Künstliche Intelligenz im Bankbereich. Realisierbarkeit einer autonomen Kreditmaschine


Bachelorarbeit, 2020

80 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


I. Inhaltsverzeichnis

I. Inhaltsverzeichnis

II. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

III. Abkürzungs- und Symbolverzeichnis

IV. Abstract

1. Ausgangssituation
1.1. Zielsetzung der Bachelorarbeit
1.2. Aufbau der Thesis

2. Begriffsbestimmungen und der aktuelle Forschungsstand
2.1. Künstliche Intelligenz
2.1.1. Was ist künstliche Intelligenz?
2.1.2. Was bereits erzielt wurde
2.2. Immobilienfinanzierung
2.2.1. Der allgemein grundrechtlich abgesicherte Kredit
2.2.2. Standard-Beratungsprozess zur Immobilienfinanzierun am Beispiel der HypoVereinsbank
2.3. Der autonome Prozess
2.3.1. Bedeutung des autonomen Prozesses
2.3.2. Der autonome Immobilienfinanzierungsprozess
2.4. Scoring und Kreditentscheidung
2.4.1. Scoring-Modelle
2.4.2. Kreditentscheidung

3. Empirische Analyse
3.1. Methodik der Analyse
3.1.1. Qualitative Datenerhebung
3.1.2. Das Experteninterview
3.1.3. Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
3.1.4. Sicherstellung der Gütekriterien der Forschung
3.2. Auswertung der Experteninterviews
3.2.1. Die Vorstellungskraft der Experten
3.2.2. Überzeugungsmöglichkeiten für die BaFin

4. Der Prototyp des vorstellbaren Prozesses
4.1. Der modellierte Prozess
4.2. Entscheidung auf Basis von KI
4.3. Kritische Betrachtung des Prototypen
4.4. Die weiteren Schritte

5. Abschließende Betrachtung

V. Anhang

VI. Literaturverzeichnis

Der Anhang wurde aus datenschutzrechtlichen Gründen durch das Lektorat entfernt.

II. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Investitionen in KI-Start-ups

Abbildung 2: Was ist Ki?

Abbildung 3: Weak vs. strong AI

Abbildung 4: Dimensionen der KI

Abbildung 5: KI und Linguistik

Abbildung 6: Entwicklungsstufen autonomer Systeme

Abbildung 7: Chancen und Risiken des Experteninterviews

Abbildung 8: Vor- und Nachteile der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

IV. Abstract

Die künstliche Intelligenz ist ein aktuelles Thema, das in zahlreichen Lebensbereichen anzu­treffen ist. Im Bankenbereich, einschließlich im Immobilienfinanzierungsbereich, ist die KI ebenso aktuell und wird mittlerweile vereinzelt eingesetzt. Die Baufinanzierung hat für Banken weiterhin einen hohen Stellenwert, doch durch den starken Konkurrenzkampf herrscht bei den Privatkunden ein besonderer Margendruck. Zu dem Margendruck macht es die Bankenauf­sicht den Banken generell nicht einfacher, sondern verschärft durch regulatorische Neuerun­gen der Bankenaufsicht im Rahmen von Basel IV sogar die generellen Bestimmungen.

Das Ziel dieser Forschungsarbeit ist es, herauszufinden, wie weit der Stand der Technik bei intelligenten Systemen für Immobilienfinanzierungen ist und ob die Bundesanstalt für Finanz­dienstleistungsaufsicht autonome Kreditentscheidungen akzeptiert oder akzeptieren kann. Dazu wird die folgende Forschungsfrage gestellt: Wie realisierbar ist es, eine Kreditmaschine für Immobilienfinanzierungen auf Basis von künstlicher Intelligenz, die völlig autonom funktio­niert, zu modellieren?

Um die Forschungsfrage zu beantworten, hat eine Literaturrecherche stattgefunden und es sind ferner Experteninterviews durchgeführt worden. Die Literatur sollte die Grundlage für De­finitionen und bestehende Prozesse bilden. Es gibt derzeit keinen vollständigen autonomen Immobilienfinanzierungsprozess auf Basis von KI und somit musste die Literaturrecherche mit Experteninterviews ergänzt werden, um ein adäquates Ergebnis zu erzielen. Bei den Inter­viewten handelt es sich um Experten mit langjähriger Erfahrung in der Immobilienbranche. Im Rahmen des Interviews wurden offene Fragen gestellt, um möglichst umfangreiche Einblicke zu erhalten. Es soll gezeigt werden, wie der derzeitige Forschungsstand ist und ob ein auto­nomer Prozess in Verbindung mit KI vorstellbar ist. Ferner wird beantwortet, an welchen The­men gerade gearbeitet wird. Auf Basis der Ergebnisse aus der Literaturrecherche und dem Experteninterview wird gezeigt, wie derzeit der optimale Prozess beschrieben wird.

Auf dieser Grundlage wird ein Prozessansatz vorgeschlagen, mit dem Systeme modelliert wer­den können. In weiterführenden Forschungsarbeiten könnte eine Auseinandersetzung mit an­deren Aspekten wie der Marktakzeptanz beim Privatkunden oder der rechtlichen Komponente erfolgen.

Hinweis: In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulin verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erfor­derlich ist.

