdenfeindlichkeit ein wesentlicher Bestandteil des aktuellen Rechtsextremismus ist (vgl. z.B. Decker/ Brähler 2006, Heitmeyer 2002, Stöss 2000b).[62] Nach Scherr (2001) ist Fremdenfeindlichkeit gar „ein Kernelement aller Formen des Rechtsextremismus“ (ebd., S. 13).
Während Stöss (2000b) hierunter v.a. die relative Höherbewertung der „eigenen Volksgruppe“ (ebd., S. 26) bei gleichzeitiger Abwertung und Ausgrenzung „fremder Volksgruppen“ (ebd.) versteht und somit Fremdenfeindlichkeit v.a. ethnisch fundiert sieht, interpretiert Heit- meyer (2002) Fremdenfeindlichkeit eher sozioökonomisch, wenn er sie als „Abwehr von Konkurrenz um Positionen, Plätze etc. aufgrund anderer ethnischer Herkunft“ (ebd., S. 504) erläutert. Stöss und Niedermayer (1998) teilen den Begriff denn gar in „drei Varianten“ (ebd., S. 3) ein: die „ethnisch motivierte Fremdenfeindlichkeit“ (allgemeine Diskriminierung fremder Volksgruppen, ohne sie jedoch grundsätzlich abzuwerten), „sozioökonomisch motivierte Fremdenfeindlichkeit“ (keine prinzipielle Diskriminierung, aber Verwehren der Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand fremder Volksgruppen im eigenen Land) und „rassistisch motivierte Fremdenfeindlichkeit“ (insgesamt ebd., S. 3; allgemeine Überbewertung der Eigenschaften der eigenen Volksgruppe und Disqualifizierung der Eigenschaften fremder Volksgruppen als minderwertig). Ebenso wie Stöss (2000b) verwenden Stöss und Niedermayer (1998) den Ethnozentrismus synonym mit Fremdenfeindlichkeit, während Hopf (1999) Ethnozentrismus als Oberbegriff für Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus(!) verwendet, und ihn mit Sumner als die generelle Idealisierung der Eigengruppe und die „mehr oder weniger“ (ebd., S. 849f.) aggressive Abwertung oder Bekämpfung anderer Gruppen definiert; wobei es keine Rolle spielt, worauf diese Gruppen basieren (Interessen, Geschlecht, Nationalität etc.), und diese Einteilung eine sozialpsychologisch „normale Erscheinung“ (ebd., S. 850) darstellt (vgl. auch Tajfel/ Turner 1986). Erst durch den Versuch der Begründung bzw. Rechtfertigung der Ungleichheit werde Ethnozentrismus zu einem politischen Ideologem (vgl. Hopf 1999).[63]
Diese unterschiedlichen Verständnisse deuten auf die unterschiedlich weite Intension des Begriffs Fremdenfeindlichkeit hin. Der Bundesverfassungsschutzbericht von 2005 definiert Fremdenfeindlichkeit beispielsweise als „Oberbegriff“ für „ablehnende Vorurteile[64] (..), die sich gegen Menschen richten, denen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Nationalität oder Religion bzw. sonstiger Eigenschaften, durch die sie sich von dem als ,normal’ erachteten Umfeld abheben, eine „Fremdheit’ unterstellt wird.“ (BMI 2006, S. 312) Diese Begriffsbestimmung (vgl. analog Scherr 2001) ähnelt in verblüffender Art und Weise dem Begriff der „Heterophobie“ bei Heitmeyer (2002, S. 504), der damit „Angst vor und Abwertung von ,Norm’-Abweichung“ (ebd.) bezeichnet (vs. dem Begriff von Fremdenfeindlichkeit; s.o.). Melzer und Schubarth (1995) hingegen verstehen Fremdenfeindlichkeit „nur“ als Ausländerfeindlichkeit (vgl. auch Decker/ Brähler 2006). Diese begriffliche Einschränkung ist denn auch für Butterwegge (2000) Anlass zur Kritik: Der Begriff der Ausländerfeindlichkeit sei „irreführend“ (ebd., S. 15), da nicht nur und nicht alle Ausländer Objekt entsprechender Feindseligkeiten sind. Ebenso hält er aber auch den Begriff der Fremdenfeindlichkeit (bzw. Xenophobie) für problematisch, da er „unwillkürlich den Eindruck erweckt, die persönliche Abneigung oder Abwehrhaltung gegenüber ,Anderen’ sei angeboren und natürlich“ (ebd.). Stattdessen würden Menschen erst durch Ethnisierung zu Fremden gemacht (vgl. ebd.). Aus diesem Grund verwirft Butterwegge (2000) beide Begriffe und hält stattdessen den Rassismusbegriff für ein Kernideologem des Rechtsextremismus.[65] Was unter Rassismus allerdings zu verstehen ist, expliziert Butterwegge (2000) nicht.[66]
In Anlehnung an den Bundesverfassungsschutzbericht von 2005 kann Rassismus als Versuch interpretiert werden, die vergangene und gegenwärtige gesellschaftliche Situation auf biologische Ursachen zurückzuführen, und nicht auf die tatsächlich ursächlichen politisch-sozialen (vgl. BMI 2006, auch Gessenharter 2002). Da jedoch die biologisch-genetisch bedingten „Eigenarten“ (Gessenharter 2002, S. 196) verschiedener Gruppen wissenschaftlich immer mehr angezweifelt werden, wird zunehmend auch auf eine kulturelle Variante des Rassismus Bezug genommen. Bestimmte Lebensgewohnheiten einer bestimmten Gruppe werden verabsolutiert und als einzig normal angesehen, während andere Lebensformen negativ bewertet werden (vgl. ebd.). Nach Meinung von Demirovic und Paul (1996) stellt die Fokussierung auf Kultur aber nur „Camouflage“ (ebd, S. 144) dar, da auch der traditionelle, biologische Rassismus zunächst von kulturellen Unterschieden ausging, die dann wissenschaftlich biologisch begründet werden sollten (vgl. ebd.).
Inwieweit Rassismus ein Kernideologem des Rechtsextremismus darstellt (vgl. Butterwegge 2000), ist wissenschaftlich umstritten. Möller (2001) weist darauf hin, dass Rassismus sowohl als Alternative zum Rechtsextremismusbegriff verwendet wird, als auch als Bestandteil von Rechtsextremismus (vgl. neben Butterwegge 2000, z.B. auch Backes 2003b, Scherr 2001). Allerdings sieht Scherr (2001) Rassismus nicht als unmittelbares Subphänomen von Rechtsextremismus an, sondern „lediglich“ als eine Form von Fremdenfeindlichkeit (vgl. ebd., auch Stöss/ Niedermayer 1998).
Antisemitismus
Wie „Pronazismus“ (Stöss 2000b, S. 26), Autoritarismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassimus wird auch Antisemitismus sehr häufig als eine Kernbestandteil von Rechtsextremismus verstanden (vgl. z.B. bei Decker/ Brähler 2006, Falter 2000, Heitmeyer 2006, Stöss 2000b); wobei die „Judenfeindschaft“ (BMI 2006, S. 308) weniger religiös, denn rassistisch sozial und politisch begründet wird (vgl. ebd.). Aktuell spielen neben dem allgemeinen, bereits zu Zeiten des Nationalsozialismus existierenden Antisemitismus (s.o.) v.a. die beiden Varianten des „antizionistischen“ und „sekundären“ (ebd.) Antisemitismus eine Rolle. Während ersterer die Kritik an der Politik Israels nutzt, die Existenzberechtigung des Staates pauschal (nicht abhängig von Überlegungen zum Nahost-Konflikt) zu bestreiten (vgl. ebd.), kann der sekundäre Antisemitismus als „deutscher rechter Antisemitismus nach Auschwitz“ (Gessenharter 2002, S. 196) interpretiert werden. Den Juden wird vorgeworfen, sie würden Deutschland aufgrund seiner Verantwortung am Holocaust erpressen, um politische Forderungen durchsetzen zu können, und sie wären verantwortlich dafür, dass Deutschland seine nationalsozialistische Geschichte nicht „entsorgen“ (vgl. Adorno1959b, Heitmeyer 1995) könne (vgl. BMI 2006, Gessenharter 2002).
Nationalismus
Inwieweit Nationalismus notwendiger Bestandteil von Rechtsextremismus ist,[67] ist in der Wissenschaft äußerst kontrovers. Während Decker und Brähler (2006) bereits ein „starkes Nationalgefühl“ (ebd., S. 36) als ein Indiz für „Chauvinismus“ (ebd.)[68] und somit als einen Kernbestandteil von Rechtsextremismus beurteilen (vgl. ebd., auch Falter 2000; siehe Abschnitt 2.3), sprechen Autoren wie Backes (2003b) von einem „extremen“ Nationalismus (ebd., S. 27) oder Hopf (2001) von einem „unreflektierten“ (ebd., S. 52) Nationalstolz, um die
Variante des Nationalgefühls zu beschreiben, die dem Rechtsextremismus immanent ist (vgl. auch Demirovic/ Paul 1996, Oepke 2005).[69] Backes (2003b) betont, dass sich Nationalismus (zumindest theoretisch) auch auf nationalstaatliche politische Interessen im Rahmen eines freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsverständnisses[70] beziehen kann. Und Oepke (2005) merkt entsprechend an, dass Patriotismus oder Nationalstolz eine von Nationalismus unterscheidbare Form nationsbejahender Einstellung darstellt, die nicht mit (nationaler) Fremdgruppenabwertung einhergehen muss. Es komme vielmehr darauf an, worauf sich die Bejahung inhaltlich beziehe. Es wäre beispielsweise auch denkbar, dass die demokratischen Werte einer Nation bejaht werden und das Nationalgefühl dem Stolz auf die demokratischen Institutionen gelte (vgl. ebd.). Denn historisch ist die nationale Bewegung als politische Emanzipation der Bürger gegenüber dem Adel zu interpretieren (vgl.Gessenharter 2002); und damit „Begründer einer demokratischen Revolution“ (ebd., S. 197). Der dem Rechtsextremismus entsprechende Nationalismus ist also gekennzeichnet durch eine Haltung, die eigene Nation anderen gegenüber überlegen und wertvoller anzusehen (vgl. BMI 2006), die eigene Nation zu wahren und stärken und gleichzeitig andere Nationen abzuwerten (vgl. Stöss 2000b) - zusammen mit deren Personengruppen (vgl. BMI 2006, auch Oepke 2005).
Nachdem Rechtsextremismus durch die Abgrenzung konkurrierender bzw. mit ihm zusammenhängender Begriffe spezifiziert wurde, kann - zusammen mit der zu Anfang genannten Definition von Jaschke (1994) - Rechtsextremismus als Ideologie [71] beschrieben werden, die antipluralistische bzw. antidemokratische Aspekte mit staatsautoritären bzw. kollektivistischen, pronazistischen, fremdenfeindlichen, rassistischen, antisemitischen und (extrem) nationalistischen Elementen verbindet. Im Abschnitt 2.2 wird dieses Begriffsverständnis aufgegriffen und auf rechtsextreme Einstellungen bezogen.
