Bauen für einen neuen Menschen - oder die Gestaltung für einen neuen Menschen. Zur Utopie der Avantgarde.


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

27 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhalt

1. Ein paar einführende Worte

2. Darstellung und Interpretation des Textes von Georg Simmel „ Die Großstädte und das Geistesleben.“

3. Darstellung und Interpretation des Textes von Siegfried Giedion „Befreites Wohnen – Der Mensch“ 1929

4. Vergleich beider Texte

5. Einige abschließende Worte

6. Anlage Bilder

7. Literaturhinweise

1. Ein paar einführende Worte

In der folgenden Arbeit möchte ich die Menschenbilder zweier Autoren Anfang letzten Jahrhunderts an Hand von zwei Texten untersuchen. Die Sichtweisen von Georg Simmel und Siegfried Giedion sollen Aufschluss über die Gestaltung des Lebens geben. Unter anderem soll der Argumentationsaufbau der Schriften untersucht werden.

Wie stellt sich das Leben äußerlich und innerlich dar? Wie ist dieser Mensch? Was beeinflusst ihn? Wo liegen Probleme und wie können sie gelöst werden? Diese und ähnliche Fragen sollen in der Arbeit durch Interpretation und den Vergleich der Texte beantwortet werden.

Da Giedions Text nicht vollständig außerhalb seines Kontextes verständlich ist, werden in einer Anlage Bilder aus „Befreites Wohnen“ weiteren Aufschluss geben.

2. Darstellung und Interpretation des Textes von Georg Simmel „ Die Großstädte und das Geistesleben.“ 1903

Der Aufsatz des Philosophen, der im folgenden behandelt wird, ist in seiner Essay Sammlung „Brücke und Tür“ erschienen.

Georg Simmel beschäftigt sich in seiner Schrift mit der Frage nach der Innerlichkeit (nach der Seele) der Großstädte. D.h. er versucht das Wesen der Großstadt zu definieren und deren Wirkungsweise bzw. Wirkung auf den Menschen zu beschreiben.

„Die tiefsten Probleme des modernen Lebens quellen aus dem Anspruch des Individuums, die Selbständigkeit und Eigenart seines Daseins gegen die Übermächte der Gesellschaft, des geschichtlichen Ererbten, der äußerlichen Kultur und Technik des Lebens zu bewahren [...]“[1] Auf diesen grundlegenden Satz baut sich der gesamte Essay Simmels auf. Was diese Aussage bedeutet und ob das Problem gelöst werden kann, wird im Verlauf seiner Schrift geklärt und bewiesen.

Erst einmal stellt er die Großstadt der Kleinstadt gegenüber und grenzt sie von einander ab.

Anfangs spricht er von der ´psychologischen Grundlage´, auf welcher der Typus des Großstadtmenschen steht. Diese Grundlage ist die „[...] Steigerung des Nervenlebens, die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel äußerer und innerer Eindrücke hervorgeht.“[2]

Er behauptet, dass der Mensch ein Unterschiedswesen sei, d.h. sein Bewusstsein wird durch den ´Unterschied des augenblicklichen Eindrucks gegen den vorhergehenden angeregt´. Gleichmäßige, gewohnte Eindrücke oder Abläufe beanspruchen nicht soviel Bewusstsein, wie die rasche Zusammendrängung wechselnder und sich unerwartet aufdrängender Bilder. Die Großstadt schafft diese Bedingungen und stiftet einen tiefen Gegensatz zur Kleinstadt und zum Landleben, welches einen langsameren, gewohnteren und gleichmäßiger fließenden Rhythmus besitzt.

Von dieser Feststellung ausgehend ordnet er ihnen Intellekt und Gemüt zu. Das kleinstädtische Leben sei vielmehr auf das Gemüt und gefühlsmäßige Beziehungen ausgelegt. Das Gemüt wurzele in unbewussteren Schichten der Seele und bevorzuge deshalb die Ruhe und das auf Gewohnheiten basierende Kleinstadt- oder Landleben.

Der Großstadt ordnet er den Intellekt zu. Dieser sei seiner Meinung nach in den bewussteren, durchsichtigeren Schichten der Seele zu finden und somit anpassungsfähiger an das vielseitige Großstadtleben.