1. Ausgangssituation

„Corona trifft die Immobilienwelt“ (vgl. Streit, 2020). Dieses Statement steht symbolisch für Einschränkungen, die wegen der Pandemie weltweit von den Ländern erlassen wurden. Eine Reaktion auf die Krise, wenn auch zaghaft, ist im Immobilienmarkt vorhanden. Nach Jahren, in denen die Preise ausschließlich gestiegen sind, muss nun vorsichtiger in die Zukunft geblickt werden. Der Besuch in einer Bankfiliale, um sich zu einer Immobilienfinan­zierung beraten zu lassen, ist momentan schwer möglich. Die Banken müssen deshalb auf Online Beratungskonzepte setzen, um die Kunden zu gewinnen. Die Pandemie ist ein Be­schleuniger für den Prozess der Digitalisierung, der ohnehin nicht aufzuhalten ist. Vor eini­gen Jahren hätten die Menschen kaum gedacht, dass Telefonzellen durch „Telefonzellen in der Hosentasche“ ersetzt werden oder es Navigationsgeräte anstatt Landkarten gibt (vgl. Lenzen, 2019, S. 2). Durch Preisvergleiche und Vermittler werden die Märkte weiter unter Druck gesetzt und die Verfügbarkeit von Waren und Dienstleistungen, wie Beratungen, muss 24 Stunden und 7 Tage die Woche gewährleistet sein. Um dadurch die anfallenden Mitarbeiterkosten nicht zu belasten, müssen neue Wege gefunden werden. Einfache Tätig­keiten können z.B. von Chatbots erledigt werden, um den Mitarbeitern die einfachen Ar­beitsabläufe abzunehmen und folglich Raum für Kreativität zu schaffen. Solche Chatbots sind technisch auf Standardfragen programmiert und vermitteln mittlerweile den Eindruck einer Unterhaltung mit einem echten Menschen, indem sie beispielsweise einen Witz er­zählen. Wird diese Beispiel in Betracht gezogen, stehen Chatbots an dieser Stelle symbo­lisch für den generellen Fortschritt der künstlichen Intelligenz und der weltweiten Autono­miemöglichkeiten. Dass die KI und Autonomie ein global bedeutsames Thema ist, lässt sich an den Investitionen vieler Länder und Unternehmen erkennen. Ursula von der Leyen sagte kürzlich, dass Deutschland 190 Mio. Euro Forschungsrückstand auf die USA und China hat (Berschens 2020). 2018 wurden weltweit insgesamt geschätzt 24 Milliarden Dollar in KI- Start-ups investiert. Im Vergleich dazu waren es 2013 lediglich 2 Milliarden Dollar (vgl. Abb. 1). Da die Thematik global einen hohen Stellenwert einnimmt, kommt auf alle Branchen und explizit im Immobilien­bereich eine Welle der künstlichen Intelligenz und Autonomie auf die Banken zu.

Die Motivation, die hinter dieser Arbeit steckt, ist, dass ersten Erfahrungen mit diesem Thema in dem End-to-End Projekt der HypoVereinsbank gesammelt wurden. Die bestehenden Prozesse sollen dort beschleunigt und verbessert werden. Ausgehend von diesen Überlegungen stellt sich die Frage, ob es eine vollständig autonome Immobilienfinanzierung auf Basis künstli­cher Intelligenz geben kann. Die Motivation des Verfassers der vorliegenden Arbeit, diesen Gedanken weiterzuverfolgen, ist durch seine eigene Tätigkeit als Immobilienfinanzierungs­spezialist begründet. Die Prozesse sollen in diesem Projektraum verbessert und beschleu­nigt werden, um einen Mehrwert für die Kunden und die Bank zu generieren. Es existiert in kein eigenständiger autonomer Immobilienfinanzierungsprozess auf Basis von KI. Die Ban­ken arbeiten derzeit an ersten Digitalisierungsstrategien und Teilprozesse werden momen­tan auf Kunden- wie auf Bankenseite entwickelt. Eine Umfrage der HTW Saar in Koopera­tion mit der Eurogroup Consulting, an der 130 Führungskräfte deutscher Finanzinstitute teilgenommen haben, hat jedoch ergeben, dass derzeit nur 22% der Institute KI im Tages­geschäft verwenden. Den meisten Banken fehlt eine klare KI-Strategie. „Der effiziente Ein­satz von KI wird mit darüber entscheiden, welche Banken sich im immer härteren Wettbe­werb in der Finanzbranche durchsetzen werden“ (vgl. Maisch 2020). An diesem Statement ist zu erkennen, wie bedeutsam das Thema in Zukunft für Banken sein wird, da in der Ban­kenbranche in der Vergangenheit wenig in diese Technologien investiert wurde. Die ING DiBa verändert derzeit ihre Strukturen in Deutschland, um folglich bei der Digitalisierung eine Vorreiterrolle einzunehmen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020).

Ferner spielt die BaFin bei der Genehmigung von Veränderungen eine entscheidende Rolle, da durch die neuen Technologien alte Geschäftsmuster verändert werden und neue entstehen. Es sind keine Erfahrungswerte seitens der BaFin vorhanden, wie eine Compu­terkreditentscheidung definiert, akzeptiert und durchgeführt werden könnte. Die ersten De­finitionen der BaFin zur Autonomie und KI wurden in einer Studie veröffentlicht (BaFin, o. V., 2018a), auf die näher eingegangen wird.

1.1. Zielsetzung der Bachelorarbeit

In dieser Arbeit wird die Frage erörtert, wie realisierbar es ist, eine Kreditmaschine für Im­mobilienfinanzierungen auf Basis von künstlicher Intelligenz zu modellieren, die vollständig autonom funktioniert. Das Ziel der Bachelorarbeit ist es, einen Einblick zu geben, wie weit der Stand der Technik ist und ob die BaFin autonome Entscheidungen akzeptiert oder ak­zeptieren kann. Es wird der Kunden- und der Bankprozess für Privatkunden erforscht. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass es deutlich mehr Aspekte im Hinblick auf die Realisier­barkeit einer solchen Kreditmaschine gibt als die beiden oben genannten und in dieser Ar­beit untersuchten. Da die Bearbeitung dieser weiteren Themen jedoch über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen würde, werden diese lediglich vereinzelt in dieser Arbeit aufge­griffen.

Um die vorstehend genannte Frage zu beantworten, wird die bestehende Literatur zu die­sem Thema analysiert. Zusätzlich werden Experteninterviews durchgeführt und qualitativ ausgewertet, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, ob eine derartige Maschine vorstellbar ist. Die Experteninterviews werden benötigt, da es derzeit keinen vollständigen autonomen Kunden- und Bankprozess auf Basis von KI gibt und relativ wenig Literatur zu diesem ak­tuellen Thema vorliegt.

1.2. Aufbau der Thesis

Die Bachelorarbeit ist in fünf Abschnitte gegliedert.

Das erste Kapitel umfasst die Ausgangssituation und eine Einführung in das Thema. Ferner wird die Problemstellung erläutert und die Motivation hinter dieser Arbeit verdeutlicht. Auch wird die Forschungsfrage definiert, das Ziel und die Methodik der Thesis werden bestimmt und es wird die Struktur der Arbeit dargelegt.

