Das Jahrzehnt der Reaktion in Deutschland im Spannungsverhältnis zwischen Restauration und Modernisierung


Hausarbeit, 2008

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die verfassungspolitische Reaktion nach dem Scheitern der Revolution
2.1 Preußens fortdauernde Verfassungspolitik
2.2 Der Neoabsolutismus in Österreich
2.3 Die heterogenen Entwicklungen im dritten Deutschland

3 Die ungelöste deutsche Frage
3.1 Preußens Unionspolitik
3.2 Österreichs Idee des 70 – Millionen Reiches
3.3 Die Olmützer Punktation
3.4 Die Restauration des Deutschen Bundes

4 Die Reaktionspolitik
4.1 Der Bundesreaktionsbeschluss
4.2 Das Bundespressegesetz
4.3 Das Bundesvereinsgesetz
4.4 Der Polizeiverein

5 Die Neue Ära
5.1 Neuer Regierungskurs in Preußen
5.2 Schwierige Veränderungen in Österreich

6 Die deutschlandpolitischen Weichenstellungen am Ende des Jahrzehnt der Reaktion

7 Schlusswort

8 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Versucht man das Jahrzehnt der Reaktion in Deutschland geschichtlich einzuordnen, so muss man feststellen, dass es sich um eine Epoche des Überganges handelt. Ein Übergang von der post- napoleonischen Staatenordnung des Wiener Kongresses von 1815 zu der nationalstaatlichen Konsolidierung Deutschlands, die 1871 im deutschen Kaiserreich ihren Endpunkt fand. Ganz bedeutend für dieses Epoche war zudem, dass die Industrialisierung alte Strukturen aufbrach und das nicht nur in der Produktionssphäre, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene. Das Bürgertum entwickelte sich immer mehr zu einem entscheidenden ökonomischen Machtfaktor, was aber im jähen Gegensatz zu dessen politischen Einflussmöglichkeiten stand, weswegen sich auch hier ein Übergang erwarten ließ. Doch Übergänge weisen meist auch ein Spannungsverhältnis zwischen alt und neu auf - und genau das war der Ausgangspunkt für die Revolution 1848 und die darauf folgende Reaktion. „Die Politik der deutschen Regierungen in den 50er Jahren war die Politik der „Reaktion“. Es war der Versuch, den konservativ- bürokratischen Obrigkeits- und Ordnungsstaat wieder fest zu etablieren und gegen den Liberalismus und all die Tendenzen, die zur Revolution geführt hatten, abzuschirmen.“[1] Im Folgenden werde ich das Jahrzehnt der Reaktion in Deutschland untersuchen, auch im Hinblick auf derartige Spannungsverhältnisse.

2 Die verfassungspolitische Reaktion nach dem Scheitern der Revolution

Die verfassungsmäßige Behauptung der beiden deutschen Militärmonarchien leitete im Spätherbst 1848 den Niedergang der Revolution ein, wodurch sich das politische Geschehen wieder einseitig auf die Ebenen der Regierungen verlagerte. Jedoch stand die konservativ- etatistische Politik der Revolutionsbewältigung unter erheblich veränderten gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen, wodurch sich der Konservativismus in einer strukturellen Abwehrsituation befand und zugleich die Partizipationsbestrebungen des wirtschaftlich immer bedeutender werdenden Bürgertums dazu führte, dass eine schlichte Repressionspolitik auf Dauer nicht ausreichend war, um diese Entwicklungen zu bekämpfen.[2] Vor dem Hintergrund dieser konzeptionellen Grundüberlegungen mussten sich die Fürsten der deutschen Staaten für einen verfassungspolitischen Weg entscheiden, der von liberalen Zugeständnissen bis zur Restauration absolutistischer Verhältnisse reichte.

