Value Investing als Instrument zur Altersvorsorge in Deutschland. Eine empirische Analyse


Masterarbeit, 2020

110 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Abkürzungsverzeichnis

II Abbildungsverzeichnis

III Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Herangehensweise

2 Grundlagen des Portfoliomanagements
2.1 Investmentprozess
2.1.1 Anlagestrategie
2.1.2 Portfoliorealisierung
2.1.3 Aktives Portfoliomanagement
2.1.4 Rolle der Benchmark
2.2 Portfolio-Selection-Theory
2.2.1 Annahmen und Modellimplikationen
2.2.2 Rendite- und Risikobewertung
2.2.3 Diversifikationseffekte
2.3 Portfoliostrukturierung
2.3.1 Strategische und taktische Vermögensallokation
2.3.2 Liquidität und Anlageklasse
2.3.3 Behavioral Finance

3 Analyse der Anlagestrategien
3.1 Performanceanalyse
3.1.1 Sinn und Ziel der Benchmark
3.1.2 Rendite- und Risikomessung
3.2 Value Investing nach Benjamin Graham
3.2.1 Annahmen und Implikationen
3.2.2 Value Kriterien
3.2.3 Erweiterungen durch Warren Buffet
3.2.4 Analyse der Valuekriterien

4 Altersvorsorgesituation in Deutschland
4.1 Staatliche Altersvorsorgesituation in Deutschland
4.1.1 Bevölkerungsstruktur und Entwicklung
4.1.2 System der gesetzlichen Rentenversicherung
4.1.3 Versorgungslücke
4.2 Private Altersvorsorgesituation in Deutschland

5 Erarbeitung und Analyse eines Vorsorgeportfolios
5.1 Annahmen
5.2 Konzeption eines Vorsorgeportfolios
5.3 Vergleich der Untersuchungsergebnisse
5.4 Eignung von Value Investing zur Altersvorsorge
5.4.1 Notwendigkeit
5.4.2 Szenario
5.4.3 Ableitung von Handlungsempfehlungen

6 Fazit und Ausblick

V Anhang

VI Literaturverzeichnis

VII Internetverzeichnis

I Abkürzungsverzeichnis

Akt. Aktuell

AMEX Arca Major Market Index

BIP Bruttoinlandsprodukt

Bzw. Beziehungsweise

CAPM Capital Asset Pricing Model

CF Cashflow

DAX Deutscher Aktienindex

Dt. Deutsch

EBD Ebenda

Ebit Earnings before interest and taxes

EKQ Eigenkapitalquote

EKR Eigenkapitalrendite

Engl. Englisch

EStG Einkommensteuergesetz

FKQ Fremdkapitalquote

FTSE Financial Times Stock Exchange

KBV Kurs-Buchwert-Verhältnis

KCV Kurs-Cashflow-Verhältnis

KGV Kurs-Gewinn-Verhältnis

KUV Kurs-Umsatz-Verhältnis

Market Cap Marktkapitalisierung

MS(-Office/Excel) Microsoft (Office/Excel)

MSCI World Morgan Stanley Capital International

NYSE New York Stock Exchange

S&P 500 Standard & Poor’s 500

USA United States of America

Vgl. Vergleichsweise

II Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Investmentprozess

Abbildung 2: Erwartungswert-Varianz-Prinzip

Abbildung 3: Informationseffizienz nach Fama

Abbildung 4: Systematisches und unsystematisches Risiko

Abbildung 5: Top-Down-Anlageansatz

Abbildung 6: Portfolio Top-20 und Top-25 und die Benchmark

III Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Portfoliorendite

Tabelle 2: Diskrete Rendite

Tabelle 3: Stetige Rendite

Tabelle 4: Schiefekoeffizient

Tabelle 5: Wölbungskoeffizient

Tabelle 6: Normiertes Risiko des Portfolios

Tabelle 7: Risikoadjustierte Rendite

Tabelle 8: Normiertes Risiko des Marktportfolios

Tabelle 9: Marktrisikoadjustierte Rendite

Tabelle 10: Innerer Wert nach Benjamin Graham

Tabelle 11: Kurs-Buchwert-Verhältnis

Tabelle 12: Kurs-Gewinn-Verhältnis

Tabelle 13: Kurs-Umsatz-Verhältnis

Tabelle 14: Kurs-Cashflow-Verhältnis

Tabelle 15: Eigenkapitalrendite

Tabelle 16: Eigenkapitalquote

Tabelle 17: Bruttomarge

Tabelle 18: Dividendenrendite

Tabelle 19: Renditevergleich zwischen Portfolio und Benchmark

Tabelle 20: Volatilitäten der Portfolios im Untersuchungszeitraum

Tabelle 21: Vergleich der Untersuchungsergebnisse

1 Einleitung

Das einleitende Kapitel befasst sich mit den Problemen des Rentensystems in Deutschland und setzt diese in einen Zusammenhang mit der Forschungsfrage der Arbeit. Aus den aufgeworfenen Fragestellungen werden Ziele formuliert, die im Verlauf der Arbeit systematisch untersucht und erreicht werden sollen.

1.1 Problemstellung

Denn eins ist sicher: die Rente"1 – dieses Zitat des früheren Arbeitsministers Dr. Norbert Blüm aus dem Wahlkampf 1986 sorgt seit vielen Jahren für kontroverse Diskussionen. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands in den Neunzigerjahren geriet das Rentensystem erstmals in eine Krise. Die Arbeitnehmer aus Ostdeutschland hatten jahrelang deutlich niedrigere Rentenzahlungen als die Arbeitnehmer in Westdeutschland geleistet. Der Staat musste in der Konsequenz hohe Transferzahlungen leisten, um die Finanzierungslücke der staatlichen Rentenversicherung zu schließen. In den darauffolgenden Jahren verschärfte sich die Finanzierungssituation durch gestiegene Arbeitslosenzahlen, Weltwirtschaftskrisen, eine gestiegene Lebenserwartung, rückläufige Geburtenzahlen sowie eine deutliche Alterung der Gesellschaft.2 Die Zuschüsse des Bundes zur Rentenversicherung steigen jährlich.3 Aufgrund des demographischen Wandels kommt es vermehrt zu kritischen Diskussionen in den Medien über das staatliche Rentenkonzept.4 Die Politik reagierte und versuchte, in der Vergangenheit durch zahlreiche Reformen die finanzielle Lage der Rentner zu stabilisieren. Obwohl vergangene Reformen teilweise finanzielle Verbesserungen für Rentner bewirkten, scheiterte das ursprüngliche Vorhaben der Politik, das langfristige Niveau der gesetzlichen Rente abzusichern.5 Mit dem Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz gelang es 2018 zumindest, durch die „ doppelte Haltelinie “ das Rentenniveau6 bis 2025 nicht unter 48 Prozent sinken und das Beitragsniveau nicht über 20 Prozent steigen zu lassen.7 Für kommende Generationen wird die gesetzliche Rente allerdings nicht mehr ausreichen, den Lebensstandard der Erwerbsphase im Rentenalter zu halten.8 Angesichts der wirtschaftlichen Einbußen durch die Corona Pandemie schnellen die Staatsschulden weiter in die Höhe. Weltweit verabschiedeten von der Pandemie betroffene Staaten riesige Konjunktur- und Investitionsprogramme, um die volkswirtschaftlichen Schäden regionaler Stillstände zu begrenzen. Insgesamt beschleunigte sich dadurch der globale Verschuldungstrend. Aktuelle Prognosen gehen von einem Einbruch des deutschen BIPs im Jahr 2020 zwischen fünf und neun Prozent aus, was die Rezession der Weltwirtschaftskrise 2008 übertreffen würde.9 Die wirtschaftlichen Folgen für private und öffentliche Haushalte werden langfristig spürbar sein, da der Einbruch der Wirtschaftsleistung mit einem sinkenden Steueraufkommen durch Gewinn- und Umsatzrückgänge sowie hohen Staatsausgaben einhergeht.10

Auf Grund der anhaltenden Corona Pandemie und damit verbundenen Unsicherheiten brachen die Börsen weltweit ein. Die Zentralbanken reagierten mit einer extrem expansiven Geldpolitik, um die Marktakteure zu beruhigen. Viele Anleger flüchteten in „ sichere Häfen “ wie zum Beispiel Gold, das während der Corona Krise neue Höchststände verzeichnete.11 Teilweise gerät der Renditegedanke von Anlegern auf der Suche nach sicheren Anlagemöglichkeiten in den Hintergrund, wie an den niedrigen Renditen von -0,011 Prozent für bis 2048 fällige Bundesanleihen erkennbar ist.12 In diesem Zusammenhang tritt häufig ein Investor in den Wirtschaftsmedien auf, der mit seinem besonnenen Auftreten und logischem Denken eine gewisse Ruhe in dieses Chaos bringt: Er heißt Warren Buffet und zählt bis heute zu einem der erfolgreichsten Investoren aller Zeiten. Die langfristige Kontinuität seines Anlageerfolgs erzeugt bei vielen Anlegern auch das Gefühl eines „ sicheren Hafens “. Warren Buffet übertraf mit seiner Anlagestrategie den S&P-500 regelmäßig. Bei der Analyse der Anlagestrategie von Warren Buffet stoßen interessierte Anleger schnell auf den Urvater der Fundamentalanalyse, Benjamin Graham, der mit seinen Büchern den Grundstein des heutigen Value Investings legte.13 Diese Arbeit soll evaluieren, ob Value Investing als Altersvorsorgeinstrument Privatanlegern dabei helfen kann, das Problem des sinkenden Rentenniveaus in Deutschland zu lösen.

