Kinder psychisch kranker Eltern. Wie können Ihre psychischen Widerstandskräfte aufgebaut werden und was kann die Prävention für die Familie leisten?


Term Paper, 2020

19 Pages, Grade: 1,0

Anonymous


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Forschungsfrage
1.3 Aufbau der Arbeit
1.4. Theoretische Fundierung

2. Überblick der häufigsten psychischen Störungen
2.1 Affektive Störungen
2.2 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung
2.3 Schizophrenie

3. Lebenswelt von Kinder psychisch kranker Eltern
3.1 Desorientierung
3.2 Schuldgefühle
3.3 Soziale Isolierung
3.4 Verantwortungsübernahme (Parentifizierung)

4. Resilienz und Schutzfaktoren
4.1 Resilienz
4.2 Risikofaktoren
4.3 Längsschnittstudien
4.4 Die Kauai-Längsschnittstudie
4.4.1 Emmy Werner
4.4.2 Durchführung und zentrale Befunde
4.4.3 Schutzfaktoren der Kauai-Studie
4.5 Schutzfaktoren
4.5.1 Personale Schutzfaktoren
4.5.2 Familiäre Schutzfaktoren
4.5.3 Soziale Schutzfaktoren
4.6 Resiliente Kinder im Vergleich zu nicht-resilienten Kindern

5. Prävention
5.1 Präventive Maßnahmen
5.2 „KIPKEL“

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Eine psychische Erkrankung kann nicht nur viele Beeinträchtigungen für die Betroffenen mit sich bringen. Die Kinder psychisch kranker Menschen sind neben den Partner*innen am stärksten von möglichen Veränderungen in der eigenen Lebenssituation betroffen (Griepenstroh & Schmuhl, 2010, S. 123). Die folgende Arbeit soll einen genaueren Einblick in die Thematik ermöglichen. Im Fokus liegen die betroffenen Kinder und die möglichen Ressourcen, um die Schwierigkeiten bewältigen zu können.

1.1 Problemstellung

„Wenn ein Elternteil psychisch erkrankt, ist die ganze Familie betroffen. Für Kinder ist es eine große Belastung wenn die Mutter zum Beispiel eine Depression entwickelt, oder der Vater an einer Psychose leidet. Kinder erleben Angst, Überforderung und Schuldgefühle. Sie brauchen in dieser schwierigen Situation Begleitung.“ (D. Leib, Leiterin der Kinder-, Jugend- und Familienberatungsstelle AURYN, 2017). Geschätzt leben etwa 3,8 Millionen Kinder in Deutschland mit mindestens einem psychisch erkrankten Elternteil zusammen. Bei dieser Schätzung bleiben jedoch all jene Kinder, deren Eltern dem Gesundheitssystem nicht vorstellig werden, oder nur subklinisch belastet sind unberücksichtigt (Röhrle & Christiansen, 2009 zitiert nach Trunk, 2013, S. 353). Lange Zeit wurden die Kinder von psychisch Kranken nicht in die Forschung oder Praxis miteinbezogen. In den letzten Jahren zeigte sich diesbezüglich eine deutliche Veränderung, durch zahlreiche Studien machte die Praxis enorme Fortschritte. Noch ist das Angebot der Beratungs- und Hilfsmöglichkeiten nicht genügend ausgereift, dazu muss das Wissen über Krankheit und mögliche Folgen für die Kinder weiter in den Vordergrund der Gesellschaft rücken (Jungbauer, 2001 zitiert nach Jungbauer, 2016, S. 9). Eine weitere Schwierigkeit besteht in der stabilen Finanzierung von Präventionsprojekten. Das Hindernis besteht in der in Deutschland getrennten Finanzierung der Gesundheitsfürsorge und der Jugendhilfe und die Gefahr, dass sich aufgrund dessen keines der beiden Hilfesysteme in der Verantwortung sieht (Mattejat & Lisofsky, 2014, S. 11).

1.2 Zielsetzung und Forschungsfrage

Die folgende Arbeit setzt sich mit der Alltagssituation aus der Sicht der Kinder auseinander und soll durch einen Einblick in das Leben mit mindestens einem psychisch kranken Elternteil eine nötige Sensibilisierung dieser Thematik hervorrufen. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Frage, wie sich eine mögliche Widerstandskraft seitens der betroffenen Kinder entwickeln kann und welche verschiedenen Faktoren einen Einfluss auf diesen Prozess ausüben. Zusätzlich wird die Wichtigkeit von Präventionsmaßnahmen für betroffene Familien veranschaulicht.