Rechtsextremismus und Gewalt
Bei der bisherigen Darstellung wurde ganz bewusst auf die Abgrenzung von Rechtsextremismus und Gewalt(bereitschaft) verzichtet, insofern Gewalt in dieser Untersuchung nicht als charakteristisch für Rechtsextremismus bzw. rechtsextreme Einstellungen verstanden wird (siehe Abschnitt 2.4), und hier die Meinung in der Wissenschaft sehr weit auseinandergeht (vgl. Schroeder 2004). Da aber insbesondere Heitmeyer (1994a, 1995, 2002) den Gewaltaspekt im Zusammenhang mit der Charakterisierung rechtsextremer Einstellungen wissenschaftlich populär machte, soll zum Abschluss des Abschnitts 2.1 hierauf noch kurz eingegangen werden.
Ausgehend von der Unterscheidung einer Einstellungs- und einer Handlungsdimension des Rechtsextremismus versteht Heitmeyer (1995) „rechtsextremistische Orientierungsmuster“ (ebd., S. 15) als Kombination zweier Grundelemente, einer Ideologie der Ungleichheit und einer Ideologie der Gewalt(akzeptanz), wobei zu erstem u.a. ein übersteigerter Nationalismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und „Heterophobie“ (Heitmeyer 2002, S. 504; s.o.) gehören, während Gewaltakzeptanz u.a. gekennzeichnet ist durch eine „Ablehnung rationaler Diskurse/
Überhöhung von Irrationalismen“, „Ablehnung demokratischer Regelungsformen von sozialen und politischen Konflikten“, „Betonung autoritärer und militärischer Umgangsformen und Stile“ und „Gewalt als normale Aktionsform zur Regelung von Konflikten“ (Heitmeyer 1995, S. 16). Zwar unterscheidet er damit rechtsextremes Denken von entsprechendem Verhalten, gleichzeitig merkt er aber an, dass „von rechtsextremistischen Orientierungsmustern (...) vorrangig dann zu sprechen (ist; d.V.), wenn beide Grundelemente zusammenfließen, wenn also die strukturell gewaltorientierte Ideologie der Ungleichheit verbunden wird zumindest mit der Akzeptanz von Gewalt als Handlungsform“ (ebd.; Hervorheb. d.V.); wobei nicht entscheidend ist, dass alle Elemente im Einzelnen in der Realität vorkommen, sondern dass verschiedene Elemente beider Grundelemente zusammen auftreten (vgl. ebd.).
Genau diesen Aspekt der unbedingten Kombination beider Elemente machen beispielsweise Kleinert und de Rijke (2000) Heitmeyer zum Vorwurf. Sie kritisieren, dass dadurch ein (fach)öffentliches Bias hinsichtlich der Verbreitung rechtsextremer Einstellungen entstehe, da Gewaltakzeptanz quer zur politischen Orientierung überdurchschnittlich häufig bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu finden und zudem stark geschlechtsspezifisch sei (vgl. ebd., auch Hormel/ Scherr 2005). Die (ungerechtfertigte[72] ) Fokussierung auf Jugend sei gerade auch durch diese „problematische Rechtsextremismusdefinition“ (Kleinert/ de Rijke 2000, S. 171) verschuldet (vgl. ebd.). Denn rechtsextremes Denken gipfele nicht zwangsläufig in entsprechender Gewalt(akzeptanz), so Butterwegge (2000). Merten und Otto (1993) plä-dieren deshalb dafür, entsprechende Einstellungen und Handlungen als Rechtsradikalismus [73] zu bezeichnen, sofern Gewalt als grundsätzliches Mittel zur Durchsetzung rechtsextremer Ziele akzeptiert werden würde (vgl. ebd.). Und Melzer und Schubarth (1995) betonen, dass eine Verkopplung eher zur Bagatellisierung rechtsextremer Orientierungen beitragen würde, da somit nur ein „harter Kern“ (ebd., S. 52) berücksichtigt werden würde (vgl. ebd.). Allerdings steht Heitmeyer mit seinem Konzept nicht allein. Bereits die SINUS-Studie aus dem Jahr 1981 bestand darauf, „Gewaltsamkeit (als; d.V.) (...) ein Wesenszug rechtsextremen Denkens und Handelns“ (SINUS 1981, S. 83) zu erkennen, denn „im rechtsextremen Denken seien keine ethisch moralischen Grenzen der Grausamkeit angelegt“ (Ueltzhöffer 1984, S. 90). Aktuell sieht Oepke (2005) eine latente Bereitschaft, eigene Interessen mit Gewalt durchzusetzen, als eine Komponente rechtsextremer Ideologien an, da die Gewaltbereitschaft die mangelnde Anerkennung des demokratischen Prinzips des staatlichen Gewaltmonopols verdeutlichen würde, was Rechtsextremismus als Antithese zur Demokratie immanent sei (vgl. ebd.). Und auch Hopf (2001) geht davon aus, dass die Gewaltakzeptanz bzw. -bereitschaft ein Aspekt des Rechtsextremismus darstellt (vgl. ebd.).[74]
Differenzierter gehen Decker und Brähler (2006) vor. Ihrer Meinung nach gehört Gewaltakzeptanz bzw. -bereitschaft nicht zu Rechtsextremismus an sich. Allerdings stellen sie im Rahmen einer repräsentativen deutschlandweiten Umfrage aus dem Jahre 2006 fest, dass rechtsextrem eingestellte Personen überdurchschnittlich die Anwendung von Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung von Zielen akzeptieren und ebenso relativ gewaltbereiter sind.
2.2 Ideologiefragmente des Rechtsextremismus: Merkmale rechtsextremer Einstellungen
Im letzten Absatz zu Rechtsextremismus und Gewalt wurde sich explizit auf Einstellungen - als einem Objektbereich von Rechtsextremismus (vgl. Winkler 2000) - bezogen. Jetzt soll die bisher beschriebene allgemeine Ideologie des Rechtsextremismus auf rechtsextreme Einstellungen konkret, verstanden als Syndrom verschiedener Einzelorientierungen, angewendet werden.
Bereits zu Anfang des Abschnitts 2.1 wurde gesagt, dass über das Begriffsverständnis von Rechtsextremismus wissenschaftlich kein Konsens besteht. Ein wesentlicher Grund hierfür ist der Umstand, dass sich mit diesem Phänomen bereits viele unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen beschäftigt haben (vgl. Decker/ Brähler 2005, Winkler 2000; siehe auch Abschnitt 1.1); was wiederum zu einer „Diversifikation des Untersuchungsgegenstandes“ (Winkler 2000, S. 38) führte. Grundsätzlich kann man zwei verschiedene Begriffsverständnisse unterscheiden. Zum einen ist das der extremismustheoretische, zum anderen der soziologische Rechtsextremismusbegriff (vgl. Heitmeyer 1995, Oepke 2005).
Das extremismustheoretische Begriffsverständnis von Rechtsextremismus Backes (2003b) versucht Rechtsextremismus möglichst abstrakt zu konzipieren, um ihn somit „raum-, epochen- und strömungsübergreifend“ (ebd., S. 19f.) verwenden zu können.[75] Genauso wie Jesse (2005) geht Backes (2003b) zunächst von dem Oberbegriff Extremismus aus, der als Antithese zum demokratischen Verfassungsstaat verstanden wird (vgl. ebd. 2003b).[76] Extremismus lehnt demokratische Werte und Verfahrensregeln ab (vgl. Jesse 2005).[77] Welche das sind, hat das Bundesverfassungsgericht in der Begründung zum Verbot der SRP (Sozialistische Reichspartei; dem Rechtsextremismus zuzuordnende Organisation) 1952 dargelegt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, v.a. vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ (Bundesverfassungsgericht 1952, zit. nach Stöss 2005, S. 15). Rechts wird dieser Extremismus dann, wenn er die fundamentale Menschengleichheit implizit oder explizit negiert (vgl. Backes 2003b); ganz im Gegensatz zum Linksextremismus, der das Gleichheitsprinzip verabsolutiert (vgl. Jesse 2005).[78]
Unter sozialwissenschaftlichen Gesichtspunkten befriedigt diese Definition allerdings nicht (siehe Fußnote 75). Heitmeyer (1995) sieht in dem extremismustheoretischen Begriffsverständnis v.a. das Problem, dass dadurch die Frage nach den „alltäglichen Mentalitäten und Orientierungsmustern“ (ebd., S. 15) ausgeklammert wird (vgl. ebd., auch Butterwegge 2000). Und Stöss (2000b) merkt an, dass sich Rechtsextremismus nicht auf verfassungswidrige Be- strebungen reduzieren lässt (vgl. ebd., auch Oepke 2005).[79]
Hier wird Rechtsextremismus nicht als festumrissene Weltanschauung begriffen (wie beim extremismustheoretischen Ansatz), sondern als „Konglomerat von partiell sehr unterschiedlichen ideologischen Einstellungs- und Verhaltensmustern und politischen Werthaltungen“ (Oepke 2005, S. 33)[80]. Das soziologische Begriffsverständnis erläutert Rechtsextremismus v.a. unter Zuhilfenahme der Darstellung von Merkmalen rechtsextremer Einstellungen (vgl. Oepke 2005, Winkler 2000).
Was aber sind Einstellungen?
