Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. Wiedergabe der Textstelle Lk 12,22-32
2. Einleitende Überlegungen am Text
3. Kontextualisierung des Textes
3.1 Angaben zum Autor
3.2 Verfassungsort und -zeit
3.3 Adressaten
3.4 Gliederung, Aufbau und Inhalt
3.5 Quellen
3.6 Theologie des Lukasevangeliums
3.7 Verfassungszweck
4. Interpretation des Textes
4.1 Exegetische Betrachtung
4.2 Die Sorge
4.3 Didaktische Überlegungen
5. Resümee
6. Literaturverzeichnis
1. Textwiedergabe Lk. 12,22-32
Von der falschen und der rechten Sorge
22 Und er sagte zu seinen Jüngern: Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt.
23 Das Leben ist wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung.
24 Seht auf die Raben: Sie säen nicht und ernten nicht, sie haben keinen Speicher und keine Scheune; denn Gott ernährt sie. Wieviel mehr seid ihr wert als die Vögel!
25 Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?
26 Wenn ihr nicht einmal etwas so Geringes könnt, warum macht ihr euch dann Sorgen um all das übrige?
27 Seht euch die Lilien an: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen.
28 Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wieviel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen!
29 Darum fragt nicht, was ihr essen und was ihr trinken sollt, und ängstigt euch nicht!
30 Denn um all das geht es den Heiden in der Welt. Euer Vater weiß, dass ihr das braucht.
31 Euch jedoch muss es um sein Reich gehen; dann wird euch das andere dazugegeben.
32 Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben.
2. Einleitende Überlegungen am Text
Der Mensch wird als Wesen geboren, welches sich um sich selbst dreht und in ständiger Sorge lebt, dass ihm Unheil wiederfährt, beziehungsweise jede erfolgte Tat eine Konsequenz nach sich zieht. Diese irdischen und menschlichen Sorgen prägen unseren Alltag und ziehen sich wie ein roter Faden durch unsere gesamte Lebenslaufbahn. Sorgen, die uns täglich begegnen, uns zermürben aber im Gegenzug auch zu neuem Ehrgeiz führen. In der vorliegenden Textstelle wird dieses Themenspektrum behandelt und der Versuch gestartet, eine Antwort darauf zu finden, weshalb der Mensch sich von seinen Sorgen leiten und lenken lässt. Ein Blick auf die historischen und die gegenwärtigen Verhältnisse gibt uns Einblicke in das Handeln des Menschen und den Stellenwert den die Sorge im Leben eines Menschen einnimmt. Die Sorge um das Überleben, die schwierigen Lebensbedingungen und die großen existenziellen Lebensfragen beschäftigen die Menschheit seit Jahrhunderten. Im vorliegenden Text wird der Versuch gewagt, den Menschen Halt im Glauben zu bieten und wendet den Blick hin zu einem Leben mit Gott, der uns Kraft geben soll und sich um die Menschheit sorgt. Der Text nimmt eine klar strukturierte Haltung ein. Als Hauptakteur steht Jesus im Fokus des Geschehens, der durch seine Mahnungen und bildhafte Sprache ein Umdenken bei seinen Jüngern erreichen möchte. Er nutzt die Macht seiner Worte nicht, um seine Jünger zu belehren, sondern versucht durch Ratschläge eine Verbindung zu ihnen herzustellen und somit auf die Missstände in der Gemeinschaft hinzuweisen. Auf seine charismatische und vertrauensvolle Art beschreibt Jesus gekonnt, welche Absichten hinter den Handlungen Gottes stehen und versucht ihnen ihre Position bei Gott deutlich zu machen. Der Mensch als Stellvertreter und Sinnbild Gottes, der seinem Willen folgt und sein Wort hört. Die Art der Belehrung findet, typisch für Jesus, auf eine sehr metaphorische Weise statt. Jesus wird während seiner Rede nicht unterbrochen und der Leser kann erkennen, dass er eine wichtige Position bekleidet, die ihm Respekt und Ehrfurcht einbringt. Es scheint eine Gottesfürchtigkeit in der Luft zu hängen, die Spannung aufbaut und eine besondere Atmosphäre bewirkt. Jesus weckt ein Verständnis in uns und zeigt uns deutlich, dass unsere Lebensphilosophie darin bestehen sollte, zu wissen was wir in unserem endlichen Leben