1.3 Aufbau der Arbeit

Die Arbeit basiert in erster Linie auf literarische Beleg, die hier aufgefasst und wiedergegeben werden. Die Forschungsmethodik ist dementsprechend ausschließlich Literaturrecherche. Um einen kleinen Einblick in die Thematik zu erhalten werden zu aller erst die am häufigsten vorkommenden psychiatrischen Krankheitsbilder vorgestellt. Nachfolgend wird dem Leser ein Einführung in die Lebenswelt der betroffenen Kinder gegeben, in dem die verbreitetsten Belastungsfaktoren der Kinder vorgeführt werden. Anschließend wird auf die Widerstandskraft, der Resilienz und den dazugehörigen Schutzfaktoren eingegangen. Zudem wird eine der bekanntesten Resilienz-Längsschnittstudien, samt der dazugehörigen Befunde vorgestellt. Direkt im Anschluss werden die Schutzfaktoren erläutert, wie sie auch am häufigsten in der Literatur widergegeben werden. Zuletzt wird auf die Prävention eingegangen, sowie ein bekanntes Präventionsprojekt für Kinder psychisch kranker Eltern vorgestellt. Abschließend endet die Arbeit mit einem Fazit über die Lage und aktuelle Hilfsmöglichkeiten für Kinder psychisch kranker Eltern.

1.4. Theoretische Fundierung

Die Thematik Kinder psychisch kranker Eltern findet sich in viele literarischen Werken, sowie Fachzeitschriften wieder. Viele Werke entstanden in der Zeit von 2000 bis 2010 und es lesen sich häufig immer wieder dieselben Autoren und Autorinnen. Kritisch zu betrachten sind dabei jedoch die häufigen Abweichungen verschiedener Verfasser und Verfasserinnen. Es finden sich viele unterschiedliche Belege und Annahmen, so dass die Literaturrecherche das größte Hindernis bei der Erstellung dieser Arbeit war. Schlussendlich fanden sich dennoch in den meisten themenrelevanten Werken Gemeinsamkeiten wieder, gerade auch aus dem Grund, da sich viele auf ähnliche Annahmen stützten und diese größtenteils einheitlich widergaben.

2. Überblick der häufigsten psychischen Störungen

Um eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, wie sich die Verhaltensweisen der betroffenen Personen bedingt der jeweiligen psychischen Diagnose auf den Lebensalltag auswirken können, werden im Folgenden drei häufig vorkommende psychische Störungen erläutert.

2.1 Affektive Störungen

Die unterschiedlichen Affektiven Störungen werden im ICD-10 unter F30 – F39 noch einmal genauer betrachtet. Die Hauptsymptome aller affektiven Störungsbilder bestehen zum einen aus der Veränderung der Stimmung oder der Affektivität entweder zu einer gehobenen Stimmung oder zur Depression, unter anderem mit oder ohne begleitenden Angstsymptomen. In den häufigsten Fällen wirkt sich der Stimmungswechsel auf das allgemeine Aktivitätsniveau der Betroffenen aus. Zudem neigen die Störungen oft zu Rückfällen. Die einzelnen Episoden beginnen meist mit vorherigen belastenden Situationen oder Ereignissen (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, 2000, S. 237). Zu den affektiven Störungen zählt beispielsweise die Hypomanie, mit dem Diagnoseschlüssel F30.0, sie ist Teil der manischen Episode. Kennzeichnend für diese Störung ist, dass die Stimmung an mindestens vier aufeinander folgenden Tagen in einem für die Betroffenen abnormen Ausmaß gehoben oder gereizt ist. Die bipolare affektive Störung unter dem Diagnoseschlüssel F31.6 ist ebenfalls den affektiven Störungen zuzuordnen, sie zeichnet sich entweder durch einen schnellen Wechsel oder einer Mischung von hypomanischen, manischen oder depressiven Symptomen innerhalb weniger Stunden während der gegenwärtigen Episode aus. Die wohl bekannteste affektive Störung ist die depressive Episode mit der Kennzeichnung F32. Unter Weiteren Diagnoseschlüsseln lässt sie sich unter anderem in eine leichte, mittelgradige oder schwere depressive Episode gliedern. Die wesentlichen Symptome sind zum einen eine depressive Stimmung in einem für die Betroffenen deutlich ungewöhnlichen Ausmaß, die sich größtenteils unbeeinflusst von den äußeren Umständen über die meiste Zeit des Tages bemerkbar machen. Die Diagnose setzt voraus, dass dieser Zustand über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen anhält. Des weiteren geht mit einer depressiven Episode häufig ein Interessen- oder Freudverlust an Aktivitäten, die in der Regel angenehm waren. Ein ebenso wesentliches Merkmal der depressiven Episode sind außerdem wiederkehrende Gedanken an Tod und Suizid bzw. suizidales Verhalten (Dilling, Mombour, Schmidt, & Schulte-Markwort, 2016, S. 111-118).

