Das Continuous Response Measurement und die Mikroebene - ein Traumpaar?

Zum Unterhaltungswert von Mikroemotionen und den Möglichkeiten ihrer Messbarkeit


Dossier / Travail de Séminaire, 2008

23 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Ein ganz gewöhnlicher Fernsehabend

2. Die theoretische Konzeptualisierung von Unterhaltungserleben
2.1 Einpassung in das theoretische Konstrukt der TDU
2.2 Die Ebenen der Informationsverarbeitung

3. Warum rezeptionsbegleitende Messverfahren?
3.1 Unterhaltungserleben als dynamischer Prozess
3.2 Das Continuous Response Measurement
3.3 Probleme bei der empirischen Erfassung auf der Mikroebene

4. Lösungsvorschläge aus einer kritischen Perspektive
4.1 Begründung zur Notwendigkeit einer Erweiterung des CRM
4.2 Mögliche problemorientierte Ergänzungen des CRM
4.2.1 Physiologische Messungen und Mikroemotionen
4.2.2 Mimikanalyse und Mikroemotionen
4.2.3 Vorschlag zur Erfassung der Wirkung einzelner Stimulusbestandteile auf das emotionale Erleben

5. Zusammenfassende Diskussion eigener Schlüsse

6. Literaturverzeichnis

1. Ein ganz gewöhnlicher Fernsehabend

Ein gemütlicher Fernsehabend auf der Couch, Snacks und Getränke stehen bereit, der Film ist aus dem breiten Programmangebot ausgewählt. Der dazugeschaltete Videotext liefert noch letzte Zusatzinformationen über Inhalt und Darsteller des Streifens. Der Fernsehabend kann beginnen. Und doch scheint etwas nicht zu stimmen. Nach etwa der Hälfte des Films schaltet der Zuschauer einfach um, er wechselt den Kanal und kehrt auch nicht mehr zum begonnenen Film zurück. Weshalb? Würde man den Zuschauer im Nachhinein über seine Entscheidung befragen, würde man wohl erfahren, ihm hätte der Film nicht gefallen. Und je nachdem, wie strukturiert man nachfragt, könnte man auch ein rückblickendes Gesamturteil über bestimmte Darstellungsmittel oder den einen oder anderen Filmdialog erhalten. Doch was waren die vielen kleinen Gesamturteile während der Rezeption der Filmhälfte? Wie hat der Rezipient die kleineren Filmeinheiten für sich bewertet? Was das nachträgliche Urteil sichtbar macht, sind lediglich die erinnerten verarbeiteten Bewertungsprozesse, die sich aufgrund bestimmter Selektionsvorgänge zu einem Gesamturteil fügen. Welche Prozesse aber gegebenenfalls noch eine Rolle spielen, obwohl sie im Rückblick nicht mehr bewusst erinnert wurden, erfahren wir durch eine nachträgliche Befragung nicht.

So einfach dem Zuschauer die Beantwortung der Frage, ob er sich denn gut unterhalten habe, fällt, so schwer erweist sich ihre Bearbeitung durch die wissenschaftliche Forschung. „Die Beschäftigung mit Unterhaltung ist [...] wenig unterhaltend“ (Brosius, 2003, S. 74), heißt es da unter anderem. Unterschiedlichste Ansätze existieren sowohl bei der theoretischen Konzeption als auch bei der empirischen Herangehensweise. Oftmals wird Unterhaltung in der Forschungsliteratur z. B. als „Unterhaltungserleben“ (Früh, 2006, S. 29) und als ein „kognitiv-affektives Erleben“ (Früh, 2003, S. 28) spezifiziert, was bereits auf eine gewisse Dynamik und Prozesshaftigkeit hinweist, d. h. „dass Unterhaltungserleben als ein psychologischer Prozess gesehen werden kann, bei dem Fernsehinhalte vor dem Hintergrund individueller Dispositionen, Einstellungen und Erfahrungen verarbeitet und interpretiert werden und die Zuschauer insgesamt eine positive emotionale Bilanz ziehen können“ (Gleich, 2006, S. 171).

Für den oben angeführten hypothetischen Fall kann dies also bedeuten, dass diese positive emotionale Bilanz offensichtlich nicht gezogen werden konnte und aufgrund dessen keine Unterhaltung stattfand. Aus einem statischen Blickwinkel auf Unterhaltung kommen bei der Erforschung des Phänomens zumeist Befragungen im Anschluss an die Rezeption zum Einsatz. Mit einer rezeptionsbegleitenden Analyse der ständig ablaufenden „Zwischen-Bewertungen“ des Rezipienten wäre es aber möglich, nicht nur das Unterhaltungserleben an sich zu messen, sondern dabei gegebenenfalls zu erforschen, warum Unterhaltungserleben ab einem bestimmten Punkt nicht mehr gegeben war und welche Zwischenschritte dazu geführt haben könnten. So kann auch der Dynamik des Unterhaltungsprozesses Rechnung getragen werden.