erreichen möchten und unseren Fokus auf die wichtigen Dinge im Leben zu lenken. Jesus beschreibt seine Mahnung schrittweise, indem er seine Jünger darauf hinweist, sich keine Sorgen um ihren Leib oder das Essen zu machen. Er benutzt die Vögel des Himmels als Beispiel dafür, dass Gott uns ernährt und für uns sorgt. Er verweist auf die Kostbarkeit des menschlichen Lebens und reagiert erbost über die Kleingläubigkeit der Menschen. Gott der Schöpfer hat für unsere Vorfahren gesorgt, er sorgt für uns und er wird sich um unsere Nachkommen sorgen. Besonders wichtig finde ich, dass sich die Botschaft Jesus wiederholt und er uns darauf verweist, dass wir uns nicht um unser Leben zu sorgen brauchen. Jesus als außenstehender Betrachter dieser besonderen Beziehung zwischen Gott und Mensch, hilft uns zu unserem Ursprung zurückzufinden. Er vergleicht uns mit anderen Geschöpfen und Lebewesen und hebt uns doch hervor, da wir etwas Besonderes sind. Besonders interessant ist es, dass darauf hingewiesen wird, dass Gott uns Menschen alle gleich ansieht und keinen bevorzugt. Weder König noch Kaiser, erhalten einen größeren Stellenwert oder eine größere Zuwendung Gottes. Es stellt sich wieder einmal die Frage, wer ist dieser Jesus, der sich mit voller Hingabe dem Wort Gottes gewidmet hat und letztendlich für uns Menschen und unsere Sünden gestorben ist. Wäre der Mensch in der Lage auch nur einen Bruchteil von dem zu verstehen, was uns Jesus im Namen Gottes mitteilen wollte und immer noch will, wäre die Welt heute eine andere. Die Menschheit zeigt mit ihrem Verhalten einen Hilferuf in Richtung Gottes. Unsere schnelllebige Welt ist geprägt von Macht, Gier und Konkurrenzkampf. Wenn wir uns die Worte Jesu nur ein wenig zu Herzen nehmen würden, in uns kehren und zu unserem Glauben zurückfinden würden, wäre der Menschheit geholfen. Ich finde den Text nach mehrmaligem Lesen weiterhin sehr faszinierend und die Botschaft die sich gekonnt hinter den Worten versteckt ist vermutlich erst nach mehrmaligem Lesen zu erkennen.1 2
Im Allgemeinen wirkt der Text schlüssig und das zentrale Thema des Textes kommt deutlich zum Ausdruck. Nicht die Sorge selbst, sondern der Glaube an das Reich Gottes und unsere intensive Suche danach beziehungsweise die Erkenntnis, als Wesen Gottes beschützt, behütet und begleitet zu werden, führen uns zu einem sorgloseren Leben. Die bedingungslose Liebe und Verbundenheit Gottes zum Menschen, als von ihm geschaffenes Wesen, wird in dieser Textstelle erneut in den Fokus gestellt. Interessant dabei sind die Fürsorge Gottes und das gott-menschliche Band, das aus der Sicht Jesu dargestellt wird. Hierbei stellt sich allerdings die Frage, woher nimmt Jesus dieses bedingungslose Vertrauen in Gott und wie können wir Menschen eine ebenso tiefe Verbindung erlangen? Reicht unser Glaube aus, um das nahende Reich Gottes zu spüren und zu erkennen?
3. Kontextualisierung des Textes
Im folgenden Kapitel soll die lukanische Textstelle anhand ihrer historischen, literarischen und theologischen Hintergründe in ihren Kontext eingebettet und näher erläutert werden. Diese Kontextualisierung dient als Hilfestellung für eine gelingende Interpretation und soll für ein besseres Verständnis beim Leser sorgen. Deshalb werden Angaben bezüglich des Autors, des Verfassungsortes und ihrer Zeit als auch der Gliederung eingeholt.3
3.1 Angaben zum Autor
Bereits zu Beginn des Neuen Testaments stellt sich jedem Leser die Frage, weshalb es vier Evangelisten gibt, die allesamt über das Leben und Wirken Jesu berichten und somit ein zentrales Thema behandeln. Die Antwort darauf lässt sich bei genauerer Betrachtung finden: Die ersten drei Evangelien weisen vielerlei Verknüpfungen auf und dienen weitgehend der zusammenhängenden Darstellung des Wirken Jesu. Sie unterscheiden sich aber dennoch durch den Schriftstil und die Erzählweise seiner Lebenssituation voneinander. Über Lukas, den Autor unserer Textstelle, ist generell wenig bekannt.
