Die schöne Seele

Ein Ideal des 18. Jahrhunderts verschwindet im 19. Jahrhundert


Seminararbeit, 2007

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die schöne Seele aus feministischer Sicht

3. Die schöne Seele in der Aufklärung
3.1 Die schöne Seele im Rokoko
3.2 Die schöne Seele in der Empfindsamkeit
3.3 Die schöne Seele als Aufklärungskritik

4. Die schöne Seele in der Klassik
4.1 Schiller und die schöne Seele
4.2 Goethe und die schöne Seele

5. Der Verlust der schönen Seele
5.1 Kleist und die schöne Seele
5.2 Absage an die schöne Seele

6. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Schöne Seele, literarisches Idealbild eines tugendhaften, nach dem Guten strebenden Charakters, in dem sich Vernunft und Sinnlichkeit, Affekte und Moral usw. die Waage halten, so daß ein harmonischer („schöner“) Ausgleich entsteht. Nach Vorstufen bei PLATON (Kalokagathie) und PLOTIN besonders im 18. Jahrhundert von SHAFTESBURY, in Deutschland von SCHILLER (Über Anmut und Würde, 1793) theoretisch formuliert, literarisch im Pietismus, dem Tugendideal der Empfindsamkeit (RICHARDSON, ROUSSEAU) und deutsch bei WIELAND, GOETHE (Bekenntnisse einer schönen Seele, Lehrjahre VI), J. G. und F. H. JACOBI gestaltet.[1]

Im Folgenden möchte ich mich dem Ideal der „schönen Seele“ im 18. Jahrhundert sowie seinem Verlust im 19. Jahrhundert widmen. Anhand der Aufklärung untersuche ich zunächst, in welchen literarischen Strömungen und Werken die schöne Seele im 18. Jahrhundert präsent ist. Mit der Definition der schönen Seele in Schillers ästhetischen Schriften erfährt das Ideal seinen Höhepunkt in der Klassik. Deshalb analysiere ich Schillers „Über Anmuth und Würde“ hinsichtlich der Konzeption der schönen Seele sowie Goethes „Bekenntnisse einer schönen Seele“ als literarische Darstellung derselben. Abschließend werde ich den Wandel Anfang des 19. Jahrhunderts thematisieren, wo das Konzept der „schönen Seele“ verschwindet bzw. als gescheitert gilt. Dies wird vor allem anhand von Kleist nachgewiesen, wobei die Philosophie des 19. Jahrhunderts mit Hegel und Nietzsche ebenfalls mit einbezogen wird.

Dieses in der Forschung viel untersuchte Thema kann philosophisch, literaturwissenschaftlich oder auch gesellschaftspsychologisch angegangen werden. Ich werde philosophisch-ästhetische Strömungen in die Betrachtung der „schönen Seele“ mit einbeziehen, mich aber hauptsächlich der literaturwissenschaftlichen Darstellung und Analyse widmen. Daher werden die allgemeinen gesellschaftlichen Umstände sowie der feministische Standpunkt der Literaturwissenschaft nur eingangs eine Rolle spielen.

2. Die „schöne Seele“ aus feministischer Sicht

Die gesellschaftlichen Veränderungen im 18. Jahrhundert waren gravierend. Dies machte sich nicht nur im sozialen Gefüge sondern vor allem auch auf dem kulturellen Sektor bemerkbar.[2] Während sich Bildung im Allgemeinen und besonders im Bürgertum mehr und mehr ausbreitete, führte die zunehmende Alphabetisierung und Allgemeinbildung auch zur Entstehung von literarischer Öffentlichkeit, wie z. B. zur Veröffentlichung einer Vielzahl von literarischen Zeitschriften[3] und der Tradition der Salon- und Briefkultur. Außerdem verhalf der neu aufkommende, internationale Zeitgeist der Förderung von Übersetzungen, wie z. B. Wielands und Eschenburgs Übersetzungen von Shakespeare.