1.2 Zielsetzung

Das Ziel dieser Arbeit ist herauszufinden, ob und wie Privatpersonen Value Investing als Instrument zur privaten Altersvorsorge nutzen können, um dem Problem des sinkenden Rentenniveaus in Deutschland zu begegnen. Die Untersuchung dieser Fragestellung erfolgt mit Vorsorgeportfolios nach der Value Investing Anlagestrategie, welche mit historischen Daten gebildet wurden. Die Zentralbanken weltweit verfolgen seit vielen Jahren eine Niedrigzinspolitik. In der Konsequenz werden Privatanleger, welche ihr Kapital in Anlageklassen wie Anleihen anlegen, durch eine negative Realverzinsung zugunsten der hochverschuldeten Staatshaushalte schleichend enteignet. Aktien bieten als Sachwerte mit ihrer langfristig positiven Wertentwicklung einen sicheren Schutz vor inflationären Kaufkraftverlusten.14

Value Investoren nehmen an, dass die Kapitalmärkte nicht effizient sind und die Aktienkurse nicht jederzeit alle dem Markt zur Verfügung stehenden Informationen enthalten. Sie kaufen eine Aktie zu dem Zeitpunkt, zu dem der innere Wert des Unternehmens den Aktienkurs übersteigt.15 In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob Value Investing als aktive Anlagestrategie die Rendite der Kapitalmärkte langfristig übertreffen kann. Zur Untersuchung dieser Fragestellung werden die Annahmen von Value Investoren kritisch untersucht. Im Gegenzug belegt die Verhaltensökonomik in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen, dass es der durchschnittliche Privatanleger aufgrund psychologischer Verhaltensanomalien nicht schaffen kann, langfristige Überrenditen zu erzielen.16 Als Ursache hierfür werden emotionale Einflüsse wie Selbstüberschätzung, eine mangelnde Diversifikation sowie schwindendes Durchhaltevermögen aufgeführt. Folglich behaupten die Verhaltensökonomen, dass mit Value Investing als aktive Anlagestrategie im Durchschnitt schlechtere Renditen als im Marktumfeld erwirtschaftet werden.17 Diese Erkenntnis steht folglich im Widerspruch zu den Annahmen von Value Investoren. Privatanleger unterliegen im Vergleich zu professionellen Anlegern zeitlichen, informationstechnischen und finanziellen Beschränkungen. Ein weiteres Ziel ist es daher herauszufinden, ob Value Investing als Anlagestrategie mit einem zeitlich und informationstechnisch begrenzten Aufwand realisierbar ist. Um die Komplexität des Anlageprozesses für Privatanleger zu reduzieren, ist zu prüfen, welche Value Kriterien eines mehrstufigen Anlageprozesses den größten positiven Einfluss auf die langfristige Performance des Portfolios nehmen.18

Die Eignung der Auswahlkriterien, der Anlagepolitik und des Anlagehorizonts von Value Investing sind in Bezug auf die private Altersvorsorge sorgfältig zu untersuchen. Eine passende Benchmark ist zu definieren, um die Rendite der gebildeten Value Portfolios mit der Rendite der Kapitalmärkte zu vergleichen. Zudem ist die Finanzierungslücke derjenigen Erwerbstätigen zu ermitteln, die Value Investing als Instrument zur privaten Altersvorsorge benötigen. Darüber hinaus ergeben sich weitere untergeordnete Fragestellungen: Im Zuge der Portfoliokonstruktion stellt sich die Frage nach der Größe, der Diversifizierung und der Neugewichtung des Portfolios. Transaktionskosten und laufende Kosten werden minimiert, um Value Investing für Privatanleger kostengünstig zu gestalten. An dieser Stelle wird angemerkt, dass es nicht möglich ist, eine allgemeingültige Lösung zur privaten Altersvorsorge für alle Privatanleger zu finden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Anleger unterschiedliche Risikoauffassungen besitzen und Kapitalmarktentwicklungen nicht prognostizierbar sind.19 Schließlich wird ein ertragreiches Portfolio nach der Value Investing Anlagestrategie erarbeitet, welches die Rentenlücke schließen kann.

1.3 Herangehensweise

Zunächst werden im theoretischen Teil der Arbeit die Grundlagen des Portfoliomanagements und die Analyse der Anlagestrategien erarbeitet. Kapitel 2 setzt sich mit den einzelnen Bestandteilen des Investmentprozesses mit klarem Fokus auf den Privatanleger auseinander. Dementsprechend werden die Anlagestrategie, die Portfoliorealisierung, das aktive Portfoliomanagement und die Rolle der Benchmark erläutert. Im Anschluss erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit der modernen Portfoliotheorie nach Markowitz. Dabei werden die Annahmen und Implikationen der Theorie untersucht, Konzepte der Rendite- und Risikomessung vorgestellt sowie die Wirkung der Diversifikation untersucht. Anschließend wird der Prozess der Portfoliostrukturierung erläutert. Hervorzuhebende Bestandteile der Portfoliostrukturierung sind die strategische und taktische Vermögensallokation, die Sicherstellung der Liquidität und der Einfluss der Verhaltensökonomik auf das Anlageverhalten von Privatanlegern. In Kapitel 3 erfolgt die Analyse der Anlagestrategien: Zunächst wird im Rahmen der Performanceanalyse der Sinn und das Ziel der Benchmark erarbeitet. Des Weiteren wird ein Verfahren zur Rendite- und Risikomessung vorgestellt. Im Anschluss wird das Verständnis von Value Investing nach Benjamin Graham erläutert. Die Annahmen und Implikationen der Anlagestrategie von Graham werden vorgestellt und seine Value Kriterien analysiert. Darauf aufbauend wird das weiterentwickelte Verständnis von Value Investing nach Warren Buffet erläutert.

Um einen Überblick über das System und den Aufbau der Altersvorsorge in Deutschland zu erhalten, werden in Kapitel 4 bestehende private und staatliche Formen der Altersvorsorge vorgestellt und analysiert. Näher betrachtet werden der geographische Wandel in Deutschland, der „ Standardrentner “ und die immer größer werdende Versorgungslücke im Rentenalter. Auf Grundlage der theoretischen Erkenntnisse widmet sich der Untersuchungsteil der Lösung der empirischen Forschungsfrage: In Kapitel 5 erfolgt die Anwendung von Value Investing als Instrument zur privaten Altersvorsorge. Die empirische Untersuchung erfolgt mittels einer aufwendigen, eigens erstellten Erhebung in MS-Excel, indem Portfolios nach der Value Investing Anlagestrategie zur Altersvorsorge gebildet und in Backtests überprüft werden. In einem Durchführungsszenario wird die Eignung von Value Investing als Instrument zur privaten Altersvorsorge kritisch analysiert. Aus den gewonnenen Erkenntnissen werden schließlich konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet. In Kapitel 6 erfolgt eine abschließende, kritische Würdigung der zentralen Erkenntnisse und es wird ein Zukunftsausblick abgegeben.

2 Grundlagen des Portfoliomanagements

Die Grundlagen des Portfoliomanagements werden in diesem Kapitel gegliedert in den Investmentprozess, die moderne Portfoliotheorie und die Portfoliostrukturierung, um einen ganzheitlichen Überblick über die theoretischen Grundlagen für die Untersuchung zu gewinnen.