2.2 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung

Die emotional instabile Persönlichkeitsstörung gehört zu den am häufigsten vorkommenden spezifischen Persönlichkeitsstörungen und wird im ICD-10 dem Diagnoseschlüssel F60.3 zugeordnet. Sie lässt sich in zwei Typen unterteilen, zum einen der impulsive Typ und der Borderline-Typ. Betroffene, die dem impulsiven Typ zugeordnet werden, erleben eine erhöhte Tendenz dazu, unerwartet und ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen zu handeln. Zusätzlich besteht ebenfalls eine deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen Personen. Darüber hinaus neigen die Betroffenen zu Wutausbrüchen oder Gewalt, ohne über die Kontrolle dieses explosiven Verhaltens zu verfügen. Begleitend herrscht bei den Betroffenen meist eine unbeständige und launische Stimmung. Der Bordeline-Typ hingegen zeichnet sich zusätzlich in einer Störung des Selbstbildes und einem anhaltenden Gefühl von innerer Leere wieder. Betroffene neigen dazu, sich auf intensive jedoch instabile Beziehungen einzulassen, dessen Folge häufig emotionale Krisen sind. Hinzu kommen wiederholt Drohungen und Handlungen mit Selbstschädigung (Dilling, Mombour, Schmidt, & Schulte-Markwort, 2016, S. 166-167).

2.3 Schizophrenie

Die Schizophrenie wird im ICD-10 unter dem Diagnoseschlüssel F20 eingeordnet. Die Hauptmerkmale sind das laut werden der Gedanken, Gedankenentzug oder Gedankenausbreitung. Häufig hören die Betroffenen kommentierende oder dialogische Stimmen, die über das Verhalten des Betroffenen reden oder direkt auf ihn einreden. Viele leiden zusätzlich an Halluzinationen, sowie einem anhaltenden, kulturell unangemessenen, bizarren und völlig unrealistischen Wahn, zum Beispiel mit Außerirdischen in Kontakt zu stehen oder sich für Jesus zu halten (Dilling, Mombour, Schmidt, & Schulte-Markwort, 2016, S. 98-99).

3. Lebenswelt von Kinder psychisch kranker Eltern

Betrachtet man die Belastungen von Kindern psychisch kranker Eltern aus einer subjektiven Sichtweise, bietet dies einen Einblick in die unmittelbaren Erlebnisweisen, die Gefühle und den Umgang mit den auftretenden Alltagsanforderungen der betroffenen Kinder. Diese Perspektive begünstigt ein differenziertes Verständnis dafür, wie sich die folgenden Belastungsfaktoren auf die Kinder auswirken (Plass & Wiegand-Grefe, 2012, S. 21).

3.1 Desorientierung

Durch die sensible Beobachtung der erkrankten Eltern nehmen Kinder Veränderung in den Handlungen, Verhaltensweisen und Gefühlsäußerungen genau wahr. Sie besitzen ein ausgeprägtes Gefühl dafür, ob das betroffene Elternteil deutlich unruhiger oder schneller aufbrausend wird und dazu ungeduldig reagiert, ob es oft weint und viel schläft, sich schneller zurückzieht oder sich ängstlicher zeigt und auf Fragen nicht mehr antwortet. Die Kinder registrieren ebenso genau, wenn beispielsweise die Hausarbeit nicht mehr geschafft wird, nicht mehr regelmäßig gekocht wird und die Wohnung dazu immer unordentlicher wird. Ältere Kinder versuchen dann häufig, jede Form von Auseinandersetzungen oder Aufregung in der Familie zu vermeiden, indem sie sich ruhig und unauffällig verhalten und es möglichst vermeiden, Forderungen zu stellen. Die Folgen sind meist der Rückzug ins eigene Zimmer und das Absagen jeglicher Verabredungen. Jüngere Kinder reagieren dagegen oft aggressiv auf diese Veränderungen, auf diese Weise drücken sie ihre Überforderung aus. Hinzukommend stellen sich die betroffenen Kinder die Frage, aus welchem Grund sich die Mutter oder der Vater so verhalten. Fehlt den Kindern dann noch das nötige Wissen über die Erkrankung der Eltern, so löst dies Sorgen, Ängste und Verwirrung aus. Oftmals verändern sich diese Gefühle zu Enttäuschung, Traurigkeit und Wut auf den Erkrankten Elternteil (Lenz & Wiegand-Grefe, 2016, S. 22-23).