In Abschnitt 2 wird jeweils eine Definition zu den Themen künstliche Intelligenz, Immobili­enfinanzierung und autonomer Prozess gegeben. Die Themen „Stand der Technik“ und „BaFin“ sind getrennt voneinander dargestellt, um Gedankensprünge zu vermeiden. Dar­über hinaus werden die Merkmale, Kennzeichen und Trends der KI, des Immobilienfinan­zierungsprozess und Autonomie verdeutlicht. Bei der KI wird der Status quo aufgezeigt und eine Zusammenfassung der historischen Entwicklung gegeben, während beim Thema der Immobilienfinanzierung auf den derzeitigen Standard-Kunden- und Bankprozess einer Bank eingegangen wird. Im Teilbereich der Autonomie wird ein Überblick über den derzeit existierenden selbstständigen Kunden- und Bankprozess gegeben.

Im dritten Teil wird die empirische Untersuchung behandelt. Es wird auf die Entwicklung des Fragebogens eingegangen, erläutert, wie die Experteninterviews stattfanden und wa­rum die Methodik der qualitativen Analyse angewendet wurde. Zudem wird zusammenfas­send erläutert, wie die Auswertung der Befragungen stattfand und welche Vor- und Nach­teile die gewählte Form der Analyse hat. Anschließend findet die Auswertung der Interviews statt.

Auf die Literaturanalyse und die empirische Auswertung folgt das Kapitel 4, in dem eine Beschreibung des derzeit vorstellbaren Prozesses erfolgt. Dieser Konzeptvorschlag wird mit Umsetzungshinweisen ergänzt und kritisch hinterfragt.

Im Abschlusskapitel 5 werden die Ergebnisse zusammengefasst und es wird ein Ausblick gegeben und auf weiterführende Forschungsmöglichkeiten hingewiesen.

2. Begriffsbestimmungen und der aktuelle Forschungsstand

In diesem Abschnitt erfolgt eine Erklärung der Begriffe KI, Immobilienfinanzierung und au­tonomer Prozess. Darüber hinaus wird jeweils der derzeitige Stand der Forschung zu die­sen Themen beschrieben. Des Weiteren wird aufgezeigt, wie sich die BaFin zu den Themen der KI und Autonomie geäußert hat.

2.1. Künstliche Intelligenz

Im Alltag kann Begriffen wie KI, Big Data, Machine Learning, Deep Learning, neuronale Netze etc. an unterschiedlichen Stellen begegnet werden, etwa beim Zeitunglesen oder in Ki­nofilmen wie I, Robot (Proyas, 2004). Nachfolgend wird ein Überblick dazu gegeben, welche Arten und Unterschiede es innerhalb der KI gibt, seit wann es die KI gibt und welche Be­griffe in diesem Zusammenhang bedeutsam sind. Zudem wird der aktuelle Forschungsstand zu KI im Allgemeinen sowie kon­kret im Bankenbereich aufgezeigt

2.1.1. Was ist künstliche Intelligenz?

„I believe there is no deep difference between what can be achieved by a biological brain and what can be achieved by a computer. It, therefore, follows that computers can, in the­ory, emulate human intelligence — and exceed it“ (Cellan-Jones 2016). Dieses Statement von Stephen Hawking zeigt, welches Potential die KI für die Menschheit hat. Sie kann den gesamten Wirtschaftskreislauf neu definieren. Genauso, wie die Intelligenz des Menschen nicht klar beschrieben und definiert werden kann, kann die KI ebenso wenig vereinheitlicht und allgemein definiert werden. Bei der allgemeinen Intelligenz wird zwischen kognitiver, emotionaler und sozialer Intelligenz differenziert. Bei der KI handelt es sich um einen Ober­begriff für alle Forschungsbereiche, die sich damit beschäftigen, wie Maschinen eine Leis­tung menschlicher Intelligenz erbringen können (vgl. Retresco 2019a). Ein weiterer Ansatz für eine Beschreibung der Intelligenz ist die Fähigkeiten des Menschen, Urteile zu fällen, Möglichkeiten zu erfassen, Zusammenhänge zu begreifen und Einsichten zu gewinnen (vgl. Cianciolo/Sternberg 2004, S. 23). Folglich stellt sich die Frage, wie künstliche Intelligenz beschrieben werden kann, wenn es keine allgemeine Definition der Intelligenz gibt. Bislang wurde von Programmierern genau vorgegeben, was das System zu tun hat und so wurde es letztendlich ausgeführt. Dabei fand eine Beschränkung auf einfache Tätigkeiten statt. Die KI folgt nicht mehr nur vorgegebenen Anweisungen der Programmierer, sondern ist lernfähig, selbstständig und führt Handlungen aus, die schwer zu verstehen sind. Sie soll die Fähigkeiten haben, zu verstehen, zu denken, zu planen und zu erkennen, wie es ein Mensch tut. Dazu verarbeiten Systeme mit KI nicht nur Daten, sondern sie erkennen Mus­ter, aus denen sie Schlussfolgerungen ziehen, und werden auf diese Weise intelligenter (vgl. Richarz 2019). Generell wird versucht, Entscheidungsstrukturen, die jenen beim Menschen ähneln, in einem nicht klar definier­ten Umfeld nachzubilden (vgl. Grün- derszene.de 2020). Aus diesen soll die KI ihre Schlüsse ziehen und Entscheidungen in einer ähnlichen Weise wie der Mensch treffen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: weak vs. Strong AI (In Bedeutsam ist vor allem, dass sie stets

Anlehnung an DataFlair Team, 2019) weiterlernt. Es gibt zwei unterschiedliche Ansätze für die Definitionen der verschiedenen Arten der KI. Die erste Theorie handelt von der starken vs. schwachen KI (vgl. Abb. 2). Die derzeit existierenden Anwendungen sind mit der schwachen KI („weak AI“ ) ausgestattet, so z. B. Siri. Mit dieser Form der KI können nur bestimmte, klar definierte Aufgaben gelöst werden, für die die KI entwickelt wurde. Es können keine anderen Aufgaben gelöst werden, da kein tieferes Verständnis von Intelligenz erlangt wird (vgl. Future Markets Magazine 2018b). Jedoch sind die Systeme zur Selbstoptimierung und Lernfähigkeit bereit. Die menschliche Intelligenz soll simuliert und automatisiert werden (vgl. Retresco 2019a). Die starke KI („strong AI“) kann nicht nur ein bestimmtes Problem lösen, sondern kann aus eigenem Antrieb planen, lernen und in natürlicher Sprache kommunizieren (vgl. Future Markets Magazine 2018b). Sofern die KI mit einer unbekannten Aufgabe konfrontiert wird, kann sie Lösungen finden (vgl. Rouse 2018). Die KI kann somit Dinge tun, die ein Mensch kann. Diese Form ist derzeit nicht existent, wird jedoch erforscht.

