Goethes Interesse an dem Islam und dem Sufismus mit Berücksichtigung von Auszügen aus "West-östlicher Divan"


Dossier / Travail, 2017

19 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Was ist Sufismus?

3 Gründe für Goethes Interesse an dem Sufismus
3.1 Pantheismus
3.2 Faszination für den Propheten Mohammed

4 Sufistische Motive in west-östlicher Divan
4.1 Motiv der Liebe
4.2 Motiv der Natur

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Närrisch, daß jeder in seinem Falle seine besondere Meinung preist! Wenn Islam "Gott ergeben" heißt, in Islam leben und sterben wir alle.“1

Dieses Zitat von Goethe ist nur eines von vielen, in dem er sich für seine Begeisterung für den Islam ausspricht und offenkundig seine Sympathie für diese Religion preisgibt. Manch einen Christen erinnern diese Worte an ein ähnliches Zitat aus der Bibel im Römerbrief, da heißt es: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“2 Wie kommt es nun, dass Goethe nicht die Bibel zitiert, sondern sich stattdessen dem Islam zuwendet und die Gottergebenheit anhand einer orientalischen Religion verdeutlicht? Ist es ein Zeichen von Rebellion gegen das Christentum oder ein Versuch, Religionen durch die Ehrfurcht vor einem Gott zu verbinden?

Freilich darf diese Zuwendung zu einer nichtchristlichen Religion nicht außerhalb des geschichtlichen Kontextes betrachtet werden. Im Zuge des Zeitalters der Aufklärung im 17. Jahrhundert, war die Toleranz ein ganz zentrales Thema, welches vor allem die Intellektuellen beschäftigte.3 Gerade nach den vielen Jahrhunderten, die von kriegerischen Konfrontationen zwischen Islam und Christentum geprägt waren, können ernsthafte Bestrebungen seitens einiger Gebildeten festgestellt werden, dem Islam neutral und ohne Vorurteile zu begegnen.4

Obwohl der größte und bekannteste Vertreter der Aufklärung und der Toleranz wohl Gotthold Ephraim Lessing ist, der mit seinem Roman Nathan der Weise (1779) bekennt, dass seiner Ansicht nach nicht die Religion von Bedeutung ist, sondern das Handeln der Anhänger dieser Religion,5 spielt auch Goethe in dem Dialog der Religionen eine nicht unbedeutende Rolle. Seine Öffnung zu dem Islam und seiner Mystik hat jedoch im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern einen persönlichen Charakter. In dem Islam oder vielmehr dem mystischen Zweig des Islams, dem Sufismus, findet Goethe nicht nur seine tiefsten Überzeugungen wieder, sondern auch seinen Wunsch nach der Freisetzung einer schöpferischen Kraft.6 Es kann also festgehalten werden, dass die Beschäftigung mit dem Islam das Innerste von Goethe bewegt und er somit nicht nur für Toleranz gegenüber der Religion plädiert, sondern sich vielmehr selber dem Rausch der Schönheit des Sufismus hingibt. Gerade diese persönliche Anziehung zu der orientalischen Religion veranlasst ihn auch dazu, die deutsche Übersetzung des Korans von dem Professor Megerlin, aufgrund der mangelnden Vermittlung der Größe des Korans, öffentlich zu kritisieren.7

In den folgenden Kapiteln wollen wir zunächst versuchen zu erklären, was Sufismus bedeutet. Im Anschluss daran werden wir zwei konkrete Gründe für Goethes Liebe zum Islam erarbeiten, wobei diese keineswegs einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie dienen eher als erster Wegweiser zum Verständnis für Goethes Interesse an der orientalischen Religion. Des Weiteren werden wir anhand von Auszügen aus dem west-östlichen Divan zwei verschiedene sufistische Motive verdeutlichen. Im anschließenden Fazit werden die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst und im Hinblick auf die oben gestellten Fragen nach den Gründen für die Zuwendung zum Islam und der Rebellion gegen das Christentum ausgewertet.