2.1 Preußens fortdauernde Verfassungspolitik

Die nachrevolutionäre Verfassungspolitik in Preußen war anfangs im Wesentlichen von zwei Prinzipien bestimmt. Zum einen wollte man entschieden mit der Revolution brechen und einen maximalen Machterhalt für die alten Eliten garantieren und zum anderen setzte sich Preußen paradoxerweise an die Spitze der deutschen Verfassungsbewegung. Letzteres wurde nicht unwesentlich von obigen Überlegungen zu den Partizipationsbestrebungen beeinflusst, wodurch eine einfache Repressionspolitik als unzureichend klassifiziert wurde. „Man wollte entschieden mit der Revolution brechen; darum sollte die Verfassung revidiert und interpretiert werden. Aber man sollte bei dieser Verfassung bleiben; man konnte mit ihr die Gesellschaft in den bürokratischen Staat einbinden und das Parteiwesen abblocken.“[3] Darüber hinaus wurden die Verfassungspolitik und die innere Reformpolitik von deutschlandpolitischen Motiven stark beeinflusst, denn Preußen setzte sich an die Spitze einer kleindeutschen Einigungsbewegung. „ Diese Tatsache verbietet, die Reaktion als neue Epoche bruchartig beginnen zu lassen. Im Gegenteil schienen die Zeichen der Zeit noch weiterhin in jene Richtung zu deuten, welche die Revolution eröffnet hatte: zum nationalen Verfassungsstaat.“[4] Dass die Revolution nicht mit aller Härte und Konsequenz bekämpft wurde, sondern ihr noch eine gewisse wohlwollende Duldung entgegengebracht wurde, für welche die oktroyierte Verfassung vom 6. Dezember 1848 ein Beispiel ist, stand in engem Zusammenhang mit der Stellung Preußens innerhalb Deutschlands.[5] Dies sollte sich erst mit dem Vertrag von Olmütz ändern, da sich dort das Deutschlandpolitische Motiv zerschlug und somit einer tiefgreifenderen Reaktion die Türe aufgestoßen wurde.

Konkret äußerte sich dies alles in Preußen dadurch, dass die Regierung der Gegenrevolution unter Ministerpräsident v. Brandenburg im Dezember 1848 eine moderate Verfassung oktroyierte, wobei der Regierung mit wenigen Schlüsselbestimmungen (v.a. Notverordnungsrecht) entscheidende Handlungsspielräume gesichert werden konnten, welche die ohnehin geplante Verfassungsrevision zugunsten des monarchischen Prinzips ermöglichte.[6] So wurde am 30. Mai 1849 mithilfe einer Notverordnung das Drei-Klassen- Wahlrecht eingeführt, welches zwar allgemein aber ungleich war: es teilte die Wähler nach dem bourgeoisen Prinzip der Steuerleistung in drei Klassen ein, wobei jede dieser Klassen ein Drittel der Wahlmänner in ihrem Bezirk stellte. Im Jahr 1849 sah dies konkret so aus, dass 4,7% der Wähler zur ersten, 12,6% zur zweiten und 82,7% zur dritten Klasse gehörten - damit hatte ein Wähler der ersten Klasse das 17,5 –fache Stimmgewicht eines Wählers der dritten Klasse.[7] Des Weiteren war dieses Wahlrecht ein öffentliches, was der Regierung die Möglichkeit bot, durch massive Wahlbeeinflussung die Zusammensetzung der zweiten Kammer zugunsten einer konservativen Mehrheit zu regulieren.[8] Mit der neu gewählten Kammer kam es schließlich im Februar 1850 zur Verfassungsrevision mit dem Ergebnis, dass die Rechte der Krone gestärkt wurden. Der Monarch war oberster Träger von Regierung und Verwaltung, Oberbefehlshaber der Armee, hatte ein absolutes Veto gegenüber der Legislative und verfügte über ein Ausnahme- und Notverordnungsrecht. Darüber hinaus kam zu einer Neuorganisation der ersten Kammer in ein Herrenhaus, was mit einer Adelskörperschaft nach Vorbild des englischen „House of Lords“ vergleichbar war. Auch in Fragen des Budgetrechts war die Regierung relativ unabhängig vom Parlament. Dennoch war Preußen nicht mehr absolutistisch, sondern blieb über die Gegenrevolution hinaus eine konstitutionelle Monarchie mit Gewaltenteilung, Zweikammersystem, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten.[9] Zusammenfassend kann man sagen: „Die alten Mächte waren wieder im Besitz der Staatsgewalt, aber es war nicht mehr wie vor der Revolution; man hatte eine Verfassung, die Krone hatte mit der bürgerlich- konstitutionellen Bewegung einen Kompromiss geschlossen.“[10]