Ein Forschungsansatz betrachtet die „schöne Seele“ und die Umwälzungen im 18. Jahrhundert aus der emanzipierten Perspektive. Ebrecht und Bronfen z. B. gehen fast ausschließlich auf die Veränderungen im Geschlechterdiskurs ein, da sie die „schöne Seele“ als aufgezwungenes Weiblichkeitsideal ansehen. Dabei analysieren sie von einem modern-feministischen Standpunkt aus, d. h. die Konditionen für Frauen im 18. Jahrhundert sehen beide als katastrophal und unmodern an. Die historisch gesehen fortschrittlichen Veränderungen für die Frauen – sowohl als Leserinnen als auch als Schreiberinnen – werden bei diesem Ansatz ganz außer acht gelassen.[4]

Andere Forschungsbeiträge betrachten eher die neu entstandenen Möglichkeiten für Frauen während der Aufklärung.[5] Es steht fest, dass zum ersten Mal Leser innen und Schreiber innen öffentlich akzeptiert und gefördert wurden. Die moralischen Wochenschriften richteten sich bevorzugt an Frauen, die mit dem frühaufklärerischen Modell des „gelehrten Frauenzimmers“ ihrem nun anerkannten Bildungsdefizit entkommen sollten.[6] Außerdem fanden die ersten Herausgeberinnen und Autorinnen offiziellen Zugang in die Literatur. Selbst wenn es wie bei der Wochenschrift Die vernünftigen Tadlerinnen nur fiktive Herausgeberinnen waren, da eigentlich Gottsched die Beiträge schrieb.[7] Trotzdem traten die Wochenschriften „für Bildung und Anerkennung des weiblichen Geschlechtes ein, das zum Hauptkonsumenten der Belletristik wurde“.[8] So etwas war neuartig und wäre in der Renaissance oder im Barock undenkbar gewesen. Insgesamt tauchten die ersten weiblichen Namen in der Literaturgeschichte auf, wie z. B. Anna Luise Karsch und Sophie La Roche. Natürlich wirkt dieser Fortschritt sehr eingeschränkt aus heutiger Sicht.[9] Er stellt jedoch tatsächlich den Beginn der literarischen Emanzipation dar.

Durchaus richtig ist, dass die Anfänge, Frauen in Bildung und Kultur mit einzubeziehen, eine Verlangsamung und Regression erfuhren. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das frühaufklärerische Bild der gelehrten Frau durch das einer geselligen, sich aber nur privat bildenden Frau ersetzt.[10] Die allzu gelehrte Frau wurde gesellschaftlich noch lange schlecht angesehen.[11] Schriftsteller innen blieben lange Zeit die Minderheit und wurden oft durch die Gunst ihrer Ehemänner gefördert (z. B. die Frauen von Herder, Gottsched und Brentano). Trotz alledem ist mit der Aufklärung der Anfang geschaffen, dass Frauen als Leserinnen und Schriftstellerinnen anerkannt werden.

3. Die schöne Seele in der Aufklärung

„Die schöne Seele“ in der Aufklärung hat verschiedene Facetten. Zum einen stellt sie das das Lebensgefühl und Ideal einer harmonischen Verbindung von Gefühlen und Verstand dar. Zum anderen kritisiert ihr Konzept die Aufklärung und enthält damit eine gesellschaftskritische Dimension. Bei der Analyse sind die verschiedenen Strömungen der Aufklärung mit zu berücksichtigen.

3.1 Die schöne Seele im Rokoko

Das Konzept der schönen Seele findet z. B. in der Stilrichtung des Rokoko seinen Ausdruck. Hier entwickelt sich das 17. Jahrhundert bezüglich Motiven, Formen und Gattungen ins natürlich Anmutige und Graziöse, das gleichzeitig eine Synthese bildet mit sinnlichen Freuden wie Wein, Geselligkeit, Singen und Liebe. Vor allem die zum Rokoko gehörige anakreontische Lyrik verband die Grazie mit den sinnlichen Freuden.[12] Das Grazienideal basierte dabei auf der Ästhetik Shaftesburys.[13] Gleichzeitig enthielt die anakreontische Schäferpoesie und Graziendichtung das Ideal des genießerischen, freien Lebens. Als Beispiel ist hier Wielands „Musarion oder Die Philosophie der Grazien“ zu nennen, in dem die Titelheldin Musarion eine schöne Seele im Sinne Shaftesburys darstellt.[14] Sie bekehrt Phanias von einer sinnenfeindlichen Haltung zu einer ironisch-weisen, heiteren Lebensanschauung.[15] Die Synthese der Philosophie der Grazien mit der Sinnlichkeit wird bei Schillers ästhetischer Konzeption in der Klassik wieder auftauchen (s. 4.1).

