„Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ Soweit die Theorie. Doch in der Praxis wird die angesprochene Verwirklichung durch soziale Ungleichheiten und Armut behindert. Das Bildungswesen in Deutschland ist wie in fast keinem anderen Land sehr starken sozialen Selektionsprozessen unterworfen. Die Kinderarmut hat in den letzten Jahren immer weiter zugenommen, so dass die sozialen Unterschiede größer geworden sind. Schon die Bildungsexpansion in den 60er Jahren hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die sozialen Ungleichheiten im Bildungswesen zu beseitigen – allerdings vergeblich. Die letzten PISA- Ergebnisse haben dies noch einmal sehr deutlich bestätigt. Doch wie entscheidend ist die soziale Herkunft wirklich? Können die Mechanismen der sozialen Selektion nicht überwunden werden, um allen Kindern die gleichen Chancen zu ermöglichen? Nach wie vor spielen die soziale und ethnische Herkunft eine große Rolle, was die Bildungschancen der Kinder betrifft.
Ein weiteres Problem ist die Reproduktion von Bildungsungleichheit. Diese „Weitervererbung“ der Bildungschancen ist erschreckend hoch. Kinder aus Familien mit einem höheren sozialen Status haben vergleichsweise größere Chancen, das Gymnasium zu besuchen als Kinder aus unteren sozialen Schichten. Das macht sich vor allem in den ausgesprochenen Schulempfehlungen am Ende der Klasse 4 bemerkbar. Kinder mit höherem sozialen Status bekommen häufiger Gymnasialempfehlungen als Kinder aus anderen Schichten. Viele Ganztagsschulen haben es sich mittlerweile zur Aufgabe gemacht, diese Chancenungleichheit zu beseitigen. Die deutsch-italienische Gesamtschule in Wolfburg ist nur ein Beispiel, das im vierten Kapitel dieser Arbeit vorgestellt wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Soziale Selektion im Bildungswesen
2.1 Kinderarmut und sozialer Status
2.2 Bildungsexpansion
3. Das deutsche Bildungssystem
3.1 Benachteiligte Gruppen
3.1.1 Ungleichheit nach sozialer Herkunft
3.1.2 Ungleichheit nach ethnischer Herkunft
3.2 Reproduktion von Bildungsungleichheit
3.3 Schulempfehlungen
4. Ganztagsschulen als Versuch sozialer Überwindung
4.1 Nutzung der Ganztagsangebote
4.2 Ganztagsschulen als Integrationsort – Die deutsch-italienische Gesamtschule in Wolfsburg
5. Zusammenfassung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“[1] Soweit die Theorie. Doch in der Praxis wird die angesprochene Verwirklichung durch soziale Ungleichheiten und Armut behindert. Das Bildungswesen in Deutschland ist wie in fast keinem anderen Land sehr starken sozialen Selektionsprozessen unterworfen. Die Kinderarmut hat in den letzten Jahren immer weiter zugenommen, so dass die sozialen Unterschiede größer geworden sind. Schon die Bildungsexpansion in den 60er Jahren hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die sozialen Ungleichheiten im Bildungswesen zu beseitigen – allerdings vergeblich. Die letzten PISA- Ergebnisse haben dies noch einmal sehr deutlich bestätigt. Doch wie entscheidend ist die soziale Herkunft wirklich? Können die Mechanismen der sozialen Selektion nicht überwunden werden, um allen Kindern die gleichen Chancen zu ermöglichen? Nach wie vor spielen die soziale und ethnische Herkunft eine große Rolle, was die Bildungschancen der Kinder betrifft.
Ein weiteres Problem ist die Reproduktion von Bildungsungleichheit. Diese „Weitervererbung“ der Bildungschancen ist erschreckend hoch. Kinder aus Familien mit einem höheren sozialen Status haben vergleichsweise größere Chancen, das Gymnasium zu besuchen als Kinder aus unteren sozialen Schichten. Das macht sich vor allem in den ausgesprochenen Schulempfehlungen am Ende der Klasse 4 bemerkbar. Kinder mit höherem sozialen Status bekommen häufiger Gymnasialempfehlungen als Kinder aus anderen Schichten. Viele Ganztagsschulen haben es sich mittlerweile zur Aufgabe gemacht, diese Chancenungleichheit zu beseitigen. Die deutsch-italienische Gesamtschule in Wolfburg ist nur ein Beispiel, das im vierten Kapitel dieser Arbeit vorgestellt wird.