Die zweite Theorie unterscheidet vier Arten bzw. Typen. Der erste und der grundlegendste Typ sind die reaktiven Maschinen, wie z. B. „Deep Blue“, der ein „Schachroboter“ war und den damaligen Schwachweltmeister schlug. Diese Maschinen können die Umwelt erkennen und auf diese reagieren. Sie können jedoch keine Erinnerungen bilden oder auf Erfahrungen zurückgreifen. Zudem sind sie nur auf einen Bereich spezialisiert (vgl. Leichsenring 2017). Der zweite Typ sind die begrenzten Speicher, die heutzutage am häufigsten zu finden ist. Die Weiterentwicklung im Vergleich zum ersten Typ ist, dass Erfahrungen aus der Vergangenheit genutzt werden. Mit den Erfahrungen beobachten die begrenzten Speicher die Umwelt, um eine Entscheidung zu treffen (vgl. Rouse 2018). Als Beispiel fungiert der Chatbot. Die beiden nächsten Theorien sind weiter fortgeschritten und sollen in der Zukunft entwickelt werden. Stufe 3 ist die Theorie des Geistes. Dieser Geist soll genauso intelligent sein wie ein Mensch. Es sollen menschliche Emotionen und Gedanken wahrgenommen und verstanden werden und das Verhalten soll reaktiv angepasst werden. Wie bereits erwähnt ist es schwierig Intelligenz zu definieren. Deshalb ist es eine Herausforderung für Forscher, zu replizieren, was im menschlichen Gehirn vor sich geht. Die letzte Stufe ist die Selbsterkenntnis. In dieser Phase soll die KI noch intelligenter als ein Mensch sein. Hier kann das System Vorstellungen über sich selbst bilden und ableiten, was andere fühlen. „Diese KI wird von ,Ich denke‘ zu ,Ich weiß, dass ich denke‘ wechseln“ (vgl. Diwo 2019).

Die Kenntnis der zentralen Begriffe der KI ist bedeutsam, da sie ein späteres Nachvollzie­hen ermöglicht, ob und warum die in der Forschungsfrage zu dieser Arbeit gestellte Kre­ditmaschine funktionieren kann. Der erste Begriff ist Maschinelles Lernen (ML) und ein Teilgebiet der KI, bei dem erhebliche Datenmengen (,Big Data‘) im Hinblick auf Regelmäßigkeiten, Muster und Wiederholungen analysiert werden. Bei ML sind Algorithmen in der Lage, aus Big Data die Muster zu lernen und eigenständig die Lösung eines bestimmten Problems zu finden, ohne dass jeder Einzelfall zuvor explizit programmiert wurde. Die Systeme sind daher fähig, aus Erfahrungen Wissen zu generieren, ohne explizit programmiert worden zu sein. Dazu wird der vorhandene Datensatz eigenständig extrahiert und zusammengerfasst, um dadurch Vorhersagen zu treffen (vgl. Retresco 2019a). Es besteht ein höheres Risiko der Ungenauigkeit, da der Mensch die Eigenschaften definiert. Die höhere Genauigkeit schafft Deep Learning (DL). Der Unterschied von ML zu DL ist, dass beim ML der Mensch die korrekten Antworten vorgibt (z. B. da ist ein Mensch oder ein Auto). Das System kategorisiert anschließend an­hand der Informationen (vereinfacht z. B. ,Kopf mit Körper‘ oder ,Karosserie mit vier Rä­dern‘). Beim DL fällt die Vorgabe der Lösung weg, stattdessen wird die Zuordnung automa­tisiert. Die Maschine erkennt vollkommen eigenständig, ob es ein Mensch oder ein Auto ist. Die Grundlage für diesen Prozess sind sogenannte künstliche neuronale Netze (NN), wel­che vom menschlichen Gehirn und den biologischen Prozessen der Informationsverarbei­tung inspiriert sind (vgl. Jaedtke/Nord 2018). DL-Maschinen wählen die wahrscheinlichste Möglichkeit aus und das System trainiert sich mit der Technik der NN selbst (vgl. Retresco 2019a). Die Entscheidungen des DL werden eigenständig analysiert und je nach Erfolg wird die kommende Entscheidung besser getroffen (vgl. Kaya 2019, S. 2). NN enthalten mehrere Schichten (bis zu 150) der DL-Struktur, die übereinandergeschichtet werden. Durch diese Schichten werden eigenständig komplexere Muster abgeleitet und in Anlehnung an das menschliche Ner­vensystem sind sie in der Lage, die Informationen zu gewichten. Am Beispiel eines menschlichen Gesichts kann die erste Schicht die Helligkeitswerte der einzel­nen Pixel analysieren. Die zweite Schicht würde verti­kale und horizontale Linien und die dritte Schichte Form und Muster erkennen. Das System würde erken­nen, dass das Gesicht zwei Augen hat und die Nase in der Mitte ist (vgl. Retresco 2019b). Da stets weitere Strukturen hinzukommen, kann nicht mehr nachvoll­zogen werden, was und wie das System lernt. Es hat somit einen Black-Box-Charakter. Derzeit wird versucht, die Schichten zu entschlüsseln.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4 zeigt die Zusammenfassung der Fachbegriffe und ihre Wirkungen (vgl. Abb. 4).