Allgemein können Einstellungen als Dispositionen verstanden werden, ein Einstellungsobjekt positiv oder negativ zu bewerten (und entsprechend zu reagieren) (vgl. Stroebe 1980)[81]. Als Objekte können beispielsweise dienen politische Programme, Entscheidungen, Politiker, Parteien, soziale Gruppen, Staaten, die eigene Nation, Volksgruppen etc. (vgl. Arzheimer/ Schoen/ Falter 2000). Die Reaktionsweisen wiederum können reichen von Gefühlen über Meinungen bis Verhalten (vgl. Böhner 2002).[82]
Allgemeine Ideologieelemente des Rechtsextremismus
Entsprechend (politische) Einstellungen können auch durch die „politischen Richtungsbegriffe“ (Arzheimer/ Schoen/ Falter 2000, S. 221) Links und Rechts strukturiert werden (vgl. ebd.). Doch bevor einige Konzepte vorgestellt werden, die rechtsextreme Einstellungen inhaltlich spezifizieren, sollen zunächst noch allgemeine Ideologieelemente des Rechtsextremismus vorgestellt werden. Als Ideologie wird hier „ein System von Meinungen, Attitüden und Wertvorstellungen - (..) eine Denkweise über Mensch und Gesellschaft“ (Adorno et al. 1996, S. 2) verstanden; ein Ideologem als eine Komponente dessen.[83]
Nach Aschwanden (1995) sind die wichtigsten[84] Bestandteile des Rechtsextremismus die „Ideologie der Ungleichheit“[85] (ebd., S. 20; Unterschiede zwischen Individuen und Gruppen werden ontologistisch bzw. biologistisch als unveränderbare Tatsachen gedeutet, was zu einer Ungleichwertigkeit führt und schließlich zur Forderung nach Ungleichbehandlung), „Gewalt-bereitschaft und Gewaltpraxis“[86] (ebd., S. 21; Gewalt erscheint als naturgesetzlicher, nicht legitimierbedürftiger Selbstzweck, universell probates Ordnungsprinzip und Herrschaftsinstrument, dass Probleme lösen und Eindeutigkeit schaffen soll), „organische Ganzheit und Homogenität der Gemeinschaft“ebd., S. 21; Gemeinschaft - wahlweise als Nation, Volk, Rasse definiert - wird als natürliche, reine und damit gesunde Ganzheit verstanden und verlangt individuelle Unterordnung), „Freund-Feind-Schema“ (ebd., S. 23; die Welt wird radikal dichotom verstanden, Vereinheitlichung der Eigengruppe entspricht Vereinheitlichung der Fremdgruppen als der die Gemeinschaft bedrohende Feind, wobei die unterstellte Andersartigkeit nicht der Realität entsprechen muss), „Führer-/ Autoritätsprinzip“ (ebd., S. 24; Ein- bzw. Unterordnung Aller unter den Willen der Autorität als personifizierter Ausdruck des Willen des Ganzen), „Ordnung und Chaos“ (ebd., S. 24; Unsicherheiten und Chaos werden als durch Abweichen von der natürlich gedachten Ordnung verursacht verstanden), „ReichsMythos, Deutschtum und tragisches Geschichtsbewußtsein“ (ebd., S. 24; zentrale geographische Lage Deutschlands in Europa wird als natürliche und gottgewollte Hegemonie gedeutet, die jedoch durch die Deutschland umzingelnden Feinde verhindert wird), „Personalisierendes Denken“ (ebd., S. 25; die gesellschaftliche und individuelle Lage wird nicht als entsprechend verursacht verstanden, sondern als durch bestimmte Personen und Gruppen), „Gegen Demokratie und Parlamentarismus - Für einen starken Staat“ (ebd., S. 26; Sehnsucht nach einer homogenen, ohne Interessenkonkurrenz gekennzeichneten Gesellschaft und Politik und Ablehnung von Demokratie, da es die vermeintlich natürliche Gemeinschaft zersetze und den kollektiven Willen ignoriere) und „Ablehnung von Kapitalismus und Kommunismus/ Sozialismus“ (ebd. S. 26; Kapitalismus wird als Zersetzung der Volksgemeinschaft, als Zergliederung in antagonistische Klassen und Interessen interpretiert, Kommunismus verfestige durch Klassenkämpfe Zergliederung und gilt zudem als unnatürlich gleichmachend). Erb (2003) verweist zudem auf „Irrationalismus“ (ebd., S. 290) als weiterem Bestandteil der rechtsextremen Ideologie.[87] Und nach Stöss (2000a) widerspricht die „dogmatische, auf Mythen gegründete Ideologie“ (ebd., S. 105) des Rechtsextremismus einer rational-wissenschaftlich fundierten Weltanschauung [88] (vgl. ebd., auch Heitmeyer 1995)[89]. Darüber hinaus ist die Ideologie des Rechtsextremismus heute aber v.a. ein „Gemischtwarenladen“ (Erb 2003, S. 289), die sich auszeichnet durch einen willkürlichen Eklektizismus, was sich nach Meinung von Erb (2003) auch im Reproduzieren originär linker Symbole und Parolen und der „wahllosen“ (ebd.) Wiederbelebung historischer Bezüge (Berufung auf das vorchristliche Germanien, das mittelalterliche Reich, das Führerprinzip) zeigt (vgl. ebd.).
Durch die Kennzeichnung der wichtigsten Ideologeme und unter Rückgriff auf die den Rechtsextremismus beschreibenden Charakterisierungen aus Abschnitt 2.1 sind auch die Merkmale herausgearbeitet, die nach Meinung der Wissenschaft entsprechende Einstellungen charakterisieren.[90]
Aufgrund des bisher Gesagten könnte angenommen werden, dass eine rechtsextreme Einstellung nur dann vorliegt, wenn alle Ideologeme gleichzeitig als Einstellungselemente individuell repräsentiert wären. Dem ist aber nicht so. Zum ersten existiert kein inhaltlicher Minimalkonsens darüber, was eine rechtsextreme Einstellung konkret ausmacht (vgl. Backes 2003b, Decker/ Brähler 2006, Oepke 2005, Winkler 2000). Lediglich, dass sich eine rechtsextreme Orientierung aus verschiedenen Einstellungsmustern zusammensetzt (vgl. Decker/ Brähler 2006), dass es sich um keine einheitlich geschlossene Ideologie dabei handelt (vgl. z.B. BMI 2006, Erb 2003, Merten/ Otto 1993, Pfahl-Traughber 2000), und dass die Ideologeme in „unterschiedlichen Ideologievarianten“ (Pfahl-Traughber 2000, S. 72) individuell je unterschiedlich vorliegen können, gilt als allgemein akzeptiert (vgl. ebd.).[91] Das wiederum bedeutet jedoch nicht, dass eine fremdenfeindliche Einstellung bereits rechtsextrem sein muss.[92] Rechtsextrem sind Orientierungen erst dann, wenn mehrere - nicht zwingend alle - Einstellungselemente individuell zusammentreffen (vgl. Winkler 2000). In der (sozialwissenschaftlichen) Forschung hat sich daher diejenige Konzeptualisierung durchgesetzt, die rechtsextreme Einstellungen als ein Syndrom versteht (vgl. z.B. bei Aschwanden 1995, BMFSFJ 2002, Falter 2000, Melzer/ Schubarth 1995, Oepke 2005, Merten/ Otto 1993).[93] An dieser Stelle nun sollen einige Entwürfe vorgestellt werden, die rechtsextreme Einstellungen mehr oder weniger explizit als Syndrom verstehen und inhaltlich beschreiben. Hierbei handelt es sich um Konzepte, die im Rahmen empirischer Studien entwickelt wurden, um rechtsextreme Einstellungen operationalisieren und damit messen zu können [94] Es handelt sich dabei zwangsläufig um Kernideologeme; und nicht um den mannigfaltigen Raum rechtsextremer Ideologie (vgl. Aschwanden 1995, Erb 2003; s.o.).
- Die SINUS-Studie (1981) geht von „fünf themenübergreifenden Kategorien“ (ebd, S. 65) aus, um rechtsextreme Einstellungen zu beschreiben: „reaktionäres Menschenbild“ (ebd.; absolutiertes Normverständnis und staatsautoritäre bzw. Law-and-Order-Orientierung), „Bedrohung“ (ebd., S. 66; ausländerfeindliches sowie nationalistisches Denken), „Har- moniestreben/ Antipluralismus“ (ebd.), „Volk, Vaterland und Familie“ (ebd., S. 67) und „Siegfried-Komplex“ (ebd.; nationalistische, traditionalistische sowie antisemitische Einstellungen).
- Falter (2000) geht ebenfalls von fünf Kernelementen rechtsextremer Einstellungen aus, gewichtet diese inhaltlich jedoch anders. Zu den „konstitutiven Elementen des rechtsextremen Einstellungssyndroms“ (ebd., S. 406) zählt er Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, die positive Haltung dem Nationalsozialismus gegenüber, Nationalismus und die Ablehnung der Demokratie/ Antipluralismus (vgl. ebd.).
Die folgenden vier Studien entsprechen prinzipiell dem Verständnis rechtsextremer Einstellungen von Falter (ebd.). Mitunter werden die einzelnen Elemente lediglich verschieden begrifflich bezeichnet.[95]
- Stöss und Niedermayer (1998) weichen lediglich in einem Aspekt von den übrigen Kon- zeptualisierungen ab: Während Falter (2000), Brähler/ Niedermayer (2002) und Decker/ Brähler (2005, 2006) bereits von rechtsextrem-affinen Nationalismus sprechen, wenn ein „starkes Nationalgefühl“ (Decker/ Brähler 2006, S. 36) vorhanden ist, taucht dieses - nicht angemessene[96] - Item zur Messung von entsprechend rechtsextremen Nationalismus bei Stöss und Niedermayer (1998) nicht auf. Darüber hinaus sehen beide - wieder im Einklang mit den übrigen Studien - im Autoritarismus (individuell bzw. staatlich; siehe Abschnitt 2.1), in Fremdenfeindlichkeit (eingeteilt in drei unterschiedliche Varianten; siehe Abschnitt 2.1), im Antisemitismus und in pronazistischen Einstellungen die weiteren Kernelemente rechtsextremer Orientierungen.
- Brähler und Niedermayer (1998) und Decker und Brähler (2005, 2006) beurteilen folgende sechs Bestandteile als zentral für rechtsextreme Einstellungsmuster: Affinität zu (rechtsgerichteten) diktatorischen Regierungsformen, chauvinistische - d.h. nationalistische - Orientierungen, Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Sozialdarwinismus (Unterscheidung in wertvolles und unwertes Leben, Recht des Stärkeren, „natürliche“ Überlegenheit des deutschen Volkes; dieser Aspekt ist bei Falter 2000 und Stöss/ Niedermayer 1998 nicht herausgearbeitet).
Eine Konzeption, die inhaltlich von den bisherigen eher abweicht, ist der Entwurf rechtsextremer Orientierungen als „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“[97] von Heitmeyer (2006).[98]
- Im Laufe der Zeit hat Heitmeyer das Syndrom schrittweise erweitert bzw. ausdifferenziert. Während er 1994 und 2002 von insgesamt sechs „Syndromvarianten“ (Heitmeyer 1994a, S. 31) spricht, listet er 2006 neun Elemente auf. Immer thematisiert werden Rassismus (biologisch verstanden; siehe Abschnitt 2.1), Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit (sozioökonomisch, vgl. Heitmeyer 2002; oder sozioökonomisch und kulturell verstanden, vgl. Heitmeyer 2006) und Etabliertenvorrechte (Reklamation von mehr Rechten für die Alteingesessenen). Ersetzt wurde der Aspekt des Ethnozentrismus (Reklamation kultureller bzw. ökonomischer Höherwertigkeit) von 1994 und 2002 durch die beiden neuen Aspekte, 2006, Islamophobie (Ablehnung von Muslimen) und Sexismus (Demonstration der Überlegenheit des Mannes und fixierte Rollenzuweisung gegenüber der Frau). Ausdifferenziert wurde das Element Heterophobie (Abwertung von ethnisch gleichen Abweichlern auf Basis absolutistischer Normvorstellungen) von 1994 und 2002 in die drei Elemente, 2006, Abwertung von Obdachlosen, Homophobie (Abwertung von Homosexuellen) und Abwertung von Behinderten (vgl. insgesamt Heitmeyer 1994a, 2002, 2006).[99]
Zusammen mit den Erkenntnissen aus Abschnitt 2.1 kann eine rechtsextreme Einstellung jetzt also als Syndrom verstanden werden, dass sich (mehr oder weniger) durch folgende Ideo- logeme bzw. Einstellungselemente auszeichnet: Antipluralismus, Ablehnung der Demokratie,[100] staatsautoritäres bzw. kollektivistisches Denken, relativierende bzw. positive Haltung dem historischen Nationalsozialismus gegenüber, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, (extremer) Nationalismus, Sozialdarwinismus, Wohlstandschauvinismus (sozioökonomisch motivierte Fremdenfeindlichkeit laut Stöss/ Niedermayer 1998; siehe auch Abschnitt 3.2), absolutistisches Normverständnis, inhumane Haltung,[101] ausgeprägtes in- group-outgroup-Denken und eine gewisse Irrationalität. Wie bereits erwähnt, ist hierbei jedoch zu beachten, dass diese Elemente zwar Indikatoren für rechtsextreme Mentalitäten darstellen können, diese aber nicht zwangsläufig alle individuell repräsentiert sein müssen (rechtsextreme Einstellungen als Syndrom; vgl. Aschwanden 1995, BMFSFJ 2006, Merten/ Otto 1993); und dass ein wissenschaftlich weit anerkannter Maßstab fehlt, um beurteilen zu können, wann eine rechtsextreme Einstellung konkret vorliegt (vgl. Backes 2003b, Decker/ Brähler 2006, Oepke 2005, Winkler 2000).