2 Was ist Sufismus?

Nachdem in der Einleitung die Begriffe Sufismus und Islam beinah synonym benutzt wurden, soll nun der Sufismus genauer beleuchtet werden, um ihn als Zweig des Islams zu benennen, ihn jedoch nicht mehr mit ihm gleichzusetzen. Diese Erörterung ist nur der Anfang und kann nicht alle Facetten des Sufismus umfassen. Das Ziel der folgenden Darstellung soll sein, einen Einblick in diese Mystik zu erlangen, um in den kommenden Kapiteln die weiteren Analysen zu verstehen.

Wie schon erwähnt, ist der Sufismus kurz gesagt ein Name für islamische Mystik.8 Zu der Entstehung des Sufismus gibt es diverse Theorien, die sich zum Beispiel auf die Einflüsse verschiedener Kulturen, wie dem Buddhismus oder dem chinesischen Taoismus, beziehen.9 Wichtiger für uns jedoch ist nicht der Ursprung, sondern was letztendlich dabei entstanden ist, nämlich die Mystik. Abgeleitet wird dieses Wort von dem griechischen Wort myein, was übersetzt die Augen schließen bedeutet.10 Schon die Wortbedeutung weist somit auf etwas hin, was nicht in der realen Welt gesehen werden kann. Bei der Mystik geht es um etwas Verborgenes, einem Geheimnis, dem man sich innerlich hingeben muss, um es zu erreichen, da es durch bloßen Verstand nicht zu verstehen ist.11 Es kann also nicht als greifbar, jedoch als spürbar beschrieben werden. Das lateinische Wort mysticus, was geheimnisvoll oder dunkel heißt,12 sagt treffend, dass es nicht ganz zu fassen ist, sondern von einem Schleier des Rätsels umhüllt ist. Die Mystik wird auch als „der große geistige Strom, der alle Religionen durchfließt“13 beschrieben. Doch auch dieser Versuch der Erklärung scheitert daran, dass ein geistiger Strom ebenfalls schwerlich zu definieren ist. Letztendlich ist die Mystik eine Erfahrung, die nur der nachvollziehen kann, der sie erlebt.14 Als Außenstehender kann die Mystik höchstens noch als Bewusstsein einer Wirklichkeit bezeichnet werden,15 wobei auch das nicht klar zu definieren ist, da wir diese eine Wirklichkeit nicht in Worte fassen können.

Leichter zu beschreiben sind jedoch die drei Bilder, die den Sufismus ausmachen. Das erste Bild ist das eines Pfades, der die unendliche Suche nach Gott verdeutlichen soll.16 Über diesen Vorgang der Suche nach einem Gott wurde einst gesagt:

Wie kann höheres Bewusstsein erreicht werden? Indem man seine Augen vor seinem begrenzten Selbst verschliesst und sein Herz dem Gott öffnet, der alle Vollkommenheit ist, welche in Himmel und Erde existiert, innen und aussen, der sichtbar, hörbar, wahrnehmbar, verstehbar ist und doch menschliches Verständnis überschreitet. Der Schlüssel zu spiritueller Vollendung liegt darin, des vollkommenen Einen gewahr zu sein, der im Herzen Gestalt annimmt.17

Ziel dieser Reise auf dem Pfad ist es, die Seele in ihre geistliche Heimat zu bringen und sie durch die Gegenwart Gottes zu veredeln.18

Das nächste Bild ist eng mit dem vorangehenden verknüpft, da es genau diese Veredelung in Form einer Umwandlung der Seele beschreibt. Hierbei soll verdeutlicht werden, dass die Seele oftmals durch Schmerzen gereinigt werden muss.19 Gleichzusetzen ist dieser Vorgang der Seele auch auch mit der Alchemie, bei der aus unedler Materie Gold hergestellt werden soll.20 Ebenso kann auf geistiger Ebene die Seele transformiert werden.