Georg Simmel sieht in dem Intellekt und in der Benutzung des Verstandes ein ´Schutzorgan gegen die Entwurzelung´ durch die Großstadt. Der Großstädter reagiert nicht mit dem Gemüt, sondern mit dem Verstand. Die Stadt greift in das private Leben ein und die „Verstandesmäßigkeit [wird somit] als ein Präservativ des subjektiven Lebens gegen die Vergewaltigung der Großstadt erkannt.“[3]

Weiter zieht Simmel eine Parallele vom Verstand zur Geldwirtschaft, beide sind vorzugsweise in der Großstadt zu finden und ihnen ist die reine Sachlichkeit in der Behandlung von Menschen und Dingen gemeinsam. Beide legen keinen Wert auf das Individuelle. Das Geldprinzip basiert auf dem Tauschwert einer Sache. Qualität und Eigenart werden auf die Frage nach dem „Wieviel“ nivelliert. Wie viel etwas wert ist und nicht, wie etwas ist, ist somit grundlegend.

Simmel schreibt ferner, dass die Geldwirtschaft in der Großstadt eine enorme Wichtigkeit erlangt hat, da hier für einen Markt, für den unbekannten Abnehmer, produziert wird. Durch die Anonymität bekommen die Interessen von Produzent und von Käufer eine unbarmherzige Sachlichkeit; ihr verstandesmäßig rechnender wirtschaftlicher Egoismus hat keine Ablenkung durch persönliche Beziehungen zu fürchten. „Der moderne Geist ist mehr und mehr ein rechnender geworden. [...]

Durch das rechnerische Wesen des Geldes ist in das Leben eine Präzision, eine Sicherheit in der Bestimmung von Gleichheiten und Ungleichheiten, eine Unzweideutigkeit in Verabredungen und Ausmachungen gekommen, wie sie äußerlich durch die allgemeine Verbreitung der Taschenuhr bewirkt wird. “[4]

Simmel sieht die Großstadt als einen vielgliedrigen Organismus, der ohne die genaueste Pünktlichkeit zu einem unentwirrbaren Chaos zusammenbrechen würde. Die Technik der Großstadt verlangt, dass alle Tätigkeiten und Wechselbeziehungen in ein festes Zeitschema eingeordnet werden.

Pünktlichkeit, Exaktheit und Berechenbarkeit des Großstadtlebens, sind durch den Intellekt und die Geldwirtschaft hervorgerufen worden und bedingen einander. Es sind die Bedingungen der Großstadt, die sowohl Ursache wie Wirkung sind, da sie sich nicht nur auf das objektive bzw. öffentliche Leben auswirken, sondern auch auf das höchst subjektive, persönliche Leben.

Simmel spricht von der Blasiertheit, einer seelischen Erscheinung die der Großstadt vorbehalten sei. Er definiert sie, als eine Art Stumpfsinn und ein Nicht-Reagieren können auf Grund der hohen Reizüberflutung.

In der Großstadt gipfelt die Zusammendrängung von Menschen und Dingen, die den einzelnen Menschen zu einer höchsten Nervenleistung reizt. Es kommt zu der beschriebenen Anpassungserscheinung der Blasiertheit. Die Folge ist, dass die Nerven ihre letzte Möglichkeit darin sehen, dass sie sich mit den Inhalten und der Form des Großstadtlebens abfinden und eine Reaktion auf eben dieses verweigern.

Das Individuum kann die objektive Welt soweit entwerten, dass es am Ende die eigene Persönlichkeit in ein Gefühl ähnlicher Entwertung mit herabzieht.

Als Grund für die Blasiertheit nennt Simmel zum einen die Reizüberflutung und zum anderen die Wirkung des Geldes. Er spricht auch von der ´Seelenstimmung der völlig durchdrungenen Geldwirtschaft´. Er sieht in dem Geld den ´fürchterlichsten Nivellierer´, der den Kern der Dinge, ihre Eigenarten, ihren spezifischen Wert und ihre Unvergleichbarkeit aushöhlt. Das Geld bringt alles auf einen Nenner und taucht alle Dinge in eine ´graue Tönung´.