In dieser Arbeit soll im Bereich der rezeptionsbegleitenden Messung von Unterhaltungserleben speziell beim Fernsehen einem Instrument der Vorzug gegeben werden, das an sich recht populär ist, dabei jedoch nicht ganz unproblematisch hinsichtlich seiner Anwendbarkeit und der Brauchbarkeit der Ergebnisse. Das Continuous Response Measurement, kurz CRM, soll unter Zuhilfenahme des theoretischen Konstruktes der triadisch-dynamischen Unterhaltungstheorie (TDU) auf seine Eignung für die Messung und Analyse der prozesshaften, veränderlichen und vor allem dynamischen Bestandteile des Unterhaltungserlebens geprüft werden. Dazu ist es zunächst notwendig, den theoretischen Rahmen durch einen kurzen Exkurs in die TDU und die hier interessante Mikroebene der Unterhaltungsrezeption aufzuspannen. Anschließend soll das CRM selbst hinsichtlich seiner Anwendbarkeit auf die theoretischen Anlagen im Vordergrund der Betrachtungen stehen. Zunächst wird dabei das Verfahren kurz vorgestellt. Daran schließt sich eine spezifische Problembetrachtung einzelner Aspekte im Hinblick auf die verschiedenen möglichen Konstrukte von Unterhaltung an. Dabei soll begründet werden, weshalb bereits die Mikroebene der Verarbeitung für die Unterhaltungsforschung relevant ist, worauf sich der Versuch eigener Lösungsvorschläge für auftauchende Probleme gründet. Diese Vorschläge beziehen sich neben der dynamischen Mikroebene des Unterhaltungserlebens auch auf die Möglichkeit der Rückführung emotionaler Reaktionen auf einzelne Bestandteile des Medienstimulus. Dazu sollen mögliche Ergänzungen des CRM durch andere Verfahren hinsichtlich der festgestellten Defizite besprochen werden. Eine zusammenfassende Diskussion eigener Schlussfolgerungen folgt darauf.

2. Die theoretische Konzeptualisierung von Unterhaltungserleben

2.1 Einpassung in das theoretische Konstrukt der TDU

Die von Werner Früh entwickelte triadisch-dynamische Unterhaltungstheorie steht als Rahmentheorie verschiedenen theoretischen Konstrukten von Unterhaltung offen. Dabei lautet die erste Kernannahme, dass Unterhaltung als „emotionsähnliches Erleben“ (Wünsch, 2006, S. 175) zu verstehen ist, das vom Rezipienten tendenziell „positiv evaluiert“ (Früh, 2003, S. 28) wird. Dazu kommen die Komponenten der passiven und aktiven Souveränität und Kontrolle, die für die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des Rezipienten im Kontext der Rezeption stehen, auf die im Folgenden jedoch nicht weiter eingegangen wird. Unterhaltung findet im Sinne der TDU also dann statt, wenn ein Zuschauer in seinen Augen freiwillig und ungezwungen ein Fernsehangebot wahrnimmt, sich mit dem Gesehenen auf kognitiver und affektiver Ebene aktiv auseinander setzt und er sich dabei insgesamt gut bzw. angenehm fühlt. Am Ende eines unterhaltenden Rezeptionsprozesses steht also eine „positiv gefärbte ‚Metaemotion‘“ (Gleich, 2006, S. 171).

Eine Stärke der TDU, ihre prinzipielle Offenheit für verschiedene theoretische Herangehensweisen an das Konstrukt der Unterhaltung, ermöglicht die Betrachtung von zwei unterschiedlichen Formen von Unterhaltungserleben. Wünsch spricht hierbei von „Unterhaltung als Wirkung“ und „Unterhaltung als Performance“ (Wünsch, 2006, S. 177). Unterhaltung als Wirkung meint dabei einen mehr oder weniger abgeschlossenen Zustand, in dem sich der Rezipient nach der Rezeption befindet. Das ist der Fall, wenn etwa der Zuschauer nach dem Film das Kino verlässt. Noch während des Anschauens des Kinofilms kann man jedoch von Unterhaltung als Performance sprechen, da hier die Handlung des Rezipierens noch vollzogen wird und sich das Unterhaltungserleben in einem ständigen Wandel befindet. Die Dynamik steht hier also im Vordergrund. Brosius spricht auch von der Unterscheidung des „synchronen Unterhaltungserlebens einerseits und dem abschließenden summarischen Unterhaltungsurteil andererseits“ (Brosius, 2003, S. 78). Das letztendliche Urteil über einen Rezeptionsprozess kann dabei durchaus Unterschiede zum Rezeptionserleben selbst aufweisen. Auf den ersten Blick scheinen sich diese zwei Formen also stark zu unterscheiden, obwohl sie sich ja auf die gleiche Ausgangsbasis, das Unterhaltungserleben, beziehen. Richtig ist jedoch, dass beide verschiedene methodische