Das letzte Bild, welches in diesem Kontext genannt wird, ist das der menschlichen Liebe. Gekennzeichnet ist dieses Symbol von dem tiefen Verlangen einer Vereinigung und dem beinah ekstatischen Zustand des Verliebten.21 Ein wahrhafter Sufi ist derjenige, der „ganz und gar im göttlichen Geliebten absorbiert ist“.22

Es kann also festgehalten werden, dass der Sufismus eine Suche nach der Vereinigung mit Gott wiederspiegelt, die nur erlebt, aber nicht klar gedeutet werden kann.

Die Erfahrungen, die ein Sufi auf dieser Suche macht, können grob in zwei Haupttypen unterteilt werden, obwohl es meistens zu einer Vermischung beider Typen kommt.

Zum einen erleben Sufis die Unendlichkeit Gottes, wobei von der Unendlichkeitsmystik gesprochen wird.23 Das bedeutet, dass Gott als einzige Wirklichkeit angesehen und demzufolge als absolute Existenz betitelt wird.24 Das Individuum sieht sich beispielsweise als Tropfen in dem unendlichen Meer Gottes und demnach als Teil eines Ganzen.25 Entscheidend dabei ist, dass Gott meist nicht als Person angesehen wird, sondern als eine Existenz, die sich in allen Erscheinungen der Welt spiegelt.26

Zum anderen gibt es auch die Persönlichkeitsmystik, bei der die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen in den Vordergrund gestellt wird. Der grundlegende Unterschied dieser beiden Typen liegt also in dem Faktor der Beziehung. Während bei dem erst genannten Typen der Sufi sich nicht auf Gott als Person beruft, sondern auf das Eins werden mit der Natur, nimmt für den zweiten genannten Mystiker die persönliche Beziehung zu Gott die entscheidende Rolle ein.27 Anders gesagt, wird im ersten Fall das Individuum als Teil des Großen gesehen, in dem zweiten Fall allerdings als ergebenen Diener eines mächtigen Herrschers.28

3 Gründe für Goethes Interesse an dem Sufismus

Nach dem groben Überblick über die mystische Richtung des Islams, wollen wir uns nun Goethe zuwenden und sein persönliches Interesse an dem Sufismus betrachten. Auch hier ist es in diesem Rahmen nicht möglich alle Gründe zu nennen. Meiner Ansicht nach sind die folgenden zwei Punkte jedoch ausschlaggebende und deswegen auch nennenswerte Motive, weshalb ich sie auch in diesem Zusammenhang erläutern möchte.

3.1 Pantheismus

Der Pantheismus hängt mit der zuvor erklärten Unendlichkeitsmystik zusammen und vertritt Goethes persönliches Verständnis von einer Gottheit. Aus seinen Notizen, die er sich zu Megerlins Koranübersetzung macht, geht hervor, dass Goethe seine Überzeugung, dass Gott in der Natur zu finden sei, im Koran wiederfindet.29 Die christliche Vorstellung von einem persönlichen Gott, der die Beziehung mit dem Menschen sucht, scheint für Goethe eine Herabsetzung des allmächtigen Gottes zu sein.30 In einem Brief an den Mineralogen Frederik Soret schreibt er diesbezüglich:

Die Leute traktieren ihn, als wäre das unbegreifliche, gar nicht auszudenkende höchste Wesen nicht viel mehr als ihresgleichen. Sie würden sonst nicht sagen: der Herr Gott, der liebe Gott, der gute Gott. […] Wären sie aber durchdrungen von seiner Größe, sie würden verstummen und ihn vor Verehrung nicht nennen können.31