2.1 Investmentprozess

2.1.1 Anlagestrategie

Sofern entsprechende Barreserven vorhanden sind, ist davon auszugehen, dass Erwachsene mit zunehmendem Alter überlegen, wie das persönliche Sparvermögen am besten investiert werden soll – sei es in Immobilien, Edelmetalle, Aktien oder Anleihen. Investmentprozesse20 sind in der Literatur nicht einheitlich und endgültig definiert, aber sie weisen eine gemeinsame Grundstruktur auf.21 Der Prozess des Investierens nach Mondello beginnt beispielsweise deutlich vor der endgültigen Anlageentscheidung (vgl. Abbildung 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Investmentprozess22

Die Vorgehensweise unterscheidet sich nur unwesentlich von traditionellen Managementprozessen der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre: Am Anfang des Prozesses steht die Planungsphase, gefolgt von der Realisierung und schließlich der Kontrolle der erzielten Ergebnisse. Die Gewichtung der Prozessphasen erfolgt individuell und wird je nach Anlageziel und Anlagepolitik variiert. Eine sinnvolle, auf die Bedürfnisse des Anlegers zugeschnittene Strategie ist unersetzlich für den langfristigen Anlageerfolg.23 Am Anfang des Investmentprozesses werden in der Planungsphase die Anlageziele und -restriktionen des Anlegers erarbeitet. Das Renditeziel des Anlegers muss mit dessen Risikotoleranz übereinstimmen, um eine passende Anlagestrategie festlegen zu können. Die Erwartung des Anlegers hinsichtlich der erzielbaren Rendite kann in Relation zu dessen Risikoprofil realistisch oder unrealistisch sein.24 Aus Anlegersicht ist die Planungsphase die bedeutendste Phase des Investmentprozesses. Während dieser Phase werden die Vorstellungen und Ziele des Anlegers als verbindliche Vorgaben in den Anlageprozess integriert. Daraus werden die Anlagekriterien und die Anlagepolitik abgeleitet, welche die langfristige Performance der Kapitalanlage maßgeblich beeinflussen. Bei Privatanlegern werden die Rendite- und Risikotragfähigkeit beispielsweise durch das Alter und die finanzielle Situation geprägt. Beide Faktoren sind im Zeitablauf keine Konstante und können Änderungen in der Anlagestrategie erfordern.25

Das Renditeziel beschreibt einen Zielwert für die zu erreichende Rendite eines Portfolios innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Das Renditeziel wird formuliert, indem die Rendite oberhalb des risikolosen Kapitalmarktzinses oder eines Indizes festgelegt bzw. der reale Kaufkrafterhalt herangezogen wird. Die Risikotoleranz des Anlegers beeinflusst das Renditeziel. Ein Index, wie zum Beispiel der MSCI World Index, ist keine Grundlage für ein Renditeziel eines risikoaversen Anlegers, der vorrangig in Staatsanleihen mit sehr gutem Rating investiert.26 Es ist entsprechend zu berücksichtigen, dass die Anlegerpräferenzen auch die Wahl der Anlageklassen beeinflussen. Anlageklassen, auf die in Kapitel 2.3.2 detaillierter eingegangen wird, sind grundsätzlich Gruppen sich ähnlicher Finanzprodukte. Zusätzlich wird geprüft, ob Anlagebeschränkungen einzuhalten sind, wie zum Beispiel kulturelle, religiöse, ethische oder ökologische Restriktionen.27 Die Finanzanalyse untersucht in der Planungsphase die makroökonomischen Einflussfaktoren, welche einen Einfluss auf das Portfolio nehmen. Es werden Umweltbedingungen und Marktentwicklungen analysiert, aus denen unterschiedliche Chancen und Risiken erwachsen können. Die Finanzanalyse erfolgt dynamisch und wird fortlaufend an das Marktumfeld angepasst. Volkswirtschaftliche Einflussfaktoren, die in der Finanzanalyse betrachtet werden, sind die regionale und soziale Stabilität, Einkommensdisparitäten, Wechselkursrisiken, Technologieentwicklungen sowie das Zins- und Inflationsniveau.28 Nach Abschluss der Finanzanalyse findet im Rahmen der Realisierungsphase der operative Investmentprozess statt. Die erstmalige Zusammenstellung eines Portfolios wird als Portfolioinitiierung und folgende Anpassungen als Portfoliorevision bezeichnet.29 Die Performancemessung und die Performanceattribution während der Kontrollphase bilden das Ende des Anlageprozesses. Das Ziel dieser Phase ist, den Anlageerfolg des Portfoliomanagers zu messen und zu kontrollieren. Die Messung der Performance (dt.: Wertentwicklung) mit Performancekennzahlen ist nur mit einem passenden Vergleichsmaßstab und einer Kombination aus unterschiedlichen Kennzahlen möglich, welche im Idealfall das Wettbewerbs- und Marktumfeld mit einbeziehen. Eine isolierte Betrachtung einer einzelnen Kennzahl ist selbst über mehrere Jahre wenig aussagekräftig und fehleranfällig.30

Die Performance eines Portfolios beschreibt das Verhältnis von Rendite zu Risiko und wird über einen im Voraus definierten Vergleichsmaßstab gemessen. Hohe Renditen gehen in der Regel mit höheren Risiken einher. In Kapitel 3.1.1 wird detailliert beschrieben, wie ein solcher Vergleichsmaßstab definiert wird. Die Performancemessung erfolgt mittels einer sogenannten Benchmark (dt.: Maßstab für den Vergleich von Erfolgen und Leistungen) und prüft, ob diese übertroffen wurde oder nicht. Die Benchmark sollte mit der festgelegten Anlagestrategie des Portfolios übereinstimmen, nicht jede Benchmark ist für jeden Anlegertyp gleichermaßen geeignet.31 Eine Überperformance liegt vor, wenn das Portfolio die Benchmark schlägt. Der gegenteilige Fall wird als Unterperformance bezeichnet. Die Performanceattribution analysiert die Ursachen und Quellen einer Über- und einer Unterperformance. Das bedeutet, sie erforscht, warum die Benchmark geschlagen wurde oder eben nicht. Die fundierte Analyse des Erfolgs oder Misserfolgs eines Portfolios ist elementar, denn die reale Performance eines Portfolios kann durch zufällige und unvorhersehbare Ereignisse an den Kapitalmärkten leicht verzerrt werden.32 Die Vorstellungen zur Zielrendite sind je nach Anlegertyp unterschiedlich und reichen beispielsweise vom Erhalt der Kaufkraft des Anlagekapitals bis hin zu Renditen, welche beispielsweise die Wertentwicklung des S&P-500 übertreffen. Das Anlageuniversum, welches den Umfang von Investitionsmöglichkeiten beschreibt, verkleinert sich sukzessive in Relation zur vorgegebenen Mindestrendite des Portfolios und dem Risikoprofil des Anlegers. Daraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass nicht jede Anlageklasse für jeden Anlegertyp geeignet ist.33

Unter der Risikotoleranz wird die Bereitschaft eines Anlegers verstanden, die mit der Kapitalanlage einhergehenden Risiken einzugehen. Dabei müssen die Fähigkeit und der Wille, Risiken einzugehen, nicht deckungsgleich sein. Es kann zum Beispiel sein, dass ein Anleger finanziell fähig ist, mit einer Investition hohe Risiken einzugehen, der Wille dazu jedoch fehlt. Die Risikotoleranz wird zentral vom gewählten Anlagehorizont beeinflusst: Bei einem Aktienportfolio sinken die Verlustrisiken mit zunehmender Anlagedauer deutlich. Das Lebensalter ist daher bei vielen Privatanlegern mit Bezug auf die Anlagedauer der entscheidende Faktor, inwieweit Risiken eingegangen werden.34 Zusätzliche Einflussfaktoren auf privater Anlegerebene sind zum Beispiel das verfügbare Kapital, existierende Verbindlichkeiten gegenüber Banken, die berufliche und familiäre Situation sowie vertragliche Verpflichtungen.35 Sind alle Einflussfaktoren und Vorstellungen des Anlegers analysiert, wird vom Portfoliomanager ein Renditeziel formuliert, welches im angemessenen Verhältnis zur Risikotoleranz steht. Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht das Erwartungswert-Varianz-Prinzip, welches in Kapitel 2.2 in der modernen Portfoliotheorie ausführlicher erläutert wird. Das Erwartungswert-Varianz-Prinzip setzt das erwartete Risiko σ ins Verhältnis zum erwarteten Ertrag μ. Es existieren drei Risikopräferenzfunktionen, welche von der Risikoneutralität über die Risikoaversion bis zur Risikofreude reichen. Die Richtung des Pfeils verdeutlicht den nach außen verlaufenden, steigenden Nutzenindex. Theoretisch kann somit für jeden Anlegertyp ein optimales Portfolio aus der Tangente der Indifferenzkurve und dem effizienten Rand abgeleitet werden.36

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Erwartungswert-Varianz-Prinzip37