Ohne des elementarsten Bausteins, der Big Data, kann keine Anwendung lernen. Je mehr Daten vorhanden sind, umso besser können entsprechende Algorithmen diese analysieren. Folglich können Unternehmen, die eine große Anzahl an Daten besitzen und diese mit Hilfe entsprechender Algorithmen in geeigneter Weise analysieren, Wettbewerbsvorteile erzielen. Ein weiterer bedeutsamer Begriff ist Natural Language Processing (vgl Abb. 5). Damit sind die maschinelle Analyse sowie das maschinelle Verständnis und Erzeugen natürlicher Sprache gemeint. Es war und ist schwierig für einen Computer, Fragmente der Sprache zu verstehen, da diese sich als Kommunikationsmedium von intelligenten Wesen entwickelt hat (vgl. Nilsson 1982, S. 2). Beispiele für NLP sind die Spam-Erkennung in E-Mails, Textübersetzungen, Stimmungsanalysen und Spracherkennung (vgl. Rouse 2018). Chatbots sind in der Lage, auf Basis der NLP zu kommunizieren. Es gibt zwei unterschiedliche Arten der NLP. All das was Menschen schriftlich oder verbal ausdrücken, kann übersetzt werden (Natural Language Understanding). Bei NLG-Prozessen (Natural Language Generation) entsteht natürli­cher Text durch Daten. Ein Beispiel ist der Fuß­ballbericht oder der Wetterbericht (vgl. Retresco 2019a).

1.1.2. Was bereits erzielt wurde

Bereits 1637 hatte René Descartes die Vision, dass Maschinen eines Tages selbstständig denken und Entscheidungen treffen können (vgl. Die Bundesregierung 2020). Bis zum nächsten Meilenstein dauerte es bis zum Jahre 1950, als der Turing-Test erfunden wurde. Bei diesem tauscht sich eine Versuchsperson mit zwei unsichtbaren Gesprächspartnern (einer Maschine und einem Menschen) aus und der Tester muss entscheiden, welcher da­von die Maschine ist. Bis heute wurde der Test nicht bestanden. Vor ca. 60 Jahren, im Jahr 1956, fand die erste KI-Konferenz am Dartmouth College statt (Fromm 2017). „Artificial In­telligence is the science of making machines do things that would require intelligence if done by men“ lautet ein Statement von dem bei dieser Veranstaltung anwesenden Marvin Minsk, der als Mitbegründer der KI gilt (vgl. Gründerszene.de 2020) und visualisieren soll, dass die Visionen der Wissenschaft für intelligente Maschinen bereits länger existiert. 1960 wurden die ersten Roboterarme bei General Motors eingesetzt (vgl. Kern/Neumayer 2020) und 1966 wurde der erste Chatbot entwickelt. 1997 schlug der bereits erwähnte von IBM entwickelte Schachcomputer ,Deep Blue’ den Schachweltmeister Garri Kasparow. 2011 wurde der Sprachassistent Siri entwickelt (vgl. Die Bundesregierung 2020). Aktuell wird die KI stetig weiterentwickelt. Ein bedeutsamer Vorteil von KI ist, dass sie zukünftige Prognosen verbilligt (da sie Datenmengen besser auswerten kann als der Mensch), in die Zukunft blickt und sich nicht nur auf die reine Datenverarbeitung konzentriert. Künstliche Intelligenz ist in allen Branchen präsent, beispielsweise in der Medizin, wenn Röntgenbilder mit Hilfe von KI ausgewertet werden oder für chirurgische Eingriffe keine menschliche Hand mehr benötigt wird (vgl. Future Markets Magazine 2017). Es gibt mittlerweile Inkasso-Apps, die Ratenzah­lungen auf Basis von KI entwickeln (Drost 2019), Zerstäuber-Drohnen, die eigenständig und ununterbrochen fliegen und als künstliche Bestäuber fungieren (vgl. Future Markets Magazine 2018a) oder Smartwatches, die ihre Träger auf Basis von NN besser kennenler­nen (vgl. Future Markets Magazine 2018c). Auch der Sportbereich wird verändert, indem beim American Football Spielzüge mit Hilfe von KI vorhergesagt werden (vgl. SAS 2019) und in der Raumfahrt war es der Rover der Weltraummission Mars Science Laboratory mit der Bezeichnung Curiority, der 2012 für Aufsehen sorgte und auf dem Mars Gesteinanaly­sierte (vgl. Kern/Neumayer 2020). Die Pflege könnte durch Pflegeroboter ebenso revoluti­oniert werden (vgl. Waschinski 2020). In der Versicherungsbranche werden Schadensre­gulierungen unter Verwendung von KI bearbeitet und bei Amazon, wird eine starke KI-Stra- tegie mit Alexa und im Personalbereich verfolgt. Speziell bei den Banken wird KI in nahezu allen Themenfeldern mit Vorsicht eingesetzt. In Russland will der staatliche Telekomkon- zern Rostelecom Bankautomaten mit Gesichtserkennung einführen, wodurch die Eingabe der Geheimzahl entfallen würde (vgl. Ballin 2019). Der CEO des Unternehmens Wirecard Markus Braun hat auf dem Banken-Gipfel 2019 gesagt, dass mit Hilfe von Algorithmen die Ausfallwahrscheinlichkeit von Zahlungen um 50 % gesenkt werden kann und Kredite durch Algorithmen bis zu 80 % günstiger angeboten werden können. Wie dies geschehen soll, hat er nicht erläutert (vgl. Handelsblatt 2019). Im Bankenbereich scheinen kunden- und prozessorientierte Lösungen im Vordergrund zu stehen, wie eine Echtheitsprüfung von Kre­ditkartenumsätzen mittels KI. Robo-Advisors werden auf den Markt gebracht und im Back­office wird getestet, ob Betrugsversuche im Online Banking in Echtzeit erkannt und verhin­dert werden können. Die Identität der Kunden wird mit KI-Algorithmen überprüft. Kunden­unterlagen werden gescannt und mit Informationen aus dem Internet verglichen. Falls dies erfolgreich ist, können Dokumente in Echtzeit geprüft und Betrugsversuche eingedämmt werden (vgl. Kaya 2019, S.6). Die vorstehende Auflistung zeigt ein paar Beispiele, um den Forschungsstand zu verdeutlichen.