Er überlieferte als Einziger der vier Evangelisten die Gleichnisse des barmherzigen Samariters oder etwa des barmherzigen Vaters und beschreibt die Geschichte der Herbergssuche und der Geburt Jesu in einem Stall in Bethlehem, der von Stier und Esel bewacht wird. Diese Darstellung verleiht der Geburtsgeschichte Jesu eine magische und fast schon romantische Atmosphäre. Im Gegensatz dazu steht die matthäische Beschreibung, die ohne Zögern eine ungemein ehrliche und fast schon brutale Darstellung der damaligen Ereignisse aufzeigt. Lukas macht in seinen Schriften nur sehr wenige Angaben zu seiner Person und es fällt dem Leser schwer, nachvollziehen zu können aus welchen familiären Verhältnissen und Hintergründen er kommt. Es ist bekannt, dass Lukas unzertrennlich verbunden war mit Paulus und dessen Mitarbeitern, da er einige Schiffsreisen des Paulus, wie etwa die nach Philippi oder nach Troas, schriftlich festhielt. Außerdem wird er in Kol 4,14 als Arzt bezeichnet, weshalb einige Theologen davon ausgehen dass seine medizinischen Kenntnisse aus dem Gleichnis des barmherzigen Samariters aus dieser Ausbildung herrühren. Zudem erwähnt Paulus Lukas als seinen engen Mitarbeiter, der mit ihm predigte und reiste. Diese enge Beziehung wird unterstützt durch die 'Wir-Erzählungen' des Irenäus in der Apostelgeschichte. Im Kontrast zu dieser Darstellung steht der Vergleich der lukanischen und der paulinischen Theologie. Es fällt auf, dass Lukas zwar über die Missionsreisen des Paulus berichtet, allerdings zentrale Elemente des Paulus nicht wiedergibt. Auch hier spalten sich die Meinungen der Theologen. Es lässt sich jedoch festhalten, dass Lukas aufgrund seiner stilvollen Sprache zu den gebildeten Theologen und Historikern seiner Zeit 6 zählt. Seine Herkunft bleibt weiterhin umstritten, da seine hellenistische Bildung keine eindeutige Zuordnung zum Juden- oder Heidenchristentum zulässt. Lukas besitzt eine große Vertrautheit mit der Septuaginta und ein großes Interesse an Schrift, Gesetz und den Propheten. Dies sind Hinweise auf eine Zugehörigkeit zum Judenchristentum.