2.3 Rechtsextremismus und rechtsextreme Einstellungen als aktuelles Problem
Rechtsextremismus ist ein „theoretischer Begriff“ (Winkler 2000, S. 40) für real existierende Phänomene. Dabei ist die Extension des Begriffs sehr umfangreich (vgl. ebd.). Rechtsextremismus kann sich beziehen auf Herrschaftssysteme wie den historischen Nationalsozialismus, rechtsextrem orientierte Cliquen und Wahlparteien, entsprechend motivierte Verhaltensweisen wie z.B. Wahlverhalten, Mitgliedschaften und Straftaten oder rechtsextreme Einstellungen (vgl. Decker/ Brähler 2005, Stöss/ Niedermayer 1998, Winkler 2000). Zu beachten ist hierbei, dass ebenso wie rechtsextreme Orientierungen individuell unterschiedlich ausgeprägt sein können, das Wahlverhalten (vgl. Arzheimer/ Schoen/ Falter 2000) oder Straftaten (vgl. Willems 2002) unterschiedlich motiviert sein können, und auch organisatorisch keine Einheit im Rechtsextremismus vorhanden ist (vgl. Pfahl-Traughber 2000, 2002).[102] Es existiert eine „Vielfalt der Phänomene“ (Backes 2003b, S. 52), auch innerhalb der einzelnen Objektbereiche des Rechtsextremismus. Aktualität nachzuweisen, kann also auf unterschiedliche Art und Weise geschehen (vgl. Farin 2001, Melzer/ Schubarth 1995). Bevor aktuelle Studien zur Verbreitung rechtsextremer Einstellungen thematisiert werden, soll zunächst die aktuelle Problematik von Rechtsextremismus anhand der zahlenmäßigen Entwicklung entsprechend motivierter Straftaten, des Personenpotentials des (organisierten)
Rechtsextremismus und der Wahlerfolge rechtsextremistischer Wahlparteien verdeutlicht werden[103], denn eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem „oft überschätzen Phänomen“ (Backes 2003a, S. 8) ist zwingend erforderlich (vgl. ebd.).[104]
Grundsätzlich kann Rechtsextremismus als „gängiger Bestandteil moderner (demokratischer; d.V.) Gesellschaften“ (Stöss 2000a, S. 101, vgl. auch Jesse 2005) interpretiert werden,[105] denn Demokratien gründen sich auf der „polit. (politischen; d.V.) Gleichheit aller“ (Schultze 2001, S. 51).[106] Pluralismus der Interessen und eine rege Streitkultur sind Grundcharakteristika einer funktionierenden Demokratie (vgl. ebd.). Für eine freiheitlich-demokratische - auf dem „Prinzip der Volkssouveränität“ (ebd.) gründende - Gesellschaft gefährlich wird Rechtsextremismus jedoch, wenn „rechtsextreme Einstellungen durch alle gesellschaftlichen Gruppen (...) gleichermaßen hoch vertreten werden“ (Decker/ Brähler 2006, S. 55; Hervorheb. d.V.), und sich zumindest einzelne Aspekte des Syndroms (siehe Abschnitt 2.2) innerhalb der Bevöl- kerungsmeinung normalisieren (vgl. Heitmeyer 2006).[107]
Rechtsextremistische Straftaten
Neben Wahlerfolgen rechtsextremistischer Parteien gilt insbesondere entsprechend motivierten Straftaten (v.a. Gewalttaten) die politische und mediale Aufmerksamkeit (vgl. Kleinert/ de Rijke 2000)[108]. Zunächst sollen öffentliche Zahlen des Bundesverfassungsschutzes - genauer die des Bundeskriminalamtes in den Berichten des Bundesverfassungsschutzes - für die Jahre 2001 bis 2005 die Entwicklung im Bereich rechtsextremistischer Straftaten aufzeigen.
Der Entschluss, insbesondere nur den aktuellen 5-jährigen Trend darzustellen, ist begründet in der Umstellung der statistischen Erfassung der Straftaten. Seit 2001 basieren die Zahlen auf dem Kriminalpolizeilichen Meldedienst-Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK). Ein Vergleich mit früheren Daten ist nicht unmittelbar möglich, da diese Statistiken von anderen
Erhebungsgrundlagen ausgehen als die vorherigen Staatsschutzstatistiken (vgl. Willems 2002).[109]
Als politisch motiviert gilt eine Tat, sofern sie sich „gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes bzw. ihres gesellschaftlichen Status richtet“ (BMI 2006, S. 21). Zusätzlich extremistisch wird diese Tat dann, wenn sie darauf abzielt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Bei der politisch motivierten Kriminalität sowie ihrer Untermenge extremistischer Straftaten unterscheidet der Bundesverfassungsschutz zwischen Rechts, Links und Ausländerkriminalität (vgl. ebd.). Bei der nun folgenden Trenddarstellung wird sich auf jene „politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund“ (ebd., S. 33) beschränkt.
Wie auch in den Jahren zuvor (vgl. Willems 2002) handelt es sich bei den Straftaten v.a. um Propagandadelikte (§§ 86, 86a StGB) und - allerdings weitaus weniger häufig - Volksverhetzung (§ 130 StGB) und Gewalttaten (überwiegend Körperverletzung). Die totale Anzahl der Straftaten hat dabei von 2001 bis 2004 kontinuierlich zugenommen (von 10.054 auf 12.051), um im Jahre 2005 exponentiell anzusteigen (15.361)[110]. Nach den häufigsten Straftatenarten differenziert zeigt sich jedoch ein etwas anderes Bild. Während die Zahl der Propagandadelikte von 6.336 (2001) auf 10.881 (2005) kontinuierlich anstieg, blieb die Zahl der Straftaten wegen Volksverhetzung relativ konstant (2001: 2.121, 2005: 2.277), die Zahl der Gewalttaten - und mit ihr die Zahl der Körperverletzungen - veränderte sich zwischen 2001 bis 2004 ebenfalls kaum (ca. 750 Gewalttaten, davon ca. 650 Körperverletzungen), um dann dramatisch im Jahre 2005 anzusteigen (958 Gewaltaten, davon 816 Körperverletzungen) (vgl. BMI 2002 - 2006).
Ausgehend von dieser zahlenmäßigen Entwicklung der Straftaten (laut Bundesverfassungsschutz) ist also durchaus von einem akuten strafrechtlich relevanten Rechtsextremismusproblem zu sprechen. Allerdings mahnen beispielsweise Farin (2001) und der elfte Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2002) zur Vorsicht bei der Interpretation solcher öffentlichen Zahlen (s.u.). Neben vielen anderen Problemen (vgl. dazu z.B. Kleffner/ Holzberger 2004, Willems 2002) haben Statistiken (wie auch die KPMD-PMK), die sich auf Straftaten statt auf Tatverdächtige (bzw. Verurteilte) beziehen, allgemein das Problem, dass die Ergebnisse insofern ein verzerrtes Bild über die Wirklichkeit wiedergeben könnten, als dass einzelne Täter für mehrere Delikte verantwortlich sein könnten (vgl. Willems 2002). Willems merkt außerdem an, dass das Verständnis politisch motivierter Kriminalität vom Verfassungsschutz weit gefasst wird, d.h. auch Straftaten als solche einschätzt, die nicht dezidiert auf einer politischen Ideologie basieren, sondern durch die entsprechenden Kontrollorgane erst als politisch definiert werden (vgl. ebd.). Zudem ermittelt der Verfassungsschutz nicht erst bei manifesten Straftaten. Der Bundesverfassungsschutzbericht von 2005 (BMI 2006) spricht hier von einer „Vorverlagerung des Verfassungsschutzes“ (ebd., S. 24) als einem Merkmal der „wehrhaften und abwehrbereiten Demokratie“ (ebd.). Bei aller Vorsicht gegenüber der zahlenmäßigen Höhe der Straftaten ist allerdings zu berücksichtigen, dass - wie bei (registrierten) Straftaten allgemein - erstens, Kriminalität eine „Verletzung einer Norm (darstellt; d.V.), die (bereits; d.V.) Eingang in ein Strafgesetz gefunden hat und durch staatliche Macht und Autorität abgesichert ist“ (Sack/ Lindenberg 2001, S. 197),[111] und zweitens, dass die hier aufgeführten Zahlen nur die registrierte Kriminalität verdeutlichen; sie also eine Beschränkung darstellen könnten, da die Dunkelziffer als höher liegend eingeschätzt werden kann (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2000)[112]. Gleichzeitig kann der Anstieg der registrierten rechtsextremistischen Straftaten aber auch (lediglich) ein Indiz einer verbesserten Dunkelfeldaufhellung sein (vgl. Farin 2001, Willems 2002).[113]
Differenziert nach dem rechtsextremistischen Personenkreis[114] sind entsprechend orientierte Skinheads für das Gros der Gewalttaten verantwortlich. Bei den Neonazis gibt es ebenfalls „ernstzunehmende Potentiale an Gewalttätern und gewaltbereiten Rechtsextremisten“ (Willems 2002, S. 144), allerdings spielen hier v.a. politische Agitationsformen und entsprechende Aktionen, weniger direkte Gewalttaten eine Rolle. Insgesamt wird die Mehrzahl der politische motivierten Kriminalität von rechtsextremistischen Skinheads und Neonazis verübt. Die rechtsextremistischen Parteien bemühen sich dagegen eher, strafbare Handlungen zu vermeiden, und beteiligen sich dagegen eher an Wahlen und Kampagnen u.a. zu Themen wie Einwanderung und Asyl, die insbesondere für Unterstützung und Akzeptanz außerhalb der (organisierten) rechtsextremen Szene sorgen sollen (vgl. ebd.).
Inwieweit hat sich innerhalb des organisierten Rechtsextremismus die Anzahl der Personen und Personenzusammenschlüsse im Zeitverlauf verändert?
Personenpotential[115] des organisierten Rechtsextremismus
Nach einem Hoch im Zuge der Wiedervereinigung ist die Gesamtzahl der organisierten rechtsextremen Personen (siehe Fußnote 114) seitdem kontinuierlich zurückgegangen (vgl. Pfahl-Traughber 2000). Dieser Trend scheint auch aktuell weiterhin fortzubestehen (vgl. BMI 2006).
Der Rückgang liegt aber v.a. an der massiven Austrittswelle bei den beiden mitgliederstärksten rechtsextremistischen Parteien, der DVU (Deutsche Volksunion) und den REP (die Republikaner) (vgl. Pfahl-Traughber 2000, 2002); die auch heute noch ein Gros des Gesamtpersonenpotentials in sich vereinen (vgl. BMI 2006). Seit ihrem Wahlniedergang Ende der sechziger Jahre (s.u.) und dem damit verbundenen Schwund der Mitglieder fristete die NPD auch personell (und parteipolitisch) ein Schattendasein (vgl. Pfahl-Traughber 2000). Erst Mitte der neunziger Jahre stieg die Anzahl ihrer Mitglieder kontinuierlich an (zusammen mit ihrer politischen Bedeutung im rechtsextremistischen Parteienlager) (vgl. Pfahl-Traughber 2002), um nach 2001 erneut zu sinken. Seit 2004 ist jedoch ein erneuter Anstieg zu verzeichnen (vgl.
