Eine Arbeit, die nach Steuerungsformen jenseits der klassischen Dichotomie von Markt und Staat sucht, muss sich, so die hier vertretene Auffassung, explizit mit der Frage nach der emergenten Qualität der jeweiligen Steuerungsprobleme auseinandersetzen. Wenn nachvollzogen werden kann, dass sich diese Problemlagen aus komplexen Wechselwirkungen heraus ergeben, die sich der Beobachtung mittels eines symmetrischen Schemas von Ursache und Wirkung entziehen, ist zu vermuten, dass Steuerungsformen, die eben an diesem Schema der Kausalität ansetzten, sich als wenig adäquat erweisen. Mit dem Bankensektor ist ein Bezugsrahmen gefunden, der, aufgrund seines hohen Grades an globaler Vernetzung und Wissensbasierung komplexe Risikolagen beobachten lässt, die nicht durch eine bloße Aggregation von Einzelrisiken behandelt werden können.
Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wird dieser Problemkontext mittels der Unterscheidung von räumlicher und kognitiver Entgrenzung erschlossen. Auf diese Weise kann eine Dynamisierung des Problemzusammenhangs über unberechenbare Selbstanpassungen der wirtschaftlichen und politischen Akteure an sich verändernde Bedingungen festgestellt werden. In einem zweiten Teil werden zunächst die Schwierigkeiten einer staatlichen Regulierung dieser qualitativ neuen Risikolagen exemplarisch auf die fehlende Berücksichtigung der wirtschaftlichen Innovationslogik innerhalb des Basler Akkords von 1988 bezogen, bevor die Empfehlungen der Group of Thirty zur wirtschaftlichen Selbststeuerung im Hinblick auf den Umgang mit derivativen Finanzinstrumenten, für die Etablierung eines gemeinsamen privat/öffentlichen Risikoverständnisses zwar gewürdigt, allerdings bezüglich der unzureichenden erwartungsstabilisierenden Effekte kritisiert werden. Im Anschluss an diese Überlegungen wird es dann möglich sein, die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) als Programm der Relationierung von Innovations- und Folgenperspektiven zu beschreiben, welches gegenüber klassischen Formen der direktiven Verhaltenssteuerung in seiner erwartungsstabilisierenden Wirkung auf der Metaebene der Steuerung von Interaktionsbeziehungen ansetzt und auf diese Weise, im Gegensatz zu Modellen des residualen Laissez-Faire, Stopregeln der Optionsrealisierung einbaut. Die Politik wird somit zu einem emergenten, nicht mehr auf die Dichotomie von marktförmiger und hierarchischer Steuerung zurückzuführenden, Umgang mit unberechenbarer Ungewissheit befähigt.
Inhaltsverzeichnis
- Abstract
- 1. Die Herausbildung emergenter Problemlagen: Wechselwirkungen räumlicher und kognitiver Entgrenzung und die dynamische Produktion von Unsicherheit im Bankensektor
- 1.1 Beobachtungsleitende Vorbemerkungen
- 1.2 Räumliche Entgrenzung und wechselseitige Selbstanpassungen...
- 1.2.1 Das System von Bretton Woods und die Fragmentierung der Finanzmärkte......
- 1.2.2 Die Entfesselung der Märkte und die Produktion struktureller Unsicherheit...
- 1.2.3 Probleme der Steuerung vor dem Hintergrund räumlicher Entgrenzung .
- 1.3 Kognitive Entgrenzung und der dynamische Korrelationszusammenhang von Optionssteigerung und Risikoproduktion ......
- 1.3.1 Technologische Entwicklungen und der Aufbau einer wissensbasierten Infrastruktur.
- 1.3.2 Verschiebungen der zeitlichen Horizonte
- 1.3.3 Arbitrage als Strategie des wirtschaftlichen Umgangs mit Unsicherheit ......
- 1.3.3.1 Die Erschließung der Zukunftsmärkte und der Handel mit Erwartungserwartungen..
- 1.3.3.2 Die Umstellung finanzwirtschaftlicher Entscheidungskalküle…………………
- 1.3.4 Zwei Dimensionen der Innovationslogik der Wissensökonomie.
- 2. Staatliche und marktförmige Steuerungsversuche und ihre blinden Flecken
- 2.1 Der Basler Eigenkapitalakkord und das Problem der regulatorischen Dialektik..