3.2 Schuldgefühle

Bedingt durch mangelndes Wissen über die psychische Erkranken des Elternteils entstehen bei den Kindern häufig Schuldgefühle. Studien haben herausgefunden, dass viele der betroffenen Kinder die Erkrankung der Eltern auf starke Belastungen oder Überlastung zurückführen. Diese Überlastung verbinden die Kinder dann mit einer persönlichen Schuldzuweisung. Zudem fühlen sich die Kinder mitverantwortlich für die Krankheit, da sie, obwohl sie diese Belastung wahrnehmen, die Eltern aus ihrer eigenen Sicht nicht ausreichend unterstützen oder sich in dem Ausmaß kümmern, wie sie es grundsätzlich für nötig halten (Lenz & Wiegand, 2016, S. 24). Im Laufe der Zeit distanzieren sich vor allem ältere Kinder oft aus Selbstschutz von dem erkrankten Elternteil. Das hat die Folge, dass sie häufig unter Schuldgefühlen gegenüber diesem Elternteil leiden (Holzberger, 2017).

3.3 Soziale Isolierung

Aufgrund von Schweigeverboten und Kommunikationsproblemen innerhalb der Familie fehlen den Kindern oft Bezugspersonen, mit denen sie über die eventuell vorliegenden Probleme reden können, meist wissen sie auch nicht, an wen sie sich überhaupt wenden können. Besteht jedoch die Möglichkeit, sich mit einer außenstehenden Person über die belastende Situation mit den erkrankten Eltern zu unterhalten, empfinden die Kinder diese Gespräche als Verrat an diesen und der gesamten Familie. Infolgedessen, dass sie ihre Probleme und Anliegen nicht nach außen tragen wollen, entgeht den Kindern oft die Gelegenheit Verständnis und eine damit einhergehende Entlastung für sich und ihre Lebenssituation zu finden (Lenz & Wiegand, 2016, S. 26).

3.4 Verantwortungsübernahme (Parentifizierung)

Betroffene Kinder fühlen sich verantwortlich für die erkrankten Eltern und die gesamte Familie. Aus Angst vor einer Verschlimmerung der Störung bemühen sich die Kinder, den Eltern weit möglichst als Entlastung zu dienen, indem sie Aufgaben wie putzen, kochen und waschen, sowie die Betreuung kleinerer Geschwister übernehmen. Des Weiteren unterstützen sie den erkrankten Elternteil bei der Strukturierung des Tagesablaufs, beispielsweise durch die Motivation zu täglichen Spaziergängen oder sie tragen die Verantwortung bei der Medikamenteneinnahme. Eine der möglichen Folgen durch die Übernahme von Aufgaben, die eigentlich der elterlichen Funktion zuzuordnen sind, ist die Gefahr in die Rolle eines Ersatzpartners des erkrankten Elternteils zu rutschen, dies ist das mögliche Resultat aus der Vermittlung von Rückhalt und Geborgenheit. Hinzukommend könnten die erkrankten Eltern ihre Kinder unabhängig und ohne Rücksicht auf das Alter, bei wichtigen Entscheidungen zu Rate ziehen wollen. Gegebenenfalls besteht ebenso das Risiko für die betroffenen Kinder, dass sie in eine Art „Sorgenrolle“ zwischen die Eltern geraten und quasi als Schiedsrichter und Friedensstifter dazu beitragen, die Ehe der Eltern zusammenzuhalten. Die Übernahme dieser möglichen Rollen stellt für die Kinder eine große Überforderung dar, sie laufen in Gefahr, ihre eigenen Bedürfnisse denen der Eltern oder des betroffenen Elternteils auf Kosten ihrer eigenen Entwicklung unterzuordnen (Lenz & Wiegand-Grefe, 2016, S. 27).