BMI 2002 - 2006). Die NPD stellt somit einen Sonderfall der drei großen[116] rechtsextremistischen Parteien DVU, REP, NPD dar. Denn während die DVU und die REP tatsächlich erhebliche Mitgliederverluste seit Mitte der neunziger Jahre zu verzeichnen haben (vgl. BMI 2002 - 2006, Pfahl-Traughber 2002), sinken die Zahlen der in der NPD organisierten Personen, um kurze Zeit später wieder anzusteigen (s.o.). Die gesamten neunziger Jahre über waren die Mitgliederzahlen der DVU und REP wesentlich höher als die der NPD (vgl. Pfahl- Traughber 2000, 2002). Das scheint sich aktuell zu ändern. Der Bundesverfassungsschutz berichtet von 9.000 Mitgliedern der DVU, 6.500 der REP, aber auch 6.000 der NPD (vgl. BMI 2006).
Die Entwicklung der Personenzahl (organisierter) Neonazis verläuft entgegen diesem Gesamttrend stagnierend (vgl. Pfahl-Traughber 2002) bzw. seit Ende der neunziger Jahre sogar kontinuierlich steigend (vgl. BMI 2002 - 2006). Noch Ende der achtziger Jahre sank deren Anzahl von 2.100 (1987) auf 1.500 (1989), um im Zuge der Wiedervereinigung einen kurzen Aufschwung zu erleben (1991: 2.100 Mitglieder) (vgl. Pfahl-Traughber 2002). Und seit 1999 ist ein Anstieg von 2.200 Personen auf 4.100 (2005) zu verzeichnen (vgl. BMI 2002 - 2006). Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl der seit 1994 gegründeten Kameradschaften deutlich von 80 (1998) auf 150 (2001) bzw. 160 (seit 2002) (vgl. BMI 2002 - 2006, Pfahl-Traughber 2002); wobei nicht alle der Kameradschaften - nur etwa die Hälfte - nach Einschätzung des Bundesverfassungsschutzes „ein gewisses Maß an Organisierung aufweisen“ (BMI 2006, S. 55).
Ähnlich sieht die Entwicklung bei den „subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten“ (BMI 2006, S. 55)[117] aus. Deren Anzahl (überwiegend rechtsextremistische Skinheads) stieg von 4.200 (1991) auf 6.200 (1995), um 2001 mit 10.400 registrierten Personen ein vorläufiges Hoch zu erreichen, das seitdem stagniert (vgl. BMI 2002 - 2006, Pfahl-Traughber 2002).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass auch die Entwicklung dieses zweiten Bereichs des Rechtsextremismus durchaus nahe legt, von einem aktuellen organisierten Rechtsextremismusproblem zu sprechen. Aber wie bereits bei der Darstellung rechtsextremistischer Straftaten erläutert (s.o.), ist auch hier Vorsicht bei der Interpretation der Zahlen geboten. Zumindest theoretisch besteht die Möglichkeit, dass die steigende Zahl (bestimmter) Personengruppen u.a. auch der jährlich genaueren Erfassung geschuldet ist (vgl. Farin 2001, Willems 2002); wobei gleichzeitig zu beachten ist, dass eine (erhebliche) Diskrepanz zwischen Hell- und Dunkelfeldziffer bestehen kann. Nach Farin (2001) stehen zudem die Statistiken des (Bundes)Verfassungsschutzes unter dem Verdacht, keine objektiven Expertisen zu sein. Als öffentliche Organisation sei der Verfassungsschutz abhängig von den politischen Vorgaben der jeweiligen Regierung und habe ein Eigeninteresse daran, stetig neue - möglichst steigende - Zahlen zu vermelden, um die eigenen Arbeitsplätze zu sichern. Als Beispiel gibt Farin den Bundesverfassungsschutzbericht von 1991 an, in dem erstmals die Subkultur rechtsextremistischer Skinheads erfasst wurde; in einer Situation, als von politischer Seite zunehmend eine finanzielle und personale Ausdünnung des Verfassungsschutzes gefordert wurde (vgl. ebd.). Gleichzeitig merkt Heitmeyer (1994a) aber an, dass der Rückgang der Mitglieder rechtsextremistischer Parteien nicht beruhigen kann, da ebenso in
[...]
[1] Die folgende Arbeit ist - in leicht veränderter Form - auch gleichzeitig die akademische Abschlussarbeit des Verfassers.
[2] Die Untersuchung bezieht sich in ihren Aussagen primär auf Deutschland. Rechtsextreme Einstellungen sind allerdings auch international verbreitet (vgl. Arzheimer/ Schoen/ Falter 2000, Gabriel 1996, Kleinert/ de Rijke 2000, Oepke 2005, Winkler/ Jaschke/ Falter 1996).
[3] Zur Kennzeichnung rechtsextremer Einstellungen als ein Syndrom mehrerer Einzelorientierungen siehe Abschnitt 2.2.
[4] Die SINUS-Studie - die erste umfassende wissenschaftliche Untersuchung zur Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in der damaligen Bundesrepublik (vgl. Stöss 2000b) - konstatierte bereits 1981, dass „13 % aller Wähler in der Bundesrepublik (..) über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild (verfügen; d.V.)“ (SINUS 1981, S. 78).
[5] Zwölf Jahre zuvor sprach Heitmeyer (1994a) „nur“ von einer „Normalisierung“ (ebd., S. 33). Das Problem scheint sich seiner Meinung nach also vermutlich verschärft zu haben. Zur Verbreitung rechtsextremer Einstellungen im Zeitverlauf siehe Abschnitt 2.3.
[6] Dissens besteht jedoch hinsichtlich der Aufschlüsselung und Gewichtung der unterschiedlichen Einflussfaktoren (vgl. Schroeder 2004). Zu populären Ursachevermutungen rechtsextremer Einstellungen siehe Kapitel 3.
[7] Eine aktuelle Studie von Decker und Brähler (2005) verdeutlicht jedoch, dass zwar ein höherer formaler Bildungsabschluss nach wie vor relativ selten mit einer rechtsextremen Einstellung einhergeht, der Abstand zwischen den unterschiedlichen Bildungsgraden sich jedoch „deutlich verringert“ (ebd., S. 16) hat, und eine „Zunahme rechtsextremer Einstellung in der Gruppe mit höherem Bildungsabschluss (..) deutlich“ (ebd.) ist.
[8] Neben der Soziologie beschäftigen sich vor allem auch die Psychologie, die Politik-, die Geschichts- und die Erziehungswissenschaft mit Rechtsextremismus (vgl. Decker/ Brähler 2005, Winkler 2000).
[9] Decker und Brähler (2006) gehen - unter Berufung auf die Autoritarismusforschung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung - von einer bereits 70 Jahre währenden Forschungstradition aus. Allerdings sehen auch sie einen „noch deutlicheren Anstieg der Forschungsaktivitäten“ (ebd., S. 9) seit 1990. Butterwegge (2000) spricht davon, dass bis Anfang der neunziger Jahre Rechtsextremismus überwiegend als „politisch-ideologische Erblast“ und „Restphänomen“ (ebd., S. 17) galt, das sich biologisch von selbst erledigen würde.
[10] Rechtsextremismus ist lediglich ein „theoretischer Begriff“ (Winkler 2000, S. 40). Den Rechtsextremismus gibt es nicht. Hiermit bezeichnet werden manifeste Tatbestände, die sich auf bestimmte Ideologeme berufen: Herrschaftssysteme (z.B. der historische Nationalsozialismus), Gruppierungen (z.B. Cliquen entsprechend orientierter Skinheads, Kameradschaften, Wahlparteien), Verhaltensweisen (z.B. Wählen von oder Mitgliedschaft in entsprechend orientierten Gruppen) oder eben Einstellungen (vgl. Decker/ Brähler 2005, Stöss/ Niedermayer 1998, Winkler 2000).
[11] Negativ soll heißen, dass mit steigendem formalen Bildungsgrad die Wahrscheinlichkeit individuell vorhandener rechtsextremer Einstellungen sinkt.
[12] Zum eigenen Begriffsverständnis von Bildung siehe Abschnitt 4.4.
[13] Thema der Arbeit sind rechtsextreme Einstellungen, nicht Rechtsextremismus generell. Die Extension des Rechtsextremismusbegriffs ist sehr umfangreich. Einstellungen sind nur ein Objekt, das hiermit bezeichnet werden kann (siehe Fußnote 10). Die Intension - diejenigen Eigenschaften, die bei allen Objekten gleichermaßen vorhanden sind - ist jedoch notwendigerweise bei beiden Begriffen identisch (vgl. Winkler 2000). Insofern können inhaltlich-ideologische Merkmale des Rechtsextremismusbegriffs auch zur Charakterisierung entsprechender Einstellungen verwandt werden.
[14] Beispielsweise wird eine Ursache darin vermutet, dass der formale Bildungsgrad gleichzeitig Ausdruck des (antizipierten) sozialen Status ist (siehe Abschnitt 5.2). Hier greifen dann Erklärungsansätze, die eine wesentliche Ursache rechtsextremer Einstellungen in (antizipierten) Deprivationserfahrungen sehen (siehe Abschnitt 3.2). Das hat dann aber nichts mehr mit den hier interessanten Bildungsinhalten zu tun.
[15] Allerdings liefert die Beantwortung der ersten Fragestellung möglicherweise auch Anhaltspunkte für neue Mediatorvariablen (siehe Abschnitt 1.1), die helfen können, den Effekt formaler Bildung weiter aufzuklären.
[16] Überlegungen zur Bildung gab es freilich auch schon vor dem Anbruch der Moderne (siehe Abschnitt 4.1).
[17] Tugenden sind „praktische Verhaltensweisen und Mittel, mit deren Hilfe man sich der Werte versichert“ (Gudjons 1999, S. 192).
[18] Brezinka, Wolfgang (1995): Gewalt, Staat und Erziehung. In: Pädagogische Rundschau. 1995, Heft 1. S. 10f. Zit. nach Butterwegge/ Häusler (2002, S. 235).
[19] Humanistisch soll in der Tradition von Seneca als „homo res sacra homini“, „der Mensch sei dem Menschen heilig“ (Reble 1999, S. 42) verstanden werden; also quasi Mitgefühl nicht nur dem Freund, dem Deutschen, dem Europäer etc., sondern universell allen Menschen gegenüber.
[20] Eine ausführliche Darstellung der einzelnen Elemente des rechtsextremen Einstellungssyndroms erfolgt in Abschnitt 2.2. Ebenso wird im zweiten Kapitel erläutert, was unter den einzelnen Orientierungen zu verstehen ist. Das der Untersuchung zugrundeliegende eigene Begriffsverständnis rechtsextremer Einstellungen ist Thema von Abschnitt 2.4.
[21] Zum Bildungsbegriff siehe Abschnitt 4.4.
[22] Wobei die Persönlichkeit nicht ein für allemal feststeht, sondern die Persönlichkeitsentwicklung (Sozialisation; siehe Abschnitt 4.3) lebenslang abläuft (vgl. Geulen 2001, Gudjons 1999, Hurrelmann 2002, Tillmann 1989, Ders. 2004).