2.2 Der Neoabsolutismus in Österreich

Die grundlegende Problematik für die verfassungspolitischen Entwicklungen nach der Revolution in Österreich war die Erhaltung der territorialen Integrität der Habsburgermonarchie. Das Ziel der nach-revolutionären Politik des österreichschen Kaiserstaates war, „[…] nicht nur die revolutionären und zentrifugalen Kräfte militärisch und polizeilich zu unterdrücken, sondern auch seine partielle Rückständigkeit durch nachholende Integrations- und Modernisierungsleistungen zu überwinden, um den deutschen Führungs- und europäischen Großmachtanspruch materiell zu unterbauen.“[11] Analog zum preußischen Vorgehen löste die österreichische Regierung im März 1849 den verfassungsgebenden Reichstag auf und oktroyierte eine Verfassung, die vom Typ her einer konstitutionellen Monarchie entsprach und so das Kaiserreich zum ersten Mal in der Geschichte zu einem Gesamtstaat mit Zentralregierung und Zentralparlament machte. Das Problem dabei bestand darin, dass die Multinationalität des Reiches im anationalen Verfassungsaufbau keine systematische Berücksichtigung gefunden hatte, weshalb der in den Revolutionsjahren aufkeimende Nationalismus der Minderheiten dieses Modell vor schwer zu lösende Probleme stellte.[12] Zugleich wurde der Zentralismus gegen die Autonomiewünsche der Nationen durchgesetzt, weshalb die Opposition der Nationalismen gegen das System immer stärker wurde.[13] Dieser Kontext, dass der konstitutionelle Staat weder von oben gewollt, noch von unten unterstütz wurde, erleichterte die Rücknahme der Verfassung durch das Silvesterpatent von 1851 erheblich und es etablierte sich ein System des Neo-Absolutismus. „Mit der förmlichen Rücknahme der Märzverfassungen wurde das zentralbürokratische System bis zur Gemeindeebene in voller Nacktheit hergestellt. In historischer Perspektive lag hierin das objektive Eingeständnis, dass die aktive Einbeziehung der politisch formierten gesellschaftlichen Kräfte nicht zu jenem Integrationsprozessen führen würde, derer es zur Verwirklichung der Reichseinheit bedurfte.“[14]

Nachdem die Integrations- und Modernisierungsleistungen im verfassungspolitischen Bereich kläglich gescheitert waren, versuchte man das System durch Verwaltungs-, Wirtschafts- und Sozialreformen zu stabilisieren und auf diesem Wege die bürgerliche Gesellschaft zu befriedigen. Des Weiteren ging man eine enge Verbindung mit der katholischen Kirche ein, infolge dessen das Konkordat von 1855 den Katholizismus zur Staatsreligion machte. „Das System stützte sich auf Heer und Beamtenschaft zuerst, auf Befriedigung der wirtschaftlichen Interessen sodann und schließlich auf ein Bündnis mit der katholischen Kirche: das sollte gegen den Liberalismus wie Nationalismus wie gegen die Autonomiebestrebungen der Länder helfen.“[15]