Simmel sieht aber nicht nur Blasiertheit oder Abstumpfung in der Großstadt um sich greifen. Der Selbsterhaltungstrieb der Bewohner gegenüber der Stadt verlangt von ihnen ein negatives soziales Verhalten. Auf Grund der sie umgebenen Menschenmassen, können die Städter gar nicht auf jeden ihnen begegnenden Menschen positiv reagieren. Es würde ihre Kräfte übersteigen. Dieser psychologische Umstand nötigt sie zu einer Reserviertheit. Infolge dessen geschieht es, dass die Stadtbewohner jahrelange Hausnachbarn manchmal gar nicht kennen und sie dem Kleinstädter dadurch, als kalt und gemütlos erscheinen.

Anzumerken ist hier, dass Simmel in diesem und im folgenden Zusammenhang (Reserviertheit, Aggression) von einem objektiven „Sie“ in ein subjektives „Wir“ wechselt und sich somit in den Text involviert. Er verlässt seine Beobachterstellung und es scheint, als würde er von eigenen Erfahrungen sprechen.

So kann die äußere Reserviertheit innerlich auf einer Gleichgültigkeit und sogar einer Aversion dem Anderen gegenüber beruhen. Fremdheit und Abstoßung können in einem Augenblick der zufälligen, nahen Berührung in Hass und Kampf umschlagen.

Weiter behauptet Simmel, dass ohne die Abwendungen und Distanzierungen das Großstadtleben an sich nicht geführt werden könne. Die vermeintliche Entsozialisierung ist in Wirklichkeit eine ´elementare Sozialisierungsform´ .

Überspitzt ausgedrückt ist die Zersplitterung der Stadtbevölkerung zu Einzelgängern lebensnotwendig.

Die Bedingungen der Großstadt sind somit für die Blasiertheit, die Abstumpfung und die Reserviertheit dem Anderen gegenüber und deren Folgen verantwortlich.

Eine weitere Folge der Reserviertheit, neben der Gleichgültigkeit und der Aversion, ist die Schaffung der persönlichen Freiheit. Die Großstadt ermöglicht dem Individuum ein großes Maß an persönlicher Freiheit.

In der Kleinstadt hat das einzelne Mitglied nur einen geringen Spielraum für die individuelle Entfaltung. Es ist weitgehend abhängig von dem engen Zusammenschluss der Produktionsgemeinschaft, beziehungsweise der Kleinstadt.

In der großen Gruppe hat sich die Abhängigkeit zugunsten einer größeren Bewegungsfreiheit gelockert. Die Arbeitsteilung in der Großstadt gibt Gelegenheit und Nötigung zu der Entwicklung der Individualität.

Der Großstädter ist im Gegensatz zum Kleinstädter frei. Die ´geistigen Lebensbedingungen´ der Stadt werden nie stärker gefühlt, als in dem dichtesten Gewühl der Großstadt, weil die körperliche Nähe und Enge die geistige Distanz veranschaulichen. Man kann sich unter Umständen nirgends so einsam und verlassen fühlen, wie an einem solchen Ort.

Für Simmel ist das bedeutsamste

[...]


[1] G.Simmel: Brücke und Tür. Stuttgart: Koehler, 1903. Seite 227.

[2]. Siehe 1. Seite 228.

[3] Siehe 1.. Seite 229.

[4] Siehe 1.. Seite 230.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Bauen für einen neuen Menschen - oder die Gestaltung für einen neuen Menschen. Zur Utopie der Avantgarde.
Hochschule
Universität Bremen  (FB Kunstgeschichte)
Veranstaltung
SS 02
Note
1,5
Autor
Jahr
2002
Seiten
27
Katalognummer
V9426
ISBN (eBook)
9783638161350
Dateigröße
2186 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Simmel, Gidion
Arbeit zitieren
Bettina Winkler (Autor:in), 2002, Bauen für einen neuen Menschen - oder die Gestaltung für einen neuen Menschen. Zur Utopie der Avantgarde., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9426

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