4. Resilienz und Schutzfaktoren

Wie kann es jedoch sein, dass manche Kinder diese enormen Belastungen unbeschadet überstehen und sich trotzdem gesund entwickeln können, während andere Kinder diese Fähigkeit nicht besitzen? Um diese Belastungen weitgehend unbeschadet zu überstehen, benötigen die Kinder eine eigene psychische Widerstandskraft, diese setzt sich aus eigenen Ressourcen und Schutzfaktoren zusammen, die im Folgenden genauer definiert werden.

4.1 Resilienz

Das Wort Resilienz wird von dem englischen Wort „resilience“ abgeleitet und bedeutet im deutschen Sprachraum so viel wie „Spannkraft, Widerstandsfähigkeit“ (Frick, 2019, S. 121). Es gilt zwischen Kindern und jungen Erwachsenen, sowie erwachsenen Personen zu unterscheiden. Während die Resilienz bei erwachsenen Personen der erfolgreichen Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen dient (Lyssenko & Bengel, 2016, S. 841), bezeichnet es bei betroffenen Kindern die Möglichkeit, dass diese trotz der belastenden Lebensumstände und möglichen Ereignisse eine psychisch gesunde Entwicklung durchleben können. Dementsprechend ist Resilienz keine Persönlichkeitseigenschaft, sondern hängt von zwei wesentlichen Bedingungen ab:

1. Es besteht eine Risikosituation.
2. Das Individuum bewältigt diese positiv aufgrund vorhandener Fähigkeiten (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2019, S. 10)

Dieser Aspekt findet sich ebenso in früheren Forschungen wieder, inzwischen versteht man Resilienz als eine variable Kapazität, die sich im Laufe der Zeit im Kontext der Interaktion zwischen Mensch und Umwelt entwickelt (Lyssenko & Bengel, 2016, S. 841). Damit ist Resilienz ein „dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess“, bei dem das Kind selbst aktiv regulierend auf seine Umwelt einwirkt (Wustmann, 2016 zitiert nach Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2019, S. 10). Infolgedessen ist Resilienz bereichsspezifisch und somit multidimensional, zeigen Risikokinder in bestimmten Bereichen bedeutende Kompetenzen, können hingegen in anderen Bereichen Probleme sowie eine unzureichende Anpassung auftreten. Demnach ist es nicht möglich einen einzigen Indikator zu benennen, mit dem Resilienz gemessen werden kann (Bengel, Meinders-Lücking, & Rottmann, 2009, S. 21).

4.2 Risikofaktoren

Um den Begriff Risikokinder besser verstehen zu können, werden nun die häufigsten Risikofaktoren aufgezählt, die als Gefährdung der psychischen Gesundheit von Kindern psychisch kranker Eltern eingeordnet werden. Man unterscheidet hier unter elterlichen oder familiären Belastungsfaktoren und Faktoren auf der Seite des Kindes. Zu den elterlichen, bzw. familiären Faktoren zählen zum Beispiel die Familiengeschichte und der Ursprung der psychischen Erkrankung, die Merkmale und der Schweregrad der Störung, die Gefahr, dass das Kind beispielsweise bei Wahnvorstellungen in die Symptomatik miteinbezogen wird, wie die allgemeine Beziehung und Kommunikation zu den Eltern aufgebaut ist, also die allgemeine Eltern-Kind-Beziehung, sowie der sozioökonomische Status und die Lebensbedingungen der Familie. Faktoren auf der Seite des Kindes sind beispielsweise das Alter, sowie das Geschlecht des Kindes, frühe Trennungserlebnisse, intellektuelle und soziale Kompetenzen, emotionale Instabilität oder aggressives und antisoziales Verhalten, sowie Rückzugstendenzen und Passivität, aufgrund von sozialen Ängsten. Allgemein scheinen die Folgen für das Kind schwerwiegender zu sein, je stärker es in die Symptomatik des kranken Elternteils miteinbezogen wird und je jünger es dabei ist (Wiegand-Grefe, Geers, Rosenthal, & Plaß, 2009, S. 162)