[23] Rechtsextreme Einstellungen werden hier als Syndrom verschiedener einzelner Orientierungen verstanden (siehe Abschnitt 2.4).
[24] Bildung ist nicht gleichbedeutend mit Information, aber Information kann als notwendige Ausgangsbasis von Bildung verstanden werden, insofern Bildung die „Aneignung von Welt (bedeutet; d.V.) und darin die Ausprägung einer je eigenen Lebensgestalt.“ (Thiersch 2006, S. 22)
[25] Bildung meint nach heutigem Verständnis sowohl einen Prozess wie dessen Ergebnis (vgl. Winkler 2001, Ehrenspeck 2004).
[26] Von Bildungsaspekten wird dann gesprochen, wenn Bildungsinhalte und/ oder sozialpsychologische Grundfähigkeiten gemeint sind (siehe Arbeitsmodell, Abschnitt 5.3).
[27] Bei den Ausführungen zu Fragestellung 2 wurde bereits angedeutet, dass Autonomie nicht zwangsläufig das Bildungsziel sein muss, sondern ebenso Heteronomie - nicht nur theoretisch - denkbar ist.
[28] Es geht hier nicht darum, die vielfältigen Ursachen rechtsextremer Einstellungen aufzuzählen (siehe hierzu Kapitel 3), insofern sie mittelbar das Immunisierungspotential von Bildung beeinflussen können, sondern um Faktoren, die den immunisierenden Bildungseffekt mehr oder weniger direkt befördern oder aber behindern können, wobei insbesondere die primären Beziehungserfahrungen (Abschnitt 3.1) sowie die politische Kultur (Abschnitt 3.3) eben nicht nur als Ursache für rechtsextreme Einstellungen verstanden werden können, sondern auch für das Immunisierungspotential von Bildung direkt von Bedeutung sind (siehe Kapitel 5).
[29] Im folgenden wird von Untersuchung dann gesprochen, wenn das Forschungsvorhaben der gesamten Arbeit, von Studie, wenn der empirische Teil der Arbeit - die Leitfadeninterviews - gemeint ist.
[30] Sind Nomen nicht geschlechtsneutral, beziehen sie sich aber nicht nur auf Personen weiblichen Geschlechts, so wird vereinfachend nur jeweils die maskuline Form in der Arbeit verwandt.
[31] Das schließt aber nicht aus, dass nicht auch eine (latent vorhandene) rechtsextreme Einstellung bzw. entsprechende Einzelorientierungen (rechtsextreme Einstellung als Syndrom; siehe Abschnitt 2.2) Einfluss auf die indivudelle Bildung ausüben können (siehe Anmerkungen im Zusammenhang mit Fragestellung 4 der Arbeit, Abschnitt 1.2).
[32] Wird davon ausgegangen, dass institutionalisierte Bildung (formale Schulbildung) neben der Statuszuweisung etc. auch der genuinen Bildungsvermittlung dient, die Bildungsvermittlung aufgrund struktureller, inhaltlicher oder individueller Ursachen je Bildungsgang qualitativ verschieden ist, und unterschiedlich wahrscheinliche Affinitäten zu rechtsextremen Ideologemen je Schulform nicht nur auf je unterschiedliche familiale Hintergründe verweisen, können auch die verschiedenen empirischen Untersuchungen zur Verbreitung rechtsextremer Einstellungen, die einen Bildungseffekt festgestellt haben, als Indiz für das Einflusspotential von Bildung an sich auf die Entstehung einer rechtsextremen Einstellung herangezogen werden (vgl. z.B. Brähler/ Niedermayer 2002, Decker/ Brähler 2005, Dies. 2006, Falter 2000, SINUS 1981; siehe Abschnitt 5.1). Deren aufgezeigter negativer Zusammenhang ist hierbei allerdings irrelevant. Entscheidend ist, dass beide Größen miteinander korrelieren.
[33] Eine ausführliche Darstellung des Bildungsbegriffs erfolgt im Kapitel 4, das mit dem eigenen, der Untersuchung zugrundegelegten Bildungsverständnis abschließt (siehe Abschnitt 4.4).
[34] Die Art des Bildungseinflusses auf die Entstehung rechtsextremer Einstellungen wird im Rahmen des Arbeitsmodells thematisiert (siehe Abschnitt 5.3).
[35] Als genuine Ursachen sollen jene verstanden werden, die in Kapitel 3 dargestellt werden; insbesondere die primäre Beziehungserfahrung, Deprivation, Desintegration und die politische Kultur.
[36] In Ahnlehnung an Mertens These, dass „Erziehung (..) lediglich eine intervenierende Variable, aber keinesfalls die unabhängige Variable im Entstehungsprozess von Rechtsextremismus oder -radikalismus ist“ (ebd. 1993, S. 140; Hervorheb. im Orig.), soll Bildung ebenso nur als intervenierende, nicht unabhängige Variable verstanden werden.
[37] Die Merkmale des Rechtsextremismusbegriffs können auch zur Charakterisierung rechtsextremer Einstellungen verwandt werden, insofern die Intension des Oberbegriffs Rechtsextremismus identisch ist mit der entsprechender Einstellungen (siehe Fußnote 13).
[38] Als roter Faden der Arbeit dienen die als Zwischenfazit bezeichneten Abschnitte. Sie stellen den jeweiligen Untersuchungsfortschritt dar und zeigen die besonders relevanten Informationen für die Beantwortung der vier Forschungsfragen zusammenfassend auf.
[39] Die ersten, im Abschnitt 5.1 bzw. 5.2 aufgezeigten - theoretischen - Untersuchungsergebnisse lassen zudem vermuten, dass insbesondere die primäre Beziehungserfahrung sowie die politische Kultur auch entscheidende Einflussgrößen für das Immunisierungspotential von Bildung darstellen.
[40] In diesen Studien wird nicht der Effekt von Bildung an sich gemessen, sondern von formaler Schulbildung.
[41] Also nicht nur den familialen Hintergrund bzw. den (antizipierten) sozialen Status, sondern auch kognitive Kompetenz sowie die Fähigkeit zu Empathie bzw. Perspektivenübernahme sowie zur Kooperation (vgl. Heyder 2003, Hopf 1999, Rippl 2002). Diese Qualitäten stellen allerdings noch keine konkreten immunisierenden Bildungsinhalte dar, sondern vielmehr sozialpsychologische Grundfähigkeiten. Erst beide zusammen werden in der Arbeit als Bildung verstanden (siehe hierzu das Arbeitsmodell, Abschnitt 5.3).
[42] Es wird mit dem Rechextremismusbegriff begonnen, nicht mit dem der rechtsextremen Einstellung; dem eigentlichen Thema der Untersuchung. Um entsprechende Einstellungen charakterisieren zu können, muss erst einmal geklärt werden, was Rechtsextremismus bedeutet. Die Extension des Rechtsextremismusbegriffs ist sehr umfangreich. Einstellungen sind nur ein Objektbereich (vgl. Winkler 2000). Da aber die Intension des Oberbegriffs Rechtsextremismus notwendigerweise mit der entsprechender Einstellungen identisch ist (vgl. ebd.), können Aussagen zu ideologischen Merkmalen von Rechtsextremismus auch zur Charakterisierung rechtsextremer Einstellungen verwandt werden.
[43] Gegenstand der Soziologie als Wissenschaft sind konkrete soziale Phänomene (vgl. Esser 1999).
[44] Rechtsextremismus bzw. entsprechende Einstellungen existieren nicht an sich. Sie werden als solche stets sozial definiert (vgl. Lynen von Berg 2002). Der „deskriptive“ (Opp 1999, S. 103) Begriff bezieht sich zwar auf Merkmale realer Objekte, seine konkrete Bedeutung erhält er aber erst per Definition. Diese stellt eine „Konvention über die Verwendung von sprachlichen Ausdrücken“ (ebd., S. 104) dar und hat somit zunächst nichts mit der Realität zu tun (vgl. ebd.).
[45] Durch die Abgrenzung wird aber zugleich auch die vorläufige Rechtsextremismusdefinition von Jaschke weiter konkretisiert.
[46] Die folgenden Begriffe stellen (teilweise) Ideologiebestandteile des Rechtsextremismus dar (siehe Abschnitt 2.2).
[47] Wegen der verschiedenen gesellschaftspolitischen und/ oder methodologischen Ausgangspunkte hält Backes (2003b) einen Konsens über die begrifflichen Fixierungen innerhalb der Rechtsextremismusforschung für „wohl kaum jemals“ (ebd., S. 15) möglich.
[48] Eine Abgrenzung ist für die Untersuchung notwendig, denn die Verwendung verschiedener Begriffe zur Kennzeichnung gleicher Sachverhalte ist einem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt abträglich (vgl. Winkler 2000). Begriffe dienen der (wissenschaftlichen) Verständigung (vgl. Opp 1999).
[49] Nach Backes (2003b) sind die beiden Begriffe des Rechtsextremismus und der „extremen Rechten“ (ebd., S. 16) die international geläufigsten.
[50] Inwieweit Rechtsextremismus bzw. rechtsextreme Einstellungen ein „Randproblem oder Phänomen der Mitte“ (Butterwegge/ Häusler 2002) sind, wird am Ende von Abschnitt 2.3 kurz diskutiert.
[51] Zum Extremismusbegriff siehe Abschnitt 2.2.
[52] Aschwanden (1995) hingegen sieht den „Reichs-Mythos“ (ebd., S. 24) durchaus auch als ein Ideologem des aktuellen Rechtsextremismus (siehe Abschnitt 2.2).
[53] Aspekte des Rechtsextremismus, die versuchen, den Nationalsozialismus zu verharmlosen oder zu rechtfertigen (vgl. Stöss 2000b).
[54] Diskriminierende Einstellung ethnisch fremden Personen gegenüber. Ihnen soll die Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand verwehrt bleiben (vgl. Stöss 2000b).
[55] Erb (2003) spricht deshalb auch davon, dass entsprechende Ideologeme sich tagespolitisch aktualisiert haben.
[56] Zu primären Ideologemen des Rechtsextremismus und Bestandteilen rechtsextremer Einstellungen als Syndrom siehe den nächsten Abschnitt 2.2.
[57] Eine Ausnahme stellt der Nationalsozialismus insofern dar, als dass er - wenn auch nicht in so absoluter Form - durchaus als Kernideologem des Rechtsextremismus verstanden werden kann (siehe Abschnitt 2.2).
[58] Durch Klärung dieser Begriffe werden gleichzeitig auch Merkmale rechtsextremer Einstellungen dargestellt. Denn ebenso wie die Intension des Rechtsextremismusbegriffs notwendigerweise dem entsprechender Einstellungen entspricht (siehe Fußnote 13 und 37), kann davon ausgegangen werden, dass die Intension von Fremdenfeindlichkeit etc. mit der fremdenfeindlicher Einstellungen etc. identisch ist.
[59] Zu weiteren damit häufig einhergehenden Persönlichkeitseigenschaften (vgl. Adorno 1996) siehe Abschnitt 3.1.