Es wird also deutlich, dass Goethe den Fokus auf den unendlichen, unfassbaren Gott legt und nicht auf Gottes Angebot einer persönlichen Beziehung mit dem Menschen. Übereinstimmung findet Goethe in dieser Hinsicht auch bei dem niederländischen Philosophen Spinoza (1632-1677), der sich stark von einem „gott-menschlichen Ich-Du- Verhältnis“32 distanziert. Stattdessen lautet sein Grundsatz, dass Gott und die Natur eins sind.33 Wie diese Vereinigung aussehen kann und was sie mit dem Individuum zu tun hat, wird an dem folgenden Zitat von Goethe deutlich:

Unbedingtes Ergeben in dem unergründlichen Willen Gottes, heitererer Üeberblick des beweglichen, immer kreis- und spiralartig wiederkehrenden Erdetreibens. Liebe, Neigung zwischen zwei Welten schwebend, alles Reale geläutert, sich symbolisch auflösend.34

Zunächst wird der Wille Gottes genannt und sofort im Anschluss das Treiben der Erde, welches nach immer wiederkehrenden Mustern abläuft. Es scheint, als ob Goethe damit verdeutlichen wollte, dass genau dieses Treiben göttlich ist und dass der Werdegang der Natur ein Teil der Göttlichkeit ist. In einem anderen Zitat sagt er dazu: „Die Natur wirkt nach ewigen, notwendigen dergestalt göttlichen Gesetzen, daß die Gottheit selbst daran nichts ändern könnte.“35 Die Natur kann demnach mit Gott gleichgesetzt werden. Zugleich beschreibt Goethe einen Zustand, der womöglich durch Meditation oder Ekstase erlangt werden kann. Er spricht von dem Schweben zwischen zwei Welten und dem symbolischen Auflösen des Realen, was uns an den Zustand eines Sufis erinnert, der in die Unendlichkeit Gottes eintaucht. Das Individuum gibt sich also der Gottheit völlig hin und erlebt daher dieses Schweben zwischen den zwei Welten.

Noch ein weiterer Aspekt kann an diesen beiden Zitaten festgestellt werden und zwar der des Determinismus. Genauso wie im Islam geboten wird, sich nicht gegen den Willen Gottes aufzulehnen und angenommen wird, dass jedem ein Schicksal vorherbestimmt ist, so ist auch Goethe davon überzeugt, dass das Leben prädestiniert ist.36 Besonders in Zeiten der Krankheit oder bei Todesfällen beruft sich Goethe auf diesen Glauben.37 Auch hierbei ist die Hingabe oder die Ergebung in den göttlichen Willen elementar und deutet erneut auf das sufistische Symbol des Eintauchens hin. Die friedensgebende Gewissheit über eine göttliche Bestimmung von dem Ende eines Lebens beschreibt Goethe, angesichts der Cholera Epidemie, wie folgt:

Hier am Orte und im Lande ist man sehr gefaßt, indem man [das übel] abzuwehren für unmöglich hält. Alle dergleichen Anstalten sind aufgehoben. Besieht man es genauer, so haben sich die Menschen, um sich von der furchtbaren Angst zu befreien, durch einen heilsamen Leichtsinn in den Islam geworfen und vertrauen Gottes unerforschlichen Ratschlüssen.38

Es lässt sich demnach schlussfolgern, dass Goethe in dem Wissen über einen Gott, dessen Wege unerforschlich sind, zur Ruhe kommt. Denn genauso wenig wie er den Lauf der Natur ändern kann, ist er auch unfähig sich gegen Gottes Ratschlüsse aufzulehnen. Es bleibt ihm nur noch, sich an Gottes Güte festzuhalten.