4.3 Längsschnittstudien

Längsschnittstudien spielen im Allgemeinen in der Entwicklungs- und Lebenslaufpsychologie und besonders in der Resilienz- und Schutzfaktorenforschung eine zentrale Rolle. Sie tragen zur Entdeckung psychosozialer Schutzfaktoren bei und untersuchen obendrein die Zusammenhänge mit der physischen und psychischen Gesundheit. Der Vorteil der Längsschnittstudien ist die Verfolgung des Verlaufs beziehungsweise der Entstehung körperlicher und psychischer Erkrankungen über einen längeren Zeitraum hinweg. Aus der forschungsmethodischen Sicht eignen sich zudem nur Längsschnittstudien dazu, Aussagen zu den Auswirkungen von Schutzfaktoren auf die Entwicklung eines Individuums zu treffen, da die Bedeutung von Resilienz in unterschiedlichen Lebensphasen bestimmt wird und die entsprechenden Entwicklungsverläufe sowie mögliche Schwankungen in der Längsschnittstudien erfasst und dokumentiert werden können. Studien die sich über einen langen Zeitraum, beispielsweise von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter erstrecken, haben eine besondere Aussagekraft. Folgende Kriterien zeichnen eine aussagekräftige Längsschnittstudie aus:

- Eine Kerngruppe von ca. 100 bis 1000 Studienteilnehmern und -nehmerinnen,
- unterschiedliche Geschlechter,
- mehrere und altersangemessene Instrumente zur Datenerhebung,
- Messungen zu mehreren Zeitpunkten im Entwicklungsverlauf,
- Geringe Ausfallquoten sowie
- Vergleichsgruppen mit geringer Risikobelastung (Bengel, Meinders-Lücking, & Rottmann, 2009, S. 28).

4.4 Die Kauai-Längsschnittstudie

Die Kauai-Studie von Emmi Werner und ihrem Team gilt in der Literatur als eine der ältesten und bekanntesten Studien zum Thema Resilienz. Als Hauptzweck der Studie galt es herauszufinden, welche miteinander verbundenen und schützenden Ereignisse den betroffenen Kindern dabei halfen, trotz Aspekten wie Armut oder psychopathologischer Eltern, als Erwachsene ein zufriedenstellendes Leben führen zu können (Grossmann, 2003, S. 26). Es handelt sich bei der Studie um eine Längsschnittforschung, diese gelten als mühsam und erfordern eine gewisse Ausdauer, da die Forschung ein Leben lang geht. Die Erkenntnisse der Studie sind jedoch zum Fundament aller Wissenschaften geworden, dessen zentrale Forschung sich mit den Bedingungen einer gelungenen und gefährdeten Entwicklung von Kindern beschäftigt (Kormann, 2007, S. 43).

4.4.1 Emmy Werner

Emmy Werner, geboren am 26. Mai 1929 in Eltville am Rhein, war eine US-amerikanische Psychologin im Bereich der Entwicklungspsychologie (Kohler-Spiegel, 2018). Sie gilt als eine der wenigen Wissenschaftlerinnen, die in der Entwicklungspsychologie zu dem Fundament beigetragen haben, auf dem sie noch immer ruht. In ihren Büchern vermittelt sie ihre Weisheit und ihr Wissen darüber, wie Kinder zu verantwortungsbewussten Jugendlichen und jungen Erwachsenen heranwachsen. Sie schreibt vor allem über Risiko, Schutz, Resilienz und die Überwindung von allzu großem Leid. 1949 erfährt Werner in ihrem zweiten Semester zum ersten Mal von entwicklungspsychologischen Längsschnittuntersuchungen, in denen Menschen von Geburt an über viele Jahre beobachtet, geprüft und gemessen werden. Fünf Jahre später entwickelt sie die Idee, zu untersuchen, was nötig ist, damit sich ein schlechter Lebensstart bei Kindern nicht zu einem Lebenstraum entwickelt. Den entscheidenden Schlüssel dazu findet sie auf der Insel Kauai und zwar in der Kraft der bedingungslosen Akzeptanz durch wenigstens eine liebende Person, die besonders bei Kindern mit physischen und psychischen Leid dazu beiträgt, ihnen das Leben lebenswerter zu gestalten (Grossmann, 2003, S. 15-17).