2.1.2 Portfoliorealisierung

Ist die Anleger- und Finanzanalyse beendet und sind die Anlageziele festgelegt, erfolgt die Portfolioinitiierung. Dabei wird das Anlagekapital nach Anlageklassen, Ländern, Währungen und Einzeltiteln strukturiert aufgeteilt. Die erstmalige Konstruktion eines Portfolios wird als Portfolioinitiierung und spätere Änderungen oder Anpassungen der Portfoliostruktur als Portfoliorevision bezeichnet.38 Anpassungen des Portfolios, die im Zuge der Portfoliorevision durchgeführt werden, ergeben sich aus neuen Erkenntnissen der fortlaufenden Anleger- und Finanzanalyse. Die Portfoliorevision kann über eine Neugewichtung (engl. Rebalancing) oder eine Aufstockung (engl. Upgrading) des Portfolios realisiert werden. Eine Neugewichtung umfasst den operativen Vorgang zur Wiederherstellung der ursprünglichen Portfoliostruktur.39 Eine solche Neugewichtung wird vorgenommen, um unterschiedliche Wertentwicklungen der im Portfolio enthaltenen Positionen und Anlageklassen auszugleichen und Verzerrungen der Portfoliostruktur zu vermeiden. Entsprechend ist eine Neugewichtung innerhalb eines Portfolios nur bei Zeiträumen von mehr als einer Periode erforderlich. In der Literatur werden Umschichtungen in der Regel auf jährlicher oder halbjährlicher Basis durchgeführt, nur in seltenen Fällen wird zu mehr als zwei Umschichtungen in einer Periode geraten.40 Mit jeder Neugewichtung fallen üblicherweise Transaktionskosten und Steuern an, welche sich als zusätzliche Kostenbelastung negativ auf die Rendite eines Portfolios auswirken. Hinsichtlich des in der Regel niedrigeren Anlagekapitals von Privatanlegern sind daher zu viele Umschichtungen zu vermeiden. Auch Aufstockungen (engl. Upgrading) eines Portfolios bilden eine Art der Umschichtung, allerdings vor einem anderen Hintergrund: Bei einer Aufstockung des Portfolios werden gezielt Umschichtungen durchgeführt, um die Portfoliostruktur und die Performance zu verbessern.41

2.1.3 Aktives Portfoliomanagement

Vorrangiges Ziel im aktiven Portfoliomanagement ist die Erzielung besserer Anlageergebnisse als eines geeigneten Vergleichsmaßstabes. Um die Marktentwicklung sowie eine möglichweise davon abweichende Benchmark zu schlagen, verfolgen Investoren grundsätzlich unterschiedliche Anlagestrategien, welche an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden, aber für die weitere Untersuchung keine Rolle spielen. Dazu gehören beispielsweise Charttechniken, Indexstrategien, Growth Investing, Value Investing, Dividend Investing oder Kombinationen aus mehreren Ansätzen. Value Investing ist eine aktive Anlagestrategie, welche auf Benjamin Graham zurückgeht. Dabei wird die Kauf- oder Verkaufsentscheidung eines Wertpapiers überwiegend vom realwirtschaftlichen Gegenwert des Unternehmens abhängig gemacht, welcher als innerer Wert (engl. Intrinsic Value) bezeichnet wird. Value Investoren erwerben Aktien nur, wenn der innere Wert den Aktienkurs übersteigt.42

Sie sind langfristig nur erfolgreich, wenn die Kapitalmärkte ineffizient sind und Aktienkurse nicht jederzeit alle Informationen widerspiegeln.43 Nur durch Marktineffizienzen entstehen die Marktbedingungen, welche die Grundlage für Value Investing schaffen. Im Gegensatz dazu vertreten Anhänger der Markteffizienzhypothese die Ansicht, dass Kapitalmärkte informationseffizient sind. Daraus folgt, dass der Erfolg einer Anlagestrategie stark von der Güte der Informationseffizienz der Kapitalmärkte abhängt.44 Die bereits in den 1970er Jahren aufgestellte Markteffizienzhypothese nach Eugene Fama postuliert, dass Kapitalmärkte effizient sind und Aktienkurse zu jedem Zeitpunkt alle Informationen, wie zum Beispiel Neuigkeiten, einpreisen, welche allen Marktteilnehmern zur Verfügung stehen. Fama gliedert die Güte der Informationseffizienz der Kapitalmärkte in drei Stufen. Dabei enthalten höhere Abstufungen alle niedrigeren Abstufungen, keine Transaktions- und Datenbeschaffungskosten fallen an, und alle Marktteilnehmer besitzen homogene Vorstellungen zur zukünftigen Preisentwicklung.45 Die niedrigste Abstufung ist die schwache Informationseffizienz, bei der alle Aktienkurse des Marktes alle historischen Daten beinhalten und widerspiegeln. Eine Analyse der Vergangenheit ist nicht sinnvoll, da diese keinen Mehrwert erbringen würde. In einem schwach informationseffizienten Markt folgen alle Wertpapiere dem Random-Walk und zeigen nur auf neue Informationen eine Reaktion.46 Die mittlere Abstufung ist die halbstrenge Informationseffizienz, bei der alle öffentlichen Informationen in den Aktienkursen des Marktes eingepreist sind. Das schließt zukünftige Ereignisse mit ein, welche den Marktteilnehmern bekannt sind.47

Die höchste Abstufung ist die strenge Informationseffizienz, bei der alle dem Markt zur Verfügung stehenden Informationen in den Aktienkursen enthalten sind, auch Insiderhandel. Allerdings ist es praktisch ausgeschlossen, dass ein Markt streng informationseffizient ist, denn die Effizienz der Informationsverarbeitung ist von zahlreichen Faktoren abhängig. Dazu zählen die Anzahl der Analysen der Aktien und die Handelsintensität. Nach der Markteffizienz kann ein aktiver Portfoliomanager einschätzen, ob und in welchen Zielmarkt er investieren möchte. Wissenschaftlich ist die Effizienzhypothese umstritten, weil regelmäßig reale Marktanomalien auftreten.48 Mit ineffizienten Verhaltensmustern der Marktakteure befasst sich die Verhaltensökonomie, siehe Kapitel 2.3.3. Die folgende Abbildung veranschaulicht den Zusammenhang zwischen den drei Abstufungen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Informationseffizienz nach Fama49

Aktives Portfoliomanagement eröffnet Anlegern überdurchschnittliche Renditechancen bei einer gleichzeitig hohen Flexibilität. Nachteile entstehen im Vergleich zu anderen Anlagestrategien durch die aufwendige Erstellung von Prognosen, Analysen und deren laufende Überwachung.50

2.1.4 Rolle der Benchmark

Eine Benchmark dient als Instrument zur Messung des Anlageerfolgs dazu, die Performance eines Portfolios mit einer festen Bezugsgröße zu vergleichen. Sie wird üblicherweise gebildet, indem ein Index oder Marktportfolio als Vergleichsmaßstab dient, welcher der zu analysierenden Portfoliozusammensetzung ähnelt. In Kapitel 3.1.1 wird die Benchmark vor dem Hintergrund der Performancemessung genauer definiert und erläutert. Zu bekannten Aktienindizes, welche oft als Benchmark herangezogen werden, gehören beispielsweise der DAX-30, der S&P-500 und der MSCI-World.51 Aktienindizes können nach den folgenden drei Eigenschaften differenziert werden:

1. Anzahl der Handelsobjekte

Die Anzahl der Einzeltitel in Indizes kann limitiert oder unlimitiert sein. Der deutsche Leitindex DAX-30 enthält dreißig Unternehmen und ist somit ein Auswahlindex. Im Gegensatz dazu enthält der Prime-All-Share als Benchmarkindex eine unbegrenzte Zahl von Unternehmen, welche die Transparenzstandards des Prime-Standard-Segments erfüllen.52 Die Auswahl der Einzeltitel erfolgt bei einem Auswahlindex über festgelegte Kriterien, wie zum Beispiel die Marktkapitalisierung des Freefloat (dt.: Streubesitz53 ). Darüber hinaus existieren Mischformen wie der MSCI World Index, welcher die Wertentwicklung der Weltwirtschaft über die Marktkapitalisierung der weltweit größten börsennotierten Unternehmen nachbildet und einer Leitmaxime von 1.800 Unternehmen unterliegt.54