3.2 Faszination für den Propheten Mohammed

Einen ganz persönlichen Charakter erhält Goethes Begeisterung für den Islam durch seine Bezauberung von dem Propheten Mohammed. Besonders faszinierend empfindet er dabei die Wirkungsweise des Propheten. Aus einigen Zitaten geht hervor, dass er sich stark auf den Aspekt des Amtes eines Propheten fokussiert.39 So schreibt er zum Beispiel 1827 an den Historiker Carlyle: „Der Koran sagt: Gott hat jedem Volke einen Propheten gegeben in seiner eignen Sprache."40 Interessant dabei ist, dass er nicht nur die Aufgabe von Mohammed als Botschafter Gottes für sein Volk sieht, sondern auch sich selber als Verkündiger sieht.41 Das könnte der Grund sein, warum er in vielen Zitaten den Punkt, dass Gott jedem Volk einen Propheten in seiner Sprache gegeben hat, so betont. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Goethe sich als das für das deutsche Volk sieht, was Mohammed einst für das arabische Volk war und auch heute noch ist, nämlich ein Gottesgesandter mit einer göttlichen Botschaft. Wahrscheinlich war es genau diese persönliche Identifikation mit Mohammed, die Goethe schließlich dazu veranlasste eine Tragödie namens Mahomet zu schreiben, die allerdings nicht fertig gestellt wurde und somit heute nur als Fragment vorhanden ist.42 Es wird gesagt, dass dieses Werk die größte Huldigung dem Islam gegenüberbringt, die je ein deutscher Dichter dieser Religion entgegengebracht hat.43 Vor allem an der Beschreibung von Mohammed als ein mitreißender Strom wird diese Ehrung deutlich.44 Allerdings reißt dieser Strom nur Gleichgesinnte mit, also die sogenannten Brüder. In diesem Wissen erschließt es sich auch, warum Goethe in einem Brief seine Schweizer Freunde mit der Anrede Brüder anruft.45 Er selber sieht sich demnach in der Pflicht, andere durch sein Schreiben zu leiten und ihnen als Vorbild zu fungieren. Tatsächlich ist Goethe auch für viele ein geistlicher Führer geworden.46

Um nochmal auf das Symbol des Stroms zurückzukommen, kann diesbezüglich auch gesagt werden, dass der große Strom, der sinnbildlich für Mohammed stehen kann, kleine Ströme mitreißen soll und sie mit sich bis zum Meer führt.47 Ein Beispiel für dieses Bild wäre folgendes Zitat aus Mahomets-Hymne, an dem gleichzeitig die Aussage bestätigt wird, dass der große starke Strom seine Brüder mitnimmt:

Und die Bäche von den Bergen Jauchzen ihm und rufen: Bruder! Bruder, nimm die Brüder mit, Mit zu deinem alten Vater, Zu dem ew'gen Ozean, Der mit ausgespannten Armen Unser wartet […]48

Auch diese bildliche Sprache könnte auf seinen mystischen und damit sufistischen Anteil hin interpretiert werden. Offensichtlich wird nämlich das Bild des unendlichen Meeres aufgegriffen. Die Tatsache, dass die Flussströme in das große Meer einfließen, lässt auf das Verlieren eines Sufis in der Unendlichkeit Gottes schließen. Dass dieses Meer nicht als Gottheit, sondern lediglich als „alte[r] Vater“49 und „ew´ge[r] Ozean“50 genannt wird, kann ebenfalls als Zeugnis Goethes pantheistischer Überzeugung gesehen werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Goethe nicht nur in der Religion des Islams, sondern vor allem in dem Religionsstifter persönliche Bestätigung findet, die ihn selber anspornt seine Aufgabe als Prophet seiner Zeit wahrzunehmen.

4 Sufistische Motive in west-östlicher Divan

Nach dem gewonnenen Einblick über Goethes Überzeugungen und Gründe für sein Interesse am Islam und seine mystische Bewegung wollen wir uns nun dem Werk west-östlicher Divan widmen. Auch hier werden wir uns auf zwei Motive beschränken, die nur ein Teil der Interpretationsmöglichkeiten abdecken.

4.1 Motiv der Liebe

Die Liebe behandelt mich feindlich! Da will ich gern gestehn: Ich singe mit schwerem Herzen. Sieh doch einmal die Kerzen: Sie leuchten, indem sie vergehn.51

Die Beschreibung der Liebe als etwas Feindliches klingt zunächst nicht sehr positiv. Auch der Vergleich mit den vergehenden Kerzen scheint sich in diesem Kontext nicht sofort eindeutig zu erschließen.