Zugänge erfordern, die sich aus den jeweiligen Verarbeitungsebenen bei der Rezeption ableiten. Diese Ebenen sollen im folgenden Kapitel dargelegt werden.

2.2 Die Ebenen der Informationsverarbeitung

Die TDU konzipiert Unterhaltung als „eine allgemeine Modalität der Informationsverarbeitung“ (Früh, Wünsch, Klopp, 2004, S. 517). Das spezifische Unterhaltungserleben entsteht dabei auf der „Makroebene“ (Früh, Wünsch, Klopp, 2004, S. 517). Hier liegt der Dreh- und Angelpunkt der „Makroemotion“ (Früh, Wünsch, Klopp, 2004, S. 517) ‚Unterhaltung‘: hier entsteht sie, oder sie entsteht eben nicht.

Vor der Makroebene der Verarbeitung liegt jedoch zunächst die Mikroebene. Sie bezieht sich auf die kleineren Einheiten im Rezeptionsprozess. Das können beispielsweise einzelne Szenen oder Handlungen sein. Auf der Mikroebene der Rezeption sind prinzipiell alle Emotionen beim Rezipienten möglich, sowohl das Spektrum negativer als auch positiver Gefühle kann hier auftreten. Allerdings sind diese Emotionen als eher ‚entschärfte‘ „als ob-Emotionen“ (Früh, 2003, S. 46) zu verstehen, da es sich hierbei um Reaktionen auf medial vermitteltes Geschehen handelt und dies dem Zuschauer auch bewusst ist.

Die Mikroebene ist also unmittelbar mit dem Medienstimulus gekoppelt. Emotionale Reaktionen beziehen sich hier immer auf einen konkreten Gegenstand, sowohl zeitlich als auch ursachenspezifisch. Im Vergleich zur übergeordneten Makroebene findet hier also eine zeitnahe und stimulusnahe Informationsverarbeitung statt, von Wünsch auch als „die erste Stufe der Informationsverarbeitung“ (Wünsch, 2006a, S. 171) bezeichnet. Aus Mikroemotionen wie Spaß, Freude, Ärger oder Wut, die sich aus einer ersten Informationsverarbeitung ergeben, wird schließlich auf der nächsten Ebene, sofern die engeren und weiteren Bedingungen für die Entstehung von Unterhaltungserleben erfüllt sind, die positive Makroemotion. Damit es dazu kommen kann, werden die einzelnen Wahrnehmungen der Mikroebene sowohl im Hinblick auf den bereits rezipierten Teil des gesamten Stimulus interpretiert als auch in Bezug auf Erwartungen und Vermutungen hinsichtlich des noch kommenden Teils. Wünsch nennt diese Bestandteile des Interpretationsvorgangs auch „Wahrnehmungs- und Erlebenshypothesen“ (Wünsch, 2006, S. 176). Auch kleinere ‚Aussetzer‘ im Unterhaltungserleben können so auf der Mikroebene noch übergangen werden, solange auf der Makroebene der selbst gesetzte Gesamtzusammenhang des Filmes oder der Sendung noch schlüssig ist. Das Wahrnehmen von Sätzen und Szenen im Film ist damit nicht bloß eine wachsende Sammlung von Informationen, sondern „es wird permanent geprüft, ob die Einzelinformationen zum vermuteten Erwartungshorizont passen“ (Früh, 2003, S. 38), der wiederum immer nur auf eine abgeschlossene Episode, also z. B. einen Film, ausgerichtet ist.

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass mittels dieser theoretischen Aufgliederung negative Emotionen bei der Rezeption, die dennoch unterhaltsam sind, erklärbar werden. Denn durch die Weiterverarbeitung auf die Makroebene hin verlieren die negativen Emotionen einen Teil ihrer ‚schlechten‘ Wirkung, da sie als Teil eines großen Ganzen, also dem tendenziell positiven Erleben, verstanden werden. Das Angst-Gefühl beim Ansehen eines Horrorfilms wird so beispielsweise aufgrund der Erwartungen an ein solches Genre in Kauf genommen und akzeptiert. Dabei kann es auch aufgrund seines ‚als ob-Bezugs‘ die Stärke unmittelbarer Angst-Zustände verlieren.