2. Soziale Selektion im Bildungswesen
2.1 Kinderarmut und sozialer Status
Die soziale Ungleichheit im Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland ist eng verknüpft mit der sogenannten Kinderarmut. Überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche befinden sich in den unteren Gesellschaftsschichten. Besonders betroffen sind diejenigen, die kinderreichen oder unvollständigen Familienverhältnissen entstammen. Diese Kinder und Jugendliche sind einem besonders hohen Armutsrisiko ausgesetzt. In den letzten Jahren ist die Zahl derer, die unter der Armutsgrenze leben, stark angestiegen.[2]
Neben dem erhöhten Armutsrisiko ergeben sich noch weitere gravierende Nachteile, die sich im späteren Leben der Kinder und Jugendlichen in einer geringeren Arbeitsmarktbeteiligung sowie schlechterer Erwerbschancen allgemein niederschlagen. Denn der soziale Status wird später durch Bildung, Einkommen und Berufsprestige bestimmt.[3] Somit sind die Bildungschancen sehr stark von der sozialen Herkunft abhängig. Auch die berufliche Ausbildung des Vaters ist entscheidend für die Bildungskarriere des Kindes. Denn je geringer der Bildungsabschluss des Vaters, desto wahrscheinlicher ist der Hauptschulabschluss des Kindes. Und je höher der erworbene Abschluss, desto besser sind auch die späteren Berufsaussichten. Das Bildungsniveau der Eltern, besonders das des Vaters, wird in sehr vielen Fällen an das Kind „weitervererbt“.
Das deutsche Bildungssystem selektiert besonders stark nach der sozialen Herkunft. Laut PISA 2000 zählt Deutschland zu den Ländern, die sehr hohe herkunftsspezifische Differenzen aufweisen.[4] Auch in der Leistungsbewertung in den Schulen ergeben sich schichtspezifische Unterschiede. Denn bei gleichen schulischen Leistungen entscheidet oft der familiäre Hintergrund über ihre Bildungschancen.[5] Viele Kinder und Jugendliche, besonders diejenigen mit Migrationshintergrund, werden in der Schule nicht nach ihren reinen Leistungen beurteilt. Die Lehrer und Lehrerinnen müssen also weitere, nicht genannte Kriterien heranziehen, um die Leistungen ihrer Schüler zu bewerten.
2.2 Bildungsexpansion
Um die soziale Ungleichheit im Bildungssystem zu beseitigen, fand in den 60er Jahren eine Bildungsexpansion statt. Damit sollte die Bildungsbeteiligung der benachteiligten Gruppen in der Gesellschaft erhöht werden. Diese Bildungsexpansion fand damals auf zwei verschiedenen Ebenen statt. Zum einen im niederen und mittleren Bereich, zum anderen im hohen Bereich. Zum Erstgenannten gehörte die Einführung eines verpflichtenden 9. Schuljahres sowie einer freiwilligen 10. Klasse an der Hauptschule. Des Weiteren wurden viele Berufsausbildungen verlängert, um die Jugendlichen besser auf das Berufsleben vorbereiten zu können.[6] Besonders denjenigen aus den unteren sozialen Schichten, die größtenteils die Hauptschule besuchten, sollten damit bessere Berufschancen ermöglicht werden. Die Reformen im höheren Bereich sollten der Zunahme der Abiturienten sowie der Studienanfänger dienen.
Doch entgegen der Annahmen führte die Bildungsexpansion zu einem stärkeren Einfluss des Elternhauses. Die Chancenungleichheit nahm somit zu und nicht wie erhofft ab.[7] Bis heute hat sich an dieser Situation nicht sehr viel geändert. Die Unterschiede bestehen weiter fort.
[...]
[1] Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), §1 Absatz1.
[2] Vgl. Klundt (2007), S.135.
[3] Vgl. von Below (2002), S.57.
[4] Vgl. Klundt (2007), S.139.
[5] Vgl. ebenda, S.140.
[6] Vgl. von Below (2002), S.63f.
[7] Vgl. ebenda, S. 67.
- Arbeit zitieren
- Christian Eisen (Autor:in), 2008, Soziale Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93655
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