[...]


[1] Definition entnommen aus Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur.

[2] Sabaté betont neben den ökonomischen, ideologischen und sozialen Veränderungen im Laufe des 18. Jahrhunderts vor allem auch die Herausbildung des literarischen Marktes in Deutschland sowie die Entwicklung der Lesekultur (S. 129). Auch Baillot erwähnt das neu aufkommende Bildungsinteresse und die sich intensivierende Buch- und Wissenschaftskultur im 18. Jahrhundert.

[3] In Frenzel: Daten deutscher Dichtung finden sich acht bedeutende kritische und literarische Zeitschriften der Aufklärung. Davon ist die wahrscheinlich bekannteste Der Teutsche Merkur, herausgegeben von Wieland.

[4] Sabaté vertritt eine gemäßigtere Position, indem sie zwar die bildungsmäßigen Fortschritte für Frauen im 18. Jahrhundert aber auch die bestehenden und bleibenden Einschränkungen insbesondere für Autorinnen aufzeigt (S. 129-132).

[5] Vgl. Baillot, die insbesondere die neu entstehenden Bildungswege und Möglichkeiten für Frauen aufzeigt. Dies geschieht im Rahmen der Untersuchung der Übersetzungskultur im 18. Jahrhundert und der Rolle der Übersetzerinnen in Deutschland und Frankreich.

[6] Vgl. Sabaté, die die Integration der Frauen in den Prozeß der Entstehung einer literarischen Öffentlichkeit als Verdienst der Moralischen Wochenschriften anführt (S. 129).

[7] Ebd. (S. 130)

[8] Vgl. Frenzel: Daten deutscher Dichtung.

[9] Vgl. Sabaté, die hervorhebt, dass Frauen von theologischer Literatur sowie Fachwissenschaftlichem aus der Jurisprudenz und Medizin trotz der fortschrittlichen Gedanken der Aufklärung ausgeschlossen blieben. Außerdem macht sie deutlich, dass Schriftstellerinnen wie La Roche auf Mithilfe der privilegierten Männer angewiesen waren (S. 130).

[10] Vgl. Sabaté: S. 130-131.

[11] Vgl. Goethe, „Bekenntnisse einer schönen Seele“. Er thematisiert eben diese geläufige Anschauung zu der Zeit: Man hatte die gelehrten Weiber lächerlich gemacht, und man wollte auch die unterrichteten nicht leiden, wahrscheinlich weil man für unhöflich hielt, soviel unwissende Männer beschämen zu lassen. (S. 381) Interessanterweise verschafft sich eben gerade die schöne Seele bei Goethe Freiheit und Unabhängigkeit von solchen Denkmustern: Ich hatte in meinem Leben unsäglich gelesen, und in gewissen Fächern war mir fast kein Buch unbekannt;[..]. (S. 427)

[12] Vgl. Meyer-Sickendiek (S. 10). Er führt an, dass die Motive der anakreontischen Lyrik als Ausdruck der natürlichen Grazie begriffen wurden, da Anmut mit sinnlich-äußerlichen Freuden und Geist mit Witz kombiniert ist.

[13] Vgl. Frenzel: Daten deutscher Dichtung.

[14] Vgl. Meyer-Sickendiek (S. 10f.). Er weist auf Musarion hin, da „die schöne Seele“ sowie die Grazie als philosophische Haltung einer bestimmten Form der Lebenskunst thematisiert wird.

[15] Vgl. Inhaltsangabe in Frenzel: Daten deutscher Dichtung.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die schöne Seele
Untertitel
Ein Ideal des 18. Jahrhunderts verschwindet im 19. Jahrhundert
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften)
Veranstaltung
Die schöne Seele
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V93644
ISBN (eBook)
9783640100378
ISBN (Buch)
9783640122905
Dateigröße
445 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Seele, schoene Seele, Ideal, Brittnacher, Schiller, Goethe
Arbeit zitieren
Anna-Luise Langner (Autor:in), 2007, Die schöne Seele, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93644

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