2. Art der Gewichtung

Bei der Art der Gewichtung können die Preis -, die Kapitalisierungs - und die Gleichgewichtung unterschieden werden. Im Rahmen der Preisgewichtung wird der Aktienkurs jedes Unternehmens im Index addiert und durch die Anzahl aller Aktien dividiert. Folglich ist jede Aktie mit derselben Stückzahl im Index vertreten. Je höher der Aktienkurs eines Unternehmens ist, desto höher ist dessen anteilige Gewichtung im Index. Preisgewichtete Indizes sind beispielsweise der Dow Jones und der Nikkei 225.55 Ein Problem der Preisgewichtung entsteht bei Aktiensplits, die zu Verzerrungen der Indexstruktur führen können. Unternehmen, deren Aktienkurse sich in der Vergangenheit gut entwickelt haben und gestiegen sind, entschließen sich zur Anregung der Handelbarkeit häufig zu Aktiensplits. Dabei wird eine hochpreisige Aktie anteilig gestückelt. Folglich sinkt der Preis je Aktie und der Anteil im preisgewichteten Index. Da das Unternehmen nicht an Marktkapitalisierung verloren, sondern nur die Stückzahl der Aktien erhöht hat, wird die ursprüngliche Indexstruktur und somit die Rendite nach unten verzerrt.56 Indizes, welche nach der Marktkapitalisierung des Freefloat (dt.: Streubesitz) gewichten, sehen sich zum Teil erheblichen Klumpenrisiken ausgesetzt. Eine Ursache hierfür liegt in der Übergewichtung hochkapitalisierter Unternehmen, Branchen und Länder. Durch eine Kappungsgrenze versuchen die Aufleger, den maximalen Anteil eines Unternehmens am Index zu begrenzen. Dadurch wird die höhere Gewichtung einer Aktie eines florierenden Unternehmens im Index auf andere Indexmitglieder verlagert. Obwohl Kappungsgrenzen in vielen Indizes bestehen, sind in kapitalisierungsgewichteten Indizes häufig die Branchen Finanzen, Energie und Telekommunikation übergewichtet.57 Im Gegensatz zu den beiden vorangestellten Gewichtungsmethoden, besitzen gleichgewichtete Indizes wie beispielsweise der Öko-DAX eine ausgeglichene Struktur. Jedes Unternehmen besitzt dieselbe anteilige Gewichtung im Index. Dadurch werden Klumpenrisiken größerer Unternehmen gemindert und es findet eine ausgewogenere Diversifizierung statt.58 Des Weiteren existieren zahlreiche Sonderformen der Indexgewichtung, wie beispielsweise faktorbasierte Gewichtungen.59

3. Ermittlung der Wertentwicklung

Im Rahmen der indexierten Wertentwicklung ist zwischen Performance- und Kursindizes zu unterscheiden. Kursindizes, wie beispielsweise der Dow-Jones, folgen der Annahme, dass laufende Erträge direkt vom Anleger aufgezehrt würden. Das bedeutet, dass sämtliche Ausschüttungen an den Anleger nicht thesauriert werden und einen Kursabschlag des Index implizieren.60 Performanceindizes, wie beispielsweise der Euro Stoxx 50, hingegen thesaurieren sämtliche laufende Erträge und weisen diese im Kurs aus. Folglich bildet ein Kursindex ausschließlich den Wertverlauf der im Index enthaltenen Aktien und ein Performanceindex die Wertentwicklung der Aktien mit sämtlichen Kapitalmaßnahmen ab.61 Ein Kursindex ist für einen Portfoliomanager daher leichter zu übertreffen als ein Performanceindex.62 Letztlich ist bei der Konstruktion einer Benchmark zu beachten, dass diese nachbildbar, transparent und liquide ist.63 Eine spezifische Auseinandersetzung mit der Bildung einer Benchmark erfolgt in Kapitel 3.1.1.

2.2 Portfolio-Selection-Theory

2.2.1 Annahmen und Modellimplikationen

Harry Max Markowitz entwickelte 1952 die moderne Portfoliotheorie (engl. Portfolio-Selection-Theory), welche einen vollkommenen Kapitalmarkt und einen risikoaversen Anleger annimmt. Markowitz konnte mit seiner Theorie die positiven Effekte der Diversifikation des Investitionskapitals auf mehrere Anlageinstrumente beweisen. Weiterentwicklungen seiner modernen Portfoliotheorie sind unter anderem das Capital Asset Pricing Model und das Arbitrage Pricing Model.64 Vorrangiges Ziel der Portfolio-Selection-Theory ist die rechnerische Ermittlung und Auswertung effizienter Portfolios. Für Anleger optimal ist ein Portfolio, welches unter günstigen Risikoverhältnissen die maximale Rendite erwirtschaftet. Mathematisch orientiert sich Markowitz in seinem Modell am Erwartungswert und der Standardabweichung.65

Er beschreibt zwei Risikokomponenten, zum einen das unsystematische Risiko eines Unternehmens, zum anderen das systematische Risiko des Marktes. Korrelationen erfassen das unsystematische Risiko zwischen zwei Unternehmen. Das systematische Risiko des Marktes kann hingegen nicht erfasst werden. Die Minimierung der Volatilität eines Portfolios erfordert eine breite Diversifikation der Risiken. Dabei können nur unsystematische Risiken durch eine breite Streuung gesenkt werden. Das systematische Risiko, welchem alle Wertpapiere unterliegen, kann hingegen nicht minimiert werden. Theoretisch ist eine optimale Diversifikation erreicht, sobald ein Portfolio nur aus nicht korrelierten Aktien besteht. Das optimale Portfolio ist gefunden, wenn kein Portfolio ein niedrigeres Risiko bei einem höheren Erwartungswert besitzt (vgl. Anhang 1).66 Markowitz traf in seinem Modell folgende Annahmen: Transaktionskosten und Steuern werden nicht berücksichtigt, Anleger handeln rational und risikoscheu, alle Aktien sind unbegrenzt teilbar und der Modellzeitraum beträgt eine Periode.67

Aus dem Wissen, dass Anleger ihr Kapital streuen, kann geschlussfolgert werden, dass Anlageentscheidungen unter Anwendung der Erwartungswert-Standardabweichungsregel gefällt werden. Ertrag und Risiko werden somit in ein direktes Verhältnis zueinander gesetzt. Jedes Wertpapier erwirtschaftet langfristig genau die Rendite, welche seiner Risikoklasse entspricht. Werden die Annahmen inhaltlich genauer geprüft, wird allerdings ersichtlich, dass diese den Anforderungen der Realität nicht gerecht werden.68 Die zentralen Kritikpunkte des Modells sind: Die Modellannahme, keine Transaktionskosten und Steuern zu berücksichtigen, sondern einen vollkommenen Markt vorauszusetzen, grenzt Portfolios kleinerer und mittlerer Anlegergruppen teilweise aus. Dies ist auf den Umstand zurückzuführen, dass sich bei kleinen und mittleren Anlagebeträgen Transaktionskosten und Steuern deutlich stärker auf die Rendite auswirken. Darüber hinaus befassen sich Anleger in der Portfolio-Selection-Theory nur mit der Rendite und dem Risiko. In der Praxis ist jedoch die Handelbarkeit einer Anlageklasse in die Anlageentscheidung zusätzlich mit einzubeziehen.69

Por In der Portfolio-Selection-Theory wird angenommen, dass Anleger rational und risikoscheu handeln. Das bedeutet, Anleger minimieren bei gegebener Rendite das Risiko und maximieren bei gegebenem Risiko die Rendite. Eine Vermeidung von Risiken setzt ein positives Verhältnis zwischen Rendite und Risiko voraus. Diese Ansicht steht im Widerspruch zur Beobachtung, dass Anleger in der Realität teilweise irrational handeln.70 Des Weiteren werden die Probleme des richtigen Einstiegszeitpunktes (engl. Market Timing) und der Portfoliorevision in der Portfolio-Selection-Theory nicht berücksichtigt, da der Modellzeitraum nur eine Periode beträgt. Aufgrund externer Einflüsse wie unterschiedlicher Kursentwicklungen oder veränderter Risikopräferenzen entwickelt sich ein Portfolio nicht linear.71 Diese Einflussfaktoren werden in der Portfoliotheorie ausgeblendet. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass zur Umsetzung der Portfoliotheorie viele Korrelationen errechnet werden müssen, was zeitaufwendig ist. Zudem erfassen Korrelationen nur paarweise Abhängigkeiten, womit sich die zu berechnende Anzahl innerhalb eines Portfolios potenziert. Zusätzlich ändern sich die Korrelationen zwischen Wertpapieren laufend, und die Aussagekraft sinkt bei geringen Ausreißern beträchtlich.72

2.2.2 Rendite- und Risikobewertung

Eine Bewertung des Rendite-Risiko-Verhältnisses ist im Rahmen der Portfoliokonstruktion und der Performancemessung entscheidend, um die langfristigen Anlageziele zu erreichen. Die Rendite rp des Portfolios wird als Summe der gewichteten Einzelrenditen gebildet. Zur Bestimmung der Einzelrendite wird die Summe aus Kurs- und Dividendenrendite ri = rKurs + rDividende mit dem gewichteten Anteil der Einzelposition xi multipliziert. Die Formel für die Portfoliorendite lautet somit:73

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Portfoliorendite74

Es existieren unterschiedliche Konzepte, um die Rendite eines Portfolios zu messen. Von grundlegender Bedeutung ist dabei ist die Abgrenzung der nominalen von der realen Rendite: Die Nominalrendite setzt sich aus dem risikolosen Zinssatz rf und der Risikoprämie (RP) zusammen, welche das zusätzliche Risiko der Kapitalanlage darstellt. Die Nominalrendite berücksichtigt nicht den realen Kaufkraftverlust einer Kapitalanlage durch die Inflation. An diesem Punkt setzt die Realrendite an und ergänzt die Nominalrendite um den Inflationsfaktor.75 Der Einfluss der Inflation auf die Rendite wird bei Betrachtungszeiträumen, die länger als eine Periode sind, größer. Daher ist der Einbezug der Inflation in die Renditemessung eines Portfolios insbesondere bei langen Zeiträumen sinnvoll.76 Steuern belasten die Rendite eines Portfolios auf Unternehmens- und Anlegerebene. Hierbei ist zwischen der Vor- und Nachsteuerrendite zu differenzieren. Die Nachsteuerrendite gibt die Rendite nach Abzug von Steuern an, die Vorsteuerrendite hingegen vor Steuern. Die Steuerhöhe auf Anlegerebene ist vom persönlichen Einkommensteuersatz und weiteren Faktoren abhängig. Die Berücksichtigung von Steuern auf Anlegerebene ist daher eher für die persönliche Bewertung einer Anlage relevant als für die Portfoliotheorie.77