Ein bedeutsames Forschungsgebiet, dass alle Branchen mit Kundenkommunikation tan­giert, ist der Chatbot. Dieser kann für einfache Kundenfragen bis hin zu komplexeren Fra­gen verwendet werden und ist mittels KI lernfähig. Einfache Chatbots werden heutzutage bereits eingesetzt, beispielsweise bei der Deutschen Bahn für Stornierungs- und Umbu­chungsmöglichkeiten aufgrund der Corona-Pandemie (Deutsche Bahn AG, o.V. 2020). Um zu verstehen, wie Chatbots funktionieren, müssen deren Anfänge im Jahr 1966 betrachtet werden. 1966 wurden gegenüber dem Chatbot Aussagen getätigt und der Chatbot hat jedes Mal eine Gegenfrage gestellt, um allmählich mehr zu erfahren (vgl. Lotze 2016, S. 32). Die heutigen Systeme sind durch die Verwendung von KI weitaus diffiziler und können nicht nur Texte und Sprache verarbeiten, sondern selbst sprechen und mehr als eine Gegenfrage stellen. Dabei werden die gestellten Fragen und Aussagen zerlegt und nach vorgegebenen Regeln analysiert. Dafür kommen Erkennungsmuster und Algorithmen zum Einsatz. Wurde die Frage extrahiert, beginnt die Recherche. Dies ist eine Kombination aus der eigenen Wissensdatenbasis des Chatbots und z. B. dem Internet (vgl. Luber 2018). Bei Immobilien­finanzierungsfragen könnte die Wissensdatenbasis aus den Kreditgrundsätze bestehen. Im ersten Schritt werden alle unkomplizierten Fragen beantwortet. Da das System eigenstän­dig lernt, kann es im Laufe der Zeit mehr Fragen beantworten und weitere Fragen und Wünsche der Kunden übernehmen. Erste Chatbots sind bereits im Einsatz bzw. werden getestet und die Technik ist bereits so ausgefeilt, dass der Unterschied zu einem Ser­vicemitarbeiter schwer festzustellen ist. Chatbots können sowohl zur textbasierten als auch zur Telefon-Unterstützung eingesetzt werden (z.B. Google Duplex oder Xiaoice). Ein wei­terer relevanter Forschungsstand bezieht sich auf den Amazon-Algorithmus ,wird oft zu­sammen gekauft mit‘. Diese Technik kann in Banken reproduziert werden, denn die ent- sprechenden Daten sollten, bei Unternehmen die lange am Markt sind, vorliegen. Die Da­tenauswertung für die Kunden kann auf Basis von Alter, beruflicher Qualifikation, Familien­stand usw. anonym erfolgen und es können so Lösungskonzepte vorgeschlagen und an­dere Produkte angeboten werden. So kann das Cross-Selling-Geschäft der Banken inten­siviert werden. Dieser Empfehlungsalgorithmus kann gepaart mit Chatbots zu einem neuen Kundenerlebnis führen.

2.2. Immobilienfinanzierung

2.2.1. Der allgemein grundrechtlich abgesicherte Kredit

Vereinfacht gesagt ist eine Immobilienfinanzierung eine Form der Finanzierung, mit der Häuser oder Wohnungen gekauft sowie gebaut werden (vgl. BaFin, o .V., 2020a), die all­gemein grundpfandrechtlich abgesichert sind (vgl. Diederichs 2006, S. 111). Für Privatkun­den ist das Eigenheim meist die bedeutsamste finanzielle Entscheidung im Leben. Eine weitere Variante ist die Finanzierung als Kapitalanlage. Die beiden Arten unterscheiden sich in der Art der Nutzung. Während Eigenheime selbst bewohnt werden, steht beim Ka­pitalanleger die Rendite im Vordergrund oder er möchte sein Einkommen aktuell und im Alter aufbessern (vgl. Allebrand et al. 2017, S. 1). Die klassischen Merkmale eines Immo­bilienkredits für Privatkunden sind der Nettodarlehensbetrag, Soll- und Effektivzinsen, die Zinsbindungsdauer, Sondertilgungsvarianten, die monatliche Annuität, de persönliche und dingliche Haftung, Bereitstellungszinsen und die insgesamte Laufzeit. Weitere generelle Merkmale sind Grundschulden, ein Markt- und Beleihungswert, der zu einem Beleihungs­auslauf (Darlehenssumme x 100/Marktwert) führt, und der Eigenkapitaleinsatz. Dies sind einige Kernmerkmale, um ein grobes Verständnis für eine Baufinanzierung zu vermitteln. In dieser Arbeit wird sich meist auf den Standardfall beschränkt, womit z. B. die Bestands­finanzierung, die Baufinanzierung (BDO Deutsche Warentreuhand AG 2005, S. 342) oder die Kapitalbeschaffung gemeint ist. Folglich werden Varianten wie Finanzierungen in Kom­bination mit KfW, Riester, Kommunal- und Arbeitgeberdarlehen, Zwischenfinanzierungen, Forward-Darlehen, Bausparmodelle etc. nicht behandelt (HypoVereinsbank, o. V., 2020). Für Banken ist die private Immobilienfinanzierung mit einem geringen Risiko verbunden, da sie meist vollständig über Grundschulden besichert wird. Ferner hat sie aufgrund der lang­jährigen Erträge und der Kundenbindung einen hohen Stellenwert. Auf dem Markt, auf dem bereits ein hoher Wettbewerb herrscht, haben zuletzt Vermittler Marktanteile gewonnen und so den Druck auf die Margenkalkulation von Banken verschärft. Es ist entscheidend, welche Wettbewerbsstrategie (vgl. Porter 1985, S. 35ff.) eine Bank wählt. Dies kann eine Preisstra­tegie sein, die z. B. eine ING DiBa gewählt hat oder eine Differenzierungsstrategie, wie z.B. bei der HypoVereinsbank die schnelle und qualitativ hochwertig Kreditentscheidungen tref­fen will und aus diese Weise am Markt auftreten will. Ebenso kann eine Nischenstrategie verfolgt werden, bei der Finanzierungen begleitet werden, die aufwendig sind und die Aus­arbeitung eines individuellen Finanzierungsplans erfordern.

In Großbanken besteht die Möglichkeit, die o.g. Wettbewerbsstrategien zu kombinieren, beispielsweise eine Preis- und eine Nischenstrategie. Die Preise bei den Standardfällen werden gesenkt und bei Nischenfinanzierungen werden die Konditionen erhöht, da die Mit­arbeiter geringere Stückzahlen aufgrund der Komplexität produzieren können.

Bei der Preisstrategie steht bei den europäischen Immobilieninvestoren die Optimierung von Standardprozessen und Schnittstellen im Vordergrund (Sahm, 2019).