[60] Zwar bemüht Adorno (1996) selbst nicht den Begriff des Rechtsextremismus, in aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten werden die Ergebnisse der Studien zur „Authoritarian Personality“ (von Friedeburg 1973, S. X) aber immer wieder als mögliche individuelle Ursache für rechtsextreme Einstellungen bemüht (vgl. z.B. bei Hopf 2001, Stöss 2005, Winkler 1996, Ders. 2000).
[61] Decker und Brähler (2006) weisen zwar darauf hin, dass Autoritarismus eine Persönlichkeitsstruktur darstellt und keine rechtsextreme Einstellung, sondern deren Ursache (siehe Abschnitt 3.1), gleichzeitig können sie aber empirisch zeigen, dass die (statistisch signifikante) Korrelation zwischen Autoritarismus und rechtsextremer Einstellung mit .51 sehr hoch ist (vgl. ebd., S. 81).
[62] Eine Ausnahme stellt Hopf (1999) dar (siehe weiter unten im Text).
[63] Wenn diese (ideologisch begründete) Abwertung anderer Gruppen fehlt, bedeutet das im Umkehrschluss aber nicht, dass zwangsläufig von einer nicht-rechtsextremen Einstellung auszugehen ist. Denn in neueren, ebenfalls dem Rechtsextremismus zuzurechnenden Überlegungen - insbesondere in den intellektuellen Zirkeln des Rechtsextremismus (vgl. Gessenharter 2002) - wird das Konzept des „Ethnopluralismus“ (ebd., S. 194) proklamiert, das von einem Idealbild einer „Völkervielfalt ethnisch homogener Staaten“ (BMI 2006, S. 310; Hervorheb. d.V.) ausgeht. Pluralismus, aber immer nur zwischen, nicht innerhalb von Kollektiven (vgl. Gessenharter 2002).
[64] Ein Vorurteil ist eine Einstellung, die sich durch negative Gefühle, Annahmen und Verhalten(sbereit- schaften) dem Einstellungsobjekt gegenüber äußert (vgl. Zimbardo/ Gerrig 1999; zum Einstellungsbegriff siehe Abschnitt 2.2).
[65] Neben Nationalismus, Biologismus und Sozialdarwinismus (vgl. Butterwegge 2000).
[66] Aus seinen Ausführungen heraus kann jedoch impliziert werden, dass er damit vor allem eine biologisch bzw. kulturell bedingte generelle Diskriminierung meint (vgl. Butterwegge 2000).
[67] Als Alternative zum Rechtsextremismusbegriff wird Nationalismus - nach Durchsicht der einschlägigen Literatur - von keinem Autor verstanden.
[68] Decker und Brähler (2006) sprechen zwar von „Chauvinismus“ (ebd., S. 36), inhaltlich entspricht es aber dem Nationalismus beispielsweise bei Falter (2000).
[69] Die vorhergehenden Ausführungen sollen aber nicht als unbedingtes unkritisches Plädoyer für das Konstrukt der nationalen Identität verstanden werden. Straub (1999) verweist darauf, dass eine kollektive Identität wie die der Nation streng genommen nicht als solche bezeichnet werden kann. Gemeinsame Merkmale, Werte und Einstellungen sind nicht durch intersubjektive Erfahrung diskursiv entstanden, sondern als für Alle verbindlich (häufig von außen) „inszeniert“, „suggeriert“ oder gar „oktroyiert“ (ebd., S. 99). Diese Praktiken der Inklusion und Exklusion kollektiver „Pseudo-Identitäten“ gehen „fast zwangsläufig“ mit „extrem“ (ebd., S. 100) stereotypen Konstruktionen und Zuschreibungen einher, da sowohl Selbst- als auch Fremdbild „extrem (...) erfahrungsarm oder erfahrungsleer“ (ebd.) sind (vgl. ebd., auch Assmann 1992).
[70] Dass Rechtsextremismus als antidemokratisch verstanden werden kann, darauf wurde bereits durch die Definition von Jaschke (1994) am Anfang dieses Abschnitts hingewiesen (siehe auch Abschnitt 2.2).
[71] Backes (2003b) versteht Rechtsextremismus als eine „Gesamtheit von Ideen“ (vgl. ebd., S. 52). Zum Ideologiebegriff siehe Abschnitt 2.2.
[72] Zur Einschätzung von rechtsextremen Einstellungen als Jugendproblem siehe den Exkurs der Arbeit im Anschluss an Abschnitt 3.5.
[73] Auf das Problem mit dieser Begriffsverwendung wurde bereits zu Anfang von Abschnitt 2.1 hingewiesen.
[74] In Bezug auf „potentiell rechtsextreme Jugendliche“ (Hopf 2001, S. 52).
[75] Der soziologische Rechtsextremismusbegriff versucht hingegen den aktuellen Rechtsextremismus zu beschreiben und ein Begriffsverständnis zu konzipieren, das für empirische Studien handhabbar ist (vgl. Oepke 2005).
[76] Zu unterschiedlichen, kontroversen Begriffsverständnissen des Extremismus siehe Winkler (2000). Er zitiert beispielsweise Stöss, der noch Ende der achtziger Jahre Rechtsextremismus als jene Erscheinungsformen verstand, die die demokratischen Verfassungsprinzipien ablehnen würden (Stöss nach Winkler 2000; zu einem aktuellen Begriffsverständnis von Stöss siehe Abschnitt 2.3). Wenn aber Rechtsextremismus dem Extremismusbegriff subordiniert ist (vgl. Backes 2003b, Jesse 2005, Winkler 2000), wäre interessant zu wissen, was nach Stöss Extremismus meint. Und auch Rechts ist als Begriffsbestandteil von Rechtsextremismus umstritten (vgl. Backes 2003b). Gleichzeitig werden beide Begriffe, Rechts und Rechtsextremismus, teilweise gar (implizit) gleichgesetzt (vgl. z.B. bei Demirovic/ Paul 1996).
[77] Die Grenzen zwischen Demokratie und Extremismus gelten jedoch als fließend (vgl. Jesse 2005).
[78] Dieses Begriffsverständnis entspricht dem der öffentlichen Verfassungsschutzbehörden (vgl. BMI 2006).
[79] Gleichzeitig wird dem soziologischen Begriffsverständnis vorgeworfen, begriffliche Implikationen zu verschleiern, insofern der Begriff Linksextremismus kategorisch abgelehnt wird: „Wer vom Linksextremismus nicht sprechen will, sollte vom Rechtsextremismus schweigen.“ (Backes 2003b, S. 32)
[80] Einen Spagat zwischen beiden Begriffsverständnissen versucht Pfahl-Traughber (2000), indem er Rechtsextremismus zweifach definiert. Erstens als Ablehnung des modernen demokratischen Verfassungsstaates, was jedoch, zweitens, mit spezifischen Ideologieelementen einhergehen muss (Rassismus, extremer Nationalismus, staatlicher Autoritarismus, Fremdenfeindlichkeit im Sinne der Forderung nach Einheitlichkeit der Gesellschaft und Antipluralismus). Aber auch andere Autoren, die sich auf den soziologischen Rechtsextremismusbegriff beziehen, integrieren zumindest den antidemokratischen (nicht zwangsläufig den verfassungsrechtlichen) Aspekt in ihre jeweiligen Konzeptionen (vgl. z.B. bei Decker/ Brähler 2006, Falter 2000, Heitmeyer 1995, Oepke 2005).
[81] Aufgebaut sind Einstellungen aus einer kognitiven, affektiven und konativen Komponente; d.h. sie beruhen als „Produkt“ (Bohner 2002, S. 268; Hervorheb. d.V.) auf kognitiven, affektiven und konativen Prozessen. Gleichzeitig können sie aber auch zu entsprechenden Reaktionen führen (vgl. ebd.). Hierauf wird später im Abschnitt 5.3 Bezug genommen, wenn es darum geht, den Einfluss von Bildung auf die Entstehung rechtsextremer Einstellungen in einem Arbeitsmodell darzustellen.
[82] Zur Problematik Einstellung versus Verhalten siehe Abschnitt 2.3.
[83] Stöss (2000a) nennt als weiteres Charakteristikum noch, dass ein derartiges System die Wirklichkeit „in der Regel“ (ebd., S. 101) einseitig und verzerrt interpretiert. Dem soll sich hier aber nicht angeschlossen werden, da es eine empirische Frage ist, ob dem wirklich so ist und eine neutrale Definition wie die von Adorno et al. (1996) für die Untersuchungszwecke hier völlig genügt; zumal durch Stöss Verständnis „objektive“ Systeme qua Definition ausgeklammert würden; sofern es die Wirklichkeit überhaupt gibt (siehe die methodologischen Prämissen des Konstruktivismus, vgl. Esser 1999).
[84] Die Bedeutung der hier dargestellten Ideologeme wird von Aschwanden (1995) hierarchisch aufgebaut verstanden; die „Primärideologien“ (ebd., S. 19) zuerst. Seine Reihenfolge wird hier übernommen.
[85] Auf die Problematik, die sich mit der Integration von Gewalt in den Rechtsextremismusbegriff ergibt, wurde bereits in Abschnitt 2.1 hingewiesen.
[86] Diese ersten drei Aspekte stellen nach Aschwanden (1995) die „Primärideologien des Rechtsextremismus“ (ebd., S. 19) dar.
[87] Im Abschnitt 2.1 wurde dargelegt, dass sich der Faschismus u.a. durch seine antikapitalistische Haltung gegenüber dem aktuellen Rechtsextremismus unterscheidet. Nach Meinung von Aschwanden (1995) hingegen gehört der Antikapitalismus zwar nicht zu den primären Ideologiebestandteilen (siehe Fußnote 86), aber dennoch zu den „wichtigsten“ (ebd., S. 17) des Rechtsextremismus.
[88] Als Beispiel für die innere Widersprüchligkeit und Irrationalität der Ideologie gibt er an, dass der „deutsche Herrenmensch“ (Stöss 2000a, S. 106) „große Ängste gegenüber Minderheiten (hat; d.V.), die in seinen Augen schwach, primitiv, minderwertig und dekadent sind“ (ebd.).
[89] Sofern Bildung als „rationale Aufklärung“ (Adorno 1966a, S. 103) bzw. als rational begründetes AufgeklärtSein (Bildung meint einen Prozess, wie sein Ergebnis, vgl. Winkler 2000; zum eigenen Bildungsverständnis siehe Abschnitt 4.4) verstanden werden kann, ist zu vermuten, dass hier durchaus immunisierende Einflussmöglichkeiten von Bildung gegen rechtsextreme Ideologeme bestehen. Bereits Adorno erklärt in seiner „Erziehung nach Auschwitz“ (1966a), dass dadurch zwar nicht quasi automatisch unbewusste Mechanismen aufgelöst, aber dennoch Gegeninstanzen im Vorbewusstsein gestärkt werden können. Vorbewusstsein ist dabei als das potentiell bewusste Wissen zu verstehen, das bei entsprechenden Hinweisreizen aus der Umwelt erinnert werden kann (vgl. Zimbardo/ Gerrig 1999).
[90] An dieser Stelle sollen also rechtsextreme Einstellungen beschrieben werden, was dem soziologischen Rechtsextremismusbegriff entspricht.