Ein weiteres Merkmal von Renditen ist die Abgrenzung von stetigen und diskreten Renditen. Diskrete Renditen beschreiben die Wertsteigerung innerhalb eines Zeitraums P1 bezogen auf den Kapitaleinsatz P0 zu Beginn des Zeitraums. Stetige Renditen werden mit dem natürlichen Logarithmus bestimmt. Mit stetigen Renditen ist die Berechnung der stetigen Verzinsung einer Aktie möglich. Stetige Renditen können über die Zeitachse addiert werden, sie sind zeitadditiv.78 Daher ist es leicht möglich, die Rendite eines Portfolios für längere Zeiträume zu errechnen. Allerdings sind stetige Renditen nicht geeignet, die Rendite eines Portfolios zu berechnen, indem die Renditen der Einzelpositionen aufsummiert werden. Das bedeutet, sie sind nicht portfolioadditiv. Die Vor- und Nachteile beider Berechnungsmethoden sind einander genau wechselseitig, daher ist im Portfoliomanagement abzuwägen, welches Verfahren passender erscheint.79

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Diskrete Rendite80

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Stetige Rendite81

Darüber hinaus sind die Risikoprämie und die abnormale Rendite wichtige Bestandteile der Risikomessung. Unter der Risikoprämie wird die Entschädigung für das Tragen eines finanziellen Risikos verstanden. Die Risikoprämie bezeichnet die Verzinsung oberhalb des risikolosen Zinssatzes. Die abnormale Rendite ist die Differenz aus tatsächlicher Rendite und erwarteter Rendite. Ist die abnormale Rendite positiv, liegt eine Überrendite vor, im gegenteiligen Fall eine Unterrendite.82 In der Portfoliotheorie wird das Risiko über die Standardabweichung der Renditen σ ermittelt. Je größer die Schwankungsbreite um den Mittelwert, desto höher ist das Risiko. Die Volatilität ist als Risikokennzahl nur geeignet, wenn die zu bewertenden Renditen normalverteilt sind, was in der Realität selten vorkommt.83 Als symmetrische Risikokennzahl ist die Volatilität bei negativen Abweichungen für Anleger als Risiko und bei positiven Abweichungen als Chance zu interpretieren. Darüber hinaus sind im Rahmen der Risikomessung die höheren Momente der Verteilung, die Schiefe und die Wölbung zu berücksichtigen.84

Die Schiefe betrachtet die Symmetrie der Renditen eines Portfolios um den Erwartungswert. Bei einer Schiefe von null liegt eine symmetrische Verteilung vor. Eine rechtsschiefe Verteilung besitzt eine positive Schiefe und eine linksschiefe Verteilung eine negative Schiefe. Eine rechtsschiefe Verteilung weist mehr positive als negative Renditen auf. Folglich ist die Häufigkeit von Gewinnen im Vergleich zu Verlusten größer, was vom Portfoliomanager erwünscht ist. Das Gegenteil liegt bei einer linksschiefen Verteilung vor, welche mehr negative als positive Renditen besitzt, was eine Investition unattraktiv macht.85 Die Schiefe der Verteilung kann negative und positive Werte annehmen und besitzt keine Einheit.86 Die Schiefe wird mit der folgenden Formel berechnet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 4: Schiefekoeffizient87

Die Wölbung analysiert die Steigung in der Mitte und die Ausbuchtungen am Anfang und Ende der Verteilung. Eine Normalverteilung besitzt eine Kurtosis von drei. Liegen mehr als drei Extremmomente vor, wird eine Verteilung als leptokurtisch bezeichnet. Liegen weniger als drei Extremmomente vor, wird eine Verteilung als platykurtisch bezeichnet.88 Das vorrangige Ziel des Portfoliomanagements ist folglich, ungerade Momente (erwartete Rendite und Schiefe) zu maximieren und gerade Momente (Volatilität und Wölbung) zu minimieren.89 Die Wölbung wird wie folgt berechnet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 5: Wölbungskoeffizient90

2.2.3 Diversifikationseffekte

Die Diversifikation eines Portfolios bezeichnet die Streuung des Anlagekapitals nach Branchen, Ländern, Währungen und auf unterschiedliche Anlageklassen im Zuge der Portfoliokonstruktion. Markowitz bekräftigt in seiner Portfoliotheorie die positiven Effekte der Diversifikation. Durch eine günstige Diversifikation in einem Portfolio werden die mit der Kapitalanlage verbundenen Risiken verteilt, was üblicherweise zu einer Verbesserung des Rendite-Risiko-Verhältnisses führt.91 Die Ursache für positive Diversifikationseffekte in einem Portfolio liegt in den wechselseitigen Beziehungen der Wertpapiere untereinander, welche als Korrelationen bezeichnet werden. Eine Korrelation, die normierte Kovarianz, drückt das Verhältnis zwischen zwei Wertpapieren mit Werten zwischen -1 und +1 aus. Bei einer Korrelation von 0 besteht kein Zusammenhang zwischen den Verläufen zweier Wertpapiere, bei einer Korrelation von +1 ist der Verlauf gleichgerichtet und bei -1 entgegengesetzt. Beträgt die Korrelation zwischen zwei Aktien zum Beispiel -1, fällt Aktie A, wenn Aktie B steigt und umgekehrt.92

Zur Erzielung von positiven Diversifikationseffekten ist die Ausnutzung von Korrelationen erforderlich: Je niedriger die Korrelationen zwischen den im Portfolio enthaltenen Wertpapieren, desto besser ist das Rendite-Risiko-Verhältnis. Korrelationen ändern sich fortlaufend. Folglich kann eine optimale Diversifikation nie erreicht werden.93 Die positiven Effekte, welche durch eine hohe Diversifikation eintreten, werden in der modernen Portfoliotheorie weiterentwickelt. Markowitz teilt hierfür das Risiko einer Kapitalanlage in zwei Klassen: Die erste Klasse ist das unsystematische Risiko eines Unternehmens. Die zweite Klasse ist das systematische Risiko des Marktes. Die Korrelationen zwischen den Wertpapieren eines Portfolios veranschaulichen das unsystematische Risiko. Der modellierte Verlauf zwischen beiden Risikoarten wird in der folgenden Abbildung dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Systematisches und unsystematisches Risiko94

Eine Erhöhung der Einzelpositionen senkt das unsystematische Risiko des Gesamtportfolios. Die optimale Anzahl an Einzelpositionen zur Minimierung des unsystematischen Risikos ist von den Korrelationen dieser abhängig und kann nicht exakt bestimmt werden.95 In der Literatur herrscht keine Einigkeit, wie viele Positionen zur optimalen Diversifikation eines Portfolios erforderlich sind. Von Value Investoren wird eine hohe Diversifikation mit vielen Einzelpositionen teilweise kritisch gesehen. Empirische Studien zu Value Investing, welche auf Basis früherer realer Daten erfolgten, legen den Schluss nahe, dass ein konzentriertes Portfolio größere Chancen auf Überrenditen bietet.96 Der Korridor zur optimalen Diversifikation liegt demnach zwischen 8 und 50 Positionen. Neben der Korrelation begünstigen unterschiedliche Anlageklassen, Länder, Währungen und Branchen die Diversifikation eines Portfolios.97 Das unsystematische Risiko kann nach Markowitz mit einer breiten Streuung minimiert werden, wohingegen das systematische Risiko des Marktes immer existiert. Der Rendite-Risiko-Gedanke von Markowitz wird im CAPM-Modell weiterentwickelt, indem das systematische Risiko über den Betafaktor erfasst wird.98

2.3 Portfoliostrukturierung

2.3.1 Strategische und taktische Vermögensallokation

Sobald die Planung des Anlageprozesses beendet ist und die Portfoliorealisierung beginnt, erfolgt die Vermögensallokation (engl. Asset Allocation) nach den festgelegten Anlagekriterien. Bei der Aufteilung der Anlageklassen wird zwischen strategischer und taktischer Vermögensallokation unterschieden. Die strategische Vermögensallokation legt die Zusammensetzung des Portfolios nach Anlageklassen, Branchen, Ländern und Währungen fest. Einzelpositionen werden in der strategischen Vermögensallokation nicht berücksichtigt, sondern nur Märkte. Das Ziel ist eine strategische Aufteilung des Kapitals, welche die Erwartungen des Anlegers mit den Anlagezielen und -restriktionen verbindet. Der Planungshorizont der strategischen Vermögensallokation beträgt mindestens fünf Jahre.99