4.4.2 Durchführung und zentrale Befunde

Mit der Studie untersuchten Emmy Werner und ihr Team den Einfluss unterschiedlicher biologischer und psychosozialer Risikofaktoren, kritischer Lebensereignisse sowie Schutzfaktoren, auf die Entwicklung von 698 Kindern, die alle im Jahre 1955 auf der hawaiianischen Insel Kauai geboren wurden. Bereits während der Schwangerschaft begann die dazugehörige Datenerhebung. Der Großteil der Teilnehmenden konnte zudem auch zu den späteren Messzeitpunkten im Alter von 1, 2, 10, 18, 32 und 40 Jahren kontrolliert werden. Etwa 30% der Kinder wuchsen unter schwierigen Bedingungen auf und waren mindestens vier oder mehr Risikofaktoren wie chronischer Armut, Komplikationen während der Geburt, psychischer Erkrankung der Eltern und schwierigen Familienverhältnissen ausgesetzt (Bengel, Meinders-Lücking, & Rottmann, 2009, S. 33). Werners Interesse galt besonders diesen Risikokindern. Sie wollte wissen, wie sie sich über die Jahre entwickeln werden und ob sie die Chance auf ein problemfreies und zufriedenstellendes Leben haben. Zwei Drittel der belasteten Kinder fielen besonders im Alter von 10 und 18 Jahren negativ auf, sie wiesen Lern- und Verhaltensprobleme auf, gerieten mit dem Gesetz in Konflikt oder litten unter psychischen Problemen. Ein Drittel der Risikokinder entwickelte sich jedoch bemerkenswert positiv. Es waren zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Verhaltensauffälligkeiten festzustellen. Die Teilnehmenden waren erfolgreich in der Schule, setzten sich realistische Ziele und waren zudem in das soziale Leben integriert. Die Kauai-Studie widerlegt somit die Annahme, dass ein Kind, dass unter Hochrisikofaktoren aufwächst, sich zwangsläufig zu einem Versager entwickelt (Kormann, 2007, S. 44).

4.4.3 Schutzfaktoren der Kauai-Studie

Während der umfassenden Kauai-Studie wurden eine Vielzahl an kinds- und umgebungsbezogener Schutzfaktoren gefunden. Nach Werner setzen sich die Schutzfaktoren aus personalen, sowie sozialen und familiären Ressourcen zusammen. Zu den personalen Ressourcen zählen wie folgt:

- eine positive soziale Orientierung,
- ein aktives Explorationsverhalten,
- eine gute sprachliche und motorische Entwicklung,
- gute Problemlöse- und Lesefähigkeiten,
- vielseitige Interessen,
- ein günstiger Einsatz persönlicher Ressourcen,
- Selbstvertrauen,
- Internale Kontrollüberzeugungen, sowie
- der Glaube an die Sinnhaftigkeit des Lebens.

Die sozialen und familiären Ressourcen bestehen daneben aus folgenden Aspekten:

- Familien mit weniger als vier Kindern und nicht zu engem Geburtsabstand,
- Einfühlsamer Erziehungsstil der Mutter,
- höheres Bildungsniveau der Mutter,
- gutes Auskommen mit Mitschülern und Mitschülerinnen,
- soziale Fertigkeiten und
- einer engen Beziehung zu unterstützenden Personen außerhalb der Familie.

Zudem hebt Werner hervor, dass ein einzelner Schutzfaktor nie einzeln und direkt wirke, sondern über die Zeit immer wieder Wechselwirkungen verschiedener Schutzfaktoren zu finden sind. Durch die Studie konnte ein folgender möglicher Mechanismus einer Kette schützender Faktoren festgestellt werden. Es beginnt mit einem positiven Zusammenhang zwischen einem sozial orientierten Verhalten als Säugling und der emotionalen Zuwendung, die das Individuum in der frühen und mittleren Kindheit hatte. Dieses positive Interaktion von Kind, Eltern und fürsorglichen Erwachsenen außerhalb der Familie brachte eine größere Selbstständigkeit und zugleich soziale Reife mit sich. Die zehnjährigen Kinder wiesen dazu eine ausgeprägte schulische Kompetenz auf, was wiederum mit einem positiven Selbstwertgefühl samt der Selbstwirksamkeitserwartung mit 18 Jahren zusammenhing. Mit 32 und 40 Jahren lag aufgrund der Überzeugung, selbst für die eigenen Erfolge verantwortlich zu sein, außerdem eine viel geringere emotionale Belastung vor (Bengel, Meinders-Lücking, & Rottmann, 2009, S. 34).

4.5 Schutzfaktoren

Die Klassifikation der Schutzfaktoren in der Kauai-Studie ähnelt der, die in der Wissenschaft mehrheitlich angenommen wird. In der Literatur findet sich häufig die Einteilung in personale, familiäre und soziale Schutzfaktoren. Bengel, Meinders-Lücking und Rottmann (2009, S. 49) greifen die personalen, familiären und sozialen Ressourcen auf und unterteilen diese zusätzlich in verschiedene Faktoren, die einen Einfluss auf die Resilienz mit sich bringen.