- 2.1.1 Die krisenbedingte Motivation der Re-Regulierung
- 2.1.2 Eine quantitative Rationale....
- 2.1.3 Die Einführung eines unterscheidungsabhängigen Beobachtungsbegriffes ..........\n
- 2.1.4 Die differenztheoretische Neubeschreibung des Problems der regulatorischen\nDialektik
- 2.2 Die G-30- Studie Derivatives: Practices and Principles und die Sensibilisierung im Hinblick\nauf einen qualitativen Regulierungsansatz.
- 2.2.1 Die Group of Thirty als finanzwirtschaftliche Selbststeuerungsinstanz........
- 2.2.2 Ein Vorschlag der Selbststeuerung durch freiwillige Selbstbindung und seine\nImplikationen......
- 2.2.3 Die Notwendigkeit von Erwartungsstabilisierung und die Kompatibilisierung\ninkongruenter Perspektiven..\n
- 3. Die Herausbildung eines emergenten Arrangements der qualitativen Bankenregulierung.…........
- 3.1 Probabilistische und possibilistische Unsicherheiten..........\n
- 3.2 Relationierungsprogramme als Instrumente der Flankierung von Innovationen ........
- 3.3 Der Konsultationsprozess zu Basel II und die Ausbildung eines architektonischen Wissens\nneuer Qualität
- 3.4 Die MaRisk als Relationierungsprogramm zur Stabilisierung emergenter Lernprozesse ...
- 3.4.1 Doppelte Proportionalität als Grundsatz einer risikoorientierten und prinzipienbasierten\nAufsicht
- 3.4.2 Die Gewährleistung einer Doppelorientierung auf Innovation und Folgen..\n
- 4. Fazit.
- 5. Verzeichnis der Quellen.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Herausbildung eines Arrangements der qualitativen Bankenregulierung, das jenseits von hierarchischer und marktförmiger Steuerung liegt. Die zentrale These ist, dass etablierte Steuerungsformen unzureichend sind, um der komplexen und dynamischen Natur von Risikolagen im Bankensektor gerecht zu werden.- Die Emergenz von Risikolagen im Bankensektor aufgrund räumlicher und kognitiver Entgrenzung
- Die Kritik an traditionellen Ansätzen der Bankenregulierung, die auf quantitative Kriterien und hierarchische Strukturen setzen
- Die Rolle der Selbststeuerung und die Bedeutung eines gemeinsamen privat/öffentlichen Risikoverständnisses
- Die Herausbildung eines emergenten Arrangements der qualitativen Bankenregulierung, das auf Relationierungsprogrammen und Erwartungsstabilisierung basiert
- Die Bedeutung der MaRisk als Relationierungsprogramm, das Innovation und Folgen in Einklang bringt
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1: Dieses Kapitel untersucht die Entstehung von Risikolagen im Bankensektor, indem es die Konzepte der räumlichen und kognitiven Entgrenzung einführt. Es analysiert die Folgen der Globalisierung und die zunehmende Komplexität der Finanzmärkte, die zu neuen und unvorhersehbaren Risiken führen.
- Kapitel 2: Hier werden die Grenzen und Schwächen traditioneller Steuerungsformen in der Bankenregulierung aufgezeigt. Der Basler Eigenkapitalakkord und seine quantitative Rationale werden kritisch beleuchtet, ebenso wie die Selbststeuerungsempfehlungen der Group of Thirty. Es wird argumentiert, dass diese Ansätze nicht ausreichend sind, um mit den sich dynamisch entwickelnden Risikolagen umzugehen.
- Kapitel 3: Dieses Kapitel stellt das Konzept der qualitativen Bankenregulierung vor. Es wird erläutert, wie Relationierungsprogramme wie die MaRisk die Steuerung und Stabilisierung von Risikolagen ermöglichen, indem sie Innovation und Folgen in Einklang bringen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Thematik der Bankenregulierung, dem Risikomanagement, der Globalisierung, der Wissensökonomie, der räumlichen und kognitiven Entgrenzung, der regulatorischen Dialektik, der Selbststeuerung, den Derivaten, dem Basler Eigenkapitalakkord, der MaRisk und den Relationierungsprogrammen.- Arbeit zitieren
- Boris Kleemann (Autor:in), 2008, Risikomanagement jenseits von hierarchischer und marktförmiger Steuerung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93357