Der Top-Down-Anlageansatz gewährleistet eine einheitliche Strukturierung nach Anlageklassen, Branchen, Ländern und Währungen. Darauf erfolgt die taktische Vermögensallokation, welche sich mit Detailfragen befasst, wie zum Beispiel der Ratingklasse von Anleihen. Die taktische Vermögensallokation geht somit eine Ebene tiefer und impliziert einen Anlagehorizont von mindestens drei Jahren. Sie dient dem Portfoliomanager zur Feinadjustierung des Portfolios.100 Nicht jede Anlagestrategie nutzt alle in der Abbildung aufgeführten Ebenen.101

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Top-Down-Anlageansatz102

Der Einfluss der unteren Ebenen auf die Wertentwicklung ist abnehmend. Das Rendite-Risiko-Verhältnis eines Portfolios ist besonders von der strategischen Vermögensallokation abhängig. Wie aus der Abbildung hervorgeht, beeinflusst die Wahl der Einzeltitel die Wertentwicklung des Portfolios gering. In der Konsequenz ist die Formulierung der Anlagestrategie in Verbindung mit der strategischen Vermögensallokation der größte Werttreiber.103

2.3.2 Liquidität und Anlageklasse

Die Liquidität des Portfolios zu jeder Zeit sicherzustellen, damit zumindest Teilpositionen kurzfristig handelbar sind, ist ein zentrales Ziel im Portfoliomanagement. Hierbei sind auch Stressszenarien zu berücksichtigen. Zur Liquiditätsüberwachung sind quantitative und qualitative Faktoren heranzuziehen wie bei Aktien zum Beispiel Streubesitz, Börsenumsätze und Freefloat. Dabei sind Liquidität, Handelbarkeit und Fungibilität im Portfoliomanagement als Synonyme zu betrachten.104 Eine Anlageklasse ist eine Gruppe ähnlicher Wertpapiere, die geringe Korrelationen untereinander aufweisen. Eine weitere Abgrenzung von Anlageklassen erfolgt in standardisierte Anlageklassen wie Aktien oder Anleihen sowie in nicht standardisierte Anlageklassen wie Antiquitäten, Kunst oder Immobilien. Folglich nehmen die spezifischen Merkmale einer Anlageklasse wesentlichen Einfluss auf deren Handelbarkeit: Aktien oder Anleihen können schneller liquidiert werden als eine Immobilie. Nicht standardisierte Anlageklassen können aufgrund der geringeren Nachfrage mit hohen Transaktionskosten verbunden sein.105 Die Liquidität bzw. Handelbarkeit von Anlageklassen kann mit der Geld-Brief-Spanne ermittelt werden. Eine Aktie wird zum Beispiel zu einem Geldkurs von 100 Euro gekauft, während sie zum Briefkurs von 99 Euro verkauft wird. Die Differenz zwischen Geld- und Briefkurs wird als Angebots-Nachfrage-Differenz (engl. Bid-Ask-Spead) bezeichnet. Die Preise für den Geld- und Briefkurs stellt ein Kursmakler oder die Börse fest.106

Differenzen zwischen Geld- und Briefkurs entstehen durch die Transaktionskosten des Geschäfts und die Gewinnspanne des Kursmaklers, seinen Haltekosten vor dem Kaufzeitpunkt sowie Informationsrisikokosten, die während der Haltephase durch Kursschwankungen entstehen können.107 Aus Anlegersicht sind liquide Wertpapiere günstiger im Erwerb und besitzen ein niedrigeres Risiko als eine Aktie, die zum Beispiel aufgrund illiquider Märkte nicht verkauft werden kann. Aktien von Unternehmen mit einer schlechten Handelbarkeit werden mit einem größeren Liquiditätsabschlag gehandelt, erwirtschaften jedoch vergleichsweise höhere durchschnittliche Renditen bei höheren Risiken. Die Renditevorteile verringern sich unter Berücksichtigung der höheren Transaktionskosten.108

2.3.3 Behavioral Finance

Der Wissenschaftszweig der Verhaltensökonomik (engl. Behavioral Finance), basierend auf der Prospect Theorie von Kahnemann und Tversky, befasst sich mit verhaltenstheoretischen Beobachtungen an den Kapitalmärkten. Anhänger der Verhaltensökonomik zweifeln am traditionellen Bild des Homo Oeconomicus und der vollkommenen Märkte. Die Verhaltensökonomen berücksichtigen damit den Umstand, dass menschliche Entscheidungen unter emotionalen Einflüssen getroffen werden und der subjektiven Rationalität Grenzen gesetzt sind. Das Ziel der Verhaltensökonomik ist, irrationale Entscheidungsmuster zu entdecken und zu erforschen. Bekannte Anomalien im Anlageverhalten sind beispielsweise die Heimmarktneigung (engl. Home Bias), das Vertrautheitsvorurteil (engl. Familiarity Bias), die Selbstüberschätzung (engl. Overconfidence Bias), der Dispositionseffekt und das Herdenverhalten.109 Verhaltensanomalien verursachen Portfolioverzerrungen, welche auf nahezu allen Finanzmärkten anzutreffen sind. Die Heimmarktneigung bezeichnet in der ökonomischen Verhaltensforschung die Verbundenheit der Anleger, ihr Kapital bevorzugt in die Aktien lokaler Unternehmen zu investieren. Obwohl der Heimatmarkt oftmals einen geringen Anteil an der Weltwirtschaft widerspiegelt, sind lokale Unternehmen im Portfolio betroffener Anleger deutlich übergewichtet. Die Heimmarktneigung ist ein Trend, welcher zu regionalen Verzerrungen innerhalb eines Portfolios führt. Regionale Übergewichtungen in einem Portfolio sorgen für eine Abhängigkeit von der Entwicklung der heimischen Wirtschaft und für eine mangelnde Diversifizierung. Die Rendite eines Portfolios kann durch die Übergewichtung heimischer Aktien daher positiv oder negativ beeinflusst werden. Die Ursachen der Heimmarktneigung liegen in der großen Vertrautheit der Anleger mit lokalen Unternehmen und in unterschiedlichen Regulierungen sowie einer Informationsasymmetrie bezüglich ausländischer Märkte und Unternehmen, welche beispielsweise durch Sprachbarrieren entstehen.110

Anleger erwerben im Rahmen des Vertrautheitsvorurteils nur Aktien von Unternehmen, die sie kennen und nicht aufwendig analysieren müssen. Das bedeutet, Anleger beschränken ihr Anlageuniversum auf ihnen bekannte Unternehmen, um sich nicht aus ihrer Komfortzone begeben zu müssen. Ein Beispiel hierfür ist, nur Aktien des Arbeitgebers oder mit einem lokalen Bezug zu besitzen. Die negativen Auswirkungen des Vertrautheitsvorurteils übertreffen die der Heimmarktneigung um ein Vielfaches, da aus diesem Anlageverhalten erhebliche Klumpenrisiken in Branchen oder Regionen resultieren.111 Sowohl Heimmarktneigung als auch Vertrautheitsvorurteil führen zu sektoralen Verzerrungen innerhalb eines Portfolios, welche die unsystematischen Risiken deutlich erhöhen können. Zum Teil kann das irrationale Anlageverhalten auf die mit der Minimierung des unsystematischen Risikos einhergehenden Wechselkursrisiken, Transaktionskosten und Informationsasymmetrien zurückgeführt werden. Anleger gehen durch unüberlegtes emotionales Handeln neben systematischen Risiken ein hohes unsystematisches Risiko ein.112

Die Selbstüberschätzung bezeichnet in der Verhaltensökonomik die Erscheinung, dass Anleger ihre persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, Sachverhalte an den Finanzmärkten zu erfassen und zu verarbeiten, überschätzen. Die Folge ist ein gesteigertes Selbstbewusstsein, welches zu einem aktiven Anlagestil anregt. Anleger, welche von der Selbstüberschätzung betroffen sind, pflegen oft aggressive Anlagestile, statt ihr Portfolio strukturiert aufzubauen. Daraus resultieren in der Regel eine nicht ausreichende Diversifizierung des Portfolios und eine Vielzahl an Portfolioumschichtungen.113 Kahnemann und Tversky gelangten nach einer Auswertung des Handelsvolumens und der Jahresrenditen eines amerikanischen Brokers von 1991 bis 1997 zur Erkenntnis, dass sich viele Umschichtungen in einem Portfolio negativ auf dessen langfristige Wertentwicklung auswirken. In ihrer Studie kamen sie zum Ergebnis, dass die Portfolios mit der größten Handelstätigkeit die niedrigste Jahresrendite aufwiesen und die mit der niedrigsten Handelstätigkeit die höchste Jahresrendite.114 Der feste Glaube sich selbstüberschätzender Anleger, Trends am Kapitalmarkt vor anderen frühzeitig zu erkennen und bewerten zu können, verleitete sie zu vielen Umschichtungen und kürzeren Haltedauern mit geringen langfristigen Erfolgsaussichten. Negative Effekte von zahlreichen Umschichtungen sind unter anderem steigende Transaktions- und Opportunitätskosten.115

[...]