4.5.1 Personale Schutzfaktoren

So bestehen die personalen Schutzfaktoren zum einen aus körperlichen Schutzfaktoren und biologischen Korrelate der Resilienz. Dazu zählt beispielsweise die Tatsache, das erstgeborene Kind zu sein und für eine unbestimmte Weile die ungeteilte elterliche Aufmerksamkeit zu erhalten, die wiederum eine protektive Wirkung auf die Entwicklung haben könnte. Noch unbestimmt ist dagegen der Faktor „weibliches Geschlecht“. Im Allgemeinen wird es als Schutzfaktor betrachtet, da Mädchen bis zur Pubertät zum Beispiel seltener an psychischen Erkrankungen leiden und zum anderen bei Lernbehinderungen häufiger die Jungs betroffen sind. Jedoch ist es noch immer fraglich, ob der weibliche Charakter per se als Schutzfaktor betrachtet werden kann, da gerade nach der Pubertät die Mädchen häufiger an psychischen Krankheiten wie Depressionen oder Essstörungen leiden und dies die Annahme das Mädchen weitgehend resilienter seien widerlegt. Es wird dafür plädiert diesen Mechanismus weiter zu erforschen. Kognitive und affektive Schutzfaktoren zählen ebenfalls zu den personalen Ressourcen und lassen sich in verschiedene Faktoren aufteilen. Dazu zählt zum Beispiel die positive Wahrnehmung der eigenen Person, eine positive Lebenseinstellung und Religiosität, allgemeine kognitive Fähigkeiten und schulische Leistung. Die Selbstwirksamkeitserwartung ist ein häufig genannter Faktor, der zur Entwicklung größerer Selbstsicherheit, sowie einer positiveren Selbsteinschätzung führen kann. Zwei ebenso relevante Schutzfaktoren sind die Selbstkontrolle und die Selbstregulation, es handelt sich demnach um den Grad der Kontrolle, den ein Individuum über seine eigenen Emotionen hat und der eine schützende Rolle in der Abschottung gegenüber Umwelteinflüssen und Störungen einnimmt. Des Weiteren haben aktive Bewältigungsstrategien eine große Bedeutung in der Resilienz, die Betroffenen sind in kritischen Lebenssituationen eher in der Lage nach Unterstützung und Hilfe zu suchen und ihre Probleme aktiv anzugehen. Der nächste Faktor ist eine realistische Selbsteinschätzung und eine vorhandene Zielorientierung, dabei bestimmt die Selbsteinschätzung, welche Ziele sich eine Person setzt und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie diese Ziele erreicht. Zudem sind besondere Begabungen, Ressourcen und Kreativität ein weiter Schutzfaktor, da diese Ressourcen die Individuen dabei fördern, sich auf die eigenen Stärken und Fähigkeiten zu konzentrieren und diese auch zu nutzen. Die Umsetzung individueller Fähigkeiten führt beispielsweise zu Akzeptanz in einer Kindergruppe, das zieht wiederum eine Selbstwertstärkung, die für die Entwicklung sehr förderlich ist, mit sich. Ein zusätzlich bedeutender personaler Schutzfaktor ist außerdem die soziale Kompetenz. Der Begriff taucht immer wieder in der Resilienzforschung auf und wird als sehr bedeutsam für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen eingeschätzt. Charakteristisch zeichnet sich die soziale Kompetenz in der Fähigkeit aus, mit anderen Menschen problemlos in Kontakt treten zu können, sowie Beziehungen zu knüpfen und aufrechtzuerhalten, andere Menschen einschätzen zu können und Verantwortung und soziale Aufgaben zu übernehmen (Bengel, Meinders-Lücking, & Rottman, 2009, S. 51-85).

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Title
Kinder psychisch kranker Eltern. Wie können Ihre psychischen Widerstandskräfte aufgebaut werden und was kann die Prävention für die Familie leisten?
College
International University of Applied Sciences
Grade
1,0
Year
2020
Pages
19
Catalog Number
V934535
ISBN (eBook)
9783346255464
ISBN (Book)
9783346255471
Language
German
Keywords
kinder, eltern, ihre, widerstandskräfte, prävention, familie
Quote paper
Anonymous, 2020, Kinder psychisch kranker Eltern. Wie können Ihre psychischen Widerstandskräfte aufgebaut werden und was kann die Prävention für die Familie leisten?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/934535

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