Auf der anderen Seite vermeidet Lukas die Verwendung von semitischen Begriffen, was wiederum für einen Heidenchristen sprechen würde. Sein geringes Interesse an der Auseinandersetzung mit den kultischen Fragen des Judenchristentums und seine Leserschaft, die weitgehend von heidenchristlicher Abstammung ist, lässt viele Theologen darauf schließen, dass in Lukas ein Heidenchrist gesehen werden muss, der bewusst judenchristliche Traditionen in seine Schriften integrierte und in Kontakt mit der Diasporasynagoge lebte.4
3.2 Verfassungsort und -zeit
Die Einordnung des Lukasevangeliums lässt sich vage in einen zeitlichen Rahmen um 90 n. Chr. datieren. Eine genaue Datierung der Abfassungszeit lässt sich, ähnlich wie auch bei den beiden anderen synoptischen Evangelien, nicht genau bestimmen. Einige Indizien für diese Datierung sind der Blick des Autors auf die Zerstörung Jerusalems um 70 n. Chr. und die Perspektive seiner Schriften. Diese Perspektive ist aus der Sicht der dritten urchristlichen Generation dargestellt, welche großes Interesse besaß, die Epoche des Heilsgeschehens darzulegen. Zudem ist Lukas bemüht das Christentum und seine noch enge Verbindung zum Judentum und seiner Tradition zu beschreiben. 34
Ebenso problematisch wie die genaue Datierung, ist die Bestimmung des Abfassungsortes. Es werden von Lukas weder in der Apostelgeschichte, noch im Lukasevangelium eindeutige Angaben gemacht. Deshalb werden eine Vielzahl an Orten wie etwa die Ägäis, Antiochia oder Ephesus als mögliche Abfassungsorte genannt. Am Wahrscheinlichsten erscheint Antiochia, die auch als Heimat und Basis des Paulus bekannt war. Da es einige Parallelen zwischen Lukas und Paulus aufzuweisen gibt, wie etwa im Bereich des Abendmahls, scheinen sich beide der gleichen Tradition und Ortskenntnisse zu bedienen. Ein weiteres Indiz spricht jedoch dafür, dass die Hauptstadt des römischen Reichs, Rom, als Abfassungsort notiert werden sollte, da die in der Apostelgeschichte geschilderte Perspektive von Jerusalem (vgl. Apg. 1,8 und Apg. 19,21) auf Rom hinweist. Rom erhält in den jeweiligen Stellen eine bedeutende Rolle, wie etwa in der Aussage des Paulus, der nach Jerusalem reisen will und anschließend nach Rom, da er diese Stadt sehen „muss“ (Apg. 19,21).5 Über die Ortsangabe in der vorliegenden Textstelle kann keine Aussage gemacht werden, da sie sich an jedem Ort, den Jesus mit seinen Jüngern bereist hat, abgespielt haben könnte.
3.3 Adressaten
Die lukanischen Schriften sind überwiegend für heidenchristliche Leser und Leserinnen bestimmt, was er durch die Voraussetzung der gesetzesfreien Heidenmission verdeutlicht. Zudem ist für ihn die heilsgeschichtliche Ablösung Israels eine bereits feststehende Tatsache. Außerdem ersetzt Lukas semitische Worte durch griechische Begriffe und ist über die Geographie Palästinas an manchen Stellen falsch informiert. Er lässt Stellen und Texte der Logienquelle oder des Stammbaumes aus, in denen jüdische Züge dominant auftreten, da diese Texte scheinbar für die lukanische Gemeinde nicht mehr aktuell oder von Relevanz waren. Der häufige Gebrauch der Septuaginta ist ein weiteres Indiz dafür, dass Lukas Schriften weitestgehend an eine heidenchristliche Gemeinde gerichtet waren.6
3.4 Gliederung, Aufbau und Inhalt
Da Lukas sehr auf eine genaue und vollständige Darstellung abzielte, wurde das Lukasevangelium sehr komplex verfasst. Dennoch lässt sich eine Gliederung des Evangeliums in drei grobe Abschnitte feststellen. Im vorangehenden Teil, der als Prolog die Stellen Lk 1,14 umfasst, stellt Lukas sich nicht als direkten Augenzeugen, sondern als Tradent dar und leitet somit in das Evangelium ein. Im Anschluss beginnt er mit der Erzählung der Ge- burts- und Kindheitsgeschichten. Dabei wird durch Johannes den Täufer eine Art Vorbereitung des Wirkens Jesu erzählt. Fortfolgend wird Jesu Wirken auf das Gebiet Galiläa ausgeweitet und anschließend sein Weg nach Jerusalem beschrieben. Die vorliegende Textstelle lässt sich in den zuletzt genannten Abschnitt einordnen, indem Lukas eine Gemeindebelehrung Jesu beschreibt, die speziell auf den Umgang mit dem Besitz eingeht. Im Anschluss an diesen Abschnitt verweist Lukas auf die Passion und Grabauffindung.7
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1 Vgl. Schnelle (1994), S. 280-284.
2 Vgl. Dorn (2016), S. 76-80.
3 Vgl. Schnelle (1994), S. 285.
4 Vgl. Dorn (2016), S. 82+83.
5 Vgl. Schnelle (1994), S. 285.
6 Vgl. Schnelle (1994), S. 286+287.
7 Vgl. Dorn (2016), S. 80-81.