Man könnte aufgrund der hier herrschenden Transaktionalität zwischen Mikro- und Makroebene auch an den so genannten hermeneutischen Zirkel denken, der in der Geistesgeschichte das Verstehen des Ganzen über seine einzelnen Teile und das Verstehen der einzelnen Teile über ihre Einordnung in das große Ganze meint. Auch Mikro- und Makrostruktur bestehen zugleich und beeinflussen sich gegenseitig, sind also in ihrer Existenz aufeinander angewiesen. Vor der Rezeption getroffene Annahmen und Erwartungen über die Sendung werden mit den während der Rezeption eintreffenden Einzelwahrnehmungen in Bezug gesetzt und im Verlauf mit zurückliegenden Wahrnehmungen kombiniert und abgeglichen. Bei der Rezeption stehen also „Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und emotionales Erleben [...] in enger Wechselbeziehung“ (www.mediascore.de). Unterhaltung ist demnach weder bloß ein rückblickendes Urteil über einen Rezeptionvorgang, noch ein lediglich kleinteiliger Bewertungsprozess, sondern vielmehr ein Zusammenspiel verschiedener Verarbeitungsebenen. So bildet sich ein dynamischer Prozess, bei dem „simultan und parallel Emotionen auf beiden Ebenen“ (Früh, 2003, S. 46) entstehen.

3. Warum rezeptionsbegleitende Messverfahren?

3.1 Unterhaltungserleben als dynamischer Prozess

Ein Reiz beim Ansehen eines Films besteht sicherlich in dem Umstand, dass zu Beginn meist noch nicht ganz klar ist, wie genau der Film eigentlich enden wird. In den ca. 100 Minuten, die zwischen Anfang und Ende liegen, kann mitunter so viel passieren, dass etwa das erhoffte Happy End in weite Ferne zu rücken scheint. Das Hin und Her der Geschehnisse bleibt auch beim Zuschauer natürlich nicht folgenlos, sondern spiegelt sich im Auf und Ab seiner Emotionen auf der Mikroebene wider. Gerade der Weg zum Happy End oder jedem anderen möglichen Schluss gibt dem Anschauen eines Filmes erst seinen Sinn. Abwechslung und Spannung sind dabei die größten Triebfedern.

Fernsehen ist demnach ein stetes Ereignis, das in Echtzeit stattfindet und dabei eine Vielzahl von Szenerien kreiert. Die Unterhaltungsforschung muss diesen Besonderheiten gerecht werden. West und Biocca begründen so auch das Interesse an der kontinuierlichen Erforschung von Rezeptionsprozessen: „the process of viewing – the processing of a continuous stream of visual and auditory impressions – is of as much interest as the outcomes of viewing“ (West, Biocca, 1996, S. 119). Das Medium Fernsehen gibt also bereits die Dynamik vor, die sich im Rezeptionsprozess fortsetzt. So beschreibt auch Früh Unterhaltungserleben als ein Phänomen, „das seinen spezifischen Bedeutungsgehalt aus dynamischen Informations- und Emotionsverarbeitungsprozessen bezieht“ (Früh, 2002, S. 227). Durch das ständig wechselnde audio-visuelle Reizangebot des Fernsehens ergeben sich auch „im Zeitverlauf variierende Affektverläufe bei den Rezipienten“ (Mangold, Unz, Winterhoff-Spurk, 2001, S. 165), die es gilt, näher zu betrachten. Das Konstrukt von Unterhaltung als Performance steht hier also im Vordergrund.

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Fin de l'extrait de 23 pages

Résumé des informations

Titre
Das Continuous Response Measurement und die Mikroebene - ein Traumpaar?
Sous-titre
Zum Unterhaltungswert von Mikroemotionen und den Möglichkeiten ihrer Messbarkeit
Université
http://www.uni-jena.de/  (Institut für Kommunikationswissenschaft)
Note
1,7
Auteur
Année
2008
Pages
23
N° de catalogue
V93882
ISBN (ebook)
9783640102525
ISBN (Livre)
9783640116249
Taille d'un fichier
451 KB
Langue
allemand
Mots clés
Continuous, Response, Measurement, Mikroebene, Traumpaar
Citation du texte
Franziska Rosenmüller (Auteur), 2008, Das Continuous Response Measurement und die Mikroebene - ein Traumpaar?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93882

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