Schauen wir uns die altpersischen Religionen an, so finden wir das Prinzip des Dualismus zwischen Licht und Finsternis. Es geht hierbei um die Gegensätzlichkeit von dem Gott der Schönheit und des Guten, der als das Licht bezeichnet wird, und dem Gott des Bösen und des Hässlichen, der als die Finsternis dargestellt wird. Dieser Kampf zwischen Gut und Böse wurde mit der Zeit in den mystischen Abzweigungen der Religionen nicht mehr von den Göttern ausgeführt, sondern von Materie und Geist. Das bedeutet, dass der Geist als göttliches Wesen gesehen wird, die Materie, die dem Körper entspricht, jedoch als Widersacher des reinen Geistes. Nehmen wir jetzt noch den Aspekt der Liebe hinzu, sieht das wie folgt aus: nur durch die Liebe kann der Geist in eine göttliche Gemeinschaft gebracht werden, denn aufgrund der Liebe kann die selbstsüchtige und böse Hülle des Körpers abgelegt werden, so dass der Geist gereinigt in die Gegenwart Gottes geführt werden kann.52

In diesem Wissen können wir nun das Bild in dem oben genannten Zitat besser einordnen, denn Goethe spricht hier allem Anschein nach von einer Selbstaufgabe. Genauso wie eine Kerze vergeht, während sie Licht spendet, muss auch der Körper eines Liebenden sinnbildlich geopfert werden, um in eine göttliche Einigkeit zu gelangen. Noch deutlicher wird das an dem Bild mit dem Schmetterling in dem Buch der Sänger aus dem Divan. Der Schmetterling wird von dem Licht angezogen und fliegt deswegen in die Flamme, in der er schließlich verbrannt wird.53 Was zunächst furchtbar klingt, wird jedoch als höchstes Ziel beschrieben, denn es wird gesagt:

Und solang du das nicht hast, Dieses: Stirb und werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde.54

Demzufolge ist ein Leben ohne das Opfern von sich selbst an eine Göttlichkeit ein trostloses Leben ohne größere Bestimmung. Erst das Prinzip des Sterbens bringt dem Zitat zufolge etwas Neues, was das Dasein auf der Erde lebenswert macht, denn das Sterben hat in diesem Fall nicht den Tod zur Konsequenz, sondern die Verwandlung, die es möglich macht sich mit dem Licht zu vereinen.55 Das Motiv für das Sterben liegt in der Liebe, die all das Böse ablehnt und somit das göttlich Gute anstrebt, was wiederum den Liebenden dazu fähig macht, sein Materie aufzugeben. Auch wenn es in Goethes Divan um die Liebe zwischen Menschen geht, kann dieses auch als Metaphorik für die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen gesehen werden.56

Ebenfalls spannend ist die Macht, die der Liebe zugemessen wird. Bei der Betrachtung des Gedichts Wiederfinden im Buch Suleika kann festgestellt werden, dass die Liebe sogar als antreibende Kraft einer Schöpfung dargestellt wird. „Allah braucht nicht mehr zu schaffen, wir erschaffen seine Welt,“57 heißt es in diesem Teil des Divans. Goethe erschafft damit einen Schöpfungsmythos, der erst durch die Verbindung der Liebenden in Gang gesetzt wird.58 Anders gesagt ist das liebende Paar der Höhepunkt der Schöpfung und gleichzeitig die Kraft der Schöpfung.59 Dieses Zitat will nicht die Schöpfung Gottes in Frage stellen, denn es wird in dem Gedicht gesagt „Allah braucht nicht mehr zu schaffen“60, was darauf hindeutet, dass er einst erschaffen hat, sondern spricht eher von einer zweiten Schöpfung durch die Vereinigung des Liebespaares, was an dem Ende „Und ein zweites Wort: Es werde! / Trennt uns nicht zum zweiten Mal,“61 belegt werden kann.