1 Vgl. Deutscher Bundestag (2012), S.1.

2 Vgl. Bäcker, G., Kistler, E. (2020), S.1.

3 Vgl. Deutsche Bundesbank (2019), S.1.

4 Vgl. Demografieportal (2019), S.1.

5 Vgl. Börsch-Supnan, A. et al. (2005), S.1.

6 Rentenniveau = prozentuales Verhältnis zwischen Standardrente und Durchschnittsgehalt.

7 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2018), S.1.

8 Vgl. Heuchert, O. (2008), S.9.

9 Vgl. Heuser, M. (2020), S.1.

10 Vgl. Heuser, M. (2020), S.1.

11 Vgl. Finanzen.Net (2020), S.1.

12 Vgl. Finanzen.Net (2020A), S.1.

13 Vgl. Graham, B. (2017), S.23.

14 Vgl. Deutsches Aktieninstitut (2016), S.18.

15 Vgl. Graham, B. (2017), S.9.

16 Vgl. Graham, B. (2017), S.25.

17 Vgl. Elsässer, M. (2016), S.14.

18 Vgl. Mihaljevic, J. (2015), S.36.

19 Vgl. Hanke, U. (2016), S.96.

20 Auch: Anlageprozess

21 Vgl. Jacob, M. (2012), S.134.

22 In Anlehnung an: Mondello, E. (2017), S.1006.

23 Vgl. Graham, B. (2017), S.139.

24 Vgl. Graham, B. (2017), S.49.

25 Vgl. Graham, B. (2017), S.49.

26 Vgl. Mondello, E. (2017), S.1020.

27 Vgl. Mondello, E. (2015), S.61 – 62.

28 Vgl. Mondello, E. (2017), S.1026.

29 Vgl. Otte, M., Castner, J. (2014), S. 128 – 129.

30 Vgl. Weingärtner, A. (2013), S.27.

31 Vgl. Weingärtner, A. (2013), S.59.

32 Vgl. Weingärtner, A. (2013), S.26.

33 Vgl. Mondello, E. (2017), S.1006f.

34 Vgl. Graham, B. (2017), S. 550f.

35 Vgl. Mondello, E. (2017), S.1007.

36 Vgl. Mondello, E. (2015), S.66-67.

37 Gillenkirch, R., Laux, H. (2012), S.4.

38 Vgl. Schmeisser, W. (2010), S.243f.

39 Vgl. Mondello, E. (2017), S.1024.

40 Vgl. Mondello, E. (2015), S.60.

41 Vgl. Graham, B. (2017), S.146.

42 Vgl. Thießen, F., Hockmann, H. (2012), S.28.

43 Vgl. Hanke, U. (2016), S.95.

44 Vgl. Otte, M., Castner, J. (2014), S. 28.

45 Vgl. Fama, E. (1970), S. 383 – 417.

46 Vgl. Otte, M., Castner, J. (2014), S.28.

47 Vgl. Godefroy, A. (2016), S.19.

48 Vgl. Kahnemann, D., (2012), S.264.

49 Vgl. Vollmer, R. (2008), S.51.

50 Vgl. Otte, M., Castner, J. (2014), S.65.

51 Vgl. Hanke, U. (2016), S. 176.

52 Vgl. Hanke, U. (2016), S.176f.

53 Summe der Aktien, welche dem Börsenhandel zur freien Verfügung stehen.

54 Vgl. Zülch, H., Nellessen, T. (2010), S.78.

55 Vgl. Heese, V. (2014), S. 43.

56 Vgl. Büsser, H. (2017), S.127.

57 Vgl. Klein, M. et al. (2006), S. 117.

58 Vgl. Heese, V. (2014), S. 44.

59 Vgl. Büsser, H. (2017), S.128.

60 Vgl. Röhl, C., Heussinger, W. (2016), S.74.

61 Vgl. Heese, V. (2014), S. 43.

62 Vgl. Röhl, C., Heussinger, W. (2016), S.72-74.

63 Vgl. Friebel, M. (2010), S. 14-16.

64 Vgl. Jacob, M. (2012), S.159.

65 Vgl. Markowitz, H. (1952), S.77-91.

66 Vgl. Kammel, A. et al. (2006), S.20f.

67 Vgl. Ernst, D., Schurer, M. (2014), S.257-258.

68 Vgl. Markowitz, H. (1952), S.77-91.

69 Vgl. Markowitz, H. (1952), S.77-91

70 Vgl. Markowitz, H. (1952), S.77-91.

71 Vgl. Mondello, E. (2015), S. 60.

72 Vgl. Graham, B. (2017), S.146.

73 Vgl. Mondello, E. (2015), S.249.

74 Vgl. Mondello, E. (2015), S.113,249.

75 Vgl. Mondello, E. (2018), S.14-15.

76 Vgl. Mondello, E. (2018), S.15.

77 Vgl. Mondello, E. (2018), S.15.

78 Vgl. Ernst, D., Schurer, M. (2014), S.68.

79 Vgl. Ernst, D., Schurer, M. (2014), S.68, 72-73.

80 Vgl. Ernst, D., Schurer, M. (2014), S.68.

81 Vgl. Ernst, D., Schurer, M. (2014), S.68.

82 Vgl. Klien, W. (1995), S.127-128.

83 Vgl. Dartsch, A. (1999), S.245-247.

84 Vgl. Engelbrecht, M. (2015), S.40-51.

85 Anleger präferieren Investitionen mit einer hohen zu erwartenden Rendite, niedriger Varianz, positiver Schiefe und niedriger Kurtosis.

86 Vgl. Mondello, E. (2015), S.34.

87 Vgl. Bruns, C., Meyer-Bullerdiek, F. (2008), S.252-253.

88 Vgl. Bruns, C., Meyer-Bullerdiek, F. (2008), S.32-33.

89 Vgl. Bruns, C., Meyer-Bullerdiek, F. (2008), S.36.

90 Vgl. Engelbrecht, M. (2015), S.47-51.

91 Vgl. Hanke, U. (2016), S. 111,198.

92 Vgl. Graham, B. (2017), S.205-206.

93 Vgl. Graham, B. (2017), S.146.

94 Eigene Darstellung in Anlehnung an: Mondello, E. (2017), S.118.

95 Vgl. Graham, B. (2017), S.387.

96 Vgl. Graham, B. (2017), S.205-206.

97 Vgl. Graham, B. (2017), S.133

98 Vgl. Markowitz, H. (1952), S.77-91.

99 Vgl. Mondello, E. (2017), S.1016-1017.

100 Vgl. Ernst, D., Schurer, M. (2014), S.66-67.

101 Es existieren neben dem Top-Down-Investmentansatz zahlreiche Anlageansätze, die an dieser Stelle nicht weiter berücksichtigt werden.

102 Vgl. Leser, H., Rudolf, M. (2003), S.285.

103 Vgl. Kahnemann, D. (2012), S.265.

104 Vgl. Mondello, E. (2015), S.60.

105 Vgl. Engelbrecht, M. (2015), S.113-120.

106 Vgl. Mondello, E. (2015), S.48.

107 Vgl. Mondello, E. (2017), S.1020.

108 Vgl. Graham, B. (2017), S.370-371.

109 Vgl. Otte, M., Castner, J. (2014), S. 29,66-67,70.

110 Vgl. Röhl, C., Heussinger, W. (2016), S.198.

111 Vgl. Graham, B. (2017), S.146.

112 Vgl. Lichtenstein, S., Fischhoff, B. (1977), S.159-183.

113 Vgl. Kahnemann, D. (2012), S.263,265,267-269.

114 Vgl. Kahnemann, D. (2012), S.421-424.

115 Vgl. Elsässer, M. (2016), S.20.

Ende der Leseprobe aus 110 Seiten

Details

Titel
Value Investing als Instrument zur Altersvorsorge in Deutschland. Eine empirische Analyse
Hochschule
Fachhochschule Kaiserslautern
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
110
Katalognummer
V941173
ISBN (eBook)
9783346313850
ISBN (Buch)
9783346313867
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Value Investing, Deutschland, Rente, Altersvorsorge
Arbeit zitieren
Tobias Brinkmann (Autor:in), 2020, Value Investing als Instrument zur Altersvorsorge in Deutschland. Eine empirische Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/941173

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