2.3 Die heterogenen Entwicklungen im „Dritten Deutschland“

Die verfassungspolitische Reaktion der Staaten im so genannten „Dritten Deutschland“ verlief sehr unterschiedlich, was nicht zuletzt darin begründet lag, dass vor allem die kleineren deutschen Staaten ihre Entwicklung nicht immer selbst bestimmen konnten und von einer Vielzahl externer Faktoren abhängig waren. Dennoch lässt sich die grundsätzliche Tendenz zur Rückkehr zu den Verfassungen des Vormärzes feststellen, wobei die reaktionäre Wende des Jahres 1851 einen bedeutenden Katalysator für diese Entwicklung darstellte. Auf Grundlage des Bundesreaktionsbeschlusses, unter dem imperativen Druck des wiederhergestellten Deutschen Bundes und den Interventionsandrohungen der beiden Großmächte wurden auch jene Staaten von der verfassungspolitischen Reaktion erfasst, welche ihre Verfassungen entweder bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht revidieren wollten oder konnten. Dies betraf in erster Linie die Stadt- und Kleinstaaten.[16] Daneben erfolgten die Revisionen der Verfassungen in den größeren Staaten meistens autonom, entweder mit Hilfe von Notverordnungen oder auch durch offenen Staatstreich- so geschehen in Baden, Württemberg, Hessen- Darmstadt und Nassau.[17] „In anderen Mittelstaaten riefen Krone und Regierungen von sich aus den Bund zu Hilfe, um ihre Verfassungspositionen auf der Grundlage des Bundesrechtes gegen die Landtage durchzusetzen, so in Mecklenburg (1850), Kurhessen (1852) und Hannover (1855).“[18] Unter den Staaten des dritten Deutschlands nahm Bayern eine Sonderrolle ein, denn dort gab es keinen radikalen Bruch mit der Gesetzgebung von 1848, sondern vielmehr wurde unter der Ägide des Ministers v. d. Pfordten eine konservativ- liberale Reformpolitik fortgeführt. Dem wachsenden Druck seitens der reaktionären Politik des Deutschen Bundes konnte sich v. d. Pfordten bis 1852 „[…] unter Berufung auf sein bayrisches Sonderstaatsgefühl sowie auf seinen Verfassungseid“[19] entziehen. Dies geschah teils aufgrund partikularstaatlichen Selbständigkeitswillens und teils weil man die relativ moderate liberale und konservative Opposition im Landtag nicht durch Oktroi oder andere Konfliktmaßnahmen ausschalten wollte. Erst 1852 wurde der bayerische Kurs reaktionärer, wenngleich dies einen Dauerkonflikt zwischen Regierung und Kammer zur Folge hatte, da der Landtag nicht in gleichem Ausmaße an Bedeutung verlor, wie dies in anderen Staaten der Fall war.[20] Dessen ungeachtet beruhte das politische Leben nach der Revolution von 1848 letztlich auch in den meisten Staaten des „Dritten Deutschlands“ auf einer konstitutionellen Grundlage.

[...]


[1] Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800 – 1866, S. 674

[2] vgl. Brandt, Harm – Hinrich: Deutsche Geschichte 1850 – 1870, S. 20

[3] Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800 – 1866, S. 683

[4] Siemann, Wolfram: Vom Staatenbund zum Nationalstaat, S. 391

[5] vgl. Willms, Johannes: Nationalismus ohne Nation, S. 301

[6] vgl. Brandt, Harm – Hinrich, Deutsche Geschichte 1850 – 1870, S. 26

[7] vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800 – 1866, S. 680

[8] vgl. Bußmann, Walter: Das Zeitalter Bismarcks, S. 15

[9] vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800 – 1866, S. 680 f.

[10] ebd., S. 681

[11] Brandt, Harm – Hinrich: Deutsche Geschichte 1850 – 1870, S. 21

[12] vgl. Brandt, Harm – Hinrich: Deutsche Geschichte 1850 – 1870, S. 21

[13] vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800 – 1866, S. 679

[14] Brandt, Harm – Hinrich: Deutsche Geschichte 1850 – 1870, S. 22

[15] Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800 – 1866, S. 678

[16] vgl. Brandt, Harm – Hinrich: Deutsche Geschichte 1850 – 1870, S. 64

[17] vgl. Faber, Karl – Georg: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, S. 277 f.

[18] Brandt, Harm – Hinrich: Deutsche Geschichte 1850 – 1870, S. 64

[19] Bußmann, Walter: Das Zeitalter Bismarcks, S. 24

[20] vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800 – 1866, S. 675

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Das Jahrzehnt der Reaktion in Deutschland im Spannungsverhältnis zwischen Restauration und Modernisierung
Hochschule
Universität Augsburg
Veranstaltung
Nation, Nationalismus, Nationalstaat. Deutschland im langen 19. Jahrhundert
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V93723
ISBN (eBook)
9783638072601
ISBN (Buch)
9783640099290
Dateigröße
430 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jahrzehnt, Reaktion, Deutschland, Spannungsverhältnis, Restauration, Modernisierung, Nation, Nationalismus, Nationalstaat, Deutschland, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Thomas Berwanger (Autor:in), 2008, Das Jahrzehnt der Reaktion in Deutschland im Spannungsverhältnis zwischen Restauration und Modernisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93723

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