[...]


1 Mecklenburg: Inter- und transkulturelle poetische Spiele, S. 195.

2 Die Bibel, Römer 14,8.

3 Vgl. Mommsen: Goethe und der Islam, S. 5.

4 Vgl. Ebd., S. 7.

5 Vgl. Pöhlig: Aufklärung und Toleranz.

6 Vgl. Mommsen, S. 8.

7 Vgl. Ebd.

8 Vgl. Schimmel: Sufismus: Einführung in die islamische Mystik , S. 16

9 Vgl. Ebd., S.25f.

10 Vgl. Ebd., S. 16.

11 Vgl. Ebd., S. 16

12 Vgl. Enzyklo: Mystik.

13 Schimmel, S. 16.

14 Vgl. Ebd., S. 17.

15 Vgl. Ebd.

16 Vgl. Ebd.

17 Fatimabi Griege: Sufismus.

18 Vgl. Schimmel, S. 18.

19 Vgl. Ebd.

20 Vgl. V.u: Alchemie.

21 Vgl. Schimmel, S. 18.

22 Ebd., S. 34.

23 Vgl. Ebd., S. 18.

24 Vgl. Ebd.

25 Vgl. Ebd.

26 Vgl. Lexikon: Pantheismus.

27 Vgl. B. Sihombig: Mystik und Dialog der Religionen ,S. 34.

28 Vgl. Ebd., S. 33.

29 Vgl. Mommsen, S. 9.

30 Vgl. Thieli>

31 Ebd.

32 Vgl. Thielicke, S. 61.

33 Vgl. Thorwart: Goethes Natur- und Gottesbegriff, S. 5.

34 Thielicke, S. 59.

35 Ebd., S. 57.

36 Vgl. Mommsen, S. 16.

37 Vgl. Ebd.

38 Ebd., S. 17.

39 Vgl. Ebd., S.10.

40 Ebd..

41 Vgl. Ebd.

42 Vgl. Ebd.

43 Vgl. Ebd.

44 Vgl. Bollacher: Der junge Goethe und Spinoza: Studien zur Geschichte des Spinozismus, S. 114.

45 Vgl. Ebd., S. 115.

46 Vgl. Mommsen, S. 12.

47 Vgl. Ebd., S. 11.

48 Dr. Seebode: Archiv für Philologie und Pädagogik Bd. 3, S. 478.

49 Ebd.

50 Ebd.

51 Goethe: West-östlicher Divan (Bd.1), S. 52.

52 Vgl. Shahrokhi: Die Vervielfältigung der Liebespaare in Goethes west-östlichem Divan, S. 18f.

53 Vgl. Goethe (Bd.1), S. 22.

54 Goethe: West-östlicher Divan (Bd.2), S. 22.

55 Vgl. Shahrokhi, S. 22.

56 Vgl. Ebd.

57 Goethe (Bd.2) , S. 168.

58 Vgl. Wild: Goethes west-östlicher Divan als poetischer Ort psychokultureller Grenzüberschreitungen, S. 77.

59 Vgl. Ebd., S. 82.

60 Goethe (Bd.2), S. 168.

61 Ebd., S. 169.

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Goethes Interesse an dem Islam und dem Sufismus mit Berücksichtigung von Auszügen aus "West-östlicher Divan"
Université
University of Paderborn  (Universität)
Cours
Sufismus in der deutschsprachigen Literatur
Note
2,0
Auteur
Année
2017
Pages
19
N° de catalogue
V932957
ISBN (ebook)
9783346257499
ISBN (Livre)
9783346257505
Langue
allemand
Mots clés
Sufismus Goethe Islam
Citation du texte
Carina Redekop (Auteur), 2017, Goethes Interesse an dem Islam und dem Sufismus mit Berücksichtigung von Auszügen aus "West-östlicher Divan", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/932957

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