2.2.2. Standard-Beratungsprozess zur Immobilienfinanzierung am Bei­spiel der HypoVereinsbank

Nachstehend wird der aktuelle typische Standardkunden- und Bankprozess am Beispiel der HypoVereinsbank für Privatkunden beschrieben. Die Informationen beruhen auf dem Wis­sensstand des Autors und unveröffentlichten Dokumenten der HypoVereinsbank. Bei dem beschriebenen Prozess möchte sich ein Kunde über eine Immobilienfinanzierung beraten lassen. Er entscheidet, ob er über den Filialkanal, über die Homepage oder über einen Vermittler an die Bank herantritt. Die Immobilienspezialisten der Bank führen als Experten die Gespräche mit dem Kunden. Im ersten Schritt werden die Standardfragen zur Bonität und zum Objekt gestellt, wie z. B. „Wie viel verdienen Sie“, „was wollen Sie kaufen“ oder „wie viel Eigenkapital haben Sie“. Diese Ergebnisse werden in der Selbstauskunft festge­halten. Dadurch wird ein Überblick geschaffen, damit alle Informationen zu den Einnahmen und Ausgaben, den Vermögensverhältnissen und die Objektdaten vorhanden sind. Der Kunde muss alle Daten anhand von geeigneten Dokumenten plausibilisieren. Das reicht von Gehaltsabrechnungen über den Arbeitsvertrag bis hin zum Kaufvertrag oder Grund­buchauszug. Es gibt derzeit keine Möglichkeit, dass der Kunde Dokumente in einen Kun­den- oder Bankprozess selbst hochlädt, sondern er stellt sie in Papierform oder elektronisch zur Verfügung. Die Aufgabe des Spezialisten ist die Begleitung des Prozesses und die Er­klärung und Beratung im Hinblick auf die Realisierbarkeit des konkreten Falls. Sofern die Anfrage konkret ist (d. h. bereits ein Objekt gefunden wurde), ist der nächste Schritt die Finanzierungsgestaltung und Konditionsfindung. Der Interessent wird nach seinen Wün­schen und Zielen in Bezug auf die Finanzierung gefragt, wie z. B. der Zinsbindung, der monatlichen Rate und, ob eine optionale Sondertilgungsmöglichkeit bestehen soll. Die Ex­pertise des Finanzierungsspezialisten ist an dieser Stelle am stärksten gefragt, da er auf Basis seiner Erfahrungswerte dem Kunden eine Einschätzung für die geeignetste Lösung in der Einzelfallkonstellation gibt. Dieser Lösungsentwurf wird mit Konditionen ergänzt. Dies geschieht mittlerweile halbautomatisch. Das System wird mit den besprochenen und vor­handenen (s. o.) Daten befüllt und ermittelt daraufhin die Kondition. Entscheidend ist die korrekte Eingabe der Daten, da andernfalls die Konditionen falsch berechnet werden. Mit der Expertise des Spezialisten wird das optimale Angebot berechnet. Ist dieses gefunden, wird es unterschrieben und der Finanzierungsspezialist entwirft die Kreditentscheidung. So­bald die Kundendaten aktualisiert wurden, wird der finale Marktwert des Finanzierungsob­jektes ermittelt. Die benötigten Unterlagen werden ausgewertet und die Daten in ein System eingegeben. Das Ergebnis ist der Markt- und Beleihungswert. Die Menge der bei diesem Prozess eingegebenen Daten wurde bereits stark reduziert, sodass bei einer Eigentums­wohnung (ETW) lediglich die Adresse, die Art der Nutzung, die Wohnfläche, das Baujahr, der Objektzustand, die Ausstattung, die Bauweise, die Garagen, der Kaufpreis und das Kaufpreisdatum eingegeben werden. Im System sind zahlreiche ,harte‘ Faktoren wie die Daten zur Mikro- oder Makrolage oder die durchschnittlichen Kaufpreise bereits vorhanden. An dieser Stelle findet somit bereits ein halbautomatischer Prozess statt. Als Nächstes wird der Finanzierungsplan mit dem Kaufpreis, den Nebenkosten und dem Eigenmitteleinsatz gestaltet. Daraus ergibt sich der Finanzierungsbetrag. Der bedeutsamste Schritt ist die Bo­nitätsanalyse. Hierbei modelliert der Finanzierungsspezialist auf Basis der Selbstauskunft (s. o.) die Bonität, die in den Kreditgrundsätzen und der Credit Policy der HypoVereinsbank festgelegt ist. Die Grundsätze umfassen z. B. in welcher Region und mit welchen Markt- und Beleihungswerten finanziert werden darf. Die Diskrepanzen in der Selbstauskunft bei der Kunden- und Banksicht werden umgestaltet, da die Bank aufgrund der Risikogrund­sätze konservativer als der Kunde kalkuliert. Die Bonitätsanalyse erstreckt sich von einer Nachhaltigkeitsbetrachtung (z. B. Schwangerschaft, Umzug geplant, Renteneintritt) über eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung bis hin zu einer Vermögens- und Verbindlichkei­tenaufstellung. Die zukünftig zu zahlende Annuität wird bereits kalkuliert und somit handelt es sich um eine Zukunftsbewertung. Nach Abschluss der Bonitätsanalyse, wird die Boni­tätsklasse (BKL) ermittelt. Unter 500.000 € Finanzierungssumme ermittelt der Spezialist die BKL selbst, über 500.000 € kontrolliert eine separate Kreditabteilung die Bonität und ermit­telt die BKL. Die ermittelten BKL basieren auf Scoring-Modellen, die in Kapitel 2.4.1. the­matisiert werden. Im weiteren Verlauf werden die Grundschulden im System eingegeben. Das System prüft nun, ob es einen Graufall (z. B. weil der Kunde eine neue Stelle angetre­ten hat und sich noch in der Probezeit befindet) gibt. Dies ist eine technische Hilfe für den Spezialisten, der etwas übersehen haben könnte. Sofern jedoch ein Standardfall vorliegt wird die Kreditentscheidung getroffen. Der Spezialist schreibt eine Stellungnahme bzw. ein Votum, warum er den Fall begleiten möchte. Der Prozess bei einem Finanzierungsvolumen über 1 Million € ist differenzierter und wird nicht weiter beschrieben, da dies kein Standard­prozess ist. Der Fall kann mittels einer ,2-Augen‘ Entscheidung (kein Graufall, unter 500.000 € Finanzierungssumme und definierte Beleihungsgrenzen) eigenständig geneh­migt werden. Sofern die o. g. Parameter nicht vorliegen, handelt es sich um eine ,4-Augen‘- Entscheidung. Über 500.000 € ist es mindestens eine ,4-Augen‘-Entscheidung, da die Kre­ditabteilung die Bonität geprüft hat (s. o.) und wenn zusätzlich ein Graufall vorliegt, ist es eine ,6-Augen‘-Entscheidung. Jeder Graufall wird auf Basis des Einzelfalls von den Spezi­alisten und der Kreditabteilung in gegenseitiger Abstimmung entschieden. Folglich ist zu erkennen, dass der Mitarbeiter die Kreditentscheidungskompetenz hat und das System le­diglich die Kreditentscheidung unterstützt. Eine Maschine ohne KI würde den Fall ablehnen, da es kein Standardfall ist.