[91] Auch muss eine entsprechende Einstellung nicht zwangsläufig „politisch“ (im engeren Sinne) sein. Nach Farin (2001) handele es sich beispielsweise bei jugendlichen rechtsextremen Orientierungen vor allem um diffus rassistisch-sozialdarwinistische Vorurteilstrukturen, einer „Melange aus Hass und Angst“ (ebd., S. 24), und nicht um politisch-intellektuell strukturierte Orientierungen (vgl. ebd., auch Erb 2003).
[92] Die Bezeichnung rechtsextrem bzw. Rechtsextremismus ist kein bloßer unpräziser „Sammelbegriff für unterschiedliche Phänomene bzw. Bestrebungen“ (Winkler 2000, S. 48).
[93] Der Syndromcharakter wurde auch empirisch nachgewiesen (vgl. z.B. bei Heitmeyer 2006).
[94] Im folgenden werden Konzeptualisierungen jener Studien dargestellt, die auch im Abschnitt 2.3 die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in Deutschland im Zeitverlauf darstellen sollen.
[95] Decker und Brähler (2006, vgl. auch Brähler/ Niedermayer 2002) berichten, dass ihre Definition rechtsextremer Einstellungen auf einer Konsensuskonferenz zur Entwicklung eines einheitlichen Fragebogens basiert, an der u.a. Brähler, Falter, Niedermayer, Stöss und Winkler teilgenommen haben. Leider wird nicht expliziert, wann dieser Konsens vereinbart wurde; ob also bereits die Studien von Falter (2000) und Stöss/ Niedermayer (1998) hierauf basieren.
[96] Dass ein starkes Nationalgefühl eine (vermutlich) unangemessene (nicht valide?) Operationalisierung darstellt, zeigt sich beispielsweise auch in den unverhältnismäßig hohen Zustimmungswerten zu diesem Item, während gleichzeitig rechtsextreme Einstellungen relativ selten vorhanden scheinen (vgl. beispielhaft die Studien Decker/ Brähler 2006, Falter 2000; siehe Abschnitt 2.3).
[97] Diese Bezeichnung meint eine Haltung, die sich dadurch auszeichnet, dass bestimmte Personen ungleichwertig markiert und feindselig und ausgrenzend behandelt werden „aufgrund ihrer gewählten oder zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit“ (Heitmeyer 2006, S. 21).
[98] Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit stellt streng genommen die Operationalsierung nur der einen - von insgesamt zwei (siehe Abschnitt 2.1) - Dimension(en) rechtsextremer Einstellungen nach Heitmeyer (1994a, 1995, 2002) dar, nämlich die der Ideologie der Ungleichheit (vgl. Heitmeyer 1995) bzw. Ungleichwertigkeit (vgl. Heitmeyer 2002).
[99] Bereits zu Anfang des ersten Kapitels in der zweiten Fußnote wurde darauf hingewiesen, dass sich die vorliegende Arbeit primär auf den deutschen Rechtsextremismus und auf in Deutschland vorhandene rechtsextreme Einstellungen bezieht. Die Autoren der Studien betonen diesen Aspekt ebenfalls mehr oder weniger explizit.
[100] Das heißt aber nicht, dass kritische Bürger bereits eine Gefahr für die Demokratie darstellen. Im Gegenteil: Geißel (2006) konnte empirisch ermitteln, dass bei kritikbereiten Demokraten (vs. undemokratischen oder demokratisch-unkritischen Personen) relativ häufiger demokratieförderliche Faktoren (politische Informiertheit, politische Partizipation, demokratische und lokalpolitische Identifikation, lokalpolitisches Kompetenzbewusstsein, Bereitschaft zur Demokratieverteidigung) existieren; wobei Kritikbereitschaft als individuelle Disposition verstanden wurde, politischen Sachverhalten „wachsam“ (ebd., S. 4) gegenüberzustehen und wenn nötig auch Protest gegen politische Vorhaben anzumelden.
[101] Zum Humanitätsbegriff siehe Fußnote 19.
[102] Ein Zentrum in Form einer bestimmten Person oder Organisation existiert laut Erb (2003) im Rechtsextremismus nicht. Das sei auch ein Grund dafür, weshalb die Ideologie einen „Gemischtwarenladen“ (ebd., S. 289) darstellt (siehe Abschnitt 2.2), denn eine verbindliche Interpretation der Ideologie kann nicht gegeben werden; was schließlich u.a. auch am „Führerkult“ (ebd., S. 291) des Rechtsextremismus liegen mag: es existiert eine Vielzahl von „Führern und Führerchen“ (ebd.).
[103] Zur Beschreibung des Trends wird deshalb nicht nur die momentane Situation dargestellt, sondern die Entwicklung insbesondere seit den neunziger Jahren; seitdem besteht ein gesteigertes Interesse am Rechtsextremismus seitens der Wissenschaft (vgl. Decker/ Brähler 2006). Die Zahlen werden für Deutschland insgesamt aufgezeigt. Nach statistisch diskriminierenden demographischen Größen wird nicht differenziert. Im Rahmen des Exkurses im Anschluss an Abschnitt 3.5 wird kurz auf die Bedeutung der demographischen Größen Ost-West, Geschlecht und Alter eingegangen. Inwieweit Schulbildung bei rechtsextremen Einstellungen entscheidend ist, wird Thema von Abschnitt 5.1.
[104] Gleichzeitig warnt Backes (2003a) allerdings auch vor einer Unterschätzung des Rechtsextremismus, da dessen Ideen auf nicht-rechtsextreme rechtspopulistische und neonationalistische Strömungen einwirken können und sich so zu einer „existentiellen Bedrohung für die europäischen Verfassungsstaaten“ (ebd., S. 9) entwickeln können.
[105] Scheuch sprach bereits in den sechziger Jahren von Rechtsextremismus als „normaler Pathologie westlicher Industriegesellschaften“ (Scheuch, Erwin K. 1967: Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften. In: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. 12. Jg. S. 12f. Zit. nach Butterwegge 2000, S. 22). Butterwegge (2000) kritisiert allerdings an einem solchen Verständnis (vgl. aktuell bei Jaschke 2000a), dass dadurch eine politische Entwarnung impliziert würde, da es quasi ein zu verschmerzender Preis für die demokratische Freiheit sei und es weder möglich, noch notwendig sei, Rechtsextremismus zu bekämpfen (vgl. Butterwegge 2000).
[106] Das grundsätzliche Dilemma von Demokratien besteht denn auch darin, eine Balance finden zu müssen zwischen Repression demokratiefeindlicher Bestrebungen und Gewähren demokratisch konstitutiver Freiheit (vgl. Jaschke 2000b, Merten 1993, Marz 2003).
[107] Inwieweit diese Feststellung momentan für Deutschland zutrifft, wird später am Ende dieses Abschnitts während der Darstellung aktueller Studienergebnisse zur Verbreitung rechtsextremer Einstellungen kurz diskutiert.
[108] Als Täter (bzw. Tatverdächtige) und Wähler treten überdurchschnittlich Jugendliche und junge Erwachsene hervor. Das ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass Rechtsextremismus häufig als Jugendphänomen beschrieben wird (vgl. Kleinert/ de Rijke 2000; siehe Exkurs im Anschluss an Abschnitt 3.5).
[109] Auf die konkreten Unterschiede kann im inhaltlich begrenzten Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Auch sind nicht rechtsextremistische Straftaten das Thema der Arbeit, sondern rechtsextreme Einstellungen. Zur Beschreibung der Differenzen siehe BMI (2002), BMI/ BMJ (2001a, 2001b), Kleffner/ Holzberger (2004), Willems (2002).
[110] Auch wenn diese Zahlen mit früheren Daten nicht direkt verglichen werden können, zeigen die der damals verwendete Polizeilichen Kriminalstatistik-Staatsschutz (PKS-S) einen „dramatischen Anstieg“ (Willems 2002, S. 145) an, von durchschnittlich 1.300 Straften in den achtziger Jahren auf durchschnittlich 4.000 Straftaten bis etwa Mitte der Neunziger, um dann Ende der neunziger Jahre zunächst auf ca. 5.500 anzusteigen und 2000 bei ca. 7.500 Straftaten zu gipfeln (vgl. Willems 2002).
[111] Rechtsextreme Einstellungen können dagegen nicht formal-juristisch verfolgt werden. Und auch informellsozial sind sie nicht sanktionierbar, sofern sie eine intrapsychische Disposition darstellen, und kein beobachtbares Verhalten implizieren müssen (s.u.). Sozialwissenschaftliche Ergebnisse zur Verbreitung rechtsextremer Einstellungen messen streng genommen keine Einstellungen, sondern bereits Verhalten, insofern die Befragten nicht nur entsprechend denken, sondern auch so antworten.
[112] Siehe auch Heitmeyer (1994a), der eine solche Beschränkung der Hell- gegenüber der Dunkelziffer bei der Betrachtung offiziell registrierter rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Gewalt problematisiert.
[113] Farin (2001) merkt an, dass beispielsweise die Anzahl rechtsextremistischer Propagandadelikte (die weitaus häufigste Deliktart, s.o.) seit Mitte der neunziger Jahre parallel zur Etablierung neugegründeter Sonderkommissionen anstieg, die eben genau zu diesem Zweck - der umfassenden Anzeige solcher Delikte - eingerichtet wurden. Willems (2002) bezieht diesen Aspekt auf die Entwicklung des Personenpotentials des organisierten Rechtsextremismus (s.u.).
[114] Der Bundesverfassungsschutz differenziert das „Rechtsextremismuspotenzial“ (BMI 2006, S. 55) - nach Anzahl der Gruppen und Personen - in „subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten“ (ebd.; vor allem rechtsextremistische Skinheads), Neonazis (in Kameradschaften), Parteien (NPD, DVU, Republikaner) und „sonstige rechtsextremistische Organisationen“ (ebd.).
[115] Die hier wiedergegebenen Zahlen beruhen ebenfalls auf Angaben des Bundesverfassungsschutzes.
[116] Darüber hinaus gibt es auch kleinere, meist nur regional verankerte rechtsextremistische Parteien (vgl. Arzheimer/ Schoen/ Falter 2000, Bitzan 2002). DVU, Republikaner und NPD sind aber die „prominenten“ (Bitzan 2002, S. 88), überregional agierenden und zeitlich bereits lange existenten rechtsextremistischen Parteien (vgl. Arzheimer/ Schoen/ Falter 2000), die zudem auch einzig als die Parteien des Rechtsextremismus vom Bundesverfassungsschutz ausgewiesen werden (vgl. BMI 2002 - 2006).
[117] Diese Gruppe von Personen, die laut Bundesverfassungsschutz den „nichtorganisierten Rechtsextremisten“ (BMI 2006, S. 54) zugerechnet wird, ist hier dennoch unter dem Personenpotential des organisierten Rechtsextremismus thematisiert, denn diese Gruppierung, die sich überwiegend aus rechtsextremistischen Skinheads zusammensetzt, ist zwar (möglicherweise) nicht fest organisiert, aber dennoch in (losen) Cliquen zusammengeschlossen (vgl. Erb 2003). So zählt denn auch beispielsweise Pfahl-Traughber (2000) die Subkultur rechtsextremistischer Skinheads zum „organisierten Rechtsextremismus“ (ebd., S. 71) hinzu.
- Arbeit zitieren
- M.A. Michael John (Autor:in), 2007, Bildung als Schutzfaktor vor rechtsextremen Einstellungen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93091
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