Ist die Entscheidung positiv, werden die Verträge migriert. Das System stellt die Verträge auf Basis der eingegebenen Daten für den Kunden und den Notar bereit. Einzelne individu­elle Felder können abgeändert werden (z. B. die Vermittlerdaten). Im Anschluss daran kann der Kunde den Unterschriftstermin persönlich oder im Fernabsatz wählen. Die Erläuterung der Verträge ist unabhängig davon und kann persönlich, telefonisch oder schriftlich erfol­gen. An dieser Stelle ist wieder die Expertise der Spezialisten gefragt. Zum einen sollen die Fragen kompetent beantwortet werden. Zum anderen soll der Kunde auf Risiken hingewie­sen werden, die in Zusammenhang mit der Finanzierung entstehen. Der Spezialist gibt zu­gleich Hinweise, wie sich der Kunde absichern kann, und verweist auf Kollegen, die dem Kunden in diesem Zusammenhang nähere Informationen geben können. Die Legitimation der Kunden kann ein Bankbetreuer oder ein Notar vornehmen. Weitere Möglichkeiten sind das Postident- oder das Videoident-Verfahren, doch es wird immer ein Mensch benötigt, der die Legitimation durchführt. Die Unterschrift der Verträge wird von den Mitarbeitern ge­prüft und anschließend wird das Darlehen refinanziert. Die Kreditakte (mit den Kunden- und Bankdokumenten) wird digital hochgeladen oder per Post an einen Scandienstleister ver­schickt. Die Dokumente vom Notar werden analog an die Bank geschickt und vom Scan­dienstleister digitalisiert.

Für die Auszahlung des Darlehens muss sich der Kunde an den Spezialisten wenden, der zusammen mit der Kreditabteilung die Auszahlung übernimmt.

2.3. Der autonome Prozess

In diesem Kapitel werden autonome Prozesse betrachtet. Heutzutage sind gute Arbeits­kräfte auf dem Arbeitsmarkt rar und erhalten daher zahlreiche Stellenangebote. Die Arbeits­welt hat sich gewandelt und Arbeitgeber müssen sich mehr denn je um gute Arbeitnehmer bemühen. Abhilfe sollen autonome Prozesse schaffen, die einfache Tätigkeiten überneh­men, damit die Mitarbeiter dort eingesetzt werden können, wo sie benötigt werden, und 18 produktiver sind (vgl. Schmitt 2019). Im Folgenden wird eine Definition dazu gegeben, wel­che Merkmale der autonome Prozess aufweist und wie der diesbezügliche allgemeine tech­nische Stand ist. Anschließend wird geprüft, ob es einen derartigen Prozess im Immobili­enfinanzierungsbereich gibt.

2.3.1. Bedeutung des autonomen Prozesses

Bei einer getrennten Betrachtung der beiden Begriffe Autonomie und Prozess zeigt sich, dass Autonomie einen Zustand von Selbstständigkeit, Entscheidungsfreiheit oder Selbst­bestimmung bezeichnet (vgl. Stangl 2020), während ein Prozess ein sich über eine gewisse Zeit erstreckender Vorgang ist, bei dem etwas entsteht bzw. sich herausbildet (vgl. Duden 2020). Der Ausdruck autonomer Prozess kann folglich als ,ein sich über eine gewisse Zeit erstreckender Vorgang, der selbstständig funktioniert und entscheidet‘ definiert werden.

Es gibt verschiedene Entwicklungsphasen von autonomen Prozessen (vgl. Abb. 6). Die erste Stufe bilden die ferngesteuerten Systeme, die in der zweiten Stufe zu einem System mit Assistenzfunktionen weiterentwickelt werden. Die nächsten beiden Schritte sind die teil­automatisierten und die teilautonomen Systeme. Am Ende steht ein vollständig autonomes System, das komplexe Situationen vorausschauend löst und vollständig vernetzt ist. Wenn ein Prozess für eine Immobilienfinanzierung modelliert wird, wird folglich nicht bei dem voll­autonomen Prozess angefangen, sondern Schritt für Schritt weiterentwickelt.

„Autonomous systems, which can reach a given goal on their own, can only become a rea­lity with the help of methods and tools of Artificial Intelligence“ (vgl. Wahlster 2020).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Entwicklungsstufen autonomer Systeme (vgl. Dumitrescu et al. 2018)

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Ende der Leseprobe aus 80 Seiten

Details

Titel
Künstliche Intelligenz im Bankbereich. Realisierbarkeit einer autonomen Kreditmaschine
Hochschule
Frankfurt School of Finance & Management
Note
1,8
Autor
Jahr
2020
Seiten
80
Katalognummer
V941223
ISBN (eBook)
9783346307750
ISBN (Buch)
9783346365293
Sprache
Deutsch
Schlagworte
künstliche, intelligenz, bankbereich, realisierbarkeit, kreditmaschine, Immobilienfinanzierung, Autonomie, autonomer Prozess, KI, Privatkunden, autonom, Prozess, BaFin, Scoring Modelle, Kreditentscheidung, autonome Kreditentscheidung, Experteninterview, Inhaltsanalyse nach Mayring, Stand der Technik, Immobilienbereich, Was ist künstliche Intelligenz?, Kreditprozess
Arbeit zitieren
Manuel Ring (Autor:in), 2020, Künstliche Intelligenz im Bankbereich. Realisierbarkeit einer autonomen Kreditmaschine, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/941223

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